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Durch den großen Hörsaal des Berliner Lettehauses erklang die Abschiedsrede der Vorsteherin. Einige hundert junge Damen zwischen siebzehn und zwanzig Jahren, blonde und brünette, kindlich schlanke und schon voller entwickelte, hielten die Köpfe lauschend dem Rednerpult zugewandt.
»So vereinige ich Sie denn heute zum letztenmal in diesem Hause, meine lieben Schülerinnen.« Die Sprecherin erhob ihre klangvolle Stimme. »Ich darf wohl der Genugtuung Ausdruck geben, daß wir nicht umsonst miteinander gearbeitet und gestrebt haben, sondern daß jede von Ihnen wohlausgerüstet mit dem heutigen Tage ins Leben und in den erwählten Beruf tritt. Sei es auf hauswirtschaftlichem Gebiete, sei es kaufmännisch, kunstgewerblich oder fachwissenschaftlich, Sie werden bemüht sein, auf den Grundsteinen, die unser Letteverein für Ihr Lebenswerk gelegt hat, weiterzubauen und unserer Anstalt stets Ehre zu machen. Nie war die Zeit geeigneter, Kräfte zu entfalten und Können zu beweisen als augenblicklich. Unser Vaterland braucht die Arbeit der Frau. Es ist mir gelungen, Ihnen allen Stellungen nachzuweisen, die Sie, wie ich hoffe, mit ernstem Pflichtbewußtsein antreten werden und durch die Sie volle Befriedigung finden mögen. Das sind meine warmen Wünsche für Sie am heutigen Entlassungstage. Zeigen Sie sich der großen Aufgabe würdig, deutscher Frauenarbeit vollste Anerkennung erringen zu helfen. Leben Sie wohl, meine lieben Schülerinnen – Gott mit Ihnen!«
Die Vorsteherin trat von dem Rednerpult herab und streckte in liebenswürdiger Weise den sich um sie scharenden jungen Damen beide Hände zum Abschied entgegen: »Leben Sie wohl – lassen Sie es sich gut gehen! Viel Glück zu dem photographischen Atelier, das Sie eröffnen wollen, Fräulein Engelhardt –. Die hauswirtschaftliche Tätigkeit auf der Domäne wird Ihnen gut tun, Fräulein Blaßschnabel –. Hat Sie der Professor am physiologischen Institut für Mikroskopie angestellt, ja? Das freut mich. – Den Saldo nicht vergessen vorzutragen, Fräulein Lehmann; Ihr Bankchef wird nicht so nachsichtig sein wie Ihre langmütige Vorsteherin hier –« scherzhaft drohte sie einem jungen Mädchen. »Ach, die beiden Intima – Fräulein Gerhard, ich denke, Sie werden im Röntgenlaboratorium eine nutzbringende Tätigkeit finden, und Sie, Fräulein Steffen, sind von morgen an würdige städtische Beamtin! Nur die Gedanken fest am Bändel halten, daß sie Ihnen nicht in unbekannte Weiten entwischen, dann werden Sie überall Ihren Platz ausfüllen, wo immer das Schicksal Ihnen denselben auch anweist! Leben Sie wohl und viel Glück!« Für jede der abgehenden Letteschülerinnen hatte die beliebte Vorsteherin noch ein aufmunterndes Wort, einen warmen Händedruck.
Die beiden zuletzt Angeredeten, von der Vorsteherin als »Intima« Bezeichneten, traten auch als letzte Arm in Arm aus dem großen Hauseingang des Lettehauses auf den Viktoria-Luise-Platz hinaus.
