Ludwig Thoma
Altaich
Ludwig Thoma

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Vierzehntes Kapitel

Tobias Bünzli ließ den ersten und zweiten Tag nach dem Besuche des Herrn Schnaase seinen Pegasus immer noch ruhig im Stall stehen; er schüttete ihm nicht einmal Haber vor. Als Winterthurer wollte er sein Gewisses haben, bevor er dichtete, denn nur guter Lohn macht hurtige Hände. Er dachte aber an etwas anderes, als an Honorar und Geld. Es war eine Hoffnung in ihm erwacht; indessen, wie seine Mutter immer gesagt hatte, wer mit der Hoffnung fährt, hat die Armut zum Kutscher, und deswegen beschloß er, geraden Weges auf sein Ziel loszugehen.

Er wollte von Karoline Schnaase, die er für eine genügend dumme Person hielt, erfahren, ob ein in Zeitungen gerühmter Erotiker einer Berliner Familie als Schwiegersohn und sensationeller Zuwachs passen konnte. Am dritten Tage konnte er das, wie er meinte harmlose Weibsbild zu einem Spaziergange verleiten. Sie gingen den Vilsfluß entlang, und nach den üblichen Seufzerlein über Schönheit, Natur und Frieden war Frau Schnaase dabei, über Literatur zu plaudern.

»Ich stellte es mir wunder-wundervoll vor«, sagte sie, »wenn Sie nach Berlin kämen. Wir würden Sie in sehr gute Kreise einführen, und vor allem müßten Sie an meinen Besuchstagen zu uns kommen. Ich habe den Mittwoch.«

»Ich danke Ihnen bestens für die freundliche Einladung«, erwiderte Bünzli. »Es könnten allerdings Verhältnisse eintreten, die mir eine Übersiedlung nach Berlin als wünschenswert erscheinen ließen ...«

Wenn ein Winterthurer hochdeutsch kommt, spricht er gewählt. »O bitte! Kommen Sie wirklich! Ja?« flehte Karoline. »Ein Mann wie Sie, muß ins volle, rastlose Leben ...«

Bünzli war erfreut, daß das Gespräch die gewünschte Richtung nahm. Er verhielt sich aber zurückhaltend und kühl, wie bei einem Handel. »Ich habe mir schon öfter gesagt, daß man eigentlich in Berlin leben sollte. Ich finde dort auch einen Kreis von Gleichgesinnten ...«

»Und Verehrern, zu denen Sie uns zählen müssen. Und bei mir würden Sie die crême de la crême treffen. Auch Lulu Dessauer kommt regelmäßig ...«

Tobias verzog das Gesicht, als wenn er auf was Hartes gebissen hätte. Immer redete die Person von Dessauer und Teddy Nabob, aber vorerst durfte er als freier Schweizer der Wahrheit nicht die Ehre geben und sagen, daß Karolinens Lieblingsroman ein lausiges Gelump sei.

Sage nicht alles, was du weißt; es ist nötiger, den Mund zu bewahren, denn die Kiste und – Geld vor, Recht hernach.

»Auch Waschkuhn ist immer da, von dem ich Ihnen erzählte, und junge Leute mit literarischen Interessen. An Schriftstellern habe ich, wie gesagt, Dessauer und ...« Karoline dachte nach – »und Arnemann . . . und Schweckendieck von der Rundschau. Aber ein ganz Moderner fehlt mir noch. Sie sind doch Espressionist, nich?«

»Allerdings, ich bin neo-kosmisch ...«

»Sehen Sie! Und das wär' nu gerade das! Nein, wirklich, Herr Bünzli, Sie müssen mit dabei sein ...«

»Wie gesagt, unter Umständen läßt es sich ermöglichen. Ich bin dem Gedanken, nach Berlin zu gehen, bereits näher getreten, aber ...«

»Was ist dabei zu überlegen? Ist es nicht eigentlich selbstverständlich?«

»Es ist vielleicht ratsam und förderlich«, sagte Tobias. »Allein, um es zu ermöglichen, müßte man seine Existenz auf eine solide Basis stellen. Es haben schon manche den Versuch gemacht und sind dabei gescheitert.«

»Ihnen kann es doch nicht schwer fallen, wenn Sie doch schon 'n Namen haben.«

»Die Welt ist oft sonderbar und nimmt keineswegs immer Notiz von unserem Können ...«

»Wissen Sie was?« rief Karoline. »Schreiben Sie doch 'n gangbares Stück! Das ist immer ein gutes Geschäft.«

»Der Begriff gangbar ist sehr unbestimmt. Oft ist der lumpigste Kitsch gangbar, und das Literarische versagt vollständig beim Publikum. Da hat man keine sicheren Chancen ...«

»Ich kenne doch so viele, die mit einem einzigen Erfolge berühmt wurden und sehr, sehr viel Geld verdienten. Sie glauben ja nicht, wie dankbar man in Berlin für alles Neue ist!«

»Es mag einigen gelungen sein, aber viele sind unbekannt geblieben und in schlechte Verhältnisse geraten. Das ist keine solide Basis ...«

»Könnten sie nicht bei einer Zeitung ...«

»Nein! Das ist die absolute Sklaverei. Man verkauft seine Begabung und seine Phantasie. Oft um einen Hungerlohn ...«

Karoline streifte ihren Begleiter mit einem mißtrauischen Blicke. Wohlhabende Leute sind in einem Punkte sehr feinfühlig und hören einen Pumpversuch nahen, auch wenn er noch so leise auf Socken heranschleicht.

Sollte der junge Mensch – – – – ?

Jedenfalls lebte er nicht im Überfluß, und sie wollte auf ihrer Hut sein.

