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Am Dienstag, den 3. Januar, verstarb der Realitätenbesitzer Josef Seilinger eines plötzlichen Todes.
Er war wie alltäglich beim Sternbräu zum Abendschoppen eingekehrt, trank mit sichtlichem Behagen seine drei Maß Bier und sprach sich mit gewohnter Lebhaftigkeit über die Schlechtigkeit der preußischen Zustände aus.
Um sieben Uhr verließ er die Gaststube und begab sich in die Küche, um sich von der Frau Wirtin zu verabschieden. Er wechselte einige Scherzworte mit ihr und sagte noch: »Jetzt pfüat Eahna Gott, Sie Schneckerl, Sie liab's«, da fiel er plötzlich streckterlängs zu Boden und war maustot.
Nun lag er den zweiten Tag aufgebahrt im Prunkzimmer seiner Wohnung.
In dem frostigen, unfreundlichen Raume nahm die tiefverschleierte Witwe die Beileidsbezeugungen entgegen. Es war ein stetes Kommen und Gehen.
Die ehrsamen Bürger traten schweigend mit ihren Frauen an die Bahre.
Sie legten alle gleichmäßig die Stirne in ernste Falten, verzogen die Mundwinkel und sahen lange und ausdruckslos noch einmal in das breite Gesicht des Verblichenen.
Die Frauen drückten schluchzend die Taschentücher an ihre nassen Augen und zählten im geheimen die Kranzspenden.
Nach einer anständig bemessenen Pause traten die Besucher zu den Leidtragenden und sprachen Worte des Trostes.
»Wer hätt' dös glaubt, Frau Seilinger? So a g'sunder Mann! Vor drei Tag hab i'n no über'n Marktplatz geh seh'gen und zu mein Mann g'sagt – gel Schorschel? – schau hi, hab i g'sagt, da geht der Herr Seilinger. Und jetzt – – a so a Mann...!«
»– – Ja, ja, der Seppl! I hätt's a net gmoant, daß eahm so schnell derwischt, Frau Seilinger. Am letzten Sunntag san ma no so zünfti beinand g'wen, und heint liegt er do... Ja, ja, das menschliche Leben!«
»Trösten S' Eahna, Frau Seilinger! Gunnen S' eahm sei Ruah. Eahm is wohl! Wer woaß, was eahm alles derspart blieben is, und wia bald daß uns selber außi tragen mit di Füaß voro.«
Und wenn die trauernde Witwe zustimmend mit dem Kopfe nickte, rühmte die Frau noch die Schönheit und Zahl der Kränze.
»De vielen, vielen Kränz' und de schönen Blumen, Frau Seilinger! Es ist doch auch a gewisser Trost, wenn ma siecht, wia oan de Leut in Ehren halten! So was muaß noch gar net dag'wesen sein.«
Dann blickten die Besucher der Witwe noch einmal tieftraurig in die Augen und machten anderen Platz.
Draußen bemerkte die Frau flüsternd: »Hast a's g'sehg'n, Schorschl? Mit dera Trauer is a net weit her. Grad drucka hat s' müassen, daß s' a paar Thräna außerbracht hat. Und den Aufwand! An glatten Kaschmirrock mit Schürzendraperie und Krepp de schin-Ausputz, a g'schweifte Schoßtaille mit an Latzteil, und am Rand matte Holzperlen. Statt a Schneppenhauben hat s'an Kapothuat mit an schwarzen Bleamelbukett, und den Schloar!«
»Na! Na! I woaß net, daß de Leut koa rechts G'fühl nimma ham. Da guat Seilinger wenn s' sehg'n tat, wia s' dasteht, nacha drahet er si um.«
Im Treppenhause war die Leichenfrau mit den Zurüstungen für die Einsegnung beschäftigt; sie zündete die Kerzen an, stellte das Weihwasser zurecht und wies die Ankommenden in das Trauerzimmer.
Ihre Miene war dem Ernste ihres Berufes angemessen, und nur flüsternd führte sie die Unterhaltung mit diesem und jenem Trauergaste.
»Geln's, der Herr Seilinger? Aba schö liegt er drin, koa bissel entstellt! So sanft! Grad als wenn er schlafen tat. So a g'sunder Mann und so plötzli schterben! I sag Eahna, was der Herr für a G'wicht g'habt hat, des is net zum glauben! Der muaß im Leben alleweil seine guaten dritthalbe Zentner g'wogen ham. I hab zerscht gmoant, i kunnt'n alloa daheben beim Anziagn, aber da is koa Drodenka net g'wen. Erscht wia mir die Binder Cenzl g'holfen hat, is ganga. Cenzl, hab i g'sagt, paß auf, sag i, daß ma'n schö hinleg'n, hab i g'sagt...« Die Leichenfrau wurde unterbrochen durch das Herannahen der Geistlichkeit, welche die Zeremonie begann.
Eintönig hallten die tiefen Stimmen der singenden Priester durch den kalten Gang, und süßlicher Weihrauchduft füllte das Haus.
Vor demselben hatten sich nunmehr alle versammelt, welche dem Toten das letzte Geleit geben wollten.
Alle Vereine, denen Josef Seilinger angehört hatte, waren vertreten. Die Liedertafel, die Schützengesellschaft, der Tarockklub, die Freiwillige Feuerwehr, der Veteranenverein und der Velozipedklub.
