Alfred Tennyson
Königsidyllen
Alfred Tennyson

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Viviana.

                  Ein Wetter drohte, doch es schwieg der Sturm
Im wilden Walde von Broceliand;
Und unter einer Eiche, riesig, alt
Und hohl, gleich einem halbzerfallnen Thurm,
Lag Viviane, das verschmitzte Weib,
Zu Merlins Füßen.
                            Das verschmitzte Weib,
Viviana, war entschlüpft von Artus' Hof;
Sie haßte die gesammte Ritterschaft,
Und hört' im Geist ihr nimmer endendes
Gespött, sobald ihr Name nur genannt.
Denn jüngst, als Artus, einsam und verstimmt
Durch ein die Königin schmähendes Gerücht,
Vivianen traf und artigen Gruß ihr bot,
Da hätt' sie gerne sein verdüstert Herz,
Scheinheilig treu, mit ehrfurchtvollem Blick,
Mit einer Stimme, die so zitternd klang,
Und mit verschämter Huldigung umstrickt;
Und gab zuletzt ihm dunkeln süßen Wink
Von Einer, die ihn besser würdigte,
Als die, die ihn am höchsten schätzen sollte.
Der König sah sie nur verwundert an
Und ließ sie stehn. Allein sie war belauscht
Von Einem, der das Schweigen nicht verstand;
Und Viviane, die Versucherin
Des tadellosen Königs, unterhielt
Die Lacher einen ganzen Nachmittag.
Und zu gewinnen war hernach ihr Plan
Merlin, den Größten jener Zeit an Ruf,
Der alle Künste kannte, der erbaut
Die Schiffe, Häfen, Hallen seines Herrn,
Der auch ein Barde, der zu Hause war
Am Sternenhimmel, und bei Jedermann
Ein Zaubrer hieß. Dem nahte tändelnd sie,
Zuerst mit losem, schelmischen Gespräch,
Mit munterm Lächeln, witzigem Bericht,
Leicht angehaucht von der Verläumdung Gift,
Und kargte nicht mit Seitenblick und Hieb.
Und der Prophet, aus Herzensgüte, nahm
In seinen Schutz ihr ausgelassen Spiel,
Selbst wenn es ihm nicht liebenswerth erschien;
Und lachte, wie des Kätzchens Hüter lacht. –
So ließ er sich gefallen, was ihm halb
Verächtlich war; doch sie, sie merkte wohl,
Sie sei nur halb verschmäht und unterbrach
Durch ernstre Pausen wechselnd jetzt ihr Spiel,
Ward roth und blaß, und seufzte manchmal tief,
Wenn sie sich trafen, oder blickte stumm
Mit hingegebner Andacht auf zu ihm.
Und wenngleich zweifelnd, fühlte sich der Greis
Geschmeichelt, und zu Zeiten schmeichelt' er
Dem eignen Wunsch nach Lieb' im Alter wohl,
Und glaubte halb und halb, sie wäre wahr.
So blieb er lange schwankend, aber sie,
Entschlossnen Willens, ließ nicht ab von ihm,
Und also flohn die Jahreszeiten hin.
Da kam ein tiefer Trübsinn über ihn;
Er schritt von Artus' Hof hinab zur Bucht,
Fand dort ein kleines Boot und stieg hinein;
Und Viviane folgt' ihm unbemerkt,
Sie steuernd, er am Segel; und das Boot,
Vom Wind erfaßt, glitt auf den Tiefen hin, 26
Und führte sie zum Strande der Bretagne.
Dort ging sie Merlin nach auf Weg und Steg,
Zum wilden Walde von Broceliand.
Denn Merlin hatt' ihr früher einst erzählt
Von einem Zauberbann, der ihm bewußt;
Wenn irgend Einer den auf irgendwen
Durch buntverschlungnen Reih'n und Händewink
Herniederzöge, läge jener Mann,
Als wär' er festgebannt in eines Thurms
Vier nackten Mauern, ohne Thor und Thür,
Aus dem auf ewig kein Entrinnen sei;
Und finden könn' ihn Niemand, und er selbst,
Er könne Niemand geh'n und kommen seh'n,
Als den, der diesen Zauber ausgeübt,
Und läge scheintodt und der Welt entrückt,
Vergessen, thatlos, ruhmlos, namenlos. –
Und immer war Viviane nun bedacht,
Am mächtigsten Beschwörer jener Zeit
Des Zaubers Kraft zu prüfen, in dem Wahn,
Je größer der, den frevelnd sie bestrickt,
Um so viel größer werd' ihr eigner Ruhm. –

  Und also lag sie hingegossen da,
Und küßte seine Füße, wie verzückt
In Lieb' und Ehrfurcht; goldenes Geflecht
Umwand das Haar ihr, und ein Seidenkleid,
An Werth unschätzbar, legte reizend sich
An ihre schmeid'gen Glieder und verrieth
Mehr, als es barg, und war an Farbe gleich
Der Weide schimmernd heller Blüthenzier,
Wenn sie der Wind im Strahl des Lenzes wiegt.
Und unter Küssen rief sie: »tretet mich,
Ihr theuren Füße, daß ich durch die Welt
Gefolgt euch bin, und ich will euch dafür
Verehrung zollen: werft mich in den Staub,
Ich küss' euch dennoch!« aber er war stumm. –
Denn düstrer Argwohn wühlt' in seinem Hirn,
Wie tief in einem lichtberaubten Schlund
Des Oceans die stumme Woge rings
Der weiten Meereshalle Wand bespült..–
Und ob sie gleich betrübt und vorwurfsvoll
Ihr Angesicht erhob, und fragend sprach:
»O, Merlin, liebst du mich?« und wiederum:
»O, Merlin, liebst du mich?« und abermals:
»O, großer Meister, liebst du mich?«.– er schwieg. –
An seinen Fuß geklammert wand sich nun
Geschmeidig Viviane hin zu ihm,
Glitt auf sein Knie, und saß auf seinem Schooß,
Und hinter seinen Knöcheln suchten sich
Die lockern Füßchen, die sie fest verschlang;
Um seinen Nacken einen Arm gelegt,
Gleich einer Schlange schmiegte sie sich an;
Indeß die Linke matt herunter hing
Von seiner mächt'gen Schulter, wie ein Blatt.
Mit ihrer Rechten, einem Perlenkamm,
Sanft theilte sie die Locken seines Barts,
Den die verschwundne Jugend aschengleich
Gefärbt; – da sprach er, noch gesenkten Blicks:
»Wer weise liebt, liebt innig, spricht nicht viel.«
Und Vivianen's flinke Antwort war:
»Blind sah ich ihn, den kleinen Elfengott,
In Artus' Teppichsaal zu Camelot;
Doch augenlos und stumm! – einfältig Kind!
Allein du Weiser sagst es, also laß
Mich denken, daß das Schweigen Weisheit ist;
Drum bin ich stumm und fordre keinen Kuß.«
Doch plötzlich fing sie wieder an und sprach:
»Nun sieh, in Weisheit kleid' ich mich!« und zog
Als Mantel seinen langen Silberbart
Sich über Hals und Busen bis zum Knie:
»Die goldne Frühlingsfliege bin ich nun,
Vom großen alten Spinnen-Wütherich
Im Netz verstrickt, der ohne weitres Wort
Im wilden Walde mich zu fressen denkt.«
So nannte Viviane selber sich,
Doch glich sie mehr noch einem lieblichen
In grauen Dunst gehüllten Unglücksstern;
Bis er mit schwermuthsvollem Lächeln frug:
»Für welch' Begehr, welch' seltsam große Gunst
Sind diese feinen Kniff' und Schelmerein
Das Vorspiel, Viviane? Dank indeß,
Denn meinen Trübsinn haben sie zerstreut.«

