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Sogleich nach unserer Ankunft wurde ein Zimmer für ihn in Ordnung gebracht, vor allen Dingen aber wurde für ihn ein Bad bereitet, das war es, worauf es dem Augenschein nach ganz besonders ankam. Seine gesammte Kleidung einschließlich des Dolches, der Fellmütze und der zerrissenen Stiefel wurde zusammengepackt und in eine Kammer gelegt und dafür erhielt er Wäsche, Pantoffeln und Kleidungsstücke von mir; wie dies merkwürdigerweise bei armen Teufeln, die man mit solchen Gegenständen ausstattet, immer der Fall ist, paßten auch ihm die Sachen wie angemessen. Als er dann zu Tisch kam, gewaschen, sauber, frisch, da sah er so frohbewegt, so glücklich und dankbar aus, daß auch ich vor Rührung und Freude mich gehoben fühlte. Der Ausdruck seines Gesichtes hatte sich vollkommen verändert. So sehen wohl zwölfjährige Knaben am Ostersonntag aus, wenn sie das Abendmahl bekommen haben und nun mit ihren überaus stark pomadisirten Haaren, in neuen Anzügen und mit steifgestärkten Kragen in Begleitung ihrer Eltern ausgehen, um allen lieben Verwandten und Bekannten die »Osterküsse« zu verabreichen.
Mischa tastete fortwährend vorsichtig und mit der Miene eines Zweifelnden an sich selbst herum und wiederholte beständig: »Wie hängt denn das Alles zusammen? Sollte ich vielleicht doch schon im Himmel sein?«
Am andern Morgen erklärte er mir zum Ueberfluß auch noch, daß er vor Entzücken und Freude während der ganzen Nacht kein Auge habe schließen können.
Eine alte Tante mit ihrer Nichte lebte damals bei mir in jenem Landhause. Beide waren außerordentlich bestürzt, als sie hörten, daß ich Mischa mitgebracht hätte; sie konnten gar nicht begreifen, wie ich einen solchen verkommenen Menschen zu mir ins Haus nehmen könnte; der Ruf, der ihm voranging, war nämlich in Wirklichkeit so ziemlich der schlechteste, den ein Mensch überhaupt haben kann. Nun war ich aber erstens fest davon überzeugt, daß er sich den Damen gegenüber keine Freiheit herausnehmen würde, und zweitens hatte er mir ja fest versprochen, daß er sich bessern wolle. Und während der ersten beiden Tage rechtfertigte Mischa nicht nur die Hoffnungen, die ich auf ihn baute, sondern er übertraf noch in jeder Beziehung meine Erwartungen. Meine Damen waren von ihm geradezu entzückt. Mit der alten Tante spielte er Piquet, war ihr beim Garnwickeln behilflich und lehrte sie einige neue Arten des Patiencespieles; die Nichte, die eine allerdings nicht sehr umfangreiche Stimme hatte, begleitete er auf dem Klavier, auch las er ihr russische und französische Gedichte vor. Außerdem erzählte er den Damen lustige, dabei aber durchaus schickliche Anekdoten, mit einem Wort: er unterhielt sie so gut und erwies sich in kleinen Handgriffen und Dienstleistungen so geschickt und anstellig, daß sie ihr Erstaunen offen ausdrückten. Die Tante fügte noch hinzu:
»Da kann man wieder einmal sehen, wie ungerecht doch die Menschen urtheilen! Was haben sie nicht Alles über ihn zu erzählen gewußt und wie höflich, wie nett und artig ist er doch in Wirklichkeit. Armer Mischa!«
Nun muß ich allerdings erwähnen, daß der »arme Mischa« immer in besonders ausdrucksvoller Art die Lippen leckte, sobald er bei Tische eine Flasche auch nur von Weitem zu sehen bekam. Ich brauchte ihm jedoch nur mit dem Finger zu drohen, so schlug er die Augen zur Decke empor, legte die Hand aufs Herz und sagte: »Aber ich habe ja geschworen!«
»Ich bin jetzt wie vollständig umgewandelt,« versicherte er mich einmal über das Andere.
»Gott gebe, daß es wahr ist,« dachte ich bei mir selbst.