Zum Zeichen der Trauer waren die Fahnen umflort wie die Schärpen der Fahnenjunker.
Mit finsterem Ernste blickten die Männer unter den hohen Zylindern hervor; ihnen gegenüber, durch die Straße getrennt, stand die schwarzgekleidete Schar der Frauen.
Die Blicke aller waren auf das Tor gerichtet, aus dem jetzt schwankend unter der Last des Sarges die Leichenträger schritten, gefolgt von der Geistlichkeit und den Hinterbliebenen.
Die Fahnenträger schlossen sich an, dann die Trauergesellschaft in hergebrachter Ordnung.
In langer, krummer Linie schlich der schwarze Zug durch die schneebedeckten Straßen; an den Fenstern lugten hinter den Vorhängen die alten Leute und Kinder heraus; die kleinen Häusler und Taglöhner standen vor ihren Hütten und entblößtem ehrfürchtig die Häupter zum letztenmal vor dem dicken, reichen Josef Seilinger.
Die Bürger aber kürzten sich den Weg mit Gesprächen über das traurige Ereignis.
»Ja, schnell hat's 'n g'rissen. Wer hätt' dös glaubt? Woaßt as no, Franzl, wia ma vorig's Jahr in Hausham beim Bierletzt g'wen san? I und da Reitmoar und du und da Seilinger? Wia ma z'letzt allsam so b'suffa g'wen san, daß ins s'Bier bei die Augen außa grunna is?«
»Freili woaß i's no. Wia nacha da Seilinger aufg'standen is und hat mit da Faust in Tisch einig'haut. Herrgottsakra, hat a g'schriean, trink ma no a Maß, ös Fretter ös miserablige! I trink Enk allsamt untern Tisch eini. Und g'rad schnackerlfidel is er g'wen.«
»Ja, da hätt aa koa Mensch net denkt, daß er so bald ei'liefert. Man hat eahm nix okennt.«
»No, no, woaßt, Franzl, dös viele Saufen ko net guat sei. Er hat scho a bisl gar z'naß g'fuattert.«
»Dös is wahr. Du, wo geh' ma denn danach hi?«
»I moa halt zum Stembräu. Spiel ma an Tarock, da Weißlinger tuat aa mit. Gell Schorschl?«
»Ja, is ma grod recht... Bst! Bst!«
Man war vor dem offenen Grabe angelangt. Als unter den üblichen Zeremonien der Sarg versenkt war, entblößte der Pfarrer das Haupt und sprach:
»Andächtige Trauerversammlung! Wir stehen vor dem offenen Grabe des tugendsamen Josef Seilinger, bürgerlichen Realitätenbesitzers dahier. Er ist geboren am 10. Oktober 1854, als der Sohn des Realitätenbesitzers Josef Seilinger und dessen Ehefrau Brigitta, und starb am 3. Januar 1899. Sein Leben war vergleichbar einem Strome, der ruhig dahinfließet. In seiner Jugend besuchte er drei Lateinklassen mit großem Erfolge, wie durch das Zeugnis seiner Lehrer bestätigt wird. Alsdann zog er sich in sein elterliches Haus zurück und verblieb daselbst bis zu seinem Lebensende.
Im Jahre 1879 vermählte er sich mit Fräulein Marie Hitzinger, Brauereibesitzerstochter von hier, welche heute als trauernde Witwe in das Grab blicket. Der glücklichen Ehe entsprossen drei Kinder.
So, geliebte Christen, ist seine Laufbahn ein Beispiel und eine Lehre für alle. Er war aber auch ein ordnungsliebender Bürger und ein gläubiger Katholik. Er war nie ein Zweifler, und der neue Geist, welcher jetzt so böse in der Welt umhergeht, hat ihn nicht beschädiget.
Darum dürfen wir hoffen, daß er trotz seines schnellen Endes die Seligkeit erworben habe. Amen!«
Hier wollte der Gesangverein einfallen mit dem Liede: ›Seht, wie sie so sanft ruhen.‹ Aber nach den ersten Tönen brachen die Sänger ab; eine auffallende Bewegung ging durch die Reihen, und nach einer drückenden Pause trat der Vorstand an das Grab und erklärte, daß der Gesang infolge Unwohlseins einiger Mitglieder nicht stattfinden könne.
Damit war auch die Feierlichkeit zu Ende. Die Trauergäste entfernten sich rasch und besprachen mißbilligend das letzte Vorkommnis.
»Da sieht ma's wieda, unsa Liadertafel. Bal ma sei Ruah haben möcht im Wirtshaus, nacha plärren s' in oan Trumm, oan faden G'sang nach dem andern. Bal ma s'aba braucht, ham S' koa Stimm'. I möcht bloß wissen, was da dahinter steckt.«
Die Neugierde wurde bald befriedigt, denn der Vorstand erzählte beim Sternbräu jedem, daß der erste Bassist, der Schreinermeister Bergmann, sich geweigert habe, zu singen.
»Und wissen S', warum, meine Herren? Weil d'Frau Seilinger an Sarg net bei eahm hat macha lassen. I hab bitt und bettelt, daß er uns de Blamasch net atoa soll. Nix hat's g'holfen. ›Fallt ma gar net ein‹, sagt er, ›braucha de Protzen mein Sarg net, braucha's mei Stimm' aa net.‹ Was sagen S' da dazu, meine Herren?«
»Ja no!«