Ludwig Thoma
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Ludwig Thoma

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Die Chinesen lagen am Boden, und das Christentum hatte wieder einmal einen schönen Triumph erfochten. Engländer, Russen, Franzosen und Deutsche teilten sich in die Gloria, und für die Stadt Dürnbuch an der Glonn fiel ein Hauptstück ab. Kaspar Asam hatte deutschen Boden betreten und teilte seine baldige Ankunft mit. Davon kam eine starke Bewegung in den Veteranenverein, dessen Vorrat an vaterländischen Helden in dreißig Friedensjahren bedenklich gelichtet war, und der es mit Freuden begrüßen mußte, nach so vielen Jubiläen endlich wieder einen richtigen Kriegereinzug abzuhalten. Der Magistrat hatte einstimmig seine Mitwirkung zugesagt, und die königlichen Behörden waren entschlossen, mit Schiffhüten und Fräcken das Fest offiziell zu gestalten. Kein Mißton störte die Vorbereitungen, und als Bartholomäus Asam über den Stadtplatz schritt, sah er, daß die Vorderfronten der stattlichsten Häuser für seinen Sohn mit Fähnlein und Girlanden geziert waren.

Am folgenden Sonntag rückte der Veteranenverein mit Musik aus und marschierte bis zum Egersrieder Kreuzweg, wo der Omnibus in Empfang genommen werden mußte. Es war ein lieblicher Frühlingsmorgen und eine gehobene Stimmung, als nun der gelbe Wagen bedächtig die Straße heranschaukelte. Der Schlosser Sebald als Vorstand gab die letzten Befehle; Musik links am Rande, und auf ein Zeichen den Präsentiermarsch, die Krieger gegenüber, zwei Mann hoch aufgestellt und gut ausgerichtet. Achtung!

Der Postillion hielt an, und vor allen neugierigen Augen kletterte der Sieger von Peking aus dem Wagen; und wahrhaftig, dieser merkwürdige Jüngling war rund und fett, und nichts an ihm zeugte von Strapazen und Entbehrungen. Aber davon war jetzt nicht die Rede, denn Sebald machte soldatischen Lärm. »Achtung! Still-gestanden! Augen rechts! Präsentiert das – Gewehr!« Die Regenschirme flogen klappernd an die Schultern, und müde Handwerkerbeine versuchten es, durchgedrückt und stramm zu stehen.

»Im Namen des Veteranen- und Militärvereins Dürnbuch begrüße ich Sie, indem Sie gezeigt haben, daß auch die jetzige Generation in Treue fest für Fürst und Vaterland überall ihre Pflicht tut und den bayrischen Waffenruhm, welcher einst bei Wörth und Sedan erstrahlte, zu wahren weiß. Wir gedenken wie immer, so auch in diesem Augenblicke unseres obersten Kriegsherrn und geben diesen erhabenen Gefühlen Ausdruck, indem wir rufen: Seine königliche Hoheit, des Königreichs Bayern Verweser, lebe hoch, hoch, hoch!«

Tara, tara, taridadaradada, fiel die Musik ein, und Kaspar Asam nahm die Händedrücke entgegen und zeigte sich dem Augenblicke angemessen. An seinem Rocke hingen vier Orden, welche die alten Soldaten blendeten, und sie glitzerten in der Sonne und klirrten, wenn er auftrat.

»In Sektionen links schwenkt – marsch!«

Hinter der Fahne zwischen Sebald und dem pensionierten Gendarmen Angerer marschierte Kaspar, und es ging mit Trompetenschall nach Dürnbuch hinein bis zum Stadtplatz, auf dem eine Tribüne errichtet war.

Oben glänzten feierliche Zylinderhüte, und unter deren einem schaute das breite Gesicht des Bäckermeisters Vierthaler in diese Welt der merkwürdigsten Schicksalswechsel. Wer hätte es je gedacht, daß er für einen Asam den Bratenrock anlegen werde? Dort unten stand dicht gedrängt lauter ehrbares Volk, hier heroben stand neben ihm ein königlicher Bezirksamtmann, und die jämmerlichen Beine entlang baumelte der Staatsdegen. Warum? Weil jetzt von der Kirchgasse her mit Brausen und Sausen der Kaspar Asam einherschritt, wiederum an der Spitze von ehrlichen Leuten. O du runde Welt, auf der sich das Unterste zu oberst kehrt! Es war einmal eine Ladenkasse, da lagen siebenunddreißig Mark darin, ein Goldstück, fünf harte Taler und das übrige...

