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Construction des Schiffes. – Die zweite Kornernte. – Kulajagd. – Eine mehr angenehme als nützliche Pflanze. – Ein Wallfisch in Sicht. – Die Harpune aus Vineyard. – Zerstückelung des Wales. – Verwendung des Fischbeines. – Das Ende des Monats Mai. – Pencroff bleibt nichts mehr zu wünschen übrig.
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Hatte sich Pencroff einmal Etwas in den Kopf gesetzt, so ruhte er auch nicht eher, als bis es ausgeführt war. Jetzt beherrschte ihn der Gedanke, die Insel Tabor zu besuchen; und da diese Ueberfahrt ein Fahrzeug von einer gewissen Größe verlangte, so mußte ein solches eben gebaut werden.
Folgendes der Plan zu demselben, der von dem Ingenieur im Verein mit dem Seemanne aufgestellt wurde:
Das Schiff sollte fünfunddreißig Fuß im Kiele und neun Fuß in der größten Breite messen, bei gut geformten Seiten und richtiger Schwimmlinie die Verhältnisse eines Schnellseglers, – nicht mehr als sechs Fuß Tiefgang haben, der dennoch hinreichend schien, zu leichte Abweichungen zu verhindern. Auf dem dasselbe vollkommen verschließenden Verdecke gedachte man zwei Luken, als Eingang für zwei durch eine Scheidewand getrennte Räume, anzubringen, und ihm eine Schaluppentakelage mit Brigantine, Sturm- und Nothsegel, Bugspriet und Fockmast zu geben, Alles in Allem eine leicht zu behandelnde Ausrüstung, welche plötzlichen Windstößen gut Widerstand leistet und nahe am Winde zu segeln gestattet. Sein Rumpf sollte endlich aus stumpf aneinander gefügten, nicht übergreifenden Planken bestehen, das Rippenwerk aber erst nach Vollendung der über falsche Rippen aufgepaßten Bordwände eingesetzt werden.
Welche Holzart sollte nun zum Bau dieses Schiffes verwendet werden? Ulme oder Kiefer, an denen Beiden die Insel Ueberfluß hatte? Man entschied sich für die Kiefer, welche nach dem Ausdrucke der Zimmerleute ein »spaltiges« Holz giebt, das leicht zu bearbeiten und im Wasser ebenso ausdauernd ist, als das der Ulme.
Nach Feststellung dieser Einzelheiten kam man dahin überein, daß Cyrus Smith und Pencroff nur allein an dem Schiffe bauen sollten, da die schöne Jahreszeit doch erst in sechs Monaten wiederkehrte. Gedeon Spilett und Harbert sollten ihre Jagdzüge fortsetzen und Nab, mit Unterstützung Meister Jup's, seines Gehilfen, die häuslichen, ihnen früher zugetheilten Arbeiten verrichten.
Sofort wählte man geeignete Bäume aus, fällte und entästete dieselben und zerschnitt sie, ganz wie es Brettschneider thun, zu Planken. Acht Tage später wurde zwischen den Kaminen und der Granitwand ein Zimmerplatz errichtet, und bald lag ein fünfunddreißig Fuß langer, mit Vorder- und Hintersteven versehener Schiffskiel auf dem Sande.
Auch bei dieser neuen Arbeit verfuhr Cyrus Smith nicht auf's Gerathewohl. In Schiffsconstructionen ebenso wohl bewandert, wie in so vielen anderen Fächern, hatte er den Sarter (d.i. das Modell) seines Schiffes auf Papier entworfen. Uebrigens fand er in Pencroff, der mehrere Jahre auf einer Werft zu Brooklyn gearbeitet und sich praktisch ausgebildet hatte, die geeignetste Stütze. Erst nach genauester Berechnung und reiflichster Ueberlegung errichtete man also die ersten falschen Rippen auf dem Kiele.
Pencroff, das wird man gern glauben, war ganz Feuer und Flamme, seine Arbeit tadellos auszuführen, und wollte sich keinen Augenblick von ihr trennen.
Eine einzige Beschäftigung genoß das Privilegium, ihn derselben auf Zeit zu entziehen: die zweite Kornernte am 15. April. Eben so gut gediehen, wie die erste, lieferte sie übrigens den voraus berechneten Ertrag an Körnern.
