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Dringliche Unternehmungen. – Eine Brücke über die Mercy. – Wie aus dem Plateau der Freien Umschau eine Insel wird. – Die Zugbrücke. – Kornernte. – Der Bach. – Die Brückchen. – Der Viehhof. – Der Taubenschlag. – Die beiden Quaggas. – Ein Gespann. – Ausflug nach dem Ballonhafen.
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Die Colonisten der Insel Lincoln waren also wieder in Besitz ihrer Wohnung gelangt, ohne durch den früheren Seeabfluß einzudringen, was ihnen ziemlich beschwerliche Maurerarbeiten ersparte. Gerade als sie jenes Vorhaben ausführen wollten, erfaßte die Affen ja zum Glück ein ebenso plötzlicher als unerklärlicher Schrecken, der sie aus dem Granithause verjagte. Hatten die Thiere vielleicht eine Ahnung davon, daß ihnen von der anderen Seite her ein ernstlicher Angriff drohte? Nur so allein ließe sich ihre Flucht allenfalls erklären.
Noch im Verlaufe desselben Abends schleifte man die Cadaver der Affen in's Gehölz, wo sie verscharrt wurden; dann beschäftigten sich die Ansiedler mit der Beseitigung der von den Eindringlingen verursachten Unordnung, – glücklicher Weise lief der angerichtete Unfug nur auf eine solche hinaus, da sie den Inhalt der einzelnen Räume wohl untereinander geworfen, aber nicht sonderlich beschädigt hatten. Nab setzte den Kochofen in Brand, und die Vorräthe des Magazins lieferten eine stärkende Mahlzeit, der Jedermann alle Ehre anthat.
Jup wurde dabei nicht vergessen und vertilgte die ihm reichlich zugetheilten Zirbelnüsse und Wurzelknollen mit sichtlichem Behagen. Pencroff hatte seine Arme frei gemacht, glaubte aber doch an den Füßen des Affen die Fesseln noch belassen zu sollen, bis jener unzweifelhafte Zeichen von Ergebung in sein Schicksal an den Tag legen würde.
Vor dem Schlafengehen berieth Cyrus Smith mit seinen um den Tisch herum sitzenden Genossen noch, welche Arbeiten jetzt die schnellste Erledigung erheischten.
Vor Allem waren diese für die Erbauung einer Brücke über die Mercy, um den südlichen Theil der Insel in leichtere Communication mit dem Granithause zu setzen, und die Errichtung einer Hürde zur Unterbringung der wilden Schafe und anderer Wolle tragender Thiere, die man noch zu fangen hoffte.
Beide Projecte entsprachen dem immer fühlbarer werdenden Bedürfnisse nach Kleidungsstücken. Die Brücke sollte die Herbeiführung des Ballons ermöglichen, von dem man Leinwand entnehmen wollte, der Viehhof aber die nöthige Wolle zur Winterbekleidung liefern.
Die Einzäunung für jene Thiere gedachte Cyrus Smith nahe den Quellen des Rothen Flusses herzustellen, wo die Wiederkäuer hinlängliche Weide mit frischen Kräutern finden mußten. Der Weg zwischen dem Plateau der Freien Umschau und jenen Quellen war schon zum Theil frei gelegt und für einen etwas geschickter construirten Wagen, als das erste plumpe Gefährt, einigermaßen passirbar, vorzüglich, wenn es gelänge, einige Zugthiere einzufangen.
Wenn es aber recht gut anging, den Viehhof in größerer Entfernung vom Granithause zu etabliren, so lag die Sache anders bezüglich des Hühnerhofes, auf den Nab die Aufmerksamkeit der Ansiedler lenkte. Das Geflügel mußte in der That dem Küchenregenten näher zur Hand sein, und bot sich zu der besagten Einrichtung kein geeigneterer Platz, als jener Ufertheil des Sees, der in der Nachbarschaft des früheren Ausflusses lag. Dort mußten Wasservögel ebenso gut gedeihen als andere, und das bei Gelegenheit des letzten Ausflugs gefangene Tinamon-Pärchen sollte den Stamm des Geflügelhofes abgeben.
Am andern Tage – den 3. November – begannen die besprochenen Arbeiten mit der Erbauung der Brücke, zu welcher umfänglichen Arbeit Alle herangezogen wurden. Die Colonisten beluden sich mit Sägen, Aexten, Meißeln, Hämmern u. dgl. und zogen als wohl ausgerüstete Zimmerleute den Strand entlang.
