Ludwig Thoma
Andreas Vöst
Ludwig Thoma

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Dreizehntes Kapitel

Aber während sich jetzt in Erlbach das Unrecht ausbreitete wie die Kleeseide auf dem Felde, ging man anderwärts daran, Wucherblumen und Kletten und anderes Unkraut zu entfernen, damit das Recht ein freieres Wachstum haben sollte.

Über Nacht war Nußbach ein Ort geworden, dem man Beachtung schenkte; ein Ort, in welchem Ereignisse vorfielen, so bemerkenswert, daß alle Zeitungen darüber schrieben. Die einen ausführlich, die anderen sehr kurz. Aber kein Blatt überging sie völlig. Denn sie standen im Zeichen der hohen Politik. Waren Symptome beginnender Aufklärung oder Symptome der um sich greifenden Zuchtlosigkeit. Je nachdem man sie betrachtete.

Schüchel, Wimmer, Prantl. Wer kannte diese Namen? Waren sie je in Gegenden gedrungen, wo keine Nußbacher Wegzeiger standen? Kannte sie jemand außer den wenigen Menschen, welche zu Nußbach Kaisermehl kauften oder sich neue Absätze an die Stiefel schlagen ließen? Und jetzt las man überall, daß sich eine politische Bewegung zeige unter der Leitung eines gewissen Wimmer und eines gewissen Prantl. Des Jakobos Prantl, welcher sich seines Ruhmes erfreute; der auch bei kühler Witterung lange Stunden auf dem Marktplatze stand und die Augenbrauen so finster zusammenzog, als wolle er hier, just auf dem Flecke zwischen dem Sternbräu und dem Melber-Wimmer-Hause, die neue Weltordnung aufrichten. Viele betrachteten ihn scheu und mit einem gewissen Grauen. Denn etwas Unheimliches haftet allen Menschen an, welche an den Grundfesten des Staates rütteln.

In die Scheu mischte sich Ehrerbietung vor dem Manne, dessen Name in den Zeitungen stand und der solchergestalt über das bescheidene Maß eines Nußbacher Bürgers hinausragte. Und die Gestalt des grimmigen Schusters erinnerte die Nußbacher an den Lärm, mit dem die Welt angefüllt war, der nun auch in ihre stillen Behausungen drang.

Der Vater trug ihn mit, wenn er vom Abendtrunke heimkam; die Frauen brachten ihn aus den Läden, und wöchentlich dreimal hallte das bürgerliche Zimmer wider von Geschrei, wenn sich zwei Weltanschauungen im »Wochenblatte« und im »Anzeiger« gegenübertraten. Und das war seit der Vorbesprechung, welche die neuen Bauernbündler am 16. Dezember abhielten. Oder, um es genauer zu bestimmen, seit der Woche, welche diesem Ereignisse voraufging. Denn es wurde angekündigt und gepriesen, es wurde verlacht und verurteilt, schon bevor es stattfand.

Nie vorher hatte der Setzer des Herrn Adolf Schüchel so große Buchstaben in den Winkelhaken gesteckt als zu dieser Zeit. Es waren Buchstaben, welche der Bedeutung der Sache und den Worten des Jakob Prantl gerecht werden mußten. Buchstaben, welche sich fett und schwarz auf das Papier drängten und den Leser so ungestüm anschrien, daß ihm jeder Widerspruch in der Kehle hängenblieb. Sie waren von so gewaltigem Umfange, daß sie den Gegner erdrücken mußten, wenn er mit bescheidenen Lettern anmarschiert kam.

Aber Hefele sah sich vor und führte den Kampf für das Christentum mit dicker Schwabacher Schrift. Und so konnte das Nußbacher Volk nicht mehr in beschaulicher Ruhe die Neuigkeiten der Woche überblicken. Es wurde gezwungen, seine Aufmerksamkeit von nichtigen Dingen abzuwenden, um zu erfahren, daß nun endlich die Morgenröte der Freiheit ihre bedenklichen Lichtstrahlen auf das dunkle Treiben des Zentrums werfe.

Doch stand dies nicht mit Sicherheit fest, weil schon den andern Tag in den Nachrichten die Erwartung ausgesprochen wurde, daß jeder halbwegs gebildete Mensch sich durch die gemeinen Angriffe angeekelt fühle, welche nur schlecht verborgenen fanatischen Haß gegen die Kirche zum Untergrunde hätten. Auch dem Gefühl des Ekels durfte man sich nicht ungestört hingeben, denn die düstere Antwort des »Wochenblattes« sagte, daß der Schreiber jener Zeilen, welcher offenbar den Kreisen des Zentrums entsprungen sei, im alten Rom sicherlich als Volksfeind behandelt und vom Tarpejischen Felsen hinuntergeworfen worden wäre.

Wer mag es den Nußbachern verargen, daß sie ängstlich auf den Sturmwind horchten, der um ihre Häuser pfiff und an ihren Fenstern rüttelte?

Und dann kam der 16. Dezember. Ein winterlicher Sonntag von freundlichem Ansehen. Ein Sonntag wie so viele andere mit Messe, Hochamt und Predigt. Mit Frühschoppen im Gasthaus Zur Post, gesottenen und abgebräunten Würsten und Weißwein dazu. Mit einer gebratenen Gans zu Hause und einem Nachmittagsschläfchen.

Aber von da ab veränderte sich der feiertägliche Lauf der Ereignisse. Der Spaziergang mit Weib und Kind unterblieb, der Tarock beim Unterbräu wurde nicht gespielt. Die friedliche Erholung war verdrängt durch erbitterten Kampf. Den Nachmittag um vier Uhr war der große Saal im Sternbräu dicht besetzt. In langen Reihen waren Tische und Bänke aufgestellt; kein Platz war leer. Für die Honoratioren Nußbachs waren vor der Rednerbühne einige Tische reserviert; hier saßen der Bürgermeister Huber und der alte Rentamtmann Zinkel. Neben ihnen der Amtsrichter Kroiß, welcher als eifriger Anhänger der ultramontanen Partei bekannt war. Er unterhielt sich lebhaft mit dem Abgeordneten, Dekan Metz, welcher heute nicht fehlen durfte. Man sah außer ihm noch manchen Herrn im geistlichen Habit; meist behäbige Männer, deren Gesichtszüge mehr Gutmütigkeit als Fanatismus verrieten.

Von den jüngeren hatte allerdings mancher die tiefliegenden Augen und blassen Wangen eines eifrigen Streiters. Der Pfarrer von Erlbach war nicht anwesend, und das wunderte viele. Neben Beamte und Geistliche hatten sich angesehene Bürger von Nußbach gesetzt, welche damit ihre Zugehörigkeit zum guten Publikum zeigen wollten. Weiter nach rückwärts drängten sich Mann an Mann die Bauern aus der Umgegend.

