Ludwig Thoma
Andreas Vöst
Ludwig Thoma

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Zehntes Kapitel

Der Buchdrucker Schüchel fühlte sich in den Mittelpunkt der Ereignisse gestellt, seitdem er sein ›Nußbacher Wochenblatt‹ als Organ des bayerischen Bauernbundes bezeichnete.

Sein Beitritt zu dieser Partei war nicht ein durchaus freiwilliger. Vor nunmehr zwanzig Jahren hatte der evangelische Schriftsetzer Schüchel die verwitwete Besitzerin der einzigen Nußbacher Zeitung geehelicht und sich in den Schoß der katholischen Kirche geflüchtet. Und von diesem Tage an war es ihm gut ergangen. Die Geistlichkeit schätzte den Eifer des Neubekehrten, und ihr Wohlgefallen äußerte sich nicht nur in Worten.

Schüchel fand tatkräftige Unterstützung und Hilfe. Man empfahl seine Zeitung und sorgte für ihre Verbreitung; junge Heißsporne lieferten ihm streitbare Leitartikel, und zuweilen ergriff eine wichtige Persönlichkeit das Wort im ›Nußbacher Wochenblatt‹.

Auch im nichtpolitischen Teile kamen häufig Beiträge aus geistlichen Federn. Dekan Metz schilderte hier seine Reise zum heiligen Hause von Loreto, Benefiziat Scheible seine Pilgerfahrt nach Jerusalem, und was des Spannenden mehr war. Nebenher verdiente Schüchel durch den Verlag von Gebetbüchern und Erbauungsschriften ein schönes Stück Geld, bekam Heiligenbilder, Sterbeandenken und Kirchenzettel zu drucken und wurde im Laufe von fünfzehn Jahren ein wohlhabender Mann.

Er fand großen Gefallen an dem behäbigen Leben der Altbayern, welches sich so angenehm von den Gepflogenheiten seiner mittelfränkischen Heimat unterschied.

Er setzte allmählich Fett an und war wie alle Nußbacher Bürger.

Wenigstens äußerlich; denn daß er sie geistig überragte, blieb ihm stets eine tröstliche Überzeugung.

Nun wäre alles recht und schön gewesen, wenn nicht eines Tages Frau Johanna Schüchel plötzlich verstorben wäre. Dieses Ereignis zog andere nach sich, welche in ihrem Verlaufe der katholischen Kirche einen eifrigen Anhänger entfremdeten und das ›Nußbacher Wochenblatt‹ zu einem Organ des Bauernbundes machten.

Adolf Schüchel wurde zu frühe Witwer. Er war nicht alt genug, um allen Freuden des christlichen Ehestandes zu entsagen und Versuchungen zu widerstehen, welche an wohlhabende Männer herantreten.

Nach dem Tode seiner Frau wandte er sich an seine Verwandten in Ansbach, ob sie nicht eine geeignete Person wüßten, welche ihm den Haushalt führen könnte. Diese fanden ein passendes Mädchen, und kurze Zeit darauf zog Sophie Schnell in das Schüchelsche Haus. Sie war jung, hübsch und hatte die rundlichen Formen, welche Witwern gefährlich sind.

Ein halbes Jahr später wurde sie die Gattin des Buchdruckereibesitzers.

Das klingt einfach und ist menschlich. Aber es war ein Umstand dabei, der die Sache verwickelt machte.

Sophie Schnell, jetzige Schüchel, war Protestantin und verstand sich nicht dazu, ihren Glauben zu wechseln.

So gab es eine Mischehe.

Und die Greuel derselben wurden vermehrt, als ein Kind zur Welt kam, welches nach dem unbeugsamen Entschlusse der Mutter der evangelischen Kirche zufiel.

Damit waren alle Beziehungen Schüchels, seines Verlages und seiner Zeitung zu der katholischen Geistlichkeit gelöst. Die Zeiten waren vorüber, in denen man Beschreibungen frommer Wallfahrten im ›Nußbacher Wochenblatt‹ lesen konnte; Heiligenbilder und Sterbeandenken kamen nicht mehr in die Akzidenzmaschine, und die Kirchenzettel blieben aus.

Schüchel war nicht gleichgültig gegen diese Unfälle; wenn es nur auf ihn angekommen wäre, hätte er sich gewiß gebeugt vor einer Gewalt, die geben und nehmen kann.

