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Obwohl seit dem Maskenball bereits vierzehn Tage vergangen waren, wurde von den drei Freundinnen noch oft das Fest besprochen. Anfangs waren Pommerle und Ilse etwas kleinlaut gewesen, beide wußten, daß sie keine Lorbeeren geerntet hatten. Nur Karin schwamm in Wonne. Sie behauptete, sie hätte überhaupt nicht die Absicht gehabt, sich dem Griechen zu nähern; eine dunkle Ahnung habe ihr gesagt, daß unter der Maske des Don Carlos Herbert Torlege verborgen sei. Man wisse ja, daß sie seit Jahren große Zuneigung für den jungen Mediziner im Herzen trage.
Es gab sogar einen kleinen Streit zwischen den Freundinnen. Karin verhöhnte den kleinen dicken Enrico, Pommerle, die nicht leiden konnte, wenn hinter Bekannten, die sie für nett erkannt hatte, schlecht gesprochen wurde, verteidigte den Studenten mit aller Beredsamkeit.
»Er ist klug wie ein Grieche! Ihr hättet hören sollen, was er alles weiß.«
»Ich finde ihn scheußlich«, sagte Karin.
»Nein, er ist sehr nett! Ich habe erkannt, daß auch kleine dicke Menschen nett und interessant sein können.«
»Haha«, lachte Ilse, »bei dem sitzt die Weisheit nicht im Kopf, sondern im Bäuchlein!«
Pommerle verschwieg, daß sie von Enrico Madeni schon zwei Karten aus Breslau erhalten hatte. Die Freundinnen würden sie ärgern, und diesen Ärger konnte sie sich ersparen.
An einem Nachmittag suchte Pommerle Gisela Steiner auf. Es war Schnee gefallen, vielleicht konnte sie mit ihr, die im Skilauf so tüchtig war, wieder einmal einen kleinen Ausflug machen.
Aber Gisela hatte keine Lust. Sie war voller Sorgen. Die Mutter, die im letzten Jahr immer mehr kränkelte, sollte zur Beobachtung für vierzehn Tage ins Krankenhaus gehen, damit endlich festgestellt werden könnte, was ihr fehle.
»Ich bin auch dafür«, sagte Gisela, »doch Mutter will es nicht. Und doch wäre es das richtigste. Mutter sagt, sie könne das Geschäft unmöglich schließen und eine Vertretung nehmen, das koste zuviel.«
»Du bist doch immer als Hilfe hier, Gisela. Kannst du deine Mutter nicht vertreten?«
»Zur Not ginge es schon. Außerdem kommt jetzt die stille Zeit; es wäre also nicht viel zu tun. Überall sind Ausverkäufe, da kaufen die Leute lieber in den großen Geschäftshäusern oder fahren nach Breslau und besorgen sich, was sie brauchen. Wir haben ohnehin nicht viel.«
»Du mußt deiner Mutter zureden, daß sie fortgeht. Mein Mütterchen ist auch einmal in Breslau gewesen. Ich mußte auch allein bleiben. Es ist damals allerlei dazwischengekommen, das muß ich zugeben, ich habe Angst und Sorgen durchmachen müssen – «
»Ja, ich erinnere mich, Pommerle! Der Bruder deines Vaters kam ganz plötzlich und wollte allerlei haben.«
»Ach ja«, seufzte Pommerle, »Onkel Arnulf war ein schrecklicher Mensch, und auch Felix, sein Sohn, bereitete mir trübe Stunden.«
»Jetzt ist er doch ein guter Mensch geworden? Du hattest dich doch für ihn verwendet?«
