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Schulbank, ade!

Zum letzten Male legte Pommerle den Weg nach dem Gymnasium als Schülerin zurück. Sie konnte in den Jubel ihrer Mitschülerin Maria Bergell nicht einstimmen. Es war gewiß schön, daß wieder eine Epoche ihres Lebens vorüber war, daß etwas Neues winkte, aber es schmerzte Pommerle doch, von so vielen lieben Menschen Abschied nehmen zu müssen. Sie war nicht ungern zur Schule gegangen, das Lernen war ihr keine Qual; im Gegenteil, es machte Freude, viel zu wissen. Nun ging man in alle Welt auseinander, würde sich in der nächsten Zeit nicht sehen noch sprechen. Zwölf junge Menschen gingen heute aus der Sekunda ab, die anderen blieben, um weiterzulernen.

Vor dem Zeugnis, das ihr heute übergeben werden würde, hatte sie keine Bange. Wenn es auch Tage gegeben hatte, an denen sie versagte, war das eben entschuldbar. Das rechneten ihr die Lehrer auch weiter nicht an; wahrscheinlich kam sie mit vielen guten Noten heim.

Im Gymnasium herrschte heute Feierstimmung. Man freute sich auf die Ferien, auf die Feier, die für die Scheidenden vorgesehen war. Der Direktor würde eine Ansprache halten und den Fortgehenden gute Worte auf den Lebensweg mitgeben.

»Wir bleiben ewige Freundinnen«, sagte Pommerle mit schwankender Stimme zu Ilse, »wir kommen in verschiedene Orte. Ein jeder von uns hat sein Pflichtjahr vor sich. Mich ruft das Land! Glücklicherweise bleibe ich in Schlesien, in der Nähe meines lieben Riesengebirges!«

»Du kommst in ein Gutshaus, Pommerle?«

»Ja, in ein Gutshaus mit Mann, Frau und vier Kindern. Es wird vielleicht nett sein. Ich werde dort alles lernen, was ich noch nicht weiß.«

»Aber wir schreiben uns täglich«, sagte Karin.

»Wenn wir Zeit haben – ja.«

»Soviel Geld für Porto werden wir nicht verdienen«, warf Ilse ein, »ich weiß schon, wie es mit dem Briefschreiben ist. Anfangs schreibt man immerfort, später nur alle vier Wochen einmal.«

Das Geplauder der jungen Mädchen wurde durch das Eintreten der Lehrerschaft und des Direktors unterbrochen.

»Kinder, jetzt wird es feierlich, jetzt müssen wir ernste Gesichter machen«, flüsterte Karin, »jetzt bekommen wir was gesagt.«

Zunächst wurden die Zeugnisse ausgeteilt. Ein jeder warf rasch einen Blick hinein. Pommerles Gesicht strahlte. Sie hatte recht gut abgeschnitten, die Eltern würden sich über sie freuen.

Zunächst sprach der Ordinarius der Klasse warme Worte, er wünschte den Scheidenden viel Glück für ihr ferneres Leben. Stumm, mit gesenkten Köpfen lauschten die zwölf. Manch ein Schüler, der bisher nicht recht Freund mit dem Ordinarius gewesen war, fühlte sich heute innerlich bewegt.

Gleich daraus sprach der Direktor. Er fand viele zu Herzen gehende Worte. Pommerle stellte sich langsam hinter eine Schülerin, kramte in der Tasche und suchte nach dem Lutscher. Ihr war heute recht weinerlich zumute. Ilse hatte Tränen in den Augen, und die kleine Martha schluchzte bereits herzbrechend.

Pommerle führte die Hand, die das Taschentuch hielt, an die Nase, die andere Hand hielt den Schnuller ›Weine nicht‹ fest umschlossen. Heimlich schob sie ihn unter dem Taschentuch in den Mund. Mit Gewalt biß sie auf den Pfropfen, so kräftig, daß der Gummi zerriß. Wenn nur der Direx aufhören wollte zu sprechen, sonst weinte auch sie los. – Der Schnuller glitt ungesehen zurück in die Tasche – heute hatte er versagt, denn auch Pommerles Augen wurden naß.

Endlich war auch das überstanden, ein jeder erhielt einen herzlichen Händedruck.

