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Siebentes Kapitel.
»Ein Jroschen die Radieser.«

Renates Schulweg führte über einen Platz, auf dem zweimal in der Woche Markt abgehalten wurde. Wenn sie mittags kurz nach eins vorüberkam, waren die Marktleute meist schon im Begriff, ihre Sachen zusammenzupacken. Man kaufte dann vor Toresschluß ganz besonders billig. Den Schulmädeln machte es Spaß, sich an dem Marktgewühl und der urwüchsigen Berliner Mundart der Marktfrauen zu ergötzen.

Renate hatte es übernommen, Gemüse und Obst beim Heimweg von der Schule einzukaufen. Der Mutter war es lieb, daß ihr diese Besorgungen abgenommen wurden. So lagen in Renates Ledermappe englische, französische und Geschichtsbücher mit Radieschen, Tomaten und Zwiebeln in traulichem Beieinander.

Mit Mutter Buttermilch hatte Renate Freundschaft geschlossen. So wurde die dicke Gemüsefrau genannt, die mit schallender Stimme, daß man es von einer Seite des Platzes bis zur andern hörte, »Ein Jroschen die Radieser« ausrief.

»Na, wat soll's denn heute sind, Herzeken?« So pflegte sie Renate zu empfangen. Wenn die Einkäufe des jungen Mädchens auch nur sehr bescheiden waren, die gutmütige Mutter Buttermilch gab immer noch ein paar Tomaten, ein paar Stauden Rhabarber oder gar ein paar Kirschen zu.

Es war wieder mal Markttag. Renate kam mit ihrer Freundin Maria Weber, Mia genannt, von der Schule nach Hause. Mia war in Hanni Geißlers Stelle eingerückt. Eine »Beste« muß der Mensch haben, und wenn die irgendwo am Bodensee sitzt, muß man Ersatz schaffen. Es kam dazu, daß Hanni nur selten schrieb. Und traf mal ein Brief ein, war er recht oberflächlich. Er handelte nur von Vergnügungen, Kleidern, von komischen Angewohnheiten der Kameradinnen und vom Sport. Für Sport hatte Renate ja auch viel Interesse. Aber seitdem sich die Verhältnisse zu Hause verändert hatten, fand sie nicht mehr die Zeit zu sportlichen Vergnügungen, die außerdem Geld kosteten. Das Tennisspiel, das sie sehr liebte, hatte sie diesen Sommer ganz aufgegeben. Wenn nun Hanni vier Seiten lang über ein Tennisturnier schrieb, in dem sie mitgespielt hatte, oder über ein Rennen bei dem sie Zuschauerin gewesen, so erschien das Renate wie aus einer andern Welt. Für die Sorgen und die Mitteilungen, die Renate von ihren häuslichen Verhältnissen machte, hatte wiederum Hanni gar kein Verständnis. So kam es, daß der Briefwechsel zwischen den einstigen Freundinnen immer seltener wurde.

Die neue Freundschaft mit Mia hatte einen besonderen Grund. Auch Mia hatte sich um Nachhilfestunden von der Schule aus beworben. Eigentlich brauchte sie es gar nicht so nötig, die Mia. Ihr Vater war Studienrat und konnte seine Familie ernähren. Aber sie waren fünf Geschwister. So war das Taschengeld, das Mia erhielt, nur knapp. Zur Aufbesserung ihrer Finanzen hatte sich auch Mia für Nachhilfeunterricht gemeldet. Gutherzig hatte sie geäußert, als sie hörte, daß Renates Vater abgebaut sei: »Wenn mir eine kleine Schülerin angeboten wird, überlasse ich sie dir. Du brauchst es nötiger als ich, Renate.« Sie bekamen alle beide keine Nachhilfestunde zugewiesen. Aber diese selbstlose Äußerung legte den Grundstein zu der Freundschaft der beiden Mädchen.

Arm in Arm zogen sie heute über den Markt. Es war ein buntes Bild, die Verkäuferinnen mit ihren appetitlich ausgebreiteten Waren unter den großen Marktschirmen oder unter dem Zeltdach. Die Mädels blieben ab und zu stehen.

»Fünf Jroschen hier noch die Erdbeeren. Na, Fräuleinchen, wieviel Pfund sollen's denn sein?« Renate ging schnell weiter, so verlockend die Erdbeeren auch dufteten. Für sie waren sie zu teuer.

