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5. Kapitel. Im Kreise der Enkel.

»I, dacht ich's mir doch!« Ärgerlich machte Frau Trudchen mit ihrem Kaffeebrett kehrt. »Da is Hopfen und Malz verloren, bei unsern Herrn Jeheimrat. Und was mein Kunze is, der is schon jenau so wie er. Jlauben Frau Jeheimrat, der hat jetzt noch Ruhe bei seine Basteleien? I bewahre. ›Wie 'n Soldat auf Posten‹, sagt er immer. Na ja, is ja janz schön und janz jut, aber was seine Frau is, die will doch schließlich wenigstens am Sonntag etwas von ihrem Mann haben. Meinen Frau Jeheimrat nich auch?«

»Ja, Trudchen, daran haben wir Frauen uns nun schon gewöhnen müssen, daß wir erst die zweite Geige spielen. Erst kommt die Praxis, die Pflicht.« Frau Annemarie mußte lächeln. Sie sprach so weise und hatte doch oft ganz ähnliche Gedanken.

»Na, wenn Frau Jeheimrat mit den beiden Männern einverstanden is, denn werd' ich's ja auch woll sein müssen. Nu klingelt's – das sind Professors. Is man jut, sonst wird mir mein Kaffee noch kalt.«

Ja, es waren Professors. Wie die Schneemänner hielten sie ihren Einzug. Der Gymnasialprofessor mit leicht ergrautem Vollbart und frühgelichtetem Haar, die goldene Brille vor den klugen Augen, sah fast wie der Vater seiner stattlichen Frau aus. Er trug seinen schwarzen Sonntagsrock, den »Schulmeisterrock« nannte ihn Frau Vronli. Dazu Röllchenmanschetten. Er hatte etwas Altväterisches in seinem Aussehen und in seinem ganzen Gebaren.

Vronli, seine Frau, hatte sich wenig verändert, seitdem sie das Schwesternkleid ausgezogen hatte. Ihr sympathisches Gesicht gehörte, ohne eigentlich hübsch zu sein, zu denen, die einem immer angenehm sind und wohltun, an denen die Jahre fast spurlos vorübergehen, weil der Ausdruck den Zügen ihr Gepräge gibt. Das dunkelblonde Haar einfach gescheitelt, zeigte auch ihre ganze Erscheinung besondere Schlichtheit. Frau Annemarie legte heute noch mehr Wert auf geschmackvolles Aussehen als die Tochter. Bei Vronli mußte alles praktisch und haltbar sein. Darauf kam es an. Sie war Vorstandsdame in vielen Wohlfahrtsvereinen und sprach auch öfters in Versammlungen.

Gerda, das Töchterlein, hatte von beiden Eltern ihr Teil mitbekommen. Langaufgeschossen, mit glatten Blondzöpfen, die klugen, blauen Augen des Vaters in einem ziemlich blutarmen Gesicht. Jetzt freilich hatte dasselbe Farbe. Es war kältegerötet, die Augen zeigten Tränenspuren.

»Nanu, Jerdachen, weinste etwa? Oder is es man nur vom Schneetreiben draußen?« begrüßte sie das Hausfaktotum, während Frau Annemarie ihre Kinder ebenso warm bewillkommnete, wie die ganze Atmosphäre des Elternhauses die Ankömmlinge umfing.

»Die abscheulichen Straßenjungen haben mich mit Schnee bombardiert«, beklagte sich Gerda, noch immer weinerlich.

»Und da heulst du, mein Mädel?« Die Großmama schüttelte verwundert den Kopf. »Warum hast du sie denn nicht wieder bombardiert? Es gibt doch nichts Lustigeres, als solch eine Schneeballschlacht. Ich glaube, ich wäre heute noch dazu imstande.« Wie sie so dastand, die Großmama, die blauen Augen jugendlich leuchtend, hätte man sie wirklich dessen noch für fähig halten können.

Schwiegersohn und Tochter lachten herzlich. »Unser Mutterchen ist doch unverbesserlich. Nächstens boxt sie noch mit der Straßenjugend«, neckte der Schwiegersohn.