»Ja, er ist in Hirschberg in der Zellwollfabrik angestellt worden. Anfangs gab er sich große Mühe. Später wollte er mehrfach die Arbeit hinwerfen, da sie ihm nicht paßte. Vor einem halben Jahr ist er fortgegangen und jetzt in Breslau tätig. – Tüchtig ist er dort leider auch nicht. – Aber nun sage mir einmal, Gisela, wie richten wir es ein, daß deine Mutter ins Krankenhaus geht? Mein Mütterchen ist gesund wieder heimgekommen, und dasselbe wünsche ich deiner lieben Mutter natürlich auch.«
»Schirme und Handschuhe könnte ich wohl verkaufen, auch die kleinen Reparaturen, die gewünscht werden, mache ich oftmals selbst. Aber Fachkenntnisse besitze ich natürlich nicht. Wenn die Kunden fragen, was das für ein Gestell, was für Holz oder was für Griffe das sind, kann ich keine Auskunft geben.«
»Ach«, lachte Pommerle und schnippte mit den Fingern, »man murmelt etwas vor sich hin. Du wirst doch schon etwas aufgeschnappt haben?«
»Pommerle, du müßtest meiner Mutter auch zureden, daß sie fährt. Ich kann unser kleines Geschäft vierzehn Tage allein versorgen. Du siehst ja, wie klein es ist.«
»Gut, jetzt rede ich so lange zu, bis sich deine Mutter für die Reise nach Breslau entschließt.«
Und nun begann Pommerles Überredungskunst. Sie schilderte der müden, blassen Frau, wie notwendig eine ärztliche Beobachtung wäre und daß es Pflicht einer Mutter sei, sich der Tochter zu erhalten.
»Ich verspreche Ihnen, Frau Steiner, Gisela sehr oft zu besuchen und, wenn es nötig sein sollte, ihr auch ein wenig zu helfen.«
»Du meinst es sehr gut, mein liebes Pommerle – «
»Sie haben mir bei meinem Maskenkleid geholfen, nun möchte ich auch ein wenig helfen. Gisela zeigt mir, was zu tun ist. Ich komme jeden Nachmittag her und helfe ihr.«
»Nein, Pommerle, das ist unmöglich. – Du willst zu Ostern versetzt werden und die Schule verlassen. Du hast bis dahin noch viel zu lernen.«
»Oh, mir ist immer noch genügend freie Zeit zum Ski- und Schlittschuhlaufen geblieben. Darauf verzichte ich in den nächsten vierzehn Tagen. Sie fahren ruhig nach Breslau.«
Frau Steiner machte erneut Einwendungen, aber Pommerle und Gisela redeten immer dringlicher auf sie ein. »Mutter, es ist jetzt so wenig zu tun! Die Kunden, die wir haben, sind einsichtig und warten, wenn ich wirklich etwas nicht erledigen kann. – Bitte, fahre nach Breslau!«
Als Pommerle am anderen Tage wiederkam, um erneut ihre Überredungskunst aufzubieten, erfuhr sie zu ihrer Freude, daß sich Frau Steiner zu der Reise nach Breslau entschlossen habe. Am Sonntagnachmittag wollte sie abfahren.
»Und ich komme am Montagnachmittag als Lehrling zu dir, Gisela. Du führst mich in das Geschäft ein, und wir beide machen gemeinsam einen Bombenverkauf! Wir werden Ihnen täglich berichten, was für Gelder einkamen.«
»Unser Geschäft ist sehr bescheiden, Pommerle. Wir sind zufrieden und dankbar, wenn wir unser Auskommen haben.«
»Oh, wir machen es schon«, rief Pommerle siegessicher. »Wir werden durch Liebenswürdigkeit die Kunden bestechen. Wer Handschuhe kauft, muß noch einen Schirm dazunehmen. Passen Sie auf, liebe Frau Steiner, wir haben gute Einnahmen. Ich werde meinen Bekannten sagen, daß sie sich neue Schirme und Handschuhe anschaffen sollen, daß sie das aber nur bei Steiners tun sollen.«
Freudestrahlend kam Pommerle heim und berichtete den Eltern von ihrer neuen Tätigkeit.