»Fünf Scheffel! Herr Cyrus, verkündete Pencroff nach sorgsamer Messung seiner Reichthümer.
– Fünf Scheffel, wiederholte der Ingenieur, und jeder zu 130,000 Körnern, so ergiebt das 650,000 Körner.
– Schön, und das Ganze säen wir wieder, bis auf eine kleine Reserve.
– Ja, Pencroff, und wenn die nächste Ernte ebenso günstig ausfällt, erzielen wir 4000 Scheffel.
– Und essen dann Brod?
– Essen dann Brod.
– Dazu brauchen wir aber eine Mühle.
– Nun, so bauen wir eine.«
Das dritte Getreidefeld erhielt natürlich einen unvergleichlich größeren Umfang, als die beiden ersten, und die wohl vorbereitete Erde nahm den kostbaren Samen in ihrem Schoße auf. Nachher ging Pencroff sofort wieder an seine Arbeit.
Unterdessen befleißigten sich Gedeon Spilett und Harbert der Jagd in den Umgebungen, und wagten sich manchmal, durch die mit Kugelladung versehenen Gewehre gegen jeden Zufall geschützt, tief in die noch unbekannten Theile des fernen Westens hinein. Diese bestanden aus einem fast undurchdringlichen Gewirr prächtiger Bäume, welche aber so dicht aneinander standen, als habe es für sie an Raum gemangelt. Die Durchforschung dieser Waldlabyrinthe war so schwierig, daß der Reporter, aus Furcht, sich beim Rückwege zu verirren, stets den Taschencompaß zur Orientirung bei sich führte. Natürlich zeigte sich auch das Wild, dessen freie Bewegung hier sehr behindert sein mußte, weit seltener. Dennoch fielen den Jägern in der zweiten Aprilhälfte drei große Herbivoren (d.s. Pflanzen fressende Thiere) in die Hände. Es waren das Kulas, von denen die Colonisten schon früher im Norden des Sees ein Exemplar gesehen hatten, die sich stumpfsinnig zwischen den dicken Aesten, in welchen sie Zuflucht gesucht, erlegen ließen. Ihre Häute wurden nach dem Granithause mitgenommen, und mit Hilfe von Schwefelsäure einer Art Gerbung unterworfen, welche sie in verwendbareren Zustand versetzte.
Eine weitere, von anderem Gesichtspunkte aus schätzenswerthe Entdeckung gelang Gedeon Spilett auch gelegentlich dieser Ausflüge.
Am 30. April hatten sich die beiden Jäger tief in den fernen Westen begeben, als der Reporter, der etwa fünfzig Schritt vor Harbert dahin schritt, an einer Lichtung stehen blieb, wo die minder dicht stehenden Bäume einige Sonnenstrahlen durchdringen ließen.
Gedeon Spilett schien über den Geruch verwundert, den einige Pflanzen mit geraden, walzenförmigen, verzweigten Stengeln verbreiteten, deren Doldenblumen sehr kleine Körnchen trugen. Der Reporter brach einige solche Stengel ab, und wandte sich an den jungen Mann mit der Frage:
»Sieh doch, Harbert, was ist das wohl?
– Ei, wo haben Sie diese Pflanze gefunden, Herr Spilett?
– Da, in der Lichtung, wo sie sehr reichlich wächst.
– Nun, Herr Spilett, sagte Harbert, das ist ein Fund, durch den Sie sich ein Recht auf Pencroff's wärmste Dankbarkeit erwerben.
– Wäre das Tabak?
– Ja wohl, wenn auch nicht gerade von der besten Sorte, es ist immerhin Tabak.
– O, der wackere Pencroff! Wie zufrieden wird er sein! Aber Teufel! – Er wird doch nicht Alles allein rauchen und auch uns einen Theil davon zukommen lassen!
– Ha, ein Gedanke, Herr Spilett! entgegnete Robert. Wir sagen für jetzt Pencroff hiervon nichts, richten diese Blätter zu, und eines schönen Tages präsentiren wir ihm eine gestopfte Pfeife!
– Einverstanden, Harbert, und an diesem Tage wird unser ehrenwerther Freund auf der ganzen Gotteswelt nichts mehr zu wünschen übrig haben!«
Der Reporter und der junge Mann sammelten einen tüchtigen Vorrath der geschätzten Pflanze ein, den sie in das Granithaus »einpaschten«, als ob Pencroff der scharfsichtigste und strengste Zollbeamte sei.