»Lieber mit Sechzig ein Draufgänger, als mit noch nicht sechzehn ein Kopfhänger«, lautete Frau Annemaries resolute Antwort. »So, nu mach' mir ein anderes Gesicht, Herzchen. Du versalzt uns ja Frau Trudchens frisch gebackene Pfannkuchen mit deinen Tränen.«

»Meinen schönen Sonntagshut haben sie mir verdorben«, hing Gerda noch immer ihrem Schmerze nach.

»Herr du meines Lebens! Wo kommt bloß das Mädel her? Was habe ich bei einer Schneeballschlacht als Kind danach gefragt, ob ich meinen Sonntagshut oder gar keinen auf dem Kopfe hatte. Immer drauflos, wo es am dichtesten Schneebälle hagelte. Je toller, um so schöner. Doktor Brauns Nesthäkchen stand seinen Mann.« Ganz jung sah das Gesicht der Großmama aus in der Erinnerung an längst vergangene Jugendfreuden. »Aber die Kinder von heute – – –.«

»Ja, Muttchen, die Menschen und die Verhältnisse sind eben verschieden«, nahm sich Vronli ihres Töchterchens an. »Unser Kind hat in schweren Zeiten, wo man nichts Neues kaufen konnte, lernen müssen, seine Sachen zu erhalten und – – –.« Sie unterbrach sich plötzlich: »Das sind doch sicher die Zehlendorfer.«

Laute Kinderstimmen klangen aus dem Garten herein. Lachen, Jubeln, Kreischen. Vom Erkerfenster aus bot sich ein drolliges Bild. Hans Hartenstein zog seine beiden Jüngsten, die Hartensteinschen Stammhalter, auf einem Rodelschlitten durch den verschneiten Gartenweg, während die beiden älteren Mädel, im Verein mit der Mutter, dem männlichen Teil der Familie mit Schneeballgeschossen zu Leibe rückten. Das gab ein Juchhei, daß die große Linde ganz verschlafen aus ihrem Schneebette herausblinzelte. Kamen alte Zeiten zurück?

»Nun, Mutterchen, wie ist's? Wollen wir hinaus und uns beteiligen?« fragte Professor Ebert scherzhaft. Trotzdem er durch und durch Gelehrter war, hatte er viel Sinn für Humor und fand dabei bei seiner Schwiegermutter stets Verständnis.

»Ich ziehe jetzt doch eine Tasse heißen Kaffee vor, Georg.« Sie trommelte an die Scheiben und winkte lebhaft. Dieses Zeichen der Großmama wurde respektiert. Die Rodelequipage hielt vor der Eingangstür. Das Quartett stürmte, ohne daran zu denken, sich die Schneefüße draußen auf der Matte abzutreten, was Frau Trudchen ihm oft angesagt hatte, in die Diele, die abgöttisch geliebte Großmama mit ihren Zärtlichkeitsbezeigungen fast umreißend. Eine Wolke von Kälte und von Jugendlust quoll mit ihnen herein.

»Kinder, reißt mich nicht in Stücke. Nun, mein Lillichen, wieviel Fehler waren denn im letzten Diktat? Ei, Evchen, dein Püppchen will mich heute besuchen? Edchen, du hast mir ja einen nassen Schneekuß versetzt. Und mein Kleinster, mein Heinzelmännchen – der hat ja heute gar keine Augen für seine Omama. Ja freilich, wenn auch gerade Frau Trudchen mit dem Pfannkuchenberg kommt. Der ist noch süßer als ein Kuß von der Omama.«

Die Kinder quiekten vor Vergnügen über den nassen Schneekuß und über den Pfannkuchenberg. Man schälte sie aus ihren Wollsachen heraus, wobei Gerda den kleinen Kusinen und Vettern schon mütterlich zur Hand ging.

»Etwas spät geworden, Mutter. Aber du kennst ja meine unpünktliche Frau«, begann Hans Hartenstein, ein wohlbeleibter, lustiger Herr.

»Das glaubt dir Mutter am allerletzten, Hansi. Die kennt deine Pünktlichkeit noch von früher her«, wehrte sich seine kleine, zierliche Frau.

»Ja, pünktlich war von meinen Kindern eigentlich nur Vronli, und die hat es auch nicht von mir, sondern vom Vater«, räumte Frau Annemarie heiter mit der ihr eigenen Ehrlichkeit ein. »Der Hansi – lieber Gott – aus der Haut konnte man fahren bei seiner Pomadigkeit. Kommst du nicht heute, kommst du morgen. Und mein Urselchen – na, die läßt heute noch so auf sich warten wie früher. Wer weiß, wie lange sie ihre alte Mutter noch warten läßt.« Plötzlich war es ernst geworden, das liebe, freundliche Gesicht.

