Ludwig Thoma
Altaich
Ludwig Thoma

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Zehntes Kapitel

Als Gustav Schnaase in die Gasse einbog, um ganz von ungefähr beim Schlosser Hallberger vorbeizukommen, sah er den Kanzleirat Schützinger vor der Kirche stehen.

»Sie hier?« fragte er ihn mit schlauem Augenzwinkern, das der würdige Beamte nicht zu verstehen schien, denn er sagte:

»Wissen Sie, dieses Portal ist nämlich sehr interessant. Ich möcht' bloß wissen, ob unser Münchner Asam in gewisser Beziehung dazu steht ...«

»Das ist mir schnurz un piepe, Herr Kanzleirat. Für olle Klamotten habe ich für meine Person nischt übrig. Und vielleicht interessieren Sie sich auch 'n bißchen für so was? ...« Er plinkerte nach dem gegenüberliegenden Hause, wo Mizzi Spera am offenen Fenster in einem Buch las.

»Wieso?« fragte Schützinger.

Aber seine Zurückhaltung hielt nicht stand vor dem humorvollen Augenspiele Schnaases, und er verzog den Mund zu einem vielsagenden Lächeln.

»Die Dame soll beim Theater sein. In Berlin ...« sagte er.

»Aha! Auch schon Erkundigungen eingezogen! Spiegelberg, ich kenne dir! Und mir wollense was erzählen von ollen Portalen!«

»Ich hab' durch einen bloßen Zufall ...«

»Jawollja ...«

»Glauben Herr Schnaase, daß eine Annäherung überhaupts im Bereich der Möglichkeit liegt?«

»Bereich der Möglichkeit? Hören Sie mal, verehrter Herr Kanzleirat, Sie sind das, was ich ne komplizierte Natur nenne, und Sie haben starke Hemmungen, wie man zu sagen pflegt. Glauben Sie zum Beispiel, daß die junge Dame wirklich liest, oder sind Sie nicht auch davon überzogen, daß sie uns aufs genaueste beobachtet?«

»Herr Schnaase scheinen ein gewiegter Kenner zu sein?«

»Man hat manches erlebt und gesehen und is mit Spreewasser getauft ...«

»Es wär' vielleicht sehr int'ressant, wenn man mit dem Fräulein in ein Gespräch kommen könnt'.«

»Na, sprechen Sie sie doch an ... Sehense nur, sie lächelt ...«

»Ich hab' das schon in Erwägung gezogen, aber – erstens, man weiß halt doch nicht g'wiß, ob die Dame selbst ... net wahr ... eine derartige Freiheit hinnimmt, und zweitens, ob nicht die Eltern ... net wahr ... einen solchen Schritt übel auffassen ...«

»Was ich Ihnen sage, Herr Kanzleirat, Sie leiden an Hemmungen. Denn erstens, nich wahr, is es klar, daß sich das Mädchen langweilt, und Langeweile is jut für unsere Pläne ... un zweitens is es ausgemacht, daß sie keine zarten Rücksichten auf ihre Familie nimmt, sonst wäre sie vermutlich nicht zum Bummstheater gegangen. Überhaupt: Familie spielt keine Rolle bei so was.«

»Man sollte es allerdings glauben ...«

»Und Ihre letzten Zweifel werden bald behoben werden. Ich will mal das Terräng erkundigen ...«

»Herr Schnaase wollen wirklich ... ?«

»Ja, ich studiere hier nich Portale. Ich gehe jetzt in den Laden und werde schon sehen. Kommen Sie mit?«

»Ich weiß net, ob ...«

»Herr Kanzleirat! Unter meiner Führung können Sie noch ganz andere Expeditionen unternehmen ... sehense, sie lächelt ... Ich kann doch im Laden 'n Vorhängeschloß kaufen oder so was. Immer rin ins Vergnügen!«

Schnaase ging flott voran; Schützinger folgte zögernd. Die Ladenglocke läutete schrill, und eine dicke Frau kam, die freundlich lächelte und die fremden Herren begrüßte.

»Sagen Sie mal, kann ich mir 'ne Eisenspitze an meinen Spazierstock machen lassen? Hier geht das immer so bergauf und ab, und da is mir die Beinzwinge doch zu schwach ...«

»Eine Eisenspitz' woll'n der Herr?«

»Ne tüchtige Spitze, daß man in diesem sogenannten Voralpenlande sich ornd'lich drauf stützen kann ...«

»Ich glaub' schon, daß ma dös mach'n kann.«

»Glauben Sie? Bong! Und wie lange dauert das wohl?«

»Leider is mein Mann g'rad heut' net daheim, aber i kann ja an G'sell'n frag'n ...«

»Ihr Mann is nicht zu Hause?«

»Leider net. Er hat a G'schäft in Piebing beim Klaiberbräu ...«

»So? Na, dann komme ich 'n andersmal vorbei ...«

»Aber da G'sell wisset dös sho auch ...«

»Nee, so pressant is die Sache nich. Ich spreche nächstens wieder vor ... ja ... was ich noch fragen wollte! Wohnt nich bei Ihnen eine Dame aus Berlin?«

»Eine Dame aus ...«

»Ich bin nämlich selbst Berliner, und ich hörte zu meinem freudigen Erstaunen, daß hier 'ne bekannte Künstlerin ...«

»Dös is ja mei Marie! Der Herr meinen mei Tochta!« rief die Hallbergerin freudestrahlend ... »Am End' kennen der Herr mei Tochta?«

»Persönlich habe ich leider nicht den Vorzug ... aber darf ich fragen, wie is denn nun gleich der Name?«

»Marie Hallberger.«

»Hallberjer ... Hallberjer ... ich muß doch den Namen gehört haben ...«

»Als Künstlerin hoaßt si mein Marie net a so ... da hoaßt sa si Mizzi Schpera ...«

»Na also! Na natürlich! Unsere Mizzi Spera!«

Schnaase rief es so laut, als feiere er ein freudiges Erkennen.

»Wenn da Herr an Aug'nblick wart'n woll'n, nacha ruf' ich ihr . . .«

»Sehr verbunden.«

Die Hallbergerin eilte aus dem Laden, und Schnaase lächelte dem Kanzleirate zu.

»Na – was sagense nu?«

»Sie haben scheinbar eine große Übung in solchen Affären.«

»'n Schlummerkopp war ich nie, da könnense ruhig Gift druff nehmen. Übrigens unter uns. Die Bummsdiwa hat doch auf den Momang gewartet! Oder glaubense wirklich, sie hat Schillern gelesen?«

Mizzi Spera trat ein. Das heißt, sie trat auf.