Die Dorfschaften hielten sich zusammen; die Giebinger, die Erlbacher, die Weblinger, die Leute von Schachach, Fahrenzhausen, Zillhofen, Aufhausen und Grubhof, die Prittlbacher, Arnbacher, Inzemooser und Vierkirchner. Und wie die Gemeinden sonst heißen mochten. Ein Kundiger bemerkte, daß auch die politische Meinung bei der Wahl der Plätze sich geltend gemacht hatte. Die schärfsten Feinde der bestehenden Ordnung hielten gute Nachbarschaft und saßen näher an der Tribüne.

In den vordersten Reihen die Grubhofer und Arnbacher mit dem Wanninger und Scheiblhuber in ihrer Mitte. Gleich hinter ihnen sah man das verwitterte Gesicht des alten Rädlmayer von Schachach und nebendran den breitschultrigen Stuhlberger und den Gottesleugner Meisinger von Giebing.

Die argen Feinde des Dekans Metz, welcher den Einwurf seiner Fenster und andere üble Dinge nur diesen beiden zuschrieb. Unweit von ihnen saß der Hirner von Aufhausen. Er mußte durch fünf Dörfer wandern, ehedenn er nach Nußbach kam, und in jedem Dorfe gab er dem Wirte die Ehre und jedem Bescheid, der ihm zutrank. Deswegen glänzten seine Augen, und seine Stimme gellte durch den Saal, wenn er einen Bekannten grüßte.

Von den Erlbachern war der Haberlschneider anwesend, auch der Zwerger, der Weßbrunner und der alte Florian Weiß. In den hinteren Bänken saßen die Leute, welche aus Neugierde gekommen waren und keine Partei nehmen wollten. Auch wieder andere, die zu spät gekommen waren. Die meisten junge Burschen; Kopf an Kopf standen sie in dichtem Gedränge, und immer polterten noch andere die hölzerne Stiege herauf und drückten sich mit groben Ellenbogen in den Saal.

An zwei Wänden entlang lief eine hölzerne Galerie; sie war so überfüllt, daß der Sternbräu ängstlich wurde und einen Teil der Leute herunterweisen ließ.

Die vorne saßen und die Köpfe auf das Geländer stützten, hatten die besten Plätze. Darunter war einer, der seine schlauen Augen in alle Ecken schickte. Der Geitner von Erlbach.

Im Saale war großes Lärmen. Die Leute unterhielten sich lebhaft miteinander; einer schrie dem andern ein lustiges Wort zu, über drei Bänke hinüber, von unten zur Galerie hinauf und wieder herunter; viele redeten zu gleicher Zeit, und keiner redete still. Aber durch alles Poltern und Lärmen und Schreien hindurch klang eine Stimme, so hell und scharf und in so hohen Tönen wie eine Trompete. Das war die Stimme des Hirner von Aufhausen.

Auf der Rednerbühne saßen der überwachende Assessor Hartwig und die Einberufer, Schüchel, Wimmer und Prantl. Neben ihnen ein Bauer in grauer Lodenjoppe. Gesicht und Gestalt ließen sogleich erraten, daß er nicht aus dem Flachlande war. So hoch und gerade wachsen die Leute nicht, die hinter dem Pfluge hergehen. Er war aus den Chiemgauer Bergen, ein Ruhpoldinger, mit Namen Vachenauer.

Seit einigen Jahren schon bekannt als rühriger Vertreter der Bauernsache und, wie man ihm nachrühmte, ein guter Redner. Viele betrachteten ihn mit großer Aufmerksamkeit, und der Rädlmayer sagte zu seinem Nachbarn: »Dös is der sell, über den die Geischtlichkeit so scharf eingruckt is. Aber nachgeben tuat er gar it. Er versteht's glei besser, als wiar a Studierter.«

Und der Hirner schrie über alle Köpfe weg: »Vachenauer, sollst scho glei lebn aa!«

Da schaute der Ruhpoldinger in den Saal hinein und lachte vergnügt. Der Assessor hatte schon mehrmals auf die Uhr gesehen, als sich nun endlich der Leiter der Versammlung, der Schuhmachermeister Prantl, erhob und mit einer Handschelle läutete.

Der Lärm ging in ein Gemurmel über und verstummte allmählich. Man hörte noch, wie draußen auf dem Gange der Bierzapfen in ein Faß geschlagen wurde, und dann war es stille.

Prantl räusperte sich und nahm ein Blatt Papier zur Hand. Er war kein geübter Redner, überdies ließen sich auch seine schön geformten Sätze nicht gut auswendig lernen.

Und so las er sie ab:

»Liebe Standesgenossen, Bauern und Bürger in Stadt und Land! Allgemein herrscht das Bemühen, durch Vereinigung der gesammelten Kräfte aus dem Mittelstande der Allgemeinheit zu zeigen, daß sich der Zeiten Lauf geändert hat und nicht mehr mit Schweigen geduldet wird.

Deshalb haben sich einige Männer aus dem Gewerbestande entschlossen, diese Versammlung einzuberufen, auf daß wir nach des Übels Quelle forschen können, welches den allgemeinen Wohlstand bedroht und gerade diejenigen Kreise in seinen Bereich zieht, welche bisher als die Säulen des Thrones in Betracht kamen. Daß Bauern und Gewerbe auf das regste zusammengehören, wird gewiß einer mit Menschenverstand nicht leugnen wollen. Geht es dem Bauern nicht gut, so wird dies auch bald der Städter empfinden. Es ist daher gleich, ob man vom Bauernstand oder vom Gewerbestand spricht; beide stellen, verbunden miteinander, den Nährstand des Landes vor. Deshalb haben besorgte Männer den Entschluß gefaßt, gemeinsam zu operieren und zu diesem Zwecke alle einzuladen, welche sich für das Interesse des Mittelstandes tätig erweisen wollen. Ich eröffne hiermit die Versammlung und fordere Sie auf, einen Vorsitzenden zu wählen.«

»Mir nehman an Schuasta«, schrie der Hirner, und andere schrien mit: »Jawohl! Da Prantl! An Schuasta!« Da trat der Einberufer Wimmer vor und sagte, es scheine ihm, daß eine große Mehrheit den Herrn Prantl zum Vorsitzenden haben wolle. Wer dagegen sei, möge sich von seinem Platze erheben. Niemand stand auf, und der Amtsrichter Kroiß rief laut: »Das ist der passende Präsident für diese Versammlung!«

Jakobos Prantl erklärte, daß er die ehrende Wahl annehme und daß er jetzt das Wort dem verdienten Manne und Bauernführer Peter Vachenauer erteile, welcher aus dem fernen Gebirge herbeigeeilt sei, um durch sein Wort der allgemeinen Sache zu nützen. Lauter Beifall erhob sich; und der alte Rädlmayer warf in der Freude seines Herzens den Hut in die Höhe. Der Peter Vachenauer trat ein paar Schritte vor und wartete, bis sich der Lärm gelegt hatte. Fast alle Bergbauern verstehen es, vor der Öffentlichkeit ohne Scheu aufzutreten. Sie haben Lebhaftigkeit in der Bewegung und eine leichte Art zu reden. Rasche Auffassung und große Schlagfertigkeit ermöglichen ihnen, mit geringen Kenntnissen Wirkungen zu erzielen.

