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Es wurde auf Staveneck eine gute Schule für das Prinzeßchen. Mieting Dürenfurt war eine tüchtige Dirn; sie hatte weniger Schulweisheit in dem hübschen Kopf als praktischen Verstand und einen immer frohen Sinn. Auf dem großen Gutshof gab's gar viel zu schaffen. Frau Dürenfurt überließ ihrer Mieting jetzt schon die Aufsicht über die Milchkammern, den Geflügelhof und das Jungvieh; da hieß es für das Backfischchen zeitig morgens aus den Federn, und Mary mußte natürlich mit.
Ja, das Prinzeßchen bekam keinen schlechten Schreck, als Mieting es am ersten Morgen lachend am Arm schüttelte und rief: »Was 'ne alte Traumsuse! Mary, Dirn, es ist Tid, nu wach man up!«
Mit geschlossenen Lidern versuchte Mary ihren Arm freizumachen. In diesem Augenblick fühlte sie nichts von den heiligen Freundschaftsgefühlen, die sie einander am Abend zuvor, bei dem dazu notwendigen Mondschein, fürs ganze Leben gelobt hatten.
»Dear me, es ist mitten in die Nacht, ganz dunkel noch, indeed!« Marys Augenlider, die sich ängstlich blinzelnd gehoben hatten, klappten beruhigt wieder zu.
»Dat soll woll so sin,« antwortete Mieting lachend. »Klock sechsen ist es im Winter immer stockduster. Nu man fixing! Oder geruht das Prinzeßchen erst um zehn Uhr aufzustehen?«
Das half. Spott konnte Mary nicht vertragen, am allerwenigsten von ihrer Mieting. Brummelnd, knurrend und gähnend begann sie Toilette zu machen.
Auch an eine regelmäßige Beschäftigung und Zeiteinteilung gewöhnte sich die junge Engländerin.
Mit einem lustigen »Ran an die Arbeit – zum Vergnügen bist du nicht auf Staveneck!« schlang Mieting nach dem Frühstück ihren Arm um die Freundin und zog sie mit sich in die graue Frühdämmerung hinaus.
»Huh, so kalt! Ich werde mir bekälten!« Das Prinzeßchen hätte sich am liebsten hinter den großen grünen Kachelofen verkrochen, aber es blitzte schon wieder verdächtig in Mietings spöttischen braunen Augen. So trabte sie hinter dem fleißigen Backfischchen her und sah mit heimlicher Bewunderung und ein ganz klein wenig innerlicher Beschämung, wie wacker die nicht viel ältere Freundin ihren Platz in dem großen Hauswesen ausfüllte.
»Zugucken kostet Eintrittsgeld – da, füll die Kummen mit frischem Trinkwasser fürs Geflügel!« Mieting sprach ihr Mecklenburger Deutsch stark mit dem Hamburger Heimatsdialekt ihrer Mutter durchsetzt. Mary sah sie mit großen Augen an.
»Kummer?« wiederholte sie verständnislos. »Have you any grief?«
»Nee, nee, die Kummen – die Wasserschüsseln da! Dirn, nee, was büst du dämlich!«
Der herzliche Kuß, den Mieting ihr bei dieser Schmeichelei versetzte, ließ keine Empfindlichkeit in Mary aufkommen. Sie lernte in der Kälberkinderstube die lütten unbeholfenen Vierfüßler päppeln, lernte Rahm, Fett- und Magermilch in den großen »Balgen« aus blitzendem Zinn sondern, mit der »Handule« die Möbel »abeulen«, und sogar mit dem »Leuwagen« den Fußboden »feulen«, Mieting mußte ihr nettes Zimmer täglich allein aufräumen und nahm jetzt die Hilfe der Freundin ganz selbstverständlich in Anspruch. Aber was Mary auf Nedderdorf mit Entrüstung von sich gewiesen hätte, machte ihr hier in Gemeinschaft mit Mieting den größten Spaß; das Prinzeßchen in ihr wagte sich nicht hervor.
Es wurden herrliche Tage auf Staveneck. Nach der Arbeit kam das Vergnügen; dann ging es warm vermummt in die beschneiten Felder und Wälder hinaus. Die eisglitzernden Fichten in dem stillen Waldgrund brummten unzufrieden in den Bart, wenn helles Mädchenlachen sie aus ihrem Winterschlaf weckte, und die funkelnden Tannenzapfen sprangen erschreckt vom Baum, wenn die langen Backfische ausgelassen wie Tagelöhnergören über den gefrorenen Weiher »schlidderten«. Mary vergaß vollständig ihr vornehmes Standesbewußtsein; sie, die in London naserümpfend an jedem ärmlichen Kind vorbeigegangen war, flog hier jauchzend mit Mining, Wising und Jöching um die Wette über das blanke Eis.
