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Der Waschtag war der einzige ungemütliche Tag bei Professors. Da roch es nach Seifenlauge und Kohl, da saß Fräulein Georgine nicht auf ihrem Hausbänkchen mit dem Soldatenstrumpf, sondern hängte im Hofgärtchen die weiße Wäsche über die Leine. Das ließ sie sich nicht nehmen, dabei zu helfen, trotzdem Minna und die Waschfrau auch ganz gut ohne sie fertig wurden. Vor vielen, vielen Jahren schon, als sie so klein gewesen wie Annedore, hatte sie ihrer Mutter beim Aufhängen der Wäsche zur Hand gehen dürfen. Jedes Stück, das sie zum Trocknen breitete, war deshalb für sie eine Erinnerung an die Verstorbene.
Der Professor aber flüchtete am Waschtag. Gleich nach dem Mittagessen zog er, ohne die Kaffeestunde abzuwarten, in seinen Klub. Denn seine Schwester hatte an diesem wichtigen Tag weder Ruhe noch Zeit für ihn.
Mit Sorge dachte Tante Gine daran, wie das wohl werden würde, wenn Annedore erst aus der Schule käme. Das quecksilberige kleine Ding fiel ihr schon an gewöhnlichen Tagen mit ihrer Wildheit und ihren vielen tausend Fragen auf die Nerven. Wieviel schlimmer würde das erst heute werden.
Annedore ahnte nichts von Tante Gines geheimen Sorgen. Die war quietschfidel in der Schule. Sie hatte im Diktat null Fehler geschrieben. Das war eigentlich nicht ihr Verdienst, sondern das von Onkel Adalbert. Der Professor hatte solange mit seinem Pflegetöchterchen gelernt und Probearbeiten geschrieben, bis sie es fast schon im Schlaf konnte. Daß außer null Fehler auch noch »Schrift und Sauberkeit lassen zu wünschen übrig«, unter der Arbeit zu lesen stand, tat Annedores stolzer Freude nicht den geringsten Abbruch.
Aber da war noch etwas, was die Kleine so vergnügt machte, wie sie noch nie in der Schule gewesen. Hatte Tante Gine nicht gestern gesagt, sie dürfte sich nächstens ein paar kleine Schulfreundinnen einladen?
Nächstens, das hieß bei Annedore gleich den nächsten Tag. Man durfte es unbedingt nicht länger aufschieben, sonst vergaß Tante Gine es am Ende. Denn alte Leute pflegen ein schlechtes Gedächtnis zu haben.
So sagte denn Annedore in der ersten Frühstückspause großartig zu den Nebenihrsitzenden: »Ihr dürft mich heute nachmittag besuchen, meine Tante Gine hat's erlaubt.«
»Ja?« zehn Augenpaare, blaue, graue und braune, strahlten glücklich. »Sollen wir zum Kaffee kommen, Annedore? Hast du auch eine schöne Puppe zum Spielen? Wo wohnst du denn? Darf ich auch kommen? Ich auch? Ja, bitte, bitte, ich auch, Annedore!« Von allen Seiten drängten sich die Kinder herzu. Denn alle mochten sie die lustige Annedore gern und wollten bei ihr eingeladen sein.
Nur einen kleinen Augenblick zögerte das kleine Mädchen. Tante Gine hatte zwar gesagt, »ein paar Schulfreundinnen« dürfte sie nächstens zu sich bitten. Aber eigentlich waren doch all die zweiunddreißig Kinder in der Klasse ihre Schulfreundinnen. Eine wie die andere. Es tat dem guten Herzen des kleinen Mädchens leid, ein Kind hinter dem andern zurückzusetzen und es von der Einladung auszuschließen. Darum rief Annedore in die sie umringenden Mitschülerinnen: »Kommt nur alle zu mir, ich lade die ganze Klasse ein. Kommt pünktlich um halb vier, da trinken wir immer Kaffee. Wir wohnen Frauengasse Nr. 6.«
Annedore war stets der Mittelpunkt in den Pausen. Sie gab bei allen Spielen den Ton an und war nicht immer verträglich dabei. Trotzdem ordneten die andern Kinder sich ihr willig unter. Die Lehrer und Lehrerinnen sahen es nicht mal gern, daß die wilde kleine Hummel die übrigen derart beherrschte. Denn sie machte auch die übrigen kleinen Mädel wild, lärmend und unmädchenhaft. Ja, sogar Raufereien gab es manchmal in den Pausen zwischen Annedore und den andern Kindern, daß die Lehrerin einschreiten mußte. Heute aber waren sie alle ein Herz und eine Seele. Denn jede war glücklich, daß sie bei Annedore eingeladen war.
