Iwan Turgénjew
Aus der Jugendzeit
Iwan Turgénjew

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VIII.

Es mochten seit den eben geschilderten Ereignissen etwa drei Jahre verflossen sein, als ich mich wieder einmal auf meinem Landgute befand. Ein Diener trat zu mir ins Zimmer und sagte, daß eine Frau Poltew mich zu sprechen wünsche. Ich kannte nun keine Frau Poltew und der Diener hatte auch, als er mir die Meldung machte, auf etwas sarkastische Art gelächelt. Auf meinen fragenden Blick theilte er mir mit, daß die Dame, welche mich zu sprechen wünsche, jung sei, ärmliche Kleidung trage und in einem Bauernwagen angekommen sei, dessen einziges Pferd sie selbst gelenkt habe.

Ich ließ der Frau Poltew sagen, daß ich sie in meinem Arbeitszimmer sprechen werde.

Bald stand ich einer etwa fünfundzwanzigjährigen Frau gegenüber, die den Anzug des kleinen Bürgerstandes trug und ein Tuch um den Kopf geschlungen hatte. Das Gesicht bot nichts ungewöhnliches; es war ein bischen rund, deshalb aber nicht ohne Anmuth. Sie hielt die Augen gesenkt – später konnte ich bemerken, wie kummervoll und traurig ihr Blick war. Alle ihre Bewegungen zeugten von Scheu und Verlegenheit.

»Sie find Frau Poltew?« fragte ich, sie mit einer Handbewegung einladend, Platz zu nehmen.

»Jawohl, mein Herr!« antwortete sie mit leiser Stimme und ohne sich zu setzen. »Ich bin die Wittwe Ihres Neffen Michael Andrejewitsch Poltew.«

»Michael Andrejewitsch ist todt? Seit wann? Aber bitte, nehmen Sie doch Platz.«

Sie ließ sich auf einen Stuhl nieder.

»Vor fast zwei Monaten ist er gestorben.«

»Sind Sie lange mit ihm verheirathet gewesen?«

»Ich habe im Ganzen ein Jahr mit ihm zusammen gelebt.«

»Woher kommen Sie jetzt?«

»Aus der Gegend von Tula. Dort liegt ein Dorf, das Snamonskoje-Gluschkowo heißt; vielleicht kennen Sie es. Ich bin die Tochter des dortigen Küsters und dort haben auch mein Mann und ich gelebt. Er ließ sich bei meinem Vater nieder. Ja, ein Jahr lang haben wir zusammen gelebt.«

Die junge Frau hielt ihre Hand vor die Augen; die Lippen zitterten leicht. Man sah, daß es sie drängte zu weinen, aber sie bezwang sich und unterdrückte die Bewegung mit einem Husten.

»Mein armer Mischa Andrejewitsch hat mich, bevor er aus dem Leben schied, beauftragt, Sie aufzusuchen. Du mußt auf jeden Fall zu ihm reisen, hat er gesagt. Und dann befahl er mir noch, daß ich Ihnen für alle Ihre Güte danken – und daß ich – Ihnen dies hier –« (sie zog ein kleines Päckchen aus der Tasche) – »dies hier übergeben soll – eine Kleinigkeit, die er stets mit sich herumtrug. Und Michael Andrejewitsch hat noch gesagt, Sie möchten es, wenn es Ihnen gefällig ist, zum Andenken an ihn annehmen. Sie möchten, sagte er, das kleine Geschenk nicht zurückweisen, denn ein anderes kann er Ihnen nicht machen.«

Das Päckchen enthielt eine kleine silberne Tasse mit dem Namenszuge von Mischa's Mutter. Ich hatte die Tasse oft in Mischa's Hand gesehen und erinnerte mich, daß er einst, als wir von irgend einem armen Teufel sprachen, sagte: »Ja, der ist wirklich arm, denn er besitzt weder Tasse noch Schüssel, während ich doch immer noch dieses Täßchen hier habe.«

Ich dankte der jungen Frau, nahm die Tasse und fragte dann: »An welcher Krankheit starb Mischa? Vermuthlich doch –«

Ich biß mich auf die Zunge, aber die Frau verstand nur zu gut, was ich hatte sagen wollen. Sie warf einen schnellen Blick auf mich, senkte dann wieder die Augen und sagte mit traurigem Lächeln: »O nein! Seit dem Tage, da er mich kennen gelernt, hat er darauf vollständig verzichtet. Aber wie stand es mit seiner Gesundheit? Sie war vollständig zerstört. Sobald er das Trinken aufgab, packte ihn die Krankheit mit grimmigster Gewalt. Und er war doch so vernünftig, so ordentlich geworden! Immer wollte er meinem Vater helfen – in der Hauswirthschaft, oder im Garten, oder wo es sonst nur irgend etwas zu thun gab. Er schämte sich der Arbeit garnicht, obwohl er doch von adliger Geburt ist. Aber woher sollte er die Kräfte nehmen? Dann wollte er sich als Schreiber beschäftigen; Sie wissen vielleicht noch, daß er mit diesem Fach sehr vertraut war. Aber seine Hand zitterte, und er konnte die Feder nicht so halten, wie es beim Schreiben nöthig ist. Er machte sich die heftigsten Selbstvorwürfe. Weiße Händchen habe ich, sagte er, die Hände eines richtigen Nichtsthuers, eines Müßiggängers. Ich habe Niemandem etwas Gutes erwiesen, Niemandem geholfen, habe niemals gearbeitet! Das war's, worüber er sich am meisten grämte. Er sagte: Unser Volk quält und schindet sich ab und wir – was thun wir inzwischen? Ach, Nikolai Nikolajewitsch, er war wirklich herzensgut – und er liebte mich so sehr – auch ich – ach verzeihen Sie –«

Die junge Frau brach in Thränen aus. Ich hätte sie so gern getröstet – aber wie sollte ich das anfangen?

»Haben Sie ein Kind?« fragte ich endlich.

Sie seufzte.

»Ein Kind? Nein?« – Und ihre Thränen flössen noch stärker.


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