Cyrus Smith und Nab wurden in's Vertrauen gezogen, der Seemann aber bemerkte Nichts trotz der langen Zeit, welche zum Trocknen und Zerkleinern der Blätter, sowie zu einer Art Röstung derselben zwischen erwärmten Steinen nothwendig war. Das Alles erforderte zwei Monate; alle Manipulationen konnten bequem ohne Wissen Pencroff's vorgenommen werden, da dieser, beim Schiffsbau eifrig beschäftigt, nur Abends zur Essenszeit nach dem Granithause zurückkehrte.
Noch einmal wurde seine Lieblingsarbeit, er mochte wollen oder nicht, am 1. Mai durch ein Fischerei-Abenteuer unterbrochen, an dem alle Colonisten theilnehmen mußten.
Seit mehreren Tagen zeigte sich schon auf zwei bis drei Meilen seewärts ein riesenhaftes Thier im Gewässer der Insel, ein Walfisch der größten Art, der wahrscheinlich jener im Süden vorkommenden Species angehörte, welche man »Cap-Wale« nennt.
»Welch' Glück für uns, wenn wir den Burschen fangen könnten! rief der Seemann. O, besäßen wir nur ein geeignetes Boot und eine gute Harpune, wie rief ich gerne: ›Auf, auf! Das Thier da zu haschen verlohnt sich der Mühe!‹
– Ei, Pencroff, sagte Gedeon Spilett, ich hätte Sie gern einmal die Harpune führen sehen! Das muß eigenthümlich sein.
– Sehr eigenthümlich und nicht gefahrlos, fiel der Ingenieur ein; doch da uns alle Hilfsmittel fehlen, das Thier dort anzugreifen, ist es wohl richtiger, an dasselbe gar nicht mehr zu denken.
– Ich bin erstaunt, sagte der Reporter, einen Walfisch in verhältnißmäßig so hoher Breite zu sehen.
– Und weshalb, Herr Spilett? antwortete Harbert. Wir befinden uns gerade in demjenigen Theile des Pacifischen Oceanes, den die englischen und amerikanischen Fischer › Whale-Field‹ Walfisch-Feld. nennen, und hier mitten zwischen Neu-Seeland und Südamerika begegnet man diesen Meeresriesen am häufigsten.
– Ganz richtig, bestätigte Pencroff, und mir ist es weit mehr aufgefallen, daß uns nicht häufiger ein solcher Walfisch zu Gesicht gekommen ist. Da wir aber doch nicht im Stande sind, uns jenem zu nähern, so kann es uns ziemlich gleichgiltig sein.«
Pencroff ging, nicht ohne einen Seufzer des Bedauerns, wieder an seine Arbeit, denn in jedem Seemanne steckt Etwas vom Fischer, und wenn das Vergnügen beim Fischfange einigermaßen in geradem Verhältnisse zur Größe des Thieres steht, so kann man sich wohl eine Vorstellung machen, was ein Walfänger in Gegenwart eines solchen Walfisches empfindet.
Und wenn es nur das Vergnügen allein gewesen wäre! Man konnte sich aber auch den Nutzen nicht verhehlen, den eine solche Beute der Colonie durch Oel, Fett und Fischbein, lauter verschiedentlich zu verwendende Gegenstände, hätte bringen müssen.
Nun geschah es aber, daß der betreffende Walfisch sich aus dem Gewässer der Insel gar nicht entfernen zu wollen schien. Ob von den Fenstern des Granithauses oder vom Plateau der Freien Umschau aus, nie verließen Gedeon Spilett und Harbert das Fernrohr, so wenig wie Nab, trotzdem er seine Oefen überwachte, und Alle folgten aufmerksam den Bewegungen des Thieres. Der Walfisch, der tief in die Unions-Bai hineingedrungen war, durchschwamm sie schnell vom Kiefer- bis zum Krallen-Cap, getrieben durch seine mächtigen Schwanzflossen, mit deren Hilfe er sich fast sprungweise und mit einer Schnelligkeit von zwölf Meilen die Stunde fortbewegte. Dann und wann näherte er sich der Insel so weit, daß man ihn deutlich zu erkennen vermochte. Er gehörte zu den Südseewalen, die ganz schwarz am Körper sind und einen mehr platt gedrückten Kopf haben, als jene aus den nördlichen Meeren.