Diese konnte gar nicht den Schluß der Schulstunden abwarten. Das Stillsitzen wurde dem Unband heute noch schwerer als sonst. Ihre Gedanken waren meist wo anders während des Unterrichts. Aber so zerfahren und zerstreut wie am heutigen Tag war Annedore noch niemals gewesen. In einemfort mußte Fräulein Miehe erinnern und rügen.
Endlich läutete die Glocke den Schulschluß.
»Also auf Wiedersehen – auf Wiedersehen heute nachmittag!« Zu fünfen untergeärmelt zogen die Schulfreundinnen die Langgasse entlang. Um die Marienkirche bog mit Freudengebell ein schwarzzottiger Hund.
»Hektor, heute kriege ich Kinderbesuch!« Annedore jubelte es ihrem alten Freund entgegen. Der schien ihre Glückseligkeit zu teilen, denn er blaffte noch viel lauter.
War Hektor schon so erfreut über den in Aussicht stehenden Besuch, was würde erst Tante Gine dazu sagen. Wie würde die sich erst freuen!
»Tante Gine – Tante Ginchen – ich habe null Fehler im Diktat, und heute nachmittag kommen meine Schulfreundinnen zu mir, die ich mir einladen durfte.« Schon draußen vom Beischlag aus schmetterte es Annedore durch das stille Haus.
Aber Tante Gine, die sonst zu dieser Zeit auf ihrem Korbsessel vor dem Nähtisch zu sitzen pflegte, war heute nicht zu sehen. Der Platz war leer.
Annedore machte ein verwundertes Gesicht. Wie merkwürdig! So oft die Kleine bisher aus der Schule gekommen, hatte Tante Gine stets am Fenster mit einer Arbeit am Nähtisch gesessen. Und Minna war im selben Augenblick mit der Suppe erschienen.
Heute ließen sich weder Tante Gine noch Minna blicken. Nur Onkel Adalbert wanderte zwischen seinem Studierzimmer und dem gedeckten Eßtisch hungrig hin und her und zog ungeduldig alle paar Minuten die Uhr aus der Westentasche.
Der mußte die große Neuigkeit sogleich erfahren.
»Hurra – null Fehler im Diktat, Onkel Adalbert!« Annedore sprang dem Onkel freudestrahlend entgegen.
»Das ist ja schön, mein Kind. Aber nun sieh mal, wo die Minna mit der Suppe bleibt, und ob Tante Gine nicht zu Tisch kommen will. Ich habe Hunger.«
Annedore lief eiligst hinaus. Im Hofgärtchen entdeckte sie endlich die Gesuchte. Umgeben von lustig im Winde flatternden weißen Wäschestücken stand Tante Gine, mit der Klammerschürze angetan, und reckte ihre kleine Gestalt hoch zur Leine empor. Der sonst so tadellos glatte Scheitel der Tante, wo jedes graue Härchen seinen bestimmten Platz zu haben schien, war heute unordentlich und vom Winde zerzaust. Emsig trippelte das alte Fräulein hin und her, um Minna die Taschentücher zuzureichen. Jedes fein säuberlich mit dem Namen nach unten, wie sie es einst bei ihrer seligen Mutter gelernt.
»Ja – ja – wir kommen schon, Kind, nur das Weißzeug wollen wir noch auf die Leine bringen, wer weiß, ob das Wetter sich hält.« Diese Befürchtung sprach die alte Dame jedesmal am Waschtag aus, selbst bei wolkenlos blauem Himmel. »Geh' nur inzwischen wieder hinein, Annedorchen.« Das ausgelassen, unter der sich im Winde blähenden Wäsche herumhopsende Kind machte die alte Dame, die schon ohnedies aufgeregt war, ob sie auch bis Tisch fertig werden würden, ganz nervös.
Aber Annedore fand es herrlich unter den weißen Wäschewolken. Daheim bei Muttchen waren Hanni und sie auch immer wie die Böcklein zwischen der wehenden Wäsche auf der Wiese herumgesprungen. Sie vergaß sogar vor lauter Ausgelassenheit ihre große Neuigkeit zu erzählen.