  Und Viviane trotzig lächelnd sprach:
»Du fandst die Stimme wieder, hoher Herr?
Willkommen sei der Fremdling. Endlich Dank!
Denn gestern hast du deine Lippen nicht,
Als einmal nur zum Trinken aufgethan.
Ein Becher fehlt' uns, und ich schöpfte dir
Mit meiner eignen Damenhand das Naß,
Das aus dem Spalt in Tropfen langsam rann.
Aus meinen beiden Händen macht' ich dir
Den schönsten Kelch, und bot ihn knieend dar;
Getrunken hast du wohl, doch nichts gewußt
Zu sagen, nicht ein einz'ges armes Wort;
Nicht so viel Dank, als eine Geiß uns giebt,
Die nichts Ehrwürd'ges hat, als ihren Bart. 27
Und als wir ruhten an dem andern Bach,
Und bis zur Ohnmacht fast erschöpft ich war,
Und du, die Füße von dem Blüthenstaub
Der tiefen Wiesen, die du mich geführt,
Vergoldet lagst, o Merlin, weißt du wohl,
Daß Viviane deine Füße wusch
Vor ihren eignen? Aber keinen Dank,
Den ganzen Weg durch diesen wilden Wald,
Den ganzen Morgen, als ich dich gekost; –
Gunst? – allerdings, es gäb' wohl eine Gunst,
So seltsam nicht, – was that ich dir zu Leid? –
Gewiß, du bist ein Weiser, doch es ist
Mehr weis' als liebreich solche Schweigsamkeit.«

  Und Merlin schloß die Hand, die sie gefaßt,
Und sprach: »o lagst du nie am Strand, und sahst
Der nah'nden Woge weißes Lockenhaupt
Im glatten Sand sich spiegeln, eh sie brach?
Solch' dunkle Woge, nur so reizend nicht,
Hatt' ich im Spiegel ahnungsvollen Sinn's
Drei Tage lang mir näherkommen sehn.
Da brach ich auf, den Trübsinn abzuthun,
Und floh von Artus' Hof. Du folgtest mir
Unaufgefordert; – als ich's inne ward,
Und sah, wie du mir nachgingst unverwandt,
Da wob mein Geist als nächsten Gegenstand
In seine Nebelbilder dich hinein;
Denn, soll ich Wahrheit sprechen, du, du warst
Die Woge, die mich überfluthen wollte,
Von meinem Platz mich reißen in die Welt,
Mir Namen rauben, Thatkraft, Ruf und Ruhm.
Vergieb mir, Kind, deß süße Tändelei
Mir Alles, wie mit heiterm Licht erhellt;
Nenn' dein Begehr; ich schuld' es dreifach dir;
Zuerst, indem ich Unrecht dir gethan
In meinem Trübsinn, zweitens, weil ich noch
Bisher, so scheint es, nicht an Dank gedacht,
Und endlich für dein artig Gaukelspiel;
Drum fordre nur, und nenn' sie, diese Gunst,
Die seltsam klingt, doch nicht so seltsam ist.«

  Und Viviane schmerzlich lächelnd sprach:
»O nicht so seltsam, als um diese Gunst
Mein langes Bitten; nicht so sonderbar,
Wie doch du selbst; nicht halb so wunderlich,
Wie jene schwarze Laune, die dich plagt. –
Stets bangte mir, du wärst nicht völlig mein,
Und, selbst gestandst du's, Unrecht thatst du mir.
Dich nennt das Volk Prophet; – du magst es sein,
Doch nicht von denen, die sich selbst verstehn. –
Nimm Vivianen zur Erklärerin;
Sie nennt den Trübsinn, der dich ahnungsgleich
Drei Tage quälte, nicht ein Vorgefühl; –
Ihr ist er nur der argwohnsvolle Hang,
Der minder edel dich erscheinen läßt,
Als du doch bist, – so oft ich dich noch bat
Um eben diese jetzt erbetne Gunst.
Begreifst du nicht, du heißgeliebter Mann,
Je mehr du mich mit jenen Grillen plagst,
Die dich umdüstern, als ich dir gefolgt,
So schwerer bangt mir, daß du doch nicht mein,
So heißer brenn' ich, ganz dich mein zu sehn,
So minder rast' ich, bis von jenem Zauber,
Vom Bann des Reigens und vom Wink der Hand,
Mir das Geheimniß kund ward, zum Beweis,
Daß du mir traust. O Merlin, lehr' es mich,
O lehr' es mich; uns Beiden wird der Spruch
Ein Zauber werden der Beruhigung;
Denn wenn du mir die kleine Macht verliehst
Auf dein Geschick, so würd' ich im Gefühl,
Daß du mich würdig hieltest, mir zu traun,
Uns Beiden Ruhe gönnen, dir und mir,
Weil dann ich wüßte, daß du wirklich mein. –
Und deshalb sei so groß, wie man dich nennt,
Und hüll' dich nicht in selbstisch Schweigen ein.
O wie so hart du, so versagend blickst!
Meinst du vielleicht, ich wäre so verrucht,
An dir ihn zu versuchen unverseh'ns,
Daß du verlörest Namen, Thatkraft, Ruhm!
Empörender Gedanke! Besser dann,
Wär' unser Bund auf immerdar gelöst!
Doch denk' es oder nicht; beim Himmel, der
Mich hört, die reine Wahrheit sag' ich dir,
So rein, wie Säuglingsblut, wie Milch so weiß:
Die Erde soll, o Merlin, wenn ich je,
Wenn je mein unbedachter Flattersinn,
Auch nur im tollen Wirrwarr eines Traums
Auf solchen Frevels Möglichkeit verfiel, –
Aufklaffen soll der Erde fester Grund
Bis zu den Tiefen, wo die Hölle gähnt,
Und soll sich schließen, um mich zu zermalmen,
Bin ich so ruchlos. Thu' den Willen mir,
Kaum könnt' ich sonst dir ganz zu Willen sein;
Gewähre meinen stets erneuten Wunsch;
Daran erkenn' ich erst, ob du mich liebst;
Sonst muß ich denken: magst du noch so sehr
Ein Weiser sein, mich hast du schlecht gekannt.« – 28

