Autorenseite

 << zurück 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

34. Kapitel

James Crawleys Pfeife wird ausgelöscht

Das liebenswürdige Benehmen Mr. Crawleys und Lady Janes freundliche Begrüßung schmeichelten Miss Briggs sehr, und als die Karten der Familie Southdown Miss Crawley überbracht worden waren, legte sie ein gutes Wort für Lady Jane ein. Daß die Karte einer Gräfin persönlich für sie abgegeben wurde, freute die arme freundlose Gesellschafterin nicht wenig. »Ich möchte wissen, was Lady Southdown damit bezweckte, als sie für Sie auch eine Karte abgab, Miss Briggs«, meinte die republikanische Miss Crawley, worauf ihre Gefährtin bescheiden erwiderte, »sie hoffe, es erwecke keinen Anstoß, daß eine vornehme Lady von einer armen Dame Notiz nähme«. Die Karte legte sie in ihr Arbeitskästchen zu ihren teuersten privaten Schätzen. So erzählte Miss Briggs auch, daß sie tags zuvor Mr. Crawley mit seiner Cousine und langjährigen Braut getroffen habe, und wie freundlich und sanft die Dame ausgesehen habe, und wie schlicht, um nicht zu sagen einfach, ihre Kleidung gewesen sei, deren Bestandteile sie vom Hut bis zu den Stiefelchen mit weiblicher Genauigkeit beschrieb und beurteilte.

Miss Crawley ließ die Briggs ohne große Unterbrechung weiterschwätzen. Sobald ihre Gesundheit sich besserte, sehnte sie sich nach Gesellschaft. Ihr Arzt, Mr. Creamer, wollte nichts davon hören, daß sie zu ihren alten Vergnügungen und Zerstreuungen in London zurückkehrte. Die alte Jungfer war nur zu froh, in Brighton überhaupt Gesellschaft zu finden, und erwiderte nicht nur die Karten schon am nächsten Tag, sondern lud sogar Pitt Crawley sehr gnädig ein, seine Tante zu besuchen. Er kam und brachte Lady Southdown und ihre Tochter mit. Die verwitwete Gräfin verlor kein Wort über Miss Crawleys Seelenheil, sondern sprach mit viel Taktgefühl vom Wetter, dem Krieg und dem Sturz des Ungeheuers Bonaparte, vor allem aber von den Ärzten, Quacksalbern und den besonderen Verdiensten Dr. Podgers', dessen Gönnerin sie gerade war.

Während der Unterhaltung führte Pitt Crawley einen Hauptstreich und bewies damit, daß er ein großer Diplomat hätte werden können, wäre nicht seine Karriere durch anfängliche Nachlässigkeit verhindert worden. Als die verwitwete Gräfin Southdown nach der damaligen Mode über den korsischen Emporkömmling herzog und erklärte, er sei ein Ungeheuer und mit allen möglichen Verbrechen befleckt, ein lebensuntauglicher Feigling und Tyrann, dessen Sturz schon längst prophezeit sei, ergriff Pitt Crawley plötzlich Partei für den Mann des Schicksals. Er beschrieb den Ersten Konsul, wie er ihn nach dem Frieden von Amiens in Paris gesehen hatte, als er, Pitt Crawley, das Vergnügen gehabt, die Bekanntschaft des großen und guten Mr. Fox zu machen, eines Staatsmannes, den er trotz verschiedener abweichender Ansichten unbedingt glühend bewundern müsse, eines Staatsmannes, der stets die höchste Meinung vom Kaiser Napoleon gehegt hatte. Er ereiferte sich gegen die treulose Behandlung des entthronten Monarchen durch die Alliierten. Nachdem er sich nämlich edelmütig ihrer Gnade ausgeliefert hätte, sei er in eine unwürdige und grausame Verbannung geschleppt worden, während an seiner Statt ein bigotter päpstlicher Pöbel Frankreich tyrannisierte.

Dieser orthodoxe Abscheu gegen den römischen Aberglauben rettete Pitt Crawley in Lady Southdowns Augen, während seine Bewunderung für Fox und Napoleon ihn unermeßlich in Miss Crawleys Meinung steigen ließ. Ihre Freundschaft mit dem verstorbenen britischen Staatsmann ist bereits erwähnt worden, als wir sie in unserer Geschichte vorstellten. Als ein echter Whig war Miss Crawley während des ganzen Krieges in der Opposition gewesen, und wenn auch der Sturz des Kaisers die alte Dame kaum erregte, noch seine schlechte Behandlung ihr das Leben verkürzte oder den Schlaf raubte, so sprach ihr Pitt doch aus dem Herzen, als er ihre beiden Idole lobte, und machte durch diese Bemerkungen allein schon ungeheure Fortschritte in ihrer Gunst.

»Und was denken Sie, meine Liebe?« fragte Miss Crawley die junge Dame, zu der sie beim ersten Anblick, wie stets für hübsche und bescheidene junge Leute, Zuneigung gefaßt hatte, obgleich man zugeben muß, daß ihre Neigungen stets ebenso schnell abkühlten, wie sie entstanden waren.

Lady Jane errötete tief und meinte, daß sie nichts von Politik, verstünde und das lieber klügeren Köpfen überließe. Wenn nun auch zweifellos die Mama im Recht sei, so habe doch Mr. Crawley jedenfalls schön gesprochen. Als sich die Damen entfernten, äußerte Miss Crawley die Hoffnung, Lady Southdown möge die Güte haben, ihr zuweilen Lady Jane zu schicken, wenn sie abkömmlich sei, um eine arme, kranke, einsame alte Frau zu trösten. Dieses Versprechen wurde gnädigst gegeben, und sie schieden in bestem Einvernehmen.

»Lady Southdown soll nicht wieder herkommen, Pitt«, sagte die alte Dame. »Sie ist dumm und aufgeblasen wie die ganze Familie deiner Mutter, die ich nie leiden konnte. Aber bring die kleine, nette, gutmütige Lady Jane mit, sooft du Lust hast.« Pitt versprach es. Er sagte der Gräfin Southdown nicht, welche Meinung Miss Crawley von ihr hatte, sondern ließ sie im Gegenteil in dem Glauben, sie habe einen vortrefflichen und ungemein majestätischen Eindruck auf seine Tante gemacht.

