Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

20. Kapitel

In dem Hauptmann Dobbin als Bote Hymens auftritt

Ohne zu wissen wie, wurde Hauptmann William Dobbin der große Förderer, Ordner und Dirigent der Heirat George Osbornes mit Amelia. Ohne ihn wäre sie nie zustande gekommen, das mußte er sich selbst mit bitterem Lächeln gestehen. Ausgerechnet er war es, der für die Heirat sorgen mußte. Aber wenn diese Unterhandlung für ihn wirklich eine peinvolle Angelegenheit bedeutete, so war doch Hauptmann Dobbin gewohnt, jede Pflicht ohne viele Worte und langes Zögern zu erfüllen, und da er überzeugt war, daß Miss Sedley vor Kummer sterben würde, wenn sie diesen Mann nicht bekäme, so war er entschlossen, alles in seinen Kräften Stehende zu tun, um sie am Leben zu erhalten.

Ich will auf die Einzelheiten der Unterredung zwischen George und Amelia nicht eingehen, als dieser durch die Vermittlung seines Freundes, des ehrlichen Williams, zu den Füßen (oder dürfen wir sagen: in die Arme?) seiner Geliebten zurückgeführt wurde. Ein weit härteres Herz als Georges wäre geschmolzen beim Anblick des lieblichen Gesichtes, auf dem Schmerz und Verzweiflung ihre Spuren hinterlassen hatten, und bei den einfachen zärtlichen Worten, in denen sie ihre kleine herzzerbrechende Geschichte erzählte. Da sie aber nicht in Ohnmacht fiel, als die zitternde Mutter Osborne zu ihr führte, und da sie ihrem übermäßigen Schmerz erst Luft machen konnte, als sie den Kopf an die Schulter des Geliebten lehnte und dort eine Weile freigebig zärtliche und erfrischende Tränen weinte, dachte die alte Mrs. Sedley ebenfalls sehr erleichtert, es sei wohl das beste, die jungen Leute sich selbst zu überlassen. So ging sie hinaus, während Emmy unter Tränen demütig Georges Hand küßte, als wäre er ihr oberster Herr und Meister, sie aber ein schuldiges und unwürdiges Wesen, das seiner Gunst und Gnade bedürfe.

Diese Demut und süße, widerspruchslose Unterwerfung rührten George Osborne ebenso, wie sie ihm schmeichelten. Er sah in dem einfachen, nachgiebigen, treuen Geschöpf eine Sklavin vor sich, und seine Seele erschauerte insgeheim in der Erkenntnis seiner Macht. Er wollte ein großmütiger Sultan sein und seine knieende Esther aufheben und zur Königin machen. Auch ihre Traurigkeit und Schönheit rührten ihn. Daher tröstete er sie, richtete sie auf und verzieh ihr sozusagen. All ihre Hoffnungen und Gefühle, die dahinwelkten und vergingen, als sie von ihrer Sonne verbannt war, blühten plötzlich wieder, als ihnen das Licht zurückgegeben war. Man hätte an jenem Abend wohl schwerlich das kleine strahlende Gesicht auf Amelias Kissen als das gleiche wiedererkannt, das in der Nacht zuvor so bleich, leblos und gleichgültig für alles um sie her dort gelegen hatte. Das ehrliche irische Dienstmädchen bat, entzückt von der Veränderung, das plötzlich so rosig gewordene Gesicht küssen zu dürfen. Amelia schlang die Arme um den Hals des Mädchens und küßte sie aus tiefstem Herzen wie ein Kind. Sie war auch kaum mehr als ein Kind. In dieser Nacht war ihr Schlaf süß und erquickend wie selten – und welch ein Quell unaussprechlichen Glückes, als sie im Morgensonnenschein erwachte.

Heute kommt er wieder, dachte Amelia. Er ist der größte und beste aller Männer. In Wirklichkeit dachte auch George, er sei eines der edelmütigsten Geschöpfe auf der Welt und er bringe ein ungeheures Opfer, wenn er dieses junge Wesen heirate.