Aber an dem Willen seiner Frau scheiterte jeder Versuch, den er zum Einlenken machte. So blieb ihm vorerst nur der Trost, daß die Nußbacher Leserwelt auf seine Zeitung angewiesen war.

Bald wurde er aus seiner Sicherheit aufgeschreckt.

Ein unternehmender Schwabe, Simon Hefele aus Ravensburg, gründete eine neue Zeitung, den ›Nußbacher Anzeiger‹.

»Auf daß die katholische Bevölkerung des Distriktes eine Presse besitze, welche ihrer wahren Meinung Ausdruck verleiht, und nicht länger die im katholischen Gewande einherschleichende Irrlehre ihre giftigen Dünste verbreiten lasse«, hieß es im Begrüßungsartikel, welcher vermutlich nicht von dem ehemaligen Bäckergehilfen Hefele, sondern von dem Verfasser der Wallfahrt nach Loreto geschrieben war. Der Krieg war erklärt, und die Aussichten waren für Schüchel nicht günstig. Hinter ihm standen keine Truppen, und er selbst durfte nicht mit offenem Visier kämpfen.

Er mußte die Geistlichkeit schonen und seine Schläge so zielen, daß sie den wahren Feind nicht trafen.

Das nahm ihm die halbe Kraft.

Wie anders Simon Hefele.

Der ließ sein Panier lustig im Winde flattern, und mit ihm stritt der Herr mit seinen Scharen.

Drei Jahre dauerte der ungleiche Kampf, einer gegen viele.

Schüchel wollte fast verzagen. Er konnte sich der Hiebe kaum noch erwehren, die auf ihn niederprasselten.

Die ungeheuerliche Grobheit des Bäckergehilfen vereinigte sich mit der kunstfertigen Spitzfindigkeit geistlicher Hintermänner, um ihn zu verderben. Da kam der Bauernbund und mit ihm die Rettung.

Jetzt hatte Schüchel ein Programm, eine Partei und Mitarbeiter.

Unter den Bürgern, welche sich sogleich der neuen Bewegung anschlossen, war mancher, der etwas zu sagen hatte und der sich freute, wenn er unerkannt Feuerbrände umherschleudern durfte.

Artikel erschienen jetzt im ›Wochenblatt‹, Artikel von so ungehobelter Derbheit, daß die Betroffenen am Zeitgeiste verzweifelten.

Ja, daß der schwäbische Bäckergehilfe nach fruchtbaren Gegenanstrengungen erklären mußte, es verbiete ihm der Anstand, im gleichen Tone zu erwidern.

Es half jedoch dem ›Nußbacher Anzeiger‹ nichts, daß er seine Spalten jetzt nur solchen Darstellungen einräumen wollte, welche vornehme Gesinnung atmeten.

Seine klobigen Feinde zwangen ihn zum wenigsten jede Woche einmal, mit einem zornigen Aufschrei ihnen auf das Gebiet politischer Gemeinheit zu folgen.

Der Stadtprediger Roth wandte historische Kenntnisse und alle Künste scharfer Dialektik auf, um die Gegner zu erdrücken.

Er versicherte von einem zum anderen Male, daß ihm die krampfhaften Anstrengungen derselben unendlich viel Vergnügen bereiteten und daß er ein herzliches Lachen nicht unterdrücken könne, ob des unbeholfenen Stiles, in welchen die verworrenen Gedanken eingekleidet seien.

Aber wenn Hefele auch noch so oft hinzufügte, daß sich der bewußte Artikelschreiber im ›Wochenblatt‹ von dem vernichtenden Schlage kaum mehr erholen dürfte, so war er trotzdem bald darauf gezwungen, angesichts neuer Gemeinheiten zu fragen, ob katholische Hausvorstände es mit ihrem Gewissen vereinigen könnten, das ›Nußbacher Wochenblatt‹ zu halten. Und im weiteren Verlaufe trat gegen den gelehrten Alban Roth ein Mann auf, dem er nicht gewachsen war; der bürgerliche Schuhmachermeister Jakob Prantl. Ursprünglich für den geistlichen Beruf bestimmt, studierte er sechs Jahre lang am humanistischen Gymnasium zu Freising.