»Es ist ja nicht für immer«, sagte sie, »Und ich denke mir, in einem großen Blatte ...«

»Nein! Daran denke ich nicht im entferntesten. Selbst unter günstigen Verhältnissen ist es eine Sklaverei. Man wird gezwungen, auf die Instinkte des Publikums zu achten ...«

»Wie schade!«

»Es gäbe wohl auch anderes«, sagte nun Bünzli mit alpenländischer Offenheit. »Ein Bekannter von mir ist in die Lage gekommen, sich sorglos seinem dichterischen Berufe hinzugeben. Er hat einem wohlhabenden Mädchen die Hand zum Bunde gereicht und lebt nun als freier Mann ...«

»Die Glückliche!« rief Karoline.

Sie rief es mit wirklicher Empfindung, denn sie atmete auf bei der seltsamen Wendung, die das Gespräch nahm.

Selbst wenn das Schlimmste eintrat, konnte man doch viel leichter einer Werbung als einem Pumpversuche entrinnen.

»Die Glückliche!«

»Ich glaube auch, daß sie die beste Wahl getroffen hat«, sagte Tobias. »Sie ist in einen geistig bedeutenden Kreis eingetreten, und auch ihre Familie ist dadurch aus einer gewissen Alltäglichkeit herausgehoben worden ...«

»Das ist es doch!«

Bünzli fuhr im trockenen Tone eines Berichterstatters weiter.

»Wenn der Mann, woran wohl nicht zu zweifeln ist, infolge seiner freien Stellung bedeutende Werke schafft, so partizipieren auch die Eltern der Frau an der allgemeinen Achtung, die ihrem Schwiegersohne entgegengebracht wird. Man wird eben sagen, daß sie die ersten waren, die seine Bedeutung erkannt haben, und man wird ihnen dankbar sein, weil sie den Dichter finanziell unabhängig gestellt haben ...«

»Und dann die junge Frau! Ich denke es mir wunder-wundervoll, wie sie einem Genie die Wege ebnen darf, wie sie der Mann mit fortreißt in die Welt seiner Ideen ...«

»Allerdings. Auch das muß in Betracht gezogen werden ...«

»Denn es ist ja das Schönste!« sagte Karoline, die nach der überwundenen Beklemmung in wortreiche Begeisterung geriet. »Was kann es Herrlicheres geben, als in einer Ehe gemeinsame Ideale zu pflegen? Und wie anregend das sein muß, am Schaffen des Mannes teilnehmen zu dürfen! Ich denke es mir als das aller-allergrößte Glück, das einer Frau widerfahren kann ...«

»Es ist mir sehr sympathisch, daß Sie diese Auffassung vertreten ...«

»Man muß doch eine harmonische Ehe für das größte Erdenglück halten ... Es gibt nichts Schlimmeres, als die Ungleichheit der Seelen ...«

Tobias räusperte sich.

»Würden Sie diese Ansichten auch auf die Praxis übertragen?« fragte er.

»Ob ich was?«

»Ob Sie diese Meinung von dem Glücke eines Bundes mit einem Schriftsteller in die Praxis übertragen würden, wenn zum Beispiel der Fall einträte, daß man sie ernstlich fragen würde ...«

»Daß man mich fragen würde, ob ich eine harmonische Ehe ... ? Aber Herr Bünzli!«

Karoline warf ihm einen vorwurfsvollen, aber doch auch koketten Blick zu, allein Tobias bemerkte ihn nicht. Er war jetzt im rechten Fahrwasser und steuerte weiter.

»Nehmen wir den Fall an, daß diese Frage allen Ernstes an Sie gestellt würde ...«

»Das alles liegt hinter mir ...«

»Ich meine, insoferne an Sie heranträte, als ...«

Karoline legte die Hand milde auf den Arm ihres Begleiters.

»Herr Bünzli, wenn man mich gefragt hätte, als ...« sie stockte, – »nun ja, als es noch denkbar war, dann hätte manches anders kommen können. Das Leben hat mir gezeigt, was Harmonie bedeuten müßte ... , aber es ist leider nicht von Poesie verklärt worden ... Dort kommt ja Henny mit Herrn von Wlazeck! Wir wollen das Gespräch nicht weiterführen. Man darf so etwas nicht einmal denken. Nein ... nein ...«

Frau Schnaase trippelte rascher, als gereifte Damen sonst auf Stöckelschuhen zu gehen pflegen, auf die Ankommenden zu und schloß sich ihnen mit auffälliger Hast an.

»Herr Bünzli hat mich begleitet«, sagte sie zu Henny. »Wir haben uns sehr, sehr interessant über Literatur unterhalten. Aber nun darf ich Ihre kostbare Zeit nicht länger in Anspruch nehmen ... vielen, vielen Dank!«

Der Sohn der Alpen verstand, daß man ihn entbehren wollte. Er schaute den Enteilenden mit zornigen Gefühlen nach und sagte laut vor sich hin: »Bygott! Ist mir so was schon vorgekommen? Hat man so was schon erlebt? Diese alte Schneegans ...«

Aber es dämmerte in ihm die Ahnung auf, daß die Person nicht ganz so stupid war, wie er als geistig höher Stehender angenommen hatte, und daß sie ihn, den Überlegenen, aufs Eis geführt hatte.

Er köpfte mit seinem Stocke Grashalme und schimpfte: »Diese infame alte Schachtel! Diese chaibe, alte Schneegans!« Er hörte nicht, wie Herr Schnaase herankam, und fuhr erschrocken zusammen, als ihm der joviale Mann die Hand auf die Schulter legte.

»Endlich allein? Nu wird wohl feste drauflos gedichtet?« fragte Schnaase.

»Was wollen Sie?« fragte Tobias rauh.

»Bloß mich erkundigen, was unser Schansong macht? Morgen is letzter Termin. Das haben Sie hoffentlich nich vergessen?«

»Machen Sie Ihr Gelump selber!«

»Wie ... was?«

»Ich verbitte mir ein für allemal derartige Zumutungen. Wenden Sie sich gefälligst an andere Leute mit Ihren liederlichen Ansichten ... !«

Und damit ging Tobias Bünzli.

