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Erzherzog Stephan

Der alte Erzherzog Stephan ist ein umgänglicher Mann, der sich in achtzig Jahren einige Lebensweisheiten erworben hat. Unter anderm auch die, daß man mit einem richtigen Jagdgehilfen viel netter diskutieren kann, als mit einem Kammerherrn oder auch mit einem Minister.

Die faden Zelten haben immer Angst, daß sie mehr wissen als ein Erzherzog und stellen sich aus lauter Höflichkeit noch dümmer, wie sie sind.

Aber ein Jagdgehilfe hat wenigstens in seinem Metier eine eigene Meinung und studiert nicht immer nach, ob er ja oder nein sagen muß.

Außerdem war der alte Erzherzog ein richtiger Jäger, und ein Gamsbock war ihm allezeit lieber als der großartigste europäische Herrscher. Nun hatten aber die Höflinge eine schwache Seite bei ihm herausgefunden und hatten sie ängstlich beachtet, genährt und übertrieben, wie es ihr Handwerk erfordert. Der Alte hörte nicht gern vom Sterben reden, weil er trotz seiner hohen Jahre am Leben hing und noch manchen braven Hirsch erlegen wollte.

Deswegen galt es an seinem Hofe für die allernotwendigste Kunst und Palastregel, daß man so tat, als gäbe es keinen Tod.

Wenn der Erzherzog einen kavaliermäßigen Knieschnackler und Hosenträträ fragte: »Nun, wie geht es Ihrer Frau?« Dann antwortete der Kammerherr: »Ausgezeichnet, Kaiserliche Hoheit,« auch wenn er sie vierzehn Tage vorher begraben hatte. Oder wenn zum Beispiel der Erzherzog sagte: »Den Grafen Schleimhuber habe ich schon lang nicht mehr gesehen,« dann erzählte sogleich ein Kämmerling, daß der Graf in Italien herumreise. In Wirklichkeit war aber der Schleimhuber schon ein halbes Jahr tot.

Da begab es sich im Herbste 1907, daß der Großherzog von Neuburg zu seinen Vätern abberufen wurde.

Die Minister überlegten hin und her, wie sie das Ereignis dem Erzherzog Stephan mitteilen sollten. Denn eigentlich mußte er es doch erfahren.

Man gab also dem Hausminister den Auftrag, den hohen Herrn im Jagdgebiet aufzusuchen und ihm alleruntertänigst zu unterbreiten, daß sich der Tod respektlos an das neuburgische Herrscherhaus herangemacht hatte.

Seine Exzellenz machten sich zitternd an diese Aufgabe und trafen im Jagdlager ein.

Der Erzherzog machte ein griesgrämiges Gesicht, als er den Minister erblickte, und er sagte sogleich zu seinem Leibjäger: »Hiasl, hast d' den faden Kerl g'segg'n? Da muaß i g'wiß wieder was unterschreib'n.«

»Dös kriag ma scho, Kaiserliche Hoheit,« tröstete der Hiesl; »morgen lass'n ma den Saggera amol drei Stund in die Latschen rum, da laßt er Eahna nacha in Ruah, Kaiserliche Hoheit.«

Den andern Tag wollte der Minister seine traurige Mitteilung machen, aber er kam nicht dazu.

Denn Kaiserliche Hoheit mieden seine Nähe und sagten nur kurz, daß Exzellenz sich an der Jagd beteiligen sollten, und das Geschäftliche könne am Abend erledigt werden.

Exzellenz mußten aber kolossale Strapazen erdulden, weil sie von einem Jäger ganz merkwürdige Wege, bald hinauf, bald hinunter durch ein Latschenfeld geführt wurden und erst spät in der Nacht gänzlich erschöpft in das hohe Jagdlager zurückkehrten.

Exzellenz waren durchaus nicht mehr in Verfassung, jenes ernste Geschäft zu erledigen, und da sie überhaupt den Mut verloren hatten, zogen sie den Leibjäger Hiesl ins Vertrauen und versprachen ihm 200 Mark, wenn er das Ableben des Großherzogs an hoher Stelle vermelden wollte. Dem Hiesl war es auch nicht recht, aber 200 Mark sind ein Geld. Also sagte er zu, und der Hausminister reiste fröhlich beim Morgengrauen ab.

»Wo is er denn?« fragte der Erzherzog beim Frühstück.

»Wer?« fragte der Hiesl.

»No, unser Federfuchs?«

»Der hat si druckt, Kaiserliche Hoheit. Der hat umg'schlag'n.« Da lachte der alte Erzherzog aus vollem Halse und schenkte dem braven Hiesl ein funkelnagelneues Fünfmarkstück. Aber der Hiesl konnte sich nicht recht darüber freuen, denn er dachte jetzt immer an den Auftrag, den er übernommen hatte.

»Herrgott sakra! Wenn nicht die 200 Mark waar'n!«

Drei Tage lang probierte er, die Geschichte anzubringen.

»Auf schonende Weise,« hatte der Minister gesagt. Aber da schont sich was!

Wenn der alte Erzherzog so fidel und lustig auf dem Anstand saß und bloß Augen hatte für Hirschen und Gambs, sollte ihm einer schonend erzählen, daß der Großherzog von Neuburg tot war.

Oft fing der Hiesl an: »Kaiserliche Hoheit, i hätt was …«

»Was hättst d'?« Da war's schon wieder aus.

Endlich am vierten Tag fand sich eine schöne, passende Gelegenheit, und das war gut, denn länger durfte der Hiesl nicht warten, sonst waren die 200 Mark hin.

Also, der Erzherzog Stephan saß auf einem freien Platz, hinter ihm der Hiesl.

Wie das Treiben anging, sprangen auf dem Wechsel ein paar Stück herein und dahinter kam ein mordalischer Zwölfender mit armsdicken Stangen.

Der Hiesl schnaufte vor Aufregung.

»Saggera, Saggera! Er werd ins wohl net in Wind kriag'n!«

Und gut ging es.

Der Hirsch kam vertraut daher in einem leichten Trab; bis auf neunzig Schritt. Da hoffte er, und der Erzherzog nahm ihn ruhig aufs Korn und ließ es krachen.

Der Hirsch machte einen großen Sprung in die Höhe. Blattschuß. »Hat'n scho!« schrie der Hiesl. »Hat'n scho! Juhu! den hat's g'rissen wia'r an Großherzog von Neuburg.«

»Wos? Wos?« fragte der Erzherzog.

»Ja, wissen S' dös no net? Den hat's aa g'rissen,« sagte der Hiesl noch einmal und schaute eifrig nach dem Hirsch, der abwärts flüchtete und jetzt in die Latschen hinein schlug.

Da sauste der Hiesl hinunter, und wie er den verendeten Hirsch liegen sah, juchzte er wieder und schrie: »Weidmannsheil, Kaiserliche Hoheit! A Zwölfer, wia S' no koan schönern g'schossen hamm!«

Jetzt vergaß auch der Erzherzog seinen Schmerz über das Ableben des erlauchten Großherzoges und ließ sich seelenvergnügt die schönen Grandeln zeigen.

War aber doch auf schonende Weise in Kenntnis gesetzt von dem wichtigen Ereignisse.


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