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Unsere Nachbarn.

Gleich am ersten Tage nach unsrer Ankunft hatte ich mich sehr darüber gewundert, daß Papa unsere Nachbarn, die Epifanows, prächtige Menschen genannt hatte, und noch mehr wunderte es mich, daß er sie besuchte. Zwischen den Epifanows und uns bestand seit alten Zeiten ein Streit um ein Stück Land. Als ich noch Kind war, hatte ich mehr als einmal gehört, wie Papa sich über diese Angelegenheit ärgerte, auf die Epifanows schalt, verschiedene Leute zu sich berief, um – wie ich meinte – sich gegen sie zu verteidigen: ich hatte gehört, wie Jakob sie unsere Feinde und »schwarze Menschen« nannte, und ich erinnere mich, daß Mama gebeten hatte, daß man in ihrem Hause und in ihrer Gegenwart diese Menschen gar nicht erwähnen solle.

So hatte ich mir in der Kindheit eine so bestimmte und klare Vorstellung davon gebildet, daß die Epifanows unsere »Feinde« seien, die bereit wären, nicht nur Papa abzuschlachten oder zu erwürgen, sondern auch seinen Sohn, falls sie ihn erwischten, und daß sie in buchstäblichem Sinne »schwarze Menschen« seien, daß ich, als ich in Mamas Todesjahr Awdotja Wassiljewna Epifanow sah, la belle Flamande, die meine Mutter pflegte, kaum glauben konnte, daß sie der Familie der schwarzen Menschen entstamme. Trotz allem behielt ich eine sehr geringe Meinung von dieser Familie. Obgleich wir in diesem Sommer oft beisammen waren, blieb ich seltsam eingenommen gegen die ganze Familie; sie bestand aus der Mutter, einer fünfzigjährigen, noch frischen und lustigen Witwe, der schönen Tochter Awdotja Wassiljewna und dem stotternden Sohne Peter Wassiljewitsch, einem unverheirateten Leutnant a. D. von sehr ernstem Charakter.

Frau Anna Dmitrijewna Epifanow lebte zeitweise in Petersburg, wo sie Verwandte hatte, meistenteils aber auf ihrem Gute Mytischtschi, das drei Werst von uns entfernt war. Das Gut war nicht groß und zählte nur etwas mehr als hundert Seelen; Anna Dmitrijewna aber hatte in früheren Zeiten sehr viel Geld verschwendet, so daß vor zehn Jahren, als der Besitz über und über verschuldet war, der zwangsweise Verkauf unvermeidlich schien. In dieser peinlichen Lage schrieb Anna Dmitrijewna – in der Meinung, die Beschlagnahme ihres Vermögens, der Besuch von Gerichtspersonen und ähnliche Unannehmlichkeiten hätten ihren Grund weniger in dem Nichtzahlen der Zinsen als darin, daß sie eine Frau sei, – an ihren Sohn im Regiment, er möge nach Hause kommen, um seine Mutter zu retten. Obgleich Peter Wassiljewitsch beim Militär so gute Aussichten hatte, daß er hoffen konnte, bald sein eigenes Brot zu verdienen, ließ er alles im Stich, nahm seinen Abschied und kehrte als gehorsamer Sohn, der es für seine erste Pflicht hielt, die Mutter in ihren alten Tagen zu trösten (wie er ihr vollkommen offenherzig schrieb), auf das Gut zurück.

Peter Wassiljewitsch war trotz seines unschönen Gesichtes, seiner Plumpheit und seines Stotterns ein Mann mit sehr festen Grundsätzen und ungewöhnlich praktischem Verstande. Es gelang ihm, durch kleine Anleihen, Geldumsätze, Bitten und Versprechungen das Gut zu erhalten. Er wurde Landwirt, zog des Vaters Pelzrock an, der in der Rumpelkammer aufbewahrt worden war, schaffte Equipagen und Pferde ab, hielt sich alle Besuche fern, ließ gerodetes Land bearbeiten, verstärkte den Frondienst, verminderte das Bauernland, holzte seine Wälder aus, verkaufte günstig den Hain und brachte so seine Verhältnisse in Ordnung. Er hatte sich das Wort gegeben und hielt es auch, ehe nicht alle Schulden getilgt sein würden, keine anderen Kleider zu tragen als den Rock des Vaters und einen Paletot aus Segeltuch, den er sich selbst genäht hatte, und nie anders zu fahren als im Bauernwagen und mit Bauernpferden. Diese stoische Lebensweise suchte er der ganzen Familie beizubringen, soweit ihm das seine geradezu sklavische Ergebenheit gegen die Mutter, zu der er sich verpflichtet fühlte, gestattete. Im Salon war er der Sklave der Mutter, erfüllte stotternd alle ihre Wünsche, schalt die Leute, wenn sie nicht taten, was Anna Dmitrijewna befahl, in seinem Arbeitszimmer aber und im Wirtschaftsbureau forderte er streng Rechenschaft, wenn ohne seinen Befehl eine Ente für den Mittagstisch geschlachtet oder auf Anna Dmitrijewnas Geheiß ein Bauer zur Nachbarin geschickt worden war, um sich nach deren Befinden zu erkundigen, oder wenn man ein paar Bauernmädchen statt in den Gemüsegarten zum Jäten, in den Wald nach Himbeeren geschickt hatte.

