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Am Nachmittag desselben Tages war es. Tante Mathilde war im schwarzen Seidenkleide mit dem türkischen Longschal und dem Sonnenknicker ihrer Jugendtage, mit Moppel, Kutscher August und der abgeklapperten Lise davongerollt. Hanna war trotz Zureden des Vaters nicht zu bewegen gewesen, sich der Spazierfahrt nach den Zelten anzuschließen. Tante Mathilde tröstete sich mit zwei älteren Damen aus dem Nähverein, die sie mit ihrer Einladung zu einer Spazierfahrt beglückte.
Von diesen erfuhr sie, daß heute im Tiergarten in der Hofjägerallee Blumenkorso stattfände, daß sogar der königliche Hof daran teilnehmen würde. Wo es etwas zu sehen gab, wo man Bekannte traf und neue Kleider und Hüte zu bekritteln waren, durfte Tante Mathilde nicht fehlen. Der alte Kutscher bekam also den Befehl, statt nach den Zelten in die Hofjägerallee zu fahren. So zuckelte die betagte Lise mit den drei betagten Damen und dem nicht weniger betagten Moppel zum Blumenkorso.
Inzwischen zerbrach sich Hanna an ihrem Arbeitstisch den dunkelhaarigen Kopf bei Mathematikaufgaben. Ein Lehrer des Grauen Klosters, von Professor Körner empfohlen, unterrichtete sie in Mathematik, Geometrie, Physik und Chemie. Für alle andern Fächer der vorläufig noch in weiter Ferne liegenden Universitätsprüfung würde ihre Selektareife genügen. Sie hatten eben doch etwas gelernt in der Möbusschen Schule.
Es war nicht so einfach, an einem solchen leuchtenden Sommernachmittag seine Gedanken auf Ix und Ypsilon zu konzentrieren. Aber Hanna arbeitete mit eisernem Fleiß. Wer ein Ziel zwingen will, muß vor allem sich selbst zwingen.
Ein Windzug, der in ihr Haar fuhr, ließ sie von den Büchern aufblicken. Die Tür hinter ihr hatte sich geöffnet. Bruno mit bunter Studentenmütze und dem Couleurband trat ein. »Kleinchen, bist du denn von allen guten Geistern verlassen, dich an diesem herrlichen Tage hier einzusperren?« sagte er gutmütig. »Selbst ich büffle heute nicht und hätte es wahrlich zum Examen notwendig. Flink, mach dich fertig! Ich will mit Bernhard zum Blumenkorso in die Hofjägerallee. Es wird sicher ein wundervolles Bild werden. Der königliche Hof ist auch dabei.«
Vor Hannas Augen stiegen blumengeschmückte Wagen, schön geputzte, fröhliche Menschen, grüne Bäume in goldenem Sonnenlicht empor. Es lockte und winkte, doch nur für Sekunden; da hatte sie sich und ihre in den blauen Sommertag hinausdrängenden sechzehn Jahre wieder fest am Bändel. »Es geht nicht, Bruno. Ich muß meine Mathematikaufgaben erledigen. Auch für Physik habe ich noch zu arbeiten.«
»Da soll einer nicht auf die übergeschnappten Frauenzimmer schimpfen! Siehst aus wie Braunbier mit Spucke und sperrst dich hier in den Käfig ein, anstatt in die frische Luft zu gehen. Und wozu? Warum? Bloß aus Eitelkeit, um uns Männern zu beweisen, daß ihr noch was anderes könnt als kochen und nähen. Ein Unfug ist es, den ich als Bruder gar nicht verantworten kann.« Bruno warf die Tür ärgerlich ins Schloß.
»Wo brennt's?« fragte ihn der dazukommende, ebenfalls mit den Farben seiner Studentenverbindung geschmückte jüngere Bruder.
»Das Mädel, die Hanna, vergräbt sich hier unter Büchern, anstatt bei dem schönen Wetter in die Luft zu gehen. Da soll man nicht selber in die Luft gehen und explodieren!« Er zupfte ärgerlich an seinem dunkeln Bärtchen.