Die nassen Laken und Tischtücher klatschten ihr gegen das Köpfchen, aber das fand die Kleine gerade fein. Weniger Tante Gine.
»Annedorchen, die Wäsche wird ja schmutzig, wenn du dagegen läufst. Fall' nur nicht in den Spülzuber, Kind, und tritt auch nicht auf die Klammern. So – nun wären wir soweit.« Aufatmend nahm Tante Gine Annedore an die Hand, damit sie nicht noch bis ins Haus irgendwelche Dummheiten machte.
Solange der Professor denken konnte, und das waren nun schon über siebzig Jahre, gab es am Waschtag Weißkohl. So hatte es seine Mutter gehalten, folglich machte seine Schwester das genau so. Seine Vorliebe für dieses Gericht hatte sich im Laufe der Zeit nicht gesteigert. Die Ungemütlichkeit des Waschtages wurde für den Professor durch den unvermeidlichen Weißkohlgenuß noch vergrößert.
Annedore ließ es sich schmecken. Sie war nicht wählerisch beim Essen. Nachdem der erste Hunger gestillt war, konnte sie aber ihre frohe Botschaft nicht länger auf dem Herzen behalten.
»Tante Gine, heute nachmittag bekommen wir Besuch!« Ein kleiner Freudenhops wurde auf dem Stuhl dabei ausgeführt. Der Kohl auf Annedores Gabel hopste mit.
»Besuch – ih wo! Am Waschtag bin ich für keinen Menschen zu sprechen. Das wissen auch meine Bekannten alle«, widersprach Tante Gine.
»Ach, du bekommst ja gar keinen Besuch, Tante. Aber ich!« Stolz leuchteten die braunen Augen.
»Du?«
»Ja, Kinderbesuch! Du hast es mir doch gestern erlaubt, Tante Gine, daß ich mir nächstens meine Schulfreundinnen einladen darf.«
»Wa–as?« Das Gesicht der Tante sah wie ein großes Fragezeichen aus.
»Aber Tante Gine, mußt du schon alt sein, daß du ein so schlechtes Gedächtnis hast!« Wie ein Kobold lachte die Kleine.
Fräulein Georgine erinnerte sich inzwischen.
»Aber Kind – Annedore – so war das doch nicht gemeint. Nächstens, sagte ich, das muß doch nicht gleich sein. Und noch dazu am Waschtag. Heute kann ich keinen Besuch gebrauchen – ganz ausgeschlossen!« Tante Gine war sehr aufgeregt.
»Und wenn ich sie doch nun schon zu heute eingeladen habe, dann müssen sie auch kommen«, schmollte das kleine Mädchen. »Nächstens ist am nächsten Tage.«
»Es geht heute wirklich nicht, Herzchen. Sage deinen Freundinnen ab und fordere sie ein anderes Mal auf«, meinte Tante Gine erleichtert, einen Ausweg gefunden zu haben
»Nein – nein – ich will nicht. Und ich weiß ja gar nicht, wo sie wohnen. Und was man verspricht, muß man auch halten, sagt Onkel Adalbert immer«, rief Annedore ungezogen.
»So laß die Kinder doch kommen, Ginchen. Sie werden artig zusammen spielen und dir keine Arbeit machen.«
»Ja, was versteht solch Mann vom Waschtag!« Tante Gine faßte sich an den Kopf. Sicherlich bekam sie heute wieder ihre Migräne.
»Die Kinder kommen doch überhaupt zu mir und nicht zu Tante Gine«, fuhr Annedore dazwischen. »Und wenn du uns los sein willst, können wir ja draußen im Hofgärtchen spielen.«
»Zwischen meiner Wäsche?«
»Oder auf der Straße, das ist noch viel feiner!« Die braunen Augen begannen wieder zu glänzen.
»Nein, mein Kind, ihr seid wohlerzogene kleine Mädchen, die spielen nicht auf der Straße«, ereiferte sich die alte Tante.
»Ich stelle mein Zimmer zur Verfügung, da bleibst du ungestört, Ginchen. Und unser Kind ist beschäftigt und macht dir heute am Waschtag keine Mühe«, redete auch der Professor zu. Niemals hatte Annedore bisher Onkel Adalbert so lieb gehabt, wie in diesem Augenblick.
»Und die Bewirtung? Ein Mann redet eben, wie er's versteht. Ich kann unmöglich der Minna heute bei der Wäsche zumuten, daß sie noch Waffeln zum Kaffee backt«, wandte die Schwester ein.
