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29. Kapitel

Brüssel

Mr. Joseph hatte für seinen offenen Wagen ein paar Pferde gemietet. Mit diesen Tieren und seinem eleganten Londoner Wagen gab er bei den Spazierfahrten in Brüssel gar keine schlechte Figur ab. George kaufte sich ein Pferd zu eigenem Gebrauch und begleitete mit Hauptmann Dobbin oft den Wagen, in dem Joseph und seine Schwester täglich Ausflüge machten. Sie fuhren wie gewöhnlich auch an diesem Tag zu ihrer Zerstreuung im Park spazieren, und dort erwies es sich, daß Georges Bemerkung über die Ankunft Rawdon Crawleys und seiner Frau stimmte. Inmitten eines kleinen Reitertrupps, einigen der bedeutendsten Personen in Brüssel, war Rebekka zu sehen. Sie trug ein sehr hübsches, eng anliegendes Reitkostüm und saß auf einem prachtvollen kleinen Araber, den sie vortrefflich ritt (sie hatte in Queen's Crawley vom Baronet, Mr. Pitt und Rawdon selbst das Reiten gelernt). Neben ihr der tapfere General Tufto.

»Ha, da ist ja der Herzog selbst«, rief die Majorin O'Dowd Joseph zu, der heftig errötete, »und dort, auf dem Braunen, das ist Lord Uxbridge. Wie elegant er aussieht! Mein Bruder Mallay Malony gleicht ihm wie eine Erbse der anderen.«

Rebekka ritt nicht auf den Wagen zu. Als sie aber ihre alte Freundin Amelia darin sitzen sah, grüßte sie mit einem gnädigen Wort und Lächeln und warf spielerisch eine Kußhand in Richtung des Wagens. Sodann setzte sie ihre Unterhaltung mit General Tufto fort und antwortete auf die Frage, wer denn der dicke Offizier mit der goldbebänderten Mütze sei, es sei ein Offizier in Diensten der Ostindischen Kompanie. Rawdon Crawley jedoch kam herbeigeritten, drückte Amelia herzlich die Hand, fragte Joe: »Nun, alter Knabe, wie geht's?« und starrte Mrs. O'Dowd ins Gesicht und auf die schwarzen Hahnenfedern, bis die Majorin zu glauben anfing, sie habe an ihm eine Eroberung gemacht.

George, der ein wenig zurückgeblieben war, kam sofort mit Dobbin herbeigeritten, und sie grüßten, die Hand an der Mütze, die erlauchten Persönlichkeiten, unter denen Osborne sogleich Mrs. Crawley bemerkte. Er freute sich, zu sehen, wie Rawdon sich vertraulich über seinen Wagen lehnte und mit Amelia sprach, und begegnete dem herzlichen Gruß des Adjutanten mit mehr als angemessener Wärme. Das Kopfnicken zwischen Rawdon und Dobbin gehörte zu den schwächsten Beweisstücken der Höflichkeit.

Crawley erzählte George, daß sie mit General Tufto im Hotel du Parc wohnten, und George ließ sich von seinem Freunde versprechen, die Osbornes recht bald zu besuchen. »Schade, daß ich Sie nicht schon vor drei Tagen sah«, sagte George. »Hatten ein Diner im Restaurant – ganz hübsch. Lord Bareacres und die Gräfin sowie Lady Blanche waren so gütig, mit uns zu speisen – wollte, Sie wären auch dabeigewesen.« Nachdem Osborne so seinem Freund beigebracht hatte, daß er als Mann von Welt angesehen werden wollte, trennte er sich von Rawdon, der der davongaloppierenden vornehmen Gesellschaft in eine Allee hinein folgte, während George und Dobbin wieder ihre Plätze neben dem Wagen Amelias einnahmen.

»Wie gut der Herzog aussah«, bemerkte Mrs. O'Dowd. »Die Wellesleys und Malonys sind doch miteinander verwandt; natürlich würde ich armes Wesen nicht im Traume daran denken, mich vorzustellen, wenn nicht Seine Gnaden es für angemessen hielte, sich unserer Familienbande zu erinnern.«

»Er ist ein großer Soldat«, sagte Joe, der sich jetzt weit behaglicher fühlte, nachdem der bedeutende Herr fort war. »Gab es je eine Schlacht wie die bei Salamanca? Was meinen Sie, Dobbin? Aber wo hat er seine Kunst gelernt? In Indien, mein Junge! Der Dschungel ist die rechte Schule für einen General, merken Sie sich das. Ich habe ihn auch persönlich kennengelernt, Mrs. O'Dowd. Wir beide tanzten in Dumdum am selben Abend mit Miss Cutler, der Tochter Cutlers von der Artillerie, ein verteufelt hübsches Mädchen.«

Die Erscheinung der hohen Herrschaften bot ihnen während der Spazierfahrt, beim Essen und bis zur Stunde, wo sie alle miteinander in die Oper gehen wollten, genug Unterhaltungsstoff.