Die größten naturgemäß vor schwerfälligen Ackerbauern, die nichts seltener besitzen, aber auch nichts höher schätzen als Rednergabe. Und die sie an niemandem mehr bewundern als an ihresgleichen. Darum konnte der Peter Vachenauer schon im voraus seines Erfolges sicher sein. Und er war es. Es lag viel Selbstbewußtsein in der Art, wie er vor den Leuten stand. Man sah deutlich, daß er die Wirkung jedes Satzes berechnete und sie absichtlich durch Schlichtheit des Ausdruckes steigerte, daß er Ruhe nicht nur besaß, sondern sie auch recht augenfällig zeigte, um hierdurch die Sicherheit seiner Überzeugung zu unterstreichen.

»Grüaß Good, Landsleut!« sagte er. »I muaß enk z'erscht sagn, wer i bin. Denn wenn ma zu oan kimmt, von dem ma was will, is dös allererste daß ma si z' kenna gibt. Sunst hat der ander koa Vertraun und denkt si, mit an Fremden hat ma koa Handelschaft. Und i will was von enk; ös sollts mir helfen, daß mir a Haus baun, wo alle Bauern drin Platz hamm. Dös is a große Sach, und da muaß i enk sagn, wer i bin und was i hab, daß i enk zu so was auffordern derf. I bin nix, als wiar a Bauer; und i hab nix als an kloan Hof und a fünf Küah im Stall, und de paar Markln, de i mir dös ganz Jahr z'ruckleg, trag i in d' Sparkassa; dös hoaßt, ins Rentamt. Da is dös Geld guat oglegt, und ma kimmt net in Versuachung, daß ma's wieda rausnimmt.«

Lautes Gelächter lief durch die Reihen. Der Hirner schrie:

»Dös is a Luada!«

»Aber an arms«, sagte der Vachenauer.

»Also, was i hab, is net viel«, fuhr er fort. »Aber zu dem, was i von enk will, braucht ma koa Geld, ma braucht bloß a Vertrauen. Und dös Vertrauen könnts hamm; net auf mi selber oder auf mi alloa, sondern auf alle, de dös nämliche wollen. Dös san viel Leut, und alle mitanander passen z'samm und passen zu enk; denn es san Bauern, grad so wia ös. De Leut hamm mi hergschickt, daß mir amal mitanand reden und schaugn, ob mir bei enk net an Beistand finden. I moan, des sell kunnt leicht gschehgn. Was uns weh tuat, tuat enk net wohl; was uns net paßt, dös mögts ös net. Hamm mir die nämliche Krankheit, nacha muaß uns do des nämliche Mittel helfen.«

»Das Mittel haben natürlich Sie«, rief der Amtsrichter Kroiß.

»I alloa net«, sagte der Vachenauer. »I bin koa Dokta, i bin selber a Patient. Und deswegn woaß i, was uns fehlt, und woaß aa, daß der Dokta, den ma bis jetzt ghabt hamm, nix wert is. Der hat si bloß allawei brav zahln lassen und hat si net drum kümmert, ob mir von oan Tag auf den andern kränker worn san. Der schlechte Dokta hoaßt Zentrum.«

Stürmischer Beifall lohnte die schlagfertige Entgegnung. Der Hirner schrie:

»Dem hoscht guat nausgebn. Laß it aus!«

»De schlechte Erfahrung hat uns gscheiter gmacht. Mir sagn jetzt, zu was sollen denn mir allawei anderne für uns reden lassen? Mir wollen amal selber sagn, was uns fehlt, und mir wollen's so laut sagn, daß ma's hört.

Deswegn bin i zu enk herkemma. I will enk net helfen, wia der Herr da gsagt hat. So was kann i net versprechen, weil i alloa z' schwach bin dafür. Na, i will nix anders, als enk auffordern, ös sollts enk selm helfen.

Wia soll dös der Bauer macha? Ja, i moan halt, gradso als wia de andern Leut a. Dös is koa neue Sach, de ma erst ausprobiern muaß.

Mir sehgn alle Tag, daß's de andern Ständ recht guat geht. De Herren Beamten, de Geistlichen. Warum is' bei dena anderst?«

»Weil sie was gelernt haben«, schrie der Amtsrichter.

»Dös glaab i net. Wenn bloß d' Gscheitheit zahlt wern tat, nacha gang's viele schlecht. Es hamm's aber alle gleich guat. Dös hat scho a andern Grund. Weil de meisten im Landtag drin Beamte und Geistliche san, und de machen's so, daß eahna selber guat geht, und ma hoaßt dös: ›Aufbessern‹.«

»Wo und wann sind die Geistlichen aufgebessert worden?« rief Kroiß, und der Dekan Metz sagte mit seiner fetten Stimme:

»Das ist eine offenbare Lüge!«

Vachenauer ließ sich nicht aus der Ruhe bringen.

»Vorderhand san amal de Beamten aufbessert worn: de wern nacha scho helfen, daß de geistlichen Herrn aar an Brocken kriagn.«

Der Amtsrichter sprang auf und fuchtelte mit den Armen:

»Wo und wann sind die Geistlichen aufgebessert worden?«

Diese Heftigkeit mißfiel den Leuten, am meisten dem Hirner.

»Halt's Mäu, du Herrgottsackerament!« schrie er, und viele schrien es nach. »Mäu haltn!«

Ein junger Knecht, der auf der Galerie saß, dachte, hier könne man einmal der Obrigkeit eines auswischen. Er steckte vier harte Finger zwischen die Zähne und pfiff, so laut er konnte. Ein paar andre machten es nach. Da läutete Prantl und sagte, man müsse nun wieder auf den Redner hören. Als es ruhiger wurde, erhob sich im Saale ein alter Mann und meldete sich zum Worte.

Das ginge jetzt nicht, sagte Prantl, einer nach dem andern, und vorläufig rede der Vachenauer.

Aber der Alte ließ sich nicht abweisen.

Er wolle bloß sagen, indem der Amtsrichter gar so zornig getan habe, er wolle bloß sagen, daß die Beamten und die Geischtlichkeit aus einem Sack spielen. Und damit setzte er sich wieder. Es war nämlich der Florian Weiß. Endlich kam der Vachenauer wieder zum Reden.

»Schaugn mir amal an Landtag o, wer sitzt da drin? Da Herr Dekan, da Herr Stadtprediger, da Herr Kaplan. Auf oan Bauern treffen drei Pfarrer.«

»Übertreibung! Geschwätz!« schrie Kroiß.

»Da muaß ma fragn«, sagte Vachenauer, »gibt's denn in Bayern lauter Mesner und Ministranten, daß so viele Geistliche gwählt wern? Na, Landsleut, mir Bauern wählen de Herrn. Und was is der Dank? Natürli, solang ma unsere Stimma braucht, san mir dös biedere Landvolk hinum und herum; alles, was wir wollen, is recht, und nix ist z'viel. Wia s' aber drin san, im ersten Augenblick is allssamt vergessen. Dös is net oamal gschehgn, na! Oft, und allemal wieder.