Schnaase erholte sich nur langsam von seiner Überraschung.

»So'n Flegel!«

Herr von Wlazeck schritt neben den Damen her, und da er zu bemerken glaubte, daß Frau Schnaase erregt war, brachte er seine Ritterlichkeit in empfehlende Erinnerung.

»Darf ich fragen, gnädige Frau, ob Ihnen von Seite dieses Menschen was Unangenehmes widerfahren ist?«

»Wieso Unangenehmes?«

»Ich dachte nur, weil Gnädige verstimmt sind, und offen gestanden, ich traue dem Kerl eine Verletzung der Kavalierspflichten zu.«

»Ich habe mich mit ihm über Theater unterhalten; ich verstehe nich, wie Sie zu der Vermutung kommen ...«

Karoline hatte eine entschiedene Abneigung gegen den diensteifrigen Mann.

»Alsdann pardon! Ich bidde, meine Frage nicht als indiskret aufzufassen. Sie war vom besten Willen diktiert, weil ich gegebenen Falles den Menschen gezichtigt haben möchte ...«

»Gott, sind Sie nch temperamentvoll!« rief Henny lachend. Aber Wlazeck wahr schmerzlich berührt.

»Noch!« rief er. »Aus dem Munde einer jungen Dame ist dieses ‹noch› ein Todesurteil!«

»Ich meinte nur ...«

»Es is ein Todesurteil. Aber gestatten mir Gnädigste, zu versichern, es is auch ein Justizmord. Das Urteil beruht auf falschen Vorraussetzungen.«

»Ja?«

»Gnädigste verallgemeinern und berücksichtigen das Individuelle nicht. Allerdings, es gibt Menschen, die mit vierzig Jahren alt sind ...«

»Ich dachte wirklich nicht so tief nach ...«

»Nicht? Aber ich bin unglücklicherweise in das allgemeine Urteil einbezogen worden ...«

»Ich finde Sie sehr gut konserviert«, unterbrach ihn Karoline.

»Ich weiß nich, is das ein Kompliment oder ... ?«

»Noch sehr agil ...«

»Ah so! Alsdann besten Dank, gnädige Frau ... obwohl man ja über Konserven nicht immer günstig urteilt. Aber Scherz beiseite, ich gebe sofort zu, daß man mit vierzig Jahren als sein kann. Es gibt sogar Leute, wie zum Beispiel dieser Inspektor Dierl, die sich vorzeitig alt fühlen. Das ist Faulheit. Aber ich wehre mich leidenschaftlich gegen diese Empfindung.«

»Da haben Sie recht. Man ist nie älter, als man sich fühlt«, sagte Karoline und hinderte Herrn von Wlazeck grausam daran, sich ausschließlich an Henny zu wenden.

»Man hat nicht bloß das Recht, man hat die Pflicht, sich die Elastizität zu erhalten. Gestatten die Damen, wie könnte man es sonst in einer kleinen Stadt, wie in Salzburg, aushalten?«

»Ich verstehe nicht, was das ...«

»Mit der Größe einer Stadt zu tun hat, wollen Gnädigste sagen. Aber sehr viel! In kleineren Orten wird einem die Energie bedeitend erschwert, weil man immer wieder diesen früh alternden Bürgern begegnet, die dickes Blut haben, weil sie Tag für Tag frühschöppeln und abendschöppeln. Man hat immer das Menetekel vor Augen. Ich bidde, wann ich jeden Tag konstatieren muß, ob ich will oder nicht, daß der Herr Swoboda schon wieder zugenommen hat, oder daß dem Herrn Plachian schon wieder mehr Haare ausgegangen sind. Ich hasse diese Feststellungen, und ich hasse diese Menschen ...«

»Könnten Sie nicht auch in Wien leben?« fragte Henny.

»Warum sagen Gnädigste ausgerechnet Wien? Warum nicht Berlin?«

»Ich glaube nicht, daß Ihnen Berlin gefallen würde . . .«

»Aber großartig! Ich schwöre ...«

»Sie sagten doch, daß Sie noch nie dort waren ...«

»War ich auch nicht. Aber Berlin besitzt für mich eine unbeschreibliche Anziehungskraft ...«

Er warf einen feurigen Blick auf Henny, der sie belustigte.

Aber Frau Schnaase, die ihn auch bemerkt hatte, lenkte ab. Ihre Klugheit, die sich nun schon zum andern Male bewährte, ließ sie einen Köder finden, auf den der Oberleutnant biß. Sie fragte ihn nach der österreichischen Aristokratie, für die sie sich immer sehr interessiert habe.

Man sah die Herrschaften Sonntags vor der Hedwigskirche, und es waren so schicke Erscheinungen darunter.

Wlazeck antwortete zuerst etwas zögernd, aber bald wurde er wärmer, und er kannte so viele Komtessen Steffi, Mizzi und Vicky, und so viele Grafen Maxl, Franzl und Ferdl, daß er damit noch nicht zu Ende war, als man vor der Post anlangte.