Man sah ihn durch seine Luftlöcher zu bedeutender Höhe eine große Wolke austreiben, eine Wolke von Dampf oder Wasser, denn – so sonderbar das klingen mag – die Naturforscher sowohl, als auch die Walfänger, sind sich über diesen Punkt noch nicht klar. Ist es Luft oder Wasser, was das Thier in bekannter Weise ausstößt? Jetzt neigt man mehr zu der Annahme, daß es Dampf sei, der sich bei der plötzlichen Berührung mit der kalten Luft condensiren und in Form von Regen niederfallen soll.
Indessen beschäftigte die Anwesenheit des Seesäugethieres die Aufmerksamkeit der Colonisten unablässig. Vorzüglich reizte sie Pencroff und hielt ihn wiederholt von seiner Arbeit ab. Er hatte endlich sein wahres Vergnügen an dem Walfisch, wie Kinder gerade an verbotenen Dingen. Während der Nacht sprach er laut von ihm im Traume, und hätte er nur die geeigneten Mittel gehabt, demselben zu Leibe zu gehen, wäre z.B. die Schaluppe im Stande gewesen, das Meer zu halten, er hätte nicht einen Augenblick gezögert, sich zur Verfolgung des Riesen aufzumachen.
Was die Colonisten aber nicht auszuführen vermochten, das that der Zufall für sie, und am 3. Mai kündigten die Jubelrufe Nab's, der eben am Küchenfenster stand, an, daß der Walfisch am Ufer der Insel gestrandet sei.
Gedeon Spilett und Harbert, welche sich eben zur Jagd begeben wollten, ließen ihre Gewehre stehen, Pencroff fiel die Axt aus der Hand, Cyrus Smith und Nab liefen herzu und Alle eilten nach dem Orte der Strandung.
Dieser befand sich auf der sandigen Küste der Seetriftspitze, drei Meilen vom Granithause entfernt. Eben war hohes Meer, und lag die Wahrscheinlichkeit nahe, daß der Wal sich nicht leicht werde wieder frei machen können. Jedenfalls mußte man eilen, um ihm im Nothfalle den Rückzug abzuschneiden. Alle versorgten sich also mit Spießen und eisenbeschlagenen Stöcken, liefen über die Brücke der Mercy, an deren rechtem Ufer nach dem Strande hinab, und von hier aus befanden sich die Colonisten in weniger als zwanzig Minuten dem ungeheuren Thiere gegenüber, über welchem schon eine ganze Wolke von Vögeln umher flatterte.
»Welch' ein Riese!« rief Nab.
Gewiß war diese Bezeichnung richtig, denn der Walfisch maß achtzig Fuß in der Länge und mochte nicht weniger als 150,000 Pfund wiegen.
Inzwischen verhielt sich das gestrandete Ungeheuer auffallend ruhig und suchte sich selbst jetzt, bei hohem Meere, nicht durch Bewegungen wieder frei zu machen.
Bald erklärte sich den Colonisten diese Unbeweglichkeit, als sie bei niedrigem Wasser um den Gefangenen herum gehen konnten.
Er war nämlich todt und in seiner linken Seite stak noch eine Harpune.
»In den benachbarten Meeren befinden sich also Walfischfahrer? sagte Gedeon Spilett.
– Und warum das? fragte der Seemann.
– Weil dort die Harpune noch…
– O, Herr Spilett, das beweist nichts, fiel ihm der Seemann in's Wort. Man hat Walfische mit einer Harpune in der Seite noch Tausende von Meilen zurücklegen sehen, und wir dürften uns gar nicht verwundern, wenn dieser hier im Norden harpunirt und im Süden des Pacifischen Oceans verendet wäre.
– Indessen… wollte Gedeon Spilett noch sagen, da ihm Pencroff's Versicherung nicht genügte.
– Das ist sehr wohl möglich, bestätigte auch Cyrus Smith; doch wir wollen diese Harpune untersuchen. Vielleicht finden wir, wie gewöhnlich, den Namen des Schiffes, zu dem sie gehörte, darauf gezeichnet.«
Und wirklich, als Pencroff die Harpune aus dem Walfisch gezogen hatte, las er auf derselben:
Maria Stella,
Vineyard.