So besuchte Lady Jane Miss Crawley recht häufig, begleitete sie auf ihren Spazierfahrten und vertrieb ihr des Abends oftmals die Zeit, denn sie hatte nichts dagegen, einer Kranken beizustehen, und war vielleicht im Innern froh, ab und zu dem langweiligen Gesäusel von Ehrwürden Bartholomew Irons und den frommen Speichelleckern, die sich um die Fußbank der pompösen Gräfin, ihrer Mama scharten, zu entrinnen. Sie war von Natur aus so gut und weich, daß selbst die Firkin nicht eifersüchtig auf sie war, und die sanfte Briggs glaubte, ihre Freundin sei in Gegenwart der guten Lady Jane weniger grausam zu ihr. Miss Crawley benahm sich gegenüber der Lady reizend. Die alte Jungfer erzählte ihr tausend Anekdoten aus ihrer Jugendzeit und sprach mit ihr ganz anders als früher mit der gottlosen kleinen Rebekka. Lady Janes Unschuld stempelte nämlich lose Reden zu einer Unverschämtheit, und Miss Crawley hatte zu gute Manieren, um eine solche Reinheit zu beleidigen. Die junge Dame selbst hatte von keiner Seite als von dieser alten Jungfer, von ihrem Bruder und ihrem Vater Güte empfangen, und sie vergalt Miss Crawleys engoûment mit schlichter, anmutiger Freundschaft.

An den Herbstabenden (an denen Rebekka als die fröhlichste unter den fröhlichen Siegern in Paris umherflatterte, und unsere Amelia, unsere liebe, verwundete Amelia, ach! wo war sie?) saß Lady Jane gewöhnlich in Miss Crawleys Wohnzimmer und sang ihr in der Dämmerung mit süßer Stimme ihre einfachen Liedchen vor, während die Sonne unterging und die Meereswogen an die Küste donnerten. Die alte Jungfer erwachte stets, wenn das Singen aufhörte, und verlangte nach mehr. Die Briggs vergoß Freudentränen, wenn sie auf das glänzende Meer hinausblickte, das langsam dunkel wurde, und auf die Himmelslichter, die immer heller strahlten. Wer kann das Glück und die Gefühle der Briggs beschreiben, die dasaß und vorgab zu stricken?

Inzwischen fand Pitt im Speisezimmer bei einer Broschüre über die Korngesetze oder einem Missionarregister die Erholung, die romantischen und unromantischen Männern nach dem Essen ansteht. Er schlürfte Madeira, baute Luftschlösser, hielt sich für einen prächtigen Kerl, fühlte sich verliebter in Jane als je zuvor in den sieben Jahren, die ihre Verbindung jetzt schon ohne das geringste Zeichen von Ungeduld auf seiner Seite dauerte, und schlief viel. Wenn es Zeit für den Kaffee war, kam Mr. Bowls lärmend herein und rief Squire Pitt, der im Dunkeln sehr stark mit seiner Broschüre beschäftigt war.

»Es wäre schön, meine Liebe, wenn ich jemanden auftreiben könnte, der mit mir Pikett spielt«, sagte Miss Crawley eines Abends, als der Butler mit den Kerzen und dem Kaffee erschien. »Die arme Briggs spielt nicht besser als eine Eule. Sie ist so dumm« (die alte Jungfer ergriff jede Gelegenheit, die Briggs vor den Dienstboten schlechtzumachen) ; »und ich glaube, ich würde besser schlafen, wenn ich mein Spielchen hätte.«

Bei diesen Worten errötete Lady Jane bis hinter die Ohren und bis in ihre hübschen Fingerspitzen. Sobald Mr. Bowls das Zimmer verlassen hatte und die Tür fest hinter sich zugemacht hatte, sagte sie:

»Miss Crawley, ich spiele ein bißchen. Ich habe – habe manchmal mit meinem armen lieben Papa gespielt.«

»Kommen Sie her und geben Sie mir einen Kuß, und zwar augenblicklich, Sie liebes gutes Seelchen«, rief Miss Crawley begeistert, und als Mr. Pitt mit der Broschüre in der Hand heraufkam, fand er die alte und die junge Dame bei dieser malerischen und schönen Beschäftigung. Wie sie an diesem Abend andauernd errötete – die arme Lady Jane!

Man braucht sich nicht einzubilden, daß Mr. Pitts Schliche der Aufmerksamkeit seiner lieben Verwandten im Pfarrhaus von Queen's Crawley entgangen wären. Hampshire und Sussex liegen sehr nahe beieinander, und Mrs. Bute besaß in Sussex Freunde, die dafür sorgten, daß sie alles und noch viel mehr als alles, was in Miss Crawleys Haus in Brighton vorging, erfuhr. Pitt ging immer mehr bei ihr aus und ein. Er kam oft monatelang nicht ins Schloß, wo sich sein abscheulicher Vater vollständig dem Alkohol und der Gesellschaft dieser widerlichen Familie Horrocks ergeben hatte. Pitts Erfolge wurmten die Pfarrersleute, und Mrs. Bute bereute mehr als je (obwohl sie es weniger denn je zugab), daß sie einen großen Fehler begangen hatte. Wie hatte sie nur Miss Briggs so beleidigen und so hochmütig und knauserig gegen Bowls und die Firkin sein können, daß ihr keine Menschenseele in Miss Crawleys Haus geblieben war, die sie von den Vorgängen dort unterrichten könnte. »Butes Schlüsselbein ist an allem schuld«, beharrte sie, »wenn er sich das nicht gebrochen hätte, so hätte ich sie nie verlassen. Ich bin eine Märtyrerin der Pflicht und deiner widerwärtigen Jagdleidenschaft, die sich für einen Pfarrer gar nicht schickt.«

»Jagdleidenschaft? Unsinn! Du bist es, die sie in Furcht versetzt hat, Martha«, unterbrach sie der Geistliche. »Du bist eine gescheite Frau, aber du hast ein teuflisches Temperament und bist ein alter Geizkragen, Martha.«

»Du würdest schon lange im Gefängnis sitzen, Bute, wenn ich dein Geld nicht zusammengehalten hätte.«

»Das weiß ich, meine Liebe«, sagte der Pfarrer gutmütig. »Du bist eben eine gescheite Frau, aber, weißt du, du organisierst alles zu gut«, und der fromme Mann tröstete sich mit einem großen Glase Porter.

»Was zum Teufel kann sie bloß an dem albernen Pitt Crawley finden«, fuhr er fort. »Der Bursche kann doch keine Gans erschrecken. Ich entsinne mich noch, wie Rawdon, der wenigstens ein Mann ist, wenn er auch zum Henker gehen sollte, ihn im Stall umherzuprügeln pflegte, wie einen Kreisel, und wie Pitt heulend zu seiner Mama lief, haha! Jeder von meinen Jungen würde ihn mit einer Hand umwerfen. James sagt, daß man sich in Oxford noch immer seiner als ›Miss Crawley‹ erinnert – der Narr!«

»Du, Martha«, fuhr der Pfarrer nach einer Pause fort.