  Doch Merlin jetzt entzog ihr seine Hand
Und sprach: »Trotz meiner Weisheit war ich nie
So wenig weise, wie den Augenblick,
Als ich von solchem Zauber dir erzählt,
Neugierig Kind, das von Vertrauen spricht!
Ja, sprichst du von Vertrau'n, so sag' ich dir:
Zu sehr vertraut' ich, als ich ihn erwähnt,
Und reizt' in dir die Sünde, die den Mann,
Den kaum erschaffnen, durch das Weib verdarb.
Wenn schön bei Kindern große Wißbegier,
Die noch sich selber und die ganze Welt
Erkennen sollen, nenn' ich sie bei dir,
Die nicht mehr Kind, – denn wenn ich lesen will
In deinen Zügen, find' ich dein Gesicht
Erfahrungsreich, – nun, Sünde sag' ich nicht;
Doch weil du selbst dich Frühlingsfliege nennst,
So wünscht' ich wohl, ein Spinngeweb zu sein
Für diese Fliege, die sich setzen will,
Verjagt wird, und verjagt sich wieder setzt,
Bis eins dem andern aus Ermüdung weicht.
Doch hast du längst mein Wort: ich weiche nicht,
Geb' über Leben, Thatkraft, Namen, Ruhm
Dir nie Gewalt; warum denn willst du nicht
Dir andre Gunst erbitten, was es sei?
Bei Gottes Kreuz, ich traute dir zu viel.«

  Empfindsam wie nur je ein Mädchen war,
Das nach der Dorfuhr giebt ein Stelldichein,
Sprach Viviane, beide Lider feucht
Von Thränen: »mein Geliebter, schelt' nicht so
Dein armes Liebchen; zärtlich kose sie,
Und laß sie fühlen, daß du ihr verzeihst,
Wenn keine Lust nach anderm Lohn sie spürt.
Ich glaub', du kennst wohl kaum das süße Lied:
»Vertrau' mir nirgends, oder überall?«
Ich hört' es einst, als Lancelot es sang,
Der große Ritter. Antwort soll es dir
Statt meiner geben. Hör' es achtsam an:

  »Die Liebe glaubt; das wäre nicht die rechte,
In der Vertrau'n und Argwohn gleiche Mächte;
Ein Zweifel hier, ist Zweifel überall.

  Er gleicht dem Riß der Laute, dem geringen;
Sie wird nicht mehr in holden Tönen klingen,
Der Sänger spielte sie zum letzten Mal.

  Er gleicht dem Riß der Laute, gleicht der Narbe,
Der kleinen, brand'gen in der vollen Garbe;
Sie fault nach innen, und bald überall.

  Sie lohnt nicht des Bewahrens, laß sie fahren;
Doch sag', mein Lieb, du willst den Glauben wahren:
Vertrau' mir nirgends, oder überall.«

Mein zärtlich Lied gefällt es, Meister, dir?«

  Und Merlin sah sie an und glaubte fast,
Sie wäre wahr; so zärtlich klang ihr Ton,
So hold war ihr Gesicht; ihr Augenstrahl
So lieblich unter Thränen, wie der Blick
Der Sonne nach dem Regen; doch er gab
Noch halb erzürnt zur Antwort ihr und sprach:

  »Ganz anders klang das Lied, das ich dereinst
An dieser Eiche Riesenstamm gehört;
Gesungen ward's ganz nah' bei diesem Sitz:
Denn zehn bis zwölf der Unsern trafen sich
Allhier zum Jagen auf ein edles Thier,
Den Hirsch mit Goldgeweih, der damals noch
In diesen wilden Wäldern heimisch war.
Es war zur Zeit, als man zuerst und viel
Von Gründung einer Tafelrunde sprach,
Bestimmt zur höchsten Zier der ganzen Welt
Durch Menschenliebe, Gottesfurcht und Ruhm;
Und Jeder spornte Jeden immerdar
Zu würd'gen Thaten. Und Begeist'rung kam,
Indeß wir wartend saßen, über den,
Der unter uns der Jüngste; mächtig scholl, –
Kein Wehren half, – aus voller Brust sein Lied,
Ein Lied voll heißen Drangs nach Heldenruhm,
So schmetternd, wie Trompeten; und der Schluß,
Zu dem es kam, so ernst wie Eisenklang.
Er schwieg, da war es uns, als müßten wir
Den Chor anstimmen mit gezognem Schwert,
Und hätten es gethan, doch aufgescheucht
Durch das Geräusch, aufsprang das prächt'ge Wild
Vor unsern Füßen; auf dem dunkeln Grund
Ein silberheller Schatten schlüpft' es hin;
Wir ritten durch das dunkelnde Revier
Den ganzen Tag und gegen scharfen Wind,
Aus dem der Nachklang jenes Heldensangs
In's Ohr uns rauschte: so verfolgten wir
Des Goldgeweihes Schimmer fort und fort,
Doch er verschwand uns dicht am Zauberborn,
Der, unsern Kriegern gleich, – das Eisen anlacht;
In welchen Kinder manchen Eisenstift
Und Nagel werfen, rufend: »Brünnlein lach'!«
Allein berührt man ihn mit einem Schwert, 29
So wallt und braust er seltsam, – also hier
Verschwand der Hirsch; – das war ein edler Sang.
Doch während du dein zärtliches Gedicht,
Viviane, sangst, war mir's, als kenntest du
Den Zauber, den verfluchten, und du wärst
An mir ihn zu erproben im Begriff;
Mir war's, als läg' ich schon im Zauberbann
Und fühlte, wie mein Namen und mein Ruhm
Gleich Wasser auf dem Sande sich verlor.«

  Und Viviane, schmerzlich lächelnd, sprach:
»Mein Ruf, mein Name sind auf ewig hin;
Seitdem ich dir in diesen wilden Wald
Gefolgt, um deiner Schwermuth Trost zu sein.
Nun sieh', so sind der Männer Herzen! Nie
Erhebt der Mann so hoch sich, wie das Weib;
Ihr Sinn ist selbstlos. Und des Weibes Ruf –
Wenn du mein Lied auch höhnst, so höre doch
Noch einen Vers, – die Dame spricht ihn, – so:

  »Mein Ruf, einst mein, jetzt dein, ist recht erst mein;
Denn hätt' ich Ruhm, und wäre Schande dein,
Mein Ruhm wär' dein, und deine Schande mein;
Drum trau' mir nirgends, oder überall.«