»Ich werde mal mein Heil bei ihr versuchen.« Das noch kindliche Jungengesicht des Zweiten erschien jetzt im Türrahmen zum Zimmer der Schwester. »Hanna, sei vernünftig, Mädel! Ich bin doch von jeher auf deiner Seite gewesen, was du auch immer ausgefressen hattest. Tante Mathilde hat uns ja deshalb die beiden ›Verschworenen‹ getauft. Aber heute muß ich Bruno recht geben. Du übertreibst, du überspannst den Bogen. Das hält kein Pferd auf die Dauer aus. Damit ruinierst du deine Gesundheit. Du brauchst ja nicht gleich morgen die Professur zu erlangen.«
Eigensinnig schüttelte Hanna den Kopf. »Ihr meint es beide gut, ich weiß es; aber ihr stört mich bloß. Umso länger habe ich zu lernen.«
»Na, denn nicht, mein Söhnchen!« Noch einmal riß er die bereits geschlossene Tür wieder auf. »Ich kann dir ja heute abend bei den Mathematikaufgaben helfen, Hanna, und auch Bruno nimmt mit dir die Physikarbeit mal durch, wenn er auch schimpft, daß du das Zeug lernst.« Es wurde dem gutmütigen Bernhard zu schwer, die Schwester daheim bei den Büchern zu lassen.
»Ich arbeite doch für mich, Junge, um etwas zu lernen, um etwas zu erreichen. Auf die Hilfe anderer will ich nicht angewiesen sein. Und nun tu mir den Gefallen und schließe endlich die Tür und die unnötige Debatte!« Ein leicht gereizter Ton klang mit, denn Hanna fühlte, daß sie allmählich schwankend wurde. Nein, sie wollte nicht fahnenflüchtig werden.
»Pass' auf, mein Sohn, was ich dir prophezeie!« hörte sie draußen Bruno zu dem jüngeren Bruder sagen. »Die Hanna wird durch das blödsinnige Büffeln noch ein ganz nervöses, hysterisches Frauenzimmer. Das weibliche Gehirn kann eben eine derartige Anspannung und Überlastung nicht vertragen.«
»Quatsch!« sagte drinnen die Schwester aus tiefstem Herzen. »Ihr sollt es schon sehen, ich will es euch schon zeigen, was ein Frauengehirn zu leisten vermag!« Aber sie trat doch einen Augenblick hinaus an die Balustrade und schaute den beiden davonziehenden schmucken Studenten mit einem kaum hörbaren Seufzer nach.
Lange saß sie noch nicht bei ihren Ixen und Ypsilonen, als ein bekannter Pfiff sie hochfahren ließ. Das war – ja, ganz bestimmt, das war doch ihr alter Schulpfiff! Sicher eine der Freundinnen, eine der Maienkränzlerinnen. Eilig trat Hanna an die Balkonbrüstung.
Unten vor dem Säulenhause hielt der Doussinsche Landauer. Er war über und über mit Margeriten geschmückt. Blumenketten umrankten den viersitzigen Wagen. Margeritenreifen wölbten sich als duftiges Blütendach darüber. Die kräftigen Braunen, die für gewöhnlich Rollwagen zu ziehen hatten, trugen stolz ihren Blumenbüschel am Gezäum. Auch Kutscher Hermanns rote Nase leuchtete unter dem mit Margeriten geschmückten Kutscherhut festlich hervor. Zu seiner Linken und Rechten saß je ein Doussinscher Sprößling, Margeriten an der Mütze. Drinnen aber winkte es aus zartweißen Blüten heraus. Unter zwei gleichen, mit Margeriten garnierten Blendenhütchen lugten Fränzes taufrisches Gesicht und Klärchens braune Augen hervor; daneben wurde ein mit roten Kirschbüscheln umrankter Florentiner sichtbar, der sicher zu Lisabeth gehörte.
»Hanna, flink, mach dich fertig! Wir wollen zum Blumenkorso. Die andern Mädel holen wir auch ab«, rief Fränze hinauf, ohne die den Margeritenwagen begaffenden Gassenjungen zu beachten.
»Geht nicht, habe zu arbeiten«, klang es zurück, aber lange nicht so forsch und bestimmt wie vorher den Brüdern gegenüber.
»Piepmatz!« Fränze tippte gegen die Stirn. Hopp! war sie aus dem Wagen – hui! die breite, vornehme Treppe hinauf.