»Was?« fragte Martha, die an den Nägeln kaute und auf dem Tisch trommelte.

»Du, sollten wir nicht James nach Brighton schicken, um zu sehen, ob er mit der Alten etwas anfangen kann? Du weißt, daß er kurz vor dem Examen steht. Er ist erst zweimal durchgefallen – das bin ich ja auch –, aber er ist doch wenigstens in Oxford gewesen und hat eine Universitätsausbildung bekommen. Er kennt einige von den besten Burschen dort. Er ist Schlagmann im Bonifatiusboot. Er ist ein hübscher Kerl, verdammt noch mal, wir wollen ihn auf die Alte hetzen und ihm sagen, er soll Pitt verdreschen, wenn er sich muckst. Hahaha!«

»Na schön, James könnte sie mal besuchen«, meinte die Hausfrau und fügte seufzend hinzu: »Wenn wir ihr nur eins von den Mädchen schicken könnten, aber sie hat sie nie leiden können, weil sie nicht hübsch sind!« Die unglücklichen und wohlerzogenen Mädchen ließen sich bei den Worten ihrer Mutter aus dem Nebenzimmer vernehmen, wo sie mit harten Fingern ein sorgfältig einstudiertes Musikstück auf dem Klavier hämmerten. Sie waren tatsächlich den ganzen Tag lang entweder mit Musik oder dem Rückenbrett oder Geographie oder Geschichte beschäftigt. Aber was nützen Mädchen auf dem Jahrmarkt der Eitelkeit alle diese Talente, wenn sie klein gewachsen, arm und unansehnlich sind und einen schlechten Teint haben? Außer dem Hilfsgeistlichen kannte Mrs. Bute keinen Menschen, der ihr eine hätte abnehmen können. In diesem Augenblick kam James aus dem Stall, mit einer kurzen Pfeife und einer Wachstuchmütze auf dem Kopf, und begann mit seinem Vater ein Gespräch über die Wetten beim Sankt-Leger-Rennen, und die Unterredung zwischen dem Pfarrer und seiner Frau war damit beendet.

Mrs. Bute erhoffte sich nicht viel Gutes für ihre Sache, wenn sie ihren Sohn James als Gesandten hinschickte, und hoffnungslos sah sie ihn abfahren. Der junge Bursche versprach sich ebenfalls wenig Freude oder Gewinn, als er erfuhr, wohin die Reise gehen solle. Er tröstete sich aber mit dem Gedanken, daß ihm die alte Dame vielleicht ein hübsches Andenken schenken würde, damit er zu Anfang des nächsten Semesters in Oxford einige seiner drückendsten Schulden bezahlen könne. Er nahm daher seinen Platz in der Southamptoner Postkutsche ein und landete am selben Abend sicher in Brighton mit seiner Reisetasche, seiner Lieblingsbulldogge Towzer und einem riesigen Korb voller Feld- und Gartenfrüchte von den lieben Pfarrersleuten für die liebe Miss Crawley. Da es ihm zu spät schien, die kränkliche Dame gleich am Abend seiner Ankunft zu stören, stieg er in einem Gasthaus ab und machte seine Aufwartung bei Miss Crawley erst am späten Vormittag des nächsten Tages.

Als die Tante James Crawley zuletzt gesehen hatte, war er ein schlaksiger Bursche in dem unglücklichen Alter gewesen, wo die Stimme zwischen einem gräßlichen Diskant und einem unnatürlichen Baß schwankt, wo das Gesicht nicht selten Blüten treibt, für die Rowlands Kalidor ein gutes Heilmittel sein soll, wo man die Jungen ertappt, wie sie sich heimlich mit der Schere ihrer Schwester rasieren, und wo ihnen der Anblick eines anderen jungen Mädchens unerträgliche Schrecken bereitet. Die großen Hände und Handgelenke ragen weit aus den zu eng gewordenen Kleidern, und nach dem Essen ist ihre Gegenwart furchtbar sowohl für die Damen, die in der Dämmerung zusammen im Wohnzimmer flüstern, als auch für die Herren beim Wein, die sich in ihrer freien Unterhaltung und dem Austausch guter Witze durch die Anwesenheit der tapsigen Unschuld behindert fühlen. Der Papa sagt dann nach dem zweiten Glas: »Jack, mein Junge, geh hinaus und sieh zu, ob sich das Wetter heute hält«, und der Jüngling, froh, seine Freiheit zu bekommen, aber doch traurig, noch kein Mann zu sein, verläßt das unvollständige Mahl. James, damals noch ein linkischer Bursche, war jetzt ein junger Mann geworden, der die Vorteile einer Universitätsbildung genossen und jene unschätzbare Politur erworben hatte, die man erhält, wenn man in flotter Gesellschaft in einem kleinen College lebt, Schulden macht, zeitweise von der Universität ausgeschlossen wird und durch das Examen fällt.

Als er sich seiner Tante in Brighton vorstellte, war er jedoch ein hübscher Bursche, und gutes Aussehen galt bei der wankelmütigen alten Dame stets als Empfehlung. Sein Erröten und seine Verlegenheit schadeten dabei nichts, ihr gefielen diese Anzeichen für die gesunde Unschuld des jungen Mannes.

Er sagte, er sei auf ein paar Tage hergekommen, um einen Studienfreund zu besuchen, und – »und um Ihnen meine Aufwartung zu machen, Madame, und viele Grüße von meinen Eltern auszurichten, die hoffen, daß es Ihnen gut geht.«

Pitt war gerade bei Miss Crawley, als der junge Bursche angemeldet wurde, und blickte sehr bestürzt, als er den Namen hörte. Die alte Dame besaß viel Humor und weidete sich an der Überraschung ihres korrekten Neffen. Sie erkundigte sich interessiert nach der Familie im Pfarrhaus und verkündete, sie besuchen zu wollen. Sie lobte den Jüngling ins Gesicht, erklärte, er sei gutgewachsen und habe sich zu seinem Vorteil verändert, und es sei schade, daß seine Schwestern nichts von seinem hübschen Aussehen besäßen. Als sie auf ihre Frage erfahren hatte, daß er sein Quartier im Gasthaus aufgeschlagen hatte, wollte sie nichts davon wissen, daß er dort wohnen bliebe, sondern befahl Mr. Bowls, augenblicklich Mr. James Crawleys Sachen holen zu lassen; »und hören Sie, Bowls«, fügte sie gnädig hinzu, »Sie werden so freundlich sein und Mr. James' Rechnung bezahlen.«

Sie warf Pitt einen schlauen Triumphblick zu, daß der Diplomat vor Neid fast erstickte. So hoch er es auch in der Gunst seiner Tante gebracht hatte, hatte sie ihn doch noch nicht eingeladen, in ihrem Hause zu wohnen, und da kam nun so ein Grünschnabel, der auf den ersten Blick aufgenommen wurde.