Wenn man zur Schummerstunde mit glühenden Wangen und halberstarrten Fingern heimkehrte, dann dampfte die bauchige Kaffeekanne unter der grüngestrickten Pudelmütze, und die Lampe warf ihren traulichen Zitterschein über die beiden alten Ölgemälde an der Wand, den Herrn und die Frau Senator mit den steifen, breiten Halskrausen, Mietings Urgroßeltern. Frau Dürenfurt aber saß hinter einem Berg von warmen Kleidungsstücken vergraben, die sie für die Dorfgören zurechtschneiderte; nur ihre Stimme klang scherzhaft hinter roten Röckchen und grauen Höschen hervor: »Na, ofenges–tanden, mein Mieting, du hättest gern bälder heimkommen können; was 'n Üz!«
Dann rückte man eng um den großen runden Tisch zusammen; die beiden Backfischchen regten emsig die Finger, um all die frierenden lütten Beine der Dorfkinder zu kleiden.
Mieting stimmte ein gutgemeintes, aber nicht sehr rein klingendes Weihnachtslied an, Mary sang mit ihrer schönen Stimme die Melodie mit, und Frau Dürenfurt ließ die Nadel sinken und lauschte auf die klare junge Stimme, die wie Glockenklang das Weihnachtsfest verkündete.
Am schönsten aber war es, wenn man sich heimlich in Mietings Zimmer schlich. Zweimal wurde der Schlüssel umgedreht, und zum Überfluß auch noch der Riegel vorgeschoben, damit Mietings Mutting, die natürlich von alledem nichts merkte und dabei doch sonderbarerweise das Zimmer ihres Töchterchens um diese Zeit gewissenhaft mied, nur ja nichts von dem großen »Hümpel« von Weihnachtsarbeiten entdeckte, die Mieting aufspeicherte.
»Was gibst du dein Tanting zum Julklapp?« erkundigte sich Mieting, an Vatings Schlüsseltasche – er hatte bereits ein halbes Dutzend von diesen nützlichen Dingern, die er niemals trug – eifrig herumstichelnd.
»Ich? Oh!« Mary machte ein sehr verdutztes Gesicht. »I have nothing to give; in London wir tun nicht kennen Geschenken zu Christmas.«
»Du bist doch aber jetzt hier in Mecklenburg, und da mußt du für dein Tanting, die wie eine Mutter zu dir ist, was arbeiten; ein Brillenfutteral vielleicht oder eine Vogeldecke, irgend was recht Brauchbares,« ereiferte sich Mieting.
»Tanting hat gute Augens, sie trägt kein Brill at all; und ein Vogeldeckchen, oh, our little Piepmatz ist gesterbt vor drei Tagen,« antwortete Mary traurig.
»Ganz gleich, freuen tut sie sich doch,« entschied Mieting. »Morgen bitte ich Vating, daß wir aufsitzen dürfen, wenn Hafer in die Stadt geliefert wird; da wollen wir alles Nötige schon besorgen.«
»O yes, dann kann ich anziehen endlich das neuer roter Hut,« stimmte Mary begeistert ein.
»Putzbock!« schalt Mieting lachend. »Also et bliwt dorbi, wi gahn shopping.«
So geschah's auch. Als Mary drei Tage später tränenden Auges von Staveneck und Mieting Abschied nahm – die Trennung sollte bis zum zweiten Weihnachtsfeiertag währen – da fuhren neben ihr wohlverpackt auf dem Schlittensitz allerlei Herrlichkeiten zum Julklapp mit heim nach Nedderdorf. Zuweilen fühlte das Backfischchen, ob auch noch alles da sei, die Schlüsseltasche für Onkel U–aldemar, nach Mietings Dafürhalten das Allerpraktischste für einen Herrn, die Vogeldecke für Tanting – sicherlich würde doch mal ein neuer Piepmatz seinen Einzug in das Messingbauer halten – die Schnurrbartbinde für Karl Heinz, die er sich ja gut für später aufheben konnte, und dann noch die Spielsachen für die Kleinen. Ein glückseliges Gefühl durchströmte das Herz der jungen Engländerin; zum ersten Male lernte sie den Reiz des Heimlichbesorgens und des für andere Denkens kennen. Sie hatte Gaben, die nicht Mama oder die Miß eingekauft hatten.
Das war ein rühriges Leben jetzt auf Nedderdorf.
Von dem starren Winterschlafe, der draußen Baum und Scholle umfangen hielt, merkte man in dem alten grauen Gutshaus nichts; allenthalben gab es da schaffende Hände und frohe Augen. Drunten in dem großen Parterrezimmer hatte Mutting ihre Schneiderwerkstatt aufgeschlagen. Da saßen Gusting und Körlin an den rasselnden Nähmaschinen; das Linnen knisterte, die Spule surrte, und Muttings Schere vervollständigte mit eintönigem Quietschen das Terzett, Manchmal griffen auch Hänschen und Fränzchen in das melodische Konzert ein, wenn Muttings Hand sie jetzt noch eiliger als sonst mit festem Griff vor die Tür setzte. Ihr Forschungstrieb brachte sie in allzu gefährliche Nähe mit dem Rädermechanismus.