Hanna kam ihr bereits oben entgegen. »Es geht wirklich nicht, Fränzchen; ich habe mein Pensum noch nicht absolviert. Man muß zielbewußt sein.« Es klang indessen ein starkes Bedauern aus ihren Worten.
»Na, das wäre ja noch schöner!« legte Fränzchen los. »Da will es ein Glückszufall, daß wir den Wagen allein benutzen dürfen, weil Vater und Mutter verhindert sind. Darum darf ich mir meine Freundinnen zum Blumenkorso abholen. Also los! Mach dich fertig! Es wird himmlisch werden.«
»Ich habe es Bruno und Bernhard abgeschlagen, mitzugehen und ...«
»Und mit uns fährst du. Erledigt! In fünf Minuten mußt du fertig sein.« Mit Nachdruck klappte Fränzchen die Bücher der Freundin zu.
»Wenn dich die bösen Buben locken, so folge ihnen nicht!« wandte Hanna noch ein, wurde aber bereits von Fränzes kräftigen Armen zur Tür geschoben.
Als sie nun im Kleiderschrank ihres Schlafstübchens zwischen einem bauschigen moosgrünen Sommerkleid und einem Mille-fleurs-Mullkleid mit Spitzenfichu die Auswahl traf, erwachte doch die mühsam zurückgedrängte Jugendfreude in ihrem Herzen. Ach, man war doch nun mal jung! Da nützten alle guten Vorsätze nichts.
Flink war die Hanna, das mußte man ihr lassen. Fränze hatte kaum Zeit, die gelehrten Bücher einer Musterung zu unterwerfen, sie mit einem grauenvollen »Brrr!« wieder an ihren Platz zu legen und einen neugierigen Blick über die steifen Goldmöbel des Zimmers gleiten zu lassen, da erschien Hanna auch schon wieder in dem Mille-fleurs-Kleid mit den schwarzen Samtbandrosetten, mit grauen Zeugstiefeletten und durchbrochenen weißen Strümpfen.
»Bist du elegant!« sagte Fränze bewundernd. »Dein neuer Viktoriahut steht dir großartig.«
Hanna war lange nicht so liebreizend wie Fränze, wirkte aber durch ihre schöne Figur und die sprechend klugen Züge recht angenehm. Noch einen Blick zu den treulos im Stich gelassenen Büchern – nun war sie doch fahnenflüchtig geworden – dann ging es durch die Spalier bildenden Gassenjungen zu dem Margeritenwagen. Kutscher Hermann rückte an seinem Hut, und die Doussinschen Jungen brachen in lautes Hurra aus. Lisabeth und Klärchen zogen sie erfreut in den Blumenwagen.
»Nach der Fischerstraße 28 zu Lehmanns!« rief Fränze dem Kutscher beim Einsteigen zu. »Hoffentlich können wir Gustchen von ihren Gören loseisen.«
Der Margeritenwagen ratterte durch die älteste Straße Berlins im ehemaligen Fischerdorf Kölln, aus dem die große Millionenstadt Berlin hervorgegangen ist. Längs der Spree ging es dahin, vorbei an dem alten, spitzgiebeligen Gasthaus zum Nußbaum, an der goldenen Brezel vor dem Bäckerhaus, dem Riesenschlüssel vor der Schlosserei, dem hochschaftigen Stiefel der Schusterwerkstatt.
Der Margeritenwagen hielt vor Nummer 28, dem Blütchenhaus, wie das bescheidene, vielwinklige Häuschen im Volksmund hieß.
Durch die niedrige Haustür trat Fränze in den dunkeln, verbauten Flur, in dem es stets nach Holz, Leim und Firnis roch. Vater Lehmann hatte seine Möbeltischlerei im Erdgeschoß. Bei dunstender Petroleumlampe arbeitete er mit seinen Gesellen und Lehrlingen.
»Ah, Fräulein Fränzeken! Is mir eine Ehre.« Der Meister kam ihr hemdärmlig in der Tür entgegen und reichte ihr seine schwielige Rechte. Vater Lehmann war ein echter Berliner, »mit Spreewasser jetauft«, wie er selber sagte. »Unser Justeken is leider ausjeflogen, mit dem Kleinzeug mang die Linden, die Blumenwagen zu bewundern. Sie wollen auch hin? Na, vielleicht kriejen Se meine Jesellschaft unterwegs irjendwo an de Hammelbeene.«
Weiter ging die Fahrt, johlende Straßenjugend hinter dem Blumenwagen her.