  Spricht sie nicht wahr? Und mehr enthält dies Lied:
»Dem Perlenhalsband gleicht's der Königin,
Dem schönen, das ihr einst beim Tanz zerriß;
Die Perlen rollten fort und sind zerstreut,
Verloren manche, manche ward entwandt
Und manche wird als Heiligthum verwahrt.
Doch nimmer wieder glitt auf seidner Schnur
Die Schwesterperle zu der Schwester hin,
Um sich am weißen Hals der hohen Frau
Zu küssen; also geht's mit diesem Lied;
Es lebt zerstreut in vieler Menschen Mund,
Und jeder Minstrel singt's mit anderm Text;
Zwei Zeilen aber giebt's, die wirklich ächt,
Und aller Perlen Perle, höre nur:
»In Träumen ist der Mann auf Ruhm bedacht,
Indeß das Weib für seine Liebe wacht.«
Ja, Liebe, selbst die größte Liebe beut
Ein Stück der zuverläss'gen Gegenwart,
Genießt und nutzt es, sorglos um den Rest;
Doch Ruhm? Ruhm nach dem Tode nützt uns nichts;
Und was ist Ruhm im Leben anders wohl,
Als halbe Schmähung, die man eingetauscht
Für stilles Dunkel? Du, du weißt es selbst,
Daß dich der Neid den Sohn des Teufels nennt,
Und weil du offenbar der Meister bist
Im Reich des Wissens, machte Mancher gern
Zum Meister auch im Reich der Bösen dich.«

  Und Merlin schloß die Hand, die sie gefaßt,
Und sprach: »ich sucht' einmal ein Zauberkraut;
Da traf ich einen schönen Junker an,
Der einen Ritterschild aus Holz geschnitzt,
Und einsam saß, und malt' ein Wappen drauf,
Ein selbsterdachtes: auf azurnem Grund
Ein goldner Aar im Aufflug; rechts im Feld
Die Sonne, mit dem Spruch: »mich führt der Ruhm.«
Ich sagte nichts, ich bog mich über ihn,
Ergriff den Pinsel, überstrich den Aar,
Und malt' ihm einen Gärtnersmann dafür,
Ein Bäumchen pfropfend, und als Motto dies:
»Vor Ruhm geht Segen.« – Denke dir den Grimm,
Von dem er glühte; doch es ward aus ihm
Ein biedrer Ritter. Viviane, du,
So glaub' ich, meinst, du liebst mich inniglich;
Was mich betrifft, ich halte viel von dir;
So laß es gut sein; deine Liebe dann
Wird in sich selber finden Ruh' und Glück,
Wird zu erpicht nicht sein auf einen Lohn,
Und frei vom Kitzel, auf den Herzensgrund
Des Mann's zu schaun, den, wie du sagst, du liebst.
Der Ruhm dagegen, der dem Manne nur
Die Kräfte schwellt, der Menschheit sich zu weihn,
Fänd' in sich selber wenig Ruh' und Glück.
Sein Werk ist in der weitern Liebe Dienst,
Vor der die dürft'ge Liebe, welche nur
Zwei Wesen bindet, einem Zwerge gleicht.
Mein hülfreich Walten gab zuerst mir Ruhm,
Und wie mein Ruhm, so wuchs mein Wirkungskreis;
Das war mein Lohn; was bracht' es sonst mir ein?
Verschrie'n als ruchlos ward ich für den Wunsch,
Den blöden Sinn der Menschen zu erziehn,
Und Sohn des Teufels nannte mich der Neid.
Dies kraftlos kranke Scheusal fiel im Wahn
Vermeinter Nothwehr mich, den Bessern, an,
Doch prallten seine Krallen machtlos ab,
Und schlugen Wunden in sein eignes Herz.
Schön war die Zeit, als ich noch unbekannt; 30
Doch als mein Ruf gefeiert, traf der Sturm
Auf einen Felsen; toben ließ ich ihn.
Wohl weiß ich, halb Verruf ist unser Ruhm,
Doch treibt mich innrer Drang, mein Werk zu thun;
Denn jeder andre Ruhm ist wesenlos
Für den gewiß, der keine Kinder hat;
Und der noch ungebornen Welt Geschwätz
Auf meinem Grab, es hat mich nie gereizt.
Durch Nebel blickt ein Stern, der zweite ist's
In jenem Sternbild, das dem Schwerte gleicht
An einem Gürtel, der aus drei besteht.
Bei seinem Anblick träumt' ich jedesmal,
Daß sich in diesem Stern ein Zauber birgt,
Der übermächtig jeden Ruhm zerstört.
Und bangt mir nun, du spieltest, wenn ich dir
Durch jenen Spruch Macht über mich verliehn,
In dieser Macht mit mir ein falsches Spiel, –
So sehr du jetzt mich auch zu lieben glaubst, –
Wie Königssöhne, die als Knaben mild,
Tyrannen werden im Besitz der Macht, –
So fürcht' ich minder meines Ruhms Verlust,
Als daß ich nicht mehr hülfreich walten könnte,
Wenn du vielleicht – aus Bosheit nicht so sehr,
Als einem jähen Anfall wilden Grolls,
Wohl auch aus krankhaft überspannter Lust,
Mich ganz allein zu haben, oder sonst
Im raschen Ausbruch weib'scher Eifersucht,
Den Zauber wirken ließest gegen den,
Von dem du sagst, daß ihm dein Herz gehört.«

  Doch Viviane lachte wuthentbrannt,
Und gab zur Antwort: »schwur ich nicht? und doch
Wird mir mißtraut. Nun wohl verhehl' ihn mir,
Verhehl' ihn nur, ich find' ihn dennoch aus,
Doch dann vor Vivianen hüte dich!
Ein Weib, – und so beargwohnt, – allerdings
In Wuth gerathen könnt' ich unversehns
Durch deinen Argwohn. Und bezeichnend ist
Dein feines Beiwort, denn ein volles Herz,
Wie meins, dem nicht ein volles Herz vergilt,
Verdient fürwahr den Namen: überspannt.
Mein täglich Wunder ist's, das überhaupt
Ich, so behandelt, doch noch lieben kann.
Und was die weib'sche Eifersucht betrifft,
Warum denn nicht? Zu welchem andern Zweck,
Als mich zu reizen, eifersüchtig mich,
Die Liebende, zu machen, sannst du dir
Den saubern Zauber aus? Ich glaub' es wohl,
Daß du, soweit die Welt reicht, hier und dort
Manch üppig Liebchen dir gefangen hältst
Im Schluß der Mauern eines dumpfen Thurms,
Aus dem auf ewig kein Entrinnen ist.«

  Da sprach der große Meister lust'gen Muths:
»Mir ward vollauf der Frauen Gunst zu Theil
In meiner lieberfüllten Jugendzeit;
Sie mir zu sichern, that kein Zauber noth,
Als Lieb' und Jugend; und dein volles Herz,
Das vielgerühmte, giebt mir Sicherheit,
Daß du mein eigen ohne Zauber bleibst.
Was die betrifft, die ihn zuerst geübt,
So ist die Hand, die der Beschwörer hob,
Aus ihrer Wurzel, ist der Fuß gelöst
Aus seinen Knöcheln, der den Reigen schritt,
Vor Menschenaltern. Die Legende magst
Du hören als Belohnung für dein Lied.