Es war beinahe wie im alten England. Das Haus war voll von bekannten englischen Gesichtern und den Toiletten, die die Britin schon seit langer Zeit berühmt gemacht hatte. Mrs. O'Dowds gehörte zu den prächtigsten, sie trug auf der Stirn eine Locke und einen Schmuck von irischen Diamanten und Rauchtopasen, der nach ihrer Meinung alles im Hause überstrahlte. Ihre Gegenwart war qualvoll für Osborne. Aber sie hatte nun einmal beschlossen, um jeden Preis alle Vergnügungen mitzumachen, wenn sie hörte, daß ihre Freunde teilnahmen. Es kam ihr nie anders in den Sinn, als daß sie von ihrer Gesellschaft bezaubert sein müßten.

»Sie ist dir nützlich gewesen, meine Liebe«, sagte George zu seiner Frau, die er in ihrer Gesellschaft mit weniger Bedenken allein lassen konnte. »Wie gut ist es aber, daß Rebekka gekommen ist. Sie wird dir eine Freundin sein, und wir können nun diese verdammte Irin loswerden.« Amelia antwortete hierauf weder mit Ja noch mit Nein, und wie können wir wissen, was sie dachte?

Der coup d' œil des Brüsseler Opernhauses war für Mrs. O'Dowd lange nicht so schön wie der des Theaters in der Fishamble Street in Dublin. Auch die französische Musik kam ihrer Meinung nach den Melodien ihres Heimatlandes bei weitem nicht gleich. Mit diesen und anderen sehr laut ausgesprochenen Bemerkungen erfreute sie ihre Freunde, wobei sie mit vornehmer Selbstgefälligkeit einen großen klappernden Fächer hin und her schwenkte.

»Wer ist die wundervolle Frau dort bei Amelia, liebster Rawdon?« fragte in einer gegenüberliegenden Loge eine Dame (die, schon zu Hause fast immer höflich gegenüber ihrem Mann, in der Öffentlichkeit liebevoller denn je zu ihm war).

»Siehst du nicht dieses Wesen dort, mit dem gelben Ding auf dem Turban und einem roten Atlaskleid und einer großen Uhr?«

»Neben der hübschen kleinen Frau in Weiß?« fragte ein Mann mittleren Alters, der neben der Fragerin saß. Er trug Orden im Knopfloch und verschiedene Unterwesten und eine große, weiße Halsbinde, die ihn fast erwürgte.

»Die hübsche Frau in Weiß ist Amelia, General. Sie bemerken doch gleich alle hübschen Frauen, Sie ungezogener Mann!«

»Bei Gott, nur eine in der Welt!« sagte der General ganz entzückt, und die Dame versetzte ihm einen sanften Schlag mit dem großen Bukett, das sie in der Hand hielt.

»Bei Gott, er ist es«, sagte Mrs. O'Dowd, »und es ist dasselbe Bukett, das er auf dem Blumenmarkt gekauft hat!« Als Rebekka dem Blick ihrer Freundin begegnet war und noch einmal die kleine Handkußszene spielte, bezog die Majorin O'Dowd das Kompliment auf sich selbst und erwiderte den Gruß mit einem graziösen Lächeln, was den unglücklichen Dobbin wieder prustend aus der Loge trieb.

Nach dem ersten Akt war George sofort aus der Loge verschwunden, um Rebekka seine Aufwartung zu machen. Im Foyer traf er Crawley, und sie wechselten einige Worte über die Vorfälle der letzten vierzehn Tage.

»War der Scheck auf meinen Agenten in Ordnung?« fragte George mit schlauer Miene.

»Jawohl, mein Junge«, antwortete Rawdon. »Soll mir ein Vergnügen sein, Ihnen Revanche zu geben. Der Alte herumgebracht?«

»Noch nicht«, sagte George, »wird aber bald sein. Und wissen Sie, ich habe etwas Vermögen von meiner Mutter. Ist Tantchen weich geworden?«

»Hat mir zwanzig Pfund geschickt, der verdammte alte Geizkragen. Wann treffen wir uns wieder einmal? Dienstag speist der General auswärts. Können Sie nicht Dienstag kommen? Und dann noch, veranlassen Sie doch Sedley bloß, sich den Schnurrbart abzurasieren. Was, zum Henker, braucht ein Zivilist einen Schnurrbart und die verdammten Borten am Rock. Adieu! Sehen Sie zu, daß Sie Dienstag kommen können.« Und Rawdon entfernte sich mit zwei eleganten jungen Herren, die wie er dem Generalstab angehörten.

George war nur halb erfreut, gerade für den Tag eine Einladung zu erhalten, an dem der General nicht dabei war. »Ich will hineingehen und Ihrer Frau meine Aufwartung machen«, sagte er, und Rawdon antwortete mit finsterem Blick: »Hm, wenn es Ihnen beliebt.« Die beiden jungen Offiziere tauschten verständnisinnige Blicke. George trennte sich von ihnen und stolzierte durch das Foyer zur Loge des Generals, deren Nummer er sich gut ausgerechnet hatte.