Während sie und Osborne oben ihr entzückendes Tête-à-tête hatten, sprachen die alte Mrs. Sedley und Hauptmann Dobbin über den Stand der Dinge sowie über die Aussichten und das künftige Leben der jungen Leute. Nachdem Mrs. Sedley nun die beiden Liebenden zusammengeführt und sie in inniger Umarmung zurückgelassen hatte, glaubte sie als echte Frau, daß keine Macht auf der Welt Mr. Sedley bewegen würde, der Heirat zwischen seiner Tochter und dem Sohn eines Mannes zuzustimmen, der ihn so schändlich, böse und scheußlich behandelt hatte. Sie erzählte eine lange Geschichte von glücklicheren Tagen und früherem Glanz, als Osborne noch bescheiden in der New Road gelebt hatte und seine Frau nur zu glücklich gewesen war, ein paar von Joes Kindersachen zu bekommen, die Mrs. Sedley ihr bei der Geburt eines der Osborneschen Kinder geschenkt hatte. Die teuflische Undankbarkeit Osbornes hatte Mr. Sedley das Herz gebrochen, davon war sie überzeugt, und er würde nie, nie, nie, niemals in eine Heirat einwilligen.

»Dann müssen sie eben miteinander fliehen, Madame«, sagte Dobbin lachend, »müssen dem Beispiel von Hauptmann Rawdon Crawley und Miss Emmys Freundin, der kleinen Gouvernante, folgen.« War es möglich? Niemals hätte sie...! Mrs. Sedley war ganz aufgeregt über diese Nachricht. Sie wünschte, die Blenkinsop wäre da, um es ebenfalls zu hören, die Blenkinsop habe dieser Miss Sharp immer mißtraut. Ein Glück, daß Joe noch davongekommen war! Und nun beschrieb sie die bereits bekannten Liebesabenteuer zwischen Rebekka und dem Steuereinnehmer von Boggley Wollah.

Dobbin fürchtete allerdings Mr. Sedleys Zorn nicht so sehr wie den des anderen beteiligten Vaters, und er gestand sich, daß er erhebliche Zweifel und Besorgnisse hegte, wie sich der finstere alte Tyrann von einem Kaufmann am Russell Square verhalten werde. Er hat die Heirat entschieden verboten, dachte Dobbin. Er wußte, was für ein wilder, entschlossener Mann Osborne war und wie er zu seinem Wort stand. George darf nur dann auf Versöhnung hoffen, meinte sein Freund, wenn er sich in dem bevorstehenden Feldzug auszeichnet. Fällt er, so gehen beide. Zeichnet er sich nicht aus – was dann? Von seiner Mutter hat er etwas Geld, ich nehme an, genug, um den Majorsrang zu erwerben – oder aber er muß sein Offizierspatent verkaufen und sich in Kanada ansiedeln oder sich in einem Häuschen auf dem Lande durchschlagen. Mit einer solchen Lebensgefährtin würde ihm selbst Sibirien nichts ausmachen, meinte Dobbin. Seltsamerweise dachte dieser weltfremde junge Mann auch nicht einen Augenblick daran, daß das Fehlen der nötigen Mittel, um eine hübsche Equipage zu halten, und das Fehlen eines Einkommens, um die Freunde anständig zu bewirten, eine Schranke zwischen George Osborne und Miss Sedley errichten könnte.