  »Im fernsten Osten lebt' ein König einst,
Noch nicht so alt, als ich, und älter doch;
Denn in sich trägt mein Blut die Anwartschaft
Auf manchen Frühling, der noch kommen soll.
Dort ankert' ein gelbhäutiger Pirat,
Deß Barke zwanzig Inseln, Gott weiß, wo?
Geplündert. Grad' an einer fuhr er hin,
Und sah im Graun der Morgendämmerung,
Wie sich zwei Städte, wohl in tausend Böten
Auf offner See bekämpften um ein Weib.
Sein schwarzes Fahrzeug steuernd in's Gewühl
Der Böte, die nach allen Seiten flohn,
Erbeutet' er das Mädchen, mit Verlust
Der pfeildurchbohrten Hälfte seines Volks.
Sie war so lieblich, weiß und wundervoll,
Man sagte, Strahlen gingen aus von ihr
Auf ihren Wegen. Weil im Guten nicht
Der Räuber sie dem König überließ,
So ließ ihn dieser pfählen als Pirat,
Und machte sie zu seiner Königin.
Allein die Augen dieses Inselkinds
Bekämpften arglos, doch mit solcher Macht,
Die junge Welt, daß Alles liebeskrank,
Kein Mensch im Rath, aus war es mit dem Heer.
Sie zog die Panzer, auch die rostigsten,
Magnetengleich von alter Fechter Brust;
Ihr huldigten selbst Thiere; das Kameel
Kniet' ungeheißen, und das Ungethüm,
Das, ein lebend'ger Hügel, Thürme trägt
Für Kön'ge, bog vor ihr die schwarzen Kniee 31
In Ehrerbietung, mit der Schlangenhand
Die goldnen Schellen, seiner Fersen Schmuck,
Erklingen lassend, daß sie lächeln sollte.
Was Wunder nun, daß eifersücht'gen Sinns
Der König einen Ausruf blasen ließ
Durch alle hundert Reiche, denen er
Als Herr gebot: es werd' ein weiser Mann
Gesucht, dem König einen Zauberspruch
Zu lehren, der ihm seiner Königin
Besitz auf immer sichere; solchem Mann
Versprach er mehr als königlichen Lohn:
Ein Stück Gebirges, eine Meile lang,
Voll Minen Gold's, ein Vicekönigreich
Mit hundert Meilen Küste; Prachtpalast
Und fürstliche Gemahlin gäb' er ihm. –
Doch über Jeden, der nicht ausgeführt,
Was er versucht, erging ein böser Spruch,
Wodurch der König der Bewerber Zahl
Zu mindern, und sich selbst nach Königsart
Zu sichern meinte gegen loses Spiel:
Sein Kopf sollt' an der Hauptstadt Thor verfaulen. –
Und Mancher unternahm's und unterlag,
Weil ihres Wesens Zauber seine Kunst
Zu Schanden machte; Weiser Schädel sah
Man viele bleichen auf der Mauern Rand,
Und viele Wochen schwebten wolkengleich
Die gier'gen Raben über Thurm und Thor.«

  Und Viviane fiel ihm rasch in's Wort:
»Ich sitz' und schlürfe Honig, doch mir däucht,
Daß deine Zung' ein wenig sich verrannt;
Frag' dich nur selbst: die Dame führte doch
Mit ihren schönen Augen diesen Krieg
Nicht wider Willen; Freude fand sie dran,
Und gab dem guten König guten Grund
Zur Eifersucht. Und lebte keine Frau,
Kein Fräulein dort, um eines Buhlers Raub
An ihr zu rächen? Waren sie so zahm,
So edel mein' ich, wie die Kön'gin schön,
Und Keine spritzt' in diese Augen Gift,
Goß einen Todessaft in ihren Trank,
Und machte sie durch eine Rose bleich,
Die Gift enthielt? Nun, damals war es wohl
Nicht so wie jetzt. Doch ward der weise Mann
Gefunden? sag' mir, sah er aus, wie du?«

  Sie schwieg und fester seinen Hals umschlang
Ihr schmeid'ger Arm, dann bog sie sich zurück;
Der Augen Gluthblick sprach an ihrer Statt;
So sieht die Braut den jungen Gatten an,
Den ihren jetzt, der Männer Herrlichsten. –

  Da sprach er lachend: »nein mir glich er nicht;
Denn von den Zaubersuchern ward zuletzt
Ein kleiner Mann mit haarlos glattem Kopf
Entdeckt, der in der Wildniß Einsamkeit
Von Kräutern lebt', und las ein einzig Buch;
Und, immer lesend, war er abgezehrt
Durch vieles Denken, so verschrumpft und dürr,
Daß seine Augen unnatürlich groß,
Indeß die Haut ihm nur noch, wie ein Fell
Den leeren Korb, die Rippen überzog.
Und weil sein Geist auf einen Punkt gebannt,
Und weil er nie den hitz'gen Wein berührt,
Noch Fleisch geschmeckt, noch sinnliche Begier
Empfunden, ward die Mauer, die das Reich
Der Menschen trennt, der Schatten werfenden,
Von dem der Geister, ein Krystall für ihn.
Er sah sie wandeln hinter jener Wand,
Sie sprechen hört' er; ihre dunkle Macht
Und Wissenschaft, die zum Gehorsam zwingt
Die Elemente, ward ihm offenbar.
Oft zog er vor der Sonne hellen Blick
Den Riesenschleier schwarzer Wolkennacht,
Und rief den Sturm, der peitschend sie zerriß;
Oft wenn vor Nebel man den Tag nicht sah,
Der Regen troff, der See vom Schaume weiß,
Die Fichten rauschten, und ein Schatten nur
Der Riesenbau der Pyramiden war,
Gab er der Welt auf's Neue Sonnenschein
Und Lust. Das war der Mann; ihn brachten sie
Zum König mit Gewalt. Da lehrt' er ihn,
Die Königin verzaubern, dergestalt,
Daß sie nur ihm, dem König, sichtbar blieb,
Und daß sie selber Niemand kommen sah
Und gehn, als ihn, und lag, als wär' sie todt,
Und wußt' auch nichts vom Leben. Als jedoch
Der König ihm die Minen Goldes bot,
Das Land mit hundertmeil'gem Küstenstrich,
Das Prachtschloß, die Prinzessin, – ging der Greis
Zurück in seine Wildniß, nährte sich
Von Kräutern, starb, und mein ist jetzt sein Buch.«

  Und Viviane trotzig lächelnd sprach:
»Du hast das Buch, der Zauber steht darin;
Wohl, laß dir rathen, zeig' ihn mir alsbald;
Denn, berg' es, mich zu äffen, Schrein in Schrein, 32
Mit dreißig Schlössern jeden Schrein verwahrt,
Grab' Alles ein, thürm' einen Hügel drauf,
Wie er die Leichen deckt nach grauser Schlacht
Auf wüster Dün' an sturmbewegter See, –
Ausfindig macht' ich doch ein Mittel bald,
Ich hackt' und grübe, fänd' und öffnete
Und läs' den Zauber. Wenn ich ihn alsdann
Versuchen wollte, wer verargt' es mir?«

  Doch lächelnd, wie ein Weiser dessen lacht,
Der seiner nicht und keiner Schule folgt,
Als der, wo nackter blinder Unverstand
Den ganzen Tag und über jedes Ding
Geräuschvoll abspricht, und sich nimmer schämt,
Gab er zur Antwort:

                              »Du, mein artig Kind,
Du meinst dies Buch zu lesen? allerdings,
Es ist nur seine zwanzig Seiten lang,
Doch jedes Blatt hat einen breiten Rand,
Und jeder Rand umschließt im Mittelraum
Ein Viereck Text, es scheint ein Fleckchen nur;
Die Schrift ist kaum so groß, wie Gliederchen
Von Flöh'n, doch ist ein jedes Stückchen Text
Ein furchtbar mächt'ger Zauber, abgefaßt
In einer Sprache, die verschwunden ist
So lange schon, daß Berge seit der Zeit
Emporgetaucht, und Städte tragen. – Du
Dies Büchlein lesen? Alle Ränder sind
Bekritzelt kreuz und quer und überfüllt
Mit Glossen, in den engsten Raum gedrängt,
Daß dir's im Kopf und vor den Augen flirrt;
Doch weil ich schlaflos manche lange Nacht
In meinem langen Leben sie studirt,
Ward mir ihr Sinn geläufig. Zwar den Text
Vermag kein Mensch, auch ich nicht, zu verstehn;
Und ich allein versteh' den Commentar,
Und fand im Commentar den Zauberbann. –
Die Wirkung ist unfehlbar; jedes Kind
Könnt' Jedem leicht mit ihm ein Leides thun
Unwiderruflich. – Bitte mich nicht mehr;
Denn braucht'st du ihn auch nimmer gegen mich,
Und hielt'st den Eid, den du geschworen hast,
Du prüftest doch vielleicht an irgend Wem
Von Artus' Tafelrunde seine Kraft,
Blos weil du träumst, sie schwatzten über dich.«

  Und Viviane zog in wahrer Wuth
Die Brau'n zusammen, und erwidert' ihm:
»Die wohlgenährten Lügner wagen noch
Von mir zu sprechen! Sie, zu Felde ziehn
Zum Schutz der Unschuld! Tafeln woll'n sie nur,
Im Fleisch ihr Messer und ihr Horn voll Wein!
Und sie der Keuschheit frommer Pflicht geweiht!
Wär' ich kein Weib, wohl wüßt' ich eine Mähr;
Doch du bist Mann, und hörst die Schmach heraus,
Die sich vor Scham nicht deutlich sagen läßt.
Mir dürfte Keiner aus der ganzen Zucht
Zu nahe kommen, Schlemmer, die sie sind!«

  Doch ihre Worte ließen Merlin kalt
Und er versetzte: »weit und unbestimmt
Ist die Beschuldigung, der du Athem giebst.
Mir däucht, daß nur der Aerger aus dir spricht;
Beweise fehlen. Wenn du deren weißt,
So bring' in aller Form die Klage vor,
Ob sie begründet oder eitel ist.«

  Und Viviane sprach mit finsterm Blick:
»Laß hören, was du zu Sir Valence sagst:
Sein Vetter ließ als Hüter ihn zurück
Bei seiner Frau und prächt'ger Kinder zwei,
Verreist' in ferne Lande, blieb ein Jahr
Von Haus und fand bei seiner Wiederkehr
Statt zwei nun drei; da lag der arme Wurm,
Und war erst eine einz'ge Stunde alt.
Was sagte der beglückte Vater nun?
Ein mir geschenktes Siebenmonatskind
Wär' regelrechter. – Daß das Dutzend voll,
War seinem Vaterherzen räthselhaft.«

  Doch Merlin sprach: »ich weiß, wie sich's verhielt.
Sir Valence hatt' im Ausland sich vermählt,
Und blieb aus Gründen fern von seinem Weib.
Ein Kind war bei der Mutter; diese starb;
Und weil in eigner Angelegenheit
Sein Vetter reiste, gab Sir Valence ihm
Den Auftrag, ihm sein Kind in's Vaterhaus
Zu holen. Demnach bracht' er nur das Kind,
Und fand es nicht; die Wahrheit weißt du nun.«

  Sie sprach: »gewiß, und mehr als Wahrheit noch.
Was sagst du denn zum holden Sagramore,
Dem heißen Blut? »wer zeitig Blüthen bricht,«
Belehrt das Lied uns, »traun, der sündigt nicht.«
Doch »übereifrig«, Meister, werden wir 33
Vielleicht ihn nennen, weil er allzufrüh
Die ihm bestimmte süße Rose brach.«

  Und Merlin sagte: »nur du selber raffst
Die schmutz'ge Feder übereifrig auf,
Die aus des ekeln Geiers Flügel fiel,
Der von zerfleischten guten Namen lebt.
Sir Sagramore hat nimmer Schmach verübt
An seiner Braut; ich weiß, wie sich's verhielt.
Ein neck'scher Zugwind blies die Fackel ihm
Urplötzlich aus in jenem Labyrinth
Von Gängen und verschlungnen Zimmerreih'n
Der Artusburg; da fand er eine Thür,
Und fühlt' im Dunkeln den geschnitzten Schmuck
Um ihren Rand; es schien ihm sein Gemach;
Auszog er sein Gewand; das Lager nahm
Den Müden auf, er schlief, und neben ihm,
Dem reinen Mann, lag eine reine Maid;
Und Beide schliefen, nicht die Gegenwart
Des Andern ahnend, bis das Morgenlicht
Die königliche Rose leuchten ließ
In Artus' Fenster, und die Schläfer keusch
Bescheinend, ihre Wangen röthete.
Da wacht' er auf und fuhr erschreckt empor,
Und schlich sich lautlos fort, und ließ sie ruhn.
Doch als am Hof der Vorfall ruchbar ward,
Da zwang in Fesseln sie das Zeterschrein
Der rohen Welt; doch glücklich schlug es aus,
Und glücklich sind sie, weil sie makellos.«

  Sie sprach: »gewiß, sehr glaubhaft war auch dies.
Was sagst du denn zum edeln Percival,
Und zu dem Unzuchtsgräu'l, den er verübt,
Der heil'ge Jüngling, Christi reines Lamm, –
Der räud'ge Bock vielmehr aus Satans Pferch.
Was? im Bereich des Kirchhofs, unter all'
Der Gräber ritterlichem Eisenschmuck,
Und trotz der Mahnung jedes Leichensteins!«

  Doch Merlin, unbeirrt, entgegnet' ihr:
»Des Trunkes Feind und keusch ist Percival;
Ein einz'ges Mal berauscht in jungem Wein
Zur Kühlung auf dem Kirchhof wandelt' er;
Und eine Schäferin des Satans war
Auf seinen Fang bedacht, und meint' ihn jetzt
Zu stempeln mit dem Zeichen ihres Herrn.
Nicht glaublich ist's, daß er gesündigt hat,
Denn, schau' ihm in's Gesicht; doch wenn er fiel,
Wird nur die Sünde, die Gewöhnung uns
In's Blut geimpft hat, aber nimmermehr
Ein dunkler tiefbereuter Augenblick
Uns zeichnen für den Pferch, der uns gebührt.
Sonst wär' von Allen der Verworfenste
Der heil'ge König, er, deß Psalmen man
Im Münster singt. Hat deine Gallsucht jetzt
Sich ausgeschäumt, sag', oder weißt du mehr?«