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»Ein Schiff aus Vineyard! Ein Schiff aus meiner Heimat! rief Pencroff. Die ›Maria Stella!‹ Ein schöner Walfischfahrer, meiner Treu! Das Fahrzeug kenne ich bis zum Kiele! O, meine Freunde, ein Schiff aus Vineyard! Ein Walfischfahrer aus Vineyard!« Ein Hafen im Staate New-York.
Die Harpune über dem Kopfe schwingend rief der Seemann immer und immer wieder diesen Namen, der seinem Herzen so theuer war, den Namen seines Heimatlandes!
Da man nicht darauf warten konnte, daß die Maria Stella das von ihr harpunirte Thier reclamirte, so beschloß man dasselbe abzuweiden, bevor es in Zersetzung überginge. Die Raubvögel, welche schon mehrere Tage um die reiche Beute kreisten, wollten sich unverzüglich in Besitz derselben setzen, so daß sie mit Flintenschüssen vertrieben werden mußten.
Dieser Walfisch war übrigens ein Weibchen, in dem man eine sehr große Menge Milch fand, welche nach dem Urtheile des Naturforschers Dieffenbach recht gut für Kuhmilch hingehen konnte, von der sie sich weder durch den Geschmack, noch durch Färbung oder Dichtigkeit unterscheidet.
Pencroff hatte früher einmal auf einem Walfischfahrer gedient und verstand die Abweidung des Speckes regelrecht zu leiten, – übrigens ein sehr unangenehmes Geschäft, das drei volle Tage in Anspruch nahm, von dem sich aber dennoch Keiner der Colonisten ausschloß, selbst Gedeon Spilett nicht, der der Aussage des Seemanns zufolge nach und nach »ein ganz tüchtiger Schiffbrüchiger« wurde.
Der in parallele Streifen von zweiundeinhalb Fuß Dicke zerschnittene Speck wurde in etwa hundertpfündige Stücke zertheilt und endlich in großen irdenen Gefäßen ausgelassen, welche man nahe an den Strand geschafft hatte, um die Umgebung des Plateaus der Freien Umschau nicht zu verpesten. Bei dieser Schmelzung verlor jener etwa ein Drittheil seines Gewichts, lieferte aber dennoch überreichliche Vorräthe. Die Zunge allein ergab 6000 Pfund Thran, und die Unterlippe 4000 Pfund. Außer diesen Fettsubstanzen, welche den Bedarf an Stearin und Glycerin für lange Zeit sicher stellten, kamen sie auch noch in Besitz von Fischbein, welches ja seine Verwendung finden würde, obgleich man auf der Insel Lincoln weder Corsets noch Regenschirme trug. Der obere Theil des Walfischrachens war auf beiden Seiten mit achthundert hornigen, sehr elastischen und faserigen Barthen ausgerüstet, die am Rande kammartig ausgefranst erschienen, und bei einer Länge von sechs Fuß Tausende kleiner Thiere, Fische und Mollusken, zurückzuhalten vermögen, die dem Wale als Nahrung dienen.
Nachdem die Operation zu großer Zufriedenheit der dabei Beschäftigten beendet war, überließ man die Reste des Thieres den Vögeln als willkommene Beute, von denen man erwarten durfte, daß sie jene bis zum letzten Lothe aufzehren würden, und wandte sich wieder den gewohnten Arbeiten im Granithause zu.
Vor der Wiederaufnahme seiner Thätigkeit auf dem Zimmerplatze kam Cyrus Smith auf den Einfall, eine Art kleiner Apparate herzustellen, welche die Neugier seiner Genossen ungemein reizte. Er nahm nämlich ein Dutzend Fischbeinstäbe, theilte diese in sechs gleiche Theile und spitzte sie an beiden Enden zu.
»Und welchem Zwecke wird das dienen, Herr Cyrus? fragte Harbert, als Jener damit fertig war.
– Wölfe, Füchse, selbst Jaguare zu tödten, antwortete der Ingenieur.
– Gleich jetzt?
– Nein, erst kommenden Winter, wenn es nicht an Eis fehlt.