»Haach, die schönen Kirschen!« Verlangend hingen die Augen der beiden Mädchen an den blutroten Kirschen.

»Zwei Jroschen das janze Pfund.« Ehe es sich Mia versah, hatte sie eine Tüte im Arm und übte »Zielspucken« mit den Kernen.

»Vorsicht, Mia, es kann jemand über die Kirschsteine fallen«. mahnte Renate.

»Ich bin schon tugendhaft.« Mia hielt es doch für geraten, die Kerne lieber in Papier zu sammeln. »Iß doch auch, Renate.« Sie bot ihr die Tüte.

»Das Fräuleinchen will allein ihre Kirschen haben, zwei Jroschen das janze Pfund.« Ausrufen, abwiegen, einwickeln, das war alles eins bei der Verkäuferin. Schon hielt sie Renate mit einer Hand die Tüte hin und die andere zum Empfang des Geldes.

Wie gern hätte Renate die Kirschen mit heimgebracht. Aber zum Abendbrot sollte es heute Pellkartoffeln mit grünem Salat geben. Und außerdem noch Kirschen – nein, so üppig war man bei Felsings nicht mehr. Obst aß man statt Belag zu seinem Butterbrot.

Renate schüttelte den Kopf. »Danke, sie sind mir zu teuer.«

»Wat?« Die Verkäuferin stemmte die Arme in die Seiten. »Zwei Jroschen, dat is Ihn' noch zu teier fier solche Ware, so 'ne Staatskirschen? Keene bessern finden Se uff'n janzen Marcht nich. Se sind woll nich von hier, Freilein?« So machte die in ihrer Ehre gekränkte Marktfrau ihrem Herzen Luft.

»Die Kirschen sind ja nicht zu teuer, nur für mich«, entschuldigte sich Renate und wollte der bereits weitergegangenen Freundin folgen.

»Warten Se mal, Freileinchen«, rief die Verkäuferin hinter ihr her. »Da – uff die paar Kirschen soll's mich ooch nich ankommen.« Ebenso rasch, wie sie losgewettert hatte, war sie wieder besänftigt. Da hatte auch Renate ihre Tüte mit Kirschen im Arm. Das junge Mädchen zögerte noch. »Das geht doch aber nicht – Sie können doch Ihre Kirschen nicht verschenken«, versuchte sie Einwendungen zu machen.

»Unser Herrjott läßt wieder neue nachwachsen – essen Se man, Kindchen.« Die gutmütige Frau wandte sich bereits andern Kunden zu.

Renate mochte die freundliche Gabe nicht zurückweisen. Aber sie brannte ihr auf der Seele. War es schon so weit, daß sie von Fremden was geschenkt nehmen mußte?«

»Du hast ja 'n Triller, Renate«, beruhigte sie Mia. »Ich wünschte, sie hätte mir meine Kirschen auch geschenkt.«

Die beiden Mädchen schlenderten weiter. Mia schmauste Kirschen. Renate blieb standhaft. Sie wollte ihre Kirschen mit heimbringen.

Der schöne Spargel – Vater aß ihn so gern. Er war nicht allzu teuer. Aber Mutter meinte, er wäre nicht nahrhaft genug. Für das Geld könne man nahrhaftere Lebensmittel kaufen. Ach, und hier diese Rosenfülle! Früher hatte sie ihrer Mutti öfters vom Markt ein paar Blumen mitgebracht – daß man jetzt auch gar keinem mehr eine Freude machen konnte.

»Unsere Mutter Buttermilch ruft ja heute gar nicht ihre Radieschen aus. Ist sie etwa krank?« verwunderte sich Mia.

»Vielleicht packt sie schon ihren Kram zusammen. Komm, wir wollen uns eilen, Mia, damit ich noch was kriege.«

Der Stand von Mutter Buttermilch sah wie ein Stilleben aus. Weißer Spargel wie Glas, leuchtende Tomaten, junger Kohlrabi, Mohrrüben, Schoten, Bohnen und Radieschen in farbenfreudigem Durcheinander. Aber sie selbst pries ihre Ware nicht wie sonst mit schallender Stimme an. Die dicke Mutter Buttermilch saß auf ihrem Schemel, hatte eine Schiefertafel auf den Knien und rechnete. Den breiten Daumen feuchtete sie öfters mit der Zunge an, um eine Zahl fortzuwischen und eine andere dafür hinzusetzen. Dabei schwitzte und räsonierte sie: »Det stimmt wie die Faust aufs Auge – der Teufel hole das vertrackte Zahlenzeuch – det man sich noch seinen ollen Kopp damit bemengen muß.«

»Tag, Mutter Buttermilch. Was ist denn mit Ihnen los?« erkundigte sich Renate halb verwundert, halb lachend.