»Sollst du auch gar nicht. Ginchen. Gib den Kindern Marmeladenbrote, im Kriege brauchen sie keinen Kuchen. Und nun gesegnete Mahlzeit und Gott befohlen. Viel Vergnügen, Annedore!« Der Professor ging in seinen Klub.
Annedore aber jubelte durchs Haus: »Sie kommen, sie dürfen kommen!«
Tante Gine teilte ihre Freude durchaus nicht. Die entschloß sich schweren Herzens, sogar auf ihr gewohntes Nachmittagsschläfchen zu verzichten, um sich nachher um ihre kleinen Gäste kümmern zu können.
Eine Sorge beschwerte noch Annedores fröhliches Gemüt. Würden sie auch alle in Onkel Adalberts Studierzimmer Platz haben? Und waren auch genug Tassen vorhanden? Na, schließlich konnte man ja auch aus Gläsern trinken.
Es schlug halb vier von der nahen Marienkirche. Annedore war so aufgeregt, daß sie unaufhörlich vom Zimmer zum Beischlag, und von der Haustür wieder zum Kaffeetisch lief. Minna hatte für fünf Personen gedeckt. Sie kamen ja wohl auch nicht alle zu gleicher Zeit.
Der porzellanene Griff der alten Türschelle wurde von energischen Kinderhänden in Bewegung gesetzt. Annedore eilte hinaus, ihre kleinen Gäste zu empfangen. Einige Sekunden später trat sie in Begleitung von fünf Schulfreundinnen wieder bei Tante Gine ein.
Was – so viele hatte Annedore zu sich gebeten? Zwei, drei wären auch reichlich genug gewesen, meinte Fräulein Georgine insgeheim. Aber die kleinen Mädchen knicksten so höflich, bestellten artig Grüße von ihrer Mutter und machten einen so bescheidenen, wohlgesitteten Eindruck, daß Tante Gine nur Gutes von Annedores Verkehr mit ihnen erhoffen konnte. Minna mußte noch zwei Tassen bringen, und die alte Tante lud die kleine Gesellschaft freundlich zum Kaffee.
Man hatte kaum Platz genommen, als die Klingel schon wieder scharf das Haus durchschrillte. Annedore wollte spornstreichs hinaus. Aber Tante Gine hielt sie zurück: »Man läuft nicht fort, wenn man Besuch hat, Herzchen.«
Die Tür öffnete sich. Kleine Mädchen in roten und blauen Matrosenkleidern mit Zöpfchen und kurzen Haaren knicksten herein, sechs an der Zahl. Dahinter tauchte Minnas bestürztes Gesicht auf.
»Nanu?« stieß Tante Gine heraus. Weiter brachte sie kein Wort über die Lippen. War denn Annedore ganz und gar nicht gescheit, ihr soviele Kinder auf den Hals zu laden?
Die begrüßte die neuen Ankömmlinge freudigst und führte sie zu Tante Gine. »Das ist Trudchen, das Anni, dies ist Erna, hier Inge und Lilli, und die Kleine da – wie heißt du denn eigentlich? Ich habe deinen Namen vergessen«, so stellte sie die Schulfreundinnen vor. Das kleine Mädchen hatte noch nicht ihren Namen genannt, und Minna noch nicht mal die notwendigen Tassen und eine zweite Schüssel Marmeladenbrote herbeigeschafft, als die Klingel und damit auch Tante Gines Herz schon wieder erzitterte.
Eine neue Kinderwolke quoll zur Tür herein. Dem fassungslosen alten Fräulein erschienen sie zahllos wie der Sand am Meer. Minna aber lachte über das ganze breite Gesicht: »Herrje, das ist ein Spaß, das ist ein Spaß!«
Der armen Tante Ginchen aber war durchaus nicht spaßhaft zumute. Die fühlte, wie ihre Schläfen zu hämmern begannen – die Vorboten der Migräne. Himmlischer Vater – was sollte sie denn nur mit den vielen Kindern anfangen? Ehe Fräulein Georgine sich noch diese Frage beantworten konnte, wurde draußen an der Klingel Sturm geläutet. Tante Gine fiel vor Schreck beinahe vom Stuhl.
Ein ganzes Dutzend auf einmal – »ja, Annedorchen, hast du denn die ganze Schule eingeladen?« Auch Minna ging die Sache jetzt beinahe über den Spaß.