»Ich bitte um Verzeihung, mein Herr«, sagte Bowls und trat mit einer tiefen Verbeugung vor, »aus welchem Hotel soll Thomas das Gepäck holen?«

»Oh, verdammt«, rief der junge James und sprang auf, als ob ihn etwas beunruhigte, »ich gehe selbst.«

»Wie!« fragte Miss Crawley.

»In ›Tom Cribbs Wappen‹«, erwiderte James und wurde knallrot.

Als er den Namen nannte, brach Miss Crawley in lautes Gelächter aus. Mr. Bowls als vertrauter Diener der Familie erlaubte sich ein wieherndes Lachen, verschluckte aber den Rest der Salve. Der Diplomat lächelte nur.

»Ich – ich wußte kein besseres«, sagte James mit niedergeschlagenen Augen. »Ich bin noch nie hiergewesen, der Kutscher hat davon gesprochen.« Der junge Lügner! In Wirklichkeit hatte James Crawley tags zuvor in der Southamptoner Postkutsche den Tutbury-Liebling getroffen, der nach Brighton fuhr, um mit dem Rottingdean-Schläger einen Kampf auszutragen. Er war von der Unterhaltung mit dem »Liebling« so entzückt gewesen, daß er den Abend mit diesem technisch begabten Mann und dessen Freunden in dem fraglichen Wirtshaus verbracht hatte.

»Ich – ich gehe am besten selbst und bezahle die Rechnung«, fuhr James fort. »Ich kann das nicht von Ihnen verlangen, Madam«, fügte er großmütig hinzu.

Dieses Taktgefühl versetzte seine Tante in noch größere Heiterkeit.

»Gehen Sie und bezahlen Sie die Rechnung, Bowls«, sagte sie mit einer Handbewegung, »und bringen Sie sie mir.«

Die arme Dame! Sie wußte nicht, was sie getan hatte. »Da ist auch noch – ich habe noch einen kleinen Hund«, sagte James und sah schrecklich schuldbewußt drein. »Ich hole ihn am besten selbst. Er beißt Diener in die Waden.«

Die ganze Gesellschaft schrie vor Lachen bei dieser Beschreibung, sogar die Briggs und Lady Jane, die während des Gesprächs zwischen Miss Crawley und ihrem Neffen stumm dabeigesessen hatten, und Bowls verließ das Zimmer, ohne ein weiteres Wort zu sagen.

Immer noch war Miss Crawley gnädig zu dem jungen Oxforder Studenten, um ihrem älteren Neffen eine Lektion zu erteilen. Wenn sie einmal angefangen hatte, kannten ihre Freundlichkeit und ihre Höflichkeitsbezeigungen keine Grenzen. Sie sagte Pitt, er könne zum Essen kommen, und bestand darauf, daß James sie bei ihrer Spazierfahrt begleite. Er saß auf dem Rücksitz in ihrer Kutsche, und feierlich fuhr sie mit ihm an den Felsenklippen auf und ab. Während des ganzen Weges ließ sie sich herab, ihn mit Höflichkeiten zu überschütten, zitierte dem armen verwirrten Burschen italienische und französische Dichtungen und bestand darauf, daß er ein ausgezeichneter Student sei und sicherlich eine Goldmedaille gewinnen und Erster Disputant werden würde.

»Haha!« lachte James, den diese Komplimente sehr ermutigt hatten. »Erster Disputant, ach wo! Das gibt's bloß in der anderen Bude.«

»Was heißt andere Bude, mein liebes Kind?« fragte die Dame.

»Erste Disputanten gibt es bloß in Cambridge, nicht in Oxford«, sagte der Student mit schlauer Miene und wäre wahrscheinlich noch vertraulicher geworden, wären nicht plötzlich in einem leichten Wagen, der von einem geputzten Pony gezogen wurde, seine Freunde, der Tutbury-Liebling und der Rottingdean-Schläger, in weißen Flanelljacken mit Perlmuttknöpfen und drei von ihren Bekannten aufgetaucht, die alle den armen James in seiner Kutsche grüßten. Dieser Vorfall dämpfte den Mut des aufrichtigen Jünglings, und während der ganzen übrigen Fahrt sagte er weder ja noch nein.

Bei seiner Rückkehr war sein Zimmer für ihn bereit, und seine Reisetasche stand da. Als Mr. Bowls ihn hinaufführte, hätte James auf dessen Gesicht einen Ausdruck von Würde, Verwunderung und Mitleid erblicken können, er dachte jedoch nicht an Mr. Bowls. Er beklagte nur die mißliche Lage, in der er war, in einem Hause voll alter Weiber, die französisch und italienisch plapperten und ihm Verse aufsagten. »Ganz schön in der Patsche, beim Satan«, rief der bescheidene Junge, der der Sanftesten des weiblichen Geschlechts – selbst einer Briggs – nicht ins Auge blicken konnte, wenn sie ihn anredete, während er es in Iffley Lock mit dem Mundwerk des kühnsten Schiffers hätte aufnehmen können.

Beim Essen erschien James in einer hohen weißen Halsbinde, die ihn fast erstickte, und er hatte die Ehre, Lady Jane in das Speisezimmer zu führen, während die Briggs und Mr. Crawley ihnen mit der alten Dame und ihrem Apparat von Bündeln, Schals und Kissen folgten. Die Hälfte der Essenszeit verbrachte die Briggs damit, daß sie es der Kranken bequem machte und für ihren fetten Schoßhund Hühnerfleisch zerkleinerte. James sprach nicht viel, bestand jedoch darauf, mit allen Damen Wein zu trinken, nahm Mr. Crawleys Herausforderung an und trank den größten Teil einer Flasche Champagner, die Mr. Bowls ihm zu Ehren hatte heraufholen müssen. Nachdem sich die Damen zurückgezogen hatten und die beiden Cousins allein geblieben waren, wurde Pitt, der ehemalige Diplomat, äußerst redselig und freundlich. Er erkundigte sich nach James' Laufbahn auf der Universität, nach seinen Zukunftsaussichten, hoffte von Herzen, daß er es zu etwas bringen würde, und war, mit einem Wort, offen und liebenswürdig. Der Portwein löste auch James' Zunge, und er erzählte seinem Vetter von seinem Leben, seinen Aussichten, seinen Schulden, seinen Sorgen um das Vorexamen und seinen Prügeleien mit den Pedellen, während er sich eifrig aus den Flaschen vor ihm einschenkte und fröhlich vom Portwein zum Madeira überging.