»Entrez!« rief ein helles Stimmchen, und unser Freund fand sich Rebekka gegenüber. Vor Freude, ihn zu sehen, sprang sie auf, klatschte in die Hände und streckte sie George entgegen. Der General, die Orden im Knopfloch, starrte den Neuankömmling finster an, als wollte er sagen: Wer, zum Teufel, sind Sie?

»Mein lieber Hauptmann George!« rief die kleine Rebekka ganz entzückt. »Wie nett von Ihnen, mich aufzusuchen. Der General und ich, wir langweilen uns so bei unserem Tête-à-tête. General, das ist mein Hauptmann George, von dem ich Ihnen schon erzählt habe.«

»Soso«, sagte der General mit einer ganz leichten Verbeugung, »zu welchem Regiment gehört Hauptmann George?«

George nannte das ...te Regiment. Wie gern hätte er von einem glänzenden Kavalleriekorps gesprochen!

»Wie ich glaube, erst kürzlich aus Westindien zurückgekommen, wie? Vom letzten Krieg nicht viel erlebt. Hier einquartiert, Hauptmann George?« fuhr der General mit eisigem Hochmut fort.

»Nicht Hauptmann George, Sie Dummerchen, Hauptmann Osborne«, sagte Rebekka. Der General blickte während der ganzen Zeit wütend von einem zum anderen.

»Hauptmann Osborne, soso, mit den Osbornes von L. verwandt?«

»Wir führen das gleiche Wappen«, sagte George wahrheitsgemäß, da Mr. Osborne vor fünfzehn Jahren bei der Anschaffung seines Wagens einen Heraldiker in Long Acre zu Rate gezogen hatte und sich aus dem Adelskalender das Wappen der Osbornes von L. herausgesucht hatte. Darauf erwiderte der General nichts, sondern nahm sein Theaterfernrohr – das doppelläufige Opernglas war in jenen Tagen noch nicht erfunden – und stellte sich, als betrachte er das Haus; aber Rebekka sah wohl, daß sein freies Auge nach ihr schielte und blutdürstige Blicke auf sie und George schoß.

Sie verdoppelte ihre Herzlichkeit. »Wie geht es der lieben Amelia? Aber ich brauche ja gar nicht zu fragen – wie hübsch sie aussieht! Und wer ist das nette, gutmütig aussehende Geschöpf neben ihr – wohl eine Flamme von Ihnen? Oh, ihr bösen Männer! Und dort ißt Mr. Sedley Eis, nein, wie es ihm schmeckt! General, warum haben wir kein Eis bekommen?«

»Soll ich Ihnen welches holen?« sagte der General wutschnaubend.

»Lassen Sie mich gehen, ich bitte Sie darum«, sagte George.

»Nein, ich will Amelia in ihrer Loge aufsuchen. Liebes, süßes Mädchen! Geben Sie mir bitte den Arm, Hauptmann George.« Nach diesen Worten nickte sie dem General leicht zu und trippelte in das Foyer hinaus. Kaum waren sie draußen, so warf sie George einen sehr seltsam schlauen Blick zu, einen Blick, der in Worten ausgedrückt hätte bedeuten können: Sehen Sie nicht, wie die Dinge stehen und wie ich ihn zum Narren halte? Aber er bemerkte den Blick nicht. Er dachte an seine eigenen Pläne und war in prahlerische Bewunderung seiner eigenen Unwiderstehlichkeit versunken.

Die Flüche, die der General vor sich hin murmelte, sobald Rebekka und ihr Eroberer ihn verlassen hatten, waren so schrecklich, daß sicherlich kein Setzer in der Firma von Bradbury und Evans es wagen würde, sie zu setzen, wenn ich sie aufgeschrieben hätte. Sie kamen dem General aus der Tiefe des Herzens, und es ist doch wunderlich, wenn man sich überlegt, daß das menschliche Herz solche Produkte erzeugt, daß es, wie es die Gelegenheit erfordert, eine solche Menge von Begierde und Zorn, Wut und Haß zutage bringen kann.

Auch Amelias sanfte Augen hatten sich ängstlich auf das Paar geheftet, dessen Benehmen den eifersüchtigen General so erhitzt hatte. Als aber Rebekka die Loge betrat, flog sie der Freundin mit einem liebevollen Entzücken entgegen, obwohl das Publikum sie sehr gut beobachten konnte, denn sie umarmte ihre liebste Freundin vor dem ganzen Haus oder doch zumindest unter dem Fernglas des Generals, das jetzt gerade auf die Osbornesche Gesellschaft gerichtet war. Mrs. Rawdon begrüßte auch Joseph sehr freundlich. Sie bewunderte Mrs. O'Dowds große Rauchtopasbrosche und ihre prachtvollen irischen Diamanten und wollte gar nicht glauben, daß sie nicht direkt von Golkonda kämen. Sie plauderte, drehte und wendete sich und lächelte bald diesem, bald jenem zu, alles unter dem eifersüchtigen Fernglas gegenüber. Als das Ballett anfangen sollte (in dem keine Tänzerin echter spielte und sich besser verstellte), hüpfte sie wieder in ihre eigene Loge zurück, diesmal an Hauptmann Dobbins Arm. Nein, sie wollte Georges Arm nicht nehmen, er sollte bei seiner allerliebsten, besten, kleinen Amelia bleiben und mit ihr plaudern.