»Machen Sie Schularbeiten, Mutter Buttermilch?« rief Mia übermütig.

»Ja, treibt man noch euern Spott mit mich, Kinderkens. Seinen ollen Kopp muß man sich hier mit die verdammten Zahlenbiester klamaukern. Na, wat soll's denn sind, Herzeken?« wandte sie sich an Renate, ihren besonderen Liebling.

»Irgendwas, was recht billig ist, Kohl oder Bohnen. Aber kann ich Ihnen denn bei Ihrer Rechnung nicht ein bißchen helfen, Mutter Buttermilch?« fragte Renate hilfsbereit.

»Jott, Herzeken, wenn Se det tun wollten, denn wirden Se sich 'n rechten Jotteslohn vadienen. Ick komm' nu mal mit die dämliche Rechnerei nich zu Rande. Ick kann schreiben un rechnen, soville ick will, stimmen tut det nu mal nich.«

»Na, geben Sie mal her, Mutter Buttermilch. Mathematik wird ja wohl schwerer sein als Ihre Abrechnung.«

»Jott behiete mir vor die Matschematik. So, Herzeken, nehmen Se Platz in de jute Stube; so, hier uff meenen Schemel.« Da saß Renate plötzlich hinter Kohlköpfen, Spargel, Bohnen und Mohrrüben, die Schiefertafel in der Hand, während Mia lachend Abschied nahm. Leider mußte sie nach Hause zur Klavierstunde.

»Also was gibt's nun zusammenzurechnen, Mutter Buttermilch?« Renate zuckte unternehmungslustig den Griffel.

»Jotte doch, Kindchen, ick habe doch da verschiedene Waren in Kommistion. Sparjel und wat die vornehmen Jemiese sind, det wächst nich bei mich in 'n Jarten. Un nu muß ick rausknobeln, wat ick vakooft un wat ick dafür injenommen habe for de Kommistionsware. Denn det muß ick wieder allens abliefern, iebrichjebliebene Ware und 's Jeld. Ick krieje von's Jeld man 'n madijen Teil.«

Renate überlegte einen Augenblick. Ganz so einfach war die Rechnung doch nicht, wie sie geglaubt hatte. »Da müssen wir erst feststellen, wieviel Ware Sie in Kommission bekommen haben, Mutter Buttermilch. Haben Sie was Schriftliches darüber?«

»Jawoll – Lieferzetteln. Da sind se.« Erleichtert händigte die dicke Gemüsefrau dem jungen Mädchen die Zettel ein. Mochte die sich damit rumärgern.

»Also hier steht ja alles schwarz auf weiß. Dreißig Pfund Spargel à vierzig Pfennige.«

»Stimmt. Mit fumzig Fennije hab' ick se vakooft.«

»Wieviel Pfund sind noch da?« erkundigte sich Renate.

»Na, warten Se mal – Jott, det könnten Se sich am Ende besser alleene abzählen, Herzeken. Bei mich is det so'ne Sache, ob's nachher ooch stimmen dut. Jedet Bund Sparjeln is allemal 'n Pfund.«

»Eins, zwei, drei, vier, fünf – elf Bund Spargel sind noch übrig. Also haben Sie neunzehn Pfund Spargel verkauft. Neunzehn mal vierzig, das macht sieben Mark und sechzig Pfennige. Soviel haben Sie für den verkauften Spargel zu zahlen, Mutter Buttermilch. Eingenommen haben Sie, wenn Sie ihn mit fünfzig Pfennige das Pfund verkauft haben, neun Mark und fünfzig Pfennige. Da haben Sie daran einen Verdienst von einer Mark und neunzig Pfennigen. So, Mutter Buttermilch, hier steht's weiß auf schwarz.« Renate wies auf die Tafel, die sie mit Zahlen beschrieben hatte.

