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Der Wilderer

Auf dem engen Fußpfade, welcher durch das Moos führt, schreiten drei Männer.

Mißmutig und schweigsam. Sie waten durch das Schilfgras, welches ihnen oft bis zu den Knieen reicht, winden sich durch einen Weidenbusch, der ihnen mit den schlanken Gerten in die Gesichter schlägt, und müssen bald über einen Torfgraben springen, bald über einen breiten Wassertümpel von einem schlüpfrigen Steine zum andern wegsetzen.

Da verginge jedem der Humor, zumal wenn er bei der drückenden Hitze ein Gewehr mitschleppen müßte, das beim Gehen und Springen hinderlich fällt.

Nun bleibt der vorderste stehen und nimmt die Dienstmütze ab, um sich den Schweiß von der Stirne zu wischen.

»Himmelsternlaudon!« wendet er sich zu den zwei Gefährten, »da hat uns der Förster wieder amal a schöne Arbeit ang'richt. Drei Stund' im Moos laufen bei der Prügelhitz, und is doch für die Katz.«

»Ja, das macht der neue Herr Jagdg'hilf,« brummt der zweite, »der hört das Gras wachsen und meint, er muß den Niederegger fangen. Wir Gendarmen können nachher die Suppen auslöffeln und uns die Füß' wegrennen. Passen S' nur auf, Herr Kommandant, wir werd'n heut noch g'waschen, daß uns das Wasser bei den Stiefeln herausrinnt.«

»Ich glaub's selber; also vorwärts marsch! Vielleicht kommen wir noch, vor es anfangt.«

Und die drei gehen, so rasch es der Weg erlaubt, weiter.

Die Sonne hat sich nunmehr hinter den drohenden Gewitterwolken versteckt.

Ein kühler Wind streicht über das Moos und weht ihnen starken Erdgeruch, vermischt mit dem betäubenden Dufte des Pfeffermünzkrautes, entgegen. Über die Moortümpel und über den breiten Bach, der sich wie Schlinggewächse durch die Heide windet, jagen dunkle Schatten.

Schon beginnen schwer aufschlagend einzelne Tropfen zu fallen, und die drei schauen sich, hastiger ausschreitend, nach einem Obdach um. Ihre Blicke eilen über die schwarzbraunen Torfgräben, die wie drohende Festungswälle aus dem heftig bewegten Grase hervorragen, hinweg; nun haften sie an einer kleinen Hütte, die mit ihrem windschiefen Dache aus Erlenbüschen und Birken vorlugt.

Es war nicht leicht, sie zu sehen; denn die graue, verwitterte Farbe der Mauer hebt sich kaum von dem Gewitterhimmel ab, und wenn nicht ein heftiger Windstoß die Birken niedergebeugt und so einen Augenblick den Dachfirst gezeigt hätte, so wäre die Hütte den Gendarmen noch eine Weile verborgen geblieben, obwohl ihr Anführer sie schon etliche Mal besucht hatte.

Jetzt ist sie aber einmal entdeckt, und es hilft nichts mehr, daß die grünen Zweige das Geheimnis wieder zu verbergen streben.

Die Ankunft der fremden Männer bringt großen Aufruhr hervor.

Ein schwarzgefleckter Spitz stürzt wütend aus der Hundehütte und rast heiser bellend im Kreise an seiner Kette herum.

Ein paar Gänse heben erstaunt die langen Hälse aus der Schmutzpfütze und schnattern, erst leise, als wollten sie die Eindringlinge zur Rede stellen, was sie eigentlich hier zu tun hätten, dann immer lauter, als seien sie sehr erzürnt darüber, daß sie keine Antwort erhalten.

Die Hühner stimmen mit ein und laufen schimpfend über den Dunghaufen. Eine große, schwarze Katze wirft im Davoneilen gebleichte Pferdeschädel und Knochen, die unter der Haselnußstaude aufgeschichtet lagen, um und klettert auf das Dach, von wo sie mit den großen, grünlichen Augen verwundert auf die Fremden herunterschaut. Die Hütte selbst liegt wie ausgestorben da.

Nur aus dem Anbau, der sich noch am stattlichsten zeigt, tönt dumpfes Poltern und Stampfen.