»Der Mensch ist gräßlich«, sagte Frau Schnaase, als sie sich in ihrem Zimmer erschöpft niedersetzte. »Das fehlte gerade noch, daß der auch davon anfing.«

»Auch? Also war doch was los mit dem Barfüßler? Bitte ...«

»Henny, laß doch diese Ausdrücke!«

»Bitte, bitte! Erzähle!«

»Was ist dabei zu erzählen. Der junge Mann dachte sich das wohl so ...«

»Nein! Wie süß!« jauchzte Henny, die sich aufs Kanapee warf und mit den Beinen strampelte. »Hat er angehalten? Glatt wie 'n Aal?«

»Nee! Das wußte ich schon zu verhindern; Redensarten hat er natürlich gemacht. Ich muß dir aber sagen, ich finde solche Taktlosigkeiten gar nich amüsant.«

»Ich schon. Denk mal: zwei Anträge! Und der dritte kommt noch. Wetten, daß? ...«

»So 'n Ekel!« sagte Schnaase und sah dem entschwindenden Bünzli nach. »Wie kann sich der Lauselümmel das rausnehmen, daß er mir so grob kommt? Und ich kann ihm nich mal den Kopp waschen vonwejen ... na ja! Machen Sie Ihr Gelump selbst! So 'n Kühjunge! Un liederliche Einfälle, sagt er. Was der bloß hatte? Aufgeregt un grob un flegelhaft. Und nu sitze ich da mit meine Kenntnisse, und mit dem Schansong is es Essig. Selbstgelegte Eier? Nee! Ich werde dem Mädchen sagen, der Dichter kann nich. Der Knabe, der das Alphorn bläst, hat Frost im Koppe. Was muß se auch ausgerechnet Gedichte gegen die Altaicher Spießbürger vortragen? Wenn't nich is, denn is 't nich. Ich muß ihr das heute noch schonend beibringen. Liederliche Einfälle, sagt der Lümmel ...«

Es ging schon auf den Abend zu, als Herr Schnaase durch die Kirchgasse heimging und einen Blick nach dem Fenster Mizzi Speras warf. Sie war oben, und nun deutete er unauffällig mit dem Stocke gegen die Kastanien hin. Mizzi nahm einen Blumentopf in die Hand, zum Zeichen, daß sie verstanden hatte. Die Zeit war immer die gleiche. Nach Dunkelwerden. Ort – der Dammweg.

Aber nun war es nicht so leicht, nach dem Abendessen wegzukommen, denn Frau Karoline wollte mit ihrem Manne über die seltsamen Ereignisse sprechen, die sie doch sehr erregt hatten. Und dann die Hauptsache. Tante Jule hatte geschrieben, daß Gieseckes ernstlich an eine Verlobung ihres Fritz mit Henny dächten. Nelly Giesecke hatte mit Tante Jule gesprochen, und dann war Fritz zu ihr gekommen, und die Sache war eigentlich im reinen, wenn sich Schnaases einverstanden erklärten, und wenn Henny wollte. Frau Karoline sah bloß Vorteile in der Verbindung, und was Henny anlangte, die war nicht gerade in heller Begeisterung, aber warum nicht?

Also stand nur mehr die Entscheidung Papa Schnaases aus, und die mußte gleich erfolgen, denn wenn er einwilligte, sollte sofort ein Telegramm an Tante Jule abgehen.

Karoline sagte zu ihrem Manne, daß sie ihm etwas sehr Wichtiges mitzuteilen habe. Gleich nach Tisch.

»Lieber morgen«, meinte Schnaase. »Das muß alles seine gehörige Konfusion haben. Und nach dem Essen, du weißt doch, muß ich nu mal 'n bißchen spazieren gehen. Auch mit Natterer habe ich zu konferieren. Wegen dem Fez. Morjen aber bin ich ausgeschlafen, und dann kannste loslegen.«

»Ich sage dir doch, daß es eilt.«

»In Altaich eilt nischt.«

Karoline bestand unwillig auf der Unterredung.

»Ich verstehe überhaupt nicht, warum du dich weigerst.«

»Also gut! Heute. Aber nach dem Verdauungsbummel. Den bin ich meiner Gesundheit schuldig.«

Einen peinlichen Moment erlebte Schnaase noch, als Bünzli ins Gastzimmer kam. Wenn sich der Lümmel zu ihnen setzte, und er so tun mußte, als wenn nichts gewesen wäre ... Aber nein, er ging ohne zu grüßen vorüber und setzte sich in die hinterste Ecke.

Und merkwürdig! Karoline schien es gar nicht zu bemerken.

Glück muß der Mensch haben.

Schnaase war rascher als sonst mit dem Essen fertig, und er nahm sich nicht einmal die Zeit zum zweiten Glase Bier.

»Damit ich nur rasch wieder zurück bin, Karoline.«

Im Hausgange sprach ihn der komplizierte Kanzleirat an.

»Auch noch ein bissel ins Freie? Wenn 's Ihnen net unangenehm is, schließ ich mich an.«

Das ließ sich, weil der Blenninger natürlich wieder unterm Tore stand, nicht ablehnen.

Aber draußen auf dem Marktplatze faßte Schnaase Herrn Schützinger bei der Hand und sagte leise:

»Verehrtester, tun Se mir den einzigsten Gefallen und schließen Se sich nich an. Sie erinnern sich wohl an unsere gemeinsame Expedition von damals, und nu wissen Se alles ...«

»Ah so! Spielt die Sache weiter? Meine Gratulation!«

»Scht!«

Ein bedeutsamer Wink verwies Schützinger zur Ruhe. Er kehrte um und lächelte so geheimnisvoll, daß jeder Menschenkenner auf schlimme Vermutungen gekommen wäre.

Aber der Blenninger Michel faßte keinen Verdacht, denn die Nachdenkerei war eine Arbeit, die sich nicht auszahlte.

»Kleine Maus, schon da?« sagte Schnaase, als er Mizzi Spera auf dem Dammwege nahe der Ertlmühle traf. Sie war übel gelaunt.

»Ich bin nich gewohnt, daß man mich warten läßt«, sagte sie.

»Vorhin ging 'n Angestellter von uns mit Ihrer Zofe vorbei.«

»Und sie haben Sie gesehen?«

»Mich nich; ich konnte mich noch verstecken. Aber vielleicht Fifi.«

»Deibel noch mal! Die haben vielleicht was gemerkt?«

Mizzi zuckte hochmütig die Achseln.