Beim Viehhandel is der Bauer net so dumm. Da laßt er si höchstens oamal über d' Ohren haun; aber wenn eahm der nämliche Händler mit dem nämlichen Schwindel zum zwoatenmal kimmt, nacha schmeißt er 'n außi.

Aba in da Politik! Sagts amal selber, hamm mir uns da net allawei aufs neue zum Narren halten lassen?« – »Wahr is!« sagte der Rädlmayer. »Da Metz is scho dreimal gwählt worn.«

»Und allemal hat er ins ogschwindelt«, schrie der Stuhlberger.

Der päpstliche Hausprälat kannte die Stimme seines Feindes und suchte ihn mit zornigen Augen.

Aber der Stuhlberger ließ sich nicht einschüchtern.

»Hoscht du net allemal ja gsagt, hoscht du grad oanmal na gsagt?«

»Ruhe!« mahnte Prantl.

Und der Vachenauer redete weiter.

»I sag, ganz recht gschiecht uns Bauern. Mir kunnten do so gscheit sei und wissen, daß alles Schlechte daher kimmt, weil der Bauer net selbständig is; a jeder sagt, daß's anderst wern muaß. Und es ko anderst wern, wenn d' Leut z'sammhelfen, und daß mir z'sammhelfen, zwegn dem is da Bauernbund da.«

Vachenauer zog aus der Tasche ein kleines Heft, dessen Einband die blauweißen Wecken des bayerischen Wappens zeigte.

»I hab da a Büachl«, sagte er. »Von außen is's guat boarisch, dös könnts sehgn. Und was drin steht, hat die nämliche Farb. Der Titel hoaßt: ›Satzungen für den bayerischen Bauern- und Bürgerbund‹.

Da is alles aufgschriebn, was de Partei will. I ko enk net alles vorlesen, und es werd aa net notwendi sei, weil i hoff, daß si a jeder selber dös Büachl kaaft und den Aufnahmsschein, der wo drin is, unterschreibt. Aber dös erste les i enk vor, vom Zweck des Bauernbundes. Da hoaßt's: ›Der Zweck des bayerischen Bauern- und Bürgerbundes ist Einigung der in Parteien zerspaltenen bäuerlichen und bürgerlichen Volksklassen behufs Erhaltung des schwer bedrohten Mittelstandes und behufs Selbstschutzes aller noch selbständigen oder nach Selbständigkeit ringenden Volkselemente.‹

Jetzt frag i, ob dös was Unrechts is, zwegn dem mar uns als gottlose Menschen histelln derf.«

»Drucken kann man alles, das Papier ist geduldig«, rief der Dekan Metz.

»So, moanen S'? Sie glaabn halt, es is überall wia beim Zentrum. Mir san net a so!«

»Das müssen Sie erst zeigen!«

»Jetzt bist aber staad! Allawei plärrt er drei!« schrie Rädlmayer.

»Mäu haltn!«

Vachenauer ließ sich nicht irremachen.

»Sie sagn, mir müassen erst zoagn, ob mir unsere Versprechunga haltn. Is recht. Aber nacha warten S' und schimpfen S' net vorher!« (»Bravo!«)

»I glaab's aber schwerli, daß Sie dös derlebn. Also, Landsleut, i hab enk vorglesen, was der Bauernbund will.

Unsere Hauptgegner san de Herren vom Zentrum. Vom erstn Tag o hamm uns de Geischtlichen ogfeind't und hamm behaupte durch den Bauernbund is die Religion in Gfahr. Warum denn? Wenns ös des Büachl durchlests von vorn bis hint, steht koa Wort gegn d' Religion drin. Und wenn mar an die Feiertäg in d' Kircha geht, siecht ma soviel Leut als wia früherszeiten.

Wo gibt's an Bauern, der sein Pfarrer was in Weg legt in sein Beruf?

Am Land macht sie neamd spöttisch über d' Religion; bei uns hat sie nix g'ändert wia vielleicht in andere Ständ; mir hamm die alten Bräuch akkurat so als wia unsere Voreltern.

Und wenn's jetzt mehra Zwietracht gibt als früherszeiten, mir Bauern san net schuld.

Dös is auf Jahr und Tag, seit de Herren bloß mehr Politiker san, aber koane Priester nimmer.«

In den ersten Reihen wurde es lebendig. Die anwesenden Kleriker hatten bis jetzt Ruhe bewahrt; dieser Angriff brachte sie in Erregung. Und zornige Stimmen schrien zu Vachenauer hinauf.

»Frechheit! Wer sind Sie denn? Frechheit!«

Der Benefiziat Hiergeist von Irzenham tat sich besonders hervor.

Er stammte aus dem Nußbacher Bezirke, und es empörte ihn besonders, daß ein Fremder den bodenständigen Klerus beleidigte.

Und er war überhaupt von heftiger Gemütsart.

»Sie nehman Eahna viel Kraut 'raus!« schrie er. »Was erlaubn Eahna denn Sie? Sie zuagroaster Holzbauer!«

Jetzt ging es im Saale los. Aus allen Ecken kam wütendes Schreien; viele sprangen auf und schlugen in die Tische hinein.

»Schmeißts 'n außi den! Derfst du schimpfen, du ganz Schlechter? Außi damit! Außi damit!«

Von rechts und links, von unten und oben johlte, pfiff, heulte es. Der Lärm steigerte sich, als Metz auf die Tribüne stieg und die Leute beschwichtigen wollte.

»Oba da! Du hoscht nix z' toa da drobn! Gehscht it oba, du Herrgottsakrament! Außi mit dem andern!«

Der Hirner stand auf schwachen Füßen; er hielt sich an der Stuhllehne mit beiden Händen fest und schrie eintönig weiter: »Raus, Metz! Raus, Metz!«

Prantl schwang seine Glocke.

Aber in dem Getöse hörte sie niemand.

Der Assessor stand auf und redete mit Vachenauer. Man sah, wie er die Achseln in die Höhe zog.

Da trat Vachenauer vor und hielt seine rechte Hand empor.

Der Lärm legte sich. Nicht sofort, nur allmählich ging er in lautes Reden und dann in Murmeln über.

Als sich alle gesetzt hatten, stand der Hirner noch hinter seinem Stuhle, und indem er seinen Oberkörper wie einen Pendel bewegte, schrie er gleichmütig fort: »Raus, Metz!«

Alle lachten, und der Menhofer von Aufhausen nahm seinen Nachbarn am Arme und zog ihn auf seinen Platz nieder.

»Landsleut«, sagte der Vachenauer, »ös derfts de Versammlung net stören. Da Herr Assessor hat mir gsagt, wenn no mal a solchener Aufstand is, schliaßt er d' Versammlung. Und da hätten do bloß unsere Gegner a Freud. Ös müaßts enk net so ärgern, bal oana neischreit; dös bin i scho gwohnt; dös machen s' überall so, weil s' d' Wahrheit net vertragn könna.«

»Beschimpfen Sie den Priesterstand nicht, dann kümmert sich niemand um Sie!« rief Kroiß.