»Alte Mutter – na, erlaube mal, Mutter, daß ich im Namen aller hier versammelten Pfannkuchenesser energisch protestiere. Unsere Mutter ist nicht alt und wird niemals alt sein!« Es war Hans Hartenstein durchaus ernst mit seinen Worten.

»Frage nur unsere Kinder, Mutter«, bekräftigte Frau Ruth. » Wenn wir die fragen, wer ihr bester Spielgefährte ist – na, wer ist euer liebster Spielkamerad, Kinder?« wandte sie sich an die Pfannkuchen Schmausenden.

»Die Omama – die liebe Omama!« Sie überschrien sich gegenseitig. Evchen und Heinz, die heute die Ehrenplätze neben der Großmama innehatten – an jedem Sonntagnachmittag hatten zwei andere den Vorzug – umfingen und streichelten sie zärtlich mit zuckerklebrigen Pfannkuchenhändchen.

»Kinder, ihr verderbt ja Omamas schönes Kleid«, wehrte Tante Vronli sorgsam, während die Großmama lächelnd begütigte: »Laß nur, laß, eine Liebkosung von meinen Kinderchen ist mir lieber als das schönste Kleid.«

Der Pfannkuchenberg war in erstaunenswerter Zeit gestürmt. »Bekommt der arme Opapa nun gar keine?« erkundigte sich Edchen mitleidig und sah unschlüssig auf seinen wenig appetitlichen Rest, ob es sich wohl lohne, denselben aufzuheben.

Aber die gute Großmama beruhigte ihn zu seiner Erleichterung.

»Iß nur, mein Jungchen. Frau Trudchen hat sicher was für den Opapa zurückgestellt. Vor allem heißen Kaffee – wenn er sich nur nicht bei dem Wetter erkältet.«

»Unser Vater ist vom alten Schlage, dem tut Wind und Wetter nichts. Aber weshalb die Leute sich bloß immer den Sonntagnachmittag zum Krankwerden aussuchen. Schade um unsere Skatpartie!« meinte Hans Hartenstein gemütvoll.

»Messen wir die Kräfte im Schach – ich bin dir noch Revanche für neulich schuldig, Hans«, schlug sein Schwager Georg Ebert vor.

»O weh, da geht mir's wieder an den Kragen. Mit einem Schulmeister darf man sich nicht einlassen.« Trotzdem brachte er den Schachtisch und die Zigarrenkiste des Vaters herbei. Denn Frau Annemarie mußte all ihre Lieben um sich haben. Selbst der Skattisch wurde am Sonntagnachmittag aus dem Herrenzimmer ins Familienzimmer transportiert.

Gerda half Frau Trudchen beim Abräumen der Tassen. Sie war geschickt und umsichtig für ihr Alter. Lilli durfte mit dem Krümelbesen den Tisch abfegen, Eva die Stühle zur Seite setzen. Edchen holte das Bilderlotto, das Sonntagslieblingsspiel, aus der Kinderecke, wo all die schönen Spielsachen für die Enkel aufgestapelt waren. Klein-Heinz beteiligte sich an der allgemeinen Geschäftigkeit dadurch, daß er das erste Stück Schokolade, das die Großmama als Gewinn aussetzte, schnell in seinen Mund spazieren ließ.

»Nanu, ist hier ein Mäuschen?« verwunderte sich die Großmama. »Ich hatte doch eben ein Stück Schokolade als Gewinn hingelegt, und jetzt ist es fort. Was machen wir nun bloß? Nun können wir ja gar nicht spielen.«

Der kleine Dieb war dunkelrot geworden. Er stickte fast an der gemausten Süßigkeit.

»Ja, Edchen, dann trage das Bilderlotto nur wieder fort«, meinte die Großmutter bekümmert.

»Ne, ach ne, wir können ja ganz ruhig ohne Aussetzen spielen, wenn du keine Schokolade mehr hast«, schlug Edchen vor.

»Ohne Schokolade macht's gar keinen Spaß«, wandten die kleinen Mädchen ein.