Da kam Pencroff ein sehr zeitgemäßer Gedanke.
»Wenn es während unserer Abwesenheit nun, sagte er, dem Meister Jup einfallen sollte, die Strickleiter wieder aufzuziehen, die er uns gestern so zuvorkommend zuwarf?
– Richtig, so befestigen wir also das untere Ende«, antwortete Cyrus Smith.
Mittels zweier in den Sand eingerammter Pfähle führte man diese Vorsichtsmaßregel aus. Dann folgten die Colonisten dem linken Mercy-Ufer und erreichten bald die erste Flußbiegung.
Dort machten sie Halt, um zu erörtern, ob sich die Brücke wohl an dieser Stelle anlegen lasse. Die Oertlichkeit wurde für passend erachtet.
Dieser Punkt lag nämlich von dem vorher an der Südküste entdeckten Ballonhafen nur etwa drei Meilen entfernt und konnte man dahin leicht eine fahrbare Straße anlegen, die der Verbindung ihrer Wohnung mit jenen Landstrichen sehr förderlich sein mußte.
Bei dieser Gelegenheit setzte Cyrus Smith seine Freunde über einen leicht ausführbaren, sehr vortheilhaften und von ihm schon längere Zeit durchdachten Plane in Kenntniß. Er bezweckte nämlich, das Plateau der Freien Umschau gänzlich zu isoliren, um es gegen jeden Angriff von Vierfüßlern oder Vierhändern zu sichern. Hierdurch mußten das Granithaus, die Kamine, der Hühnerhof und der ganze obere Theil des als Saatfeld dienenden Plateaus gegen jede Beschädigung durch Thiere geschützt sein.
Nichts schien leichter auszuführen, als dieses Project und zwar beabsichtigte der Ingenieur dabei folgendermaßen zu Werke zu gehen.
Von drei Seiten umschlossen das Plateau schon theils natürliche, theils künstlich angelegte Gewässer.
Im Nordwesten verlief das Ufer des Grant-Sees von dem durch den früheren Ausfluß eingenommenen Winkel bis zu dem an der Ostseite für den Austritt des Wassers gesprengten Einschnitt.
Im Norden, von diesem Einschnitte bis zum Meere, stürzte sich der neue Wasserarm hinab, der sich über das Plateau und den Strand ein Bett ausgehöhlt hatte, so daß es genügte, ober- und unterhalb des Falles diesen Bach zu verbreitern, um ihn für Thiere unüberschreitbar zu machen.
Im Osten der Insel breitete sich das Meer aus, und bildete von der Mündung jenes Baches bis zu der der Mercy die Wassergrenze.
Im Süden endlich erfüllte der Lauf dieses Flusses bis nach seinem ersten Bogen denselben Zweck.
Nur die Westseite des Plateaus zwischen jenem Flußknie und dem südlichen Winkel des Sees bot also, und zwar in der Breite von kaum einer Meile, einen ungehinderten Zugang. Nichts schien leichter, als hier eine Art Graben von genügender Tiefe und Breite auszuheben, der sich mit dem Wasser des Sees speisen und dessen Ueberschuß durch einen zweiten Wasserfall in die Mercy abfließen würde.
Zwar mußte man sich einer Senkung des Seeniveaus als Folge dieser vermehrten Wasserabgabe versehen, doch hatte Cyrus Smith die Ueberzeugung gewonnen, daß der Rothe Fluß genügendes Wasser zur Ausführung dieses Projectes liefere.
»Auf diese Weise, schloß der Ingenieur, wird das Plateau der Freien Umschau zur vollständigen Insel, von allen Seiten von Wasser eingeschlossen, und steht mit den übrigen Theilen unseres Gebietes nur durch die über die Mercy zu schlagende Brücke, die beiden schon bestehenden Stege ober- und unterhalb des Wasserfalls und endlich durch ein über den auszuschachtenden Graben zu führendes Brückchen in Verbindung. Richten wir alle diese Uebergänge nach Art der Zugbrücken her, so ist das Plateau der Freien Umschau vor jedem Ueberfall sicher gestellt.«
Zur besseren Verdeutlichung hatte Cyrus Smith einen Situationsplan des Plateaus entworfen, nach dessen Einsichtnahme sich sein Project der ungetheiltesten Zustimmung der Uebrigen erfreute.