Der Kommandant schaut zu dem kleinen Fenster hinein und erblickt ein riesenhaftes Untier, das hier eingemauert ist und bis an die Decke reicht.

Erst, nachdem sich sein Auge an die Dämmerung des Raumes gewöhnt, erkennt er in dem Ungeheuer ein breitrückiges, hochgewachsenes Pferd.

»He, hallo! Niemand da?« ruft jetzt der Kommandant und rüttelt an der Haustüre, die unmittelbar neben dem Stalle ist.

Da sie versperrt ist und dem Druck nicht nachgibt, geht er einige Schritte vor und schaut in gebückter Stellung zum nächsten Fenster hinein.

Er sieht einen rauchgeschwärzten kleinen Raum, so niedrig, daß ein halberwachsener Junge nicht aufrecht darin stehen könnte. An der einen Wand ist ein Ofen, der zugleich als Herd benutzt wird; nebenan steht ein Tisch mit drei Füßen; der vierte Fuß ist ersetzt durch einen unbeschälten kräftigen Baumast, der mit starken Nägeln an die Tischplatte angenagelt ist.

»Niemand da?« fragt der Kommandant wieder, »ich trau mir z'wetten, daß uns der Gauner schon lang hat herkommen sehen. Jetzt tut er, als müßten wir ihn erst aufwecken aus seinem christlichen Schlaf.«

In dem Augenblicke biegt um die Ecke ein hochgewachsener Mann in den mittleren Jahren.

Er geht etwas nach vorne gebeugt und zieht die Schultern auf.

Aus dem verwitterten Gesichte, das durch die vorspringende scharf geschnittene Nase einen fast martialischen Ausdruck erhält, blicken ein Paar listige graue Augen, die ebenso wie ein Zug um den Mund große Schlauheit verraten.

Mit einem kurzen scharfen Blicke mustert er die Gendarmen; dann schaut er sie unbefangen an, und keinen Augenblick zeigt er auch nur die geringste Überraschung.

Er stellt einen Heurechen, den er in der linken Hand getragen hatte, an die Wand und sagt freundlich grüßend:

»Ah! 'ß Good de Herrna! A wengl untasteh z'wegen an Wetta?«

»Ja, mir werden ein bissel länger dableiben, Niederegger,« antwortet der Kommandant.

»O mei, es schaugt si bloß so g'fahrli her. Dös tuat net viel. I glab net amal, daß 's zum Rengna kimmt.«

»Ja, wegen dem Wetter bleiben wir net da; ich hab mit dir selber ein Wörtel z' reden.«

»Mit mir? Wüßt net, daß i mit G'richt und Obrigkeit was z'toa hätt'.«

»Das wirst schon inne werden, Niederegger. Wenn bloß der Jagdg'hilf einmal kommen tät!«

»Moana S' an Jagdg'hilf Blausteiner?« fragt der Niederegger.

»Ja.«

»Der ko net weit weg sei. I siech'n scho seit oana Stund allaweil dort hinta de Boschen umanand schliafen. I ho mir denkt, er wird a bißl jagern.«

Der Kommandant sieht nicht, daß bei diesen Worten ein verhaltenes Lachen um den Mund des Niederegger zuckt. Aber er hat auch so genug gehört und flüstert den beiden Begleitern zu:

»Hab i's net g'sagt? Der Tropfenberger hat uns alle miteinander schon lang beobacht. Den g'scheiten Jagdg'hilfen erst recht. Der hat g'meint, wie schlau er's macht, wenn er von der andern Seit herschleicht und um die Hütten herumspioniert. No, da kommt er ja selber. Grüß Gott, Herr Blausteiner, Sie bleiben lang aus.«

»Waar net üb'l! I bi scho a Stund länger do, wia Sie. I hab de Spitzbuambande a'pürscht wia'r an Rehbock und bi bis jetzt auf'n Lugaus g'sess'n.«

»Weiß schon«, sagt der Kommandant, »das hat uns der Niederegger bereits bestätigt.« – »Was?«

»Jawohl! Und wann Ihnen die Rehböck auch so schnell spannen, nachher werden S' net viel schießen.«