»Nein, bloß meine Klasse – das sind doch alles meine Schulfreundinnen«, beruhigte Annedore sie. Dann wandte sie sich an die Schulkameradinnen: »Stühle haben wir nicht so viele, aber es können ja immer zwei auf einem Stuhl sitzen. Und vielleicht trinken auch immer zwei aus einer Tasse. Denn zweiunddreißig Tassen werden wohl auch nicht da sein, nicht wahr, Tante Gine?«
Die alte Tante war halbtot vor Entsetzen. Was hatte ihr Pflegetöchterchen ihr schon während der kurzen Zeit ihres Aufenthaltes für Überraschungen bereitet! Aber so schlimm wie die heutige war noch keine gewesen!
Minna mußte noch zum Bäcker nach Brot laufen, denn das reichte natürlich nicht für soviele hungrige Schnäbel. Tante Gine nahm selbst mit fliegenden Fingern ihre guten Röschentassen mit dem Goldrand, die noch von der Großmutter herstammten, aus dem Büfett. Wenn die Kinder die wie ein Heiligtum gehüteten Tassen nur nicht zerschlugen!
Das war ein Gewirr von Kinderstimmen in Fräulein Georgines sonst so stillem Zimmer wie in einer Maikäferschachtel, in der es lustig durcheinander burrt.
Und als nun wirklich die zweiunddreißig kleinen Gäste alle untergebracht und die schwatzenden Mäulchen durch die Pflaumenmusschnitten einigermaßen gestopft waren, rief vom Hofgarten her die Waschfrau ängstlich: »Jnädiges Fräulein – jnädiges Fräuleinchen, ei, kommen Sie fix mit der Minnachen, es möcht jleich anfangen zu rejnen – unsere Wäsch' könnt' uns naß werden.«
Da stürzte Fräulein Georgine entsetzt hinaus und hinter ihr her jauchzend und jubelnd, wie hinter dem Rattenfänger von Hameln, die ganze Kinderschar. Jedes wollte helfen und jedes war den Erwachsenen nur im Wege, lief ihnen auf Schritt und Tritt zwischen die Füße und vergrößerte durch Schreien und Lachen den Tumult.
Annedore natürlich in ihrer Wildheit allen beim Lärmen voran. Sie packte die langen Holzstangen, mit denen die Leinen hochgestellt waren und zog sie fort – bautz – da lag die ganze Bescherung, all die schöne weißgewaschene Wäsche, Tante Gines Stolz, auf der Erde. Und zum Überfluß begann es jetzt noch aus dicken grauen Wolken zu pladdern. Im Umsehen war die eben trocken gewordene Wäsche wieder durchnäßt. Kreischend flüchtete der Kinderschwarm ins Zimmer zurück. Annedore aber sprang jauchzend unter der nassen Dusche hin und her und mußte von Minna gewaltsam ins Haus befördert werden. Denn Tante Gine war viel zu schwach dazu.
Aus dem Studierzimmer des Professors erschallte bald darauf ein Lärmen, Toben und Juchzen in die Frauengasse hinaus, daß die Vorübergehenden stehen blieben, und die Nachbarn die Köpfe zum Fenster heraussteckten.
Was war denn nun schon wieder bei Professors los? Hatte der alte Herr etwa eine Schule in seinem Hause eröffnet? Erst nahmen sie sich den wilden Strick, die Annedore, ins Haus, die bereits die ganze Nachbarschaft kannte, und nun noch eine Horde Kinder dazu! Ja, waren denn die alten Leutchen übergeschnappt?
Kinder, die sich selbst überlassen sind, pflegen niemals leise zu sein. Und nun noch obendrein, wenn solch ein Unband wie Annedore die Anführerin machte, über Tisch und Stühle sprangen sie, zankten sich um Puppe Aurelie und warfen das Tintenfaß des Professors um. Als der alte Herr heimkam, war die kleine Gesellschaft bereits wieder fort. In seinem Studierzimmer aber sah es aus, als ob eine Räuberbande darin gehaust hätte.
Glückselig sprang ihm Annedore entgegen: »Onkel Adalbert, bloß zwei von Tante Gines feinen Röschentassen sind entzweigegangen. Und die Tinte auf deinem Schreibtisch läßt sich wieder abwaschen. Und ich danke dir auch vielmals für den herrlichen Tag, es war der allerschönste, seitdem ich bei euch in Danzig bin!«
Tante Gine aber lag im verdunkelten Zimmer und hatte ihre Migräne.