Arbeitslustig schwang Pencroff seine Zimmermannsaxt und rief: »Nun vorwärts, zuerst die Brücke!«
Die Inangriffnahme dieser Arbeit drängte am meisten. Es wurden also Bäume ausgewählt, gefällt, abgeästet und in Bretter, Bohlen und Planken zerschnitten. Die am rechten Mercy-Ufer feststehende Brücke sollte in dem dem linken Ufer anliegenden Theile beweglich gemacht werden, um sie mittels Gegengewichts, wie an Schleusenbrücken mehrfach üblich, heben zu können.
Selbstverständlich erforderte diese Arbeit trotz des Geschicks der helfenden Hände doch eine gewisse Zeit, zumal die Mercy an dieser Stelle gegen achtzig Fuß Breite maß. Ebendeshalb mußten im Flußbett Pfähle, um den Oberbau zu tragen, eingerammt und ein Gerüst aufgestellt werden, um jene einschlagen zu können. Man beabsichtigte nämlich zur Erhöhung der Tragkraft des Baues zwei feste Brückenbogen herzustellen.
Zum Glück fehlte es ja jetzt nicht mehr weder an Werkzeugen zur Bearbeitung des Holzes, noch an Eisentheilen zur festen Verbindung desselben, ebensowenig wie an Wissen und Erfahrung eines Baumeisters, der sich auf derlei Constructionen vorzüglich verstand, und dem Eifer seiner Mitarbeiter, die sich während der vergangenen sieben Monate eine große Handfertigkeit fast nothwendig angeeignet haben mußten. Gedeon Spilett war dabei nicht der Ungeschickteste, und wetteiferte selbst mit dem Seemanne, der »von einem einfachen Journalisten nie so viel erwartet hätte.«
Drei volle Wochen nahm der Brückenbau in Anspruch. Der Zeitersparniß wegen aß man gleich auf dem Werkplatze und kehrte bei dem anhaltend guten Wetter nur erst zur abendlichen Hauptmahlzeit nach dem Granithause zurück.
Im Laufe dieser Zeit machte man auch die erfreuliche Wahrnehmung, daß Meister Jup sich mehr und mehr eingewöhnte und gegen seine neuen Herren, die er immer neugierigen Blickes betrachtete, zutraulicher wurde. Aus Vorsicht gab ihm Pencroff aber auch jetzt noch nicht seine volle Bewegungsfreiheit wieder, sondern wollte dazu den Zeitpunkt abwarten, bis die Grenzen des Plateaus besser gesichert wären. Top und Jup übrigens standen auf bestem Fuße und spielten mit einander, wobei Jup aber stets einen gewissen Ernst bewahrte.
Am 20. November beendete man den Bau der Brücke. Ihr durch Gegengewichte beweglicher Theil schlug sich ohne größere Kraftanstrengung auf und nieder. Zwischen dem Charnier desselben und dem letzten Querbalken, auf den sie sich beim Niederlassen auflegte, blieb ein Zwischenraum von zwanzig Fuß frei, der hinreichend breit erschien, um den Uebertritt von Thieren zu verhindern.
Nun beschäftigte man sich mit der Frage der Herbeischaffung der Ballonhülle, welche die Colonisten Eile hatten vollkommen in Sicherheit zu bringen; ihr Transport setzte jedoch die Zuführung eines Wagens bis zum Ballonhafen voraus, und diese den Durchbruch eines Weges durch die Urwälder des fernen Westens. Da hierbei eine gewisse Zeit verstreichen mußte, so besuchten Nab und Pencroff einmal jenen Hafen, und da sie sich überzeugten, daß die Leinwandniederlage in ihrer Grotte ganz unversehrt erschien, so beschloß man, zunächst jene das Plateau selbst betreffenden Arbeiten zu erledigen.
»Das gestattet uns, meinte Pencroff, den Geflügelhof unter den günstigsten Bedingungen einzurichten, da wir dann weder einen unliebsamen Besuch etwaiger Füchse, noch einen Ueberfall anderer schädlicher Thiere zu befürchten haben.
– Ohne in Anschlag zu bringen, ergänzte Nab seine Worte, daß wir dann das Plateau urbar machen, bepflanzen….
– Und unsere zweite Kornernte vorbereiten können!« fiel der Seemann mit selbstzufriedener Miene ein.