»Weißt du noch, Ilse, mit welchen Gefühlen wir hier zum erstenmal hineingingen?« Die Kleinere wandte den goldblonden Kopf, auf den das dunkle Mützchen unternehmungslustig gestülpt war, nachdenklich nach dem stattlichen Bau zurück. »Ziemlich märtyrerhaft kam ich mir vor, daß ich die kaufmännische Laufbahn einschlug, anstatt aufs Gymnasium zu gehen und zu studieren. Und ganz im geheimen dachte ich wohl, das bleibt dir ja noch, wenn Vater nur erst wieder gesund ist. Und nun? In meinem armen Kopf ist das ganze schwere Geschütz: Schreibmaschine, Stenographie und doppelte Buchführung angriffsbereit aufgefahren gegen alle dummen, überflüssigen Gedanken, die nicht in das Hirn einer ›würdigen städtischen Beamtin‹ gehören.«
Die schelmischen Braunaugen lachten zu den trübseligen Worten der jungen Sprecherin in seltsamem Gegensatz.
»Ja, Lilli, ich hab's damals auch nicht gedacht, daß mein Vater, wenn ich den Röntgenkursus erst beendigt habe, noch immer im Petersburger Gefangenlager interniert sein würde. Zuerst hatte ich nach dem Friedensschluß mit Rußland von Woche zu Woche gehofft, daß man ihn als harmlose Zivilperson doch endlich freilassen müßte. Aber allmählich erlahmt einem die Hoffnung – wenigstens wenn es nicht gerade gilt, meiner Mutter gut zuzusprechen.«
Ilse Gerhard, ein schlankes, braunhaariges Mädchen mit feingeschnittenem, blassem Gesicht, seufzte leise.
»Hast recht, mein Ilsenkind, ich bin eine ganz undankbare Kreatur, der es noch viel zu gut geht. Als ob nicht jeder jetzt in der schweren Zeit seine Wünsche dem eisernen Muß der Notwendigkeit unterzuordnen hätte. Wenn der kaufmännische Kram nur nicht so ledern und mopsig wäre! Die dicken Kassabücher und Folianten, die kommen mir vor wie boshafte Unholde, die mich einschläfern und dann meinen falschen Ausrechnungen Schande bringen. Die stenographischen Hieroglyphen sind sicher leichtbeschwingte Zaubervögel, deren rasend schnellem Flug ich armes Menschenkind nicht folgen kann. Und nun erst die Schreibmaschine! Die beherbergt ein ganzes Reich von kleinen Klopfgeistern, die dem Menschen gehorchen müssen, nach seinem Willen auf und nieder springen, und die ihn doch nur zu oft foppen und narren. Unter seinen Fingern verwandeln sie sich heimtückisch in einen falschen Buchstaben. Da wird, ehe man sich's versieht, aus Rosen Hosen, und statt Liebe setzt's Hiebe. Und während man wütend zum Radiergummi greift, hört man ganz deutlich, wie die Schelme schadenfroh knistern und kichern zwischen den Klöpfeln.« Lilli Steffens rosiges Gesichtchen lachte nicht weniger schelmisch.
Die beinahe um einen Kopf größere Freundin mußte in das helle, herzenswarme Lachen mit einstimmen. So war es schon von kleinauf gewesen. Lillis hellklingendes Lachen wirkte auch auf den mürrischsten Griesgram ansteckend. Und das war die Ilse Gerhard durchaus nicht mit ihren neunzehn Jahren. Im Gegenteil, sie lachte nur zu gern und war glücklich, wenn sie mit Lilli recht von Herzen vergnügt sein konnte.
Nun standen beide an der Haltestelle und warteten auf die elektrische Bahn, die sie täglich zum Wannseebahnhof zu benutzen pflegten. Aber natürlich kamen zunächst alle anderen Linien, nur nicht die gewünschte.