Er kam nicht über die vierte Lateinklasse hinaus und zeigte keinerlei Neigung für gelehrte Dinge.

Erst später entwickelte sich sein Geist, als er zum ehrsamen Handwerk überging und wie sein Vater die Stiefel der Nußbacher Menschheit schäftete, sohlte und englisierte.

Wenn er so auf seinem Schemel saß und mit dem Pechdraht Oberleder und Rahmen zusammennähte, oder die Sohle mit Hammerschlägen rundete, schweiften seine Gedanken zurück in die Zeit, da er noch lateinische Sätze bildete und die seltsamen Schriftzeichen der griechischen Sprache lernte.

Jetzt erwachte in ihm die Liebe zur Wissenschaft, und er bewahrte sorgsam die kümmerlichen Reste, welche ihm geblieben waren. In dem Notizbuche, worin er die Maße der Fußlängen und Risthöhen seiner Kunden schrieb, stand auf der ersten Seite sein Name mit griechischen Buchstaben:

Ιακοβος   Πραντλ,  σχουστερ.

Allmählich verwischte sich in seinem Gedächtnisse die Erinnerung daran, daß er selbst die Fortsetzung seiner Studien aufgegeben hatte, und er bestärkte sich immer mehr in dem Gedanken, daß harte Schicksale oder feindliche Einflüsse seiner Laufbahn hinderlich geworden waren.

Er zerfiel mit der Menschheit, deren Füße er bekleidete, und wurde ein strenger Richter über Welt und Dinge.

Seine Gehilfen und Lehrlinge bekamen manches bedeutende Wort zu hören über Staat und Kirche und jegliche Obrigkeit.

Eine tiefe Verachtung der anerkannten Autorität sprach aus ihm, wenn er nahe und ferne Ereignisse in den Kreis seiner Betrachtungen zog, und er war mit Bitterkeit erfüllt. Seine Gedanken wurden ätzender, weil er sie meist für sich behalten mußte.

Darum ging er mit lebhafter Freude, mit Hingabe seiner ganzen Persönlichkeit an die Arbeit, als sich endlich Gelegenheit für ihn bot, im ›Nußbacher Wochenblatt‹ seine Meinung zu sagen.

Er schrieb einen seltsamen Stil. Als er in die Schule ging, hielt man noch etwas auf die Kunst, eine Periode in die Länge zu ziehen; man stützte sie mit ,Relativsätzen, wenn sie umsinken wollte, und flößte der Ermatteten durch Bindewörter neuen Mut ein.

Jakobos Prantl bemächtigte sich dieser Form. Sie entsprach seiner Gewohnheit, tiefen Sinn zu verstecken und wiederum mit leichten Andeutungen zu entblößen. Und sie entsprach auch der Fülle seines Wissens, die sich in der geraden Linie nicht entwickeln konnte, sondern ihre Äste nach allen Seiten hin ausbreitete.

Und so entstanden also jene merkwürdigen Aufsätze über das verderbliche Zusammenwirken von Staat und Kirche, welche dem Stadtprediger Alban Roth schlaflose Nächte bereiteten. Er fand hier in krausem Durcheinander alle Behauptungen, welche von katholischen Schriftstellern in bändereichen Werken widerlegt worden waren.

Sie tauchten im ›Nußbacher Wochenblatt‹ so frisch und munter auf, als hätten sie eben das Licht der Welt erblickt und wären nicht schon vor Jahrzehnten begraben worden. Eine qualvolle Arbeit begann für Herrn Roth; auf die ersten Irrtümer wies er mit spöttischem Mitleide hin, die nächsten übergoß er mit der Lauge des Hohnes, aber bald wuchs ihm die Aufgabe über den Kopf.

Wie Pilze schossen die Lügen, Verdrehungen, Entstellungen und Irrlehren aus dem Boden.

Er wußte nicht mehr, wo anfangen und wo enden. Links, rechts, vor ihm, hinter ihm erhoben sich die unverwüstlichen Giftschwämme.

Sein Kampf war machtlos gegen einen Feind, der die erschlagenen Truppen hinter der Front wieder aufstellte und sie lächelnd von neuem ins Treffen führte.

Und diese unerschütterliche Ruhe!

Diese Unempfindlichkeit des geheimnisvollen Artikelschreibers, welcher in der neuen Nummer immer da anhob, wo er in der letzten geendet hatte.

