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Es war einmal ein Kartenkönigreich auf einer einsamen Insel im fernen Meer. Dort lebten die Könige und die Königinnen, die Asse und die Buben. Die Zehne und Neune mit den Zweien und Dreien und all den andern Ständen hatten sich auch schon vor langer Zeit dort niedergelassen. Aber diese gehörten nicht zu den zwiegebornen »Zwiegeboren« ist die Bezeichnung der drei oberen Kasten (Brahmanen, Kschatrijas und Vaischjas). Die Anlegung der heiligen Schnur bei der Einweihung gilt als zweite Geburt. (Anm. d. Übers.) Kasten wie die erlauchten Hofkarten.
As, König und Bube waren die drei höchsten Kasten. Die vierte Kaste war aus einer Vermischung mit den niedrigeren Karten entstanden. Die Zweie und Dreie aber waren die niedrigsten von allen. Diese niedrigeren Karten durften niemals in derselben Reihe mit den großen Hofkarten sitzen.
Die Satzungen und Regeln dieses Inselkönigreichs waren wirklich wunderbar. Der besondere Rang jedes Einzelnen war seit unvordenklichen Zeiten festgesetzt. Jeder hatte seine ihm zugewiesene Arbeit und tat nie etwas anderes. Eine unsichtbare Hand schien sie bei jedem ihrer Schritte zu leiten – den Regeln gemäß.
Niemand hatte im Kartenkönigreich je Veranlassung zu denken; niemand brauchte zu irgendeinem Entschluß zu kommen; niemand kam je in den Fall, über irgendeine neue Sache eine Meinung zu vertreten. Die Bürger bewegten sich stumm und teilnahmlos auf dem vorgeschriebenen Wege dahin. Wenn sie umfielen, geschah es ganz geräuschlos. Sie legten sich auf den Rücken, die Augen nach oben gerichtet, mit korrektem Ausdruck in jedem Zuge ihres Gesichts, der ihm nun für immer eingeprägt war.
Es herrschte eine merkwürdige Stille im Königreich der Karten. Sattheit und Zufriedenheit waren vollkommen in ihrer runden Fülle. Niemals gab es Aufruhr oder Gewalttat, niemals Aufregung oder Begeisterung.
Der große Ozean lullte mit seiner ewig gleichen Melodie die Insel in Schlaf, während die weißen Hände seiner Wellen sanft und weich über ihre Stirn strichen. Der weite Himmel breitete sein azurnes, flaumiges Gefieder schützend über die Insel wie die Schwingen einer brütenden Vogelmutter. Denn am fernen Horizont bezeichnete eine tiefblaue Linie ein anderes Ufer. Aber kein Laut von Kampf und Streit konnte bis zu der Insel der Karten dringen und ihre tiefe Ruhe stören.
In jenem fernen, fremden Lande jenseits des Meeres lebte ein junger Prinz, dessen Mutter eine kummervolle Königin war. Diese Königin war in Ungnade gefallen und lebte mit ihrem einzigen Sohn an der Meeresküste. Der Prinz verlebte seine Kindheit allein und verlassen; er saß bei seiner verlassenen Mutter und wob das Netz seiner ungeheuren Wünsche. Er sehnte sich auf die Suche zu gehen nach dem fliegenden Roß, nach dem Edelstein in der Haube der Kobraschlange, nach der Himmelsrose, nach dem Zauberstab oder nach dem Orte jenseits der dreizehn Flüsse und sieben Seen, wo die Prinzessin Tausendschön im Schloß des Ungeheuers schlief.
Vom Sohn des Kaufmanns lernte der junge Prinz in der Schule die Geschichten von fremden Königreichen. Vom Sohne des Amtmanns hörte er das Märchen von Alladin und der Wunderlampe. Und wenn der Regen herniederrauschte und die Wolken den Himmel bedeckten, saß er auf der Schwelle, und auf die See hinausblickend sagte er zu seiner kummervollen Mutter: »Mutter, erzähle mir eine Geschichte von einem ganz fernen Lande.«
Und dann erzählte ihm seine Mutter eine endlos lange Geschichte, die sie in ihrer Kindheit gehört hatte, von einem Wunderlande jenseits des Meeres, wo die Prinzessin Tausendschön lebte. Und das Herz des jungen Prinzen wurde krank vor Sehnsucht, wenn er da auf der Scholle saß und hinausblickte auf den Ozean und der Wundergeschichte seiner Mutter lauschte, während draußen der Regen herniederrauschte und die grauen Wolken den Himmel bedeckten.