»Hoffentlich treffen wir Eva Nikolai zu Hause«, meinte Fränze, dem Kutscher die unweit gelegene Brüderstraße als Ziel angebend.
In dem Nikolaischen Buchhändlerhaus, in dem einst Theodor Körner seine Lieder gedichtet hatte und Lessing ein und aus gegangen war, hatten Eva und ihre Mutter bei dem Onkel seit dem frühen Tode des Vaters ein Heim gefunden. Im Hof stand ein efeuumrankter Fliederbusch neben dem grünen Holzbrunnen aus Urgroßvätertagen. Dort ließ Fränze ihren altbekannten Schulpfiff ertönen.
Sogleich tauchte unter Hopfengerank auf einer der zierlichen Holzgalerien Evas glattgescheitelter Blondkopf auf. Sie hatte einen englischen Aufsatz über Miltons »Verlorenes Paradies« zu verfassen und war in ihrer peinlichen Pflichttreue nicht zum Mitkommen zu bewegen.
»Die geborene Gouvernante!« sagte Fränze ärgerlich, zu den Freundinnen zurückkehrend. »Selbst du, Hanna, hast dem Blumenkorso vor den langweiligen Büchern den Vorzug gegeben.«
»Ja, leider«, kam es seufzend aus dem Margeritengewinde. »Ich habe bereits schlimme Gewissensbisse wegen meines Auskneifens. Eva ist pflichttreuer als ich.«
»Wenn ihr überall so lange bleibt, ist der Blumenkorso zu Ende, bis wir rauskommen«, begehrte Luchen auf.
»Martha und Änne müssen wir noch abholen. Maienkränzchenschwestern dürfen nicht treulos sein«, beharrte Fränze.
»Fahrt doch auch noch nach Neu-Trebbin zu Mariechen Dorfmüller!« Wirklich, Luchen wurde von Tag zu Tag großmäuliger.
Bei Änne Wilke hatte man ebensowenig Glück. Sie war bereits mit ihrem Bruder, dem Fähnrich, zu Fuß zum Blumenkorso hinausgepilgert. Martha Leuchter aber folgte freudestrahlend der Einladung.
Nun ging es endlich an der Stechbahn und dem Schloß vorüber die Linden entlang. Was Beine hatte, war heute unterwegs. Es wimmelte unter den Linden von Wagen und Spaziergängern, denn der Blumenkorso war ein Ereignis im Berliner Leben. Hofequipagen, Galawagen, schneidige Reiter in Uniform. Dazwischen schob Mutter den Kinderwagen die Linden entlang, während ihr links und rechts noch ein Sprößling am Rock hing. Den Rinnstein aber besäumte die Berliner Straßenjugend, jedes vorüberrollende Blütenwunder mit lautem Hurra und »Au, kiek mal, Karle!« begrüßend.
Durch das Brandenburger Tor trabten die Doussinschen Gäule aus dem heißen Straßenstaub dem Schatten und Erfrischung spendenden Tiergarten zu.
Dort drüben in den Zelten saß jetzt wohl Tante Mathilde beim Kaffeekonzert. Hanna hatte ein unbehagliches Gefühl, als sie an die Tante dachte. Dieser hatte sie ja die Spazierfahrt abgeschlagen. Tante Mathilde nahm so leicht etwas übel. Eigentlich war es nicht recht von ihr, daß sie sich nun doch von den Freundinnen hatte ins Schlepptau nehmen lassen. Das beste wäre, die Tante erfuhr überhaupt nichts von ihrer Ausfahrt. Hoffentlich war sie noch vor Tante Mathilde zu Hause.
Es ging recht lebhaft zu in dem Margeritenwagen. Übermütig schwatzten und lachten die Freundinnen durcheinander. Hannas Gewissensbisse hielten vor so viel Jugendfrohsinn nicht lange stand. Ach, wie tat das gut, nach der ernsthaften Buchweisheit mit den Freundinnen wieder mal so von Herzen heiter zu sein! Was hatte man sich nicht alles zu erzählen! Hannas lateinische Studien erregten staunende Bewunderung. Ein Tausendsassa, diese Hanna! Was sie sich vornahm, das setzte sie auch durch.