»I hab net gschimpft aufn Priestastand. Des sell is net wahr. I hab gsagt, seit unsere Geischtlichen si bloß mehr um d' Politik kümmern, is überall an Unfrieden. Und außerdem sag i, de Politik hat mit da Religion nix z'toa.

Mir Bauern wollen nix Unrechts, mir wollen dös nämliche wie de andern Leut. Daß ma koane Gsetz macht, de wo uns ruinieren; und weil mir den Beweis hamm, daß mir uns aufs Zentrum net verlassen könna, wollen mir's amal selber probieren.

Dös Recht hamm mir wiar anderne Staatsbürger, daß mir nachn Gsetz de Leut wählen, auf de mir's Vertrauen hamm. Deswegn leben mir wia z'erscht, gengan in d' Kircha wia z'erscht und san Christen wia z'erscht.

Is dös a Grund, daß mar uns schimpft? Derf si a Geischtlicher über dös aufhalten, daß mir unser weltliche Sach selber in d' Ordnung bringa?

Jetzt drahn de Herrn an Stiel um und jammern recht wehleidig, daß mir de Angreifer san.

Fallt uns ja gar net ei. Mir wollen nix Schlechts für unserne Pfarrer; mir wollen eahna bloß d'Arbet abnehma. Sie brauchen nimma auf München fahrn oder auf Berlin reisen; sie können schö dahoambleibn und das Wort Gottes verkündigen.« (»Bravo!«)

»Mit Ihrer Erlaubnis«, rief Metz.

»Ja, Hochwürden. Dös erlaubn mir Eahna recht gern, und mir hamm no dazua an großen Respekt, wann Sie's tean. Sie erlaubn uns aa, daß mir an Acker baun und 's Brot herbringe und d' Steuern und d' Abgaben zahlen.

Da helfen Sie uns net, und Sie können uns aa net helfen.

Deswegn müassen Sie uns net hindern, wenn mir wolln, daß unser Arbet was tragt und daß d' Steuern net mehra wern, als mir zahln könna.

Dös is unser Sach.

Wer derf an erwachsenen Menschen hindern, daß er seiner Sach selber vorsteht?

Mir Bauern san mündig; mir wern aa sunst net als Kinder behandelt.

Die Kinder wern von anderne Leut ernährt; uns ernährt neamd. Im Gegenteil, mir müassen gnua anderne ernährn, zum Beispiel de Herren Beamten.« (»Bravo!«)

»Ma lest überall, Kinder zahlen die Hälfte.

Hamm mir scho amal ghört, daß de Bauern weniger zahlen müassen?

Gwiß net.

Da wern mir net für Kinder ogschaut; da san mir recht erwachsene Staatsbürger.

Und mir san alt gnua und gscheit gnua, daß mir unser Sach selber führn. Es is Zeit, daß mir dös eisehgn.

Was is dös für a Zustand, wenn jetzt der Bauer nimmer de Hälfte von dem einnimmt, was er früherszeiten kriagt hat?

Und was is denn dabei billiger worn? De Deanstboten vielleicht? Oder der Bodenzins? Oder müassen unsere Buabn nimmer zum Militär?

Und alles is no net gnua; allawei gibt's wieder was Neus, allawei kemma neue Forderungen, für Heer und Marine, und wer sagt ja und amen dazua? 's Zentrum.

Und wer muaß's zahlen?

Mir Bauern.«

»Steuern zahlt jeder!« schrie Kroiß.

»Jawohl, Steuern zahlt jeder. Der Beamte zahlt de Steuer für sein Ghalt, da Kapitalist für sei Vermögn, aber da Bauer zahlt Steuern sogar für seine Schulden. Wenn oana no so viel Hypotheken auf sein Hof hat, er muaß grad so viel zahln, als wenn er schuldenfrei is.« (»Bravo! Wahr is!«)

»Früher hat 's Zentrum selber erklärt, daß dös de größt Ungerechtigkeit is. Jetzt will's nix mehr wissen davo.

Früher hat's erklärt, daß ma de einheimische Landwirtschaft schützen muaß gegen die Getreideeinfuhr.

Jetzt hat's dafür gstimmt.

Is dös net an aufglegter Schwindel?«

Stürmische Zurufe ertönten.

»Wahr is! Lauter Schwindler san's! Metz raus! Metz! Was sagst denn jetzt?«

Prantl läutete.

»Ruhe, meine Herren! Ich bitte, den Redner nicht unterbrechen zu wollen.«

»I bin glei firti, Landsleut«, sagte Vachenauer.

»Mir sehgn, daß mir uns auf neamd verlassen derfen als wia auf uns selber. Also handeln wir auch danach und stehen zusammen, damit das Volk zu seinem Rechte komme. Helfet alle mit, daß der Bauernbund erstarkt, gründet Markgenossenschaften in allen Gemeinden, damit Leute in den Landtag gewählt werden, die es ehrlich meinen. Reichen wir uns brüderlich die Hände, damit es nicht heißt, Nährstand adje! Und machen wir uns los von den Volksverrätern des Zentrums!«

Vachenauer trat zurück und setzte sich.

Viele hundert schwielige Hände klatschten ihm Beifall, viele hundert grobgenagelte Stiefel dröhnten auf den Boden, daß unten der Kalk von der Decke fiel.

Immer wieder mußte Vachenauer aufstehen, und wenn er saß, schrien hundert Kehlen seinen Namen.

»Vachenauer, vivat hooch!«

Als Ruhe eintrat, erklärte Prantl, daß er das Wort dem Gutspächter Wanninger von Arnbach erteile.

Franz Wanninger war kein einfacher Bauer. Er saß als Pächter auf dem gräflich Hornschen Gute in Arnbach und hatte einige Bildung genossen.

Drei Jahre besuchte er eine Lateinschule und war sodann studiosus agriculturae in Weihenstephan, wo man die Theorie des Landbaues lehrt.

Er sprach gerne von dieser Zeit und gab sich überall das Ansehen eines studierten Mannes.

In die Bauernbewegung hatte er gleich zu Anfang eingegriffen.

Er glaubte, hier große Dienste leisten zu können, weil er seine Studien über die Ungebildeten und seine Praxis über die Gebildeten erhob. Als eifriger Leser der Tageszeitungen hatte er eine Anschauung und vor allem einen großen Reichtum an Schlagworten erworben.

Er griff selbst zur Feder und schrieb viele Artikel für das »Nußbacher Wochenblatt«. Da sich sein Leben stets im mittelsten Altbayern abgespielt hatte, war er der natürliche Feind alles norddeutschen Wesens.

Er hatte ein Wort gefunden, welches seine Gesinnung und Ansicht mit einem vollständig erklärte.

Wie man nämlich sonst wohl vom rollenden Rubel spricht, redete Wanninger vom rollenden Preußentaler.

Er war überzeugt, daß die Berliner Kreise Tag und Nacht an der Annexion – Einsackung hieß es Wanninger –, an der Annexion Bayerns arbeiteten und kein Mittel scheuten, um dieses erstrebenswerte Ziel zu erreichen.