Eines Tages kam der Sohn des Kaufmanns zum Prinzen und sagte kühn: »Kamerad, meine Studien sind zu Ende. Jetzt will ich auf Reisen gehen und auf dem Meere mein Glück versuchen. Ich komme, dir Lebewohl zu sagen.«
Der Prinz sagte: »Ich will mit dir gehen.«
Und der Sohn des Amtmanns sagte auch: »Kameraden, ihr habt immer treu und redlich an mir gehandelt, ihr werdet mich nicht zurücklassen. Auch ich will euer Gefährte sein.«
Da sagte der junge Prinz zu seiner kummervollen Mutter: »Mutter, ich will jetzt auf die Reise gehen und mein Glück suchen. Wenn ich wieder zurückkomme, werde ich ein Mittel gefunden haben, all deinen Kummer zu bannen.«
So machten sich denn die drei Gefährten zusammen auf die Reise. Im Hafen lagen die zwölf Schiffe des Kaufmanns vor Anker, und die drei Gefährten gingen an Bord. Der Südwind blies, die zwölf Schiffe segelten fort, und die Wünsche des Prinzen flatterten ihnen voran.
An der Muschelinsel füllten sie ein Schiff mit Muscheln. An der Sandelbauminsel füllten sie ein zweites Schiff mit Sandelholz, und an der Koralleninsel füllten sie ein drittes Schiff mit Korallen.
Vier Jahre gingen dahin, und sie füllten noch vier Schiffe, eins mit Elfenbein, eins mit Moschus, eins mit Gewürznelken und eins mit Muskatnüssen.
Aber als diese Schiffe alle beladen waren, erhob sich ein furchtbarer Sturm. Alle Schiffe gingen unter mit ihren Nelken und Muskatnüssen und Moschus und Elfenbein und Korallen und Sandelholz und Muscheln. Aber das Schiff mit den drei Gefährten schlug gegen das Felsenriff einer Insel, warf sie wohlbehalten ans Ufer und brach selbst in Stücke.
Dies war die berühmte Karteninsel, wo As und König und Königin und Bube mit den Neunen und Zehnen und all den anderen Ständen nach den festgesetzten Regeln lebten.
Bis dahin hatte nie etwas jene Inselstille gestört. Nie hatte sich etwas Neues ereignet. Nie war man über irgendeine Sache verschiedener Meinung gewesen.
Und nun erschienen plötzlich die drei Gefährten, die das Meer ans Land geworfen hatte, – und die große Debatte begann. Da waren drei Hauptstreitpunkte.
Erstens: zu welcher Kaste sollten diese klassenlosen Fremden gehören? Sollten sie denselben Rang einnehmen wie die Hofkarten? Oder waren es bloß Leute einer niederen Kaste, denen man den Platz der Neune und Zehne zuwies? Es lag kein Präzedenzfall vor, nach dem man diese wichtige Frage hätte entscheiden können.
Zweitens: Zu welcher Rasse gehörten sie? Hatten sie die hellere und zartere Hautfarbe der Herzen oder die dunklere der Treffs? Über diese Frage wurde endlos disputiert. Das ganze Heiratssystem der Insel mit seinen verwickelten Satzungen hing von ihrer richtigen Entscheidung ab.
Drittens: Was für Nahrung sollten sie erhalten? Bei wem sollten sie wohnen und schlafen? Und sollten sie mit dem Kopf nach Südwesten hin liegen oder nach Nordwesten, oder nur nach Nordosten? Im ganzen Kartenkönigreiche war nie über eine Reihe so wichtiger und höchst kritischer Fragen verhandelt worden.
Aber inzwischen wurden die drei Gefährten verzweifelt hungrig. Sie mußten sich irgendwie etwas zu essen verschaffen. Und während die große Beratung noch vor sich ging mit ihren endlosen Pausen und während die Asse für sich eine Versammlung einberiefen und einen Ausschuß bildeten, der irgendeinen alten Fall aufstöbern sollte, nach dem man entscheiden könnte, aßen die drei Gefährten selbst alles, was sie finden konnten, und tranken aus jedem Gefäß und brachen alle Regeln.
Selbst die Zweie und Dreie waren über dies unerhörte Betragen entsetzt. Die Dreie sagten: »Brüder Zwei, diese Leute sind einfach schamlos.« Und die Zweie sagten: »Brüder Drei, sie gehören augenscheinlich zu einer noch niedrigeren Kaste als wir.«
Nachdem die drei Gefährten ihr Mahl beendet hatten, machten sie einen Spaziergang durch die Stadt.