»Die müssen sich doch was denken«, sagte Schnaase ängstlich.

»Was er sich denkt, is mir egal. Aber man will sich doch nicht von 'nem Angestellten überraschen lassen. Wären Sie eben früher gekommen! Haben Sie das Gedicht?«

»Das Gedicht – – Deibel noch mal, wenn ich nur wüßte, ob das Mädel was gemerkt hat –, ja so, das Gedicht. Nee, das hab ich nich.«

»Was soll ich dann hier?«

»Sind Se friedlich Mizzichen! Eben wegen dem Gedichte mußte ich Sie sprechen. Nämlich mit dem Literaturfatzke is es nischt ...«

»Er will nicht?«

»Er kann nicht. Es übersteigt seine Kräfte, un ich habe ihn stark im Verdachte, daß er überhaupt nischt fertig bringt.«

»Und deswegen muß ich den Weg herunterlaufen und hier stehen? Obwohl 'n Gewitter kommt?«

»Es wird schon nich kommen.«

Ein heftiger Windstoß, der die Erlen schüttelte, gab der kleinen Maus recht.

»Gott, wie dämlich!« rief sie und stampfte mit dem Fuße auf. Schnaase wollte beschwichtigen.

»Ich hab' mich doch gefreut, mit Ihnen so 'n bißchen zu plaudern ...«

»Quatsch!«

»Nich ungerecht sein, Mizzichen! Ich habe alles getan, was ich tun konnte. Glauben Se, es war mir angenehm, dem Schmierfinken auf die Bude zu steigen und so 'n Kerl ins Vertrauen zu ziehen? Nee! Schön is anders. Und denn, was wollen Sie? Ich habe den Schansong richtig bestellt, er hat zugesagt. Kann ich dafür, daß er 'n Schieber is?«

»Das hilft mir gar nichts. Erst quälen Sie mich, ich soll und muß auftreten und lassen mich nich in Ruhe, und dann sage ich ja, und nun?«

»Hm!« machte Schnaase, der sich erinnerte, daß der Vorschlag von Fräulein Spera ausgegangen war.

»Es ist nur gut, daß ich mir mein grünes Kostüm nich schicken ließ. Aber nu tret' ich überhaupt nich auf!«

»Mizzichen!«

»Nein! Fällt mir nich ein. Ich pfeife auf das ganze Fest.«

Schnaase machte ein sehr betrübtes Gesicht, obwohl ihm ein Stein vom Herzen fiel.

Es war ihm schon lange nicht wohl gewesen bei dem Gedanken an das Auftreten des heimatlichen Talentes.

»Aber das is ja unmöglich!« sagte er und griff nach seinem Hute, den ihm ein neuer Windstoß beinahe entführt hätte.

»Unser Fest is gefährdet, wenn Se nich auftreten.«

»Was kümmert das mich? Überhaupt will ich jetzt heimgehen.«

»Aber kleine Maus!«

Schnaase wollte seinen Arm um die Taille der Erzürnten legen, aber sie machte sich unwillig los.

»Hören Sie nich, daß es donnert? Ich will nicht ins Unwetter kommen.«

Sie ging ein paar Schritte vorwärts. Da sprang ihr Hund mit wütendem Gekläffe einem Manne entgegen, der in der Dunkelheit nicht zu erkennen war.

»Fifi! Viens donc!«

Eine rauhe Stimme rief zurück: »Heda! Was is?«

Und Mizzi Spera erschrak so heftig, daß sie die Sprache ihrer Jugend wiederfand.

»Jessas! Der Vata!«

Schnaase sprang ohne Besinnen die Böschung hinunter; brechende Zweige knackten, und Steine kollerten hintern ihm drein.

Er machte ein paar Sprünge bachabwärts und geriet mit einem Fuße bis über den Knöchel in Schlamm. Dann blieb er regungslos stehen und horchte.

»Du bist's? Treibst di schon bei Nacht umanand?«

»Aber hör doch! Ich war doch ...«

»Wer bei dir war?«

»Niemand.«

»Lüag du, Herrgott ...«

»Laß mich doch reden und faß mich nich so an! Niemand von hier. Ein Herr, mit dem ich sprechen mußte wegen dem Fest, weil ich doch was vortragen sollte ...«

Hallberger schaute seiner Tochter ins Gesicht.

Der Wind hatte ihre Haare zerzaust, und die Angst eines ertappten Mädels paßte schlechte zu den verlebten Zügen.

Angeekelt ließ er sie los.

»Geh zua und lüag, soviel als d' magst! Is ja doch all's gleich!«

Er ging und achtete nicht darauf, daß sie hinter ihm drein lief und redete von einem Gedicht und einem Herrn, und daß sie sich zuerst erregt und dann weinerlich gegen einen solchen Verdacht und gegen jeden Verdacht verwahrte.

Der Hallberger ging seinen Weg weiter.

Mizzi Speras Klagen verwehte der Wind und übertönte der Donner, und ein prasselnder Regen zerstörte ihre mit Pudermehl hergestellte Schönheit so gründlich, daß sie häßlich und verwaschen vor der entsetzten Mutter stand.

»Um Gottes will'n, wie schaust denn du aus?«

Aber die Tochter gab ihr keine Antwort. Sie eilte die Stiege hinauf und schlug wütend die Türe hinter sich zu.

»Was is denn mit 'm Madl?« fragte die Hallbergerin ihren Mann, der schweigend seinen nassen Rock über eine Stuhllehne hing.

»Laß di selber von ihr o'lüag'n!« sagte er. »Von dir hat sie 's ja g'lernt.«

Er ging aus dem Schlafzimmer und legte sich in der Wohnstube aufs Kanapee. Auf alles Klagen und Fragen erhielt die Alte wochenlang keine Antwort mehr.