Diese gewichtigen Erwägungen ließen ihn auf eine baldige Heirat drängen. Wollte er etwa selbst, daß die Sache so schnell wie möglich erledigt würde, etwa in der Art von Menschen, die sich bei einem Todesfall mit dem Begräbnis beeilen oder bei einem Abschied auf Eile drängen? Sicher ist, daß Mr. Dobbin, nachdem er die Sache in die Hand genommen hatte, sehr eifrig zu Werke ging. Er stellte George eindringlich vor, wie notwendig es sei, schnell zu handeln. Er wies ihn auf die Aussichten einer Versöhnung mit seinem Vater hin, die durch eine günstige Erwähnung seines Namens in der »Gazette« herbeigeführt werden könnte. Wenn nötig, wollte er selbst hingehen und beiden Vätern mutig gegenübertreten. Auf jeden Fall aber ersuchte er George, die Sache zu erledigen, ehe der allgemein erwartete Marschbefehl käme, der das Regiment ins Ausland riefe.

Mit diesen Heiratsprojekten beschäftigt und mit Mrs. Sedleys Zustimmung und Billigung, der es nicht sonderlich darum zu tun war, die Sache ihrem Manne persönlich mitzuteilen, machte Mr. Dobbin sich auf, um John Sedley in seinem Aufenthaltsort in der City, dem Tapioka-Kaffeehaus, aufzusuchen, wohin der arme gebeugte alte Herr täglich ging, seitdem sein Kontor geschlossen war und das Schicksal ihn ereilt hatte. Dort schrieb und empfing er Briefe und bündelte sie zu geheimnisvollen Päckchen, von denen er stets einige in den Rocktaschen herumtrug. Ich kenne nichts Traurigeres als diese Geschäftigkeit und Geheimnistuerei bei einem ruinierten Mann, als diese Briefe von reichen Leuten, die er einem zeigt, als diese abgegriffenen, schmierigen Dokumente voll Hilfeversprechen und Beileidsbezeigungen, die er einem schweigend vorlegt und auf die er seine Hoffnungen vom Wiederaufkommen und künftigen Glück baut. Dem verehrten Leser hat im Laufe seines Lebens zweifellos schon manch einer dieser unglücklichen Gesellen aufgelauert. Er zieht ihn in eine Ecke, holt einen Packen Papiere aus der weit offenstehenden Rocktasche, löst die Schnur, hält sie im Mund, wählt die schönsten Briefe aus und legt sie vor einen hin. Und wer kennt nicht den traurigen, gierigen, halb wahnsinnigen Blick, den seine hoffnungslosen Augen auf einen heften?

In solch einen Mann verwandelt, fand Dobbin den einst so blühenden, jovialen und reichen John Sedley. Sein Rock, sonst immer elegant und sauber, glänzte jetzt an den Nähten, und an den Knöpfen schimmerte das Kupfer durch. Sein Gesicht war eingefallen und unrasiert. Hemdkrause und Halstuch hingen schlaff unter der ausgebeutelten Weste herab. Wenn er in alten Zeiten die Jungen im Kaffeehaus freigehalten hatte, hatte er lauter als irgendein anderer gelacht und geschrien, und stets hatten alle Kellner bei ihm vollauf zu tun gehabt. Es war jetzt wirklich schmerzlich, zu sehen, wie demütig und höflich er gegenüber John vom Tapioka-Kaffeehaus war, einem triefäugigen alten Diener in dunklen Strümpfen und zerrissenen Tanzschuhen, dessen Geschäft darin bestand, den Gästen dieses trübseligen Gasthauses, wo sonst nichts verzehrt zu werden schien, Gläser voller Oblaten, zinnerne Tintenfässer und Papierbogen zu reichen. Der alte Sedley gab William Dobbin, den er in seinen jungen Jahren wiederholt beschenkt und der dem alten Herrn bei tausend Gelegenheiten zur Zielscheibe seines Witzes gedient hatte, zaghaft und demütig die Hand und nannte ihn »Sir«. Als der gebrochene alte Mann ihn so empfing und ansprach, bemächtigte sich William Dobbins ein Gefühl von Scham und Reue, als hätte er selbst irgendwie Schuld an dem Unglück, das Sedley so tief heruntergebracht hatte.