»Das größte Vergnügen, das meine Tante kennt«, sagte Mr. Crawley, »ist, daß ein jeder in ihrem Hause sich bewegt, wie es ihm gerade paßt. Das hier ist Schloß Freiheit, James, und du kannst Miss Crawley keinen größeren Gefallen erweisen, als zu tun, was du möchtest, und zu verlangen, was du willst. Ich weiß, ihr auf dem Lande habt mich alle verhöhnt, weil ich Tory bin. Miss Crawley ist tolerant genug, jedermann zu genügen. Sie ist Republikanerin durch und durch und verachtet solche Sachen wie Rang und Titel.«

»Warum heiratest du denn eine Grafentochter?« fragte James.

»Mein lieber Freund, die arme Lady Jane ist ja nicht schuld daran, daß sie hochgeboren ist«, entgegnete Pitt mit höflicher Miene. »Sie kann nichts dafür, daß sie Lady ist. Außerdem weißt du, daß ich Tory bin.«

»Na klar«, sagte James, »es geht nichts über altes Blut, verdamm mich, nichts. Ich bin keiner von diesen Radikalen, ich weiß, was es heißt, ein Gentleman zu sein, verdamm mich. Guck dir bloß die Kerls beim Wettrudern an oder bei einer Prügelei, oder guck dir einen Hund an, wenn er Ratten totbeißt. Wer gewinnt? Die mit edlem Blut. Bringen Sie noch ein bißchen Portwein, Bowls, alter Junge, während ich die Flasche hier alle mache. Wo war ich stehengeblieben?«

»Ich glaube, du sprachst von Hunden, die Ratten totbeißen«, bemerkte Pitt mit sanfter Stimme und reichte seinem Cousin die Flasche zum »Allemachen«.

»Wirklich? Ratten totbeißen? Ach so! Bist du ein Sportsmann, Pitt? Willst du einen Hund sehen, der bombensicher Ratten totbeißen kann? Dann komm mit mir zu Tom Corduroy in die Castle-Street-Ställe, und ich will dir so einen Terrier zeigen, der... Pah, Quatsch!« rief James und lachte über den Unsinn, den er da verzapfte. »Du interessierst dich doch weder für Hunde noch für Ratten, das ist alles Blödsinn, ich will verdammt sein, wenn ich glaube, daß du den Unterschied zwischen einem Hund und einer Ente kennst.«

»Nein; übrigens sprachst du vom Blut und den persönlichen Vorzügen, die eine edle Geburt mit sich bringen«, fuhr Pitt, immer freundlicher werdend, fort. »Hier ist die neue Flasche.«

»Blut ist das Stichwort«, sagte James und stürzte die rubinrote Flüssigkeit hinunter. »Es geht nichts über das Blut, weder bei Pferden noch Hunden, noch bei Menschen. Erst im letzten Semester, kurz bevor ich rausgeschmissen wurde, das heißt, kurz bevor ich die Masern hatte, haha!, waren ich und Ringwood vom Christchurch College, Bob Ringwood, Lord Sinqbars Sohn, in der ›Glocke‹ in Blenheim und tranken Bier, als der Schiffer von Banbury sich erbot, mit einem von uns um eine Bowle Punsch zu boxen. Ich konnte nicht. Ich trug den Arm in der Schlinge, so daß ich überhaupt nichts machen konnte – das Biest von meiner Stute war gerade zwei Tage zuvor beim Abingdon-Rennen mit mir gestürzt, und ich dachte, ich hätte mir den Arm gebrochen. Na ja, ich konnte ihn also nicht abfertigen. Bob hatte aber seinen Rock im Nu aus. Er boxte drei Minuten mit dem Kerl von Banbury und hatte ihn in vier Runden erledigt. Gott, wie der umfiel, und woran lag es? Nur am Blut, mein Lieber, an weiter nichts als am guten Blut.«

»Du trinkst ja gar nicht, James«, bemerkte der ehemalige Attaché. »Zu meiner Zeit ließ man in Oxford die Flasche ein bißchen schneller kreisen, als es bei euch jungen Burschen üblich zu sein scheint.«

»Na, na«, sagte James, legte den Finger an die Nase und zwinkerte seinem Cousin mit weinseligen Augen zu. »Mach keine Witze, alter Junge, versuch's nicht mit mir. Du willst mich wohl für dumm verkaufen, aber das wird dir nicht gelingen. In vino veritas, alter Junge. Mars, Bacchus, Apollo vivorum, wie? Ich wollte, meine Tante würde dem Alten so was schicken. Das ist ein famoser Stoff.«

»Das beste wäre doch, du bittest sie darum«, meinte der Machiavelli, »und nutzt deine Zeit jetzt gut aus. Wie sagt doch gleich der Dichter? ›Nunc vino pellite curas, cras ingens iterabimus aequor.‹« Und der Bacchant, der den Ausspruch mit der Miene eines Unterhausabgeordneten zitiert hatte, stürzte mit einem ungeheuren Schwung seines Glases fast einen Fingerhutvoll Wein hinunter.

Wenn im Pfarrhaus nach Tisch die Portweinflasche geöffnet wurde, erhielten die jungen Damen jede ein Glas Johannisbeerwein, Mrs. Bute trank ein Glas Portwein, und der ehrliche James nahm gewöhnlich zwei; da aber sein Vater sehr verdrießlich wurde, wenn er weitere Angriffe auf die Flasche unternahm, so stand der gute Bursche im allgemeinen von weiteren Versuchen ab und begnügte sich entweder mit Johannisbeerwein oder einem heimlichen Glas Schnaps im Stall, das er sich in Gesellschaft des Kutschers und seiner Pferde zu Gemüte zog. In Oxford war die Quantität des Weines unbegrenzt, die Qualität aber sehr schlecht. Wenn sich jedoch Quantität und Qualität vereinigten, wie im Haus seiner Tante, so bewies James, daß er das zu schätzen verstand, und bedurfte kaum der Aufmunterung seines Cousins, um die zweite Flasche, die Mr. Bowls heraufgebracht hatte, zu leeren.

Als jedoch die Kaffeestunde kam und man sich zu den Damen begeben mußte, vor denen der junge Mann große Scheu empfand, verließ ihn seine angenehme Offenheit, und er verfiel wieder in seine gewöhnliche mürrische Schüchternheit. Er begnügte sich den ganzen Abend damit, ja oder nein zu antworten, Lady Jane finster anzublicken und eine einzige Tasse Kaffee umzuwerfen. Wenn er schon nicht sprach, so gähnte er doch mitleiderregend, und seine Gegenwart wirkte sich lähmend auf die sittsamen Vergnügungen des Abends aus, denn Miss Crawley und Lady Jane beim Pikett und Miss Briggs über ihrer Arbeit fühlten, daß er wilde Blicke auf sie warf, und wurden unter seinen weinseligen Augen unruhig.