»Oho! Der Herrgotts …«

»Beruhigen S' Ihnen nur. Jetzt is schon g'schehen. Gehen wir gleich ans Geschäft, helfen tut's doch nix.«

»Niederegger!« fährt er in dienstlichem Ton fort, »in der letzten Zeit sind wieder Schlingen gefunden worden; auch hat man Spuren entdeckt, daß ein Reh eingegangen ist. Sie sind dringend verdächtig, und wir müssen Haussuchung halten.«

»Wos? Haussuachung? Bei r' an Menschen, der seine Steuarn und Abgab'n zahlt? Wo ko mi oana beweis'n, daß i scho amol 's Nächsten Guat ang'rührt hätt …«

»Red net lang und sperr auf!«

Der Niederegger beteuert noch mal seine Unschuld und ruft alle Heiligen zum Zeugen an, daß ihm unrecht geschieht. Dann stößt er einen scharfen Pfiff aus und schreit:

»Loni, schaug oba! G'richt und Obrigkeit san do! Mach d' Tür auf!« –

Durch eine Dachluke schiebt sich ein weiblicher Kopf, scharf geschnitten wie der eines Raubvogels, und eine gellende Stimme ruft:

»Wos geit's?«

»Aufmacha sollst! De Herrn Schandarm mecht'n unsa bißl Hab und Guat a'schaug'n.«

»Ein bissel g'schwind!« ruft der Kommandant.

»So, so, is die gnä' Frau da droben, und hat keine Ahnung, daß mir da sind? Wahrscheinli ein Mittagsschläferl g'macht?«

Inzwischen wird die Türe von innen geöffnet, und die Eintretenden, welche sich tief bücken müssen, um nicht anzustoßen, stehen der Frau Niederegger gegenüber, welche laut über die Schande jammert, die ihr armes Häusel trifft.

»Gib dir net lang a Müh,« sagt der Kommandant, »du weißt schon seit einer Stund, daß 's Haus ausg'sucht wird. Jetzt geh voran, und du auch, Niederegger! Marsch!«

Die Hütte wird von den Gendarmen eifrig durchsucht, während der Jagdgehilfe vor derselben Stellung nimmt.

Nach Verlauf einer halben Stunde kommen sie wieder heraus.

»Was ich g'sagt hab, nicht ein Stäuberl zu finden,« ruft der Anführer. »Jetzt wollen wir der Form halber noch den Hof und den Garten durchsuchen.«

Das geschieht mit dem nämlichen Mißerfolg, obwohl der Herr Blausteiner jeden Busch absucht, jeden Grasfleck visitiert und jedes Brett aufhebt.

Der Niederegger schaut ihm teilnahmslos zu und schüttelt nur hie und da den Kopf, als könnt' er immer noch nicht mit dem Gedanken fertig werden, daß man so etwas von ihm glaube.

Endlich gibt auch der Jagdgehilfe das Suchen auf und schließt sich den Gendarmen an, welche zum Fortgehen bereit sind.

»No, Herr Kommandant,« sagt der Niederegger höflich, »jetza hat si's Wetta aa vazog'n.«

»Ja, schau nur, daß 's net doch amal einschlagt,« sagt dieser kurz und entfernt sich langsam mit den andern.

Sie schreiten rüstig heimwärts durch das Schilfgras, und ihre Gestalten heben sich scharf von der sonnenbeschienenen Heide ab.

Der Wind trägt noch den Schall ihrer lauten Stimmen herüber, bald aber liegt die Hütte wieder in friedlicher Stille, wie sonst.

Der Niederegger steht mit einem vergnügten Schmunzeln im Hofe und spricht zu seiner Frau hinauf, die durch eine Dachluke die Abziehenden beobachtet.

»Paß auf, Bäuerin, ob da Jagdg'hilf net no amal umkehrt. Is er no dabei?«

»Ja; jetzt san s' scho beim Mooshansl; es san ehana allaweil no vieri.«

»So? Nacha hol i mir im Garten a paar Schlinga und geh ins Neuhäusler Moos nüber.

Tat da Greaspecht epper gar no umkehren, nacha pfeifst, und wann d' Luft sauber is, ko'st du a wengl zum Fischen geh; heunt beißen s'.« –


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