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siehe Bildunterschrift

Ludwig Thoma in seinem Heim in Rottach, 1913

Pürschgang

Hügel auf und ab sproßt das neue Leben. Blaugrünes Korn, heller Weizen und dunkler Klee.

In den Talsenkungen strecken sich blumige Wiesen und zeigen lustige Farben. Knallgelb und rot und violett.

Den reichgestickten Mantel umsäumt der Wald.

Auch ihm hat der Frühling den feierlichen Ernst genommen.

An Tannen und Fichten treibt der junge Wuchs und gibt den alten Herren ein fröhliches Aussehen.

Ihre finstere Strenge verschwindet hinter hellgrünem Buchenlaube, das in der Sonne blinkt und im Winde zappelt.

Von unten blinkt die Landstraße, verschwindet hinter den Feldern, kriecht einen Hügel hinauf und läuft wie durch ein offenes Tor in den Wald.

Sie kommt von weit her und geht in die Welt hinaus; hier in dem stillen Winkel aber kann sie gemächlich tun und sich über die Blüten freuen, die von den alten Apfelbäumen in ihren Schoß fallen.

Die Rast mag ihr wohl tun, denn sie ist alt und hat viel gesehen in früheren Zeiten. Als noch große Heere auf ihr hinzogen und Geschütze und Wagen den Staub aufwirbelten.

Seit langem ist es ruhig geworden.

Jetzt stapfen nur mehr des Deutschen Reiches Handwerksburschen barfüßig über sie weg, und an Sonntagen muß sie die Verbindung herstellen zwischen dem Wirtshause in Berghofen und dem Wirtshause in Zeitlbach.

Aber heute ist Werktag.

Über Gras und Korn lugt der Maibaum vergeblich nach Leuten aus. Sie kommen nicht; sie haben sich über die Felder zerstreut zur fleißigen Arbeit.

Hott – ahö!

Ein Mann fährt mit der Egge über die Furchen und hält jetzt an.

»Grüß Gott, Herr Dokta!«

»Grüß Gott! Schön's Wetter heut!«

»Ja. Is glei gar z' schön.«

»War Ihnen der Winter nicht lang g'nug?«

»Schon. Aber es werd z' trock'n. An warma Reg'n sollt' ma halt krieg'n.«

»Der bleibt net aus. Grüß Gott!«

»Hadje!«

Ich gehe ein paar Schritte. Da ruft er mir.

»Sie, Herr Dokta!«

»Was?«

»Aba Reh' gibt's viel! Reh'!«

»Is net so arg.«

»Jo! Jo! Ma siecht's glei unter der Mittagszeit umanand steh'.«

»So?«

»Ja. Und mein Klee beim Pfarrholz hamm s' fei sauber z'sammbissen.«

»So?«

»Ma will ja it unverschämt sei', aba a paar Markl sollten S' ma scho geb'n für den Klee.«

»Der wachst do wieder!«

»Naa, der wachst nimmer, wenn de Dollen allsammete abbissen san!«

»De paar Kleeblatteln, Lenzbauer!«

»Ma sagt it vo dem, und ma will it unverschämt sei', aba drei Markeln.«

»Lenzbauer, drei Maß zahl' i. Is nacha recht?«

»Vo mir aus. Daß Sie sehg'n, daß ich net a so bin.«

»Also, gilt scho. Grüß Gott!«

»Hadjeh!«

Der Weg führt mich an einer Mühle vorbei ins Dorf.

Meine Ankunft erregt Lärm und Aufsehen. Beim ersten Hause bellt mich ein Hund wütend an und rennt an seiner Kette im Kreise herum.

Eine alte Frau kommt unter die Türe und schaut mir neugierig nach; beim Nachbar gegenüber laufen Kinder an den Zaun; einige Schritte weiter pfaucht mich ein Gänserich an und schlägt zornig mit den Flügeln. Hühner fliegen schimpfend vom Misthaufen, und ich fühle, daß ich Fremder und Störenfried bin.

Im letzten Hause wohnt der alte Höchtl.

Wir kennen uns gut durch ein paar Liter Bier, die er auf mein Wohl und meine Kosten trank.

Er ist ein kleiner Häuselmann, hat wenig und läßt seine Frau arbeiten. Weil er gichtisch ist und sich schonen muß.

Er sitzt in der Sonne und gähnt.

»Ah, da Herr Dokta! Genga S' a bissel auf d' Jagd außi?«

»Jawohl. Wie geht's Ihnen?«

»Schlecht. Ganz schlecht. Wia's halt an alten Feldzügler geht.«

»Und Bier sollten S' halt keines trinken.«

»Han?«

»Kein Bier, Höchtl.«

»'s Bier macht mir durchaus gar nix. Wann i no mehra hätt!«

»Nein, das paßt nicht zu der Gicht.«

»Moana S'? Sie, Herr Dokta, was hamm S' denn da für neue Vögel draußden? De hat ma früherszeiten nia net g'sehg'n.«

»Was für Vögel?«

»No, de mit die langa Federn. Ma hört s' allaweil schrei'n.«

»Das sind Fasanen.«

»Ich hab' mir's scho denkt. Aba dös san schlechte Viecher! Wia de mit meine Kartoffeln umganga san! Ah! Ah!«

»Das sind sehr nützliche Vögel, mein Lieber.«

»Für mi net. De gengan grob um mit meine Kartoffeln. Was is denn do, Herr Dokta?«

Er reibt Daumen und Zeigefinger aneinander.