»Was für eine Schwindlerin doch diese Frau ist«, murmelte der alte ehrliche Dobbin George zu, als er aus Rebekkas Loge, wohin er sie schweigend und mit Leichenbittermiene begleitet hatte, zurückkam. »Sie dreht und wendet sich wie eine Schlange. Hast du nicht gemerkt, George, daß sie die ganze Zeit, wo sie hier war, für den General da drüben gespielt hat?«

»Schwindlerin – gespielt? Zum Henker, sie ist die netteste kleine Frau in ganz England«, erwiderte George. Er zeigte seine weißen Zähne und zwirbelte seinen ambrosiaduftenden Backenbart. »Du bist kein Mann von Welt, Dobbin, verdammt, sieh mal hinüber, in der kurzen Zeit hat sie Tufto beschwatzt! Sieh nur, wie er lacht! Bei Gott, was für Schultern sie hat! Emmy, warum hast du kein Bukett? Jeder hat doch ein Bukett.«

»Na ja, warum haben Sie ihr denn eigentlich keins gekauft?« fragte Mrs. O'Dowd, und sowohl Amelia als auch William Dobbin waren ihr für diese treffende Bemerkung dankbar. Trotzdem fand keine der beiden Damen ihre gute Laune wieder. Amelia war ganz überwältigt von dem verwirrenden Glanz und dem eleganten Geplauder ihrer gewandten Rivalin. Selbst die O'Dowd war schweigsam und unterworfen von Beckys brillanter Erscheinung und sagte den ganzen Abend über kaum noch ein Wort von Glenmalony.

»Wann wirst du endlich das Spielen aufgeben, George, wie du es mir in den letzten hundert Jahren andauernd versprochen hast?« fragte Dobbin seinen Freund ein paar Tage nach dem Opernbesuch. »Und wann wirst du endlich das Predigen aufgeben?« lautete die Antwort des anderen. »Weshalb, zum Henker, Mann, regst du dich so auf? Wir spielen niedrig; ich habe gestern abend gewonnen. Du glaubst doch nicht etwa, daß Crawley betrügt? Wenn man ehrlich spielt, gleicht es sich bis zum Ende des Jahres wieder aus.«

»Aber ich glaube nicht, daß er bezahlen könnte, wenn er verlöre«, sagte Dobbin. Der Rat des guten William hatte den Erfolg, den ein guter Rat gewöhnlich hat. Osborne und Crawley waren jetzt häufig zusammen. General Tufto speiste fast immer auswärts. George war stets willkommen in den Räumen, die der Adjutant und seine Frau, wirklich sehr dicht neben denen des Generals, im Hotel bewohnten.

Als George mit Amelia Crawley und dessen Frau in dieser Wohnung besucht hatte, führte sich Amelia so auf, daß es fast zu ihrem ersten Streit gekommen wäre. George schalt seine Frau heftig, weil sie erst zu verstehen gab, daß sie nicht mitgehen wollte, und sich dann so hochmütig gegenüber ihrer alten Freundin, Mrs. Crawley, benahm. Amelia antwortete keinen Ton darauf. Aber beim zweiten Besuch, unter den Augen ihres Mannes und Rebekkas prüfendem Blick, war sie womöglich noch scheuer und unbeholfener als beim ersten.

Rebekka war natürlich doppelt liebevoll und wollte von der Kälte ihrer Freundin nicht die mindeste Notiz nehmen. »Ich glaube, Emmy ist stolzer geworden, seitdem der Name ihres Vaters in der ... seit Mr. Sedleys Unglück«, sagte Rebekka, wobei sie den Satz für Georges Ohr barmherzig milderte.

»Auf mein Wort, als wir in Brighton waren, glaubte ich, daß sie mir die Ehre erwiese, eifersüchtig auf mich zu sein, und jetzt stößt sie sich wahrscheinlich daran, daß Rawdon, ich und der General zusammen wohnen. Aber, Kindchen, wie könnten wir mit unseren geringen Mitteln überhaupt leben, wenn wir nicht einen Freund hätten, der die Kosten mit uns teilt? Und glauben Sie denn, Rawdon sei nicht groß genug, um über meiner Ehre zu wachen? Aber ich bin Emmy sehr verbunden, sehr«, sagte Mrs. Rawdon.

