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Shikishima no
Yamatogokoro wo
hito towaba
asahi ni niou
yamazakurabana

(Motoori Norigana )

Wenn man dich über das japanische Herz befragt, so antworte: Es gleicht der Blüte des wilden Kirschbaums, die in der Morgensonne duftet.

 

I

Er ließ einen langen ernsten Blick über uns hingleiten, dann sagte er sanft:

»Es sei. Ich werde euch, da ihr es wünschet, das Geheimnis meines früheren Lebens enthüllen. Ich glaube, daß ich morgen Abend beim Appell nicht hier sein werde, und es ist mir lieb, euch diesen letzten Freundschaftsbeweis zu hinterlassen.

Ihr habt keine Erinnerung, sagt ihr, an eure früheren Erdenleben. Aber habt ihr euch jemals bemüht, sie euch in Erinnerung zu rufen?

Ich habe mich bemüht es zu tun. Und ich habe die über den Tod hinaus bewahrten Erinnerungen in mir wiedererweckt. Ich biete sie euch, so wie sie sind, schmucklos, ohne Kunst, in nackter Wahrhaftigkeit. Ihr werdet nachsichtig sein. Und wenn ich euch meine stürmische Jugend im geliebten Japan erzählt habe, dann werdet ihr das Rätselhafte in meinem gegenwärtigen Leben begreifen, meine seltsamen Launen, die Anwandlungen von Niedergeschlagenheit und Absonderlichkeiten, mit denen, wie mir so oft vorgeworfen wurde, mein heutiges Ich ringt und in die Irre geht. Jenes Leben in Japan war kurz und bewegt. Ich wünschte ruhevoll zu sein, Buddha gleich, und ich war unruhig und beging Frevel. Ich war geschaffen, in meinem stillen Hause zu bleiben, und ich irrte umher, ein Geächteter ohne Stätte. Ich war von entgegengesetzten Gefühlen und Gedanken zerrissen, und mein gegenwärtiges Leben ist noch vom Nachhall dieser Gewitterstürme erschüttert.

* * *

Ich war das Kind sehr einfacher Leute, die am Ufer einer stillen blauen Bucht auf einer wilden Halbinsel lebten, wo es nur Fichten, Bambus und Kamelien gab.

Wir hatten ein kleines rotes Haus; es stand auf vorspringenden Felsen, als ob es sich im Wasser spiegeln wollte. Es lag in reiner Luft und in grellem Licht, und der Blick dehnte sich weit hin nach allen Seiten.

Gegen Osten sah man Hügel, Gehölze, Wasserfälle und schmale Treppen, die zu Tempeln empor führten, und da und dort kleine rote Häuschen wie das unsere.

Im Westen dehnte sich die weite blaue Fläche, auf der regungslose Segel standen, und in der Ferne erhob, den Fuß tief unter dem Horizont der heilige Berg seine weißleuchtende Spitze bis zum Himmel.

Am Abend hob sich sein schneeiger Gipfel vom Himmel ab; dann wurde das Wasser fahl, die Farben schwanden, die Segel verloren sich, die Gehölze wurden schwarz; der Himmel war erst rot, dann rosig, dann grün, dann grau und zuletzt bleich; die Nacht war gekommen.

* * *

Ich ging oft in die Berge, auf einem steinigen Weg, der von Hecken umschlossen war, bis zu einem alten kleinen Tempel, der dem Inari Sama geweiht war, und von dem man einen traulicheren Blick hatte.

Mir ist, als stünde ich noch dort: unten fließt der Bach zwischen den roten Felsen; ein Bauer wäscht sein Grünzeug; eine alte Frau breitet weiße Wäsche auf dem Rasen aus; nackte Kinder bauen einen kleinen Damm, um das Wasser anzuhalten, das lächelnd auf der anderen Seite vorüberfließt.

Und vor mir sehe ich über dem Walde die leuchtende Spitze des ewigen Fuji.

Noch weiter entfernt befand sich ein buddhistisches Kloster, und hinter einem Gitter eine ungeheure Statue: der Dai Butsu. Viele Stunden verbrachte ich in seinem Anblick und suchte mich mit seiner heitern Ruhe zu erfüllen; seine sanften Augen schienen mir zu sagen »Ja, du sollst der höchsten Weisheit teil werden; kampflos und schmerzlos wirst du sanft ins ewige Nichts eingehen.« Und ich erwiderte: »Sei es so, o Herr, der du die vier erhabenen Wahrheiten gefunden hast.«

* * *

Bei diesem Dai Butsu habe ich zum erstenmal die Trauer gesehen.