Die armen Zwillinge waren jetzt jedermann im Wege. Karl Heinz, der hinter der verschlossenen Tür bei seiner Schnitzarbeit hockte, streckte auf ihr wiederholtes Anklopfen nur eine verheißungsvolle Faust durch die Türspalte. Fräulein ertappte sie dabei, wie sie in ihren Weihnachtsgedichten jedes l und b mit roter Tinte anstrichen. Mary, die gerade im Schweiße ihres Angesichts »Piep« auf die Vogeldecke stickte, hatte auf die Aufforderung der beiden Kerlchen, mit ihnen einen Schneemann zu bauen, nur ein wenig liebenswürdiges: »Dumme boys, laßt mir in Ruh; ich habe aller Händen voll zu tun.« Selbst bei Jürgens, der letzten Zuflucht, fand ihr freundschaftlicher Vorschlag, ihm bei dem Lackieren des Schlittens »'n bischen tau helpen«, nur geringen Anklang. Aus der Küchenregion waren sie schon zweimal fortgejagt worden. Das waren die sogenannten Vorfreuden zum Weihnachtsfest!
Aber zehn Tage vor Weihnachten, wenn des Abends in der Dämmerung schon der Ruklas von Tür zu Tür geht und nach braven und bösen Gören herumhorcht, bemühten sich selbst die kleinen Nedderdorfer Vagabunden, ihr möglichstes in Artigkeit zu leisten. Daß es ihnen meistens vorbeigelang, war nicht immer ihre Schuld.
Diesmal konnte nur Mary was dafür, die lange Cousine; warum mußte die ihre Sachen auch heute im Kinderzimmer herumliegen lassen! War es Hänschen und Fränzchen zu verdenken, daß sie, nachdem der Schneemann nun endlich nach vieler Mühe zustande gekommen war, ihn auch so schön als möglich ausstaffieren wollten? Marys neuer roter Winterhut, den das eitle Ding aus Mangel an passender Gelegenheit zu jeder Dorfbestellung aufsetzte, lag auch gar zu verlockend da,
»Ach nein, was läßt der ihm schön!« Die beiden kleinen Burschen faßten sich bei den rotgefrorenen Händen und vollführten einen unzivilisierten Hottentottentanz um ihr merkwürdiges Geschöpf. Mit schwarzen Kohlenaugen schielte der Schneemann betrübt an der dicken Rübennase hinunter; sein unternehmungslustiger roter Hut stand in seltsamem Gegensatz zu der griesgrämigen Miene.
»Die Botenfrau!« erklang es plötzlich in zweistimmigem Jubel. Mit geheimnisvollen Päckchen und Paketen beladen, kam ein vermummtes Etwas die Landstraße durch den tiefen Schnee dahergestampft. Die Botenfrau war jetzt im Winter ein beliebter Gast auf den Gütern, und ganz besonders vor Weihnachten. Hänschen und Fränzchen bohrten denn auch bereits wißbegierig ihre kleinen Zeigefinger in die verschiedenen Papierhüllen. Der Schneemann war vergessen; Marys roter Hut thronte vereinsamt auf dem dicken weißen Kloß. Die Wintersonne kam mit fahlem Schein über den Hof spaziert und beguckte sich den schmucken Schneemann von allen Seiten. Jetzt begann sie ihn übermütig mit blaßgelben Strahlen zu bewerfen, bis dem armen wehrlosen Wicht kalte Schweißtropfen auf der Stirn perlten; Marys schöner roter Hut zeigte feuchtschwarze Flecke. Nun verkroch sich die Sonne, denn übers Feld schnob plötzlich ihr Feind, der Wind, daher; auch der machte bei dem putzigen Schneemann halt. Er fuhr ihm mit seiner eisigen Hand ins Gesicht, zupfte ihn an der langen Rübennase, und schließlich entriß er ihm, den wütenden Kohlenaugen zum Trotz, hohnlachend die feine Kopfbedeckung. Mitten in eine grauschwarze Schneelache trieb er den eleganten Londoner Hut. Da lag er nun, Marys ganzer Stolz, bis Peter, der frierend herumstreichende Kater, ihn als warme Schlafstätte mit in den Stall zerrte. Am anderen Morgen beförderte ein Knecht das formlose Ding mit der Forke in die Meßkute. Das war das Ende von »das neuer roter Hut«. Das Ende aber von Fränzchens und Hänschens Heldentat war die Einweihung der bunten Weihnachtsrute. Aus der Kinderstube erschallte Jammern und Wehklagen, und im Nebenzimmer tropften heiße Tränen aus blauen Mädchenaugen auf das in rotem Kreuzstich prangende »Piep«.
Zehn Tage sind für sehnende Kinderherzen eine lange Zeit. Vor Weihnachten zählen sie doppelt, aber trotzdem – einmal gehen auch sie hin.
Heiligabend war herangekommen. Wo zwei zusammenstanden, sah man sie tuscheln und flüstern. Man traf überall auf zugesperrte Türen; jedes Gesicht war ein großes Geheimnis.