Ihr Gesicht hatte einen hoheitsvollen, abweisenden Ausdruck; die Brauen waren zusammengezogen, eine Falte stand senkrecht über der Nasenwurzel. Man sah, daß eine Künstlerin nicht so mir nichts dir nichts zu sprechen war.

Der strenge Zug milderte sich, als Mizzi in Herrn Schnaase den echten Vertreter einer Lebensfreude erkannte, die nach Mitternacht im Friedrichstraßenviertel unter schiefsitzenden Zylinderhüten aufblüht. Er verschärfte sich wieder, als sie den Kanzleirat ansah.

Ungebügelte Hose, Banausenschuhe; Buchhalter – Beamter.

»Sie wünschen?« fragte sie eisig.

»Ich konnte es mir nicht versagen, unserer berühmten Mizzi Spera meine Aufwartung zu machen, und meine Huldigung darzubringen. Ich bin nämlich aus Preußisch-Berlin, und begrüße den glücklichen Zufall, der mir hier in dieser verlassenen Ecke eine Gelegenheit bietet, nach der ich in Berlin vergeblich geschmachtet habe ... übrigens gestatten Sie ... Rentier Schnaase ... nee wirklich, ich mußte ausgerechnet nach Altaich kommen, um endlich die Freude zu erleben ...«

Schnaase hätte seinen Satz noch so lang gezogen wie flüssigen Zuckersaft, aber sein Gefährte trat vor und verbeugte sich, wie er es vierzig Jahre vorher in der Tanzstunde gelernt hatte. »Erlaube mich vorstellen, Kanzleirat Schützinger, im Ministerium des Innern aus München ...«

»Nehmen Sie, bitte Platz!« sagte Mizzi Spera mit einem müden Augenaufschlage. »Ach ja ... es sind wohl keine Stühle hier?«

Die Hallbergerin, die entzückt daneben stand und sich innerlich fragte: »Jessas! Wo 's no g'rad dös Madl her hat?« sagte dienstbeflissen: »I hol' glei a paar Sessel eina.«

»Nicht in den Laden!« entschied Mizzi. »Man muß den Banausen nicht Anlaß zu törichten Reden geben. Wir wollen ins Gartenhaus gehen ...«

»Wie Gnädigste befehlen ...«

»I woaß net«, fiel die Hallbergerin ein, »da sechat ma von da Werkstatt aus nei, und da hätt' bloß der Lehrbua allaweil d' Nas'n am Fenster. Mir gengan ins Wohnzimmer nauf, wenn de Herr'n Zeit hamm ...«

»Gut! Begeben wir uns in den ersten Stock!« sagte Mizzi mit einem einladenden Verneigen des Hauptes.

Man begab sich ins Wohnzimmer, und der noch unverdorbene Schützinger hatte in dem bürgerlichen, sauberen Zimmer doch das Gefühl, daß sein Abenteuer nicht recht in die Umgebung passe.

Das große Lederkanapee, auf dem er neben Schnaase Platz nahm, seufzte unter den leichtsinnigen Besuchern, denn es gehörte zum Ausrasten nach ehrlicher Arbeit. Über der Kommode hingen Bilder von alten Hallbergern, die aus hohen Krägen ihre geröteten, ehrbaren Gesichter hoben und gewiß kein Verständnis hatten für fremde Männer und ihre Liederlichkeiten.

Dazwischen hing ein Spiegel, der dem Kanzleirate das Bild eines erhitzten alten Herrn zurückwarf, der für Dummheiten nicht mehr jung genug war. Er rutschte unbehaglich vor und wischte sich mit dem Taschentuch über die Stirne.

Aber was war dieser Schnaase für ein gewandter Großstädter! Die Rede floß ihm von den Lippen, und er wußte nichts von Bedenken, die langjährige Bürovorstände am richtigen Sichausleben verhindern.

»Nu sagen Sie mal bloß, Gnädigste, was machen Sie hier? Haben Sie sich hierher zurückgezogen, um in Einsamkeit und Stille die Sachen zu studieren, mit denen Sie uns Berlinern die Köppe verdrehen? Ich hätte Sie doch nur in 'nem Seebad gesucht. In Norderney oder auf Westerland ...«

»Seebäder liebe ich nicht«, erwiderte Mizzi. »Der Ton ist mir, aufrichtig gestanden, zu frivol, und gerade als Künsterlin ist man peinlichen Aufmerksamkeiten zu sehr ausgesetzt.«

»Ach ja ... Sie denken an Badekostüm, aber sehen Sie mal . . .«

»Ich finde es genant, in dem Kostum beobachtet zu werden. Diese Herren mit Feldstechern fnde ich unausstehlich.«

»Aber Gnädigste, das is doch nich so schlimm!« sagte Schnaase flehend. »Warum soll man nicht ein ganz kleines bißchen die Nixen bewundern dürfen, die ...«

»Chacun à son goût! Ich kann es nun mal nicht ertragen.«

Es lag soviel Hoheit in ihrem Tone, daß sich die Mutter wiederum wundern mußte.

»Jessas! Jessas! Wo 's no g'rad dös Madl her hat?«

»Ich gebe zu«, sagte Schnaase, »daß Gnädigste hier ungestörter leben, aber die Menschheit hat doch 'n Recht darauf, die mondänen Schönheiten zu sehen.«

»Vielleicht. Aber wir haben auch das Recht, uns von den Anstrengungen der Säson zu erholen. Ich wollte sogar ursprünglich nach Zoppot ...«

»Zoppot! Da schlag eener lang hin! Das is doch mein gewohnter Aufenthalt! Das wäre nu wirklich Pech gewesen, Sie an der Ostsee und ich hier am Ufer des ... na, wie heißt der Tümpel?«

»Sassauer See«, half der Kanzleirat aus.

»Am Ufer des Sassauer Sees ... nee, da hat mich nu doch der Zufall nicht so aufsitzen lassen.«

»Zufälle spielen oft seltsam«, sagte Mizzi. »Aber Mama, könnten wir den Herren nicht mit Kaffee aufwarten?«

»Nur keine Störung, meine Damen! Wir kommen Ihnen da hereingeschneit ...«

»Wegen mir wirklich nicht!« rief auch Schützinger.

Die Hallbergerin war aber schon Feuer und Flamme.

»Na ... na! Die Herr'n kunt'n ja glaab'n, mir wiss'n net, was si g'hört! I mach g'schwind an Kaffee, und an Lehrbuabn schick i zum Noichl nüber um a Tort'n ...«

»Nee, verehrte Frau Hallberjer ...«

»Mir wiss'n do, was si g'hört ...«

Mizzi warf der Alten einen so fürchterlichen Blick zu, daß sie rasch in die Küche wegeilte.