»Der besten Schülerin der Klasse«, sagte der Direktor, »habe ich eine kleine Freude zugedacht.« Damit nahm er vom Tisch ein in dunkelblaues Leder gebundenes Buch. »Sie, Hanna Bender, haben uns allen durch Ihren anhaltenden Fleiß und Ihr gutes Betragen viel Freude gemacht. Wir glauben, daß Sie auch im späteren Leben das liebe, hilfsbereite junge Mädchen bleiben werden, das Sie bisher gewesen sind. Sie gehen hinaus ins Leben; Neues wird an Sie herantreten. Fürchten Sie sich nicht davor! Sie werden das Leben meistern. Sie haben den guten Willen, die Kraft kommt von allein! Nehmen Sie zur Erinnerung an Ihre Schulzeit dieses Tagebuch an. Mögen sich die Seiten dieses Buches nur mit frohen und glücklichen Erlebnissen füllen, möge Ihnen dieses Buch ein Freund in jeder Stunde Ihres späteren Lebens sein.«

Der Direx sprach weiter, aber Pommerle war kaum fähig, seinen Worten zu folgen. Am liebsten wäre sie weiter in der Schule geblieben, um noch länger mit diesen netten Menschen zusammen zu sein. Hier wußte sie, was sie hatte, die Zukunft erschien ihr verhüllt.

Endlich hielt sie das blaue Buch in Händen und stotterte Dankesworte. Dann wurden die Schüler entlassen.

Neidlos umringten alle das junge Mädchen. »Du bist die Beste, das stimmt, nicht nur in der Klasse, nein, auch im Charakter«, sagte Ilse.

»Ein Tagebuch, das ist etwas sehr Feines«, rief Karin begeistert. »Darf ich es einmal ansehen?«

Das Buch wurde genau betrachtet. »Pommerle, hier hat der Direx noch was 'reingeschrieben!«

Pommerle las: »Fehlt zum geplanten Werke Dir die Kraft, entreiße Dich des Zweifels langer Haft! – Der Wille ist es, der die Tat verschafft, in ihm birgt sich, was Dir noch fehlt: die Kraft.«

»Das paßt für dich, Pommerle«, rief Ilse voller Begeisterung, »du wagst immer zu wenig, traust dir nichts zu. Aber das wird noch werden!«

»Es ist schon richtig«, meinte Pommerle, noch immer tief bewegt. »Scheiden ist ein Wort so schwer, als wenn es nicht vom Himmel wär'!«

Noch einmal wurde das junge Mädchen von allen Klassengefährten umringt, nochmals drückte Pommerle viele Hände. Sogar Irma kam heran.

»Ich wünsche dir auch alles Gute, Pommerle. Möge es dir im Leben immer recht gut gehen.«

Da blitzten Pommerles Augen auf. »Wenn man mir nicht absichtlich mein Leben erschwert, wird es mir sicher gut gehen. – Ich will aber zum Abschied keinem etwas Schlimmes sagen. So wünsche ich auch dir das Beste für deine Zukunft.«

Pommerle wurde von mehreren Schulgefährtinnen bis an die Villa der Eltern gebracht. Dann trennte man sich, und Pommerle schlüpfte ins Haus. Mit freudigem Stolz zeigte sie den Eltern ihr Zeugnis und das Tagebuch. »Der Direx hat sehr lieb zu uns gesprochen. Es war so, als ob mir Herz und Magen umgedreht würden.«

»Es sind auch mehrere Briefe an dich gekommen, Pommerle. Anscheinend Glückwünsche.«

»Oh, oh, oh – sieben Briefe! Sieben Briefe für mich ganz allein! Warum schreiben mir gerade heute so viele Menschen?«

»Weil mit dem Abgang von der Schule ein neuer Lebensabschnitt beginnt, Pommerle. Wenn man in einen neuen Lebensabschnitt tritt, ist es gut, liebe Worte zu hören.«

»Sieh nur, Mütterchen, das ist der Jule! Auch er hat an diesen Tag gedacht!«

»Nun«, lachte Frau Bender, »der Jule wird schon daran denken. Er erinnert sich der Zeit, da er die Schule verließ und zu Meister Reichardt in die Lehre kam. Damals haben wir ihm auch manches gute Wort sagen müssen, denn unser Jule hatte furchtbare Angst vor der Lehrzeit.«

»Ich habe keine Angst, Mütterchen, im Gegenteil, ich freue mich auf den Mai, der jetzt für mein Leben kommt.«

»Was kommt, Pommerle?«

»In schlaflosen Nächten – – ach nein, ich habe immer gut geschlafen – also sagen wir: zu Zeiten, in denen ich mich faul im Bett streckte, habe ich mir mein Leben eingeteilt. Das Jahr hat zwölf Monate, mein Leben hat auch zwölf Monate.«