In der That hatte das erste, mit einem einzigen Korne besäete Getreidefeldchen sich, Dank Pencroff's Sorgfalt, musterhaft entwickelt. Nicht nur zeigte es die von dem Ingenieur vorhergesagten zehn Aehren, sondern jede derselben trug auch ihre achtzig Körner, so daß die Colonie jetzt über einen Vorrath von achthundert Körnern gebot, – und das nach sechs Monaten, d.h. mit der Aussicht auf zwei Ernten im Jahre.
Diese achthundert Körner sollten mit Ausnahme von fünfzig – einer aus Klugheit aufbewahrten Reserve – auf ein neues Feld gesäet werden, dem man die nämliche Sorgfalt wie dem Boden für das erste und einzige Korn widmete.
Das Feldstück wurde zurecht gemacht und mit einer dauerhaften, hohen und zugespitzten Palissadenwand umschlossen, welche für Vierfüßler unübersteigbar war. Naschhafte Vögel sollten einige aus Pencroff's Phantasie entsprungene Klappermühlen und Vogelscheuchen vertreiben. Dann wurden die siebenhundertfünfzig Körner in regelmäßigen Reihen mehr gesteckt als gesäet, und der Natur das Weitere überlassen.
Am 21. November begann Cyrus Smith den Graben abzustecken, der das Plateau im Westen von dem südlichen Winkel des Grant-Sees bis zur Mercy-Biegung abschließen sollte. Auf dieser Strecke lagen zwei bis drei Fuß Dammerde auf einer soliden Granitbettung.
Es mußte also nochmals Nitro-Glycerin dargestellt werden, das auch vollständig seine Wirkung that. Nach weniger als vierzehn Tagen durchschnitt ein zwölf Fuß breiter und sechs Fuß tiefer Graben den harten Boden des Plateaus. Mit Hilfe des nämlichen Mittels wurde das Felsgestade des Sees gesprengt; wirbelnd drängte sich das Wasser in das neue Bett und bildete einen kleinen Fluß, der den Namen »Glycerin-Fluß« erhielt und nun einen Nebenarm der Mercy darstellte. Wie der Ingenieur vorher gesagt, sank das Niveau des Sees, jedoch kaum merkbar, tiefer. Um die Abschließung vollkommen zu machen, verbreiterte man endlich noch das den Strand quer durchströmende Flüßchen beträchtlich, und verhinderte das Nachfallen des Sandes durch Plankenwände an beiden Ufern.
In der ersten Decemberhälfte wurden diese Arbeiten vollbracht und das Plateau der Freien Umschau, ein unregelmäßiges Fünfeck von gegen vier Meilen Umfang, durch einen zusammenhängenden Wassergürtel vor jedem Angriffe geschützt.
Der December zeichnete sich übrigens durch starke Hitze aus. Die Colonisten wollten indessen die Ausführung ihrer Projecte nicht unterbrechen, und da die Errichtung des Geflügelhofes sehr dringend erschien, schritt man sofort dazu.
Es bedarf wohl kaum der Erwähnung, daß Meister Jup nach vollendeter Abschließung des Plateaus ganz in Freiheit gesetzt wurde. Er hielt sich fortwährend zu seinen Herren und verrieth nicht die mindeste Neigung zum Entlaufen. Es war ein sanftes, doch sehr kräftiges Thier von erstaunlicher Gelenkigkeit. O, wenn es die Leiter nach dem Granithause hinauf zu ersteigen galt, da that es ihm wohl Keiner gleich. Schon hatte man ihn auch zu einzelnen Hilfsleistungen abgerichtet; er schleppte z.B. Holz herzu und wälzte die aus dem Bette des Glycerin-Flusses gehobenen Steine weg.
»Nun, ein Maurer ist's gerade noch nicht, aber doch schon ein Affe!« sagte scherzend Harbert mit Anspielung auf den Spitznamen »Affe«, den die Maurer ihren Lehrlingen geben.
Ein deutsch nicht wieder zu gebendes Wortspiel, das im Obigen erklärt ist, und sich auf den Doppelsinn des Wortes,
singe, Affe und (als Spitzname) Maurerlehrling (weil dieser häufig die Baugerüste auf- und abzusteigen hat), gründet.