Nach etwa vier Jahren waren alle Schulden abgezahlt und Peter Wassiljewitsch fuhr nach Moskau und kam von dort in einem neuen Anzuge und in einem neuen Wagen zurück. Aber trotz dieser günstigen Wendung der Dinge blieb er bei seinen stoischen Neigungen, mit denen er, wie es schien, sich vor den Seinen und vor Fremden mürrisch brüstete, und sagte oftmals stotternd: »Wer wirklich das Verlangen hat, mich zu sehen, der wird mich auch im Schafpelz gern sehen, und der wird auch meinen Brei und meine Sauerkrautsuppe gern essen; denn ich esse sie,« fügte er hinzu. In jedem seiner Worte und Bewegungen drückte sich der Stolz aus, der dem Bewußtsein entsprang, daß er sich für die Mutter geopfert und das Gut gerettet hatte, und die Geringschätzung für andere, die nichts Ähnliches geleistet hatten.

Mutter und Tochter waren ganz anderen Charakters und auch voneinander sehr verschieden. Die Mutter war eine der angenehmsten, stets gleichmäßig gutmütigen, in Gesellschaft heiteren Frauen. Alles Liebe und Lustige machte ihr aufrichtige Freude. Sie besaß auch im höchsten Grade die Fähigkeit, sich am Anblick fröhlicher Jugend zu ergötzen, – ein Zug, der sich nur bei den gutmütigsten alten Leuten findet. Ihre Tochter Awdotja Wassiljewna dagegen besaß einen ernsten Charakter oder vielmehr jenes besondere, gleichgültig zerstreute und ohne jeden Grund hochmütige Wesen, das sehr schönen Mädchen eigen zu sein pflegt. Wenn sie versuchte, heiter zu sein, so nahm ihre Heiterkeit eine seltsame Form an: bald schien sie über sich selbst zu lachen, bald über den, mit dem sie sprach, bald über die ganze Welt, was sie gewiß gar nicht beabsichtigte. Oft war ich erstaunt und fragte mich, was sie wohl damit sagen wollte, wenn sie Phrasen machte, wie: »Ja, ich bin ungeheuer schön; natürlich, alle sind in mich verliebt!« usw. Anna Dmitrijewna war immer beschäftigt, fand großes Gefallen an der Einrichtung ihres Häuschens und Gärtchens, an Blumen, Kanarienvögeln und hübschen Sächelchen. Ihr Zimmer und ihr Gärtchen waren klein und ärmlich, aber alles darin war so ordentlich und sauber, alles trug den allgemeinen Charakter jener leichten Fröhlichkeit, den ein hübscher Walzer oder ein Polka ausdrückt, daß die Bezeichnung »Spielzeug«, welche die Gäste oft als Lob gebrauchen, zu dem Gärtchen und den Stübchen Anna Dmitrijewnas vortrefflich paßte. Und Anna Dmitrijewna selbst war wie ein Spielzeug: klein, zierlich, mit frischer Gesichtsfarbe, mit hübschen, kleinen Händen, stets heiter und stets kleidsam angezogen. Nur die etwas zu stark hervortretenden dunkelvioletten Äderchen auf den kleinen Händchen störten ein wenig den allgemeinen Eindruck. Awdotja Wassiljewna dagegen tat fast nie etwas und beschäftigte sich nicht nur nicht gern mit irgend welchen Sächelchen oder Blümlein, sondern kümmerte sich auch viel zu wenig um ihre eigene Person und lief immer erst fort, sich anzukleiden, wenn Gäste kamen. Wenn sie dann aber in hübscher Toilette ins Zimmer zurückkehrte, sah sie ungewöhnlich schön aus, trotz des allen schönen Gesichtern eigenen kalten und einförmigen Ausdruckes der Augen und des Lächelns. Ihr streng regelmäßiges, schönes Antlitz und ihre schlanke Gestalt schienen beständig zu sagen: »Bitte, sehen Sie mich nur an!«

Doch trotz des lebhaften Charakters der Mutter und der gleichgültig zerstreuten Art der Tochter sagte einem doch ein gewisses Etwas, daß die erstere niemals, weder in früheren Jahren noch jetzt, irgend etwas anderes geliebt hatte als Hübsches und Lustiges, und daß Awdotja Wassiljewna dagegen eine jener Naturen war, die – wenn sie erst einmal lieben – dem geliebten Menschen ihr ganzes Leben opfern.


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