»Jottedoch, wie Se det jleich allens so rauskriejen, Kindchen. Ja, ja, die Studierten, det is doch nich so ohne. Ick habe immer zu meine Lene jesagt. Lene hab' ick jesagt, lerne wat, denn kannste wat. Aber det war allens in 'n Wind jeredet.«

»Haben Sie noch mehr zusammenzurechnen, Mutter Buttermilch?«

»Nawollja, ih, jewiß doch. Hier die Schampions und die Murscheln un det Jewächs hier, Zichorjen nennen se't oder so ähnlich.«

»Ach so, Chicoree. Also los, Mutter Buttermilch. Geben Sie bitte die Lieferzettel für die Champignons und die Morcheln.« Renate rechnete, zählte, schrieb voll Eifer. Bewundernd schaute die dicke Gemüsefrau ihr zu. Da stand alles wohlgeordnet auf der Tafel. Jedes Gemüse hatte da seinen Platz genau so wie in ihren Körben.

»Ne, det Köppken!« Mutter Buttermilch klopfte Renate anerkennend auf den braunen Scheitel. »Ihnen sollt' ick immer haben. Da brauchte ick mir mit die olle Kommistionsware nich so rumzuärjern.«

»Ich kann ja Buchhalterin bei Ihnen werden, Mutter Buttermilch«, lachte Renate.

»Scheeneken, wird jemacht, Herzeken. Wenn ick die olle Rechnerei nich mehr uff'n Hals habe, soll's der Buttermilchen nich uff'n paar Jroschen ankommen.«

»Aber Frau Buttermilch, das war doch nur ein Scherz von mir«, lachte Renate belustigt. »Ich mache Ihnen sehr gern die Ausrechnungen jeden Dienstag und Freitag, wenn Markt ist. Ich muß ja immer hier vorbei, wenn ich mittags aus der Schule komme. Aber Geld nehme ich nicht dafür. Das ist ja gar keine Arbeit für mich. Ich freue mich, wenn ich Ihnen einen Gefallen tun kann.«

»Nee, Herzeken – is nich. Jede Arbeit hat ihren Lohn. Wenn de keen Jeld nich von mich nehmen dust, Kindchen«, sie begann plötzlich Renate zu duzen, da sie doch jetzt keine Kundin mehr und in nähere Beziehung zu ihr getreten war, »denn jeb' ick dich Ware dafier. Da, det Pfund Sparjeln bringste dein Mutterken, un hier sind 'n paar Pfund Schoten, die sind so scheene wie Kaiserschoten. Un die Mandel Kohlrabi nimmste ooch noch, Mächen – na, mehr kannste woll nich schleppen. Nee, lumpen läßt sich de Buttermilchen nich.«

»Das soll ich alles haben?« Renate stand, die Arme voll Kohlrabi, Spargel und Schoten, und traute ihren Augen nicht. »Aber das ist ja doch viel zuviel, Mutter Buttermilch. Soviel habe ich doch mit dem bißchen Rechnen wirklich nicht verdient.«

»Zuville – det is jar nich zuville. Komm' man nächsten Dienstag wieder, Herzeken. Ick valaß ma dadruff. Un wenn de ma wieder allens so scheeneken ausrechnen dust, denn jibt's wieder wat davor. Bring' dich man 'n jroßen Korb oder 'n Netz dazu mit. Könnt's jewiß jebrauchen. Hast doch man immer det Billigste jekooft.«

»Ach, Mutter Buttermilch, da danke ich Ihnen vielmals. Ich bin ja so froh, daß ich jetzt auch was zum Haushalt beisteuern kann.«

»Bist 'n jutes Mächen. Also uff nächsten Dienstag!« Mutter Buttermilch begann ihre Körbe zusammenzupacken. Renate zog, beladen wie ein Packesel, aber selig nach Hause.

»Mädel, bist du denn ganz und gar nicht gescheit, soviel Gemüse einzukaufen?« Kopfschüttelnd musterte die Mutter Renates Tüten. »Schoten sind noch viel zu teuer, damit hätten wir noch warten können. Und Spargel, solch ein Luxus!«

»Schilt nicht, Muttichen. Den Spargel muß Vater heut' zum Abendbrot kriegen. Richtige Butter mußt du dazu spendieren, keine Margarine. Und hier sind Kirschen für alle zum Nachtisch.«

»Aber Renatchen, was ist denn plötzlich in dich gefahren, bist doch sonst immer so sparsam? Das große Los haben wir ja wohl nicht gewonnen, soviel ich weiß«, meinte Frau Felsing erstaunt.