»Es freut mich unendlich, Hauptmann Dobbin, Sie zu sehen«, sagte er nach einigen verstohlenen Blicken auf seinen Besuch (dessen schlanke Gestalt und dessen militärisches Aussehen einiges Leben in die Triefaugen des Kellners mit den zerrissenen Tanzschuhen brachte und die alte Dame in Schwarz aufgeweckt hatte, die zwischen alten, angeschlagenen Kaffeetassen an der Theke döste). »Wie geht es dem würdigen Alderman und der Lady, Ihrer vortrefflichen Mutter, Sir?« Beim Worte »Lady« blickte er sich nach dem Kellner um, als wollte er sagen: Hörst du, John, ich habe noch Freunde, und zwar Personen von Rang und Ruf. »Kommen Sie in Geschäftsangelegenheiten zu mir, Sir? Meine jungen Freunde Dale und Spiggot führen jetzt alle Geschäfte für mich, bis mein neues Kontor fertig ist; ich bin nämlich nur vorübergehend hier, wissen Sie, Hauptmann. Was können wir für Sie tun, Sir? Wollen Sie etwas zu sich nehmen?«

Stockend und stotternd beteuerte Dobbin, daß er weder Hunger noch Durst verspüre, daß er nicht geschäftlich gekommen sei, sondern nur, um zu fragen, ob es Mr. Sedley gut gehe, und um einem alten Freund die Hand zu drücken. Und er stellte verzweifelt die Wahrheit auf den Kopf, als er hinzufügte: »Meiner Mutter geht es gut – das heißt, sie war krank und wartet jetzt bloß auf den ersten schönen Tag, um auszugehen und Mrs. Sedley einen Besuch abzustatten. Wie geht es Mrs. Sedley, Sir? Hoffentlich ist sie wohlauf.« Hier hielt er inne und überlegte sich seine vollendete Heuchelei, denn der Tag war so schön, und die Sonne strahlte wie nur je in Coffin Court, wo das Tapioka-Kaffeehaus liegt. Und Mr. Dobbin erinnerte sich, daß er Mrs. Sedley noch vor einer Stunde gesehen hatte, als er Osborne in seiner Gig nach Fulham gefahren und dort tête à tête mit Miss Amelia zurückgelassen hatte.

»Meine Frau wird sich sehr freuen, Lady Dobbin zu sehen«, erwiderte Sedley und zog seine Papiere hervor. »Ich habe hier einen sehr freundlichen Brief von Ihrem Vater, Sir, bitte, richten Sie ihm meine ehrerbietigsten Komplimente aus. Lady Dobbin wird unser Haus jetzt etwas kleiner vorfinden als das, in dem wir sonst unsere Freunde empfingen; aber es ist nett, und die Luftveränderung tut meiner Tochter gut, die in der Stadt etwas leidend – Sie erinnern sich doch der kleinen Emmy, Sir? –, ja sehr leidend war.« Während der alte Herr sprach, irrten seine Augen umher, und wie er so dasaß und auf seine Papiere trommelte und mit der alten roten Schnur spielte, dachte er an etwas ganz anderes.