Und wenn sie zu wortreichen Gesprächen ansetzte, ging er und sagte nur grimmig:

»Red zua! Is ja do alles g'log'n ...«

Schnaase stand am Bachrande und horchte ängstlich.

Der Sturmwind rauschte so stark in den Baumkronen, daß er nicht merken konnte, wie sich die Stimmen entfernten, und er blieb lange in seinem Versteck, und wenn sich die Zweige heftiger bewegten, fuhr er erschrocken zusammen und glaubte, der zornige Vater breche durchs Gebüsch, um ihn zu suchen. Seinen Hut hatte er beim Sprunge verloren, und der Platzregen peitschte sein kahles Haupt.

In den rechten Schuh war schlammiges Wasser eingedrungen; bald klebten ihm Rock und Hose patschnaß am Körper, und dabei wagte er es noch immer nicht, sich zu rühren. Endlich kletterte er vorsichtig die Böschung hinauf, glitt aus, hielt sich am Gesträuch fest und zwängte sich durch. Wieder horchte er und überzeugte sich, daß der Dammweg frei war. Zurückgehen hieß dem Feinde in die Hände laufen; er mußte an der Mühle vorbei, um den Ort herum einen großen Umweg machen.

Bei dem Wetter!

Seufzend tappte er vorwärts. Es war so finster, daß man die Hand nicht vor den Augen sah, und der Regen fiel ihn wütend von hinten an und weichte ihm den Hemdkragen durch.

Hoppla! Ein Ast fuhr ihm unsanft über die Glatze.

Und immer so weiter in die dustre Nacht hinein, und nich Weg und Steg wissen?

Nee! Da war's am Ende doch klüger, umzukehren und sich am Hause des Schlossermeisters vorbeizudrücken.

Er blieb aufatmend stehen. Das Regenwasser lief ihm unterm Kragen den Rücken hinunter, und dabei schwitzte er vor Aufregung.

Ein Blitzstrahl beleuchtete taghell den Weg.

Da war ja ne Brücke! Und von drüben her blinkte Licht hinter ein paar Fenstern.

Das war doch die Mühle, wo er damals war; wo er die Eltern von dem jungen Menschen besucht hatte.

Gott sei's getrommelt und gepfiffen! Dort konnte er unterstehen. Die Leute waren doch nett gewesen, und man hatte sich gut verstanden.

Schnaase tastete sich am Geländer über den Steg, ging auf das Licht zu, stolperte über Baumscheiben und stand endlich vor der Haustür, die verschlossen war.

Er klopfte.

Frau Margaret kam gerade aus der Küche und hörte es.

»Wer is da?«

»Ich bin's.«

»Wer?«

»Rentier Schnaase aus Berlin. Bitte, lassen sich mich nur 'n Momang unterstehen!«

Margaret öffnete und sah mit herzlichem Mitleid den barhäuptigen, ganz aus dem Leim gegangenen Mann vor sich stehen.

Das Wasser lief an ihm herunter und rann über den Fußboden.

»Mahlzeit, verehrte Frau Oßwald! Sie wer'n sich denken . . .«

»Is Ihnen was passiert?«

»Nee, das heißt: ja. Ich bin so 'n bißchen aus der Fassong geraten, wie Sie sehen. Ich wollte meinen gewohnten Abendbummel machen, und denn kam das heillose Wetter ... hören Se nur, wie's plantscht!«

»Aber so können S' doch net bleib'n in die nass'n Kleider! Martin!«

Die Türe der Wohnstube ging auf, und Konrad kam heraus. Die Mutter ließ ihm keine Zeit zum Fragen.

»Führ' an Herrn Schnaase zu dir nauf und gib ihm was zum Anzieh'n. So dürfen S' net bleib'n, da müßten S' ja krank wer'n!«

»Sie sind zu liebenswürdig, aber das kann ich doch nich annehmen ...«

»Na ... na ... gehen S' no gleich nauf und ziehen S' was Trockens an!«

Im Zimmer oben erzählte Schnaase dem teilnehmenden jungen Manne, wie er nach seiner Gewohnheit abends noch 'n bißchen ins Freie ging, und wie er das drohende Gewitter nich weiter beachtete, und plötzlich, wie er schon weit außen in den Feldern war, ging's los, aber nicht zu knapp! Und denn Nacht und Dunkelheit, da kam er vom Wege ab. »'n wahres Glück, das es nicht hagelte. Denken Se sich, ohne Hut! Den hatte der Wind genommen, bei dem Feldkreuz in der Nähe, und denn ging's druff, Donnerkiel! Na, weil ich nur unter Dach un Fach bin. Hören Se mal, Ihre Mutter is aber wirlich ne famose Frau! So was Liebenswürdiges! Und daß sie mir nun trockene Kleider geben, das is alles mögliche ... so ... na, die Hose is 'n bißchen knapp. Mit den Jahren kommt das Ambopoäng ... Wie ich so alt war wie Sie, war ich schlank wie ne Tanne ... ah! Und frische Socken! Das is 'n großartiges Gefühl ... das kennt nu allerdings der große Erotiker nich ... Verkehren Se übrigens viel mit dem Schenie?«

»Mit wem?«

»Na, mit dem Menschen mit den Kulleroogen, der sich hier fälschlicherweise als Dichter ausgibt. Is nämlich gar keener, kann ich Ihnen nur sagen. Meine Frau hat ihn protegiert, weil se alles, was nach Literatur riecht, protegieren muß ... aber ich wer' den Schieber rausschmeißen ... Sind Se froh, wen Se ihn nich kennen ... So ... Nu den Rock. Zuknöppen kann ich 'n nich ... meine Frau wird kieken, wenn ich in den Kledaschen ankomme ...«

»Sie müss'n noch wart'n, Herr Schnaase, bis der Regen aufhört.«

»Ja? Karline wird sich allerdings ängstigen ... aber es gießt immer noch wie mit Kannen.«

Sie gingen in die Wohnstube, wo Herr Schnaase seine Erlebnisse auf freien Felde mittem im entfesselten Sturme schilderte, mit stärkeren Worten, als sie Michel, der rauchend in einer Ecke saß und zuhörte, all sein Lebtag für die grimmigsten Taifuns gefunden hatte.