»Lilli, eigentlich paßt du zur würdigen städtischen Beamtin wie die Lerche zum Droschkenpferd. Dichterin hättest Du mit deiner Phantasie werden sollen, Schriftstellerin! Haben wir dich in unseren Backfischkränzchen vor Jahren nicht schon ›Märchenkobold‹ genannt? Du hast deinen eigentlichen Beruf verfehlt.«
»Das fürchte ich selbst, Ilse.« Das lustige, rosige Mädchengesicht wurde ernst. »Eigentlich habe ich ja nie etwas anderes gedacht und ersehnt, als Schriftstellerin zu werden. Als ich aus der Schule kam und mich für irgend einen Beruf entscheiden sollte, da sagte ich ohne Überlegung: ›Schriftstellerin will ich werden!‹ Aber Muttchen hat mich ausgelacht: ›Ein Talent läßt sich nicht erlernen. Und ich weiß nicht, ob das deinige ausreicht, um darauf deine Zukunft zu begründen,‹ meinte sie. Und dann setzte sie mir noch liebevoll auseinander, daß ich kein vermögendes Mädchen sei, das abwarten kann, ob sich sein Talent vielleicht nach Jahren Bahn bricht und Anerkennung findet. Ich müßte daran denken, sobald als möglich auf eigenen Füßen zu stehen. Das habe ich natürlich eingesehen, weiß ich doch, wie Muttchen sich quält, um ihre ewig hungrigen Drei jetzt während der schweren Zeit satt zu machen. Ja, wenn Vater gesund wäre! Aber seitdem er damals den Lungenschuß bekommen hat und seine Tätigkeit als Oberlehrer fürs erste nicht ausüben darf, müssen wir Jungen einspringen. Da müssen alle unvernünftigen Wünsche schweigen.« Kein Zug von Enttäuschung zeigte sich in dem offenen Mädchengesicht. Nur zuversichtliche Genugtuung, der Mutter die Sorge ums tägliche Brot bald erleichtern zu können.
»Werdet ihr euren Vater nicht mal im Sanatorium besuchen? Der Schwarzwald ist gar nicht so weit. Ach, wenn ich den meinen doch in erreichbarer Nähe hätte! Wie wollte ich zu ihm eilen.«
»Mein Herz, du kannst dir in deinem Wohlleben gar keine Vorstellung davon machen, wie wir jetzt jeden Pfennig dreimal umdrehen müssen, ehe wir ihn ausgeben. Muttchen spart, soviel sie nur kann, um die Reise zu Vater zu ermöglichen. Aber dann kommt plötzlich eine unvorhergesehene Ausgabe – Stiefelsohlen oder derartiges – und heidi – sind die Spargroschen wieder dahin. Ludwig hat vom Stundengeben auch schon ein erkleckliches Sümmchen zusammen, und wenn ich mein erstes Gehalt als städtische Beamtin dazufüge, dann hoffe ich, daß Muttchen endlich ihrem Herzen folgen und auf ein paar Tage zu Vater fahren kann.«
Ilse antwortete nicht gleich. Sie war in einem reichen Haushalt groß geworden und konnte sich nicht so schnell darein finden, daß für eine so wichtige Sache kein Geld vorhanden sein sollte. Eigentlich waren Steffens doch wirklich zu bedauern. Und doch, was für einen zufriedenen, heiteren Eindruck machte Lilli und ebenso ihre ganze, liebe Familie. Auch jetzt blickten ihre braunen Augen hell und zuversichtlich. »Es geht Vater viel besser,« berichtete sie glücklich. »Die Temperaturerhöhungen sind seltener geworden. Ja, neulich hat er zum erstenmal wieder eine wissenschaftliche Arbeit vorgenommen. Es wird schon noch alles gut werden!«
Als endlich der Wagen der elektrischen Bahn herankam, war er schon überfüllt. Weder bei der Wagenführerin vorn noch bei der Schaffnerin auf der hinteren Plattform wollte sich ein Plätzchen für die beiden Freundinnen finden. Es entwickelte sich sogar ein lebhafter Wortwechsel zwischen einem beleibten Herrn, der sich noch durchaus hineinquetschen wollte, und der Schaffnerin, die ihn vergebens daran zu verhindern suchte, wobei letztere den kürzeren zog.