Was hätte Alban Roth darum gegeben, wenn er nie jene Aufsätze beantwortet hätte, in welche ohne Zusammenhang und Sinn seltsame griechische Worte eingestreut waren, und die stets mit dem Satze begannen: »Wie schon der große Römer sagt.«

Das ›Wochenblatt‹ zog Vorteil aus diesem Kampfe der Geister. Es zählte jetzt mehr Abnehmer als in seiner ersten Glanzzeit.

Auch draußen in den Gemeinden fanden sich Anhänger und Mitarbeiter.

Der Lehrer von Hilgertshofen brachte Stimmungsbilder aus dem Glonntale; er unterschrieb sich als »ein stiller und kühler Beobachter«; der »alte Bajuvare«, welcher mit Hilfe der historischen Wissenschaft den unseligen Anschluß an Norddeutschland für alle Schäden verantwortlich machte, war der Gutspächter Wanninger von Arnbach.

Und in seiner Nähe führte der Posthalter und Landrat Scheiblhuber in Grubhof eine scharfe Feder gegen die Volksverräter des Zentrums.

Andere folgten.

Was sie schrieben, zeugte nicht immer von großer Einsicht. Es waren unbeholfene Anfänge, die öffentliche Meinung gegen die eingesessenen Machthaber zu erregen. Aber es waren doch Anfänge, die man schon deshalb nicht unterschätzen durfte, weil sie die Bauern zum Lesen brachten.

Das war vordem eine Seltenheit.

Mit Lesen und Schreiben gaben sich die meisten nach der Feiertagsschule nicht mehr ab; sie hatten keine Zeit dafür.

Und wer ein übriges tun wollte, nahm den Monika- oder Regensburger Marienkalender vom Nagel herunter, wenn es im Winter einen langen Feiertag gab.

Hier und dort war wohl ein angesehener Mann im Dorfe, dem der Postbote eine Zeitung ins Haus brachte.

Das wußten dann alle in der Gegend und sahen es für ein Besonderes an.

Jetzt aber kümmerten sich viele um die Geschehnisse in der Welt und wer das Geld sparen mußte, setzte sich im Wirtshaus näher an das Licht und las dreimal die Woche, wie Jakobos Prantl unsäuberlich mit der Kirche verfuhr und der alte Bajuvare dem preußischen Fuchs in den Pelz griff.

Der erste Vorteil, den eine Partei durch die Presse erlangen kann war gegeben. Die Gleichgesinnten konnten sich verständigen und zusammenschließen.

Der Kreis erweiterte sich.

Wenn die Giebinger lasen, daß die in Hilgertshofen die nämliche Meinung hatten über die Verderbnis im Bauernstand, dann faßten sie Vertrauen zueinander. Und in allen rührte sich die Hoffnung, es müsse wohl besser werden, wenn sie zusammenstünden.

Dazu erfuhr man genau, wie im Niederbayerischen und im Oberland die Bauernsache vorwärts ging.

Einer sagte es dem anderen nach, daß es an der Zeit sei, auch in Nußbach eine Versammlung abzuhalten und dem Bunde beizutreten.

In Schachach gingen sie mit gutem Beispiel voran und gründeten eine Markgenossenschaft.

In Zillhofen machten sie es nach, aber was halfen die einzelnen Versuche? Es mußte sich aufweisen, ob der Boden überall umgeackert war, daß eine richtige Saat aufgehen konnte. Und da stand es im ›Wochenblatt‹:

»Aufruf! Liebe Standesgenossen, Bauern und Bürger! Der Tag ist gekommen, daß sich die Mitglieder des Nährstandes um eine gemeinsame Fahne scharen müssen und nicht länger zusehen, wie gewisse Elemente das Volk unterdrücken, welche von der Arbeit Erträgnis des Land- und Gewerbsmannes indirekt mitleben.

Daß Bauern und Gewerbe auf das regste zusammengehören, wird gewiß einer mit Menschenverstand nicht leugnen wollen, da doch die Bauern in Nußbachs Umgebung die Haupteinnahmequelle der Geschäftsleute bilden und durch die Verbesserung der landwirtschaftlichen Verhältnisse auch ihren Anteil haben.