Ein wunderbares Geruchgemisch von Scheuerseife, harzigen Tannenzweigen, Pfefferkuchen und Marzipan durchströmte das große Gutshaus. Dörthe wachte mit Argusaugen, daß jeder Eintretende sich auch ordentlich »de Fäut abpeddte«; ihre gescheuerten Fliesen blitzten.
»Madaming, Pepperkauken, Peppernoet und Christstoll sünd nu all prat,« schrie sie durch das Haus; aber Frau Lisabeth hörte nicht. Die war heute überall und nirgends. Jetzt deckte sie die Riesentafeln im Speisesaal mit leuchtendem Damast; dann schleppte sie Körbe mit rotbäckigen Weihnachtsäpfeln und Säcke mit Nüssen herbei, alles Nedderdorfer Erzeugnisse. Hier riß sie Mamsell, die mit glühendem Gesicht, wie die Hexe aus Hänsel und Gretel, vor dem Ofenloch hockte, das zu stark gebräunte Marzipan aus der Hand, und »Nee, Kinnings, die Lichter hoppen ja wie die Krähen up und dal; die laßt man Vating anmachen!« rief sie im Vorbeijagen Karl Heinz und Mary zu, die den Ausputz des Tannenbaumes übernommen hatten.
Mary war in einer Märchenwelt. Niemals hatte sie einen Weihnachtsbaum gesehen; nur der Vater in London hatte von seiner fröhlichen Kinderzeit und der lichtfunkelnden Tanne am Christmas erzählt. Sie hatte der Geschichte gelauscht, wie jedem anderen Märchen. Aber daß dieses »Es war einmal« lebendige Gegenwart und sie selbst mitten in dieses Winterwunder hineinverzaubert werden konnte, das hatte sie nie gedacht. Nun durfte sie den Märchenbaum sogar schmücken! Lichtfunkelnde Sterne, silbern blinkende Kugeln und glitzernde Flimmerfäden schlang sie in das feine Geäst, flaumige Watteflocken puderte sie darüber; Silber und Weiß, nichts Buntes, denn die edle Schönheit der Tanne durfte nicht gestört werden. Karl Heinz hatte den technischen Teil der Arbeit übernommen; er befestigte geschickt nach Marys künstlerischer Anweisung die Gegenstände in den Zweigen, versilberte die schlanken Tannenzapfen und versuchte dazwischen alle Augenblicke mal, ihr mit seinen klebrigen Händen heimtückisch in das Gesicht zu fahren. Das gab dann immer ein lautes Juchhei, so daß der Weihnachtsbaum bedenklich sein grünes Haupt über die großen Kinder schüttelte.
»Gören, wollt ihr woll Frieden halten, am Heiligabend obenein!« Vating, der das Scharmützel beobachtet hatte, faßte Mary links und Karl Heinz rechts beim Schlafittchen. »Der Ruklas wird bald kommen, und ihr seid mit dem Baum noch nicht mal tau Paß. Man lößing, 'n bischen Galopp! Ich muß die lütten Fohlen hier doch wirklich erst noch auf 'n Trab bringen.«
Mary sah erschreckt auf die große Familienstanduhr. Dear me, gleich drei, und was hatte sie noch alles bis zur Bescherung zu tun! Ihre Arbeiten waren ja glücklich fertig geworden; allerdings hatte sie gestern bis in die Nacht hinein gestickt, so daß Onkel U–aldemar, der den hellen Lampenschein sah, selbst nach oben kam, um dem »Unfug« zu steuern. Aber es war noch nichts verpackt, und Karl Heinz hatte gesagt, Geschenke hinlegen, das sei »dummes Tüg«, und nur für die Gören und die Hoflüd. »Ein echter, rechter Julklapp möt dat sin, sunst leiwer gor nich!«
Draußen kam leis und still die Dämmerung über die festlich weiß gedeckten Äcker und Wiesen geschritten und lugte durch die Eisblumen hindurch in die Fenster des Nedderdorfer Herrenhauses. Waren die denn noch nicht »prat«?
Mutting ging mit fröhlichen Augen an der bunten Weihnachtstafel entlang, rückte hier an Minings Schürze, zupfte dort Gustings Sonntagskleid in noch schönere Falten, belegte die schwarze Ohrenklappenmütze für Jürgens mit funkelnden Talern und stand jetzt, still vor sich hin lächelnd, vor lütt Susings Spielsachen.
Vating thronte oben auf dem Trittstuhl und ärgerte sich mit den Weihnachtskerzen herum, denn die »Nickels« wollen immer nicht brennen, wenn sie sollen. Er war so in dieses wichtige Geschäft vertieft, daß er gar nicht merkte, wie sich draußen die Dämmerung davonschlich, und lautlos die heilige Nacht vom Himmel herniedersank. Er sah nicht, daß der liebe Gott die funkelnden Sternenlichter an dem großen Weltenweihnachtsbaum droben bereits entzündet hatte; nur in der Kinderstube hatte man dessen acht. Da drückten die Lütten, die vor Erwartung und Vorfreude schon recht schläfrig waren, die Näschen gegen die eisigen Scheiben, hauchten Gucklöcher in den blinkenden Kristallvorhang und äugten, ob denn der große Wolkenschlitten des Ruklas noch immer nicht dahergebraust komme. Horch, Glockengeläut! »Jetzt kommt er!« riefen sie erlöst. Ja, jetzt kam er, und wenn es auch nur Vatings Klingel war, die Pforten zur Kinderseligkeit taten sich doch endlich auf.