Silentium!

Freilich da waren jetzt die Veteranen vor der Tribüne, und des Kaspar Asam Soldatenauge überflog die Schmerbäuche, als wären sie nichts, und blieben haften auf Seiner Wohlgeboren, dem Herrn rechtskundigen Bürgermeister, welcher nun sprach:

»Silentium! Hochverehrte Festversammlung! Nil admirari sagt jener berühmte Horatius, welchem wir auch das andere Wort verdanken, es ist schön und ehrenvoll, für das Vaterland zu sterben. Nil admirari oder Mensch, wundere dich nicht! Hochverehrte Festversammlung! Ist es doch wahr, dieses Wort des lateinischen Dichters! Denn wohin wir auch blicken, immer wieder ereignen sich wunderbare Dinge und zeigen, daß das Walten der Vorsehung unberechenbar ist. Wer von uns erinnert sich nicht jener bangen Stunden, als die Gesandtschaft umheult von den ergrimmten Chinesen, in der furchtbarsten Gefahr schwebte? Wer erinnert sich nicht jener Nachricht, welche jeden Europäer bis ins Mark traf? Jener Nachricht, daß Weib und Kind unter den Streichen der Wütenden hinsanken? Damals war es, daß auch in unserer Stadt sich ein Vaterherz im bittersten Schmerz zusammenzog, damals trat das Schicksal in seiner fürchterlichsten Gestalt auch an einen aus unserer Mitte, und ein tiefgebeugter Vater blickte in die Gruft seines Sohnes.

Hochverehrte Festversammlung! Nil admirari! Welch ein Unterschied zwischen heute und gestern! Der Totgeglaubte steht gesund und fröhlich in unserer Mitte, und seine Brust schmücken zahlreiche Orden zum Lohne für die Tapferkeit, welche er bewiesen hat. Auch uns ziemt es, ihm dankbar zu sein. War es doch schon im alten Athen gebräuchlich, den heimkehrenden Sieger von Olympia zu feiern, und haben wir doch vielmehr Grund, ihrem Beispiele zu folgen! Denn nicht ein leichtes Spiel war es, aus dem unser Held heimkehrt, nein, es war ein blutiger furchtbarer Kampf. Fürwahr, den deutschen Männern, welche im fernen Asien den Schimpf abwuschen, jenen Schimpf, welcher den glänzenden Schild der Germania eine kurze Weile getrübt hatte, diesen Männern, sage ich, gebührt allgemeiner Dank. Soll es uns nicht mit Freude erfüllen, daß unter diesen Männern auch ein Kind unserer Stadt sich befindet, und haben wir nicht die Pflicht, dieser Freude öffentlich Ausdruck zu geben und damit zu bekunden, daß jene patriotischen Gefühle, welche jetzt in Nord und Süd, und in Süd und Nord, hochverehrte Festversammlung, – daß jene patriotischen Gefühle auch uns beseelen? In diesem Sinne spreche ich namens des Magistrates und Gemeindekollegiums Ihnen, Herr Kaspar Asam, den tiefgefühltesten Dank aus. Mögen wir alle in den zahlreichen Orden, welche Ihre Brust schmücken, auch eine Ehrung für unsere Stadt erblicken und zugleich die Mahnung, daß auch wir immer bereit sind, mit Gut und Blut zu unserem engeren, sowie zu unserem weiteren Vaterlande zu stehen. Wir können diesen Gefühlen keinen besseren Ausdruck verleihen, als indem wir rufen. Seine königliche Hoheit, des Königreichs Bayern Verweser, und seine Majestät, der deutsche Kaiser, sie leben hoch! hoch! hoch!«

Viele Zylinder und ein Schiffhut wurden zum Himmel gehoben zur mittelbaren und mit einbegriffenen Ehrung des Kaspar Asam, und der Bezirksamtmann zog ihn in ein längeres Gespräch, und es schloß mit einem viel bemerkten Händedruck, und das gleiche tat der Bürgermeister. Beim festlichen Frühschoppen im Lammbräu kam es sogar zu einem direkten Lebehoch auf Kaspar. Ein aufmerksamer Beobachter hätte wohl feststellen können, daß sehr angesehene Bürger sich mit jovialen Witzen an den Helden des Tages heranmachten, und daß sie ihre Bedeutung gehoben glaubten, wenn Kaspar mit ihnen lachte. Der Beobachter hätte weiterhin feststellen können, daß man dem heute schon in öffentlicher Rede erwähnten Vater Bartholomäus zutraulich auf die Schulter schlug und ihm auch sonst einige Brosamen herzlichen Wohlwollens zukommen ließ. Er hätte feststellen können, daß der Bäckermeister Vierthaler im Schatten saß, weil kein Strahl der Asamischen Sonne auf ihn fiel, und daß er sich frühzeitig und unbeachtet nach Hause begeben mußte, während hinter ihm die lauteste Fröhlichkeit auf die Gasse drang.