Der Regen ließ nach, und Konrad erbot sich, den Gast auf dem kürzesten Wege über die Sattlerstiege heimzuführen.

Schnaase nahm die Freundlichkeit gerne an und verabschiedete sich wortreich von den braven Leuten.

»Da wären wir nu glücklich«, sagte er aufatmend zu Konrad, als sie auf dem Marktplatz kamen und die gastfreundliche Laterne der Post sahen.

»Sie haben mir einen großen Dienst erwiesen, nee wirklich! Und so was vergesse ich nich, und wenn Se mal nach Berlin kommen und irgendwie, es kann ja mal vorkommen, in ne Situation geraten, dann wenden Se sich vertrauensvoll an mich! Das verlange ich ganz einfach von Ihnen!«

Er schüttelte dem jungen Manne väterlich die Hand und schritt, aus so dringenden Gefahren gerettet, sehr erleichtert, sehr gehoben, dem Eingange der Post zu.

Freilich, oben im Schlafzimmer brannte Licht, und das bewies, daß man ihn erwartete; vermutlich mit einer Mischung von Angst und Empörung, und er sah ein strenges Examen voraus. Aber das konnte Gustav Schnaase nicht erschrecken. Was Examina anlangte und forschende Fragen, da konnte ihm nichts Schlimmes passieren. Da war er gefeit, denn im Schildern, Ausmalen und Erfinden tat es ihm keiner zuvor.

Von Stine erfuhr er schon an der Türe, daß seine Frau Herzkrämpfe habe.

Das Mädchen sah ihn seltsam an. War's wegen des Anzugs – – oder?

Na, wenn Stine schon was wußte, würde sie nicht petzen. Dagegen gab's Mittel.

»So ... so ... Herzkrämpfe?«

Das war das stärkste Hausmittel, um ihn zu zerschmettern, aber es war nicht mehr neu.

Er schlich sich auf den Zehenspitzen ans Bett.

Karoline sah starr zur Decke empor und stöhnte; eine Hand hatte sie an die Herzgrube gepreßt, mit der andern krallte sie über die Decke, um ihre Schmerzen anzudeuten.

»Karlineken!« flüsterte Schnaase.

Die Kranke verriet durch keine Bewegung, daß sie sein Kommen bemerkt hatte.

»Warum haste keinen heißen Umschlag? Das ist doch immer das Beste! Henny könnte es wirklich wissen. Stine!«

»Laß das!« sagte Frau Schnaase knapp und bestimmt.

»Na, wenn du nich willst, aber du weißt doch, der Arzt hat dir heiße Umschläge empfohlen. Ist dir schon etwas besser?«

Keine Antwort.

Er setzte sich auf einen Stuhl ans Bettende und drehte die Daumen übereinander. Mal vorwärts, mal rückwärts.

»Tja ... ja ...« sagte er.

Ein starkes Verlangen nach einem Glase Bier und einer Zigarre überfiel ihn.

»Hör mal, Karline, es is doch besser, ich schicke dir Stine mit 'n heißen Umschlag ...«

Keine Antwort.

»Außerdem«, sagte Schnaase, »muß ich was zu mir nehmen. Ich bin total erschöpft ...«

Die Kranke wandte sich fast ungestüm gegen ihn.

»Das sähe dir ja ähnlich, diese Rücksichtslosigkeit. Nicht genug, daß du mich in die tödlichste Angst versetzt hast, willt du nur

wieder gehen und kneipen ...«

»Na! Denn nich ... .«

Er fiel auf seinen Stuhl zurück und mußte ein paarmal heftig niesen.

»Da haben wir die Bescherung. Ich krieg'n Schnuppen.«

Karoline fühlte kein Mitleid. Sie sagte ohne krankhafte Schwäche im Tone:

»Ich reise morgen ab.«

»Wie meinste?«

»Ich reise morgen ab.«

»Schön. Ich habe nischt dagegen. Reisen wir eben. Hoffentlich hast du dich bis morgen so weit erholt ...«

»Auf meine Gesundheit hast du wohl noch nie Rücksicht genommen. Aber ... wie siehst du denn aus?«

Sie musterte mit entsetzten Blicken den fremden Anzug, der die Fülle ihres Mannes zusammengepreßt hielt.

»Wie man eben aussieht, wenn man auf freiem Felde vom Gewitter überrascht wird, und wenn die Blitze rechts und links einschlagen, daß man betäubt is und sich gerade noch in ein fremdes Haus flüchtet und von mitleidigen Menschen 'n trockenen Anzug bekömmt. Es waren übrigens die Eltern von dem jungen Maler, und ich muß sagen, sie haben sich tadellos benommen und waren von einer Nettigkeit ... Tja ... Karline ... ich hätte den Tod davon haben können, aber du bist ja nich in der Laune oder nich in der Lage, mich anzuhören, und wenn ich dir sage, daß ich erschöpft bin und was zu mir nehmen muß, denn findest du mich rücksichtslos ...«

»Du kannst dir von Stine etwas heraufbringen lassen, denn wieder warten, bis es dir gefällig ist, endlich zu kommen, das fällt mir nich ein. Vielleicht erinnerst du dich, daß ich dir schon beim Abendessen sagte, ich habe mit dir über eine sehr wichtige Angelegenheit zu sprechen?«

»Also, dann rasch 'n Glas Bier und kalte Platte, und ich hätte zu gerne ... aber Rauchen kannste wohl nich vertragen?«

»Wie du nur fragen magst! Im Schlafzimmer und wenn ich Herzkrämpfe habe!«

»Immer noch?«

»Du weißt, daß es nich so schnell vorübergeht . . . ich sollte überhaupt nicht sprechen ... aber die Angelegenheit ist so dringend ...«

Nachdem Stine Bier und geräucherte Zunge gebracht hatte, erzählte Karoline, daß Tante Jule geschrieben habe, daß Fritz Giesecke um Henny anhalten wolle, und daß Gieseckes einverstanden seien, und daß man sich also entscheiden müsse ...