»Sie sind Militär«, fuhr er fort, »ich frage Sie, Bill Dobbin, hätte jemand ahnen können, daß der korsische Schurke je von Elba zurückkommen würde? Als die alliierten Monarchen im verflossenen Jahre hier waren und wir ihnen in der City ein Essen gaben, Sir, und den Tempel der Eintracht, das Feuerwerk und die chinesische Brücke im Sankt-James-Park sahen – konnte da ein vernünftiger Mensch denken, daß nicht wirklich Friede geschlossen sei, nachdem wir doch deswegen schon ein Tedeum gesungen hatten, Sir? Ich frage Sie, William, konnte ich vermuten, daß der Kaiser von Österreich ein verdammter Verräter sei – ein Verräter und nichts anderes? Ich will es nicht beschönigen – ein scheinheiliger, teuflischer Verräter und Intrigant, der die ganze Zeit über beabsichtigte, seinen Schwiegersohn zurückzuhaben. Und ich sage, Bonys Flucht von Elba war ein verdammter Betrug und ein Komplott, Sir, an dem die Hälfte der europäischen Mächte beteiligt war, um die Staatspapiere zu drücken und unser Land zu ruinieren. Deshalb bin ich hier, William. Deshalb steht mein Name in der ›Gazette‹. Warum, Sir? Weil ich dem Kaiser von Rußland und dem Prinzregenten getraut habe. Sehen Sie her. Sehen Sie meine Papiere an. Sehen Sie, wie sie am ersten März standen, wie die französischen Fünfprozentigen standen, als ich sie erwarb. Und wie stehen sie jetzt? Das war ein abgekartetes Spiel, Sir, sonst wäre der Schurke gewiß nie entkommen. Wo war der englische Kommissar, der ihn fliehen ließ? Man sollte ihn erschießen, Sir, sollte ihn vor ein Kriegsgericht stellen und erschießen, beim Zeus!«

»Wir werden Bony bald davonjagen, Sir«, sagte Dobbin, etwas beunruhigt von der Wut des alten Mannes, dessen Stirnadern zu schwellen begannen und der mit geballter Faust auf seine Papiere trommelte. »Wir werden ihn bald davonjagen, Sir, der Herzog ist bereits in Belgien, und wir erwarten täglich Marschbefehl.«

»Gebt ihm keinen Pardon. Bringt den Kopf des Halunken mit! Schießt den Feigling nieder!« brüllte Sedley. »Ich würde selbst ins Feld ziehen, beim..., aber ich bin ein gebrochener, alter Mann – ruiniert von diesem verdammten Schurken und einem Haufen Gaunern und Dieben in unserem Lande, die ich zu Männern gemacht habe, Sir, und die jetzt in einer Equipage fahren«, setzte er mit brechender Stimme hinzu.

Der Zustand dieses einst so gütigen und jetzt durch sein Unglück fast wahnsinnigen und in altersschwachem Zorn wütenden alten Freundes ging Dobbin sehr zu Herzen. Habt Mitleid mit dem gefallenen alten Herrn, ihr, denen Geld und guter Ruf das Höchste bedeuten, und das bedeuten sie sicherlich auch auf dem Jahrmarkt der Eitelkeit.

»Ja«, fuhr er fort, »es gibt Schlangen, die man an seinem Busen nährt und die einen später beißen. Es gibt Bettler, denen man aufs Pferd hilft und die einen als ersten niederreiten. Sie wissen, wen ich meine, William Dobbin, mein Junge. Ich meine einen schurkischen Geldsackprotz am Russell Square, den ich schon kannte, als er noch keinen Shilling besaß, ich bete und hoffe, ihn noch einmal als den Bettler zu sehen, der er war, als ich ihm half.«

»Mein Freund George hat mir etwas davon erzählt, Sir«, sprach Dobbin, bestrebt, nun endlich auf sein Ziel loszusteuern. »Der Streit zwischen Ihnen und seinem Vater hat ihn sehr betrübt, Sir. Ich habe für Sie eine Botschaft von ihm.«

»Ach, deswegen sind Sie also hier!« rief der alte Mann und sprang auf. »Wie? Vielleicht läßt er mir sein Beileid bezeigen, ja? Sehr nett von ihm, dem hochnäsigen Geck mit der Stutzermiene und den West-End-Allüren. Schleicht er immer noch um mein Haus herum? Hätte mein Sohn den Mut eines Mannes, so würde er ihn erschießen. Er ist ein ebenso großer Schurke wie sein Vater. Ich will seinen Namen in meinem Haus nicht hören. Ich verfluche den Tag, wo er es zum erstenmal betrat, und lieber möchte ich meine Tochter tot zu meinen Füßen als mit ihm verheiratet sehen.«