»Er scheint ein sehr schweigsamer, unbeholfener, scheuer Bursche zu sein«, bemerkte Miss Crawley zu Mr. Pitt.

»Er ist in Männergesellschaft mitteilsamer als bei Damen«, erwiderte Machiavelli trocken, wohl etwas ärgerlich, daß der Portwein James nicht gesprächiger gemacht hatte.

Die frühen Morgenstunden des nächsten Tages verbrachte er damit, seiner Mutter einen schriftlichen Bericht über seine glänzende Aufnahme bei Miss Crawley zu geben. Aber ach, er wußte nicht, welches Unheil ihm der Tag bringen sollte und wie kurz die Zeit der Gnade sein würde. Ein Vorfall, den James vergessen hatte – ein geringfügiger, aber verhängnisvoller Vorfall –, hatte sich am Abend vor dem Besuch bei seiner Tante in »Tom Cribbs Wappen« ereignet. Es war nichts geschehen als dies: James, der stets großzügig und, wenn er etwas getrunken hatte, besonders gastfrei war, hatte im Laufe des Abends dem Preiskämpfer von Tutbury und dem Mann von Rottingdean sowie deren Freunden zwei oder drei Runden Schnaps spendiert, so daß auf Mr. James Crawleys Rechnung nicht weniger als achtzehn Gläser dieses Getränks, jedes zu acht Pence, standen. Es war nicht die Anzahl von acht Pence, sondern die Menge des Schnapses, die verhängnisvoll gegen den Charakter des armen James sprachen, als Mr. Bowls, der Butler der Tante, auf Betreiben seiner Herrin hinunterging, um die Rechnung des jungen Mannes zu begleichen. Der Wirt fürchtete, die Zahlung könnte ganz und gar verweigert werden, und schwor deshalb Stein und Bein, daß der junge Herr den Schnaps bis auf den letzten Tropfen selbst getrunken habe. Schließlich bezahlte Bowls die Rechnung und zeigte sie bei seiner Rückkehr Mrs. Firkin, die über die schreckliche Verschwendung von Schnaps entsetzt war und die Rechnung Miss Briggs, dem Oberbuchhalter, überbrachte. Diese hielt es für ihre Pflicht, den Umstand gegenüber ihrer Prinzipalin, Miss Crawley, zu erwähnen.

Hätte er ein Dutzend Flaschen Rotwein getrunken – die alte Jungfer hätte ihm das verziehen. Mr. Fox und Mr. Sheridan hatten Rotwein getrunken. Gentlemen tranken Rotwein. Aber sich in einer gemeinen Kneipe unter Boxern achtzehn Gläser Schnaps zu Gemüte zu führen – das war ein abscheuliches Verbrechen, das nicht so schnell vergeben werden konnte. Alles verschwor sich heute gegen den jungen Burschen. Nach Stall duftend, kam er von einem Besuch bei seinem Hund Towzer zurück, und als er seinen Freund ein wenig an die frische Luft geführt hatte, hatte er Miss Crawley mit ihrem asthmatischen Wachtelhund getroffen. Towzer hätte das Hündchen aufgefressen, wäre es nicht winselnd unter den Schutz von Miss Briggs geflüchtet, und der abscheuliche Herr der Bulldogge sah dieser entsetzlichen Verfolgung lachend zu.

An diesem Tage hatte den unglücklichen Burschen auch seine gewöhnliche Scheu verlassen. Er war bei Tisch lebhaft und lustig; während des Essens machte er ein paar Witze gegenüber Pitt Crawley; er trank ebensoviel Wein wie tags zuvor und begab sich völlig ahnungslos in den Salon, wo er die Damen mit einigen ausgewählten Oxforder Geschichtchen unterhielt. Er beschrieb die unterschiedlichen boxerischen Fähigkeiten von Molyneux und Dutch Sam. Er bot Lady Jane eine Wette über den Ausgang des Kampfes zwischen dem Tutbury-Liebling und dem Mann von Rottingdean an und überließ es ihr, die Wette zu bestimmen, und krönte den Scherz, indem er seinem Cousin Pitt Crawley anbot, sich mit oder ohne Boxhandschuhe mit ihm zu messen und gleich eine Wette abzuschließen. »Und das ist ein ehrliches Angebot, mein lieber Mann«, sagte er und klopfte Pitt lachend auf die Schulter. »Mein Vater hat mir auch empfohlen, das zu tun, und er will die Hälfte vom Einsatz tragen, haha!« Bei diesen. Worten nickte der nette Jüngling der armen Miss Briggs schlau zu und deutete mit dem Daumen scherzhaft und triumphierend über die Schulter auf Pitt Crawley.

Pitt war wahrscheinlich nicht allzu erfreut darüber, aber dennoch im großen ganzen nicht unglücklich. Der arme Jim lachte noch viel, und als die alte Dame aufstand, um sich zurückzuziehen, schwankte er mit der Kerze seiner Tante durch den Raum und bot ihr mit schmeichelndem, angeheitertem Lächeln den Gutenachtgruß. Dann verabschiedete er sich und ging in sein Schlafzimmer hinauf, völlig mit sich zufrieden und mit dem angenehmen Gedanken, daß er das Geld seiner Tante vor seinem Vater und allen anderen Familienmitgliedern erben würde.

Da er nun einmal in seinem Schlafzimmer war, hätte man eigentlich glauben sollen, er könne die Lage nicht noch verschlimmern; und doch gelang das dem unglückseligen Jungen. Der Mond schien sehr schön über das Meer, und James, den der romantische Anblick des Ozeans und des Himmels ans Fenster gelockt hatte, meinte, sein Vergnügen an der herrlichen Aussicht durch den Genuß eines Pfeifchens noch erhöhen zu können. Er glaubte, niemand würde den Tabakgeruch wahrnehmen, wenn er pfiffigerweise das Fenster öffnete und Kopf und Pfeife in die frische Luft hinaushielte. Und so geschah es. Da aber der arme James ziemlich erregt war, hatte er vergessen, daß die ganze Zeit über seine Tür offenstand; der Wind blies ins Zimmer, es entstand ordentlicher Durchzug, so daß die Tabakwolken die Treppe hinabgetrieben wurden und mit unvermindertem Duft bis zu Miss Crawley und Miss Briggs drangen.