»In welchem Monat lebst zu jetzt, mein Kind?«

»Bis heute im wetterwendischen, stürmischen, unberechenbaren April. Wenn ich zurückdenke, gerade an das letzte Vierteljahr, hat es in mir manchmal heftig gestürmt – geregnet –, dann schien wieder die Sonne. Ja, Mütterchen, ich glaube für alle Menschen ist die Zeit von vierzehn bis sechzehn Jahren der April. Es drängt und stürmt in uns, man macht Unsinn – man fühlt sich keimen und sprossen – na, es ist eben April!«

»Und nun kommt also der Mai?«

»Ja – Mütterchen, du mußt zugeben, daß meine Lebenseinteilung eigentlich ein fabelhaftes Aufsatzthema wäre. Ich finde, ich habe etwas ganz Großartiges erdacht und werde diese Einteilung mein Lebenlang beibehalten und mein Dasein danach einrichten. – Schau, im Januar, da ist in der Natur gar nichts los. Mit dem Kind in der Wiege ist auch nichts los! Das ist eben ein Nichts! – Dann kommt der Februar, da fängt es in der Natur ein bißchen an zu leben. Genau so ist es mit dem Kindchen. Der Lebensfebruar dauert bis zu dem Tage, an dem man in die Schule kommt. – Der März, alles fängt an zu wachsen, im Menschen wächst der Verstand, die Seele, der Körper. Der März dauert bis vierzehn Jahre, dann folgt der April, von dem ich schon sprach.«

»Der April, in dem dummes Zeug getrieben wird, eben weil es der April ist.«

»Jawohl! Mai ist dann die rosenrote Zeit des Weiterlernens. Man sieht alles im sonnigsten Licht – im Maienzauber. – Das Leben liegt lachend vor uns. – Im Juni beginnen die Rosen zu blühen, also – die Liebe kommt. – Im Juli sind alle Knospen aufgebrochen, es ist der Höhepunkt des Lebens. Man heiratet, sitzt bei seinen Kindern, sorgt für sie. Es ist alles da, und man genießt die Mitte seines Lebens.«

»Und im August – da geht es wohl schon wieder abwärts?«

»Im August beginnt man zu ernten. Die Kinder werden was, verdienen Geld, und im September ist es so weit, daß man in die Scheunen einfahren kann. Das ist auch ein herrlicher Monat! Alle Kinder sind glücklich, und ich werde Großmutter. – Im Oktober bin ich eine jugendliche, glückliche Großmutter, aber – im November fällt der Reif in mein Haar, und langsam, ebenso wie die Natur, geht wieder alles dem Ende entgegen. Es gibt im November noch schöne Herbsttage, mit goldener Abendsonne. Darum fürchte ich mich nicht vor dem November meines Lebens.«

»Und vor dem Dezember, Pommerle?«

»Das ist das Ende, Mütterchen! Am Ende des Dezember steht das Weihnachtsfest. Ich habe Weihnachten immer furchtbar gern, darum wird auch mein Weihnachtsfest im Lebensdezember ein schönes sein! Dann stehen alle um mich herum, wenn ich sterbe, eine Masse Angehöriger. Ich will es durchaus dahin bringen, Mütterchen, daß alle von mir sagen: ›Sie war eine sehr gute Groß- und Urgroßmutter. Wir hatten sie lieb!‹ Und wenn dann mein Lebensweihnachtsbaum hell strahlt, ist es noch einmal wunderschön für alle. Langsam verlöschen die Lichtchen, und mit einem Weihnachtslied schlummere ich ein. – So, da hast du mein Leben!«

Frau Bender legte den Arm zärtlich um die Tochter. »Halte fest an deiner Lebenseinteilung, mein geliebtes Pommerle, sie gefällt mir recht gut. – Aber an den Dezember brauchst du heute noch nicht zu denken.«

»Nein, Mütterchen, jetzt kommt erst der Mai! – Und nun will ich meine sieben Briefe ansehen. – Denke nur, sieben Briefe, fast ist es, als hätte ich Geburtstag!«

Jules Brief wurde zuerst geöffnet.

»Appi sagt, weil du jetzt rausgehst aus der Schule, muß ich dich daran erinnern. Du gehst nicht in die Lehre, sondern auf ein Gut, möge es dir gut gehen. Ich habe dir viel Neues zu schreiben. Wir haben einen Hund, einen echten Stacheldrahthund.«

Pommerle lachte hell auf. »Jetzt meint der Jule gewiß einen Stichelhaarhund – der dumme liebe Jule!« Dann las sie weiter:

»Im Sommer will Appi mit mir an die Ostseekiste fahren, ich will ihr zeigen, wo du warst. Und nun tritt in das Leben hinaus, und damit du nicht engstlich bist, schreibe ich dir einen schönen Spruch vom Kalender:

Ihr stoßt ins Leben mich hinein,
Ihr laßt den Armen schuldig werden,
Dann übergebt ihr mich der Pein,
Denn alle Schuld recht sich auf Erden.