Als sie draußen war, fühlte Schnaase sich verpflichtet, ein wenig unternehmend zu werden, damit der Kanzleirat merken konnte, was ein Lebenmann sei.

Er sprang vom Kanapee auf und drückte feurige Küsse auf die ringgeschmückte Hand der Bummsdiwa.

»Mein Herr!«

»Nur bewundernde Verehrung, Gnädigste!«

»Behalten Sie, bitte, Platz!«

»Wie Sie befehlen. Aber Sie glauben ja gar nich, wie ich von diesem Zusammentreffen entzückt bin. Ich sage mir, das is nich Zufall, das hat so kommen müssen. Glauben Sie nich?«

»Das Schicksal führt uns oft eigene Wege«, erwiderte Mizzi. Aber Konversation war nicht das, was Schnaase wollte. Und dem Knautschenberger, der neben ihm saß, mußte er doch ein Licht aufstecken.

»Liebes Kind«, sagte er zärtlich, »nu sagen Sie mal aufrichtig, was Sie in dieses schauderhafte Nest geführt hat? Dalles – was?«

Blitzschnell streifte ihn ein Blick.

»Ich verstehe nicht, was Sie meinen ...«

»Na Kleine, tun Sie man nich so!«

»Mein Herr!«

»Sehen Sie, wenn ich das Glück gehabt hätte, Sie in Berlin kennen zu lernen, dann wären wir ganz bestimmt nich hier ...«

Mizzi verstand nicht, aber Schnaase sprang wieder lebhaft auf und bedeckte ihren Arm bis zum Ellenbogen mit Küssen.

Dem Kanzleirat wurde es peinlich zumute. Er fürchtete, daß die Dame in starke Entrüstung geraten werde, aber sie wies den stürmischen Berliner bloß auf seinen Platz zurück.

Freilich mit tiefem Ernste.

Und um ihn zur Besinnung zu bringen, erzählte sie, daß sie kurz vor ihrer Abreise von Berlin einen peinlichen Auftritt mit dem Fürsten Walewski gehabt habe.

Er war mit ihr und dem Grafen Planitz und Olly Hannsen im Kaiserhof gesessen, beim five o'clock, und man hatte sich gut unterhalten, wie man sich eben in solchen Kreisen unterhält. Mit einenmal, die Musik spielte gerade einen Turkey-Trott, mit einemmal kniff sie Walewski ins Bein.

Was glaubt so 'n Mensch? Weil er Fürst ist?

»Walewski!« sagte ich, »wenn Sie sich in meiner Gesellschaft befinden, dann betragen Sie sich auch darnach!«

Und dann war sie aufgestanden, und nur dem Zureden von Planitz war es gelungen, sie zurückzuhalten.

Aber Walewski konnte sich darauf verlassen, daß sie das letztemal mit ihm ausgegangen war.

Auf Schützinger machte die Erzählung starken Eindruck. Wenn nur sein Begleiter die rechte Nutzanwendung daraus zog und seine Begierde zügelte!

Schnaase dachte nicht daran. Er beugte sich lächelnd vor.

»Wo hat Sie nu Walewski gekniffen? Hier ... oder hier?«

»Mein Herr!«

»Aber liebes Kind!«

»Ich finde, Sie werden keck!«

»Oder hier ... kss!«

»Es ist schrecklich«, sagte Mizzi Spera ganz unvermittelt, »ich habe hier zwei Pfund zugenommen.«

»Aber so was Reizendes kann doch gar nich genug zunehmen!«

»Eigentlich einunddreiviertel Pfund«, verbesserte sich die Künstlerin. »Man hat hier keine Bewegung, keinen Sport. Wenn ich meinen gewohnten Morgenritt machen könnte ...«

»Im Tiergarten? Was? Aber nächstes Jahr müssen Sie unbedingt an die See! Und passen Sie mal Obacht! Wir treffen uns in Zoppot . . .«

»Vielleicht ...« sagte Mizzi lächelnd.

»Nee! Todsicher! Die Sache wird gemacht!«

Und wieder sprang Schnaase auf und wurde stürmischer als vorher. Seine Küsse auf Hand und Arme folgten sich schneller und wurden von Wonnelauten begleitet.

Er hatte wirlich mehr Erfolg, als der Fürst Walewski. Kein strenges Wort scheuchte ihn zurück.

Allerdings, man saß nicht im Kaiserhof in zahlreicher Gesellschaft, sondern in einer stillen Wohnstube.

In Schützingers Brust stritt sich leises Unbehagen mit dem anerkennenden Staunen über so viel Mut und Festigkeit im Umgange mit Damen. Wie er so neben Erfolg und Glück mit verlegener Miene da saß, kam es ihm zum Bewußtsein, daß er eigentlich zeitlebens daneben gesessen war, und ein bitterer Ernst verdüsterte sein Gesicht.

Aber nun kam die Hallbergerin mit Kaffee und Kuchen zurück. Schnaase mußte ruhig auf dem Kanapee sitzen, und man war wieder im Banne gesellschaftlicher Vornehmheit.

»Ihr verehrtes Fräulein Tochter erzählte uns eben interessant von ihren Studien«, log der gewandte Großstädter. »Ich muß sagen, ich bewundere nu erst recht ihr Künstlertum, nachdem mir 'n Einblick vergönnt war in die kolossale Energie ... in das rastlose Schaffen, das dazu notwenig ist ...«

»I woaß überhaupts net, wia si dös Madl alles a so mirka ko! Wia s' dös erstmal auftret is in Minga, i hab g'rad a so g'schaugt. Is scho wahr! Jetzt i hätt dös nia z'sammbracht. I hab' mi scho hart an, wenn i in da Schul a G'setzl hab auswendi lerna müass'n . . .«

Schnaase nickte beistimmend und schob ein Stück Torte in den Mund.

»Sagen Sie mal ... Sie müssen mir die Indiskretion verzeihen, Gnädigste, ... Sagen Sie mal, verehrte Frau Hallberjer, wie kam das nu eigentlich, daß 'n solches Talent in dieser Zurückgezogenheit erblühen konnte?«

Mizzi Spera wollte abwehren.

Aber da wurde Schnaase eifrig.

»Ich muß dringend um Entschuldigung bitten, Gnädigste, aber so 'n bißchen was von Ihrem Werdegang zu erfahren, is 'n Genuß, den Sie uns nich verkümmern dürfen. Nich wahr, Herr Kanzleirat?«

»Jawohl«, sagte Schützinger etwas zu trocken.