D. Uebers. Und wenn dieser Name je gerechtfertigt erschien, so war er es gewiß in diesem Falle.
Der Geflügelhof erhielt einen Flächeninhalt von zweihundert Quadrat-Yards, die man an der Südostseite des Sees auswählte. Auch diesen umgab man mit einer Palissade und sorgte für verschiedenerlei Unterkommen für die Thiere, die ihn bevölkern sollten. Im Allgemeinen beschränkte man sich auf eine Art Hütten aus Zweigen, die in Einzelabtheilungen zerfielen und nur noch ihrer Bewohner harrten.
Die ersten bildete das Tinamon-Pärchen, welches sich bald durch junge Brut vermehrte. Zur Gesellschaft diente ihnen ein halbes Dutzend am Seeufer nistende Enten. Einige derselben gehörten zu derjenigen chinesischen Art, deren Flügel sich fächerförmig öffnen und die durch den Glanz und das Farbenspiel ihres Gefieders mit den Goldfasanen wetteifern. Einige Tage später fing Harbert noch ein Paar hühnerartige Vögel mit rundem, langgefiedertem Schwanze ein, prächtige »Alectors«, die sich schnell eingewöhnten. Pelikane, Taucherkönige, Wasserhühner u. dergl. fanden sich ganz von selbst am Strande des Geflügelhofes ein, und diese ganze kleine Welt, welche sich erst streitend, krähend, kreischend und gluckend anzufeinden schien, vertrug sich doch am Ende und vermehrte in befriedigendem Maßstabe die späteren Lebensmittelquellen der Colonie.
Zur Vollendung seines Werkes errichtete Cyrus Smith in einer Ecke des Geflügelhofes auch noch einen Taubenschlag, in welchen ein Dutzend Tauben, welche die hohen Felsen des Plateaus umschwärmten, eingesetzt wurden. Diese Vögel gewöhnten sich sehr leicht, allabendlich nach ihrer neuen Wohnung zurückzukehren, und zeigten überhaupt mehr Neigung, zu Hausthieren zu werden, als ihre Verwandten, die Holztauben, welche sich nur im Zustande der Freiheit vermehren.
Endlich nahte die Zeit, die Ballonhülle zur Anfertigung von Bekleidungsgegenständen auszunützen; denn sie in ihrer alten Form aufzubewahren und vielleicht gar mittels Ballons und erhitzter Luft einen tollkühnen Versuch zu wagen, von der Insel über dieses unbegrenzte Meer zu entfliehen, das hätte nur Leuten in den Sinn kommen können, welche vielleicht an Allem Mangel litten; doch Cyrus Smith war ein viel zu praktischer Kopf, um an Derartiges zu denken.
Zunächst handelte es sich nun darum, den Ballon nach dem Granithause überzuführen, was die Colonisten veranlaßte, ihren schwerfälligen Wagen beweglicher und leichter zu machen. Wenn aber das Gefährt nicht eigentlich fehlte, so ging ihm doch die so wünschenswerthe Zugkraft gänzlich ab. Existirte denn auf der ganzen Insel kein eingeborener Wiederkäuer, der Pferd oder Esel, Ochs oder Kuh ersetzen konnte?
»Wahrlich, meinte Pencroff, ein Zugthier müßte uns von großem Nutzen sein, bis es Herrn Cyrus ein mal beliebt, ein Dampfboot oder gar eine Locomotive zu bauen, denn unzweifelhaft werden wir dereinst eine Eisenbahn vom Granithause nach dem Ballonhafen mit einer Zweigbahn nach dem Franklin-Berge besitzen!«
Wenn der ehrliche Seemann also sprach, glaubte er auch selbst an seine Worte! O, über die Einbildung, wenn sich der Glaube ihr beimischt!
Doch, um nicht zu übertreiben, ein einfaches Gespann von Vierfüßlern wäre jetzt Pencroff's Herzenswunsch gewesen, und da die Vorsehung ihm Alles zu Gefallen zu thun schien, so ließ sie ihn auch hiernach nicht zu lange seufzen.
Eines Tages – es war am 23. December – hörte man gleichzeitig Nab aus Leibeskräften schreien und den Hund dazu bellen. Die eben in den Kaminen beschäftigen Colonisten liefen in Befürchtung eines Unfalls schnell herzu.