Auch die Großmama schien dieser Ansicht zu sein. Sie griff stillschweigend nach ihrer Wollarbeit. Da aber fühlte sie sich von kleinen Händen an den Arm gepackt.

»Das Mäuschen hat die Schokolade schon wiedergegebt.« Wirklich – da lag das abgelutschte Stück bräunlich auf der schönen, reinen Kaffeedecke. Tante Vronli und die Mutter des Kleinen sprangen entsetzt auf, aber die Großmama meinte lächelnd: »Nun, dann ist's ja gut, wenn das Mäuschen sein Unrecht eingestanden hat. Dann können wir spielen. Gerda, bitte Frau Trudchen, daß sie den Fleck hier aus der Decke wäscht und uns eine andere bringt.«

Das Spiel begann. Omama mußte natürlich mitspielen. Das war das Hauptsonntagsvergnügen für die Kinder. Die beiden Schwägerinnen plauderten bei der Handarbeit.

»Siehst du, Vronli,« meinte Frau Ruth halblaut, »schon als Kind und Backfisch, als ich in euer Haus kam, erschien mir eure Mutter als der Inbegriff aller Anmut, Heiterkeit und Güte. Was habe ich, die Elternlose, Ursel um ihr liebes Mütterchen beneidet. Ich ahnte damals nicht, daß ich hier selbst später ein warmes Elternhaus finden würde.«

»Ein Haus – eine Blume – ein Schiff – – –«, rief Gerda die Kärtchen aus.

»Mit dem Schiff kannst du nach Amerika fahren, Omama«, meinte ein Enkelchen.

»Ja, nach Brasilien zu Tante Ursel.« Für die Kinder war Brasilien das Paradies, aus dem die großen Kisten mit allen Herrlichkeiten ab und zu kamen.

»Ich wünschte, ich könnte mit dem Schiff hinfahren.« Omama sah gar nicht mehr so lustig aus.

»Ist noch nicht wieder Nachricht von Ursel gekommen, Mutterle?« erkundigte sich Vronli.

»Seit dem Januarbrief, in dem sie von dem kleinen deutschen Mädchen schrieb, das sie ins Haus genommen und nach dessen Angehörigen man forschen solle, nichts weiter. Ich hoffte heute zu ihrem Hochzeitstag eine Zeile zu erhalten, aber – – –«

»Kommt morgen, Mutter, oder übermorgen mit pünktlicher Verspätung«, rief es vom Schachtisch herüber.

»Zu deinem Geburtstag im April ist die Ursel diesmal sicher da«, tröstete Vronli.

»Meinst du, Kind?« Frau Annemaries Gesicht verklärte sich. Die Vronli fand doch immer das rechte Wort.

»Ein Ring – ein Vogel – ein Brief – – –«,rief Gerda aus.

»Omama, du paßt ja gar nicht auf«, beschwerte sich Edchen. »Der Brief ist für dich, der kommt aus Amerika.«

»Hast recht, mein Jungchen. Omamas Gedanken waren nur mal ganz geschwind nach Amerika gereist.«

»Sind sie auf dem großen Ozehan geschwommen?«

»Auf einem Hahn kann man doch nicht schwimmen, da kann man allenfalls fliegen«, stellte Gerda sachlich fest, während Edchens Ausspruch allgemein belacht wurde.

»Warte nur, Mutter, laß uns nur mit dem Radioapparat noch etwas weiter sein. Wie lange wird's dauern, dann schließt du hier in deinem eingeschneiten Biedermeierzimmer deinen Radioapparat an und kannst dann hören, wie Donna Tavares in Sao Paulo ihren Negern den Auftrag erteilt, Bananen und Orangen von den Bäumen zu pflücken,« neckte der Sohn beim Verschieben der Schachfiguren.

»Du brauchst gar nicht deine Witze darüber zu machen, Hans«, wandte der Professor ein. »Die Rundfunktechnik hat in den letzten Jahren ungeahnten Aufschwung genommen. Du kannst heute mit Hilfe des Radios dort drüben von diesem Zimmer aus ein Konzert, einen Vortrag in London genießen. Warum sollte eine Wellenlänge bis nach Brasilien nicht auch möglich sein?«

»Ach, wenn ich meines Urselchens Stimme mit dem Radio jederzeit hören könnte, dann gäbe es keine Entfernungen mehr – –.«

»Klinglingling«, unterbrach das Telephon Frau Annemaries Worte.