»George ist nicht schuld an der Härte seines Vaters, Sir. Daß Ihre Tochter ihn liebt, dazu haben Sie so gut beigetragen wie er. Wer sind Sie, daß Sie mit der Liebe zweier junger Menschen spielen und ihnen nach Ihrem Belieben das Herz brechen können?«

»Vergessen Sie nicht, daß es nicht sein Vater ist, der die Verbindung abbricht«, rief der alte Sedley aus. »Ich bin es, der sie verbietet. Seine und meine Familie sind für immer und ewig geschieden. Ich bin tief gesunken, aber doch nicht so tief. Nein, nein! Das alles können Sie der ganzen Sippschaft sagen – Sohn, Vater und Schwestern und allen.«

»Ich glaube, Sir, daß Sie weder die Macht noch das Recht haben, die beiden zu trennen«, antwortete Dobbin leise, »und wenn Sie Ihrer Tochter nicht die Zustimmung geben wollen, so wird sie ohne heiraten müssen. Es spricht nichts dafür, daß sie wegen Ihrer Starrköpfigkeit ihr Leben lang unglücklich sein sollte. Meiner Ansicht nach ist sie ebensogut verheiratet, als ob sie schon in allen Kirchen Londons aufgeboten worden wäre. Und kann es auf Osbornes Anschuldigungen gegen Sie eine bessere Antwort geben – wenn es nun schon einmal Anschuldigungen gibt –, als daß sein Sohn in Ihre Familie eintreten und Ihre Tochter heiraten will?«

So etwas wie ein Leuchten der Befriedigung ging über das Gesicht des alten Sedley, als ihm die Sache so dargestellt wurde. Doch blieb er hartnäckig dabei, daß Amelia und George niemals seine Zustimmung zur Heirat erhalten würden.

»Dann müssen wir es eben ohne Sie tun«, sagte Dobbin lächelnd und erzählte nun Mr. Sedley wie vorher seiner Frau die Geschichte von Rebekkas und Hauptmann Crawleys Flucht. Offenbar belustigte die Erzählung des Hauptmanns den alten Herrn. »Ihr seid fürchterliche Burschen, Ihr Hauptleute«, sagte er und band seine Papiere wieder zusammen. Dabei zeigte sich auf seinem Gesicht die Andeutung von einem Lächeln, zum Erstaunen des triefäugigen Kellners, der gerade eintrat und, seit Sedley das trübselige Kaffeehaus besuchte, auf seinem Gesicht noch nie solch einen Ausdruck bemerkt hatte.

Vielleicht besänftigte den alten Herrn auch der Gedanke, seinem Feinde Osborne solch einen Schlag zu versetzen, denn als ihr Gespräch zum Ende kam, schieden er und Dobbin als gute Freunde voneinander.

»Meine Schwestern behaupten, sie habe Diamanten, so groß wie Taubeneier«, sagte George lachend. »Wie mögen die bloß ihren Teint noch hervorheben! Es muß ja eine wahre Illumination sein, wenn ihr die Juwelen am Hals hängen. Ihr kohlschwarzes Haar ist so kraus wie Sambos. Sie muß einen Nasenring getragen haben, als sie bei Hofe vorgestellt wurde. Und mit einem Federbusch im Knoten sähe sie geradezu wie eine belle sauvage aus.«

