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Das Komödiantengretl

Die Nachmittagsschule war aus. Lachend und jauchzend strömte die übermütige Kinderschar auf den Marktplatz hinaus, den die liebe Sonne mit wunderschönen Goldkringeln und Sternchen bemalte.

Plötzlich stoben sie alle jubelnd auseinander:

»Die Komödianten – da sind sie – die Zirkusleute kommen wieder ins Städtchen – jetzt gibt's draußen auf der Jahrmarktswiese wieder ein Karussell, eine Schaukel und einen Zirkus – wißt ihr wohl noch vom vorigen Jahre?«

Im Nu waren die lustigen, hellbraunen Wagen mit den grünen Fensterladen und den blütenweißen Gardinen hinter den blitzblanken, kleinen Fenstern von der Schuljugend umringt.

Drinnen in dem merkwürdigen Wagenhaus, aus dessen Schornstein blauer Rauch aufwirbelte, preßte ein kleines, goldhaariges Dirnlein das Näschen gegen die Fensterscheibe und blickte mit brennend schwarzen Augen sehnsüchtig auf die fröhlichen Kinder da draußen. Weiter rasselten die Wagen über das holperige Straßenpflaster bis zu den schönen, blumigen Wiesen, die an den großen Schloßpark stießen.

Die Schulkinder aber stürmten nach Hause und baten und bettelten: »Gelt, Mütterchen, ich darf Karussell fahren,« und »nicht wahr, der Vater geht mit uns wieder in den Zirkus« – und sie versprachen, ganz besonders fleißig und brav zu sein.

Auf der Jahrmarktswiese hatten sich die Komödianten inzwischen häuslich niedergelassen, das prächtige Karussell mit den roten Samtwägelchen und den lustig sich wiegenden Pferdchen war zusammengesetzt, das weiße, runde Zirkuszelt aufgeschlagen, und die große Luftschaukel, die wie ein richtiges Schiff aussah, stand bereit. Heute ging es auf der Wiese ganz besonders lebhaft zu, die letzte Zirkusprobe wurde abgehalten.

»Rita« – rief eine weiche, melodische Männerstimme aus dem Zirkus, »Rita, deine Reifennummer ...«

Das kleine, blondhaarige Mädchen, das in dem weichen Wiesengras hockte und träumerisch beide Ärmchen um den Hals ihres besten Freundes, des klugen, dressierten Pudels, geschlungen hielt, sprang sofort gehorsam auf die Füße, aber das hübsche Mündchen verzog sich mißmutig. Langsam näherte sie sich dem Zirkuseingange, an dem der Vater sie erwartete.

»Das dumme Reifenspringen lerne ich doch nicht, wenn mich der Direktor auch noch so haut,« murmelte sie weinerlich, das goldene Haar zurückwerfend.

»Liebling, versuche es doch noch einmal,« bat der Vater; seine Stimme hatte einen seltsam fremdländischen Klang. »Was soll aus uns werden, wenn der Direktor uns entläßt, wie er schon so oft gedroht hat, dann müssen wir wieder hungern wie im vorigen Jahre.« Sein krankhaft gelbliches Gesicht, in dem dieselben dunklen Augen glühten wie in dem seines Töchterchens, nahm einen versorgten Ausdruck an.

»Ich will ja, Väterchen,« das kleine Mädchen hatte stürmisch seine Hand an die Lippen gepreßt, »ich will mir ja Mühe geben. Werde du nur erst wieder gesund!«

Damit schlug der Zelteingang hinter den beiden zu.

Zwei Stunden später saß das kleine Mädchen weinend in dem nett ausgestatteten Komödiantenwagen zu Füßen der Bohnen schneidenden Mutter. Keiner hätte es dem Wagen von außen angesehen, was für eine allerliebste Wohnung er beherbergte. Schlaf- und Wohnzimmer waren durch einen Vorhang voneinander geschieden, und in der Ecke auf dem kleinen Herd wurde das Essen gekocht.

Die Mutter, eine zarte, blonde Frau, in deren noch immer schönes Antlitz Gram und Kummer scharfe Linien gegraben hatten, strich ihrem weinenden Kinde liebevoll das Goldhaar aus der Stirn.

»Gretl – weine doch nicht so – morgen zur Vorstellung wirst du deine Sache schon brav machen, paß nur auf, wie sie dir alle Beifall klatschen werden.«

Gretl aber – oder Rita, wie der Vater sie immer in seiner italienischen Muttersprache nannte – schluchzte nur um so heftiger.