»Da is gar nix, Höchtl.«

»Waar scho recht! Um zehn Mark möcht' i den Schad'n net no amal hamm.«

»Sagen wir zwei Maß.«

»Vo mir aus, weil Sie's san, Herr Dokta. Aba Sie derfen's glaab'n, dös san grobe Vögel. Und jetzt geh'n i zum Wirt und trink' glei de drei Maß.«

»Zwoa, Höchtl.«

»Also zwoa. Hadje, Herr Dokta!«

Adieu, alter Spitzbub!

Ich gehe übers Feld und vermeide es, Leute zu treffen. Und komme in den Wald. Aber in den Wintermonaten habe ich die rechte Gangart verlernt. Viel zu schnell. Neben mir rumpelt es im Dickicht, und ich merke zu spät, daß ich ein Reh losgemacht habe.

Also Schritt für Schritt, und die Augen aufmachen.

Und links und rechts schauen. Da blinkt es schon weiß aus dem jungen Unterwuchs. Von einem kleinen Lärchenstamme ist die Rinde abgeschält.

Hier hat ein Rehbock ganz frisch gefegt; die Fetzen der Rinde sind noch nicht vertrocknet.

Ein paar Meter entfernt ist ein älteres Beschlächt, dort wieder eins.

Ein Bock wäre konstatiert, und ich könnte mit Sicherheit darauf rechnen, daß er am Abend auf das Kleefeld zieht. Es ist gut angenommen, wie man aus den abgeästen Stengeln merkt. Trotz der großen Scheuche, die der Besitzer mitten hineingestellt hat.

Prr! Prr!

Zwei Rebhühner streichen weg und fallen in einem nahen Kornfelde ein.

Wenn sie schlau sind, bleiben sie darin; im Klee würden die Eier bald ausgemäht.

Der Pürschweg führt mich durch Hochholz zu einem großen Pflanzgarten.

Hier waren fast immer Rehe zu sehen, und auch heute trog mich die Erwartung nicht.

Ein rötlicher Fleck taucht im Grün auf.

Bock oder Geiß, kann ich nicht unterscheiden, weil nur der Rücken sichtbar ist.

Schußzeit ist nicht, also probiere ich es einmal.

Ein leiser Pfiff.

Blitzschnell taucht der Kopf aus dem Grase, und zwei dunkle Lichter schauen starr auf mich her.

Ich rühre mich nicht und beobachte durch mein Glas.

Ein Gabelbock, luserhoch auf, schon verfegt, aber schwaches Gewichtl, kaum fingerdick.

Schau nur! Dir geschieht nichts.

Der Bock äugt mich minutenlang an; endlich äst er wieder.

Aber die Sache gefällt ihm nicht mehr; er ist unruhig geworden, hofft wieder, und denkt, sicher ist sicher.

Mit zwei Sprüngen ist er im Dickicht verschwunden.

»Hadje!« sagt der Höchtl.

Aber die Zeit drängt, wenn ich ins Broselholz will. Ich pürsche still von dem Platze auf den Fahrweg und schreite tüchtig aus.

Nach einer halben Stunde habe ich den Platz erreicht.

Rechts von mir steigt ein Hügel an; unten sind Brombeerstauden, weiter nach oben ein Fichtendickicht, das sich zum Hochholze hinzieht.

Links von mir ist eine nasse Wiese, daneben ein großes Kleefeld, welches sanft ansteigt.

Auf der anderen Seite der Höhe liegt ein Bauernhof, von dem ich nur Dach und Kamin sehe.

Ich prüfe den Wind und lege mich unter eine Weißtanne, deren Zweige mir ein sicheres Versteck bieten. Zu Anfang höre ich noch Menschenstimmen vom Hofe herüber.

Allmählich verstummen sie, und aus dem Kamine steigt leichter Rauch in die Höhe.

Die Bäuerin kocht das Abendessen; Knecht und Magd hocken in der Stube und warten. Da wird also kein Lärm mehr die Stille unterbrechen.

Der Abend schreitet über die Höhen, füllt das Tal und den Wald.

Er kommt nicht plötzlich und unbemerkt, wie in der Stadt.

Fühlbar verdrängt er den Tag, und verdrängt ihn Schritt für Schritt.

Das letzte Rot auf den Baumgipfeln erstirbt; im leichten Winde beugen sich die Grashalme.

Der Abend ist gekommen.

Ein mißtönender Schrei hinter mir, und noch einer.

Ein Fasan bäumt auf.