»Pah, Eifersucht!« antwortete George. »Alle Frauen sind eifersüchtig.«

»Und alle Männer auch. Waren Sie an dem Abend in der Oper nicht eifersüchtig auf General Tufto und der General auf Sie? Hach, er hätte mich am liebsten gefressen, als ich mit Ihnen ging, um Ihre närrische kleine Frau zu besuchen. Als ob ich mir auch nur einen Pfifferling aus einem von euch machte«, sagte Crawleys Frau und warf keck den Kopf in den Nacken. »Wollen Sie hier speisen? Der Dragoner speist bei dem Oberbefehlshaber. Wichtige Nachrichten soll es geben. Man sagt, die Franzosen hätten die Grenze überschritten. Wir können ganz ruhig essen.«

George nahm die Einladung an, obwohl seine Frau sich nicht ganz wohl fühlte. Sie waren jetzt noch nicht sechs Wochen verheiratet. Eine andere Frau verlachte und verhöhnte sie, und er ließ es ruhig geschehen. Er war nicht einmal mit sich selbst böse, der gutmütige Bursche. Es ist eine Schande, gestand er sich; allein, zum Henker! was kann ein junger Kerl tun, wenn sich ihm eine hübsche Frau an den Hals wirft? »Ich springe mit Frauen eben ziemlich frei um«, hatte er oft lächelnd und verständnisinnig nickend zu Stubble, Spooney und anderen Kameraden am Offizierstisch gesagt, und sie achteten ihn wegen dieser Tapferkeit nur um so mehr. Nächst Kriegseroberungen sind seit undenklichen Zeiten Liebeseroberungen bei Männern auf dem Jahrmarkt der Eitelkeit stets eine Quelle des Stolzes gewesen; denn warum sollten sonst Schulbuben mit ihren Liebschaften prahlen und Don Juan so beliebt sein?

So versuchte denn Mr. Osborne in der Überzeugung, er sei ein Herzensbrecher und seine Bestimmung sei es, Frauen zu erobern, nicht, gegen sein Schicksal anzukämpfen, sondern ergab sich selbstzufrieden darein. Und da Emmy nicht viel sagte und ihn nicht mit ihrer Eifersucht plagte, sondern bloß unglücklich wurde und sich im stillen grämte, so bildete er sich ein, daß sie gar keine Ahnung von dem hätte, was doch keinem seiner Bekannten verborgen war – dem verzweifelten Flirt, der sich zwischen ihm und Mrs. Crawley angesponnen hatte. Sooft sie frei war, ritt er mit ihr aus. Bei Amelia schützte er Regimentsgeschäfte vor (eine Lüge, die sie nicht zu täuschen vermochte). Er überließ seine Frau der Einsamkeit oder der Gesellschaft ihres Bruders und verbrachte seine Abende bei den Crawleys. Er verlor sein Geld an den Mann und schmeichelte sich, daß die Frau sterblich in ihn verliebt sei. Höchstwahrscheinlich hatte sich das würdige Paar nie direkt gegen ihn verschworen und ausgesprochen, daß der eine dem jungen Mann um den Bart gehen sollte, während der andere ihm beim Kartenspiel sein Geld abzugewinnen habe; aber sie verstanden sich völlig, und Rawdon ließ Osborne stets gutgelaunt kommen und gehen.

George war mit seinen neuen Bekannten so beschäftigt, daß er mit William Dobbin weit weniger zusammen war als früher. George mied ihn in der Öffentlichkeit und beim Regiment und liebte, wie wir wissen, die Predigten nicht, mit denen sein älterer Freund ihn so gern heimsuchte. Georges Benehmen stimmte Hauptmann Dobbin oftmals außerordentlich ernst und kühl; doch was nützte es, George zu sagen, daß er trotz seines mächtigen Backenbartes und seines großen Selbstgefühls so grün wie ein Schuljunge war, daß er Rawdons Opfer werden würde, wie schon viele zuvor, und daß dieser ihn verächtlich abschütteln werde, wenn er ihn ausgenützt habe? Er würde ja doch nicht zuhören; und da Dobbin an den Tagen, an denen er Osbornes Haus aufsuchte, seinen alten Freund selten traf, wurden ihnen viele schmerzliche nutzlose Gespräche erspart. Unser Freund George genoß mit vollen Zügen die Freuden des Jahrmarkts der Eitelkeit.

Seit den Tagen des Königs Darius hat sich wohl kaum einem Heer ein so glänzendes Gefolge angeschlossen wie im Jahre 1815 dem des Herzogs von Wellington in den Niederlanden. Dieses Gefolge führte die Armee des Herzogs sozusagen tanzend und feiernd der Schlacht entgegen. Ein Ball, den eine edle Herzogin am 15. Juni dieses Jahres in Brüssel gab, ist historisch geworden. Ganz Brüssel war in Aufruhr deshalb, und ich habe von Damen, die sich zu jener Zeit in dieser Stadt aufhielten, gehört, daß sich ihre Geschlechtsgenossinnen weit mehr für den Ball interessierten und erhitzten als für den Feind an der Front. Die Kämpfe, Intrigen und Bitten um Karten waren so, wie nur englische Damen sie anstrengen können, die in die Gesellschaft der Großen ihrer Nation zugelassen werden wollen.