Renate lachte ausgelassen. Wenn Fräulein Lerche sie so gesehen hätte, würde sie gewiß nicht mehr gefunden haben, daß sie zu ernsthaft wäre.

»Die Kirschen habe ich geschenkt bekommen, Muttichen, und all das Gemüse habe ich mir verdient. Kostet keinen Pfennig.«

»Geschenkt bekommen – verdient – wie soll ich das verstehen, Renate?« Der Mutter kam die Sache nicht recht geheuer vor.

»Die Kirschen hat eine Frau auf dem Markt mir geschenkt, weil sie mir zum Kaufen zu teuer waren. Und das Gemüse ist mein Honorar für – ich bin Rechnungsrat bei Mutter Buttermilch geworden.« Renate konnte sich vor Lachen gar nicht beruhigen.

»Mädel, nun sei mal verständig. Man versteht ja von alledem keine Silbe«, verlangte die Mutter.

»Ist ja auch gar nicht nötig, Muttichen. Jeden Dienstag und Freitag bringe ich jetzt für umsonst Gemüse mit. Mutter Buttermilch hat mich für die Abrechnung ihrer Kommistionsware – sie leitet das Wort sicher von Mist ab – engagiert. Für das Gehalt von Kohlköpfen, Mohrrüben, Zwiebeln und Radieser. Damit sie sich ›ihren ollen Kopp nich mehr mit die verdammten Zahlenbiester rumklamaukern muß‹. Ach, Muttichen, ich freue mich ja so, daß ich jetzt auch was verdiene, wenn's man auch bloß Kohlköpfe sind.« Renate packte ihre Mutti und wirbelte sie vor Freude in der Stube herum.

»Mädel – Mädel – du bist ja gar nicht wiederzuerkennen.« Frau Felsing wurde von Renates Heiterkeit angesteckt. »Da werden wir ja schlemmen, wenn du für das Gemüse sorgst.«

»Kartoffeln hat sie auch, Muttichen. Peter kann tragen helfen. Wir nehmen jeder einen Sack auf den Buckel.«

»Was kann Peter helfen?« Der Bruder, der soeben aus der Schule gekommen, steckte neugierig seinen Krauskopf zur Tür herein.

»Kirschen essen helfen.« Großmütig schob ihm Renate die Kirschtüte zu.

»Nanu – heute nicht als Belag?« Peter wartete keine Antwort ab, sondern griff mit beiden Händen zu, ehe die Erlaubnis wieder zurückgezogen werden konnte.

»Du – hör' auf – jetzt ist's genug. Die andern wollen auch was haben.« Die Schwester brachte ihren Schatz in Sicherheit.

Bei Tisch gab Renate ihre Markterlebnisse zum besten und ahmte die drastische Mundart von Mutter Buttermilch getreulich nach. Lange hatten Felsings nicht ein so vergnügliches Mahl eingenommen. Wolfgang ernannte seine Schwester zur »Kommistionsrätin«.

Am nächsten Dienstag nach der Schule trat Renate wieder pünktlich bei Mutter Buttermilch an. Mia und Gitta wollten gern ebenfalls dabei sein. Aber Renate gab es nicht zu. Die gutherzige Frau Buttermilch sollte nicht von den übermütigen Mädels ausgelacht werden. Auch besaß Renate ein sehr starkes Pflichtgefühl, daß sie es mit ihren Abrechnungen ganz ernst nahm. Diesmal ging es noch flotter mit den Berechnungen auf der Schiefertafel, während Mutter Buttermilch neben ihr unentwegt »ein Jroschen die Radieser« trompetete. Sie war wieder des Lobes voll über ihre junge Buchhalterin. Blumenkohl, neue Kartoffeln, Kopfsalat und wiederum ein Bund Spargel für den Vater wanderte in das mitgebrachte Marktnetz als Honorar.

»Weeste, Herzeken, wat die Eierschulzen is, die is mächtich neidsch, det ick mich 'ne Buchhalterin zujelecht habe. Sie mecht' ooch so eene haben, weil se ooch uff Kommistion kooft«, erzählte Frau Buttermilch, noch ein Bund Radieser in Renates Tasche stopfend.