Zwei Liebende waren dort, die einander verlassen mußten. Sie sprach die Verse des Kino-Toshisada:

»Du wirst ja wiederkehren, warum also sollte ich traurig sein? Ich werde nicht weinen: siehe, es sind Tautropfen, nicht Tränen, die auf meinem Ärmel glänzen.«

Lächelnd sagten sie einander Lebewohl und trennten sich, ohne sich umzusehen; aber man fühlte, daß ihre Herzen weinten.

In dieser so sanften Umgebung habe ich meine Kindheit still verbracht, und der Duft davon ist noch für mehrere Leben in meiner Seele geblieben.

* * *

Eines Tages, ich kam von einem Ausflug in die Berge zurück, da sah ich ein Teehaus, ein ganz kleines Teehaus, das unter den Ahornbäumen verborgen stand. Ich trat ein.

Ich fand eine lächelnde alte Frau mit runzligem Gesicht und zwei junge Mädchen von entzückender Jugendfrische. Ich betrachtete sie. Die eine sah sanft und reizend aus; sie war zart und schlank, zierlich, von stillen Bewegungen. Die andere war voller entwickelt, und der Ausdruck ihrer Augen und ihrer Blicke waren minder himmlisch.

Ich berührte die Kuchen kaum, die sie mir anboten, und ich trank den Tee, ohne darauf zu achten.

Nachdem wir vom Wetter, von der Blüte der Bäume und von den jüngsten Festen gesprochen, sagte ich zu ihnen:

»Ich bin von diesem meinem ersten Besuch entzückt und ich danke Euch für den liebenswürdigen Empfang, den Ihr mir bereitet. Jetzt aber, glaube ich, muß ich von Euch Abschied nehmen.«

»Geruht doch zu bleiben,« sagte die alte Frau; »es ist noch früh, und Ihr habt doch sicherlich keine Eile.«

»Ich bedaure, Eurer Einladung nicht folgen zu können,« erwiderte ich, »aber es wird schon Nacht, und ich habe zu Hause nicht gesagt, daß ich spät heimkommen würde.«

»Werdet Ihr uns die Ehre erweisen wiederzukommen?«

»Wenn Ihr geruhen wollt, es mir zu gestatten, so werde ich wiederkommen.«

Alle drei begleiteten mich bis zur Türe und die alte Frau sagte noch:

»Entschuldigt, daß wir Euch so schlicht empfingen; wir sind beschämt, daß unsere Gastfreundschaft so ärmlich war.«

Ich erwiderte, indem ich sie des Gegenteils versicherte, und ich entfernte mich nach mehreren »Sayonara« und vielen Verbeugungen.

Ich war nicht so heldenhaft wie die Liebenden am Dai Butsu; ich wendete mich um: das hübsche Mädchen, das mir so sanft und anziehend erschien, stand noch auf der Schwelle. Und ich dachte: die Engel haben Flügel und ein gefiedertes Kleid, aber sie sind nicht so schön und so rein wie dieses Kind, das mir nachsieht.

* * *

Seitdem war mein Dasein gestört und floß nicht mehr so ruhig dahin.

An diesem Abend stieg ich, um meine Gedanken abzulenken, zum Meer hinab und bat Itaro, meinen alten Freund Itaro, mit mir des Nachts auf den Fischfang zu fahren.

Wir fuhren in seiner Barke hinaus.

Das Wasser war schwarz, und der Himmel war schwarz. Nur der gelbe Schein, den unsere Laterne hinter uns über die Flut warf, schien in dem unendlichen Dunkel lebendig.

»Itaro San, kennt Ihr ein Teehaus auf dem Berg unter den Ahornbäumen? Dort wohnt eine alte Frau mit zwei jungen Mädchen. Kennt Ihr es, dieses Teehaus?«

»Ich kenne es, Otani San.«

...Ein langes Schweigen.

»Itaro San, wißt Ihr, wie diese jungen Mädchen heißen?«

»Ich weiß es. Der Name der einen ist Miyoko, der der anderen Umeno.«

»Itaro San, das eine dieser jungen Mädchen ist von der zarten Schönheit eines Engels.«

»Das ist Miyoko ...«

Wir schweigen wieder, und in dem Lichtschein, der hinter uns über das Wasser gleitet, wie ein beweglicher Goldstoff, sehe ich glitzernde Fische vorüberschießen, wie aus Rubin, Topas und Silber.