»Die Ärmsten sind auch nicht zu beneiden,« meinte Lilli, empört über die Rücksichtslosigkeit des Fahrgastes. »Nicht nur, daß sie in Wind und Wetter anstatt ihrer noch nicht heimgekehrten Männer bis in die Nacht hinein ungewohnten Dienst tun müssen, während ihre Gedanken gewiß oftmals bei den Kindern daheim sind, leistet das Publikum ihren Anordnungen häufig nicht Folge, weil man sie nicht für voll ansieht. Gerade ihnen sollte man ihr schweres Amt doch erleichtern.«
»Ja, unser Fräulein Doktor hat recht, jede von uns muß dazu beitragen, der Frauenarbeit allgemeine Anerkennung zu erringen,« stimmte Ilse ihr bei. »Aber was machen wir nun, Lilli? Die Bahn ist weg.«
»So geht's auf Schusters Rappen hinterdrein,« sagte Lilli, »trotzdem es eigentlich leichtsinnig ist, seine Stiefelsohlen so sehr abzunützen. Es ist ja schönes Wetter.«
»Schönes Wetter nennst du das? Na, ich danke! Es fängt doch schon wieder an zu regnen und sogar zu schneien,« stellte Ilse fest.
»Ja, wirklich,« verwunderte sich Lilli. »Eben hat doch noch die Sonne geschienen. Der April scheint sich um einen Tag geirrt zu haben, wir schreiben doch heute erst den einunddreißigsten März.«
»Den Wannseezug erreichen wir nicht mehr, wir müssen den Potsdamer Zug nehmen. Ach! das letzte Mal, daß wir heute zusammen fahren, Lilli!« Ilses graue Augen blickten zärtlich in das liebreizende Gesicht der Freundin.
»Ja, leider waren die Erbauer der Berliner städtischen Sparkasse, welche die Ehre hat, mich von morgen an zu ihren Beamten zu zählen, und das Röntgenlaboratorium in Charlottenburg, das du beglücken wirst, nicht einsichtsvoll genug, die beiden Gebäude in unmittelbarer Nähe zu errichten. Über fünf Jahre sind wir nun täglich zusammen von Schlachtensee nach Berlin hereingefahren und mittags wieder zurück. Das wird uns fehlen, Ilse, aber – das Opfer müssen wir schon bringen; es gibt heutzutage größere.«
»Das weiß der liebe Himmel,« dabei dachte die schlanke Braunhaarige sehnsüchtig an den Vater in russischer Gefangenschaft.
Die feinfühlende Lilli war ihren Gedanken gefolgt.
»Habt ihr mal wieder Nachricht über Schweden gehabt – nein? Auch nicht von Sonja Pietrowicz? Es ist doch ein großes Glück, Ilse, daß gerade unsere ehemalige Pensionärin Sonja, mit der wir so befreundet waren, und ihre Mutter in derselben Stadt wohnten, in der dein Vater gefangengenommen wurde. Frau Doktor Pietrowicz hat ihm doch manche Annehmlichkeit und Bevorzugung dort verschaffen können, wenn auch ihre Bürgschaft nicht genügte, um ihn in Freiheit zu setzen.«
»Ohne die Bürgschaft der in Petersburg einflußreichen Ärztin wäre Papa sicherlich in ein Gefangenlager der gefürchteten russischen Sumpfniederungen gewandert. Wenn sie ihn nicht sogar auf den bloßen Spionageverdacht hin erschossen hätten.«
»Also, siehst du, Ilse, wieviel Grund du noch hast, dankbar zu sein.« Lilli drückte zärtlich den Arm der starr vor sich Hinblickenden. »Eigentlich bist du sogar besser daran als ich. Wenigstens weißt du deinen Vater gesund in dem Gefangenlager. Und nun wird er sicherlich auch bald zurückkehren. Paß auf, Ilschen, eines schönen Tages ist er da.«
»Du verstehst es, Lillichen, auch an dem Schlechtesten noch etwas Gutes herauszufinden. Wenn ich dich nicht die Zeit über gehabt hätte! Du wirst dich auch sicher in deinem neuen Beruf wohl fühlen und trotz aller Trockenheit ihm die angenehmste Seite abgewinnen,« meinte Ilse. »Während mir eigentlich ein bißchen bange ist, wenn ich an morgen und die neuen Pflichten, die mich im Röntgenlaboratorium erwarten, denke.«
»Bange – ne, nicht die Spur! Die Vorgesetzten und die Kolleginnen werden schon nett sein und sich freuen, in uns beiden eine so tüchtige Kraft zu finden – haben ja auch allen Grund dazu!« Lilli machte dabei ein so drolliges Gesicht, daß Ilses Heiterkeit wieder erwachte.