Darum, liebe Standesgenossen, stellen wir uns zusammen und forschen nach des Übels Quelle!

Aber wie ist dies anders möglich, als durch die Abhaltung einer Versammlung, welche jedem Gelegenheit gibt, seine Gesinnung zu erproben, und durch zahlreichen Besuch dem Gegner Achtung einflößt?

Kommt alle zur Vorbesprechung, welche im Saale des Sternbräu stattfinden soll, am Sonntag, den 16. Dezember, Nachmittag zwei Uhr, und woselbst das Notwendige verabredet wird.

Kommet alle, die ihr Zeit habt und ein Herz für unseren Stand und unser Bayerland! Einigkeit macht stark, wie schon der große Römer sagt!«

Der Aufruf fand Beifall an vielen Orten; der Stein war ins Rollen gebracht.

»Da haben wir es«, sagte der Bezirksamtmann und warf die Zeitung wütend auf den Tisch. »Jetzt kann die Hetzerei in meinem Bezirk losgehen. Aber es soll mir nur einer kommen von den Siebengescheiten, die das ganze Land in der Tasche haben und nicht einmal die paar Bauern in ihren Gemeinden zur Vernunft bringen können! Es soll mir nur einer Vorwürfe machen!«

Er zog heftig an der Glocke. »Mayerhofer!«

Der Amtsdiener trat ein.

»Sagen Sie dem Herrn Offizianten, er soll zu mir kommen.«

»Jawohl, Herr Bezirksamtmann!«

Otteneder legte die Hände auf den Rücken und ging auf und ab.

Der Offiziant Schillinger blieb an der Türe stehen.

»Herr Bezirksamtmann wünschen?«

»Haben Sie den Aufruf im ›Wochenblatt‹ gelesen?«

»Ja.«

»Ist der von unserm braven Schüchel geschrieben?«

»Wenn Herr Bezirksamtmann erlauben, vom Schüchel ist er nicht.«

»Von wem sonst?«

»Ich weiß es auch nicht bestimmt; es ist nur eine Vermutung. Aber ich habe den Schuhmacher Prantl in Verdacht.«

»So, von dem? Allerdings, von einem Schuster hat der Stil «

»Der Prantl ist bekannt als Bauernbündler, wenn Herr Bezirksamtmann erlauben. Und die Leitartikel, mit den griechischen und lateinischen Wörtern, sollen auch von ihm sein.«

»Der Kerl steckt bis über die Ohren in Schulden?«

»Er steht nicht gut, was man hört. Einmal ist er schon ausgepfändet worden.«

»Der hat's notwendig! Schreibt, daß gewisse Elemente vom Handwerker leben. Damit meint er natürlich die Beamten.«

»Jawohl, Herr Bezirksamtmann. Er schimpft überhaupt in allen Wirtshäusern herum. Das hat er schon immer getan, so lang' ich ihn kenne.«

»Das werde ich mir merken. Sagen Sie, Herr Offiziant, der Sternbräu, gibt denn der seinen Saal her zu der Versammlung?«

»Gern auch noch, Herr Bezirksamtmann.«

»Was will denn der Mensch? Er ist doch sehr vermögend. Wie gibt sich der mit solchen Geschichten ab?«

»Wenn mir Herr Bezirksamtmann die Bemerkung erlauben, das ist jetzt überhaupt so. Wo man hinkommt, nichts wie Räsonieren und Politisieren. Man kann keine Halbe Bier mehr mit Ruh' trinken; der Melber Wimmer, der Kaufmann Kolb, da ist einer gescheiter wie der andere. Und der Schüchel geht herum, als wenn er ein Weltblatt herausgeben tät'.«

»Ich kenne meine Nußbacher. Nichts arbeiten, den ganzen Tag in den Wirtshäusern hocken und dumm reden.«

»Bei den Bauern merkt man's auch schon, Herr Bezirksamtmann.«

»Es ist nicht mehr wie früher. Wenn man sonst einem was gesagt hat, war's recht und fertig. Jetzt wird gleich gedroht mit der Zeitung, und so weiter.«

»Das ginge mir noch ab! Wenn einer so was sagt, führen Sie ihn nur herauf zu mir! Das wollen wir sehen!«