Leider hatte diese Umwandlung keinen langen Bestand.
Während der beiden ersten Tage war er sehr gesprächig, aufgeweckt und heiter. Aber schon am dritten Tage erschien er mir etwas verstimmt, obwohl er es noch nicht merken lassen wollte und nach wie vor bemüht war, in Gesellschaft der Damen zu bleiben und sie zu unterhalten. Auf seinem Gesicht lag ein Ausdruck, wie aus Traurigkeit und Nachdenklichkeit gepaart, und dieses Gesicht erschien mir auch etwas bleicher und eingefallener zu sein, als an den vorhergehenden Tagen.
»Solltest Du unwohl sein?« fragte ich ihn.
»Ja,« antwortete er; »ich habe etwas Kopfschmerzen.«
Am vierten Tage war er schon vollständig schweigsam. Er saß fast immer in eine Ecke gedrückt, ließ wie eine kummervolle Waise den Kopf hängen und sein betrübtes Aussehen erweckte das innige Mitleid der beiden Damen, die nun ihrerseits Alles aufboten, um ihn zu unterhalten und zu zerstreuen. Bei Tisch aß er nichts, starrte unverwandten Blickes auf seinen Teller und drehte mechanisch Brodkügelchen zwischen den Fingern.
Am fünften Tage hegten die Damen nicht mehr das Gefühl des Mitleids für ihn; an seine Stelle trat das des Mißtrauens und sogar der Furcht. Mischa blickte finster vor sich her; er mied jede Gesellschaft, schlich an den Wänden entlang wie Einer, der ein böses Gewissen hat, und drehte sich dann plötzlich mit schneller Wendung um, als glaubte er, daß ihn Jemand gerufen habe. Und wohin war die rosige Farbe seiner Wangen gekommen? Er sah aus, als sei er dem Grabe entstiegen.
»Bist Du noch immer unwohl?« fragte ich ihn.
»Nein, ich bin ganz wohl,« entgegnete er kurz und unwirsch.
»Langweilst Du Dich?«
»Weshalb sollte ich mich langweilen?«
Dabei wandte er sich zur Seite, als könnte er meinen Blick nicht ertragen.
»Ist vielleicht Dein alter Gram wieder erwacht?«
Er antwortete nichts auf diese Frage. In dieser Stimmung und Situation ging noch ein Tag vorbei. Am darauf folgenden Tage kam die Tante eiligst in mein Arbeitszimmer gelaufen; sie befand sich sichtlich in großer Erregung und erklärte kurz und bündig, daß sie mit ihrer Tochter das Haus verlassen werde, wenn Mischa noch länger in demselben bleibe.
»Aber weshalb denn?«
»Weshalb? Weil wir nicht wissen, wie wir uns vor ihm in Acht nehmen sollen, das ist ja gar kein Mensch mehr! Er läuft herum wie ein Wolf, ja, wie ein tollgewordener Wolf! Er geht umher, immer auf und ab, spricht kein Wort dabei, und sieht Einen nur so fürchterlich wild an! Es fehlte nur noch, daß er mit den Zähnen fletscht. Du weißt ja nun doch, daß meine Katia so sehr nervös ist. Vom Tage seiner Ankunft an hat sie sich für ihn interessirt. Jetzt habe ich natürlich Furcht, ihretwegen, und auch meinetwegen.«
Ich wußte nicht, was ich meiner Tante antworten sollte. Unmöglich konnte ich Mischa so ohne Weiteres wieder aus dem Hause weisen, nachdem ich selbst ihn zu mir eingeladen hatte.
Er selbst befreite mich aus der sehr peinlichen Situation.
An demselben Morgen, ich hatte mein Arbeitszimmer noch nicht verlassen, hörte ich plötzlich hinter mir eine dumpfe, mißlautende Stimme.
»Nikolai Nikolajewitsch! Heda, Nikolai Nikolajewitsch!«
Ich wandte mich um; in der Thür stand Mischa. Sein Gesicht war schrecklich anzusehen; ganz entstellt und finster blickte er drein.