Das wünscht dir dein Jule.«

»Du guter, lieber Jule, ich weiß schon, wie es gemeint ist! Die erste Zeile hat eben einen so gewaltigen Eindruck auf ihn gemacht, daß er sich um die drei anderen Zeilen nicht kümmerte. – Und wer schreibt hier?«

Pommerle nahm den größten der Briefe zur Hand. »Oh, vom Gartenbaudirektor Olfert aus Erfurt, der mit seiner Tochter und mir die schöne Fahrt nach Schwetzingen machte. – Weiß er denn auch, daß ich heute die Schule verlasse?«

Die Familie Olfert schrieb einen sehr herzlichen Brief an Pommerle, wünschte ihr Glück fürs weitere Leben und hoffte bald auf ein Wiedersehen.

Dann kam ein Brief von Grete Bauer, der Spielgefährtin ihrer frühesten Kinderzeit, mit der Pommerle in Neuendorf täglich zusammengewesen war. Grete Bauer hatte in Swinemünde eine Stellung angenommen. Hin und wieder waren Briefe zwischen ihr und Pommerle gewechselt worden, denn Pommerle vergaß die Heimat nicht. Auch Grete wünschte Pommerle für den neuen Lebensabschnitt alles Gute, und glaubte ihr Mut zusprechen zu müssen.

Das nächste Schreiben war von dem Ehepaar Rispe aus Glogau. Sie hatten Pommerle auf der Hochzeit ihrer Tochter kennen und lieben gelernt, nun schickten sie ihr einen herzlichen Gruß zum heutigen Tage.

Aus Hirschberg schrieb Sabine, die blinde Tochter des Tischlers Reichardt. Sie bat Pommerle, sie möge recht bald einmal zu ihr kommen, doch hätte sie heute einen Brief schreiben müssen, um Pommerle zum Schulabschied etwas Liebes zu sagen.

Der sechste Brief kam von dem Villenbesitzer Krekow, der Pommerle mitteilte, er werde ihr zur Erinnerung an den heutigen Tag eine schöne kleine Yucca schenken. Er erinnerte das junge Mädchen in launiger Weise an die erste Begegnung in seinem Garten.

»Das vergesse ich in meinem ganzen Leben nicht«, sagte Pommerle. »Die Yucca blühte – noch nie hatte ich so etwas Herrliches gesehen! Ich schlich in den fremden Garten, kletterte mit meiner Kamera auf eine dastehende Gießkanne und purzelte um. Eine Aufnahme wollte ich von der herrlichen Yucca haben. Dann wurde ich von dem Gärtner furchtbar ausgescholten. Aber alle Angst, alles Leid wandelte sich bald in helle Freude, ich durfte in den herrlichen Wintergarten kommen, und heute bekomme ich sogar selbst eine Yucca!«

Der letzte Brief war von Vetter Felix, der in Breslau in Stellung war.

»Hoffentlich gefällt es Dir in Deinem neuen Wirkungskreis besser, als mir in dem meinen. Deine Eltern werden gewiß dafür sorgen, daß Dir Erleichterungen werden. Du hast es eben gut! Du brauchst Dich nicht so zu schinden wie ich! Ich wollte meine Ferien eigentlich bei Euch verbringen, wenn Du jedoch nicht daheim bist, wird es kaum etwas werden. Möge es Dir in Zukunft gut gehen, und wenn Du viel Geld verdienst, denke auch einmal an Deinen Vetter, der furchtbar rechnen muß.

Dein Felix.«

Pommerle seufzte. »Das ist mein Sorgenkind, der Felix! Damals habe ich mich sehr gefreut, daß er bei Direktor Monno ein fleißiger Mensch wurde, leider hat er wieder nachgelassen. Ich will die Eltern bitten, daß sie ihn für die Osterferien einladen, damit ich ihm noch einmal gründlich den Magen ausräume. Damals hat es genützt. Ich werde ernsthaft mit ihm reden, ihm meine Lebenseinteilung sagen. Das wird Eindruck auf ihn machen! – Es ist ja wahr, er hat keine so lieben Eltern wie ich, so gut wie mir geht es wohl keinem anderen! – Nein, Felix, ich werde dich nicht verlassen. Wir werden uns zu Ostern sehen, und du sollst hier schöne Tage verleben. Das wird mein letzter Lebensapril-Wunsch an die Eltern sein.«

Als Pommerle später mit den Eltern darüber sprach, stieß sie auf keine Schwierigkeiten. Professor Bender hielt es sogar für gut und richtig, seinem Neffen wieder einmal gründlich ins Gewissen zu reden. Felix brauchte hin und wieder ernsthafte Ermahnungen.