Die Hallbergerin, in so dringender Weise aufgefordert, ihr Lieblingsgespräch zu beginnen, war nicht mehr im Zaume zu halten.

Das sah Mizzi ein und deswegen ließ sie ihre Mutter gewähren.

»Wia dös ganga is, daß ihra Talent aufkemma is? O mei! Wissen S', dös Madl hat ihrer Lebtag den Drang in ihr g'habt. Und mit die Büacha is sie überhaupts ganz narrisch g'wen ... was sagst d'?«

»Du sollst dich doch nicht so ausdrücken, Mama!«

»Ja so ... i muaß halt mei Sach sag'n, wia'r i ko, schau! Und de Herrn wer'n mi scho entschuldinga. Also wia sie z'ruckkomma is vom Institut bei de Englisch'n Freilein in Piebing is s' g'wen, weil i g'sagt hab, sie soll a Buiding kriag'n, obwohl mei Mo ... no ja, es hat a jed's seine Ansicht'n ... also wia sie von de Englisch'n Freilein hoam kemma is, da hat's an ganz'n Tag g'les'n und is oft ganz tramhappet g'wen ...«

»Aber Mama!« flehte Mizzi.

»No ja ... ma sagt halt a so. Dös hoaßt, sie is g'wen, als wenn s' traamet. Was machst d' denn für a traurige Papp'n? hab' i s' oft g'fragt, und nacha hat sie g'sagt, daß der betreffende Liabhaba in dem Büachi g'storb'n is, oder ihr is was passiert, net da Marie, sondern betreffenden Liabhaba seina Braut oda Geliebten. No, und nacha is si auf Minga nei, d' Marie, verstengan S', weil ihra Drang allaweil größer wor'n is, und da hat sie Leut an da Seit'n g'habt, de wo ihra Begabung bessa kennt hamm als mir ... freili, weil ja unseroans mit de Sach'n eigentli nia was z'toa g'habt hat, und diese betreffenden Leut hamm s' nacha so weit bracht, daß s' auftret'n is ...«

»In München?« fragte Schnaase mit geheuchelter Teilnahme.

»Freili. In so an Kinstlakawaräh. I war drin, wia si 's erstmal auftret'n is ... Dös war schö! Wia s' ihra Gedicht aufg'sagt hat ... Kannst as nimma, Marie?«

»Ich werde das alte Zeug noch können!«

»Is aber schad, weil's so lusti g'wen is, und d' Leut hamm klatscht und g'schriean, und a Herr hat zu mir g'sagt, daß sie geboren is zu dera Kunst, und durch dös is sie halt dabei blieb'n ...«

»Gott sie Dank!« rief Schnaase. »Wir haben allen Grund, verehrte Frau Hallberjer, Ihnen dankbar zu sein, daß Sie unserer Mizzi Spera die Wege geebnet haben ...«

»Gel? Sag'n Sie's aa? Aba sehg'n S', hier gibt's so Leut, de si g'äußert hamm, weil d' Marie zum Theata ganga is ...«

»Laß sie doch!« sagte die Diva.

»Ma sagt bloß, weil de feina Herrschaft'n vui mehra Vaständnis hamm als wia de 'gescherrt'n Depp'n, de Altaicher Büffi. Is ja wahr! Wia kinna denn de übahaupts mitred'n? De hamm ja ihra Lebtag no koa Kawaräh g'sehg'n! Aba g'schimpft werd. Natürli, wenn 's nach dena ganga waar, hätt' d' Marie dahoam hocka müass'n, bis amal Gnad'n da Herr Schuasta oder da Herr Nagelschmied ihr an Antrag g'macht hätt' . . .«

»Die Idee berührt einen komisch ... Mizzi Spera und so 'n Altaicher Schuhmachermeister ...«

»Ja, aber dös glauben S' net, was i da für Kämpf' g'habt hab' und no hab' ... denn mei Mann, wissen S' ... no ja ... er is tüchtig in sein G'schäft, aber da is nix z' rich'n mit eahm. Und alleweil voll Zorn geht er umanand ...«

»Das interessiert uns aber doch wirklich nicht«, sagte Mizzi und warf wieder einen fürchterlichen Blick auf die gesprächige Hallbergerin.

»Ma sagt bloß, weil 'n d' Leut aufhetz'n. Und gar so oafach is net, dös muaß i dir scho sag'n. Es is ja oft a so, als wenn er mit der ganz'n Welt 's raffa o'fanga möcht und dreischlag'n ...«

»Schenk' den Herren lieber Kaffee nach, als daß du soche Familiengeschichten erzählst«, unterbrach sie die Tochter, die ernstlich böse wurde.

»Ja so ... dös hätt' i bald vergess'n ...«

»Nee, danke wirklich ... verehrteste Frau Hallberjer ...«

Auch Schützinger wehrte ab.

Die Erwähnung des grimmigen Schlossermeisters hatte ihm Unbehagen verursacht.

Er warf einen Blick auf die alten Hallberger, die jetzt noch drohender auf ihn herunterschauten. Ihre Gesichter erschienen ihm röter, und jeder sah so aus, als ob er sich nichts daraus machte, einen frivolen Eindringling, und wenn er zehnmal Kanzleirat im Ministerium des Innern wäre, recht windelweich zu schlagen und rücksichtlos über die Stiege hinunterzuwerfen.

Wenn der Nachkomme die Anlage von den wütenden alten Herren geerbt hatte, dann war von seiner Rückkehr das Schlimmste zu befürchten.

Das Frauenzimmer da versicherte freilich, daß er abends mit dem letzten Zuge heimkommen werde; aber waren nicht Zufälle möglich? Konnte er mit seinem Geschäfte nicht früher fertig geworden sein und jetzt schon die Kirchgasse heraufeilen?

Eine peinigende Unruhe befiel den würdigen Mann, und er sah sich der Möglichkeit eines Skandals ausgesetzt. Hastig stand er auf.

»Ich muß jetzt gehen«, sagte er. »Entschuldigen die Damen vielmals, aber ...«

»Meine Zeit is leider auch um. Wenn ich 'ne Ahnung gehabt hätte, daß mich hier das Glück mit unserer verehrten Mizzi Spera zusammenführen werde, hätte ich mir selbstverständlich den Nachmittag frei gehalten. Heißen Dank, verehrte Frau Hallberjer, es war sehr, sehr schön, und gestatten, Gnädigste, daß ich der Hoffnung Ausdruck verleihe, daß ich Sie recht bald wiedersehen darf ...«

Die Künstlerin erlaubte hoheitsvoll, daß ihr Herr Schnaase mehrmals die Hand küßte.