»Gestern erst der Pointner von Zillhofen. Wegen seinem neuen Stallgebäude. Die Pläne sind noch beim Herrn Distriktstechniker, und ich habe ihm das gesagt. Fangt er gleich das Schimpfen an. Wie lang' er noch warten müsse? Im Mai hätt' er eingegeben. Ob das eine Manier sei? Im Winter könne kein Mensch bauen. Er wolle uns schon ein Feuer anzünden, wenn es noch länger dauern tät'.«

»So, so?«

»Es wird immer schwieriger, Herr Bezirksamtmann.«

»Na, dafür bin ich noch da. So weit sind wir noch nicht, daß wir uns einschüchtern lassen.«

»Herr Bezirksamtmann haben gestern gesagt, ich soll den Akt vorlegen, betreff Bürgermeisterwahl in Erlbach.«

»Richtig, ja. Haben Sie ihn?«

»Ich habe ihn Herrn Bezirksamtmann auf den Tisch gelegt.«

»Gut. Übrigens, kennen Sie den ... den ... wie heißt er doch gleich?«

»Den Schuller von Erlbach.«

»Ja, Schuller oder so ähnlich, den neuen Bürgermeister?«

»Das ist doch der nämliche, der uns so viel Arbeit gemacht hat wegen der Flurbereinigung, Herr Bezirksamtmann.«

»Auch so ein Siebengescheiter?«

»Im ›Wochenblatt‹ hat es damals bei den Wahlen geheißen, daß er Bauernbündler ist.«

»Hm. Also, es ist recht, Schillinger. Guten Morgen.«

Otteneder stellte sich an das Fenster und sah auf den Marktplatz hinunter.

Es war Schrannentag. Vor dem Rathause standen in langen Reihen die gefüllten Getreidesäcke. Die Käufer gingen von einem zum andern, schöpften mit den Händen Körner heraus, rochen daran und prüften sie sorgfältig.

Dann redeten sie mit den Bauern, zuckten die Achseln und gingen weiter.

Hier und da gab einer den Handschlag, und man sah, daß der Kauf abgeschlossen war.

Der Melber Wimmer war am eifrigsten. Er traf überall gute Bekannte unter den Bauern. Man sah es an der Art, wie er bald hier, bald dort vertraulich grüßte und im Fortgehen sich lachend umwandte. Den Platz weiter hinauf standen viele Wagen, hoch bepackt mit Krautköpfen. Hier waren die Nußbacher Hausfrauen und feilschten und kauften.

Der Winter stand vor der Türe; es war Zeit, das Krautfaß im Keller zu füllen. Und da war auch Gelegenheit, die rechte Zutat zu holen, Kartoffeln, die auf den Fuhrwerken daneben lagen. Es war ein dichtes Gedränge auf dem Markte. Das Summen vieler Stimmen drang herauf; zwischenhinein lautes Quieken und Schreien, wenn ein Bauer von seinen Spanferkeln eines herausholte und lieblos am Ringelschwanze in die Höhe hielt.

»Na also«, dachte Otteneder, »das Geschäft geht ja! Trotz des Gejammers und der ewigen Unzufriedenheit.«

Er sah zum Sternbräu hinüber.

Da standen so ein paar Schreihälse.

Der Schuster Prantl natürlich, und der gewesene Defensor ecclesiae, der Buchdrucker Adolf Schüchel.

Was sie zu tuscheln hatten mit den Bauern?

Das steckte die Köpfe zusammen! Das war ein Eifer, ein Reden, ein Gebärdenspiel!

Und eigentlich war es frech, wie diese Schwarmgeister ihr Unwesen trieben. Auf freiem Marktplatze; unter den Augen der Behörde.

Der Bezirksamtmann setzte sich an den Schreibtisch. Er griff nach dem Aktenhefte, welches vor ihm lag.

In schöner Rundschrift stand auf dem blauen Deckel: »Betreff Gemeindewahlen in Erlbach.«

Otteneder öffnete ihn.

Dann zündete er eine Zigarre an und blies den Rauch in die Luft.

Und nun war er bereit.

Also erstens das Wahlprotokoll. Als beauftragter Kommissär anwesend der königliche Bezirksamtsassessor Max Hartwig. Ergebnis der Wahlen: Bürgermeister Andreas Vöst, Beigeordneter Kloiber, und so weiter.