  Sie sprach, und zorniger glühte noch ihr Blick:
»Ja Freund, was sagst du zu Sir Lancelot?
Schelm oder Ehrenmann? ich frage dich,
Ob seine Buhlschaft mit der Königin
Die Kinder ausschrein, oder man davon
Im Winkel flüstert? Weißt du nichts von ihr?«

  Er sprach betrübt: »o ja, ich weiß davon.
Als Lancelot sie heimzuführen kam
In Artus' Auftrag, hielt sie ihn zuerst
Für Artus selbst, und hing ihr Herz an ihn.
Genug davon; doch hast du nicht ein Wort
Aufricht'gen Lobs für König Artus, der
Als Fürst untadlig, fleckenlos als Mann?«

  Zur Antwort gab sie leise kichernd: »der?
Ist der noch Mann, der Alles weiß und schweigt?
Der sieht, was seine schöne Gattin ist,
Sieht, was sie thut, und drückt die Augen zu?
So meint der gute König, nichts zu sehn,
Macht sich und seine Tafelrunde blind
Für ihr verbuhltes Treiben. Wenn ich nicht
Als Weib mich schämte, sagt' ich selber ihm
Den feinen Namen, den in Volkes Mund
Derart'ge Mannheit ärntet, sagt' ihm auch
Den Hauptgrund ihrer ganzen Niedertracht;
Ja, wenn er nicht gekrönter König wär',
Ich hieß' ihn einen Narr'n und feigen Wicht!«

  Mit dem Gefühl des Ekels richtete
Jetzt Merlin an sein eignes Herz das Wort:
»Du Treuer, Milder! o mein Fürst und Herr!
Selbstloser Mann, und Ritter ohne Fehl!
Der gern zum Trotz dem eignen Augenschein
Für wahr und redlich alle Männer hielte,
Und alle Frau'n für keusch! So deuten nun
Verruchte Lästrer dein erhabnes Herz;
Denn dies Gezücht, in allen Adern falsch
Und schmutzig, wie der Gossen flüss'ger Koth, 34
Begreift dich nicht, und will nur Schande sehn
In deiner reinen Tadellosigkeit!«

  Doch Viviane, Merlin durch Beweis
Geschlagen wähnend, fing von Neuem an;
Und ihre Zunge, wie das Feuer rast,
Fiel über edle Namen wüthend her,
Besudelnd, schändend, ihr entartet Selbst
Auf Andre bürdend, bis sie Lancelot
Nicht tapfer ließ, und Galahad nicht rein.

  Doch ihre Worte wirkten nicht auf ihn,
Wie sie gewollt; er zog die busch'gen Brau'n
Zusammen als ein schneeweiß Wetterdach
Der hohlen Augen, um im Selbstgespräch
Zu murmeln: »ich den Zauber ihr vertrau'n!
Mich ebenso verlästern würde sie
Und dann vernichten; lästern wird sie mich
In jedem Fall. Was, sprach die Dirne? »Nie
Erhebt der Mann so hoch sich, wie das Weib«;
Doch schwerlich jemals sinken wir so tief,
Denn Männer unterscheiden höchstens sich
Wie Erd' und Himmel; doch wie Höll' und Himmel
Die Frau'n, die besten und verworfensten.
Die Tafelrunde kenn' ich; langvertraut
Sind Alle mir, und Alle sind sie brav,
Hochherzig Manche, keusch sind Einzelne.
Mir däucht, sie deckt die Blößen ihres Rufs
Mit Lügen; ward von denen wohl verschmäht,
Die sie versucht; daher nun ihre Wuth;
Denn schlaue Pläne fehlen oft ihr Ziel,
Ob auch der Metzen Lockwort mit dem Schein
Der Wahrheit gleiße, die ihr Antlitz schminkt.
Nichts sag' ich ihr, denn Schmeichler in's Gesicht
Sind Afterredner neunmal oder zehn.
Wer Jedem Sünde beimißt, Gott erbarm',
Ist ihr vertraut, und bürdet Andern nur
Die Laster auf des eigenen Gemüths.
Und, vor sich selbst am tiefsten nicht zu stehn,
Verneint Gemeinheit jeden Unterschied,
Ja, machte Berge gern dem Boden gleich,
Damit nur nichts Erhabnes; und darin
Sind Dirnen wie der Pöbel, daß sie nicht
Bei der Entdeckung eines Flecks und Fehls
An einem Ruf, der aus der Menge ragt,
Bedauern, wie die Größten doch so klein, –
Vielmehr sich aufblähn in wahnsinn'ger Lust,
Und nach dem Thon der Füße die Natur
Des Ganzen schätzend, es verschmäh'n, empor
Zu blicken auf das göttergleiche Haupt,
Das von des Geistes Strahlen wie verklärt,
In höhere Welten ragt. – Ich hab' sie satt!«

  Er sprach kaum hörbar, meist im Flüsterton,
Der noch erstickt durch seinen greisen Bart,
Das winterreiche Fließ um Hals und Kinn.
Doch Viviane merkte seinen Groll,
Denn »Dirne« klang es, einmal, wiederum;
Da sprang sie stöhnend auf von ihrem Sitz
Auf seinen Schooß, und steifte sich vor ihm,
Gleich einem frosterstarrten Schlangenleib:
Und, – ekler Anblick, – aus den Rosenlippen
Voll Lieb' und Leben grinst' ihn das Gespenst
Des Todes plötzlich zähnefletschend an.
Weiß war ihr Antlitz, und von Grimm geschwellt
Die stolzen Nüstern; keuchend flog die Brust,
Die Hand glitt zitternd, halb zum Griff geballt,
An ihren Gürtel, suchte tastend dort
Nach einem Dolch, und hätt' ihn gern durchbohrt,
– Denn falsche Liebe wird im Nu zu Haß, –
Doch fand sie keinen. Merlin's Blick blieb kalt;
Da brach sie rasch in bittres Weinen aus,
Wie ein bestraftes Kind, so bitterlich,
Untröstlich, unaufhaltsam. Schluchzend dann
Rang ihre falsche Stimme sich hervor:

  »Grausamer, wie die Sage keinen kennt,
Kein Lied noch sang! O mein vergeudet Herz!
Was war der armen Viviane je
Zu seltsam, toll, und schamlos vor der Welt, –
Denn weiß von Scham die Liebe, wenn sie wahr,
Und nicht wie deine? – was sie nicht gethan,
Daß der ihr traue, der sie so benennt;
Und ihre Schuld, – nichts, – nichts, – die Sehnsucht nur
Nach dem Beweis, daß er ihr ganz gehört!«