»Ich werde noch ein vergnügtes Osterfest mit euch feiern, dann geht es in die neue Arbeit. In ganz ungewohnte Arbeit! – Was werde ich wohl zu tun bekommen? Ich bin sehr neugierig!«

»Man wird dir manche Pflichten übertragen, mein liebes Pommerle, die du treu zu erfüllen hast. Bis jetzt durftest du alles, was du tatest, für dich tun. Nun kommt eine Zeit, in der du deine Kräfte, dein Können, dein Wissen in den Dienst anderer zu stellen hast. Du mußt dich unterordnen, mußt gehorchen, darfst nicht murren, wenn du mitunter glauben könntest, daß diese oder jene Arbeit für deinen späteren Wirkungskreis nicht notwendig sei. Man lernt nie zuviel, Pommerle!«

»Mütterchen, ich komme auf ein Gut. – Auf einem Gute gibt es einen Garten, ich brauche also im Sommer meine Blumen nicht zu entbehren.«

»Ich nehme an, daß du in der Hauptsache für die vier Kinder da sein wirst.«

»Mütterchen, Kinder sind auch Blumen! So gut ich es kann, werde ich sie pflegen, damit sie wachsen und gedeihen. Ich bin ja in eurer Nähe, muß nicht weit fort, muß nicht einmal aus meinem lieben Schlesierland fort, und das Riesengebirge ist auch nicht weit. Ich gehe also nicht in die Fremde!«

»Auch nach dieser Richtung hin hast du Glück, mein geliebtes Kind. Der Menschenschlag ist dir nicht fremd, du bleibst unter den Schlesiern und wirst dich wahrscheinlich auch weiterhin gut mit ihnen stellen.«

»Ja, Mütterchen! Gerade heute früh habe ich einen Spruch auf dem Kalender gelesen, der gut zu mir paßt.«

Frau Bender schlug lachend die Hände zusammen. »Fängst du auch mit Kalendersprüchen an?«

»Ich muß, Mütterchen! Der Jule hat mich gebeten, ich möchte ihm alle Kalenderblätter, auf denen ein Vers steht, sammeln. Das soll ich ihm zum Geburtstag schenken.«

»Was will er denn damit?«

»Er meint, es sieht gelehrt aus, wenn er einem Menschen einen Spruch schreibt.«

»Und was hat mein liebes Pommerle auf dem Kalenderblatt gelesen?«

»Es ist gerade so, Mütterchen, als wäre es eigens für mich niedergeschrieben; gerade jetzt, wo ich den neuen Abschnitt meines Lebens beginne. Höre einmal:

Glücklich, wer nicht kreuz und quer gelenkt,
Wer der Heimat seine Kräfte schenkt,
Daß er wiederum gekräftigt werde
Von dem Liebeshauch der Heimaterde.«

Professor Bender war bei den letzten Worten ins Zimmer getreten. Er hatte den Vers gehört.

»So ist es, mein liebes Pommerle! Ich glaube, ich habe dir schon einmal, als wir in der Schweiz weilten, gesagt, daß nichts über die Heimat geht! An der Heimat hängt unser ganzes Herz, unsere ganze Seele! Die Heimat, die von uns geliebt wird, spendet willig Kraft für uns aus ihrem Boden. So wirst auch du, während du weiterhin in der Heimat bleibst, den ganzen Zauber des Wortes Heimat neu erkennen. Darum kannst du getrost die neue Arbeit beginnen. Ich weiß, daß mein liebes Pommerle, das bisher seine kleinen Pflichten treu erfüllte, auch größere Pflichten freudig auf sich nehmen wird, zum Wohle aller.«

»Ja, Väterli, ich will es! Mein Lebensmai soll nur Sonnenschein aufzuweisen haben, wie sich das für einen richtigen schönen Mai gehört!«

»Aber erst kommt noch einmal der Osterhase«, scherzte Bender.

»Ja, Väterli – der Osterhase! Zu Ostern will ich noch einmal recht – recht – übermütig sein! Wir legen Ostern noch in meinen Lebensapril! Darf ich?«

Die Eltern gewährten lachend und schlossen Pommerle zärtlich in die Arme.


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