Sie war innerlich wütend über Mama, die mit ihren dämlichen Redensarten die Stimmung getrübt hatte, und sie hatte wirklich Mühe, ihre Haltung zu bewahren. Sie wies die Hallbergerin, die auch die Gäste hinausbegleiten wollte, mit dolchartigen Blicken zurück und ging allein bis zur Treppe.

Schützinger eilte die Stufen hinunter; er sehnte sich von unziemlichen Abenteuern und Gefahren weg nach frischer Luft und sah sich nicht mehr nach Schnaase um, der noch etwas länger bei Mizzi Spera verweilte und flüsternd mit ihr Verabredungen traf.

Er atmete auf, als er wieder vor der Kirche stand und sich vergewissert hatte, daß kein wutentbrannter Schlossermeister die Gasse heraufstürmte. Er wäre noch froher gewesen, wenn er Xaver gesehen hätte, der in der Werkstatt eine biegsame Vorhandstange durch die Luft pfeifen ließ und vor sich hinbrummte: »Eigentli sollt ma die alt'n Schöps'n g'höri umanand lass'n ... ziahget dös G'schoß gar de alt'n Böck eina, weil da Moasta net dahoam is! I vertreibet eahna schon 's Speanzeln ...«

Schnaase eilte hinter Schützinger her und rief: »Hallo, Herr Kanzleirat! Immer sachte!«

Als er ihn eingeholt hatte, zwinkerte er vielsagend mit den Augen.

»Was ist denn los, daß Sie mit einem Mal wegliefen, als wenn Sie das Donnerwetter regierte? Ich mußte doch noch 'n Rangdewuh deichseln ...«

»Ich sag' Ihnen aufrichtig, mir hat die G'schicht' nicht mehr paßt. Man könnte da in Situationen geraten ...«

»Erlauben Sie mal, was heißen Se Situationen? Sie haben mit mir und in meiner Gesellschaft und auf meine Veranlassung einer zufällig hier weilenden Künstlerin im Beisein ihrer Frau Mutter 'ne Anstandsvisite gemacht. Wo ist da die Situation?«

»Allerdings, wenn man die Sache von dieser Seite betrachtet ...«

»Betrachten Sie sie und sagen Sie ruhig, die Initiative ging von Gustav Schnaase aus Berlin, Hedemannstraße siebenundzwanzig aus ... Übrigens mach ich Ihnen den Vorschlag, wir kehren um und gehen um den Berg rum. Dann kommen wir von der andern Seite heim ...«

Schützinger war einverstanden.

Er hatte wieder mehr Sicherheit gewonnen; und als sie am Hallbergerhause vorbeikamen und die Künstlerin zufällig am Fenster stand und ihren Gruß erwiderte, setzte er sogar zu einem frivolen Lächeln an.

»Herr Schnaase bemerkten vorhin was von einem Rangdewuh?«

»Bst! Diskretion Ehrensache! Ich kann mich doch darauf verlassen, verehrter Herr Kanzleirat, daß Sie nich 'n Ton ... ?«

»Selbstverständlich! Aber is es so weit ... ?«

»Möglich ... möglich auch nich! Sie dürfen es mir nich verübeln, daß ich die erste Kavalierspflicht befolge ...«

»Natürlich net! Ich ehre Ihren Standpunkt durchaus. Ich meine nur, wissen Sie, ich hab' eigentlich nicht den Eindruck, daß die Dame ... ah ... wie soll ich sagen? ... daß die Dame da entgegenkommt ...«

Schnaase lächelte.

»Haben Sie nich den Eindruck?«

»Aurichtig g'sagt, nein. Zum Beispiel, was sie da erzählt hat von dem Fürsten in dem Kaffee. Das läßt doch gewisse Schlüsse zu ...«

»Das läßt zunächst mal den Schluß zu, daß uns das gute Mädchen was vorspinnen wollte. Das war kalter Aufschnitt.«

»Sie kann es natürlich übertrieben haben, aber direkt erfunden scheint es mir nicht zu sein ...«

»Nich?«

Schnaase blieb stehen und legte die Hand auf die Schulter seines Begleiters und blickte ihm tief in die Augen.

»Lieber, guter Herr Kanzleirat, das Leben is nicht ganz so, wie Sie sich's vorstellen, und das große Leben, wissen Se, das is nu schon ganz anders ...«

»Ja, natürlich, in Berlin erlebt man wahrscheinlich mehr . . .«

»Erlebt man ooch. Das kann ich Ihnen versichern ... Aber Sie , nehmen Sie mir das harte Wort nich übel, scheinen mir in solchen Affären nich gerade die größte Erfahrung zu haben ...«

»Das will ich net g'rad sagen ...«

»Nanu!«

»Ich hab' zum Beispiel seinerzeit in München eine Schauspielerin gekannt, das heißt, sie war eigentlich nicht beim Theater, sondern bei einer Singspieltruppe als Tirolerin; eine sehr pikante Erscheinung, sehr üppig, wissen Sie. No ja ... da hat man ja auch seinen Teil erlebt ...«

»Ei wei Backe! Üppig, sagen Sie?«

»Auffallend sogar. Ja ... und in der Westendhalle, die jetzt nicht mehr existiert, war eine Coupletsängerin aus Wien. Die war anerkannt fesch ...«

»Hören Sie mal! Das hätte ich Ihnen nu gar nich zugetraut. Denn aufrichtig gestanden, wie Sie heute so da saßen, wie 'n Topp voll Meise, da sahen Sie nicht gerade aus wie 'n Dong Schuang ...«

»Die Sache is doch von Ihnen ausgegangen ...«

»Ging se auch; aber Sie konnten doch so 'n bißchen akkompanjieren ...«

»Ich weiß net. Da hab' ich so eine gewisse Abneigung dagegen in Gegenwart von andern, und dann dürfen Herr Schnaase auch nicht vergessen, daß ich gewisse Rücksichten nehmen muß ...«

»Das ist ja, was ich sage. Sie leiden an Hemmungen, verehrter Herr Kanzleirat ...«

Unter diesen Gesprächen erreichten sie den Marktplatz.

Schützinger konnte noch einmal die Gewandtheit des Großstädters bewundern, der seiner Frau erzählte, daß er auf dem erquickenden Spaziergange seine starken Kongestionen reineweg verloren habe.

Herr von Wlazeck sah ein, daß er die Aufmerksamkeit der Berliner Damen etwas stärker auf sich lenken mußte. Das hübsche Fräulein schenkte ihm wenig Beachtung und überhörte in geradezu auffallender Weise seine ritterlichen Komplimente.