»In der nächsten Zeit bin ich vierzehn Tage lang ein Lehrmädchen bei der Firma Steiner. Dann kann man mich wieder gehen lassen. In dieser Zeit werde ich bewiesen haben, daß man ein kleines Geschäft heben kann.«
»Pommerle, Pommerle«, mahnte Bender, »dir ist wieder das gute Herzchen durchgegangen! Außerdem würden, zum ersten, die Schularbeiten sehr darunter leiden, wenn du jeden Nachmittag bei Steiners sein wolltest.«
»Nein, Väterli! – Ich opfere jeden Tag eine Stunde Schlaf, stehe morgens eher auf. Sonst fällt mir das zwar recht schwer,: besonders jetzt im Winter, aber für Gisela tue ich es gern!«
»Zweitens«, fuhr Bender fort, »hast du gar nicht die Berechtigung, als Lehrmädchen in ein Geschäft einzutreten. Aber ich verstehe schon, du willst Gisela einen Freundschaftsdienst leisten, ihr nur ein wenig zur Hand gehen. In den Laden brauchst du dich nicht zu stellen, du würdest mehr verderben als nützen. Du kannst ihr jedoch Gänge abnehmen, ihr für den nächsten Tag das Essen vorbereiten, auch das würde für Gisela schon eine kleine Erleichterung sein.«
»Väterli, ich habe allerlei Pläne. – Bitte, laß mich nur machen.«
»Ich glaube, mein liebes Kind, du hast hier wieder einmal eine verkehrte Vorstellung.«
»Väterli, bitte, tu mir den Gefallen und kaufe für Mütterchen einen Schirm. Der Geburtstag ist zwar noch weit, aber man kann einen Schirm doch hinlegen. – Und deiner ist auch schon recht alt. – Väterli, bitte, kaufe dir einen Stockschirm, er ist furchtbar praktisch.«
»Aber Pommerle – – «
»Wir wollen doch Kasse haben, Väterli, und jetzt geht das Geschäft gar nicht! – Ach, Väterli, beinahe möchte ich wünschen, daß du auch so ein zerstreuter Professor wärst, wie die Witzblätter erzählen. Dann brauchtest du viele Schirme.«
»Ich könnte dann keine Bücher schreiben, könnte meine Familie nicht ernähren – «
»Väterli, du weißt doch, ich wünsche dir immer das beste! Aber einen Stockschirm kaufst du dir, und ich möchte rasend gern so einen kleinen Taschenschirm.«
Bender lachte und strich seiner Tochter zärtlich über das blonde Haar. »Einen guten Rat will ich dir geben, Pommerle: Laufe nicht etwa zu unseren Bekannten oder gar zum Herrn Bürgermeister, um Schirme anzupreisen. Wer einen Schirm braucht, kommt von ganz allein!«
»Wenn doch ein Sturm käme und recht viele Schirme zerbräche!«
»Mein sanftes Pommerle hat plötzlich abscheuliche Wünsche.«
»Nicht wahr, Väterli, du fragst bei deinen Bekannten, ob sie nicht einen neuen Schirm brauchen können. – Der Aufenthalt im Krankenhaus kostet Frau Steiner viel Geld. Ich glaube, man hat die letzten Markstücke zusammengesucht, um die Reise nach Breslau zu ermöglichen. – Du hast mich immer gelehrt, man solle seinen Mitmenschen helfen, aber seine Hilfe so anbringen, daß der andere nicht ahnt, daß es eine Hilfe ist. – Väterli, du mußt einfach einen Stockschirm haben!«
Diesen Wunsch wollte der Professor seiner Tochter erfüllen. Es ging aber unter keinen Umständen an, daß Pommerle im Steinerschen Geschäft half. Hilfsbereit, wie er war, besprach er alles mit seiner Frau, die noch am selben Tage in das Schirmgeschäft ging. Eine Vertretung mußte angenommen werden, denn Gisela war noch viel zu jung, um das Geschäft allein zu führen. Frau Steiners Bedenken wurden noch dadurch beschwichtigt, daß Frau Bender lächelnd versprach, das Geschäft nach Möglichkeit bei ihren Bekannten zu empfehlen.