Sie trug das meiste lebhaft und wie eine gesunde Frau vor; nur manchmal dämpfte sie die Stimme und griff sich mit einer schmerzlichen Gebärde ans Herz, um Schnaase nicht ganz von seinem Bewußtsein der Schuld abzubringen.

Das war ratsam, denn er aß mit sichtlichem Wohlbehagen.

»Ich bin ganz mit einverstanden«, sagte sie. »Henny auch, und ich denke, du wirst nichts dagegen haben, denn die Partie ist gut, und was noch mehr ist, sie ist passend. Die jungen Leute harmonieren in ihren Neigungen, was ja doch die einzige Gewähr für eine glückliche Ehe bietet ...«

Karoline seufzte bei diesen Worten.

»Er hat jedenfalls Pinke«, sagte Schnaase mit vollem Munde.

»Un Pinke gibt die richtige Harmonie.«

»Also, wenn du keine Bedenken hast ...«

»Nee, hab' ich nich. Im Gegenteil. Fritz is 'n tüchtiger Bengel, un Gieseckes Häuser in der Jakobstraße unterstützen den Antrag. Ich finde auch, es is höchste Zeit, daß mal Ernst wird, denn die zärtlichen Blicke von dem James Dessauer und den anderen Ballschmeißern sin mir schon lange über ...«

»Es kann noch Schlimmeres an einen herantreten«, sagte Karoline. »Also, dann schicke ich morgen früh 'n Telegramm an Tante Jule, und morgen Mittag reisen wir ab ...«

»Morgen?«

»Ja. Ich finde, die Sache muß sofort ins reine kommen, und dann – ich habe auch sonst meine Gründe. Abgesehen von deiner Rücksichtslosigkeit ...«

»Na, Karlineken, als angehende Schwiegereltern könnten wir ja in dem Punkt mal Frieden schließen. Du hast keine Ahnung, was ich bei dem schauderhaften Wetter zu leiden hatte, sonst wärste froh, daß ich überhaupt noch heimgekommen bin. Und was die Abreise betrifft – meinswejen. Sie kommt zwar etwas plötzlich, und ich hätte eigentlich Verpflichtungen wegen dem Feez, den wir doch vorhatten ...«

»Das kommt wohl nich in Betracht ...«

»Lassen wir's schießen und fahren morgen. Wir sind hierhergekommen, weil du es wolltest, und wir gehen, weil du es willst. Und ich muß sagen, der Abschied fällt mir nich schwer ...«

Er hatte seine besonderen Gründe, aber er erwähnte nichts davon.

»Du sprichst so, als wäre das eine Laune von mir«, sagte Karoline. »Und doch bist du schuld, daß sich die Leute das herausnehmen ...«

»Wer – was – herausnehmen?«

»Wenn du immer den Ernst wahren würdest, käme keiner auf die Idee, daß er sich auf Henny Hoffnungen machen darf ...«

»Wer macht se?«

»Das ist es ja, daß du's nicht mal siehst! Herr Bünzli hat mir heute ganz unverblümt zu verstehen gegeben ...«

»Daß er Henny zu Frau Bünzli machen möchte? Is die Möglichkeit? Und du? Was hast du gesagt?«

»Nichts. So was überhört man ...«

»Ich hätt's nich überhört. Herrjott, daß mir das entgehen konnte! Junger Mann, hätt' ich gesagt, Sie sin an die falsche Adresse gekommen. Für Sie gibt's nischt wie die Tochter von 'nem Strumpfwirker oder von 'nem Trikotagengeschäftsinhaber. Was Ihnen fehlt, hätt' ich gesagt, sind Socken ... Und wann Karoline, hat er den Überfall gemacht?«

»Heute nachmittag ... er begleitete mich doch ...«

Schnaase pfiff leise durch die Zähne. 'n Seifensieder ging ihm auf.

Als deswegen hatte der Lümmel seine Einfälle liederlich gefunden, weil es ihm mit den soliden Einfällen nich geglückt war?

»So 'n Flegel!« sagte er laut.

»Reg dich nich weiter auf!« sagte Karoline.

»Übrigens hat auch dein Oberleutnant Andeutungen gemacht . . .«

»Mein is er nich. Und bei dem is es nich Ernst; da is es nur die angeborene österreichische Liebenswürdigkeit.«

»Na ... ich weiß nich. Wenn wir noch länger hier wären. Und dann glaubt Henny, daß auch der dritte noch kommen würde, der junge Maler ...«

»Das glaub' ich nicht. Ich muß sagen, er is 'n netter Mensch und er hat sich heute famos benommen ...«

Karoline zuckte die Achseln.

»Kann man's wissen?«

»Merkwürdig!« sagte Schnaase, als er schon im Bette lag.

»Wie Henny auf die Süddeutschen wirkt. Ausgerechnet in dem Nest müssen wir die Flucht ergreifen vor Heiratsanträgen. In Zoppot, wo doch Betrieb war, hab' ich nie was gemerkt. Oder du?«

»Geflirtet hat man doch auch ...«

»Eben. Das is es ja! Dort flirten se, und hier gehen se aufs Ganze. Is das nu ernstere Lebensauffassung oder Mangel an Kleingeld? Aber du willst wohl schlafen? Gute Nacht, Karline.«


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