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Das war am 26. März.
Am 29. des gleichen Monats brachte der Volksbote einen geharnischten Artikel über »Korruption«:
»Es ist einem Häuflein Bevorzugter gelungen, dem Gesetz ein Schnippchen zu schlagen... usw.... bis... wir erinnern aber an das so wahre Sprüchwort: justitia fundamentum regnorum, welches denn doch auch in Dornstein einige Geltung haben dürfte...«
(Siehe Beilage 5 im Akt: Beschwerde der Ursula Hirgstettner usw.)
Am Abend des 1. April brannte im Hause der Frau Hirgstettner das Gaslicht nicht mehr. Tagsüber hatten zwei städtische Arbeiter sich an der Leitung in der Luitpoldstraße zu schaffen gemacht und jede Auskunft verweigert. Als nun Frau Offiziant Koppenwallner, welche in dem Hirgstettnerschen Hause wohnte, im Gange Licht machen wollte und immer wieder den Gashahn aufdrehte, blieb es dessenungeachtet dunkel.
Obwohl sofort eine Magd zum Leiter der Gasanstalt geschickt wurde, kam niemand zur Abhilfe. Auch den 2. und 3. April ließ sich der städtische Installateur nicht blicken.
Am 4. April ging Frau Ursula Hirgstettner selbst im Zustande der höchsten Aufregung, da die Familie Koppenwallner sofort kündigen wollte, zu Herrn Gasanstaltsdirektor Pfrombeck und stellte ihn entrüstet zur Rede.
»Nur net so hitzig!« sagte Herr Pfrombeck gelassen. »Am Gas fehlt's net, aba wahrscheinli fehlt's an der Leitung. Vielleicht hamm S' dös letzte Quartal net zahlt?«
»Dös tat i mir scho verbitt'n! I bin meiner Lebtag nix schuldi blieb'n...«
»Ja no! Na werd's wo anders fehl'n. Mi geht dös nix o. De Gasleitung hat da Herr Magistratsrat Mühlberger unter sich. Da müassen S' zu dem geh' und frag'n.«
Nun ging der Frau Ursula Hirgstettner allerdings ein Licht auf, aber als resolute Witwe ging sie unverzagt in den Kampf um ihr gutes Recht und in den Laden des Bäckermeisters und Magistratsrates Mühlberger.
Sie mußte warten, bis alle Kunden bedient waren, und stand endlich in dem Hinterzimmer vor dem finster blickenden Stadtvater.
»Was woll'n denn Sie?«
»I? Da tat i no lang frag'n, wenn seit vier Tag 's Gas nimmer brennt!«
»So?«
»Ja! Zahlt ma desweg'n seine Umlag'n und Gebühr'n, daß nacha a solchena Schlamperei vorkimmt...«
»Sie, tean S' Eahna a bissel z'ruckhalt'n!«
»Gar net halt i mi z'ruck, und auf der Stell muaß i wiss'n, warum daß de Arbeita mei Leitung abdraht hamm...«
»Welchane Arbeita?«
»Ja, ma hat's scho g'sehg'n! Für gar so dumm müaßt's oan aa net halt'n!«
»Wenn de Arbeita Eahna Leitung unterbrocha hamm, nacha hat am Rohr was g'feit. Vastand'n?«
»So, warum fehlt denn grad bei mir was? Und bein Schimmiwirt net? Und bei koan Nachbarn net?«
»Dös is de Rohr eahna Sach.«
»I wer scho sehg'n, ob i mir dös g'fall'n lass'n muaß. I woaß scho, was da für a Spitzbuamg'schicht dahinta steckt.«
»Halten S' Eahna z'ruck, sag i!«
»Und a Spitzbuamg'schicht is, sag ich!«
»Sie, passen S' auf, Eahna kennt ma!«
»Sie kenna mi no lang net, und wenn i net auf da Stell mei Gas kriag, nacha zoag i Eahna, mit wem Sie's z'toa hamm!«
»Dös braucht's net. Eahna kennt ma, sag i. Sie san eine Frau, de wo Insinationa macht. Verstengan Sie? Insinationa!«
»I mach Eahna no ganz was anders, Sie Loawibacha, Sie ausgschamta!«
»Jetzt hab i Eahna! Dös is an Amtsbeleidigung!«
»Mei Gas möcht i!«
»An Amtsbeleidigung is dös! Verstengan Sie? jetzt san Sie g'richtsmaßig!«
»Gengan S'aufs G'richt! Auf da Stell geh i mit und bring mei Sach vor! I will amal sehgn, ob Sie mir's Gas abdrahn derfa, weil i Eahna Sauerei anzoagt hab' – Sie!«
»Und jetzt macha S', daß S'naus kemma, sunst gibt's an Hausfriedensbruch aa no, Sie Trebernfaß, Sie ordanärs! Sie Mistamsel, Sie gräusliche!«
»So? So red'n Sie? Aba...«
»Außi!«
Der Befehl war so kategorisch und mit Schub und Druck begleitet, daß die fassungslose Witwe, ohne zu wissen wie, vor der Türe und auf der Straße stand.
Ihr eiligster Lauf ging in die Redaktion des ›Volksboten‹.
Aber der Kämpfer für ihre Rechte, Herr Martin Irzinger, war nicht wie sonst.
Er hörte sie nicht an, er unterbrach sie lange, bevor ihre Klagen zu Ende waren.