»Wenn du bei mir wärst, Lilli, würde ich viel zuversichtlicher meinen neuen Wirkungskreis antreten. Schade, daß du dich nicht auch mit dem Röntgen-X befaßt hast. Die Tätigkeit würde dir eigentlich viel besser liegen als kaufmännische Buchführung. Es ist doch immerhin etwas Wissenschaftliches.«
»Und an das fürstliche Einkommen, das ich als städtische Beamtin beziehen werde, denkst du gar nicht? Ja, nicht einmal an die Pension, die ich Glückliche später mal in grauen Locken zugebilligt bekomme? Ach, Ilse, habe ich lachen müssen, als Muttchen mir ganz im Ernst riet, die Stelle bei der Stadt einer anderen bequemer gelegenen vorzuziehen, weil ich dadurch pensionsberechtigt werde. Als ob man sich mit neunzehn Jahren schon darum kümmerte, was mal sein wird, wenn man erst neunzig ist!« Lilli lachte wie ein Kobold.
Mit der lebhaften Unterhaltung hatte die Gangart der beiden jungen Damen nicht Schritt gehalten, sondern sich im Gegensatz dazu erheblich verlangsamt. Jetzt warf Lilli einen erschreckten Blick auf ihr ledernes Uhrenarmband.
»Du, Ilse, wenn wir uns nicht sehr heranhalten, ist der Potsdamer Zug auch über alle Berge. Das Zuspätkommen um einen Zug kann ich wohl vor Muttchen verantworten, da es ja heute doch das letzte Mal ist! Aber für zwei Züge wird sie kein Verständnis haben, fürchte ich.« Trotz ihrer Jungendamenwürde setzte sich Lilli in Trab und jagte der Freundin voran, die regennasse, zum Wannseebahnhof führende Straße hinauf.
Manch erstaunter und bewundernder Blick folgte der leichtfüßig wie ein Elfchen Dahinfliegenden. Lilli gab jedoch darauf nicht acht. Sie bemerkte nicht einmal, daß ihre Freundin Ilse trotz ihrer längeren Beine kaum hinterher kam.
Nein, wie selbstsüchtig von ihr, daß sie sich nicht mehr nach Haus beeilt hatte! Sie nahm der Mutter, die gerade genug in Anspruch genommen war, gern noch die letzten Handreichungen bei der Fertigstellung des Essens ab. Margot, das jüngere Schwesterchen, mußte zur Klavierstunde, und Ludwig, ihr Zwillingsbruder, hatte täglich von drei Uhr ab Nachhilfeunterricht zu erteilen. Immer schneller lief die junge Dame, während sich auch die Gedanken in ihrem Kopf jagten.
Gerade als Lilli im Schnelläufertempo den Bahnsteig erreichte, pfiff der Potsdamer Zug zum Abgehen.
»Halt – halt!« schrie die Atemlose dem berußten Lokomotivführer zu, der eben seine Maschine in Bewegung setzen wollte.
Und das Wunder geschah – die Bahn, an peinlichste Pünktlichkeit gewöhnt, säumte noch eine Viertelminute auf den Zuruf eines zierlichen kleinen Persönchens. Drin war sie!
»Ilse – Ilse –« Vergeblich drehte sie den zerzausten Blondkopf nach allen Seiten aus dem Fenster. Jetzt erst bemerkte Lilli, daß die Freundin nicht Schritt gehalten und zurückgeblieben war. Was nun? Sollte sie wieder herausspringen? Nein, der Zug bewegte sich schon. Gerade noch Ilses blauen Hut sah Lilli über der Treppe auftauchen, dann entführte sie das fauchende Ungeheuer der ihr mit verdutzten Augen nachschauenden Freundin. Zum erstenmal in all den Jahren fuhren die beiden getrennt heim – heute, da es das letzte Mal war.