Als sie sahen, wie die Leute gewichtig durch die Straßen schritten, in düster feierlichem Zuge, mit ängstlich korrekten Mienen, da wandte sich der Prinz nach dem Sohn des Kaufmanns und dem Sohn des Amtmanns um, warf den Kopf zurück und brach in unbändiges Gelächter aus.
Die Königsstraße hinab über den Asplatz und am Bubenkai entlang erscholl dies seltsame, unerhörte Gelächter, bis es wie über sich selbst erschrocken im großen leeren Raum des Schweigens hinstarb.
Den Sohn des Amtmanns und den Sohn des Kaufmanns überlief es eiskalt bei dem geisterhaften Schweigen rings um sie her. Sie wandten sich zum Prinzen und sagten: »Kamerad, laß uns von hier fortgehen. Laß uns keinen Augenblick länger in diesem unheimlichen Gespensterlande bleiben.«
Aber der Prinz sagte: »Kameraden, diese Leute sehen aus wie Menschen; ich will sie einmal gehörig durch und durch und um und um schütteln, um zu sehen, ob denn nicht noch ein einziger Tropfen warmen Lebensblutes in ihren Adern übrig ist!«
Ein Tag nach dem andern verging, und das Leben der Insel rann still und gelassen dahin, fast ohne das leiseste Wellengekräusel. Die drei Gefährten aber kehrten sich an keine Regeln und Satzungen. Sie taten nie etwas nach vorgeschriebener Weise, mochten sie nun stehen oder sitzen oder sich umwenden oder auf dem Rücken liegen. Im Gegenteil, wo immer sie sahen, daß man diese Dinge genau nach den Regeln tat, brachen sie in ein zügelloses Gelächter aus. Auf sie machte der heilige Ernst dieser geheiligten Regeln durchaus keinen Eindruck.
Eines Tages kamen die großen Hofkarten zu dem Prinzen und dem Sohn des Amtmanns und dem Sohn des Kaufmanns.
»Warum«, fragten sie langsam, »bewegt ihr euch nicht nach den Regeln?«
Die drei Gefährten antworteten: »Weil unsere Itscha (= Wunsch) es so will.«
Die großen Hofkarten sagten alle zusammen mit hohler Grabesstimme, als wenn sie langsam aus einem jahrtausendelangen Schlaf erwachten: »Itscha? Und dürfen wir fragen, wer Itscha ist?«
Sie ahnten damals noch nicht, wer Itscha war, aber die ganze Insel sollte es bald erfahren.
Zuerst fing es an, leise in ihrem Geist zu dämmern, als sie das Tun des Prinzen beobachteten und dadurch zu der Erkenntnis kamen, daß sie geradeaus gehen konnten in einer Richtung, die der gewohnten entgegengesetzt war. Dann machten sie noch eine überraschende Entdeckung: sie bemerkten, daß die Karten noch eine andere Seite hatten, die sie nicht beachtet hatten. Dies war der Anfang der Wandlung.
Nun aber, da die Wandlung einmal begonnen hatte, konnten die Gefährten die Inselbewohner immer tiefer in die Geheimnisse der Itscha einweihen. Den Karten wurde es allmählich klar, daß das Leben nicht an Regeln gebunden ist. Sie fingen an, eine geheime Befriedigung zu empfinden, daß sie die königliche Macht, für sich selbst zu wählen, ausüben konnten.
Aber bei diesem ersten Anstoß der Itscha geriet der ganze Kartenhaufe ins Schwanken und fiel zu Boden. Es war, wie wenn eine ungeheure Riesenschlange aus langem Schlaf erwacht und langsam ihre zahllosen Windungen aufrollt, während ein Zittern durch ihren ganzen Körper läuft.
Bis dahin hatten die Königinnen der Piks und Treffs und Karos und Herzen immer hinter einem Vorhang gesessen und ins Leere gestarrt oder den Blick zu Boden gesenkt.
Und jetzt geschah es plötzlich an einem Frühlingsnachmittag, daß Herzkönigin einen Augenblick die dunklen Wimpern hob und verstohlen vom Balkon aus einen schnellen Blick auf den Prinzen warf.