Auch die alte Urschl – so nannte der Oberleutnant in Selbstgesprächen Frau Karoline Schnaase – tat merkwürdig fremd; besonders in den letzten Tagen, seit sie dem unappetitlichen Federfuchser eine sehr merkwürdige Beachtung schenkte.

Wie die Familie dazu gekommen war, diesen nägelbeißenden Dichterling an ihrem Tische Platz nehmen zu lassen, das war schon unbegreiflich.

Das war vermutlich der Berliner Schwarm für sogenannte Interessantheiten.

»Aber bidd' Sie, wenn der Mensch auch noch eine Interessantheit vorstellt, dann möchte man schon am guten Geschmack verzweifeln. Mit nackete Füß in abgelatschte Schuh hineinschliefen, das beruht am Ende nicht auf dichterischer Begabung, sondern auf dem Mangel an Strimpfen ... bloß dreckig sein is noch lange nich genial ... Der Grüllparzer hat Socken angehabt, und der Herr von Gäthe auch. Sogar sehr elegante, wann er doch schon in Karlsbad in allerersten Kreisen verkehrte ...«

Wlazeck hoffte, daß ein stärkerer Hinweis auf seine militärische Vergangenheit Wandel schaffen könne. Er beschloß, vor den Damen einmal hoch zu Roß zu erscheinen.

»Gestatten mir eine Anfrage, Herr Posthalter, Sie haben doch Pferde?«

»Fünfi«, erwiderte der Blenninger Michel.

»Alsdann möchte ich gebeten haben, daß mir eines zur Verfügung gestellt wird. Ich muß wieder einaml ein Pferd besteigen. In mir erwacht der alte Reitergeist. Wollen Sie mir einen Cavallo gegen angemessene Bezahlung leihen?«

»Was is? Reit'n möchten S'?«

»Aber ja! Natierlich will ich keine Parforcejagd reit'n; was ich möchte ist ein kurzer Spazierritt zur Wiederbelebung ...«

»Dös glaab i kaam, daß dös geht ...«

»Wieso?«

»Von meine Roß is no koans g'ritt'n wor'n ... Dös hoaßt, daß i s' recht sag, an Handgaul, der wo in der Karriolpost geht, den hat da Hansgirgl amal beim Georgiritt g'habt.«

»Dös is aber aa scho vier Jahre her.«

»Für meine Zwecke wird der Gaul geniegen. Sie kennen beruhigt sein; ich werde ihn aufs eißerste schonen ...«

»I wer amal mit 'n Hansgirgl red'n.«

»Wann Sie nichts dagegen einwend'n, will ich selber mit dem Mann red'n. Hat er gedient?«

»Schwoli war a.«

»No schauen S' her! Da werden wir sehr schnell einig sein. Zwei alte Soldaten verstehen sich leicht.«

»Vielleicht, wenn S' a paar Markl ei'reib'n ...«

»Lassen Sie nur mich mach'n! Alsdann, Ihre Einwilligung hab' ich?«

»Vo mir aus«, sagter Blenninger.

Wlazeck eilte über den Hof, um den Postillon aufzusuchen.

Der Stallbub sagte ihm, daß der Hansgirgl im Kutscherstübl sei. Als der Herr Oberleutnant dort eintrat, schlug ihm ein anheimelnder Duft entgegen.

Leder, Schmieröl, Bier, Rettiche und qualmende Stinkadores halfen zusammen, um ihn an alte Zeiten und Wachtstuben zu erinnern.

Auf dem Kanapee lag Hansgirgl. Seine nackten Füße, die über den Rand hinausstanden, verdeckten ihn in der Perspektive.

Gegenüber saß Martl. Auf dem Tische stand ein Maßkrug, daneben ein Teller, auf dem ein eingebeizter Rettich lag und weinte.

Niemand sprang auf, als der Oberleutnant eintrat. Niemand stand in Habachtstellung. Insofern war der Unterschied von einer Wachtstube sehr merklich.

Martl wandte den Kopf halbschief gegen den Besucher; Hansgirgl rührte sich überhaupt nicht.

»Särvus!« rief Wlazeck sehr herzlich. »Lassen S' Ihnen, bidde, ja nicht stören!«

Sie ließen sich nicht stören.

»Ich möchte mit dem verehrten Herrn Postillon was besprechen.«

An den zwei nachten Füßen krümmten sich die großen Zehen.

Das war ein Lebenszeichen und konnte die Erlaubnis zu weiteren Mitteilungen bedeuten.

Wlazeck fuhr fort:

»Die Sache is nämlich folgende. Ich habe mich mit dem Herrn Posthalter darüber geeinigt, daß ich demnächst mit Ihrem Handgaul ausreiten werde. Es handelt sich also darum, daß Sie die nötigen Vorbereitungen treffen.«

Hinter den Füßen tauchte langsam ein Kopf empor, aus dem zwei unfreundliche Augen auf den Eindringling blickten.

»Han?« fragte Hansgirgl.

»Ich habe mit dem Herrn Posthalter verabredet, daß ich nächstens mit Ihrem Handgaul reiten werde ...«

»An Schimmi? Mein Stutz!«

»Selbstredend werde ich den Gaul nicht strapazieren. Er handelt sich nur um einige wenige Spazierritte in die nächste Umgebung.«

Der Kopf verschwand wieder.

»Alsdann, Postillon, ich erwarte, daß Sattel und Zaumzeug in Ordnung sind, wenn ich ausreiten will ...«

Hansgirgl gab keine Antwort, aber Martl, der seinen Freund kannte und zu ihm stand, wie es sich gehörte, sagte feindselig:

»Da wern S' net recht viel Glück hamm.«

»Was heißt Glück haben? Wann Ihnen Ihr Herr, der Posthalter, den dienstlichen Auftrag erteilt, dierfte die Sache erledigt sein . . .«

Herr von Wlazeck war ärgerlich. Diese grobschlächtige Art des passiven Widerstandes empörte den alten Offizier, und er vergaß, daß er jovial und kameradschaftlich hatte sein wollen.

»Ich möchte mich nicht wiederholen. Ich übermittle Ihnen hiemit einfach den strikten Beföll Ihres Dienstherren, mir zum Zwecke des Ausreitens den Gaul sowie alles Notwendige in Bereitschaft zu stellen. Ich werde Ihnen Tag und Stunde bekannt geben, beziehungsweise, Sie werden das von kompetenter Seite erfahren ...«

Die Zehen Hansgirgls verkrampften sich, wahrscheinlich deutete es den Eigensinn dieses verschlossenen und finsteren Charakters an.

Martl übersetzte die Gebardensprache.

»Dös werd si scho aufweis'n«, sagte er.