Es war einmal eine Ladenkasse, und da waren siebenunddreißig Mark darin, ein Goldstück, fünf harte Taler und...

Geh heim mit deiner alten Geschichte, Vierthaler, denn niemand will sie hören. Wenn du aber mit gegrätschten Beinen am Fenster stehst und verdrossen über den leeren Marktplatz schaust, so denke an deinen rechtskundigen Bürgermeister. Nil admirari!

 

Kaspar Asam war so versöhnlich gestimmt durch den Empfang, daß er seinen Groll gegen Dürnbuch beiseite legte und zu bleiben beschloß. Als vaterländischem Helden stand es ihm nicht wohl an, den Handel mit Stallhasen und Meerschweinchen wieder aufzunehmen. Die Begründung einer neuen Existenz aber war so wichtig und folgenschwer, daß er nicht mit überstürzter Eile an sie heranging, sondern in abwartender Ruhe als täglicher Gast des Lammbräu der Zukunft entgegensah. An dieser Stätte seiner Ehrungen fühlte er sich wohl, und hier glaubte er ständiger Anerkennung sicher zu sein.

Allein die Saiten der bürgerlichen Gemüter bleiben nicht lange in hoher Spannung, und sie ließen nach und gaben bald nur mehr dürftige Töne von sich, wenn Kaspar auf ihnen das Lied von seiner Heldenschaft begleiten wollte. Seine Orden verloren ihre festliche Bedeutung, und ihr Glanz erblindete, weil er sie Tag für Tag den Dürnbuchern vor Augen führte, während sie doch von der Vorsehung dazu ausersehen sind, das sonntägliche Gewand zu schmücken. Der dekorierte Krieger, welcher jeden mühevollen Werkeltag hinter der Bierbank saß, wurde eine gewöhnliche Erscheinung und bald eine ärgerliche Erscheinung. Unterweilen versiegte auch sein chinesischer Kriegsschatz und gleichzeitig mit ihm das Wohlwollen des Lammbräu. Auch Kaspar Asam mußte erfahren, daß der Dank des Vaterlandes kein Kredit fundierendes Objekt, sondern nur ein idealer Begriff ist. Mit unschönen Worten erklärte ihm eines Tages die Kellnerin, daß ihm weiterhin keine Lebens- und Genußmittel anders als gegen bare Bezahlung verabreicht würden, und der Lammbräu, welcher herbeigeholt wurde, zeigte nicht die geringste Scheu vor dem Günstling der drei Monarchen.

So kurze Zeit nach jenen hochklingenden Versicherungen siegte im dankschuldigen Dürnbuch der nüchterne Erwerbssinn über höherstehende Gefühle.

Kaspar Asam erkannte mit Bitterkeit die Forderungen des Alltags und nestelte den russischen Annaorden vom Rock und gab diese goldene Medaille der Kellnerin zum Pfand. Da lag nun das würdige Ehrenzeichen, welches die Soldaten Suworoffs und Kutusoffs und Skobeleffs gleichermaßen zur Tapferkeit angefeuert hatte, neben schmierigen Bierzeichen im Schenkkasten und bewies die Hinfälligkeit der historischen Größe.

Das Gerücht von dieser Tat durchlief die Stadt Dürnbuch und wirkte in gewisser Beziehung zersetzend, denn es ist immer gefährlich, wenn ein Nimbus verloren geht, und die Leute, welche sich von der Kellnerin den Orden zeigen ließen und ihn mit plumpen Späßen von Hand zu Hand gaben, schädigten, wenn auch unbewußt, den monarchischen Gedanken.

Was aber Kaspar Asam betrifft, so trank er so lange, bis der Lammbräu die pfandmäßige Sicherheit für erschöpft hielt, und dann wurde er hinausgeworfen und zog zu seinem Vater in die untere Stadt.

Und die stattlichen Häuser der achtungswerten Bürger schauten wieder mit den schmutzigen Hinterfronten auf ihn hinab.


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