»Dös is alles ganz recht, Frau Hirgstettner, und i kenn ja de... i will sag'n, i woaß ja alles, aba, es tuat mir leid, i ko in dera Sach'nix mehr toa.«
»Sie san guat. Zerscht hamm's mi allaweil aufghetzt, daß i de Eingab' mach, und Sie hamm in Eahnern Blattl de G'schicht aufgrührt...«
»Ja... ja... Dös hoaßt, i hab mi für Eahna a bissel einseitig ins Zeug g'legt. Einseitig, verstengan Sie?«
»Aba Sie hamm do g'sagt...«
»I hab g'sagt, aba jetzt sag i Eahna was anders, Frau Hirgstettner. Schauen S', i muaß von de Leut' leb'n, und Sie müass'n mit de Leut leb'n. Wir kinnan den Kriag net weiter führ'n.
Mir geht da Proviant aus. Verstengan S', der Diridari – und Eahna geht 's Liacht aus.«
»Ja, was soll i denn toa?«
»An Fried'n schliaß'n. Es bleibt ins nix anders net übrig...«
Da verließ die Witwe aller Kampfes- und Lebensmut, und sie fing gottesjämmerlich zu weinen an.
Es müssen hier einige Tatsachen nachgeholt werden.
Am 1. April wurde dem ›Volksboten‹ amtlich mitgeteilt:
Noch den gleichen Tag suchte Irzinger den Bürgermeister auf und bat um Aufklärung.
»Wundern Sie sich darüber?« fragte Herr Dr. Pilzweyer mit Nachdruck. »Konnten Sie etwas anderes erwarten, nachdem Sie in jeder Nummer Ihres Blattes...?«
»Entschuldinga, Herr Bürgermoasta...«
»Oder, ich will sagen, wenn Sie beinahe in jeder Nummer die angesehensten Männer der Stadt, ja, die Stadtverwaltung selbst, in maßloser Weise angreifen?«
»Entschuldinga, Herr Bürgermoasta...«
»Jawohl, maßlos, Herr Irzinger! Das Wort ist keineswegs stark gewählt...« Herr Dr. Pilzweyer spielte hier wieder mit dem Zwicker und lauschte auf seinen Tonfall. »Sie zweifeln unsere Intaktheit an, unsere Gerechtigkeitsliebe, Sie sprechen von einem Panama...«
»Entschuldinga, Herr Bürgermoasta...«
»Wortwörtlich Panama! Das ist ein schlimmer Vorwurf, Herr Irzinger! Und ich kann Ihnen nur sagen, er hat mich persönlich geschmerzt, denn ich verkenne keineswegs die Bedeutung der Presse...«
»Entschuldinga, Herr Bürgermoasta...«
»Ich kann aber, und das werden Sie mir zugeben, ein Blatt nicht unterstützen, welches in unser Gemeinwesen den Unfrieden trägt, welches das Ansehen der besten Bürger zu untergraben sucht, welches die Leitung der Gemeinde verdächtigt, welches...«
»Entschuldinga, Herr Bürgermoasta, und bald diese Angriffe unterbleiben?«
»Wenn Sie mir das Versprechen geben...«
»Und bald ich den Herren vom Magistrat gewissermaßen im ›Volksboten‹ eine Genugtuung gebe?«
»Dann abonniere ich wieder.«
»Und de Inserat'?«
»Bekommen Sie wieder.«
»Gilt scho!«
»Ihr Ehrenwort, Herr Irzinger?«
»Auf Ehr und Seligkeit, sag i. Und bal i amal was sag', da gibt's nix; dös is wia Stahl und Eis'n...«
»Also gut! Sie unterlassen die Angriffe – auch in dieser etwas komischen Sache...«
»A glänzende Ehrerklärung gib i, wenn i 's amal sag, Herr Bürgermoasta! A glänzende Genugtuung.«
»Schön, dann sind wir wieder einig.«
»Dös glaab i.«
Die glänzende Ehrenerklärung kam am 5. April, denn einiger Zeit bedurfte Herr Irzinger denn doch, um seinen Gesinnungswechsel zu stilisieren. Er packte die Sache beim richtigen Ende an, indem er zuerst etwas humoristisch wurde, dann aber doch die echt altbayrische Standhaftigkeit der Männer hervorhob, welche auch in einer kleinen Sache, deren allzu deutliche Beschreibung sich von selbst verbot, am alten Herkommen festhielten und durch diese Hartnäckigkeit alle Widerstände besiegten.
Auch, wie Herr Irzinger freimütig bekennen zu müssen erklärte, den Widerstand der Presse.
Der im vollsten Sinne des Wortes verlassenen Witwe blieb nichts anderes übrig, als die Verzeihung der standhaften Verunreiniger zu erflehen.
Sie tat es.
Nicht ganz so leichten Gemütes und nicht ganz so rasch wie der Redakteur des ›Volksboten‹; aber die Notwendigkeit, Gas zu erhalten, erlaubte auch kein allzulanges Zögern.
Mühlberger sträubte sich und verzieh nur unter bissigen Bemerkungen die Insinuationen der schmähsüchtigen Frau.
Aber am 11. April brannten die Gasflammen wieder.
Lange nachdem sie in dieser Nacht erloschen waren, um die Geisterstunde vernahm die Lauschende wiederum Ausübung jenes alten Rechtes oder Herkommens.
Und sie konnte feststellen, daß die vier Hauptkämpfer für den alten Brauch samt und sonders sich betätigten.
Der Herr Major Stöckelmeier, der Oberamtsrichter Pollner und die zwei kriegerischen Magistratsräte.