Scheu und von der plötzlichen Lichtfülle geblendet, drückten sich die Kleinen an die Wand, bis Fränzchens seliger Ausruf »Kiek eins, ein Schaukelpferd!« und Suschens helles Gejauchze das Freudensignal gab.
»Mutting natürlich mang ihrem Kroppzeug, wie die Klucke unter den Kücheln,« rief Vating lachend, als Frau Lisabeth, selber ein glückseliges Kind, ihre Sprößlinge auf den neuen Holzgaul hob, den Vorhang zum Puppentheater auf und nieder rollen und lütt Susing nach den blinkenden Kugeln greifen ließ.
»Na, denn man tau, ihr andren all; denn muß ich woll Bärenführer sein! Also Mamselling hier an der Eck, dann Dörthe – so Mining, Gusting, ihr Mätens, das möt ihr woll denn sin, nu die Hofdirns all, und drüben die Knecht – Jürgens dort baben am annern Tischend!« Lachend trocknete sich Vating von der Anstrengung die Stirn.
Aber Mutting war nun auch so weit, daß sie Dörthe in das warme Umschlagetuch wickeln, Jürgens, dessen Gesicht von der Scheuerseife wie feurige Kohle erglühte, die Pelzmütze auf das graue Haar stülpen und den Hofdirns ihren »Heilchrist« einsacken helfen konnte. Das war ein Freuen, Einanderzeigen und Sichbedanken ohn' Ende, Karl Heinz, immer mittenmang, lief von einem zum anderen, und dazwischen wieder einmal hinaus, ob auch sein Julklapp noch wohlverwahrt im Besenschrank liege.
Und Mary? Die war still und bedrückt am Türpfosten stehen geblieben, und da stand sie noch. Mit weitgeöffneten Augen schaute sie in den strahlenden Lichterbaum, auf die jubelnden Kleinen und die frohen dankbaren Gesichter der Leute. Wie Tanting und Onkel für jeden ein freundliches, aufmunterndes Wort hatten, wie Karl Heinz sich mit allen freute, ja, das war doch hier ganz anders als daheim in London! Als dann Taute Lisabeth sie in die Stube hineinzog und ihr lächelnd ins Ohr flüsterte: »Brauchst nicht bange zu sein, mein Dirn; der Ruklas hat dich nicht vergessen! Unser Julklapp kommt später; erst mal die Bescherung für die Lütten und die Leut!« da warf sich Mary plötzlich, trotz der vielen fremden Augen ringsum, an Tantings Brust, »O Tante Lisabeth, what a beautiful Christmas!«
Frau Lisabeth drückte Marys Kopf liebevoll an sich, und in Gedanken verwandelten sich die lichten Blondhaare unter ihrer Hand in glänzende dunkelbraune Flechten; feuchtschimmernde Mutteraugen suchten die Ferne, und als Frau Lisabeth jetzt zu ihrem Manne hinübersah, da stand er mit weichem Blick vor dem kleinen Kinderbildnis, das die Leni als lüttes Wurm darstellte. »Je, Mutting, nu helpt das nich mehr,« er zwinkerte ein wenig verlegen mit den Augen, »aber fehlen tut einem der Slingel heute, was, Alte?«
Jetzt war keine Zeit für wehmütige Gedanken. Dörthe humpelte bereits auf Frau Lisabeth zu und meldete: »Sei sünd nu all buten, Madamming.«
»Na, denn laßt sie man in kommen!« Über das noch eben ernste Gesicht der Gutsherrin huschten schon wieder die ersten Sonnenstrahlen.
Ein Schurren, Schlürfen, Stolpern und Trampeln. Wieder öffnete sich die breite Tür, und da schoben sie sich, den Zeigefinger im Mund, in die Weihnachtsstube hinein: die Tagelöhnergören all, die ganze lütte Gesellschaft. Einige wohlgemeinte Aufmunterungspüffe von Karl Heinz, dann hoben sich die sauber gewaschenen Gesichter zu der Gutsherrschaft empor. Die lütten Dirns zupften noch immer schüchtern an ihren Schürzen herum, aber die Jungs äugten bereits sehnsüchtig zu den großen Kiepen mit rotbäckigen Äpfeln und Peppernoet hinüber. Ein winziges dreistes Bürschlein stellte sich, die Hände in den Taschen der von Hänschen ererbten Hosen, breitspurig vor Frau Lisabeth und begann mit schmetternder Stimme: »Stille Nacht, heilige Nacht!« Er wußte es noch vom vorigen Jahr: eher gab's keinen Heilchrist.
Nun fielen sie alle ein, die Flachsköpfe; auch die Nedderdorfer Kleinen sangen mit. Aus unschuldigem Munde zogen die Klänge des Weihnachtsliedes himmelan, und der Lichterbaum spiegelte seine Kerzen in reinen Kinderaugen.
