Ludwig Tieck
Die verkehrte Welt
Ludwig Tieck

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Grünhelm, Thalia.

Thalia: Und du willst dein Weib, dein unmündiges Kind verlassen?

Grünhelm: Ja, liebe Frau, es ist nun nicht anders, ich muß. Oder willst du lieber, daß ich im Kriege umkommen soll?

Thalia: Keins von beiden, sondern du sollst bei mir bleiben.

Grünhelm: Das geht aber nimmermehr.

Thalia: So versuche wenigstens dein Heil im Kriege.

Grünhelm: Das geht noch viel weniger.

Thalia: Du willst also dein Vaterland und mich verlassen? O du Hartherziger! habe ich dich darum so geliebt, bin ich dir darum so getreu gewesen? Der König hätte vielleicht seine Neigung auf mich geworfen, wenn unsre Ehe nicht gewesen wäre.

Grünhelm: Beruhige dich, liebe Frau, der König hat vielleicht auch am längsten gelebt.

Thalia niederknieend: Du hast mich noch niemals weinen sehen; o sieh, wie ich jetzt zu deinen Füßen Tränen vergieße. Laß dich durch mein Flehen zurückhalten. Sind meine Worte zu schwach, o so laß die Worte deines Kindes die Kraft der meinigen vermehren. Erinnre dich der frohen Stunden, die wir miteinander verlebt haben; gedenke der süßen Hoffnungen, von denen wir uns unterhielten. – Soll alles dies nun gänzlich vorüber sein? – Wie? bist du gerührt?

Grünhelm: Keinesweges, Geliebte, außer zum Weglaufen, und das bin ich, wie gesagt, schon von Natur.

Thalia: So will ich auch kein einziges Wort mehr verschwenden, du Feigherziger! Geh denn, andre Männer werden meine Liebe höher achten. Sie geht ins Haus.

Grünhelm: Nun ich sie verlassen soll, fang ich bei meiner Seele erst an sie zu lieben. – An das Parterre: Ja, meine Herren, es ist mit mir so weit gekommen, daß ich beschlossen habe, das Theater wieder zu verlassen, denn für den Krieg bin ich durchaus nicht gemacht. Es ist schon eine geraume Zeit her, daß ich hier heraufkletterte, und nun stehe ich wieder hier, im Begriff, hinunterzuklettern. – Wunderbar! daß unser Leben einen solchen Kreis durchläuft, der zu Ende ist, ehe wir es uns versehn.

Meine Geehrtesten! sehn Sie, ich bin nun bis zum Selbstmorde gekommen: ich meine, daß ich den Schauplatz wieder verlassen will. Ich hätte nicht geglaubt, daß meine Bestimmung mich dahin bringen sollte.

Dunkles Land! – Wie ist es jenseit dem Souffleur und diesen Lampen? – Ist es mir doch, als könnt ich mich leise dieses Zustandes erinnern. – Wie mag es dort unter euch sein, ihr ruhig anschauende Schatten? Ihr habt doch wohl alle eure Narrheiten zu Hause gelassen, so wie eure Geschäfte?

Apropos, Narrheiten! – Was haltet ihr davon? Die Menschen halten sehr viel davon und glauben es nicht. Jetzt erst, am Rande des Grabes, seh ich meine Torheiten vollkommen ein – und dies vollkommene Einsehn ist nur meine letzte Torheit. – Wer es vorher wüßte, wie oft ihm der Witz versagte: wie oft eine Posse, die ihn ergötzt, keinem andern gefällt – o wer das vorhersehen könnte, würde nimmermehr ein so langweiliges Spiel anfangen.

Vor meiner Geburt war ich gewiß schon ein Narr, denn sonst hätte mir das Klugwerden nach der Geburt etwas leichter und natürlicher ankommen müssen. – In meiner Kindheit war ich ein Narr, und das bedarf keines Beweises. Dann wurde ich in die Torheit der Wissenschaften hineingetrieben und wurde ein ausgemachter Narr, denn ich wurde eitel und dünkte mich gelehrt und weise. Dann wurde ich ein Zänker, der Händel suchte und immer schlimm dabei wegkam. Darauf verbesserte ich mich zu einem furchtsamen Narren; ein Zustand, den ich jetzt zum zweiten Male erlebe, und der mir die Gelegenheit verschafft, diese wenigen Betrachtungen anzustellen.