Er war so weitblickend, daß er über die nahen und nächsten Ereignisse hinweg auf diese treibende Ursache aller deutschen Geschehnisse sah, und er mahnte überall, daß man den rollenden Preußentaler nicht aus den Augen verlieren dürfe.

Bisher hatte er im politischen Leben nur schriftlich gewirkt; jetzt schickte er sich an, auch als Redner aufzutreten. Er wußte, daß er Bedeutenderes bieten könne und müsse als der einfache Landmann, welcher vor ihm gesprochen hatte. So stand er auf der Rednerbühne und stellte bald den rechten und bald den linken Fuß vor und rieb sich die Hände.

Wer ihn ansah, erblickte das Bild eines echten, wohlhäbigen Altbayern.

Der runde Kopf mit dem stark geröteten Gesichte saß auf breiten Schultern; der vorspringende Bauch machte nicht den Eindruck des Ungesunden; er war nicht schwammig, sondern von körnigem Fette, wie bäuerliche Kenner sagen.

Der gewichtige Oberkörper ruhte auf Beinen, welche diese Last wohl zu tragen vermochten. Kurz, Wanninger war so, wie sich die landläufige Vorstellung einen richtigen Bayern malt, im Gegensatze zu dem windigen, ausgehungerten Norddeutschen.

Einige Zurufe aus der Versammlung bewiesen, daß die Leute den Redner gerne sahen.

Und er begann.

»Hochgeehrte Versammlung! Nachdem ich kein geübter Redner bin, ich aber doch meine Gedanken zum Ausdruck bringen möchte, so wird man mir wohl gestatten, mich auf diese Weise verständlich zu machen.

Freudig muß es jedermann begrüßen, daß endlich auch in unserer Gegend der Gedanke mit Macht zum Ausbruch kommt, daß es so nicht weitergeht. Es ist jetzt die Aufgabe eines jeden, zu erwägen, auf welche Weise wir der daniederliegenden Landwirtschaft die so notwendige Hilfe leisten können.

Nachdem die maßgebenden Faktoren für die anerkannte Notlage des bayerischen Bauern kein Herz haben, müssen sich die Bauern und Bürger auf eigene Füße stellen, wenn sie nicht in den stets offenen Sack der bekannten norddeutschen Herren hineingeraten wollen.

Dem genauen Beobachter muß es wehe tun, wenn er sieht, wie das arme Volk genarrt wird von den obenstehenden, sogenannten besseren Herren.

Der ärgste Verräter am Volkswohle ist das Zentrum!« (»Bravo!«)

»Alle Gesetze, welche gegen das bayerische Volk gemacht worden sind, hat man mit Hilfe des Zentrums in das trockene gebracht. Jetzt erst wieder die Handelsverträge, wodurch viele Millionen in die Taschen der preußischen Herrlichkeit fließen, während man den Mittelstand untergräbt. Wer dies genau beobachtet, fragt unwillkürlich, ob vielleicht bezahlte Arbeit im Spiele ist.«

»Unsinn! Blödsinn!« schrie der Amtsrichter Kroiß.

»Man fragt unwillkürlich, ob vielleicht der preußische Taler eine verhängnisvolle Rolle spielt.«

»Sie wissen gar nicht, was Sie für einen Blödsinn reden!« schrie Kroiß wieder.

Da wurde der alte Rädlmayer zornig. Er drohte dem Amtsrichter mit dem Finger und sagte:

»Manndei, jetz is Zeit, daß d' amal staad bischt. Sinscht tean ma di außi.«

»Das will ich sehen!«

»Ja, dös werds schnell hamm. Ruhe! Mäu halten!« schrien viele, und der Knecht, welcher auf der Galerie saß, steckte wieder seine Finger in den Mund und pfiff heftig.

»Ich bitte um Ruhe!« sagte Prantl.

»Mir san ja ruhig«, antwortete Rädlmayer, »was braucht denn der ander schimpfen?«

Wanninger war nach dem ersten Zwischenrufe nicht gefaßt genug, um zu antworten.

Jetzt hatte er Zeit zur Überlegung gefunden.

»Betreff die Äußerung, daß ich einen Blödsinn rede, möchte ich nur bemerken, daß ich über diese Fragen vielleicht mehr studiert habe als ein Beamter, daß ich aber nicht nach dem Gefallen rede, sondern frei von der Brust weg, wie es sich für einen Altbayer gehört.« (Stürmischer Beifall. »Bravo!«)

»Die bayrischen Bauern sind immer treu zu ihrem Herrscherhause gestanden; das beweisen die Schlachtfelder bei Sendling und Aidenbach. Wenn Not am Mann ist, dann wissen die Herren schon, zu wem sie gehen müssen. Da heißt es dann: Bauer, hilf! Ist aber die Gefahr vorbei und der Krieg zu Ende, so vergißt man sofort auf den Dank, und der Bauer wird unterdrückt wie zuvor.

Da wird dann Weltmachtspolitik getrieben, welche das Blut des Volkes und ungezählte Millionen kostet.

Wenn man so fortfährt, mit Hilfe des Zentrums durch fehlerhafte Gesetze den Mittelstand zu untergraben, so wird baldigst aller Wohlstand entweichen.

Die Erfahrung hat gelehrt, wo in einem Lande gut bemittelte Bauern leben, da leben auch vermögliche Geschäftsleute und Professionisten. Dagegen wo arme Bauern sind, da ist es ruhig und traurig, kein Geschäft, außerdem findet da der Gerichtsvollzieher reiche Ernte.

Dem müssen wir entgegenarbeiten, wenn wir nicht wollen, daß unsere Kinder uns den Fluch nachsenden, weil wir nicht für sie gesorgt haben. Es ist höchste Zeit, daß der Bauer nicht länger mehr das Lasttier ist, dem man alle Bürden auflegen kann von Seite der Bürokratie und des Klerus.«

»O Herr, verzeihe ihm! Er weiß nicht, was er tut«, rief der Dekan Metz.

»Ich verbitte mir diese Zwischenrufe«, sagte Wanninger. »Wenn Sie glauben, daß Sie mich widerlegen können, so können Sie das Wort verlangen und nach mir besorgen.

»Sie reden ja wie Kraut und Rüben daher! Das kann sich kein vernünftiger Mensch merken«, erwiderte Metz.

»Es ist lauter Blödsinn«, schrie Kroiß.

(»Mäu haltn da vorn! Ruhe!«)

»Betreff die Äußerung, daß ich einen Blödsinn rede, habe ich schon erwidert«, sagte Wanninger.«Die Herren, welche glauben, daß sie gar so gescheit sind, sollen es einmal versuchen, ein mit Schulden belastetes Anwesen zu übernehmen, und dann rentabel wirtschaften. Da werden sie vielleicht sehen, daß dazu mehr Verstand gehört als zur Bürokratie. Überhaupt verbitte ich mir jede Beleidigung, auch wenn es vielleicht ein Beamter ist.«

(»Recht hoscht, Wanninger! Bravo! Außischmeißen soll ma 'n! Ruhe!«)

Wanninger ergriff wieder das Wort.