Aber kaum war der letzte Ton verhallt, begann das Stoßen, Schubbsen und Vorwärtsdrängen, denn ein jedes wußte: »Nu möt dat woll kummen!« Keines wollte zurückbleiben.
Lächelnd griff Frau Lisabeth nach den Körben.
»Halt up, Dirn!« Karl Heinz ließ die roten Weihnachtshähnchen in die geflickten Schürzen und begehrlich hingestreckten Mützen rollen. »Flitzing, wirst woll nich so drängeln! Eher ich nich komm, geiht dat doch nich los,« und »ih, täuw du man, hier wird nich geflunkert! Du hast dein Sach all!« Er schob den dreist seine Mütze das zweite Mal hinhaltenden Hanne kräftig zurück.
Mary, der die Verteilung der Peppernoet zufiel, kam dem Amt mit pedantischer Langsamkeit nach. Ob die Gören auch noch so sehr nach dem süßen Weihnachtsgebäck angelten, es half ihnen nichts. »Eins, zwei, drei, vier, fünf – oh, ich habe mir verirrt!« Sie begann wieder von vorn die Pfeffernüsse abzuzählen, zwanzig Stück für jeden, beileibe keine mehr!
»Prinzeßchen, du stehst ja woll bis Neujahr hier und kommst doch mit dem Geschäft nicht tau Rand; kiek man, wie die Gören lauern! Da, Jung, und da!« Karl Heinz griff mit beiden Händen in den Sack und ließ einen lustigen Pfeffernoetregen auf die zappelnden Gören herniederprasseln. »Sühst, Prinzeßchen, das schafft better!«
Nun kamen die von Mary angekleideten Puppen an die Reihe; jede kleine Dirn erhielt eine »Popp« und die lütten Slingel warme Winterhantschen. Frau Lisabeth verabfolgte die Christstollen, Dörthe den Pottkauken, und Vating, der doch auch sein Teil dabei tun wollte, ab und zu eine lütte Vermahnung.
»Paß auf, Krischan, wenn ich dich wieder achter der Stickelbeerheck erwisch! Und wen hab' ich denn neulich im Dustern bei den Kartoffelmieten ertappt, he? Na, du Klaas, brauchst nich gleich zu rohren! Und täuw du man, Mariken, daß du mir nich wieder die lütten Gössels herümmerjagst, sonst bringt der Ruklas nächst Jahr nur 'ne Rut zum Heilchrist, verstanden!«
»Ick bedank mi – ick bedank mi ok velmals – velen Dank ok!« Beladen mit Pupps und Hantschen, Äpfeln, Weihnachtskuchen und Ermahnungen drängte die Görengesellschaft zur Tür hinaus.
Nun war es wieder ruhig in der Weihnachtsstube, aber nur für kurze Zeit.
»Julklapp!« erklang es mit schauriger Stimme. Da öffnete sich die Tür und eine verkleidete Gestalt mit grauen Haaren wurde sichtbar. »Julklapp!« Da warf eine runzlige Hand große und kleine Päckchen durch die Türspalte. »Julklapp, Julklapp!«
Hei, wie die Kisten, Schachteln und Pakete flogen! »Au, mein Bein!« – »Holla, nicht in den Spiegel!«
Der Ruklas draußen kehrte sich nicht an die lachenden und zankenden Ausrufe. »Julklapp – Julklapp – un so, dat is nu all!« tönte plötzlich die Stimme von oll Jürgens deutlich aus der Ruklasvermummung heraus.
Die Tür schloß sich. Drinnen aber gab's jetzt ein allgemeines Lachen, Necken, Zerren, Suchen, Finden und Raten. Der Bindfaden flog, das Papier knisterte, die Holzwatte raschelte.
»Fräulein Mary Sürsen, hier – da – noch eins!«
»Oh, so vieler Bogens! Jetzt it will come – no – immer nicht, but now, oh, das schöne neue Hut, Tanting, oh, many thanks!«
Aber Tante Lisabeth machte ein sehr erstauntes Gesicht. »Einen neuen roten Hut und von mir? Ih, Kind, das sollt mir wohl einfallen! Bist mir schon eitel genug!«
»Oh, Onkel U–aldemar!« Mary hing sich an den Onkel. »Du hast es mich geschenkt –«
»Nee, Dirn!« Der Onkel lachte dröhnend. »Da kommst grad an den Richtigen! So 'n Firlefanz und von mir? Nee, da mußt ein Haus weitergehen!«
Aber auch Karl Heinz wußte nichts davon; niemand wollte es gewesen sein.
Da – der allerliebste Nähkasten! Dear me, große Wirtschaftschürzen, brrr! Mary schüttelte sich. Aber hier das feine Halskettchen, oh, wie sweet! Immer neue Kisten und Pakete.