Doch, daß ich's kurz mache, ich wurde verliebt, ja ich heiratete, eine größere Narrheit folgte der großen; nun ward ich gar Vater und sah in allem, was mein Kind schrie und spielte, die wunderbarsten Genieanlagen, verhätschelte mich in ihm und war in Zärtlichkeit und Eigenliebe der größte Narr. Wie nun gar, da ich philosophisch zu erziehen anfing!

Das ist so der kurzgefaßte Inbegriff aller meiner Wissenschaften, und nun, meine Hochgeehrtesten – dies sind ohngefähr die letzten Worte, die ich sagen kann, denn bald werde ich hier nicht mehr sein – (ich wollte, es fiele mir noch ein andrer Spaß ein, als daß ich gleich herunterspringen werde – nein, in der Tat, mir kömmt gar nichts bei) – nun also werd ich mich, wie gesagt, zu euch verfügen, um von dort in Ruhe den Sturz des Skaramuz zu sehn. – Jetzt spring ich! Kopf weg! Er springt in das Parterre hinab.

Scävola: Das war eine erstaunlich rührende Szene. – Aber was heult denn hier so?

Der Andre: Herr Wachtel schluchzt so sehr.

Wachtel: Ne – nein – ei – ei – einen solchen – Selbstmord ka – kann's nicht ansehn!

Die Armee des Skaramuz, darunter Schatzmeister, Stallmeister, Rabe, der Fremde, der Maschinist, Harlekin, der Leser, Skaramuz reitet in voller Rüstung auf seinem Esel herein.

Skaramuz: Der Feind ist ganz nahe – fürchtet euch nur nicht, liebsten Leute – er ist doch immer nur der Feind. – Wo ist mein Adjutant?

Harlekin: Er soll sich selber umgebracht haben.

Grünhelm: Ja, ich sitze hier mit meiner Seele in Elysium, und fürchte mich nun nicht mehr.

Skaramuz: Ach, er ist zu beneiden, lieben Freunde; auf die Fieberschauer dieses Lebens schläft er wohl, er ist glücklich.

Trompeten. Das Heer des Apollo, mit ihm Admet, Myrtill, Aulicus, der Schriftsteller, der Wirt, der Poet, der Directeur.

Skaramuz: Da sind die grausamen Feinde, alle sind sie da und hört nur, wie unverschämt sie in die Trompeten stoßen!

Apollo, der auf dem Pegasus durch die Luft herunterfliegt.

Skaramuz: Seht, was der Kerl da für Streiche macht! – Das verursacht gewiß wieder der verwünschte Maschinist.

Maschinist: Wahrlich nicht, mein König, diese Künste sind mir selber unbegreiflich.

Skaramuz: Nun, Leute, haltet euch nur tapfer, denn das ist die Hauptsache, alles übrige wird nicht viel zu bedeuten haben. – Ich kann keine langen Reden halten, aber einen Schlachtgesang sollen uns die Musen singen.

Schlachtgesang:
Das Vaterland! das Vaterland!
Daß nur keiner davonläuft!
Ihr kennt doch wohl den Stock? –
Das Vaterland! das Vaterland!
Frisch in den Feind hinein,
Sonst soll der Stock –
O Vaterland! o Vaterland!
Für dich nur fechten wir:
Du bist der Stock!

Es wird das Zeichen zum Angriff gegeben, eine fürchterliche Schlacht, alle gehn kämpfend ab.

Feldgeschrei. Der Maschinist, der Poet, im Zweikampfe.

Poet: Ergib dich, du erbärmlicher Maschinist, der nur immer für den elendesten Effekt arbeitet.

Maschinist: Ergib dich, Poet, der du so unverschämt bist, zu verlangen, daß sich die Menschen der Poesie erfreuen sollen.

Poet: Ja, das will ich, und sie sollen es!

Maschinist: Und sie sollen die Dekorationen vorziehn!

Gehn fechtend ab.

Apollo mit Gefolge.

Apollo: Frisch, meine Freunde! der Sieg neigt sich schon auf unsre Seite.

Brauer kömmt.

Brauer: Ich habe schon ein paar Wunden, die mir nicht übel schmecken. Skaramuz tut wahre Wunder der Tapferkeit; den Esel haben sie ihm unterm Leibe umgebracht, die hartherzigen Feinde; aber das rührt ihn nicht, er streitet zu Fuß immer weiter.

Skaramuz tritt auf.

Skaramuz: Ein Pferd! ein Pferd! mein Königreich für ein Pferd!

Brauer: Warum denn gleich das ganze Königreich? So bleibt Euch ja nachher nichts übrig.

Skaramuz: Es ist ja nur eine Hyperbel, Esel, die ich in der Leidenschaft ausstoße. Geht ab.