  Sie sann ein Weilchen, schlug die Hände dann
Zusammen, schrie verzweifelt auf und sprach:
»Erdolcht von ihm, zu dem mein Herz mich zieht!
Gebrüht dem Lamm gleich in der Mutter Milch!
Gemordet durch ein Wort, ein schlimmeres
Als tausend Wunden! Mein Gedanke war:
Er, der so groß ist, muß auch liebreich sein;
Gott! wäre minder groß, den ich geliebt,
Ein größres Herz geboten hätt' er mir!
O! schmeichelnd meiner treuen Leidenschaft, 35
Erblickt' ich Ritter, Hof und König nur
Als dunkle Schatten neben deinem Licht,
Macht' Andre gern noch schwärzer, als sie sind,
In stolzer Wonne, wenn ich dich allein
Auf meiner Huldigung Altar erhöht!
Mir ward vergolten! und von nun an wird
Mein Lebensweg, der mir so blumig schien
Mit dir als Herrn und Führer, dir allein,
Zum Klippenpfad, auf dem ein Abgrund gähnt,
Aus Felsentrümmern. Alles, Alles hin!
Nichts bleibt mir, als ein niedrig Höhlenloch,
Mich zu verkriechen; wenn der Wolf mich schont,
Verwein' ich dort mein Leben; Grausamkeit,
Unsägliche, verschuldet meinen Tod.« –

  Sie wandte stumm sich ab, und hing das Haupt;
Die goldne Schlange glitt aus ihrem Haar,
Und ihre Flechten fielen aufgelöst.
Sie weinte weiter, und der dunkle Wald
Ward dunkler, wie das Wetter näher zog
In schwüler Stille; während nach und nach
Sein Zorn dahinstarb, und der Weisheit Stimme
Vor seines Herzens Wohlgefallen schwieg,
Bis er sie halb und halb für ehrlich hielt.
»Zur hohlen Eiche komm', und schütze dich;
Der Sturm bricht los!« Er sah sie an, sie schwieg,
Die Schultern fliegend, ihr Gesicht versteckt
In beiden Händen, wie im Uebermaaß
Von Schmerz und Scham. Mit rührend zartem Wort
Versucht' er dreimal, ihr erregtes Herz
Zur Ruh' zu sprechen, doch umsonst. Zuletzt
Ließ halb und halb sie sich beschwichtigen;
Und wie des Käfigs Flüchtling wiederkehrt,
So nahm das scheinbar schwer mißhandelte
Schlichtherz'ge Wesen auf dem alten Sitz
Von Neuem Platz. Und wie sie dort nun saß,
Halb ihm vom Schooße gleitend, halb im Nest
An seiner Brust, und er die Thränen sah,
Die langsam vom geschloßnen Augenlied
Herniedertropften, schlang, aus Mitleid mehr,
Als Zärtlichkeit, der milde Zaubergreis
Beschirmend einen Arm um ihren Leib.
Doch riß sie jäh sich los, und sprang empor,
Und trat, die Arme vor die Brust gekreuzt,
Ein tugendreiches, tief verletztes Weib,
Stolz und erglühend vor ihn hin und sprach:

  »Nein, Liebeständelei darf zwischen uns
Von nun an und auf ewig nimmer sein.
Denn bin ich, wie du gröblich mich genannt,
Was könnt' ich geben, das dein fühllos Herz
Als nehmenswerth betrachtet'! Ich will gehn.
In Wahrheit, – eins nur, –wär' ich dreimal doch
Gestorben, eh ich einmal darum bat, –
Könnt' mich noch halten, – das so oft umsonst
Verlangte Zeichen, daß du mir vertraust.
Wie wohlverdient nach jenem schnöden Wort,
Das tief mich schmerzt! Dann könnt' ich dir, wer weiß,
Noch einmal glauben. O, was anfangs nur
Der Laune Spiel, geworden ist es jetzt
Zur allumfassenden Nothwendigkeit,
An der mein Herz, an der mein Leben hängt.
Leb' wohl! denk' freundlich mein, denn ach, mir bangt,
Mein Schicksal ist es oder meine Schuld,
Dich noch zu lieben, ich, die nichts gefragt
Um dich, den Greis, nach muntrern Jünglingen.
Doch eh' ich geh', hör' nochmals meinen Schwur,
Wenn ich auf Arges gegen dich gedacht,
Dann, du gerechter Himmel über mir,
Aus jenem Dunkel schleudre deinen Strahl!
Nichts sonst versehrend, wandl' er einzig nur
Mein bübisch Hirn in Kohlen, wenn ich log!«

  Noch schwieg sie kaum, da fuhr ein Blitz herab,
(Denn das Gewitter stand jetzt im Zenith)
Und grub in einer Eiche Riesenstamm
Gewalt'ge Furchen, und die Splitter flogen
In scharfen Stücken durch die Finsterniß
Zu Boden rings. Er hob den Blick und sah
Den Baum durch's Dunkel schimmern weißgestreift;
Doch Viviane fuhr entsetzt zurück,
Als ob der Himmel ihren Schwur gehört,
Und schrie, geblendet von dem fahlen Licht
Des grellen Strahls, vom stoßweis prasselnden
Gekrach des Donners hinterher betäubt:
»O wenn auch nicht aus Liebe, rette mich! –
Nur Rettung, Merlin!« hing an seiner Brust,
Umschlang ihn fest, und rief in ihrer Angst:
»Mein theurer Schutzherr!« aber ihrer List
Vergaß sie selbst in ihren Aengsten nicht,
Und seinen Sinn zu wandeln hoffte sie,
Indem sie fest und fester ihn umschloß.
Und höher färbte sich das blasse Blut 36
Des greisen Zaubrers unter ihrem Druck,
Gleich dem Opal von warmer Hand berührt.
Sie schalt sich selbst, daß sie Geklätsch erzählt,
Sie flog vor Angst, beweinte bitterlich
Den bösen Leichtsinn, nannte Merlin Herrn
Und Meister, Seher, Barden, Silberstern
Des Abends, ihren Merlin, ihren Gott,
Und ihres Lebens einz'ge Leidenschaft.
Und über ihnen heulte der Orkan,
Und brachen morsche Zweige vor der Wucht
Der Regenfluthen; wechselnd zeigten sich
Im grellen Licht, und schwanden dann in Nacht
Des Busens Schimmer und der Augen Glanz;
Bis jetzt der Sturm, da seine Wuth erschöpft,
Nur fern noch grollend, dem verwüsteten
Gebiet des Walds auch diesmal Frieden gab.
Da war geschehn, was nimmermehr gesollt,
Denn Merlin, überredet und verführt,
War schwach gewesen, hatte wirklich ihr
Den ganzen Zauber offenbart, und schlief.

  Im Nu vollzog sie dann das Werk des Banns
Durch buntverschlungnen Reih'n und Händewink;
Und in der hohlen Eiche lag er starr,
Todt für die Welt, lahm, ruhmlos, namenlos. –

  »Mein ist sein Ruhm jetzt,« schrie die Buhlerin,
Und huschte durch den Wald, und kreischte: »Thor,
O Thor!« – das Dickicht schloß sich hinter ihr,
Des Forstes Echo hallte nach: »o Thor!« –

 

 


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