– Ich verstehe aber nicht… fuhr Harbert fort.
– Das wirst Du verstehen lernen, mein Sohn, belehrte ihn der Ingenieur. Diesen Apparat hab' ich nicht erst erfunden, sondern er wird schon lange Zeit von den Aleuten-Fischern im russischen Amerika benutzt. Die Fischbeine welche Sie hier sehen, meine Freunde, biege ich nämlich, wenn es erst friert zusammen und begieße sie so lange mit Wasser, bis sie mit einer hinreichenden Eisschicht überzogen sind, welche ihre Biegung erhält. Hierauf überziehen wir sie reichlich mit Fett und verstreuen sie endlich auf dem Schnee. Was geschieht nun, wenn ein ausgehungertes Thier diese Köder verschlingt? Die Wärme seines Magens schmilzt die Eisschicht und das sich ausdehnende Fischbein durchbohrt denselben mittels seiner Spitzen.
– Das ist wirklich sinnreich, sagte Pencroff.
– Erspart uns Pulver und Blei, setzte der Ingenieur hinzu.
– Und ist besser, als die Schlingen! bemerkte Nab.
– Doch warten wir den Winter ab.
– Ja wohl, den Winter.«
Inzwischen schritt der Bau des Schiffes rüstig vorwärts, und gegen Ende des Monats war es schon zur Hälfte mit Planken bekleidet. Schon erkannte man seine ausgezeichneten Formen, vermöge der es sich gut auf dem Wasser zu bewähren versprach.
Pencroff arbeitete mit einem Eifer ohne Gleichen, und es gehörte seine zähe Natur dazu, diesen Anstrengungen zu trotzen; insgeheim aber bereiteten seine Gefährten ihm eine Belohnung für seine Mühen, und der 31. Mai sollte ihm die größte Freude seines Lebens bescheeren.
An diesem Tage nämlich fühlte Pencroff nach Beendigung des Mittagsmahles, als er den Tisch eben verlassen wollte, wie eine Hand sich auf seine Schulter legte.
Es war die Gedeon Spilett's, welcher zu ihm sagte:
»Einen Augenblick, Pencroff; so geht man nicht davon. Vergessen Sie ganz das Dessert?
– Ich danke, Herr Spilett, entgegnete der Seemann, ich gehe wieder an die Arbeit.
– Nun, eine Tasse Kaffee?
– Auch das nicht.
– Aber eine Pfeife Tabak?«
Pencroff sprang auf, und sein derbes, gutmüthiges Gesicht erbleichte, als er sah, wie der Reporter ihm eine wohlgestopfte Pfeife und Harbert einen brennenden Holzspahn präsentirte.
Der Seemann wollte sprechen; aber es gelang ihm nicht, fast zitternd griff er nach der Pfeife, hielt den Spahn daran und blies Zug auf Zug fünf bis sechs Rauchwölkchen aus dem Munde.
Duftend breiteten diese sich aus, und aus dem Wolkennebel hörte man eine entzückte Stimme schallen:
»Tabak! Leibhaftiger Tabak!
– Ja wohl, Pencroff, antwortete Cyrus Smith, und sogar ausgezeichneter Tabak.
– O du himmlische Vorsehung! Heiliger Schöpfer aller Dinge! rief jubelnd der Seemann, unserer Insel fehlt also nichts mehr!«
Und Pencroff rauchte, rauchte und rauchte!
»Wer hat denn diese Entdeckung gemacht? fragte er endlich. Ohne Zweifel Du, Harbert?
– Nein, Pencroff, Herr Spilett war es.
– Herr Spilett! rief der Seemann und preßte den Reporter so herzhaft an seine Brust, wie es diesem vorher wohl noch nie vorgekommen war.
– Luft! Pencroff! seufzte Gedeon Spilett und erquickte sich nach dieser Unterbrechung durch einen tiefen Athemzug. Lassen Sie einen Theil Ihrer Erkenntlichkeit auch Harbert zukommen, der die Pflanze erkannte, Cyrus Smith, der sie zurichtete, und Nab, der seine liebe Noth gehabt hat, daß wir unser Geheimniß nicht vorzeitig verriethen!
– Nun, meine Freunde Alle, betheuerte der Seemann, das werde ich Euch dereinst noch vergelten. Jetzt auf Leben und Tod!«