»Nikolai Nikolajewitsch!« wiederholte er. (Er nannte mich nicht mehr »Onkelchen.«)
»Was willst Du?«
»Lassen Sie mich meines Weges gehen, sofort!«
»Wie meinst Du?«
»Sie sollen mich weiterziehen lassen. Sonst richte ich ein Unglück an; ich stecke das Haus in Brand oder ich schlage irgend Jemanden zu Boden.«
Er erbebte und zitterte, wie vom Fieber geschüttelt.
»Lassen Sie mir sofort meine Sachen wiedergeben,« fuhr er fort. »Geben Sie mir einen Wagen, der mich wenigstens bis zur Landstraße bringt, und wenn Sie dann noch wollen, geben Sie mir ein Stück Geld auf die Wanderschaft.«
»Aber bist Du denn über irgend etwas unzufrieden?« fragte ich.
»Ich kann so nicht länger leben!« schrie er mit aller Kraft seiner Lungen. »Ich kann nicht in Ihrem verdammt anständigen, in Ihrem Herrschaftshause leben! Es ekelt mich an! Ich schäme mich, so ruhig dahinzuleben! Wie können Sie selbst das nur ertragen?«
»Mit andern Worten,« unterbrach ich ihn meinerseits, »Du willst sagen, daß Du ohne Branntwein nicht bestehen kannst.«
»Nun ja! Nun ja!« brüllte er. »Lassen Sie mich doch nur wieder zurück zu meinen Brüdern, zu meinen lieben Freunden, den Bettlern. Zum Teufel mit Ihrer widerwärtig anständigen, Ihrer vornehmen und gebildeten Gesellschaft!«
Ich wollte ihn anfänglich an das mir gegebene Versprechen erinnern, das er noch dazu mit einem Eide beschworen hatte; aber sein furchtbar erregter Gesichtsausdruck, das abgerissene, stoßweise Sprechen, das konvulsivische Zittern aller seiner Gliedmaßen, das Alles war so schrecklich, daß ich mich beeilte, mit ihm auseinanderzukommen. So erklärte ich ihm denn, daß er sofort seinen früheren Anzug wiedererhalten solle und daß man eine Telega anspannen werde; dann nahm ich eine Fünfundzwanzigrubelnote aus dem Schranke und legte sie auf den Tisch. Mischa kam drohend auf mich zu, plötzlich aber blieb er stehen, er stutzte und sein Gesicht war wie von Blut übergossen. Dann schlug er sich vor die Brust, Thränen liefen ihm aus den Augen, er stammelte: »Onkelchen, Du mein Engel! Ich bin ein verlorener Mensch! Dank! Dank!«
Damit ergriff er die Banknote und lief davon.
Eine Stunde später saß er bereits auf der für ihn angespannten Telega; wieder war er als Tscherkesse gekleidet, wieder sah er rosig und heiter aus, wie nur je zuvor. Als die Pferde anzogen, schrie er vor Freude laut auf, riß die Fellmütze vom Kopf, schwenkte sie über seinem Haupte und machte dann eine Verbeugung nach der andern. Einen Moment vor seiner Abreise hatte er mich noch lange umarmt, mich fest an seine Brust gedrückt und dabei gestammelt: »Mein Wohlthäter! Du mein Wohlthäter! Ich bin ja doch nicht mehr zu retten!« Er war auch zu den Damen gelaufen, hatte ihre Hände mit Küssen bedeckt, war vor ihnen auf die Knie gesunken, hatte Gott angerufen und ihn um Verzeihung für sein Thun gebeten. Als der Wagen sich entfernt hatte, fand ich Katia in Thränen.
Der Kutscher, mit welchem Mischa abgefahren war, erzählte mir nach seiner Heimkehr, daß er Jenen bis zur ersten an der Landstraße belegenen Schenke gefahren habe. Ihn von dort wieder fortzubringen habe er kein Mittel gefunden. Mischa hatte alle Anwesenden eingeladen, auf seine Kosten zu trinken, und bald war er wieder so bezecht gewesen, daß er besinnungslos auf der Bank lag.
Seit jener Zeit bin ich mit meinem Neffen nicht mehr zusammengetroffen. Was ich aber über seinen Ausgang von anderer Seite vernommen, will ich hier noch kurz erzählen.