Pommerle war sehr enttäuscht, daß man ihr die Erlaubnis verweigerte, Lehrmädchen bei Steiners zu werden. »Nun kostet die Vertretung doppelt. Frau Steiner wird vor Sorgen nicht gesund werden können. – Was macht man nur?«
Frau Steiner war abgereist, Pommerle besuchte fast täglich den kleinen Laden, um zu hören, wie es Gisela ginge. »Bei dem schönen Wetter ist leider gar kein Geschäft«, klagte Gisela. »Wenn es doch regnete, stürmte oder schneite! Aber die Sonne lacht, obwohl erst März ist.«
»Ein verdrehtes Wetter«, zürnte Pommerle, »vor wenigen Tagen sind wir noch Ski gelaufen, und jetzt haben wir richtige Frühlingstage. – Gisela, du mußt einmal zu uns in den Garten kommen. Massenhaft Schneeglöckchen blühen, und Krokus und Tulpen kommen schon hervor. Wenn wir die Sonne behalten, blühen in wenigen Tagen meine Krokus.«
»Hoffentlich behalten wir die Sonne nicht! Ich wünsche mir Regen und Sturm.«
»Da es für euer Geschäft gut ist, wünsche ich es auch. Rübezahl könnte dir den Gefallen tun!«
»Ach, der Rübezahl, der hat es noch niemals gut mit mir gemeint.«
»Ja, ja, der schlesische Berggeist ist mitunter ein häßlicher Geselle! Dabei sage ich jeden Morgen, wenn ich aufstehe: ›Ich grüß dich viele tausendmal, du Herr der Berge, Rübezahl!‹«
»Das sagst du, Pommerle?«
»Ja, er steht doch auf meinem Eckbrett. Väterli hat mir diese hübsche Figur mal geschenkt. Ich nicke ihm jeden Morgen und jeden Abend freundlich zu. Heute will ich mal ein ernsthaftes Wort mit ihm reden.«
Tatsächlich stellte sich Pommerle am Abend vor die hölzerne, mit Moos und Bartflechte beklebte Figur und drohte ihr mit dem Finger. »Höre einmal, alter Berggeist, jetzt ist es an der Zeit, daß du dich wieder einmal bemerkbar machst. Gisela braucht ein Unwetter! Schicke Sturm, der die Schirme knickt, einen heftigen Regenguß, wie er noch nicht dagewesen ist, aber schlafe nicht weiter. Der Bober braucht dabei natürlich nicht über die Ufer zu treten, aber vom Himmel darf es wie mit Kannen gießen. Wenn du nicht bald hilfst, bekommst du keinen Gruß mehr von mir!«
Am nächsten und übernächsten Tage war noch immer herrlichster Sonnenschein. Da packte Pommerle die Rübezahlfigur, legte sie in ihren Kommodenschub, schob einige Wäschestücke darüber und sagte lachend:»So, jetzt sperre ich dich ein, alter Griesgram. – Wer nicht hören will, muß fühlen! – Du bleibst in deinem Gefängnis, bis du Vernunft angenommen hast.«
Am nächsten Morgen bekam Rübezahl in der Schublade noch einen leichten Klaps. »Noch immer Sonnenschein – schäme dich! Die arme Gisela, was soll sie nur machen?«
Am selben Tage schrieb Pommerle einen Brief an Jule. Darin teilte sie dem Jugendfreunde auch mit, daß sie den Rübezahl von ihrem Eckbrett heruntergenommen und eingesperrt habe. Jule schrieb sonst nicht fleißig, aber dieses Mal kam umgehend eine Antwort. Ohne jede Überschrift begann er:
»Laß ihn raus und bitte ihn ab! Du sagst immer, der Rübezahl ist eine Sage; ich aber weiß, daß der Rübezahl in den Bergen umgeht und Gutes und Schlechtes machen kann. – Laß ihn sofort raus und zünde eine Kerze an, wie wir es machen. Ich lebe sehr glücklich mit meiner Appi, wir zanken uns fast nie. Meine Frau hat mir erst elfmal den Leuchter gebracht. Dann habe ich das eine Licht angezündet, weil sie mich anlachte. Du siehst, wir sind sehr glicklich. Aber laß ihn raus, sonst gibt es ein Unglick! Er recht sich, seine Rache ist fürchterlich. Ich weiß, wie er sich gerecht hat!«
»Ach, Jule, du kannst immer noch nicht richtig schreiben«, unterbrach Pommerle das Lesen. »Rächen kommt doch von Rache, das müßtest du längst wissen. – Nein, der Rübezahl bleibt eingesperrt, bis es gießt!«
»Ich schicke dir einen schönen Spruch mit«, hieß es weiter in Jules Brief, »du weißt, ich habe Gedichte sehr gern. Wenn die Appi einen schönen Spruch auf dem Kalender findet, legt sie ihn vor mich hin. Ich habe schon eine ganze Mabbe solcher Sprüche. Laß den Rübezahl aber raus, sonst geht es dir, wie den Menschen in dem Spruch. – Nicht wahr, der ist schön? – Also, laß ihn raus. Es grüßt dich dem angstfoller
Jule.«
Dann kam eine Nachschrift:»Ich kann das Kalenderblatt nicht finden. Aber in dem Spruch heißt es: Berggipfel glühen, Waldwipfel brühen, vom Lenze geschwellt. Zugvogel mit Singen, erhebt seine Schwingen, ich fahr in die Weltscheffel.«
Pommerle brach in lautes Lachen aus. Als sie den Brief zusammenfalten wollte, sah sie am Rande noch eine Bemerkung stehen:
»Die letzte Zeile ist falsch«, schrieb der Jule, »es muß wohl heißen: ich fahre in den Weltscheffel. Soviele schöne Gedichte kann ich mir nicht genau behalten.«
Abermals fand Pommerle quer hingekritzelt eine Bemerkung:
»Entschuldige, ich wollte dir ein anderes Gedicht schreiben, ich habe es verwexelt. Nächstesmal bekommst du den richtigen Vers. Aber laß ihn raus!«
»Jule, lieber, guter Jule, das hast du nun eingesehen: Der Vers paßt nicht. Er hat mit dem Rübezahl und dem Einsperren wirklich nichts zu tun.« Und Pommerle, noch ganz erfüllt von dem Eindruck des Briefes, setzte sich sofort hin und schrieb an Jule eine Antwort.
»Ich laß ihn nicht 'raus, Jule, ich fürchte seine Rache auch nicht. Wie kann solch ein beklebtes Stück Holz sich rächen, nicht rechen! Rächen kommt von Rache, merke Dir das! Er bleibt in der Kommode, bis es gießt! Er bekommt auch keinen Gruß von mir, weder am Morgen noch am Abend. Du wirst meinen Sinn nicht ändern, auch wenn du hundertmal in Deinem Scheffel um die Welt fährst! Ach, lieber Jule, Du mußt Dir die schönen Gedichte etwas genauer ansehen. Der Vers ist von Viktor von Scheffel, das ist ein Dichter. Es ist aber kein Scheffel, in den Du steigen kannst, um durch die Welt zu fahren. Habe keine Sorge, den Rübezahl-Hanswurst fürchte ich nicht. Und heute abend wird er verhauen! In alter Treue und Liebe
Dein Pommerle.«
Hätte Pommerle gesehen, wie sich der Jule verzweifelt das Haar raufte, als er diesen Brief bekam, sie hätte ihn wahrscheinlich nicht so geängstigt. Immer wieder schaute Jule sorgenvoll zum Himmel, er wußte, die Rache des Berggeistes würde nicht ausbleiben.