Diese Tabakpfeife machte das Maß voll, und die Bute Crawleys erfuhren nie, wie viele tausend Pfund sie das kostete. Die Firkin rannte zu Bowls hinab, der seinem Adjutanten gerade mit lauter und geisterhafter Stimme aus »Bratpfanne und Feuer« vorlas. Die Firkin erzählte ihm das furchtbare Geheimnis mit so entsetzter Miene, daß Mr. Bowls und sein Gehilfe im ersten Augenblick glaubten, es seien Räuber im Hause, deren Beine die Frau wahrscheinlich unter Miss Crawleys Bett entdeckt hatte. Als er jedoch die wahre Sachlage begriff, war es das Werk einer Minute, die Treppe hinaufzulaufen, wobei er immer drei Stufen auf einmal nahm, in das Zimmer des ahnungslosen James zu stürzen, mit vor Bestürzung halb erstickter Stimme »Mr. James« zu schreien und fortzufahren: »Um Gottes willen, Sir, machen Sie bloß die Pfeife aus!« »Oh, Mr. James, was haben Sie nur getan«, rief er mit pathetischer Stimme, während er das Gerät aus dem Fenster warf. »Was haben Sie nur getan, Sir; die Gnädigste kann das nicht ausstehen.«

»Die Gnädigste braucht ja nicht zu rauchen«, sagte James mit tollem, unangebrachtem Lachen, da er das Ganze für einen Hauptspaß hielt. Allein am anderen Morgen waren seine Gefühle doch ganz anderer Art, als nämlich Mr. Bowls' Gehilfe kam, um Mr. James' Stiefel zu putzen und ihm warmes Wasser zum Rasieren des Bartes zu bringen, den er so sehnlichst erwartete, und Mr. James dabei ein Billett von Miss Briggs' Hand ins Bett reichte.

»Sehr geehrter Herr«, lautete es, »Miss Crawley hat eine äußerst unruhige Nacht verbracht infolge der abscheulichen Verunreinigung des Hauses mit Tabakqualm. Miss Crawley bittet mich, Ihnen zu sagen, wie sehr sie bedauert, daß es ihr zu schlecht geht, Sie vor Ihrer Abreise noch einmal zu sprechen – und vor allem, daß sie Sie veranlaßt habe, von der Kneipe wegzuziehen, wo Sie sich, nach ihrer festen Überzeugung, während Ihres weiteren Aufenthaltes in Brighton weitaus wohler fühlen werden.«

So endete die Laufbahn des guten James als Bewerber um die Gunst seiner Tante. Er hatte wirklich ohne sein Wissen getan, was er angedroht hatte; er hatte gegen seinen Cousin Pitt mit Boxhandschuhen gekämpft.

Wo war aber inzwischen der, der bei diesem Wettrennen ums Geld einmal die meisten Aussichten gehabt hatte? Becky und Rawdon hatten sich, wie wir gesehen haben, nach der Schlacht von Waterloo wieder vereinigt und verbrachten den Winter 1815 in Glanz und Fröhlichkeit in Paris. Rebekka konnte gut haushalten, und die Summe, die der arme Joseph Sedley für ihre zwei Pferde gezahlt hatte, reichte allein hin, um ihr kleines Hauswesen mindestens für ein Jahr über Wasser zu halten; es war nicht nötig, »meine Pistolen, dieselben, mit denen ich Hauptmann Marker erschoß«, oder das goldene Toilettennecessaire oder den zobelgefütterten Mantel zu Geld zu machen. Becky ließ sich aus diesem Mantel einen Umhang fertigen, worin sie zur Bewunderung aller im Bois de Boulogne spazierenfuhr: und du, verehrter Leser, hättest die Szene zwischen ihr und ihrem erfreuten Mann erleben sollen, den sie beim Einmarsch der Armee in Cambray wiedertraf, als sie ihre Kleider auftrennte und all diese Uhren, Schmucksachen, Banknoten, Schecks und Wertgegenstände ans Tageslicht beförderte, die sie in Brüssel, vor ihrer beabsichtigten Flucht, im Futter verborgen hatte! Tufto war ganz bezaubert und Rawdon so erfreut, daß er vor Lachen brüllte und schwor, sie sei besser als jedes Theaterstück, das er je gesehen hatte, beim Zeus! Sie beschrieb ihm mit drolligen Worten, wie sie Joseph geprellt hatte, und das steigerte sein Entzücken zu einer wahnsinnigen Begeisterung. Er glaubte so fest an seine Frau wie die französischen Soldaten an Napoleon.

Sie hatte in Paris große Erfolge. Alle französischen Damen fanden sie reizend. Sie sprach deren Sprache ausgezeichnet und hatte im Nu deren Grazie, Lebhaftigkeit und Manieren angenommen. Ihr Mann war offensichtlich dumm – alle Engländer sind dumm –, aber in Paris ist ein einfältiger Ehemann stets ein Attribut zugunsten einer Dame. Er war der Erbe der reichen und geistvollen Miss Crawley, deren Haus während der Emigration für so viele Angehörige des französischen Adels offengestanden hatte. Sie empfingen die Frau des Obersten in ihren Hotels. »Warum«, schrieb eine vornehme Dame an Miss Crawley, die die Spitzen und Schmucksachen der Herzogin zu deren eigenem Preis abgekauft und sie während der schweren Zeit nach der Revolution oft zum Essen eingeladen hatte – »warum kommt nicht unsere teure Miss zu ihrem Neffen und ihrer Nichte und ihren geneigten Freunden nach Paris? Jedermann ist ganz vernarrt in die bezaubernde junge Frau und ihren Schalk und ihre Schönheit. Ja, wir erkennen in ihr die Grazie, den Charme und den Witz unserer lieben Freundin Miss Crawley! Der König nahm gestern in den Tuilerien Notiz von ihr, und wir sind alle ungemein eifersüchtig auf die Aufmerksamkeit, die Monsieur ihr erweist. Hätten Sie nur den Ärger einer gewissen dummen Lady Bareacres sehen können (deren Habichtnase und Federbarett die Köpfe aller Anwesenden überragen), als die Herzogin von Angoulême, die erhabene Tochter und Gefährtin von Königen, ausdrücklich wünschte, Mrs. Crawley, da sie Ihre liebe Tochter und Ihr protégée ist, vorgestellt zu werden, und ihr im Namen Frankreichs für alle Wohltaten dankte, die Sie unseren Unglücklichen während ihres Exils erwiesen haben. Sie ist auf allen Gesellschaften, auf allen Bällen – ja, sie kommt zu allen Bällen, aber sie tanzt nicht; und doch, wie interessant und hübsch sieht dieses holde Wesen aus, umgeben von der Huldigung der Männer, sie, die so bald Mutter werden wird! Sie von Ihnen, ihrer Beschützerin und Mutter, sprechen zu hören, könnte Menschenfressern Tränen entlocken. Wie sie Sie liebt! Wie sehr wir alle unsere bewundernswerte, verehrungswürdige Miss Crawley lieben!«