George machte sich im Gespräch mit Amelia gerade über das Äußere einer jungen Dame lustig, die sein Vater und seine Schwestern kürzlich kennengelernt hatten und die die Familie am Russell Square sehr verehrte. Es hieß, sie besitze wer weiß wie viele Plantagen in Westindien, habe eine schöne Summe in Staatspapieren und drei Sterne neben ihrem Namen im Verzeichnis der Aktionäre der Ostindischen Kompanie. Sie hatte ein Gutshaus in Surrey und ein Haus am Portland Place. Der Name der reichen westindischen Erbin war beifällig in der »Morning Post« erwähnt worden. Mrs. Haggistoun, Oberst Haggistouns Witwe, eine Verwandte von ihr, spielte Anstandsdame bei ihr und führte ihr den Haushalt. Sie war gerade von der Schule gekommen, wo ihre Erziehung vollendet worden war, und George und seine Schwestern hatten sie auf einer Abendgesellschaft im Hause des alten Hulker auf dem Devonshire Place kennengelernt (Hulker, Bullock und Co. hatten lange mit ihrem Hause in Westindien in Geschäftsverbindung gestanden), die Mädchen hatten ihr ein herzliches Entgegenkommen gezeigt, was die Erbin gutmütig zugelassen hatte. Eine Waise in ihrer Stellung – mit ihrem Gelde – wie interessant! sagten die beiden Miss Osborne. Sie waren von ihrer neuen Freundin ganz erfüllt, als sie vom Ball bei Hulker zu Miss Wirt, ihrer Gesellschafterin, heimkehrten. Sie hatten verabredet, einander recht häufig zu besuchen, und ließen gleich am nächsten Tag anspannen, um zu ihr zu fahren. Mrs. Haggistoun, Oberst Haggistouns Witwe, eine Verwandte von Lord Binkie, von dem sie beständig sprach, kam den lieben, unschuldigen Mädchen etwas hochmütig vor und etwas zu geneigt, ständig von ihren vornehmen Verwandten zu sprechen. Aber Rhoda war ganz, wie sie nur wünschen konnten  – offen, freundlich, angenehm, zwar noch etwas ungeschliffen, aber sehr gutmütig. Die Mädchen nannten einander bald nur noch mit Vornamen.

»Sie hätten sie in ihrem Kleid für den Empfang bei Hofe sehen sollen, Emmy«, rief Osborne lachend. »Sie kam zu meinen Schwestern, um sich bewundern zu lassen, ehe sie von Lady Binkie, der Verwandten der Haggistoun, vorgestellt wurde. Diese Haggistoun ist mit jedermann verwandt. Ihre Diamanten funkelten wie Vauxhall an dem Abend, als wir dort waren. (Erinnern Sie sich noch an Vauxhall, Emmy, und wie Joe seinem Lirum-larum-Lieb-chen vorsang?) Diamanten und Mahagoni, meine Liebe. Stellen Sie sich diesen vorteilhaften Kontrast vor – und die weißen Federn in ihrem Haar – ich meine, in ihrer Wolle. Sie hatte Ohrringe, so groß wie Kronleuchter. Man hätte sie anzünden können, beim Zeus. Und eine gelbe Atlasschleppe, die sie wie einen Kometenschweif hinter sich herzog.«

»Wie alt ist sie denn?« fragte Emmy, der George am Morgen ihrer Wiedervereinigung von diesem schwarzen Musterexemplar vorplauderte – vorplauderte, wie gewiß kein anderer Mensch auf der Welt es konnte.

»Ach, die schwarze Prinzessin muß zwei- oder dreiundzwanzig sein, obgleich sie eben erst von der Schule gekommen ist. Und Sie sollten ihre Handschrift sehen! Gewöhnlich schreibt Mrs. Haggistoun ihre Briefe, aber in einem vertraulichen Augenblick brachte sie etwas für meine Schwestern zu Papier, und da schrieb sie dann statt Satin ›Satteng‹ und anstatt Saint James ›Sent Jehms‹.«

»Ja, das muß Miss Swartz sein, Miss Pinkertons Vorzugsschülerin«, sagte Emmy, der das gutmütige junge Mulattenmädchen einfiel, die sich in ihrer Erregung über Amelias Abschied vom Pensionat so hysterisch aufgeführt hatte.