»Sie sollen gar nicht klatschen, und ich will auch kein Komödiantengretl mehr sein, ich will nicht mehr springen und reiten – ich will in die Schule gehen wie all die anderen Kinder und will wieder in einem richtigen Hause wohnen.«

Die Mutter nickte traurig vor sich hin. Sie wußte es längst, wie unglücklich sich ihr Gretl bei der Truppe und bei dem unsteten Wanderleben fühlte, daß sie sich nach dem friedlichen, geregelten Leben, wie sie es früher in dem hübschen Landhause geführt hatten, zurücksehnte. Damals – als der Vater noch gesund war, als er noch Konzerte gab und viele Schüler hatte. Aber seine jahrelange Krankheit hatte sie immer mehr und mehr zurückgebracht, und schließlich mußten sie noch froh sein, daß der Direktor Conradi sie bei seiner Truppe aufgenommen hatte. Das kleine Gretl, bis aus die schwarzen Augen so ganz das Ebenbild der Mutter, war zu zart und fein für das laute Zirkusleben, sie hatte die stille, sinnige Art der vornehmen Familie der Mutter geerbt.

Auch jetzt saß sie wieder mit ihrem weißen Pudel abseits von dem lärmenden Getriebe in der Nähe des prächtigen, hohen Gitters, das die Wiesen vom Park des reichen Schloßherrn trennte. Mit müdem Blick sah sie auf das sich unter schriller Musik lustig im Kreise drehende Karussell, das heute zum erstenmal in Betrieb war. Viele Schaulustige hatten sich eingefunden, jauchzende Kinder ritten auf den Pferdchen herum und klatschten vor Freude in die Hände.

»Die brauchen alle nicht zu springen und zu reiten, die bekommen keine Schläge vom Direktor, die dürfen in die Schule gehen und in einem hübschen Häuschen mit einem Blumengarten wohnen,« dachte Gretl neidisch. Und ohne daß sie es wußte, begannen wieder glänzende Tränen von ihren Wimpern zu tropfen.

»Warum weinst du, kleines Mädchen?« fragte da eine mitleidige Kinderstimme neben ihr.

Gretl fuhr mit dem Kopf herum.

Da stand hinter dem Parkgitter, von der Karussellmusik angelockt, ein Mägdlein, nicht viel größer als Gretl selbst. Ein weißes Spitzenkleidchen trug's, mit breiter rosa Schärpe, und gerade so goldblonde Locken hatte es wie Gretl.

Bewundernd schaute Gretl auf das schöne, geputzte fremde Kind. Das streckte ihr freundlich die Hand durch das Gitter entgegen.

»Sag, wie heißt du, und warum bist du so traurig, hat dich dein Fräulein gescholten?« Die Kleine versuchte mit ihrem Batisttüchlein Gretl die Tränen von dem rosigen Gesichtchen zu wischen.

»Ich heiße Gretl, aber Papa nennt mich Rita, und ein Fräulein – nein, ein Fräulein habe ich nicht. Ich habe nur Papa und Mama und hier meinen lieben Peter,« sie drückte den Kopf des treuen Pudels an sich. »Schelten tut mich auch nur der Direktor, heute hat er mich sogar gehauen, weil ich schlecht gesprungen bin – aber deshalb weine ich nicht.«

»Na, dann hast du gewiß eine kostbare Vase entzweigebrochen, was?« erkundigte sich die kleine Fremde weiter.

Gretl schüttelte den Kopf, sie trat noch näher an das Gitter heran und senkte beschämt die Augen.

»Ich will es dir sagen, weil du so lieb zu mir bist; ich bin traurig, weil ich nur das Komödiantengretl bin. Ich möchte gern lesen, schreiben und rechnen lernen wie alle anderen Kinder und in einem richtigen Häuschen wohnen.«

»Wo wohnst du denn?« erkundigte sich das Schloßkind neugierig. Gretl wies auf den Wagen.

»Ach – in dem wunderhübschen Komödiantenwagen – das muß lustig sein, da muß ich dich einmal besuchen. Und einen Vater hast du und eine Mutter, oh, wie gern würde ich mit dir tauschen! Ich habe nur einen Großvater, hast du auch einen?«

Gretl nickte eifrig. »Ja – aber ich darf nicht von ihm sprechen, dann wird Mama gleich traurig, ich glaube, er ist sehr böse auf uns,« flüsterte sie geheimnisvoll.

»Gretl, willst du meine Freundin sein, ich habe mir schon so lange eine richtige Freundin gewünscht, du gefällst mir, und zu meiner nächsten Kinderschokolade lade ich dich ein.«

»Felizitas – wo steckst du? – Felizitas ...« tönte es durch den Park.