Joseph und Mr. O'Dowd, die darauf brannten, eingeladen zu werden, bemühten sich vergeblich, Karten zu erhalten; aber andere unserer Freunde waren glücklicher. So erhielt zum Beispiel George durch Vermittlung von Lord Bareacres als Ausgleich für das Diner in dem Restaurant eine Karte für Hauptmann und Mrs. Osborne. Er war nicht wenig stolz darauf. Dobbin, der ein Freund des kommandierenden Generals der Division, zu der ihr Regiment gehörte, war, kam eines Tages lachend zu Mrs. Osborne und zeigte eine gleiche Einladungskarte vor, was den guten Joseph neidisch machte und George verwunderte, wie zum Teufel denn der sich Zutritt zu so vornehmer Gesellschaft verschaffen konnte. Mr. und Mrs. Rawdon waren natürlich auch eingeladen, wie es Freunden des Generals einer Kavalleriebrigade zukam.

An dem festgesetzten Abend fuhren George und Amelia, der er neue Kleider und Schmuck aller Art hatte kommen lassen, auf den berühmten Ball, wo seine Frau auch nicht eine Seele kannte. Nachdem er sich nach Lady Bareacres umgesehen hatte, die ihn aber schnitt, weil sie dachte, die Einladung sei genug, setzte er Amelia auf eine Bank und überließ sie ihren eigenen Gedanken. Er war der Ansicht, daß er sich doch recht anständig benommen hatte, ihr neue Kleider zu kaufen und sie auf den Ball mitzunehmen, nun stand es ihr doch frei, sich zu amüsieren, wenn sie Lust hatte. Ihre Gedanken waren nicht sehr heiter, und außer dem ehrlichen Dobbin kam niemand, um sie darin zu stören.

Während ihr Erscheinen gar kein Aufsehen erregte (wie ihr Gatte mit einiger Wut feststellte), war Mrs. Rawdon Crawleys Debüt dagegen sehr glänzend. Sie kam spät. Ihr Gesicht strahlte, ihre Kleidung war vollkommen. Inmitten der anwesenden hohen Persönlichkeiten und der auf sie gerichteten Augengläser schien Rebekka so kaltblütig und gefaßt zu sein wie damals, als sie die kleinen Mädchen bei Miss Pinkerton zur Kirche geführt hatte. Viele der Herren kannte sie bereits, und sämtliche Stutzer umdrängten sie. Die Damen flüsterten untereinander, Rawdon habe sie aus einem Kloster entführt und sie sei eine Verwandte der Montmorencys. Sie sprach so vollendet Französisch, daß an dem Gerücht wohl etwas Wahres sein konnte. Man war sich einig, daß sie sehr gute Manieren habe und sehr vornehm auftrete. Fünfzig Tänzer umringten sie auf einmal und drängten auf die Ehre, mit ihr tanzen zu dürfen. Aber sie sagte, sie sei bereits engagiert und wolle nur sehr wenig tanzen. Dann eilte sie zu dem Platz, wo Emmy völlig unbeachtet und tief unglücklich saß. Und um das arme Kind unmöglich zu machen, begrüßte Mrs. Rawdon ihre liebste Amelia herzlich und fing sofort an, sie zu begönnern. Sie hatte am Kleid und an der Frisur ihrer Freundin etwas auszusetzen und wunderte sich, wie sie nur so chaussée sein könne, und sie bestand darauf, ihr gleich am nächsten Morgen ihre corsetière zu schicken. Sie beteuerte, daß es ein herrlicher Ball sei, daß alle da seien, die jedermann kenne, und daß nur ganz wenige gesellschaftliche Nullen im Saal seien. Tatsächlich hatte diese junge Frau schon nach vierzehn Tagen und drei Diners in der Gesellschaft sich so den vornehmen Jargon angeeignet, daß ein Angehöriger dieser Klasse ihn nicht besser hätte sprechen können. Und nur daraus, daß ihr Französisch so gut war, konnte man ersehen, daß sie von Geburt keine Dame war.

George, der Amelia beim Eintritt in den Ballsaal auf ihrer Bank gelassen hatte, fand bald seinen Weg zu ihr zurück, als Rebekka bei ihrer lieben Freundin war. Becky belehrte eben Mrs. Osborne über die Torheiten, die ihr Mann beging. »Um Himmels willen, meine Liebe, halt ihn vom Spielen zurück, sonst ruiniert er sich noch«, sagte sie. »Er und Rawdon spielen jeden Abend Karten, und du weißt, wie arm er ist, und Rawdon gewinnt ihm jeden Shilling ab, wenn er sich nicht vorsieht. Warum verhinderst du es nicht, du sorgloses Geschöpfchen? Warum kommst du nicht abends zu uns, anstatt dich mit diesem Hauptmann Dobbin daheim zu langweilen? Er ist gewiß très aimable, aber wie kann man einen Mann mit so großen Füßen lieben? Die Füße deines Mannes dagegen sind süß – ah, da kommt er ja. Wo sind Sie gewesen, Sie Böser? Emmy weint sich inzwischen Ihretwegen die Augen aus. Wollen Sie mich zur Quadrille holen?« Und sie ließ ihr Bukett und ihren Schal bei Amelia und trippelte mit George davon zum Tanzen. Nur Frauen können so verletzen. Sie haben an den Spitzen ihrer kleinen Pfeile ein Gift, das tausendmal mehr schmerzt als die stumpfere Waffe eines Mannes. Unsere arme Emmy, die in ihrem ganzen Leben noch nie gehaßt, noch nie gehöhnt hatte, war machtlos in den Händen ihrer unbarmherzigen kleinen Feindin.