»Prinzeßchen, hast ja noch eins vergessen!«
Karl Heinz, der, umgeben von Büchern, seltenen Marken, Laubfröschen und Sportschlittschuhen, zwischen den Papieren herumstöberte, zog noch ein Päckchen hervor. »An das lütte Frölen Miß,« stand in ungelenken Buchstaben darauf. Mary öffnete begierig.
»Pfui, gräßlicher Pulswärmers! No, never ich ziehe ihnen an! Und ein Affen von Holz? Jung, boy, oh, das ist schlecht! Du willst mir verärgern, oh!« Tränen der Empörung traten dem Backfischchen in die Augen.
Karl Heinz lachte hellauf.
»Nee, Dirn, ich weiß nix nich davon, aber denken kann ich mir's. Jürgens, uns' oll Jürgens schnitzt uns Gören, ob groß ob klein, jede Weihnachten Holztierchen; wir haben ja nu all den ganzen zoologischen Garten beisammen. Nee, der wollt' dir man 'ne Freude damit machen, Prinzeßchen; kiek, ich hab' 'nen Esel gekriegt.«
Mary traute dem Neckbold noch nicht recht. Als sich jedoch Jürgens bald darauf zur Tür hereinschob und recht treuherzig sagte: »Na, Frölen Miß, Sei hürn doch nu mang dat lütte Pack; da möt ick Sei doch ok so 'n Biest maken,« und Dörthes graues Haarzöpfchen hinter seiner Schulter auftauchte: »Un de Pulswärmer, lütt Frölen, de sullen Sei noch warm hollen, wenn oll Dörthe lang nich mihr is,« da traten Mary wieder die Tränen in die Augen, aber diesmal vor Beschämung. Sie reichte in einer herzlichen Aufwallung den beiden treuen Leuten die Hand zum Dank.
»Und weißt woll noch, Jürgens, wie verbohrt dat was, as dat tau uns kam? Äwerst et was man de pure Dämlichkeit von ehr; nu hat sich dat doch noch ganz verstännig herutgemunstert.« Mit »dat« war Mary schmeichelhaft gemeint.
»Je, so wie uns' Lening ward dat doch nie nich.« Jürgens betrachtete wehmütig die neue »Tobakpiep« und Dörthe die schönen »gräunen Tüffel«, die Lening für die alten Freunde in der großen Weihnachtskiste heimgesandt hatte.
Ja, Leni hatte niemand vergessen. Selbst an Mary und Cäsar hatte sie gedacht.
»Julklapp!« Ging denn das schon wieder los? Der Ruklas schien diesmal Stimmwechsel zu haben, und Muttings verkehrter Pelzmantel deckte seine langen, dünnen Beine nur unvollkommen.
»Miß Miezeken Sürsen.« Dear me, das große Paket, da war gewiß der kleine Schreibtisch drin, den sie sich sehnlich wünschte! Nahmen denn die Packbogen immer noch kein Ende? Der ersehnte Schreibtisch konnte es jetzt schon nicht mehr sein; vielleicht eine neue Bluse? Da, ein Karton – bless me – wieder nur Papiere, und Karl Heinz, der silly boy stand verschmitzt lächelnd daneben. Auch Onkel und Tante, welche die Schnitzarbeiten gebührend bewunderten, die der Ruklas ihnen soeben verehrt hatte, sahen neugierig zu. Hänschen und Fränzchen vergnügten sich mit ihrem Schaukelpferd in der Holzwolle auf dem Boden; selbst lütt Suschen wühlte in dem Papierberg.
»Now es kommt out,« verkündete Mary triumphierend, »look here the box.« Sie öffnete erwartungsvoll die Schachtel; ein großer Feldstein lag darin.
»Oh, that is bostrachtig, that is nieder – –«
Sie kam nicht weiter, denn Karl Heinz hatte sie schon beim Wickel und wirbelte sie unter dem Gejohle der Lütten einigemal um den Weihnachtsbaum herum.
»Prinzeßchen, Dirn, wer mag man so bosträchtig und niederhaft gewesen sein? Na, lat sin, der Slingel kriegt's mit mir zu tun!«
Mary hörte nicht; sie hatte dem ungalanten Vetter schon längst den Rücken gekehrt.
»Kiek doch erst eins nach, ob wirklich nichts weiter in is, du Knurrgör.« Damit versuchte Karl Heinz wieder die Freundschaft zu leimen.
»Ein Zettel, ein Zettel!« trompeteten Hänschen und Fränzchen gleichzeitig; mühsam begannen sie zu buchstabieren:
»Julklappsuchen mußt! Sei schlau!
Süh man bei der Standuhr tau.«
Mary rührte sich nicht.
»Dirn, Trotzen beim Julklappen is nich! Necken und pisacken, dat möt nu mal sin; man los!« drängte Karl Heinz.