»Der Frau Schulz kann geholfen werden. Ich mache ihr gern ebenfalls ihre Abrechnung.« Renate war sogleich dabei.

»Aber erst kommste allemal zu mich, vastehste, Herzeken? Ick habe dir zuerst engaschiert«, machte Frau Buttermilch ihre älteren Rechte geltend. Das versprach Renate. »Also scheeneken, denn jondelste diesen Jang hier links un denn rechts un denn jradezu, un denn stößte mit de Neese direktemang uff de Eierschulzen«, erklärte Mutter Buttermilch.

Renate ging links und dann rechts und dann geradezu – da stand sie vor einer Schlächterbude. Aber an der gegenüberliegenden Ecke bot die Eierschulzen ihre Eier, Butter und Weißkäse feil. »Hier noch achteinhalb die janze Mandel.« Renate vermochte sich kaum verständlich zu machen, so laut ertönte die Stimme der Eierschulzen. Aber schließlich begriff sie.

»Ach Jottedoch, Sie sind det Mächen, das so scheene rechnen dut. Ick nehme meine janze Butter auf Kommischion, Eier habe ick von eijene Hiehner. Ja, wenn Se mir die Berechnung machen wollen, Freileinchen, denn laß ick jern 'n Pfund Butter und 'ne Mandel Eier davor springen.« Statt hinter Kohlköpfen und Mohrrüben saß Renate jetzt hinter Butter und Eiern. Sie zählte die Lieferscheine zusammen, sie berechnete die verkaufte Ware, das Geld, das dafür eingenommen und abzuliefern war, und den Verdienst. Die Eierschulzen händigte Renate nach Beendigung ihrer Arbeit ein Pfund Butter und eine Mandel Eier ein, auf die Gemüsetasche mit den Worten weisend: »Wat die Buttermilchen kann, det kann de Eierschulzen noch alle Tage. Un nächsten Freitag, wenn Marchtag is, denn kommen Se wieder bei mich, Freileinchen.«

Als Renate mit ihren Schätzen heimkam, standen Peter, Gitta und Lump schon erwartungsvoll unten an der Haustür, um ihr die Lebensmittel mit Heraufschleppen zu helfen. »Bringste wieder Kirschen mit?« Peter hatte sich sofort der Eiertüte bemächtigt in der Erwartung, es seien Kirschen darin.

»Nein, heute gibt's Eier und Butter.«

»Jawoll, wer's glaubt!« Peter packte die Eiertüte zwischen seinen beiden sportgewöhnten Jungenfäusten. Knacks! machte es und noch mal knacks!

»Meine Eier!« schrie Renate. »Meine Hosen!« schrie Peter, nicht weniger entsetzt. Die goldgelbe Eiersoße lief an Peters Hose hinunter. Lump sprang an ihm empor, um ihm das Rührei von der Hose zu lecken. Daneben stand Gitta und hielt sich die Seiten vor Lachen.

Renates Ruhm als Rechenkünstlerin wuchs von einem Markttag zum andern. Die Eierschulzen erzählte es der Obsthändlerin nebenan, daß sie sich jetzt nicht mehr selbst bei der ollen Abrechnung den Kopf zu zerbrechen brauchte. Wenn sich die Buttermilch, die Eierschulzen und die Obsthändlerin eine »Buchhalterin« leisten konnten, dann konnte das die Schlächterfrau an der andern Ecke erst recht. So dehnte sich Renates »Kundenkreis«. Bald brachte sie Obst zur Freude der Geschwister mit nach Hause, bald ein Stück Kaßler zu Mutters Erbsen oder eine Wurst. Renate versorgte jetzt regelmäßig den Haushalt mit Lebensmitteln.

»Die Jugend von heute ist doch praktischer eingestellt als wir Alten«, sagte Herr Felsing, kopfschüttelnd sein Kontobuch, in das er seine Zigarettenabsätze einzutragen pflegte, durchsehend. »Ich laufe mir die Füße ab, um ein paar Mark im Monat zu verdienen, und meine Kinder machen das im Handumdrehen. Früher haben die Eltern die Kinder ernährt – – –.«

»Und heute ernähren die Kinder die Eltern«, fiel Renate lachend dem Vater ins Wort. »Laß dir deinen Spargel heute abend gut schmecken, Vati!«


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