Was sahen sie aber? – Zwei schöne große Thiere, die sich unvorsichtiger Weise auf das Plateau, dessen Brückchen zufällig nicht aufgezogen waren, verirrt hatten. Man hätte sie für zwei Pferde halten können, oder mindestens für ein Eselmännchen und -weibchen von schlanker Form, isabellfarbenem Fell, weißen Beinen und Schwanze, am Kopfe, ebenso wie am Halse und am Bauche, zebraartig gestreift. Ohne ein Zeichen von Unruhe trippelten sie daher und guckten mit hellen Augen die Menschen an, in denen sie ihre Herren noch nicht erkannten.
»Das sind Quagga's, rief Harbert, Thiere, welche zwischen Zebra und Cuagga stehen.
– Und warum keine Esel? fragte Nab.
– Weil ihnen die langen Ohren fehlen und sie gefälligere Formen haben.
– Was, Pferde oder Esel, entschied Pencroff, es sind ›Motore‹, wie Herr Smith sagen würde, und als solche ein erwünschter Fang.«
Ohne die Thiere zu erschrecken, glitt Harbert im Grase bis zu dem Brückchen des Glycerin-Flusses, zog es auf, und die Quagga's – waren gefangen.
Sollte man sich ihrer jetzt mit Gewalt bemächtigen und sie um jeden Preis schnell zu zähmen suchen? Nein. Man entschied sich dahin, sie einige Tage ganz nach Belieben auf dem Plateau umher laufen zu lassen, wobei es ihnen an Weidefutter nicht fehlen konnte, und dazu ließ der Ingenieur einen Stall erbauen, in welchem die Quagga's für die Nacht Unterkommen und ein geeignetes Lager finden sollten.
Man ließ demnach dem prächtigen Pärchen vollkommene Bewegungsfreiheit, und die Colonisten vermieden sogar, es durch Annäherung scheu zu machen. Mehrmals schienen die Quagga's Luft zu verspüren, das Plateau wieder zu verlassen, da dasselbe den an die Weite und die tiefen Wälder gewöhnten Thieren zu beschränkt sein mochte. Dann sah man sie längs der Wassergrenzen dahin galoppiren und hörte sie kurz und unwillig wiehern, und wenn sie sich wieder mehr beruhigt hatten, standen sie wohl Stunden lang still und sahen hinaus in die freien Wälder, in welche sie nicht mehr wie früher zurückkehren sollten.
Inzwischen hatte man Geschirr und Zugstricke aus Pflanzenfasern hergerichtet, und wenige Tage nach dem Einfangen der Quagga's stand nicht nur der Wagen bereit, bespannt zu werden, sondern streckte sich auch eine gerade Straße oder vielmehr eine Schneuse durch den Wald des fernen Westens von der Mercy-Biegung an bis nach dem Ballonhafen. Jetzt war man also im Stande, mit dem Wagen dahin zu gelangen, und gegen Ende December schritt man zu dem ersten Versuche mit den Quaggas.
Pencroff hatte die Thiere schon so an sich gewöhnt, daß sie ihm aus der Hand fraßen und sich ohne Schwierigkeit nahe kommen ließen; als sie jedoch angeschirrt wurden, bäumten und wehrten sie sich gewaltig, so daß sie nur mit Mühe zu bändigen waren. Nichtsdestoweniger mußten sie sich doch endlich diesem ungewohnten Dienste fügen, und wird das Quagga, von Natur minder rebellisch als das Zebra, in den Berggegenden Ostafrikas sehr häufig als Zugthier benutzt; ja, es mißlang sogar der Versuch nicht, dasselbe in verhältnißmäßig kalten Landstrichen Europas zu acclimatisiren.
An diesem Tage bestieg die ganze Colonie, bis auf Pencroff, der neben den Köpfen seiner Thiere herging, den Wagen und fuhr die Straße nach dem Ballonhafen dahin. Daß man auf diesem ungeebneten Wege tüchtig durchgeschüttelt wurde, liegt auf der Hand. Doch das Gefährt gelangte ohne Unfall aus Ziel, und noch an dem nämlichen Tage konnte die Ballonhülle nebst Zubehör verladen werden.
Um acht Uhr Abends schwankte der Wagen nach Ueberschreitung der Mercy-Brücke wieder längs des linken Flußufers hinab und hielt am Strande an. Die Quagga's wurden ausgespannt, nach ihrem Stalle zurückgeführt, und Pencroff machte, bevor er einschlief, seinen Gefühlen der Befriedigung noch durch einen Stoßseufzer Luft, der das Echo aus allen Ecken des Granithauses wach rief.