Ludwig Thoma
Andreas Vöst
Ludwig Thoma

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Zwanzigstes Kapitel

In den Gerichtssaal fielen die Sonnenstrahlen und legten sich breit auf die strengen Mienen der Richter. Die schützten sich verdrießlich gegen den lichten Schein, und als sie ihn nicht abwehren konnten, mußte ein Diener die Vorhänge herunterlassen. Da waren die Sonnenstrahlen ausgesperrt.

Nur einer drängte sich durch die Lücke und huschte über die Bänke. Er fand zwei schwielige Hände, und die waren ihm so vertraut, daß er sich liebkosend an sie schmiegte. Die Hände öffneten und schlossen sich wieder, als wollten sie den zitternden Sonnenstrahl festhalten.

Der Mann, dem die Hände gehörten, freute sich über ihn. Er dachte, wie die Sonne wohl auf die Erlbacher Felder herunter scheine. Sie hatten heute gewiß gemäht, und auf allen Wiesen lag duftendes Gras. Sie konnten es bei der Wärme zu Mittag wenden und am Abend einfahren. Den Leuten draußen war die Sonne eine freundliche Helferin.

Ein breiter Schatten fiel über den Boden, und der Sonnenstrahl war verschwunden.

Der Schuller sah auf. Da stand Baustätter mitten im Saale und verneigte sich vor den Richtern.

»Herr Pfarrer, Sie kennen den Angeklagten?«

»Ja.«

»Es wird behauptet, daß Sie ihm feind seien.«

»Ich? Warum sollte ich ihm feind sein?«

Der Verteidiger erhob sich.

»Sie haben doch heftig gegen ihn agitiert? Und Streit mit ihm gehabt?«

Baustätter schüttelte den Kopf. Er verstand den scharfen Ton nicht.

»Ich habe Bedenken gegen ihn geäußert, wie es meine Pflicht war.«

Der Vorsitzende nickte ihm zu.

»Sie wollen sagen, daß Sie als Seelsorger an ihm Verschiedenes auszusetzen hatten, aber daß Sie keine persönliche Feindschaft gegen ihn hegen?«

»Ja, das wollte ich sagen.«

»Dann schildern Sie uns, bitte, den Leumund des Angeklagten.«

Baustätter redete. Mit Ruhe und ohne Leidenschaft. Er sagte, daß er allen Pfarrkindern ein offenes Herz entgegengebracht habe, daß er von jedem ursprünglich das Beste glauben wollte. Auch von Andreas Vöst. Nur mit Widerstreben habe er an diesem vieles bemerkt, was er als Seelenhirte rügen mußte. Verstöße gegen die kirchlichen Vorschriften, Unsittlichkeit im Hause und manches, was Ärgernis erregte.

Baustätter sagte, daß er bessern wollte, und es half nichts, daß er mit Milde eingeschritten sei, und man habe mit Roheit geantwortet. Und er schilderte seine schmerzlichen Erfahrungen und die Gewalttätigkeit des Vöst.

Schuller hörte ihm zu. Es war immer das nämliche. Die Lüge so versteckt, so eingemengt in die Wahrheit, daß sie kein Mensch herausfinden konnte. Er hatte es versucht, er hatte gemeint, daß er das Gewebe zerreißen könne. Und es hatte ihn fester eingeschnürt, je mehr er sich wehrte.

Jetzt war er müde. Er hörte zu, als würde von einem andern gesprochen. Die sanfte Stimme ertönte gleichmäßig weiter und erhob sich erst gegen den Schluß.

Als Baustätter sagte, daß der bravste Mann in Erlbach, der Vater von vier Kindern, von diesem rohen Menschen gemordet worden sei.

Es war stille im Gerichtssaal.

»Vöst, haben Sie etwas zu erinnern gegen diese Aussagen?«

Der Schuller sah den Vorsitzenden an.

Ob er etwas zu sagen hatte gegen diese Lügen? Jedes Wort war falsch, von langer Zeit her ausgedacht, verdreht, zur Verdächtigung hergerichtet. Wie sollte er sie alle widerlegen mit ein paar Sätzen? Wo sollte er anfangen und wo enden? Und er sagte nur:

»Der is schuld an allem.«

Die Richter sahen mißbilligend auf ihn herunter.

Es war doch wirklich kläglich, mit solchen Redensarten zu kommen!

Der Verteidiger trat vor.

»Man muß die Vorgeschichte kennen...«

»Das gehört nicht zur Sache!« sagte der Vorsitzende. »Das mit der Bürgermeisterwahl, das hat mit der Tötung des Hierangl nichts zu tun!«

Der Schuller setzte sich wieder. Er wußte es ja! Es war heute wie immer. Sie hörten ihn nicht.

 

Der Morgen darauf versprach wieder schönes Heuwetter.

Die Baumgipfel im Weblinger Wald waren schon vom Frühlicht beschienen. Da eilten die Leute mit der Arbeit. Solange der Tau auf den Gräsern liegt, ist gut mähen. Trockenes Gras macht die Sensen stumpf. Und jeder schwang die Arme schneller und griff weiter aus im Schritt. Als die Sonne über den Hügeln stand, war das meiste geschehen.

Der Haberlschneider schulterte die Sense und wartete auf den Zwerger, der den Feldweg herunterkam.

»Dös is wieder prachtvoll heunt!«

»Bal's so weitergeht, bring i de Woch no mei Heu hoam.«

Bis zum Feldkreuz gingen sie miteinander. Da blieb der Zwerger stehen.

»Was sagst denn zum Schuller? Vier Jahr Gfängnis!«

»Daß er nimmer rauskimmt, sag i. Den hat er gliefert, unser Herr Pfarrer!«

Der Haberlschneider setzte sich bei den Worten auf den Feldrain. Seine jüngste Tochter mußte bald kommen und den Morgentrunk bringen.

»Den hat er gliefert!« wiederholte er.

Und er sah nach Erlbach hinunter. Da lag das Dorf Haus neben Haus. Aus den Schornsteinen stiegen dünne Rauchsäulen in die Luft. In den Ställen brüllte das Vieh; der Wind trug den Schall herauf.

Und jetzt klangen im gleichen Takte starke Hammerschläge, Zimmerleute bauten an der Kirche ein hohes Gerüst. Der alte Turm wurde abgebrochen und ein neuer errichtet.


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