* * *

Wenn manche Erinnerungen aus meinem früheren Leben nebelhaft und unbestimmt sind, wenn ich sie nur so sehe, wie man blühende Kirschbäume auf den Höhen eines Berges errät, oder im Grunde eines Tals, in dem der Nebel aufsteigt, so sind andere von leuchtender Klarheit, ja klarer und schärfer umrissen als die meines gegenwärtigen Lebens; es ist als wären sie dadurch reiner geworden, daß sie durch den Tod hindurchgegangen sind; sicherlich haben sie ihre Schatten und Einzelheiten im Lande Yomi gelassen, und wieder ins volle Licht zurückgekehrt, erheben sie sich wie nackte Marmorstatuen mit unbeweglichen Formen.

* * *

Und Itaro sagte mir:

»Ich fürchte, mein Sohn, Ihr seid verliebt. Ihr habt mir nicht gesagt, in welches Angesicht Ihr verliebt seid, und ich wage nicht, Euch darnach zu fragen. Was liegt übrigens daran? Alle, die Ihr lieben werdet, Otani San, werden einander gleichen, solange Ihr sie liebt. Denn sie sind nichts anderes als der Widerschein Eures eigenen Herzens.«

»Ihr habt sehr viel Erfahrung,« sagte ich.

»Ich? Nicht die geringste. Ich habe nie meine Augen auf ein Paar hängender Ärmel oder auf ein weites Obi gesenkt. Ich habe nur die andern beobachtet; und von außen gesehen ist die Liebe grob und gemein. Was mir daran vor allem mißfällt, ist, daß man sein Ich dabei verliert. Es ist eine Torheit und ein Kampf, aus dem man mit geschwächtem Geiste und mürbem Leibe hervorgeht; wenn man nicht wie die Samurais aus dem Walde der Sieben Leidenschaften daraus hervorgeht, die in einer Frühlingsnacht in Käfer verwandelt wurden.«

»Was wollt Ihr damit sagen, o Itaro San, und was ist das für eine Geschichte?«

»Es ist eine Legende aus den vier Provinzen, eine einfache alte Legende, die ich Euch erzählen werde.«

»Ich werde Euch gerne zuhören.«

* * *

»Es war um die Stunde des Hahnes. Der Tag ging zur Neige. Gen Sonnenuntergang schien ein rotes Licht durch die Bäume. Zwei Samurais irrten auf abenteuerlichem Wege im Walde der Sieben Leidenschaften umher.

Sie folgten einem Pfad. Wohin führte der schmale Pfad? Da und dort waren Blutstropfen, kleine Blutstropfen.

»Ein Verwundeter? Ein Unfall? Ein Verbrechen? ... Da und dort Blutstropfen. Folgen wir dieser Spur. Wohin mögen diese Blutstropfen uns führen?«

An einer Biegung des Pfades bemerkten sie ein kleines strohbedecktes Häuschen. Ein helles, lächelndes, zierliches Häuschen. Eine Holztreppe führt zu seiner Türe. Am Fuß der Treppe steht ein blühender Pflaumenbaum und auf der obersten Stufe zwei junge Mädchen.

Zwei reizende junge Mädchen und einander so ähnlich, als hätte man eine Melone in zwei Teile geteilt. Sie tragen jede einen Kimono aus grüner Seite mit weiten Ärmeln; ihr Obi ist aus roter golddurchwirkter Seide.

So wie die Samurais die jungen Mädchen erblicken, verbeugen sie sich tief, ihre Stirnen berühren die Erde.

Darauf spricht die eine der beiden lächelnd: »Tretet ins Haus, o Samurais, die jungen Mädchen vom Walde der Sieben Leidenschaften sind sehr glücklich, euch zu sehen.«

Sie traten ein und die, die gesprochen hatte, begann zu tanzen. Sie tanzte, die hübsche Geisha, schnell wie die Möwe auf dem Kamm der Wogen, leicht wie der Schatten einer Weide auf dem Wasser und anmutvoll wie die Nebel, die emporsteigen, wenn die Sonne aufgeht.

Sie tanzte, die hübsche Geisha, während die andere auf dem Boden saß und den Samisen spielte.

Dann boten sie den Fremden Saké an: es begann Nacht zu werden. Die Düfte des Waldes drangen in das Haus, die Stunde war süß, die jungen Mädchen lächelten, und die Samurais waren glücklich.

Aber kaum hatten sie ihren Becher mit Saké getrunken, als sie beide in tiefen Schlaf versanken. Und da sie sahen, daß die Männer schliefen, zogen die beiden Reizenden sich zurück und sprachen: »O yasumi nasai!« Gute Nacht!