Stolz und Neugier kämpften einen heftigen Streit in dem Herzen des Backfischchens, aber die Neugier blieb Siegerin. Langsam bequemte sich Mary dazu, der alten Familienstanduhr einen Besuch abzustatten. Keine Spur von einem Geschenk, nicht im Gehäuse, nicht oben hinter den altmodischen Holzpuppen – das große Mädel warf sich lang auf die Erde – auch nicht unter der Uhr. Aber da halt, am Gewicht das Weiße, ein beschriebener Zettel war's:
»Uhr, die spricht: Tick-tack, tick-tack,
Auf dem Ofen liegt's, kein Snak!«
»Mining, einer Leiter, einer hoher Leiter!« Die junge Engländerin hatte endlich den fröhlichen Humor des Julklappsuchens erfaßt. Mit heißen Wangen begab sie sich auf ihre Hochtour.
»Nothing at all!« Speisezimmer, Wohnzimmer, Vatings Zimmer, Kinderstube und Ankleideraum, Mary machte eine Rundreise von einem Ofen zum anderen; da endlich, auf Mamsells Ofen, aber wieder nur ein Zettel:
»Miezeken, du lüttes Gänschen,
Ob's im Stiefel steckt von Hänschen?«
Es blieb Mary keine Zeit, Karl Heinz für sein »Gänschen« zu bestrafen. Sie hatte bereits das sich sträubende Hänschen in eine Ecke geklemmt und untersuchte beide Stiefel des mit Händen und Füßen sich verteidigenden Wildfangs.
Nichts! Aber da unter der Sohle klebte ja ein Zettel! Mary hob Hänschens strampelndes Bein zum Licht empor und entzifferte:
»Arme Dirn, 's ist bannig swer,
Mang den Kohlen findst du's eh'r.«
Es half alles nichts, Mary mußte mit ihren feinen weißen Fingern die Kohlenkiste durchstöbern. Solch eine Schlechtigkeit von dem Jung'! Aber wenn sie das Geschenk haben wollte – – – »Oh, wieder nur einer Zettel; boy, du uzt mir only. No, ich u–ill ihm nicht lesen!« Aber sie schielte doch auf das Blatt.
»Je, dat helpt nich, fix zur Tenne!
Frag man dort die weiße Henne.«
»Dear me, in das Tenne, now in das Nacht? Oh no, du kannst deiner Geschenk behalten!« Mary hatte genug vom Suchen.
Aber Karl Heinz ließ nicht locker. Er ruhte nicht, bis Mary Muttings großes Tuch umnahm, Jürgens die Stalllaterne entzündete, und nun ging es unter tumultartigem Freudengeheul der Lütten über den schneeschimmernden Hof zur Scheune. Dort in der Ecke hatte die weiße Henne ihr Nest.
Mit unbehaglichen Blicken schaute das Backfischchen in das undurchdringliche Dunkel; nur der trübe Schein von Jürgens Laterne hüpfte unstet an dem dunklen Holz auf und nieder.
»Ümmer neger,« ermutigte Karl Heinz, aber Mary war nicht dazu zu bewegen.
»So 'n Frauenzimmer is doch hellschen feige!« Jürgens und Karl Heinz waren einer Meinung.
Mary stand bocksteif; keinen Schritt ging sie weiter.
»Je, denn möt ick dat olle Worm woll 'n beten helpen.« sagte der gutmütige Jürgens und zog Mary ein paar Schritt nach sich. »De Dusternis dauht Sei nix nich, lütt Frölen; kieken Sei man 'n beten tau Höchten!« Er beleuchtete das Gebälk.
»Oh, what a großer box!« Marys Mut hob sich beim Anblick des Geschenkes; sie griff danach.
Die weiße Henne unten im Nest verhielt sich menschenfreundlich; ungefährdet konnte Mary ihren mühsam errungenen Julklapp ins Haus befördern.
Es lohnte sich. Ein allerliebster, mit weißem Mull bespannter Ständer, eine Schublade für Bänder, die zweite für Handschuhe und die dritte für Gürtel, kam aus der Kiste zum Vorschein.
»Karl Heinz, boy, du bist doch ein gutes Jung!« Der Friede war wiederhergestellt.
Noch einmal sprach der Ruklas heute abend im Nedderdorfer Gutshaus vor. Einen lichten Blondkopf steckte er zur Tür hinein, und mit heller Mädchenstimme rief er: »Julklapps – Julklapps!« Und dann verleibte Onkel U–aldemar die Schlüsseltasche feierlich seiner Raritätensammlung ein, Tante Lisabeth lachte Tränen über Marys pietätvolles »Schlafe wohl, Piepmatz«, und Karl Heinz stolzierte im Vorgefühl künftiger Größe mit der Schnurrbartbinde über den frischen Jungenlippen probeweise umher.
Als die Lichter am Nedderdorfer Weihnachtsbaum längst niedergebrannt waren, funkelten und blitzten droben die Himmelslichter noch immer. Sie flimmerten in die Tagelöhnerhütten und in das Herrenhaus. Friedlich schlummernde Kinder allerorten, ein glückseliges Lächeln auf den reinen Zügen. Und dort in dem traulichen Wohnzimmer des alten grauen Gutshauses Vating und Mutting vor der aus London gekommenen Weihnachtskiste. Leis und zart strich eine Frauenhand über die Gaben des fernen Lieblings. »Min oll leiw Dirn, nein, was mag sie sich heute heimgebangt haben!«