Es steht zu befürchten, daß dieser Brief von der großen Pariser Dame Mrs. Beckys Belange bei ihrer bewundernswerten, verehrungswürdigen Verwandten keineswegs günstig beeinflußten. Im Gegenteil, die Wut der alten Jungfer kannte keine Grenzen, als sie vernahm, in welchen Umständen sich Rebekka befand und wie frech sie sich des Namens von Miss Crawley bedient hatte, um in der Pariser Gesellschaft Zutritt zu erlangen. Zu sehr erschüttert an Körper und Geist, um einen Antwortbrief auf französisch abzufassen, diktierte sie der Briggs eine wütende Entgegnung in ihrer Muttersprache, worin sie Mrs. Rawdon Crawley ganz und gar verleugnete und die Öffentlichkeit vor ihr warnte, da sie eine ungemein gerissene und gefährliche Person sei. Da aber die Herzogin von X nur zwanzig Jahre in England gelebt hatte, so verstand sie auch nicht ein Wort von der Sprache und begnügte sich damit, Mrs. Rawdon Crawley bei ihrer nächsten Zusammenkunft mitzuteilen, daß sie einen bezaubernden Brief von der »chere Mies« bekommen habe und daß er nur Liebes und Gutes über Mrs. Crawley enthalte. Diese begann nun ernstlich zu hoffen, daß die alte Jungfer sich doch noch erweichen lassen würde.

Inzwischen war sie die lustigste und am meisten bewunderte aller Engländerinnen und hatte an ihren Empfangsabenden immer einen kleinen europäischen Kongreß bei sich – Preußen und Kosaken, Spanier und Engländer –, die ganze Welt gab sich während dieses berühmten Winters ein Stelldichein in Paris. Beim Anblick der Sterne und Ordensbänder in Rebekkas bescheidenem Salon wäre wohl die ganze Baker Street vor Neid erblaßt. Berühmte Krieger ritten im Bois neben ihrem Wagen oder drängten sich in ihrer bescheidenen kleinen Loge in der Oper. Rawdon war in der besten Laune. Bis jetzt gab es in Paris noch keine ungestümen Gläubiger; täglich fanden bei Vèry oder Beauvilliers Gesellschaften statt; es wurde viel gespielt, und er hatte Glück. Tufto hatte wahrscheinlich schlechte Laune. Mrs. Tufto war nämlich auf ihre eigene Einladung hin nach Paris gekommen, und abgesehen von diesem contretemps, umdrängten nun zwanzig Generale Beckys Platz, und sie hatte die Wahl zwischen zwölf Buketts, wenn sie ins Theater ging. Lady Bareacres und die Spitzen der englischen Gesellschaft, dumme, untadelige Frauenzimmer, wanden sich vor Wut über den Erfolg dieses kleinen Emporkömmlings Becky, deren giftige Witze in ihren keuschen Busen nagten und zuckten. Sie hatte aber alle Männer auf ihrer Seite und bekämpfte die Frauen mit unerschütterlichem Mut. Und die konnten nur in ihrer eigenen Sprache über sie herziehen.

So verging Mrs. Rawdon Crawley der Winter 1815/16 mit Festen, Vergnügungen und gutem Leben. Sie paßte sich in die feine Welt so gut ein, als ob ihre Vorfahren seit Jahrhunderten vornehme Leute gewesen wären, und wegen ihres Witzes, ihres Talents und ihrer Energie verdiente sie wirklich einen Ehrenplatz auf dem Jahrmarkt der Eitelkeit.

Im zeitigen Frühjahr 1816 enthielt »Galignanis Bote« in einer interessanten Ecke folgende Anzeige: »Am 26. März – die Gemahlin Oberstleutnant Crawleys von der Grünen Leibgarde – von einem Sohn und Erben entbunden.«

Diese Anzeige übernahmen die Londoner Zeitungen, und Miss Briggs las Miss Crawley in Brighton beim Frühstück die Erklärung vor. Wenn solch ein Ereignis auch zu erwarten gewesen war, so rief die Nachricht doch eine Krise in den Familienangelegenheiten der Crawleys hervor. Die Wut der alten Jungfer erreichte ihren Höhepunkt, und sie schickte sofort nach Pitt, ihrem Neffen, und nach Lady Southdown vom Brunswick Square und drang auf eine baldige Heirat, die in beiden Familien schon so lange geplant war. Zugleich verkündete sie ihre Absicht, dem jungen Paar noch zu ihren Lebzeiten jährlich tausend Pfund auszusetzen. Nach ihrem Tod sollte dann die Hauptmasse ihres Vermögens ihrem Neffen und ihrer lieben Nichte, Lady Jane Crawley, zufallen. Waxy kam von London, um die Dokumente auszufertigen – Lord Southdown gab seine Schwester zur Ehe. Sie wurde von einem Bischof und nicht von Ehrwürden Bartholomew Irons getraut – zum Ärger dieses irregulären Prälaten.

Nach der Hochzeit hätte Pitt gern eine Hochzeitsreise unternommen, wie es sich für Leute seines Standes schickte. Die alte Dame hatte aber eine so starke Neigung für Lady Jane gefaßt, daß sie rundheraus erklärte, sich von ihrem Liebling nicht trennen zu können. Pitt und seine Frau zogen daher zu Miss Crawley, und Lady Southdown herrschte von ihrem benachbarten Haus aus über die ganze Familie Pitt, Lady Jane, Miss Crawley, die Briggs, die Firkin, Bowls und alle anderen, sehr zum Ärger des armen Pitt, der auf der einen Seite den Launen seiner Tante, auf der anderen denen seiner Schwiegermutter ausgeliefert war und sich sehr unglücklich vorkam. Die Lady verabfolgte ihnen unbarmherzig ihre Traktate und Arzneien; sie entließ Creamer und stellte für ihn Rodgers ein; sie ließ Miss Crawley auch nicht den leisesten Schimmer von Autorität. Die arme Seele wurde so eingeschüchtert, daß sie sogar aufhörte, die Briggs zu tyrannisieren, und sich täglich furchtsamer und liebevoller an ihre Nichte klammerte. Friede über dich, du gütige, egoistische, eitle, großmütige alte Heidin! Wir werden dich nicht wiedersehen. Hoffen wir, daß Lady Jane sie gütig unterstützte und mit sanfter Hand aus dem geschäftigen Treiben des Jahrmarkts der Eitelkeit hinausführte.


 << zurück