»Stimmt, so heißt sie«, sagte George. »Ihr Vater war ein deutscher Jude – ein Sklavenbesitzer, erzählt man –, der irgend etwas mit den Kannibaleninseln zu tun hatte. Er ist im vergangenen Jahr gestorben, und Miss Pinkerton hat die Erziehung des Mädchens vollendet. Sie kann zwei Stücke auf dem Klavier spielen, kann drei Lieder singen, kann schreiben, wenn Mrs. Haggistoun dabeisitzt und ihr vorbuchstabiert. Und Jane und Maria haben sie bereits so liebgewonnen wie eine Schwester.«

»Ich wollte, sie hätten mich geliebt«, sagte Emmy gedankenvoll. »Sie waren immer sehr kühl gegen mich.«

»Mein liebes Kind, sie hätten Sie geliebt, wenn Sie zweihunderttausend Pfund gehabt hätten«, erwiderte George. »Sie sind nun einmal so erzogen worden. Unsere Gesellschaft kennt eben nichts als das bare Geld. Wir leben unter Bankiers und City-Geldprotzen und hängen uns an sie. Und jeder, der mit einem spricht, klappert mit den Guineen in der Tasche. Da ist dieser Esel Fred Bullock, der Maria heiraten wird, da ist Goldmore, der Direktor der Ostindischen Kompanie, da ist Dipley vom Talghandel – unserem Handel«, sagte George errötend und lachte verlegen. »Zum Teufel mit dem ganzen Pack von protzigen Geldschefflern! Bei ihren langweiligen Festessen schlafe ich immer ein. Ich schäme mich bei den geistlosen großen Gesellschaften meines Vaters. Ich bin gewohnt, mit Gentlemen und vornehmen Leuten zu verkehren, Emmy, nicht mit einem Haufen schildkrötenessender Krämer. Liebes kleines Mädchen, Sie sind die einzige in unseren Kreisen, die wie eine Lady aussieht, denkt und spricht. Und Sie tun es, weil Sie ein Engel sind und nicht anders können. Widersprechen Sie nicht. Sie sind die einzige Lady. Hat es nicht auch Miss Crawley gesagt, die doch in der besten Gesellschaft von Europa gelebt hat? Und der Crawley von der Leibgarde ist, zum Henker, ein feiner Kerl. Es gefällt mir sehr, daß er das Mädchen seiner Wahl geheiratet hat.«

Amelia bewunderte Mr. Crawley ebenfalls deswegen und glaubte, daß Rebekka mit ihm glücklich werde, und meinte lachend, sie hoffe, Joe werde sich wohl trösten. Und so plauderte das Paar ganz wie früher. Amelia hatte ihr Vertrauen wiedergewonnen, obgleich sie vorgab – die kleine Heuchlerin –, sie sei eifersüchtig auf Miss Swartz und schwebe in tausend Ängsten, George könne sie wegen der Erbin, ihres Geldes und ihrer Besitzungen auf Saint Kitts vergessen. Dabei war sie viel zu glücklich, um Zweifel, Befürchtungen oder Besorgnisse irgendeiner Art zu hegen. Und da sie George wieder bei sich hatte, fürchtete sie weder Erbin noch Schönheit, noch eine andere Gefahr.

Als Hauptmann Dobbin am Nachmittag voller Mitgefühl zu ihnen zurückkehrte, tat es ihm im Herzen wohl, zu sehen, wie Amelia wieder jung geworden war, wie sie lachte, zwitscherte und wohlbekannte alte Lieder am Klavier sang, unterbrochen erst von der Haustürklingel, mit der Mr. Sedleys Rückkehr aus der City angekündigt wurde. Das war ein Signal für George, sich zurückzuziehen.

Abgesehen vom ersten Begrüßungslächeln – und auch das war geheuchelt, denn sie empfand sein Kommen als sehr störend –, nahm Miss Sedley während Dobbins Besuch keine Notiz von ihm. Aber er war zufrieden, sie glücklich zu sehen, und dankbar, daß er ihr dazu verholfen hatte.


 << zurück weiter >>