Und die Rache kam wirklich! Am Abend hatte Pommerle den Rübezahl geprügelt, in der Nacht ging ein furchtbarer Regenguß nieder, dazu gesellte sich der Sturm, der die Regentropfen gegen die Fenster peitschte. Auf den Straßen lief das Wasser gleich Bächen, in den Gärten standen große Wasserpfützen.
Pommerle lag noch im Bett und schaute vergnügt dem Unwetter zu. Das konnte Gisela gebrauchen!
»Na, alter Berggeist, hast du dich besonnen?« Sie hob den Kopf und stieß einen Schrei aus. Dort auf dem Fensterbrett lagen von gestern abend ihre Hefte. Zuunterst das Aufsatzheft mit dem Aufsatz, der gestern geschrieben worden war.
Pommerle war mit einem Satz aus dem Bett, riß die durchnäßten Hefte vom Fensterbrett und schaute auf die kleine Pfütze, die sich unter dem Fenster im Zimmer gebildet hatte. Sogar die Doppelfenster hatten dem starken Regen nicht standhalten können. »Mein Aufsatz – – mein Mathematikheft – – das ist eine Gemeinheit!«
Pommerle senkte den Kopf. Sonst hatte sie ihre Hefte abends stets sorgsam fortgelegt. Ausgerechnet gestern abend waren sie auf dem Fensterbrett liegengeblieben.
»Rübezahl«, rief sie ärgerlich, »das hast du gemacht!«
Jules Brief fiel ihr ein. Pommerle glaubte natürlich keinen Augenblick an das Vorhandensein des Berggeistes, aber es war ein merkwürdiger Zufall, daß er gerade heute, nachdem er gestern abend eine gehörige Tracht Prügel erhalten hatte, ihre mühsame Arbeit vernichtete. Und das kurz vor Schulabgang!
Sie nahm die Hefte und legte sie an den Ofen. Das nützte natürlich nicht viel, denn die Tinte war ineinandergelaufen. Die Blätter boten keinen schönen Anblick.
Während sie sich ankleidete, holte sie den Rübezahl aus dem Kommodenschub hervor und stellte ihn behutsam wieder auf das Eckbrett.
»Das war nicht nötig«, murmelte sie unwillig, »aber Schläge kannst du anscheinend nicht vertragen. – Nun sei wieder vernünftig, alter Rübezahl!«
Pommerle hatte sich angekleidet, kam hinunter ins Eßzimmer, schaute durchs Fenster hinaus in den Garten und brach erneut in lautes Wehklagen aus.
Im Garten lagen die schönen blühenden Schneeglöckchen wie gewalzt auf dem Boden, mit Erde beworfen, einige standen gänzlich im Wasser. Es war ein trauriger Anblick.
»Das geht zu weit«, stieß Pommerle hervor. Dann eilte sie wieder hinauf in ihr Zimmer, nahm den Rübezahl vom Eckbrett und steckte ihn abermals in den Schub ihrer Kommode.
»Da hast du den Salat, alter grimmiger Berggeist! So etwas brauche ich mir von dir nicht gefallen zu lassen!«
Wieder im Eßzimmer angekommen, klagte sie der Mutter ihr Leid wegen der verdorbenen Hefte.
Frau Bender schaute ihre Tochter lange an. »Du weißt, mein Kind, daß wir manchmal im Frühling derartig heftige Regengüsse haben. Man legt nicht während der Nacht etwas auf das Fensterbrett, was durch Wasser verdorben werden kann.«
»Ja, ja«, klang es kleinlaut, »Mütterchen, du hast schon recht. – Was mache ich nun?«
»Da ist im Augenblick nichts zu ändern, Pommerle.«
Das junge Mädchen seufzte schwer. »Es ist doch Unsinn, Mütterchen, daß der Rübezahl etwas damit zu tun hat. Ich habe furchtbar um ein Unwetter gebeten – nun ist es gekommen. Auch jetzt regnet es noch. Na, Gisela wird wenigstens Freude haben.«
»Um ein Unwetter brauchst du nicht zu bitten, Pommerle. Ich fürchte, daß der starke Regenguß heute nacht mehr geschadet als genützt hat.«
»Ich wollte ja nur, daß es Gisela besser im Geschäft geht.«
»Ich hörte bereits, daß das Wasser in manchen Keller gelaufen ist, daß zahlreiche Menschen großen Schaden erlitten haben.«
»Der Rübezahl – «, murmelte Pommerle grollend.