Wieder streckte sich eine kleine Hand durch das Gitter. »Auf morgen, Gretl, Fräulein ruft, ich muß jetzt Klavier üben, brrr – wäre ich doch auch lieber ein Zirkuskind!«

Gretl stand wieder allein auf der sonnenbeschienenen Wiese und starrte dem davoneilenden Kinde nach. Hatte sie ein Märchen erlebt, oder hatte sie geträumt?

Nein – es war Wahrheit, sie hatte jetzt eine richtige kleine Freundin, die sie in ihrem Komödiantenwagen besuchen und sie sogar zur Kindergesellschaft einladen wollte. Das Komödiantengretl war dem vornehmen Schloßkind nicht zu schlecht – »ach!« – Gretl breitete beide Arme vor Glückseligkeit aus, so froh war sie seit langer Zeit nicht gewesen.

Am nächsten Tage brauchte der Direktor nach der Vorstellung nicht zu schelten, »Prinzeßchen Rita«, wie auf dem Theaterzettel zu lesen stand, machte ihre Sache tadellos. Denn dort ganz vornan, gleich in der ersten Reihe, saß ja unter all den aufgeregten Kindern die kleine Felizitas, ihre neue Freundin. Vor der durfte sie sich nicht blamieren! Wie eine kleine Elfe flog Gretl in dem Silberflitterkleid durch die Reifen und machte die niedlichsten Kunststücke auf Flick, ihrem zierlichen Pony. Und als das schöne Kind zum Schluß, auf einem Füßchen stehend, von dem Rücken des Pferdchens Kuhhände in das Publikum warf, da wollte das Klatschen und Bravorufen kein Ende nehmen. Und am lautesten klatschte Felizitas.

Aber vergebens stand Gretl heute sehnsüchtig am Parkgitter, Felizitas kam nicht, nur ihr weißes Kleidchen glaubte Gretl einen Augenblick zwischen den grünen Bäumen auftauchen zu sehen.

Am nächsten Tage aber, als Gretl schon ganz zeitig zum Parkgitter lief, da wartete Felizitas bereits ihrer.

In der Hand hielt sie ein großes Stück Kuchen.

»Da, Gretl – das habe ich dir aufgehoben, weil du deine Sache so brav gemacht hast. Gestern ließ mich Fräulein nicht los, aber heute bin ich ihr glücklich entwischt, die wird mich schön suchen.« Sie lachte lustig.

»Tust du denn etwas Unrechtes?« fragte Gretl ganz erschreckt, »ich habe meiner Mutter gleich von dir erzählt, und sie hat sich sehr gefreut, daß ich dich gefunden habe.«

»Ja – du hast auch eine Mutter – meine ist schon lange tot, und Großvater, der ist immer so ernst und schweigsam, der kümmert sich kaum um mich. Und Fräulein ist so streng, die würde nie erlauben, daß ich mit einem – –« Felizitas brach erschreckt ab.

Gretl war ganz blaß geworden.

»Sag's nur ruhig, daß – du mit einem armen Komödiantenkind verkehrst.« Gretls Mund zuckte im verhaltenen Weinen.

»Nein, Gretl, nein,« Felizitas streckte ihr beide Hände durch das Gitter entgegen, »Fräulein kann sagen, was sie will. Ich habe dich lieb, gleich vom ersten Augenblick an, als ich hörte, daß du gerade so heißt wie meine liebe tote Mama. Ich möchte dir gern einen Kuß geben, aber ich kann ja nicht zu dir herüber.«

Gretl lächelte unter Tränen. »Dem ist leicht abgeholfen« – und eins – zwei – drei – kletterte das Zirkuskind geschickt wie ein Eichhörnchen an dem Gitter empor, und mit einem waghalsigen Sprung stand sie neben Felizitas in dem Schloßpark.

»So ist's schön,« rief Felizitas selig, »nun wollen wir uns auch gleich einen Freundschaftswinkel machen.« Und sie krochen beide in das dichte, dunkle Tannengebüsch, das ein kleines, trauliches Nest bildete.

»Weißt du, was Fräulein gestern im Zirkus von dir gesagt hat, Gretl? Du hättest Ähnlichkeit mit mir, ist das nicht drollig? Und dein Papa, meinte sie, müsse bessere Tage gesehen haben, er sähe so elend aus und spiele wie ein richtiger Künstler. Und du selbst, Gretl, wie geschickt du bist, ich glaube, ich würde sofort auf die Nase fallen, wenn ich durch einen einzigen Reifen springen sollte. Du kannst viel mehr als ich!« Das kleine Schloßfräulein strich Gretl bewundernd über das goldene Haar.