Folium zwei. Gesuch des Pfarrers Baustätter, es wolle der Wahl des Bürgermeisters die Bestätigung versagt werden.

Otteneder zog stärker an seiner Zigarre und las einige Sätze vor sich hin.

»An der Spitze einer katholischen Gemeinde... unmöglich ein solcher Mann stehen ... schweigend zu dulden, nicht vereinbar mit den Pflichten des Seelsorgers.«

Er sah nach dem Datum. Erlbach, den 19. November. »Die Wahl war am 18. Teufel, das hat pressiert!«

Folium drei. Wiederholte dringende Vorstellung des Pfarrers Baustätter gegen die Bestätigung des Andreas Vöst. Datum vom 21. November. »Ich muß ganz ergebenst eine äußerst wichtige Mitteilung machen, daß nämlich in den hinterlassenen Papieren meines verstorbenen Amtsvorgängers sich eine dringende Warnung vorfindet, ... et cetera.«

Folium vier. Protokoll des königlichen Bezirksamtes Nußbach, den 24. November. Erscheint der Pfarrer Jakob Baustätter und gibt an, was folgt. Meine Pflicht als Seelsorger ... und so weiter. Übergibt gleichzeitig eine Urkunde, Niederschrift des verstorbenen Pfarrers Maurus Held, und bittet um Rückgabe.

Folium fünf Abschrift der von usw. Baustätter übergebenen Urkunde. Das Original auf Wunsch zurückgegeben. Erlbach, am 16. Juni 1889. Heute war zum zweiten Male der Austragsbauer Johann Vöst bei mir und klagte bitterlich über die Mißhandlungen, welche er von seinem Sohne erdulden mußte. Er zeigte mir die abschreckenden Spuren derselben.

Otteneder las diese Beschuldigung mit Aufmerksamkeit und schüttelte den Kopf.

»Klingt eigentlich sonderbar«, sagte er. »Warum schreibt der Mann das auf? Wenn es die Leute wußten, war es überflüssig. Wußte es niemand, dann konnte der Pfarrer nur zufrieden sein, daß die Sache wenigstens kein Ärgernis erregte.«

Folium sechs. Ergebene Mitteilung des Pfarrers Jakob Baustätter, daß sich in der Gemeinde ernsthafte Stimmen gegen die Wahl erheben. De dato 28. November.

Folium sieben. Dringende Beschwerden, nachträglich erhoben von Erlbacher Gemeindebürgern gegen die Person des Andreas Vöst. »Ein hohes Bezirksamt möge die Wahl ungültig erklären, indem die Betreffenden keine Kenntnis hatten, daß etwas vorliegt. Die gehorsamst Unterfertigten sind im christkatholischen Glauben erzogen und sehen mit Furcht und Schrecken, daß ein öffentlicher Feind der Kirche an der Spitze steht.«-»Hm! Der Satz kommt aus dem Pfarrhof.«-»Die Unterfertigten bitten dringend, daß nicht Streit und Haß in die Gemeinde kommt, indem bereits der Andreas Vöst die gläubigen Christen am Halse würgt und bedroht und es jedenfalls noch viel ärger wird.«

Folgen die Unterschriften: Sebastian Stollreiter, Hieranglbauer. Jakob Ertl. Lorenz Deindl. Kaspar Umbricht, Heißbauer. Martin Salvermoser. Georg Fent. Johann Geitner. Lorenz Amesreiter.

»Acht Leute. Das muß dem Herrn Baustätter Arbeit gekostet haben!«

Noch etwas? Bescheinigung des Beigeordneten Kloiber. In der Angelegenheit usw. Sühneversuch abgehalten. Im Verlauf desselben geriet der Bürgermeister Vöst so in Wut, daß er den Hieranglbauern Sebastian Stollreiter angriff und mißhandelte.

»Hm! Endlich etwas Positives! Wenn die Sache so weit gediehen ist, daß es zu Tätlichkeiten kommt!«

Otteneder trat wieder ans Fenster.

Da unten stand noch immer der Schuhmacher Prantl; er hielt die geballte Faust an die Stirne. Offenbar wollte er recht überzeugend wirken.

Und der Bezirksamtmann sagte vor sich hin: »Es schadet nicht, wenn die Leute den Zügel spüren: Ich werde die Bestätigung versagen.«


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