»Das Telephon aus Brasilien«, riefen die Kinder lachend.

Da kam Frau Trudchen, die das Telephon bediente, aufgebracht herein.

»Dacht' ich mir's doch. Kunze soll gleich nach der Klinik kommen. Herr Jeheimrat will heute abend noch operieren. Und was Frau Jeheimrat is, soll nich etwa mit 'n Abendbrot warten. Nu muß ich Kunzen erst expedieren.« Raus war sie wieder.

»Keine Ruh bei Tag und Nacht,« begann Hans Hartenstein zu pfeifen. »Jungs, alles könnt ihr werden, meinetwegen Mistbauer, nur nicht Arzt.«

»Ich werde Konditor«, erklärte Edchen prompt.

»Nein ich – nicht wahr, Mutti, ich?« bettelte der Kleinste.

»Ich hab' es zuerst gesagt – – –.«

»Ihr werdet alle beide Konditor, du wirst Edchens Kompagnon, Heinzelmann«, entschied die Großmama lachend mit salomonischer Weisheit. »Nur darf ein Konditor die Schokolade nicht fortnaschen.«

»Dann werde ich es mir vielleicht noch anders überlegen«, meinte etwas kleinlauter der Jüngste.

»Das denke ich auch – euer Vater hat es sich auch anders überlegt und war erheblich älter als mein kleiner Heinzelmann«, sagte Frau Annemarie mit leisem Spott.

»Mutter, soll das etwa ein Stich sein? Ich habe eine Haut wie ein Nilpferd«, klang es vom Schachtisch.

Alles lachte. Hatte Hans Hartenstein doch durch seinen beredten Anwalt, die Mutter, es bei seinem Vater einst durchgesetzt, die landwirtschaftliche Hochschule besuchen zu dürfen, um zwei Jahre später davon abzuspringen und in eine landwirtschaftliche Maschinenfabrik, deren Direktor er jetzt war, einzutreten.

»Daran war ich nur schuld, nicht wahr, Hansi?« schlug sich seine Frau auf die Seite des Angegriffenen. »Wer weiß, ob wir sonst überhaupt schon verheiratet wären. Die Aussichten für einen Landwirt ohne größeres Vermögen waren damals nicht sehr berückend.«

»Der Erfolg entscheidet«, meinte Hans mit seinem gemütlichen Phlegma.

»Jawohl, der Erfolg entscheidet. – Schach und matt.« Der ruhige Professor war ganz aufgeregt.

Bilderlotto, Domino, Feuer, Wasser, Kohle und Trip, trap, trudel, ein Würfelspiel, das nur die Omama verstand, wurden programmäßig, wie an jedem Sonntag, erledigt. Dann brachte Frau Trudchen die geschlagenen Zuckereier, welche die Lichterfelder Hühner ganz besonders schön für die Enkelchen zu legen hatten. Dem Kleinsten fielen fast schon die Augen zu. Trotzdem wollte er nicht nach Hause. Er weinte und bestand darauf, erst noch dem lieben Opapa Guten Tag sagen zu müssen. Natürlich war es die Omama, die durch ein heiteres Scherzwort wieder Sonnenschein bei dem kleinen Kerl hervorzauberte. So zog die Zehlendorfer Gesellschaft, jedes noch einen rotbäckigen Apfel in der Tasche, dankbar ab. Eberts blieben bis über das Abendbrot. Dann mußten auch sie heim. Sie hatten einen weiten Weg bis nach dem Norden Berlins und waren Frühaufsteher.

Frau Annemarie saß allein bei der goldenverhangenen elektrischen Lampe auf ihrem Biedermeier-Ripssofa und erwartete ihren Mann. Sie hatte ein Buch vorgenommen. Aber sie las nicht. Ihre Gedanken wanderten ihrem Manne auf den Wegen der schweren Berufspflicht entgegen. Dann kehrten sie zurück zu dem mit Kindern und Enkeln verbrachten heiteren Sonntagnachmittag. Schwupp – da waren sie Frau Annemarie schon wieder entwischt, die Gedanken; weit, weit zogen die Ausreißer davon. Und den Schluß machte ein tiefer Seufzer: »Es gibt doch nichts Vollkommenes im Leben. Wenn man sie doch alle, alle beisammen hätte!«


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