Und um anzudeuten, daß er die Audienz für aufgehoben erachte, nahm er einen starken Schluck aus dem Maßkrug, und schnitt sich bedächtig einige Blätter von dem weinenden Rettich ab.

Wlazeck schlug die Türe zornig hinter sich zu.

Er traf den Blenninger noch an seinem gewohnten Platze unterm Torbogen.

»Aber bidde, Herr Posthalter, was haben denn Sie für Leite? Was is denn das für eine Disziplin in Ihrem Hause? Ich erkläre Ihrem Postknecht, daß ich in Ihrem Auftrag, also gewissermaßen als Ihr Beföhlsträger, den Wunsch eißere. Glauben Sie, er findet es der Mühe wert, mir eine Antwort zu geben? Nicht die Spur!«

Der Posthalter lächelte breit und gemütlich.

»Ja ... ja ... Der Hansgirgl! Der hat seine Sekt'n.«

»Traurig genug, wann er sie haben darf! Ich möchte den obstinaten Burschen in meinem Zug gehabt haben, ich garantiere, daß er in acht Tagen aus der Hand gefressen hätte. Und dann dieser Azteke, der Martl!«

»War der aa dabei?«

»Aber ja! Sitzt daneben und verlautbart die Willensmeinung des Herrn Postknechtes!«

»Da glaab i 's freili, wenn der dabei war! Wissen S', wenn die zwoa beinand hock'n, red't ma si hart damit.«

»Gestatten mir die submisseste Bemärkung, daß ich das einfach nicht verstehe. Untergebene haben meines Erachtens keine Eigentiemlichkeiten zu haben, viel weniger hervorzukehren, sonst schwindet jeder Begriff von Subordination ...«

»Lassen S' as no guat sei! I wer an Hansgirgl schon rumkriag'n . . .«

»Hoffentlich! Mir möchte das an Ihrer Stelle sehr wenig Schwierigkeiten bereiten ...«

»Was sagst d' jetzt dazua?« fragte Hansgirgl, der sich gleich, nachdem Wlazeck das Stübl verlassen hatte, aufrichtete und an den Tisch setzte.

»Was ko ma sag'n?" antwortete Martl. »Dena Luada fallet alle Tag was anders ei.«

»An Stutz möcht' er reit'n, und bal er 'n krumb daher bracht, hätt' i 's G'frett. Daß an Posthalte nix G'scheidters ei'fallt?«

»Dem? Dös is aa 'r a Neumodischer wor'n.«

»Is ma da Stutz nach Lichtmeß drei Wocha im Stall g'stand'n! Dös muaß do da Blenninger wiss'n ...«

»Neumodisch is er wor'n mit lauta Summafrischla. Was sagt er net gestern zu mir? Daß si dös Berliner G'steck beschwert hätt' bei eahm, i hätt' ihre gelb'n Schuah mit da schwarz'n Wichsbürst'n aufg'arbet. Hätt s' halt schwarze, wia 's da Brauch is, dös Weibsbild, dös boanige!«

»Sei' tuat's was!« brummte Hansgirgl.

»Trink' aus, na laß ma 'r ins no a Maß kemma.«

Als er ans Fenster trat und dem Seppl pfiff, kam Fanny über den Hof.

»Is da Martl bei dir drin?« fragte sie.

»Ja.«

»Sei Wasch hätt' i.«

»Geh' eina damit!« rief Martl, und Fanny kam in die Stube.

»Drei Paar Söckeln, an Unterhos'n und zwoa Hemmada ...« zählte sie auf und legte die Wäsche aufs Bett.

»Dank' da schö; da hast a Halbi Bier«, sagte Martl und schob ihr ein paar Nickelstücke über den Tisch hin.

Er merkte aber, daß sie verweinte Augen hatte, und weil er sie als ein richtiges Frauenzimmer leiden mochte, erkundigte er sich gutmütig.

»Was hast d' denn?«

»I? – Nix.«

»Für was hast nacha g'heant?«

»Ah! Was fallt da denn ei? I hab' do net g'woant. Ös waart 's as sho wert!«

»Mir? Wußt net, daß mir dir was to hamm ...«

»I sag' net vo dir. D' Mannsbilder überhaupts. Is oana so schlecht wia der ander ...«

»So? Hat's was g'habt?«

»Was frag' denn i danach? I brauch' überhaupts koan ...«

Aber wie sie es sagte, rollten ihr ein paar Tränen die Backen herunter, und sie hockte sich schluchzend auf den Bettrand.

»Was gibt's denn?« fragte Hansgirgl vom Fenster herüber.

»Woaß net«, antwortete Martl.

»Es san halt so Weibsbildag'schicht'n.«

»Ja ... Weibsbildag'schicht'n ...« schluchzte Fanny. »Wann ma so an Mensch'n glaabt und a ganz Jahr mit eahm geht, und all's is eahm recht, und er gibt oan de schönst'n Wort, und auf oamal vergißt er all's, weil de breißische Bohnastang', de miserablige, mit eahm speanzelt ... da ko ma was sag'n von an Charakta ...«

»Ja ... ja ... so geht's auf da Welt«, sagte Martl, dem kein anderer Trost einfiel.

Hansgirgl schaute zum Fenster hinaus nach dem Seppl. Solche Sachen waren ihm zuwider.

Da sprang Fanny vom Bett auf und wischte sich die Tränen ab.

»Vo mir aus lafft er dera Heugeig'n nach. I lach' ja dazua! Aba wenn s' furt is, und er moant, er kannt wieda schö toa mit mir, na sag' i 's eahm, was er is ... So a gemeina Mensch! Überhaupts a Mannsbild is was gräuslich's!«

Damit lief sie hinaus und ließ ihr Trinkgeld liegen.

Martl nahm es und legte es bedächtig in seinen Zugbeutel zurück.

Hansgirgl stellte die frische Maß auf den Tisch und setzte sich.

»Was is denn mit dera?«

»De Berlinerin hat ihr ihran Schatz ausg'spannt.«

»Auweh! Da wern s' belzi, d' Weibaleut.«

»Da Schlosser Xaverl is, da G'sell vom Hallberger. Der hat 's jetzt mit dera Breißischen ...«

»Mit dera langg'stackelt'n?«

»Ja ... mit de gelb'n Schuah ...«

Hansgirgl schaute tiefsinnig in den Maßkrug und trank.

»Dös best is«, sagte er ... »bal man sein Ruah hat von de Weibsbilda ...«

»Magst d' as aa net, gel?« fragte Martl.