Professor Bender lachte dazu. »Das ist ja beinahe, als ob ich den Jule reden hörte.«
»Ja, Väterli, Jule hat mir von Rübezahls Rache geschrieben. – Vielleicht hat er doch recht. Ich werde mich in Zukunft mit dem alten Berggeist besser stellen.«
Am Nachmittag war Pommerle zu Gisela geeilt. Das Wetter wirkte sich auf die Kasse des Schirmgeschäftes günstig aus, aber Gisela hatte schon von manchem Kunden schlimme Kunde gehört. Der Regenguß hatte vielfach erheblichen Schaden gebracht.
»Es ist nicht richtig, daß man nur sein eigenes Wohl im Auge hat, man muß auch an andere denken. Wir werden schon durchkommen, Pommerle. Das Geschäft geht ganz gut, es kommen manche neue Kunden zu uns.«
Am nächsten Tage kam nochmals ein Brief von Jule. Er hatte in der Zeitung gelesen, daß Hirschberg von einem Wolkenbruch heimgesucht worden war.
»Bist du nun kuhriert? Hast du die Rache des mächtigen Berggeistes kennen gelernt? Glaube mir, Pommerle, der Berggeist hat dich gehört, er läßt nicht mit sich spaaßen. Hüte dich in Zukunft, ihn zu kränken, er könnte dir dein ganzes Leben zerstören. Und du sollst doch so glicklich sein, wie ich und meine Appi. Also laß ihn schnell raus, sonst kommt noch ein schlimmeres Unglick! – Sage doch der Frau Bender, sie könnte uns noch mal ein Paket Lichte schicken. Wir leben sehr glicklich! Und nun laß ihn raus. Heute schicke ich dir wieder ein paar Gedichte, die Appi vom Kalender abgerissen hat. Schöne Verse von Liebe und Glück, die du auch mal brauchen kannst. – Ist der Bober ausgetreten? Laß ihn raus, sage ich dir!
Dein Jule.«
Da lachte Pommerle, daß ihr die Tränen aus den Augen kollerten.
»Weil es mein lieber Jule will, darfst du aus dem Gefängnis heraus, du alter böser Berggeist! Meine Schneeglöckchen erholen sich gewiß wieder. – So, und nun wollen wir Frieden machen – du Holzpuppe! – Oder denkst du vielleicht, ich glaube an dich? – Quatsch!«
Die letzten beiden Tage hatten Pommerle viel Arbeit gebracht. Mit vielen Entschuldigungen wurden die Hefte abgegeben. Sehr kleinlaut mußte Pommerle berichten, daß sie die Hefte unvorsichtigerweise über Nacht auf dem Fensterbrett habe liegen lassen. Nun sollte sie den Aufsatz abschreiben, ebenso die letzten beiden Mathematikaufgaben. Außer diesen Arbeiten hatte sie noch das Gelächter ihrer Klassenkameraden zu ertragen. Besonders die männliche Schuljugend höhnte über die wieder getrockneten Hefte, deren Blätter so hübsch gerollt waren.
»Hättest die Blätter bügeln müssen«, sagte der dicke Max.
»Ich würde mir in Zukunft auf dem Fensterbrett eine Speisekammer einrichten.«
»Mach dir doch lieber dein Bett auf dem Fensterbrett zurecht. Den Wolkenbruch schicken wir dir schon!«
Pommerle drehte ergeben die Augen zum Himmel. Was sollte sie dazu sagen? Ihr blieb die Arbeit, den Spott gab es obendrein.