George tanzte zwei- oder dreimal mit Rebekka, wie oft, wußte Amelia kaum. Sie saß völlig unbeachtet in ihrer Ecke, und nur Rawdon kam einmal und versuchte ungeschickt, sich ein wenig mit ihr zu unterhalten, und spät am Abend war Hauptmann Dobbin so kühn, ihr ein paar Erfrischungen zu bringen und sich zu ihr zu setzen. Er mochte sie nicht fragen, warum sie so traurig sei, aber als Erklärung für die Tränen in ihren Augen sagte sie, Mrs. Crawley habe sie erschreckt, als sie ihr erzählte, daß George immer noch spiele.

»Es ist doch komisch, von welchen plumpen Schuften sich ein Mann betrügen läßt, wenn er hinter dem Spiel her ist«, sagte Dobbin, und Emmy antwortete: »Ja, wirklich.« Sie dachte an etwas anderes. Es war nicht der Verlust des Geldes, der ihr Kummer machte.

Schließlich kam George zurück, um Rebekkas Schal und ihre Blumen zu holen. Sie ging und ließ sich nicht einmal herab, zurückzukommen, um sich von Amelia zu verabschieden. Das arme Mädchen ließ ihren Mann kommen und gehen, ohne auch nur eine Silbe zu sagen, und ließ traurig den Kopf hängen. Dobbin war weggerufen worden und flüsterte angelegentlich mit dem Divisionsgeneral, seinem Freund. Er hatte diesen Abschied nicht beobachtet. George entfernte sich mit dem Bukett. Als er es aber der Eigentümerin übergab, lag ein Briefchen, zusammengerollt wie eine Schlange, in den Blumen. Rebekka fiel es sofort ins Auge. Schon in frühester Jugend war sie es gewohnt, mit Briefchen umzugehen. Sie streckte ihre Hand aus und nahm den Strauß. Ihre Augen trafen sich, und er sah, daß sie wußte, was sie darin finden würde. Ihr Mann führte sie eiligst davon, scheinbar viel zu sehr mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt, um die Zeichen der Verständigung zwischen seinem Freund und seiner Frau zu bemerken. Sie waren auch nicht sehr auffällig. Rebekka reichte George die Hand mit einem ihrer raschen schlauen Blicke, knickste und entfernte sich. George beugte sich über ihre Hand, erwiderte nichts auf eine Bemerkung Crawleys, ja hörte sie nicht einmal. Sein Gehirn fieberte vor Triumph und Aufregung, und er ließ sie wortlos gehen.

Seine Frau sah zumindest einen Teil der Bukettszene. Daß George auf Rebekkas Bitte ihren Schal und die Blumen holte, war ganz in Ordnung, das hatte er im Laufe der letzten Tage zwanzigmal getan, aber jetzt wurde es ihr doch zuviel. »William«, sagte sie und klammerte sich plötzlich an Dobbin, der ganz in der Nähe stand, »Sie sind immer sehr freundlich zu mir gewesen – mir ist – mir ist nicht gut. Bringen Sie mich nach Hause.« Sie wußte nicht, daß sie ihn mit dem Vornamen ansprach, wie es George sonst tat. Rasch ging er mit ihr davon. Ihre Wohnung war ganz in der Nähe, und sie schlängelten sich durch die Menge draußen, die in noch größerer Bewegung war als im Ballsaal.

George war schon ein paarmal ärgerlich gewesen, als er, von einer Gesellschaft nach Hause gekommen, seine Frau noch auf fand. Sie legte sich daher bald ins Bett, aber obgleich sie nicht schlief und der Lärm und das Getöse und das Pferdegetrappel kein Ende nahm, so hörte sie doch nichts von alldem, da ganz andere Aufregungen sie wach hielten.

Unterdessen ging Osborne, ganz berauscht in seinem Hochmut, an einen Spieltisch und fing an, wie wild zu setzen. Er gewann wiederholt. »Heute abend gelingt mir alles«, sagte er. Aber nicht einmal das Glück im Spiel heilte ihn von seiner Ratlosigkeit.

Er sprang daher nach einer Weile auf, steckte seinen Gewinn ein und ging an ein Büfett, wo er mehrere Gläser Wein hinunterstürzte. Hier fand ihn Dobbin, als er mit den Umstehenden überschäumend vor Lebhaftigkeit schwatzte und laut lachte. Er hatte seinen Freund schon an den Spieltischen gesucht. Dobbin war so blaß und ernst, wie sein Kamerad rot und lustig war.

»Hallo, Dob! Komm und trink, alter Dob! Der Wein des Herzogs ist famos. Geben Sie mir noch etwas, mein Herr«, und er streckte sein zitterndes Glas aus.