»Nach meiner Ansicht ist der allzu enge Anschluß an Preußen die Schuld am Niedergange des süddeutschen Mittelstandes.

Das Zentrum legt bereitwillig Millionen auf den Altar des preußischen Kriegsgottes. Es fehlt nur noch, daß Eisenbahn und Post eingesackt werden, dann sind wir vollkommen preußisch.

In den oberen Kreisen läßt man sich zu sehr von dem norddeutschen Leuchtturm blenden, da ist es also die Aufgabe des Bauernbundes, dafür zu sorgen, daß unsere weiß-blauen Pfähle keinen Farbenwechsel erleiden.

Einigkeit macht stark, heißt das Sprichwort, welches sich noch immer bewährt hat. Die Erfahrung lehrt uns mit nur zu beredter Sprache, daß Bauern und Gewerbetreibende innig zusammenhalten müssen, um dem drohenden Abgrundrande zu entgehen.

Wo sind heute noch die Bauern, welche den Lohn ihrer Arbeit genießen können? Sie sind nicht mehr da!

Dafür sieht man heute die Männer dieser Stände in Existenzkämpfen ihre Tage in dumpfer Resignation dahinleben. Leider haben die Bauern bis jetzt in blinder Vertrauensduselei die Vertretung ihrer Lebensinteressen anderen Ständen überlassen, welche nur für das Blühen und Gedeihen der Millionärzucht und ihr eigenes Ich sorgten, für den Mittelstand, der alle Lasten zu tragen hat, aber nur leeres Stroh droschen.

Und doch haben wir, gelinde gesprochen, die gleichen Rechte.«

»Das ist nicht mehr zum Aushalten!« schrie Kroiß.

»Na gehst außi!«

»Ruhe!«

»In Preußen hat man nur Sinn für Großmannssucht, daher auch dort Großgrundbesitz, Großindustrie und Großkapital das Ruder führen und ihren unheilvollen Einfluß auf die Gesamtreichsgesetzgebung ausüben.

Betrachten wir nur den Militarismus mit seinen Auswüchsen! Was muß Land und Volk leisten, um das Pensionswesen zu bestreiten!

Und was reicht man dem Nährstand für alle seine Opfer? Gesetze nach dem Willen der oberen Zehntausend, Polizeistock, aber brav hurra schreien, im übrigen 's Maul halten!

Dagegen hilft nur eines. Das feste Zusammenhalten des bayerischen Volkes; vom Zentrum aber müssen wir uns losreißen, weil es die Einsackung Bayerns nicht verhindern will.

In diesem Sinne müssen wir im Bezirke Nußbach eine Markgenossenschaft des Bauernbundes gründen.«

Wanninger stieg von der Tribüne herunter und ging auf seinen Platz zurück.

Das »Wochenblatt« berichtete, daß der Beifall ein äußerst warmer gewesen sei und daß man allen Anwesenden angesehen habe, wie ihnen der Redner aus der Seele gesprochen hatte.

Auch Wanninger selbst war zufrieden mit dem Erfolge, und er sagte späterhin zu seinen Freunden, daß man den Bauern großes Unrecht tue, wenn man ihnen politisches Verständnis abspreche. Es komme alles darauf an, daß man in populärer Manier mit ihnen rede.

Nach ihm wurde dem päpstlichen Hausprälaten, Herrn Dekan Metz, Abgeordneten für Nußbach und Umgebung, das Wort erteilt.

Er sagte gleich eingangs, daß sein Herz schmerzlich bewegt sei, und sein Gesicht drückte dieses Gefühl deutlich genug aus. Allein es stand ihm nicht wohl an; ein Mann mit Doppelkinn und Hängebacken kann nie die Trauer eines ganzen Standes in seinen Mienen vorführen, und wer in jeder rundlichen Form seines Leibes den Beweis eines behaglichen Daseins vor Augen führt, befindet sich im Nachteil, wenn er von Druck und Verfolgung spricht.

Diese Einsicht fehlte dem Dekan Metz.

Er war in Selbsttäuschung befangen und glaubte seine Nußbacher zu rühren, wenn er ihnen den Mann ihrer Wahl in schmerzlicher Verfassung zeigen würde.

Er sah sich lange im Saale um, wie ein Vater, der seine Familie versammelt hat und jeden einzelnen ins Auge faßt.

Und dann begann er.

»Meine Lieben! Erlaubet mir, daß ich euch noch so heiße, obwohl heute manches Wort gefallen ist, welches vom Hasse getragen war. Aber meine Gefühle werden dadurch nicht verändert, und ich sage noch einmal: meine Lieben!

Mein Herz ist schmerzlich bewegt, wenn ich bedenke, daß ich hier an dieser Stelle, wo ich so oft zu eurem Beifall und, ich glaube auch, zu eurem Nutzen gesprochen habe, einen Kampf führen muß. Einen Kampf gegen Undankbarkeit, Auflehnung, ja einen Kampf gegen die Religionsfeindlichkeit.

Womit habe ich das verdient?«

»Weilst a Schwindler bischt«, schrie der Stuhlberger von Giebing.

Viele lachten; der Amtsrichter sprang zornig auf.

»Ein Rohling hat das gerufen!«

»Wer hat mit dir gredt? Sei du staad! Reiß's Mäu net so weit auf! Du Herrgottsackerament!« tönte es durcheinander.

»Roheit!« schrie Kroiß.

Metz lächelte wehmütig.

»Lasset sie nur schimpfen! Das sind die Priester von jeher gewohnt. Unser Herrgott wurde auch vom Volke gekreuzigt; heutzutage kreuzigen die Bauernbündler die Priester. Wir tragen es mit Geduld.«

»Und werst recht foast dabei! Du Schmalzhafen!«

Das war die Stimme seines Pfarrkindes Meisinger, des Gottesleugners. Des Frevlers, welcher ihm dereinst die neuen Spiegelscheiben eingeworfen hatte.

Als Metz diese Stimme vernahm, verließ ihn einen Augenblick die Ergebung des Märtyrers, und er warf einen bitterbösen Blick nach jener Stelle hin, wo Meisinger saß.

»Wir tragen es mit Geduld, weil wir uns ein Beispiel nehmen an unserm Herrn und Meister, der auch schweigend gelitten hat«, sagte er sodann.

»Du bringst ja d' Finger gar nimmer z'samm vor lauter Fetten«, schrie Meisinger.

»Wo hoscht denn du was leiden müassen?«

»Hoscht du net allmal ja gsagt? Hoscht du grad oamal na gsagt?« rief der Stuhlberger.

Und alle taten mit.

»Geh oba, du! Du hoscht nix z' reden daherin! Da Vachenauer soll reden! Vachenauer! Vachenauer!«

Prantl mußte wieder erklären, daß die Versammlung geschlossen werde, wenn die Ruhe nicht hergestellt würde.

»Laßts 'n reden, daß sei Schwindel aufkimmt!« rief Meisinger wieder.