Darauf trat verstohlen eine alte Hexe ein: sie trippelte hin und her, schüttelte die beiden Schlafenden, und da sie nicht erwachten, ging sie wieder und sprach mit zitternder Stimme:

»O yasumi nasai! O yasumi nasai!«

Nun kam eine Menge kleiner schwarzer Dämonen; sie tanzten auf den Köpfen der Samurais; steckten ihnen ein Reiskorn in jedes Ohr und entflohen dann wie die alte Hexe und die schönen Tänzerinnen, mit den Worten:

»O yasumi nasai!«

Und die Samurais schliefen weiter, und sie wurden kleiner und kleiner. Mit ihren Waffen und ihren Kleidern nahmen sie die Gestalt von Käfern an.

Endlich, gegen die Stunde des Tigers erwachten sie; und während sie ihre kleinen Füße dehnten und ihre Flügeldecken öffneten, kamen andere Käfer durch die Türritzen herein und riefen ihnen zu:

»O hayô! O hayô! O hayô!«

Und da es Morgen wurde, fegten die Mägde die Stube aus; sie kehrten all die Käfer hinaus, ohne zu ahnen, daß die zwei Samurais unter ihnen waren. Und wer weiß? Vielleicht waren auch die andern Käfer einst Samurais gewesen, die ihre menschliche Gestalt verloren hatten, weil sie sich im Walde der Sieben Leidenschaften verirrten.«

* * *

Der alte Fischer fügte als Lehre hinzu: »Möge die Weisheit der Alten Eure Unwissenheit leiten. Die Weisheit liegt in diesen drei Worten: In Ruhe verbleiben. All unser Unglück, mein Sohn, kommt von einer einzigen Ursache, und die ist, daß wir unsere Blicke auf flatternde Ärmel oder auf ein weites Obi richten.«

* * *

Itaro hatte in meinem Herzen gelesen und er verließ mich nicht mehr. Er nahm mich in seiner Fischerbarke mit und wir segelten sehr weit hinaus. Eines Tages kamen wir bis zu einer unbewohnten kleinen Insel, die »Die Insel der ewig Liebenden« genannt wurde, weil man dort einen jungen Mann und ein junges Weib tot nebeneinander liegend gefunden hatte. Sie waren dahin gekommen, um dort zu sterben, um zusammen ins Land Yomi zu wandern, um sich in den künftigen Leben immer wieder zusammenzufinden.

Und sie hätten als Ausgangspunkt für einen langen Liebeskreislauf keine reizendere Insel wählen können ...

»Unter diesen Blumen hier möchte auch ich sterben!«

»Geruhet doch zu schweigen,« erwiderte der abergläubische Fischer rasch; »wenn eine Gottheit Euch hörte ...«

»Möge sie mich hören, Itaro San! möge sie mich doch hören! Hier möchte ich leben und hier auch sterben! Ist es nicht wahrhaftig der schönste Garten der Welt? Sehet doch: dunkle Fichten, als grünen Hintergrund, und auf diesem Hintergrund rosenrote und rote Flecken der blühenden Kirschbäume und der Kamelien. Für welche Genien, für welche Feen, für welche Liebenden ist diese Insel eines Tages aus dem Grunde des blauen Meeres aufgestiegen? Kein Kind ist hier, kein Hund, kein Vogel. Man hört kaum das leichte Rauschen des Wassers an diesen Felsen oder das des Windes, der durch die Fichten streicht. O höret doch, Itaro San: der Wind legt sich, das Meer schlummert, man hört nichts mehr.

Wir waren berauscht von dem göttlichen Schweigen als wir plötzlich eine sanfte Stimme hörten.

Diese sanfte Stimme sang das alte Hochzeitslied:

shi kai nami
shizuka nite
kuni mo osamaru
tokitsukaze
eda wo narasanu
miyo nareya

»Die Wogen der vier Meere sind ruhig;
auf dem Lande ist alles in Ordnung;
es ist die Stunde, in der kein Luftzug in den
Zweigen säuselt.«

Wir lauschten, wir atmeten kaum, mein Herz pochte.

Zum zweitenmal begann die Stimme das Lied der glücklichen Paare:

shi kai nami
shizuka nite ...

dann wurde sie schwächer und erstarb zuletzt.

Da erst bemerkten wir die Barke, von der der Gesang gekommen war; sie entfernte sich ohne Ruder, ohne Segel; sie war schon weit weg, niemand schien sich in ihr zu befinden ...


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