Aber Gretl schüttelte traurig den Kopf. »Nein, Felizitas, ich bin nur ein dummes, kleines Ding, kann noch nicht einmal lesen und schreiben. Mutter möchte mich gern unterrichten, aber sie hat ja nie Zeit dazu.«

»Ich hab's – ich hab's,« jubelte Felizitas, »ich will deine Lehrerin sein, Gretl, jeden Nachmittag, wenn Fräulein schläft, treffen wir uns hier in unserem Freundschaftswinkel. Dann bringe ich Bücher und Hefte mit, du sollst mal sehen, Gretl, du wirst bald ganz klug sein.«

»Ach, Felizitas,« Gretl schlang beide Arme um den Hals der Freundin, »wenn du das tun wolltest!«

So saßen nun die beiden Kinder Tag für Tag, mit heißen Wangen über das Lese- und Rechenbuch gebeugt, in ihrem Tannenwinkel, und beide waren dabei glücklich.

Aber wenn graues Regenwetter war, hockte Gretl in ihrem Wagen, preßte das Näschen gegen die bespritzten Fensterscheiben und schaute verlangend zu dem prächtigen Schlosse hinüber. Sie lebte jetzt in fortwährender Angst, daß der Direktor eines Tages den Zirkus und das Karussel würde abbrechen lassen, und die braunen Wagen wieder davonrasseln würden in die weite Welt, denn der Zirkusbesuch nahm von Tag zu Tag ab.

Es hatte mehrere Tage hintereinander geregnet, und Gretl und Felizitas hörten nichts voneinander. Gretl stand an der kleinen Wagentreppe, die zu ihrer fahrenden Wohnung führte, und blickte trübselig in die schwarzen Wolkenmassen. Da – ein goldener Sonnenstrahl – er huschte von der regenfeuchten Wiese durch den nassen Park zu den hohen Kristallfensterscheiben, hinter denen Felizitas voll Sehnsucht zu dem Komödiantenwagen hinunterlugte. Leise – leise – im Nebenraum schlief das Fräulein – glitt Felizitas aus dem Zimmer, die Marmorfreitreppe hinab und lief mit ihren feinen Schuhen durch die aufgeweichten Parkwege zum Freundschaftswinkel.

Gretl harrte schon ihrer, und wie zwei frierende Vöglein schmiegten sich die beiden kleinen Mädchen in der naßkalten Witterung aneinander.

»Denk dir, Gretl,« klagte Felizitas, »der Großvater will auf Reisen mit mir gehen, jetzt gefällt es ihm auch hier in dem schönen Schloß, das er doch erst vor kurzem gekauft hat, nicht mehr. Nächste Woche muß ich schon fort? ach, Gretl, wie werde ich mich nach dir bangen.« Gretl erbleichte vor Schreck.

»Ich lasse dich nicht fort, Fee« – so hatte sie den Namen der Freundin zärtlich abgekürzt –, »was soll denn aus mir werden, wenn ich dich nicht mehr habe. Dann werde ich wieder so dumm und unwissend wie zuvor.« Sie hielt die Freundin umklammert, als ob sie ihr schon jetzt genommen werden sollte.

Längst hatte der goldene Sonnenstrahl sich wieder verkrochen, die Kinder merkten es nicht. Erst als es in schweren, kalten Tropfen durch das dichte Tannengebüsch zu sickern begann, fuhren sie erschreckt auf. Draußen prasselte der Regen In Strömen hernieder, und wie gejagt eilte Felizitas dem schützenden Schlosse zu, während Gretl schleunigst über das Gitter den Rückzug antrat. Dem Komödiantenkinde, das Wind und Wetter gewohnt war, hatte das Verweilen in dem regennassen Park nicht geschadet, aber das Schloßkind wälzte sich am nächsten Tage in hohem Fieber.

Das Fräulein rang die Hände, denn es machte sich Vorwürfe, nicht genug Obacht auf Felizitas gegeben zu haben, und der Großvater, der wortkarge, harte Mann, trat immer wieder an das Krankenlager seines Enkelchens. Mit weicher, zärtlicher Hand, wie man es ihm niemals zugetraut hätte, strich er der Kleinen die wirren, feuchten Locken aus der Stirn – würde Gott ihm auch noch dieses Kind, das letzte, das er noch besaß, nehmen? Kam jetzt die Strafe für seine Hartherzigkeit seiner zweiten Tochter gegenüber, die er aus der Heimat und aus seinem Herzen verstoßen, weil sie den armen, aber talentvollen Künstler geheiratet hatte? Der alte Mann seufzte tief.