»Komm mit raus, George«, sagte Dobbin, immer noch ernst. »Laß das Trinken!«

»Das Trinken! Es gibt nichts Besseres auf der Welt. Trink selbst, damit deine Wangen ein bißchen Farbe bekommen, alter Junge. Auf dein Wohl!«

Dobbin trat ganz nahe an ihn heran und flüsterte ihm etwas zu, worauf George hochfuhr, ein wildes Hurra ausstieß, sein Glas austrank, es klirrend auf den Tisch stellte und sich am Arme seines Freundes eiligst entfernte. »Der Feind hat die Sambre überschritten«, sagte William, »und unser linker Flügel kämpft bereits. Komm fort. In drei Stunden müssen wir marschieren.«

George ging mit Dobbin davon, und seine Nerven zitterten vor Aufregung über die so lange erwartete Nachricht, die doch so plötzlich kam. Was bedeuteten jetzt Liebe und Intrigen? Er dachte, während er mit eiligen Schritten seinem Quartier zustrebte, an tausend andere Dinge – an sein vergangenes Leben und seine Aussichten für die Zukunft, an das Schicksal, das ihn erwarten konnte, an die Frau, vielleicht an das Kind, von dem er, ohne es gesehen zu haben, scheiden mußte. Ach, könnte er doch die Ereignisse des Abends ungeschehen machen und dem zarten und reinen Wesen mit ruhigem Gewissen Lebewohl sagen, dessen Liebe er so geringgeachtet hatte!

Er dachte über sein kurzes Eheleben nach. In diesen wenigen Wochen hatte er sein kleines Kapital furchtbar verschwendet. Wie wild und rücksichtslos war er doch gewesen! Was blieb ihr, wenn ihm ein Unglück zustieße? Wie unwürdig war er ihrer. Warum hatte er sie geheiratet? Er war nicht für die Ehe geboren. Warum hatte er seinem Vater nicht gehorcht, der doch stets so großmütig gegen ihn gewesen war? Hoffnung, Reue, Ehrgeiz, Zärtlichkeit und egoistisches Bedauern erfüllten sein Herz. Er setzte sich nieder und schrieb an seinen Vater, dabei fiel ihm ein, was er schon einmal gesagt hatte, als er vor einem Duell stand. Die Morgendämmerung warf bereits ihre zarten Streifen über den Himmel, als er den Abschiedsbrief beendete. Er versiegelte ihn und küßte die Aufschrift. Er dachte daran, wie er diesen großzügigen Vater verlassen hatte, und an das viele Gute, das ihm der strenge alte Mann erwiesen hatte.

Er hatte einen Blick in Amelias Schlafzimmer geworfen, als er nach Hause kam. Sie lag ruhig, ihre Augen schienen geschlossen, und er war froh, daß sie schlief. Vom Balle zurückgekehrt, hatte er seinen Burschen schon inmitten der Vorbereitungen für den Abmarsch angetroffen. Der Diener hatte sein Signal, kein Geräusch zu machen, verstanden und tat seine Arbeit schnell und ruhig. Sollte er nun hineingehen und Amelia wecken, überlegte er, oder sollte er ihrem Bruder ein Briefchen zurücklassen, daß der ihr die Nachricht von dem Abmarsch mitteilte? Er ging hinein, um sie noch einmal zu sehen.

Sie war wach gewesen, als er zum ersten Male in ihr Zimmer trat, hatte aber die Augen geschlossen gehalten, damit er ihr Wachsein nicht als Vorwurf betrachten sollte. Als er aber so kurz nach ihr selbst zurückkam, fühlte sich das furchtsame Herzchen etwas erleichtert. Sie drehte sich ihm zu, als er leise aus ihrem Zimmer ging, und fiel in einen leichten Schlummer. George trat nun noch leiser ein und betrachtete sie wieder. Bei dem bleichen Nachtlicht konnte er ihr liebliches, blasses Gesicht sehen – die rosigen Augenlider mit den langen Wimpern waren geschlossen, und ein runder Arm, glatt und weiß, lag auf der Decke. Guter Gott! Wie rein war sie, wie anmutig, wie zart und wie einsam! Und er, wie egoistisch, wie brutal und wie verbrecherisch! Schuldbewußt und tief beschämt stand er am Fußende des Bettes und sah auf das schlafende Mädchen. Wie konnte er es wagen – wer war er, für eine so Reine zu beten! Gott segne sie! Gott segne sie! Er trat neben das Bett und blickte auf die Hand, die kleine, weiche Hand, die schlafend dalag. Dann beugte er sich lautlos über das Kissen mit dem sanften blassen Gesicht.

Zwei schöne Arme schlangen sich zärtlich um seinen Hals. »Ich bin wach, George«, sagte das arme Kind mit einem tiefen Seufzer, der beinahe das kleine Herz gebrochen hätte, das sich so fest an das seine anschmiegte. Sie war wach, die arme Seele, und warum? In diesem Augenblick ertönte vom Waffenplatz der helle Ton eines Horns und wurde überall aufgenommen. Und von den Trommeln der Infanterie und den schrillen Pfeifen der Schotten erwachte die ganze Stadt.


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