»Jetza nimma. Aba früherszeit'n hat's mi umtrieb'n. Was i z'weg'n dena Malafizkramp'n a Schläg' kriagt hab', da ko'st da nix denga!«

»Geh?«

»An öft'n bin i hoamg'scheitelt wor'n, bei jeda zwoat'n Tanzmusi hon i g'rafft, 's G'wand hamm s' ma z'riss'n, Löcha hon i im Kopf g'habt, und all's z'weg'n dena Saggeramentsweibsbilda ...«

Martl, der seinen Freund immer bewunderte, schaute ihn erstaunt an.

»Dös hätt' i gar net glaabt vo dir ...«

»Ah, mei Liaba! Mi hat's schiach umtrieb'n.«

»Geh? Jetzt i ho mi ganz weni bekümmert um d' Weibaleut.«

»Dös is halt vaschied'n. Bal oan dös ins Bluat ei'g'schoss'n is, ko ma nix macha. Oft oan rührt's gar net o, und an andern laßt's koa Ruah. Da muaßt ans Kammafensta, ob 's d' magst oda net, und bal 's d' aa woaßt, daß dir oa aufpass'n, und daß d' Schläg' kriagst, es helft da nix. Wia 's Nacht werd, laffst do wieda zuawi ...«

»Da hon i nia nix g'spürt«, sagte Martl. »Plagt hon i mi übahaupts net um a Weibsbild. Waar ma scho g'nua g'wen!«

»Sei froh! Dös sell is a hart's Leb'n. Dei Arwat beim Tag muaßt do macha, sinscht valierst dein Platz, und bei Nacht umanand gambs'n, da kimmt oana oba ...«

Hansgirgl sagte es ernst; ganz so, als wenn er von einer schweren Krankheit erzählte.

Und Martl schob ihm mitfühlend den Maßkrug hin, damit er sich nachträglich stärken sollte.

»Hat's di lang g'habt?« fragte er.

»Bis in die Dreißgi eini. Nacha hat si de Hitz' g'legt.«

»Aba jetzt g'spürst d' nix mehr?«

»Na, mei Liaba! Jetza is zuadraht. Jetza schaug i s' gar nimma o, de Malafizkramp'na, de vadächtig'n ...«

Stine Jeep saß unter den großen Kastanien am Ende der Kirchgasse und schaute in Tal hinunter, das in tiefer Dämmerung lag. ein leises Rauschen kam näher, und da schüttelte auch schon der Abendwind die Blätter über ihr, und sie schlang fröstelnd ihr Tuch um die Schultern.

Jemand kam näher und pfiff einen altbayrischen Schleifer.

»Xa-veer?«

»Jawoi! Grüaß di Good, G'schmacherl.«

»Ochott, ich hätte nu beinahe nich kommen können. Das ordinäre Mädchen s ... spioniert doch im Hause herum und s ... steht vor meinem Zimmer, und wenn ich die Türe aufklinke, s ... steht sie vor mir und sieht mich zornig an ...«

So sind die Männer!

Xaver litt es ohne Widerspruch, daß Fanny als das ordinäre Mädchen bezeichnet wurde.

»Was will denn die damische Lall'n?« fragte er.

»Sie kann sich nu mal nich ans ... ständig benehmen. Das sah ich schon gleich am ersten Tag, aber nu ist sie ganz unaus ... stehlich. Vielleicht hast du ihr schöne Worte gegeben, und sie ist nu eifersüchtig?«

»Ah, was glaabst denn? De hab' i do überhaupts net o'g'schaugt ...«

»Vielleicht hast du ...«

»Nix hab' i, bal a da 's sag ...«

Xaver nahm Stine um die Mitte, und indem er mit einem derben Griffe ihren Kopf festhielt, schmatzte er ihr etliche Küsse auf.

»Och neun – Xaver! Du mußt mich nich so am Kinn fassen . . . Da habe ich immer schwarze Flecken vom Eisens ... staub ...«

»Dafür bist d' Schatz von a Schlossa ...«

»Das sagst du nur so ... ich bin dein Schatz. Aber wenn ich fort bin, denkst du nich 'n lütten Augenblick an mich ...«

»Allaweil denk' i an di ...«

»Du mußt mir auch jeden Tag eine Postkarte schreiben.«

»Jed'n Tag? ... Also ... is recht? Nacha schreib i dir jed'n Tag. Aba jetzt genga ma an Berg abi. Da herob'n kunnt wer daher kemma.«

Sie gingen eng verschlungen den Weg hinunter, und wo es dunkler und heimlicher wurde, ließ sich Stine Jeep schwarze Flecken am Kinn und auch sonst wo Quetschungen gefallen.

»Ooch neun!« sagte sie aber, »du darfst nich denken, ich bin wie die Mädchen hierzulande. Die s ... stehen doch auf einer so niedern Bildungs ... stufe!«

»Da hock di her auf d' Bank, du Gschoserl, du liabs!«

»Xa-veer!«

»An ganz'n Tag hon i Zeitlang g'habt nach dir. Allaweil hon i denkt, wenn 's no scho Feierabend waar! Hast d' aa 'r an mi denkt, du Mollete?«

»Och ... wie du s ... sprichst!«

»I sag da 's pfeigrad, so hat man no koani g'fall'n als wia du.«

»Du darfst mich aber nich verwechseln mit den Mädchen hierzulande!«

»I vawechsel di scho net ...«

So wie Stine ihren Mund frei hatte, wollte sie immer wieder ihre bessere Art beweisen.

»Die Mädchen hier sind so leichtsinnig«, sagte sie. »Die denken sich gar nichts dabei, wenn sie in Schande kommen. Ochott, wenn ich denke, wenn das bei uns geschieht! Rieke Petersen, die mit Schmitts Karl ging, bekam ein Kind. Da war Unglück im Hause, das kann ich dir nur sagen.«

»Is aa z'wider ...«

»Aber die Mädchen hier denken sich gar nichts bei ...«

»Ja – mei!«

»Wenn ich denke, wie doch meine Mutter s ... strenge mit uns war! Ich durfte nich auf der Straße mit den Jungens tollen. Gleich kam sie und rief immerzu: ›Stinchen! ... Stinchen! Nich so wild!‹ Da wurde man doch ganz anders erzogen ...«

Xaver hörte unter der Haselnußstaude nicht auf die Stimme der Bildung. Er war so keck und siegermäßig, daß auch das Mädchen von dortzulande liebreich wurde.

Auf dem Heimweg hing es sich in den Arm des Trauten und redete vernünftig daher, wann und wo man wieder Gelegenheit finden könne, so leichtsinnig zu sein, wie die Mächen hierzulande.

Viele Frösche quakten hinter ihnen her, und in den Büschen hinter der Mühle lachte ein Waldkauz.


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