Er weiß, daß viele Feinde wach sind, und schläft nicht auf dem Boden. Ich muß an den Höchtl denken und an die groben Vögel.

Da!

Weit vorne ist etwas Rotes. Ein Reh, und noch eins.

Vorsichtig bleiben sie stehen und sichern.

Dann ein paar kurze Sprünge gegen mich her, und sie äsen.

Das vordere ist ein guter Sechserbock.

Wenn er hofft, sieht man Stangen und Sprossen deutlich gegen den Horizont.

Er kommt ahnungslos näher, und ich kann deutlich hören, wie er die Kleeblätter von den Stengeln rupft.

Sehen muß ich einmal, wie das wäre, und ich hebe sachte das Gewehr und visiere.

Bürscherl, wenn der erste Juni wäre!

Und wenn das Herz nicht stärker schlagen würde wie jetzt, ich meine, wir täten Bekanntschaft miteinander machen.

So würde ich auffahren, bis in die Mitte, und dann – wumms!

Aber was hat denn der Kerl?

Er hofft nach links hinauf, nach den Brombeerstauden.

Ich sehe angestrengt hin.

Richtig! Von oben steigt eine Geiß herunter. Doch würde ihn das wenig kümmern, es muß noch etwas anderes um den Weg sein.

Plötzlich fällt mir auf, daß da, wo die Höhe gegen das Hochholz abschneidet, ein Fichtenwipfel sich heftig rührt.

Vom Winde kann das nicht sein.

Da fegt ein Bock.

Aber ich kann ihn nicht sehen.

Der herunten im Kleefeld wird nervös.

Er zieht von mir weg und äugt immer wieder nach der Höhe.

O, Sackerament!

Freilich, jetzt glaube ich's!

Ein Kapitalbock, ein Fetzenkerl kommt aus den Boschen. Handbreit, aber wirklich und gut handbreit über die Luser hat er auf.

Ganz schwarz und dick ragt das Gewichtl, und ich kriege Herzklopfen, obwohl ich weiß, daß ich nicht schießen werde.

Der Bock ist mit ein paar Sätzen in den Brombeerstauden; der andere auf dem Kleefelde macht einen weiten Bogen und bringt sich in Sicherheit.

Er muß den Herrn kennen und wissen, daß er keinen Guten raucht und keinen Nebenbuhler duldet. Der starke Bock ist auf die Wiese getreten und schaut dem fliehenden nach.

Er ist zufrieden, daß sich der Kerl gedrückt hat, und verfolgt ihn nicht.

Ich beobachte ihn lange durch das Glas.

Den muß ich kriegen; das Gewichtl muß an der Wand meines Zimmers hängen.

Gerade über dem Schreibtisch, und jedesmal, wenn ich es sehe, will ich an den heutigen Abend denken.

Aber es wird Mühe kosten, daß mir die Hand nicht zittert.

Und ob er am ersten Juni noch auf den Klee zieht?

Gewöhnlich ist der um diese Zeit den alten Böcken zu fett.

Die sind Feinschmecker und wollen immer das Beste.

Da äsen sie junge Gräser im Walde und liegen tagsüber in den Kornfeldern, und der Teufel weiß – – Pumm!

Himmel, Herrgott …

Hinter mir im Nachbarrevier krachte ein Schuß. Gut fünfhundert Meter entfernt, aber der Schall ist doch so stark, daß mein Bock verhofft und plötzlich ins Dickicht springt.

Da hat ein gescherter Lackel den ersten Juni nicht erwarten können und dem Gesetz eine Nase gedreht.

Und wahrscheinlich einen kümmerlichen Spießbock hingelegt.

Wenn ich auf den Kapitalen angezunden hätte?

Aber da fehlt einem die Seelenruhe, die so ein luftgeselchter Bocklederner hat.

Wenn ich den morgen frage, auf was er geschossen hat, sagt er: auf einen Raben. Und blinzelt nicht mit den Augen.

Na, ich kann zusammenpacken und heimgehen.

Für heute ist es nichts mehr auf der Wiese, und wenn der Lackel von drüben noch öfter mit seinem groben Schießeisen herumspektakelt, bleibt der alte Bock ganz aus.

Auf dem Heimwege überlege ich, ob ich dem Herrn Nachbar schreiben soll, freundlich oder drohend. Aber wenn der weiß, daß er mir einen Bock vergrämen kann, fahrt er morgen einen Böller an die Grenze.

Man muß die Lords kennen.

Also schreibe ich nichts und verhalte mich still.

Fluchend gehe ich weiter und komme ins Dorf, wo alle Hunde sich heiser bellen.

Ein Licht blitzt auf; da ist das Wirtshaus.

Nach dem langen Wege schmeckt Essen und Trinken.

»Grüß Gott, Frau Wirtin. Wer plärrt denn so im Gastzimmer?«

»Da Höchtl; er trinkt do auf Ihr Rechnung, hat er g'sagt. Jetzt hat er schon die sechste Maß.«


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