Aber auch die Doussinschen Schwestern wurden bewundernd angestaunt. Doussins besaßen seit neustem ein Badezimmer. Der Vater hatte es in seine Wohnung einbauen lassen. Ein Badezimmer – das hatte noch keine andere Familie ihrer Bekanntschaft aufzuweisen.
»Da fährt der ›kleine Menzel‹.« Martha, die als Bildhauerstochter Fühlung zu Künstlerkreisen hatte, machte die Freundinnen auf den berühmten Maler aufmerksam. »Vater hat ihm neulich einige Zeichnungen von mir gezeigt. Er war nicht unzufrieden. ›Talent ist da, aber alles noch Spielerei. Ernste Arbeit fehlt‹, hat er gebrummt.«
»So mußt du eben ernst arbeiten, um etwas zu erreichen«, ließ sich Hanna hören und dachte mit einem Stich im Herzen an ihre Bücher daheim.
»Meine Mutter hat leider gar kein Verständnis für meine Malerei. So ein bißchen zum Vergnügen, um mal eine Papeterie oder ein Poesiealbum als Geburtstagsgeschenk zu bemalen, das läßt sie allenfalls hingehen; sonst aber hält sie für wichtiger, daß ich einen Kuchen mische, anstatt Farben.«
»Halte ich auch für ersprießlicher«, pflichtete Lisabeth bei.
»Kinder, seid ihr denn ganz und gar verdreht, daß ihr an solch einem herrlichen Sommertag beim Blumenkorso so ernste Gespräche führt! Seht mal dort drüben den entzückenden Teerosenwagen! Die Leute bleiben stehen und grüßen. Das ist ja die Kronprinzessin!« Fränze war ganz aufgeregt.
Man war bereits in der Hofjägerallee, mitten drin im Blumenkorso. Wagen an Wagen, Rosen, Rosen in allen Farben. Musik, schöne Frauen, elegante Kleider, Uniformen. Man grüßte, man nickte, man bewunderte und beneidete sich gegenseitig.
Der Margeritenwagen mit seinen liebreizenden jugendlichen Insassen zog viele Blicke auf sich. Auch zwei Studenten, die sich den Fußsteig in der Menge mit langschoben, reckten die Hälse. Das waren ja die Doussinschen Schlingel da vorn auf dem Bock! Bruno und Bernhard zogen lebhaft die bunten Mützen. Die Fränze, das Mädel, sah doch wie ein Pfirsich zum Anbeißen aus! Und daneben die Schwarze ...
»Nu schlag einer lang hin und steh kurz wieder auf!« rief Bernhard, aufs höchste überrascht. »Da fährt ja unsere Hanna! So 'ne Dachsigkeit! Das nennt die Mathematik arbeiten!«
»Besser gut gefahren als schlecht gelaufen«, bemerkte Bruno lachend. »Hallo, die ganze Gesellschaft zusammen, lauter Maienkränzlerinnen!« Er grüßte und winkte herüber.
»Hanna, dein Bruder!« – »Ach, da stolziert ja Änne Wilke, von zwei Leutnants flankiert, da – dort drüben!« riefen die Mädel durcheinander.
Hanna aber hatte keinen Blick dafür, weder für die winkenden Brüder noch für die stolzierende Änne. Ihre Augen waren starr auf einen braunen Pferdekopf gerichtet, der sich dicht an ihr Gefährt heranschob. Diese quellenden braunen Augen, aus denen die Entsagung eines langen, mühevollen Pferdelebens sprach, diese abgeklapperten Knochen, das war Lise, ihre Lise. Jetzt war sie dicht neben dem Margeritenwagen. Der alte Kutscher legte die Hand an den Hut, und nun tauchten Hannas klare graue Augen erschreckt in zwei scharfblaue spähende, die zu einem verhutzelten Frauengesicht gehörten, und weiter in Moppels breit und hämisch sie anfeixende Mopsvisage. Steif und aufrecht saß Tante Mathilde, ihren Moppel im Arm, mit dem türkischen Longschal unter ihrem Sonnenknicker, und blickte ebenso entsetzt wie strafend in den Margeritenwagen. So fuhren der Wagen mit Moppel und den drei verwelkten Damen und der Blütenwagen mit den blühenden jungen Mädchen Seite an Seite den Korso entlang.