Brauer: Ich muß doch auch wieder nachsehn, wie sich die Bataille befindet. Geht ab.

Rückzug. Das Heer des Skaramuz nimmt die Flucht, die andern verfolgen die Fliehenden. Skaramuz kömmt trostlos.

Skaramuz: Meine Herren, die ganze Bataille ist total verloren – nun bleibt mir gar keine Hoffnung mehr – ich werde abgesetzt, der verdammte Apollo nimmt meine Stelle ein. – Meine ganze Armee ist zerstreut; – erbarmen Sie sich meiner, geliebte Zuschauer, schicken Sie mir eine Verstärkung!

Scävola: Warum stehn wir aber auch müßig, und sehn das Leiden des großen Mannes so kaltblütig mit an?

Pierrot: Wir sind Schurken, wenn wir es leiden, daß er abgesetzt wird.

Der Andre: Nimmermehr soll es so weit kommen.

Zuschauer: Nein! nein! hat schon das Gewitter ausgestanden, und soll sich nun noch sein Reich zerstören lassen.

Apollo kömmt mit seinem Gefolge.

Apollo: Der Sieg ist nun unser, Freunde; nehmt noch den Skaramuz gefangen und dann wollen wir das Reich von neuem einrichten.

Zuschauer: Nimmermehr soll es so weit kommen.

Sie klettern alle zum Theater hinauf.

Apollo: Was gibt's denn?

Zuschauer: Er ist unser Freund, wir wollen für ihn bis auf den letzten Blutstropfen fechten. Fangt nur die Schlacht gleich wieder von neuem an, dann wollen wir sehn, wer den Sieg davonträgt.

Apollo: Ha ha ha! liebe Herren, Sie vergessen sich ganz.

Die ganze Armee des Apollo lacht.

Scävola: Es ist da nichts zu lachen, wir beschützen sein Königreich; er hat tugendhaft und gut regiert, wir wollen seine treuen Untertanen sein.

Apollo: Aber, meine Herren, Sie vergessen in Ihrem Enthusiasmus, daß wir alle nur Schauspieler sind, und daß das Ganze nichts als ein Spiel ist. – Und damit wäre denn das Stück völlig zu Ende.

Wagemann: Herr Skaramuz, Sie haben sich sehr tapfer gehalten.

Scävola: Herr Directeur, Sie ließen im Stücke einmal ein Wort davon fallen, daß Sie den Skaramuz abdanken wollten, das soll auch nicht sein.

Wagemann: Ich wäre ja ein Tor, wenn ich es täte, da er Ihren Beifall in einem so hohen Grade hat, daß Sie für ihn sterben wollen.

Scävola: Ja, Blut und Leben für Skaramuz!

Alle: Leib und Leben für Skaramuz!

Der Vorhang fällt.

Prologus tritt bescheiden herein.

Prologus: Sie werden hier ein Stück sehen, meine Verehrungswürdigen, das ein wenig wunderlich aussieht, das es aber von Herzen gut meint. Es ist nützlich, wenn wir zuweilen des mannigfachen Elends dieser großen Erde vergessen, oder auch es milder im Spiegel der Torheit anschaun, und dazu dient vielleicht nachfolgendes.

Gefällt Ihnen das Stück nicht, so steht es um so schlimmer um den Verfasser; alle Entschuldigungen sind dann umsonst, und ich will kein Wort zu seiner Rechtfertigung sagen. Wenn Ihnen also die Zeit lange währt, so wünsche ich Ihnen von ganzem Herzen bei irgendeinem andern Schauspiele desto mehr Vergnügen. –

Doch ich sehe soeben, es ist kein Zuschauer da, der diesen so notwendigen Prologus anhören könnte.

Zuschauer: Wir sitzen hinter der Gardine, Herr Prologus, beim Herrn Skaramuz.

Prologus: So will ich also auch zu ihm gehn. Ich empfehle mich. – Er verbeugt sich sehr ehrerbietig gegen die leeren Bänke und geht ab.

Grünhelm: Nun ist der ganze Prolog an mich gerichtet gewesen, der ich eine der Hauptpersonen im Stücke selber war, und doch ist er mich gar nicht gewahr geworden, und doch bin ich hier der einzige Mensch! Es ist immer sehr wunderbar, und verdient wohl eine Untersuchung der Philosophen. – Aber ich tue wohl gut, nach Hause zu gehn, und meiner wirklichen Frau von meinen wunderbaren Begebenheiten diesseit und jenseit der Lampen zu erzählen, denn die Verbindung mit der Thalia war nur eine Komödienheirat. Er geht.


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