»Gretl soll kommen, Gretl – wo bleibst du denn, komm in den Freundschaftswinkel, wir wollen buchstabieren, Gretl – ich habe dich doch lieb, wenn du auch ein Komödiantenkind bist,« so rief die kleine Kranke aus ihren Fieberträumen.

Die ganze Nacht verlangte sie unausgesetzt nach Gretl, und als der Arzt am frühen Morgen wiederkam und das Fieber noch gestiegen fand, meinte er: »Wir müssen jede Aufregung bei der Kleinen vermeiden, ihr Leben ist in Gefahr, wir wollen das Gretl holen lassen, vielleicht wird sie dann ruhiger.«

»Ja – aber wer ist das Komödiantengretl, von dem Felizitas immer spricht, ich kenne es nicht,« sagte der Großvater bekümmert.

»Das Komödiantengretl – ei, das ist ja die Kleine drunten aus dem Zirkus, die so niedlich reitet, ich war mit meinen Kindern dort,« sagte der Arzt und schickte einen Diener zu dem Komödiantenwagen.

Als der feine Diener in der grünen Livree mit den blanken Goldknöpfen zu der Wagenwohnung kam, um das Gretl ins Schloß zu holen, da wurde das kleine Mädchen ganz rot vor Freude. Freilich, daß Fee krank im Bette lag, war sehr traurig, aber die würde gewiß bald wieder gesund werden. Sie ließ sich von der Mutter das Sonntagskleidchen anziehen, das Goldhaar glattbürsten und versprach, sehr artig zu sein.

Aber ihr Herzchen klopfte doch poch – poch – als sie durch die elegant ausgestatteten Schloßräume mit den hohen Spiegeln, den goldenen Kronleuchtern und den seidenen Polstern schritt, sie wagte kaum zu atmen.

Und dann saß Gretl in dem luftigen Kinderzimmer mit den weißen Möbeln an Fees Bett, flüsterte ihrer Fee liebe Worte zu und streichelte leise die fieberheiße Hand ihrer kleinen Freundin.

Und siehe – Felizitas wurde ruhiger, ihre brennenden Augenlider schlossen sich, sie schlief sanft ein.

»Sie schläft – nun ist sie gerettet!« sprach der Arzt aufatmend zu dem eintretenden Großvater.

Der aber blieb an der Tür stehen und starrte das liebliche fremde Kind neben dem Bettchen entsetzt an. Dieses Gesicht, das dem Felizitas' so glich, dieses Goldhaar – der alte Mann deckte die Hand über die Augen. So – ganz so – hatte sein zweites Töchterchen damals ausgesehen, vor vielen Jahren, als es gerade solch kleines Mädchen gewesen, nur blaue Augen hatte es gehabt. – Das harte Herz des Großvaters wurde weich.

Er trat zu Gretl, die artig einen Knicks machte, und klopfte ihr die frische Wange.

Wie heißt deine Mama, Gretl?« fragte er mit erregter Stimme.

»Mama heißt Lilli,« antwortete Gretl unbefangen.

»Lilli – es stimmt – und dein Vater, Kind?«

»Vater heißt Giorgio Martino.«

»Mein Kind – mein Enkelchen –, ich bin dein Großvater, willst du mich liebhaben?« Der alte Mann neigte sich zu Gretl herab und küßte leise ihre weiße Stirn.

Da schlang Gretl beide Arme um den Hals des Schloßherrn.

»Bist du nicht mehr böse, und wird Mama nicht mehr weinen, wenn ich nach dir frage?« flüsterte sie scheu.

Der Großvater schüttelte gerührt den Kopf.

»Komm, Gretl, wir wollen die Eltern holen, ich will wieder alles gutmachen,« und er ließ sich von Gretl zu den Komödiantenwagen führen.

Das war ein Glück und eine Freude, als der Großvater Gretls Mutter verzeihend an das Herz zog. Vater, Mutter und Gretl mußten alle drei sogleich in das schöne Schloß übersiedeln.

Der Vater erholte sich wieder ganz bei der guten Pflege und durfte wieder Konzerte geben, und Mutters blasse Wangen wurden wieder rosig und ihre traurigen Augen hell und froh. Am glücklichsten aber war Gretl. Die brauchte nicht mehr zu reiten und zu springen, sie bekam keine Schläge mehr von dem Direktor, und sie durfte in dem herrlichen Schlosse wohnen.

Und das Allerschönste war, daß Fee, die bald wieder ganz gesund wurde, jetzt ihre kleine Kusine war, mit der sie zusammen rechnen, lesen, schreiben und spielen durfte, soviel sie nur wollte.

Da gab's auf Erden kein glücklicheres Kind als das einstige »Komödiantengretl«.


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