Und so verdankte es Metz seinem größten Feinde, daß er fortfahren durfte.

Er gedachte jetzt eine schärfere Tonart anzuschlagen, da diese tobenden Heiden seine Milde verachteten.

»Das Zentrum ist nicht schuld, daß die Verhältnisse des Mittelstandes keine günstigen sind. Die Bauern verstehen es nicht, was schuld ist.«

(»Aber du vastehst was! Weils uns verratn habts!«)

»Ich will es euch sagen. Die neue Zeit ist schuld, die Maschinen, die Elektrizität. Früher haben die Bauern ruhig gelebt und haben sich nicht um die Politik gekümmert. Jetzt auf einmal wollen sie so gescheit sein, daß sie ihre Führer verbessern.«

(»Da werd gar nix verbessert! Außigschmissen werns'!«)

»Jetzt will der nächstbeste mehr verstehen als die verdienten Männer, welche seit zwanzig Jahren, seit fünfundzwanzig Jahren im Landtage arbeiten.«

(»Was arbets ös? 's Geld schiabts ei! Ös Leutbetrüager!«)

»Ich bin jetzt seit achtzehn Jahren im Parlament und habe meine Zeit für das Volk geopfert.«

(»Und hoscht allweil ja gsagt!«)

»Freilich, wenn man so einen Mann reden hört wie den siebengescheiten Herrn Wanninger, da möchte einem der Verstand stillstehen. Da ist alles Kraut und Rüben durcheinander, daß man nicht weiß, wo man überhaupt anfangen soll. Auf solche Leute müßt ihr hören, da werdet ihr schon sehen, wohin das führt. Geht nur zum Bauernbund!...«

(»Dös tean mir scho! Do brauchen ma di net dazua!«)

»Geht nur zum Bauernbund und schaut, wie ihr euer geistiges und leibliches Wohl verliert. Aber weil der Herr Wanninger so tut, als hätten wir Geistlichen überhaupt kein Recht mehr, so will ich ihm schon sagen, wir Geistlichen haben sogar die Pflicht, das Volk in Schutz zu nehmen vor dem einbrechenden Wolf. Der Bauernbund ist nur Speck in der Falle, ein vergifteter Honig.

Die guten Sachen haben die Bauernbündler vom Zentrum gestohlen.«

Vachenauer rief ihm zu: »Was hoaßen denn Sie stehlen?«

»Jawohl, gestohlen. Das ganze Programm haben Sie gestohlen; das hat das Zentrum alles schon vor dreißig Jahren gesagt.

»Gsagt, aber net ghalten. Wann 's Zentrum sei Versprechen ghalten hätt, gab's koan Bauernbund.«

Die Versammlung klatschte Vachenauer Beifall zu.

Dieser erhob sich und sagte:

»Weil Sie vom Stehlen reden, Hochwürden. Is dös net erlaubt, daß ma dös Guate, was oana amal gsagt hat, wieder nachsagt? Hoaßt ma dös stehlen?«

»Sie haben jetzt nicht das Wort!« schrie Kroiß.

»I frag bloß: Hoaßen Sie dös stehlen, Hochwürden? Nacha derfen Sie ja gar net predigen. Sie sagn do aa bloß des nach, was an anderner gsagt hat!«

Die Wände dröhnten vom Beifall. Alle stampften und schrien.

»Vachenauer! Da Vachenauer soll reden! Metz Schluß! Geh oba, du Bluatmensch! 's Mäu halt! Oba do!«

Und jedesmal, wenn Metz zu reden anfing, erhob sich der Lärm von neuem. Er bohrte mit dem Zeigefinger in die Luft und bewegte die Lippen. Daran erkannte man, daß er sprach, aber man hörte keine Silbe in dem Lärmen.

Die rauhen Stimmen übertönten ihn; ganze Reihen schrien im Takte die gleichen Worte: »Metz oba!«

Zwischenhinein gellten Schimpfworte und Pfiffe; viele schlugen mit Maßkrügen oder Stöcken auf die Tische.

Der Amtsrichter, die geistlichen Herren gestikulierten heftig zur Tribüne hinauf, und wenn sich einer mit unwilligen Gebärden gegen die Versammlung wandte, verdoppelte sich der Lärm.

Der Hirner stampfte seinen Stuhl auf den Boden und schrie, daß ihm die Adern anschwollen, zwei andere hatten eine lange Bank gefaßt, hoben und stießen sie nieder, wieder einer hatte den Bierschlegel gepackt und trommelte auf einem leeren Fasse; der Knecht auf der Galerie hatte ein neues Mittel gefunden. Er hielt die Hand vor den Mund und heulte; das gefiel den jungen Leuten, und sie machten es nach.

Metz blieb auf seinem Platze.

Er lächelte und zuckte die Achseln. Seine Amtsbrüder schrien zu ihm hinauf und schüttelten die Köpfe.

»Was ist zu machen mit diesem Volke?«

Es war nichts zu machen mit ihm. Das Volk zeigte, daß es absolut und durchaus gar nichts mit sich machen lassen wolle.

Und dann erhob sich der Assessor und setzte seine Mütze auf. Die Versammlung war geschlossen.

Den anderen Tag erfuhr die Welt durch das »Nußbacher Wochenblatt«, daß im Anschlusse an die Versammlung zweihundertsiebenundvierzig Leute sich als Mitglieder des bayerischen Bauern- und Bürgerbundes anmeldeten, daß in sechs Gemeinden Markgenossenschaften gegründet wurden, daß die schweren Anklagen, welche Vachenauer und Wanninger gegen das Zentrum erhoben, einen immerwährenden Stachel in den Herzen der Landbevölkerung hinterließen und daß sich Herr Dekan Metz schwerlich von der Niederlage erholen dürfte, welche sichtlich einen so niederschmetternden Eindruck auf ihn wie auf seine Kumpane – darunter einen vorlauten Beamten – gemacht habe.

Die animierte Versammlung habe den geradezu glänzenden Beweis dafür geliefert, daß auch im Nußbacher Bezirke die Morgenröte angebrochen sei.

Die »Nußbacher Nachrichten« erzählten ihren Lesern von einer Versammlung, welche zu einem allerdings unbeabsichtigten Triumphe des Zentrums geführt habe, indem sich die bodenlose Unwissenheit der neuen Bauernapostel im hellen Lichte gezeigt habe und selbe auch von dem hochwürdigen Herrn Metz mit wenigen, aber zutreffenden Worten gebrandmarkt worden sei.

Nach Schluß der Versammlung habe man viele, und gerade die besseren Bauern mit nachdenklichen Mienen stehen sehen, indem sie offenbar die Frage aufwarfen, wie töricht es sei, wenn das Landvolk einer solchen Sache unter solchen Führern Gefolgschaft leiste.

Damit sei diese Bewegung schon im ersten Aufflackern kläglich erstickt.

So verschiedenartig wurden in Nußbach nicht nur die Meinungen, sondern auch die Tatsachen dargestellt.

Man war schon mitten im politischen Getriebe.


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