»Großer Gott,« rief der Prinz, »ich dachte, das wären alles nur gemalte Figuren. Aber ich habe mich geirrt. Es sind doch Frauen.«
Nun rief der junge Prinz seine beiden Gefährten zu sich und sagte in nachdenklichem Ton: »Meine Kameraden! Diese Damen haben einen Zauber, den ich nie zuvor bemerkt habe. Als ich den Blick aus den dunklen Augen der Königin sah, wie sie in einem neuen Gefühl aufleuchteten, da erschien er mir wie der erste leise Dämmerstrahl in einer neu erschaffenen Welt.«
Die beiden Gefährten tauschten ein vielsagendes Lächeln und sagten: »Wirklich, Prinz?«
Mit der armen Herzkönigin aber wurde es von diesem Tag an immer schlimmer. Sie fing an, alle Regeln zu vergessen, so daß es wirklich eine Schande war. Wenn sie zum Beispiel ihren Platz in der Reihe neben dem Buben hatte, so befand sie sich plötzlich statt dessen ganz zufällig an der Seite des Prinzen. Dann sagte der Bube mit unbeweglicher Miene und in feierlichem Ton: »Königin, Ihr habt Euch geirrt.«
Und die roten Wangen der armen Herzkönigin röteten sich noch tiefer. Aber der Prinz kam ihr ritterlich zu Hilfe und sagte: »Nein, es ist kein Irrtum. Von heute ab bin ich Bube.«
Nun geschah es aber, daß die andern, während jeder versuchte, die Unschicklichkeiten der schuldigen Herzkönigin zu verbessern, selbst anfingen, Fehler zu machen. Die Asse sahen sich von den Königen beiseite gedrängt. Die Buben gerieten unter die Könige. Die Neune und Zehne gaben sich ein Ansehen, als ob sie zu den großen Hofkarten gehörten. Die Zweie und Dreie wurden dabei ertappt, wie sie heimlich die Plätze einnahmen, die für die Viere und Fünfe reserviert waren. Es hatte nie vorher solch ein wirres Durcheinander gegeben.
Schon viele Lenze waren über die Karteninsel hingezogen. Der Kokil, der Frühlingsvogel, hatte Jahr für Jahr seinen Sang ertönen lassen. Aber er hatte nie wie jetzt das Blut in Erregung gebracht. In vergangenen Tagen hatte das Meer unermüdlich sein Lied gesungen. Aber da hatte es ihnen nur das ewige Einerlei der Regel wiederholt. Nun aber verkündeten seine Wellen plötzlich mit glitzerndem Licht und leuchtenden Schatten und Tausenden von Stimmen das tiefste Sehnen des liebenden Herzens.
Wohin sind nun plötzlich die korrekten, runden, regelmäßigen, selbstzufriedenen Gesichter? Hier ist ein Antlitz, blaß vor Liebessehnsucht. Hier ist ein Herz, das in wilder Qual pocht. Hier ist ein Geist, der sich in Zweifeln zermürbt. Musik und Seufzer, Lächeln und Tränen füllen die Luft. Das Leben pulsiert, Herzen brechen, Leidenschaften flackern auf.
Jeder denkt jetzt an sein eigenes Aussehen und vergleicht sich mit andern. Treff-As überlegt bei sich, daß Pik-König wohl ganz passabel aussieht. »Aber,« meint er, »man braucht nur zu sehen, wie sich alle Blicke auf mich richten, wenn ich die Straße entlang gehe.« Pik-König sagt: »Was in aller Welt hat Treff-As sich immer den Hals zu verrenken und wie ein Pfau einherzustolzieren? Er bildet sich ein, daß alle Königinnen vor Liebe zu ihm sterben, während in Wahrheit – –« Hier schweigt er und wirft einen prüfenden Blick in den Spiegel.
Aber die Königinnen waren die schlimmsten von allen. Sie fingen an, ihre ganze Zeit damit hinzubringen, daß sie sich auffällig herausputzten. Und die boshaften Bemerkungen, die sie übereinander machten, waren wahrhaft skandalös.
Die Jünglinge saßen teilnahmlos im Laube unter den Bäumen und streckten sich im Waldesschatten aus. Und die jungen Mädchen in hellblauen Kleidern kamen wie zufällig zu denselben Schatten derselben Bäume desselben Waldes und taten, als ob sie niemanden dort sähen, und sahen möglichst unschuldig aus, als ob sie weiter nichts suchten. Und dann wagte ein junger Mann, der dreister war als die andern, in einem Anfall von Tollheit, sich einem Mädchen in Blau zu nähern. Aber als er näher kam, versagte ihm die Sprache. Er stand da, stumm und verwirrt, und der günstige Augenblick ging vorüber.
Die Kokils sangen oben in den Zweigen. Der boshafte Südwind blies; er zerzauste ihnen das Haar und machte ihr Blut schneller kreisen. Das Laub der Bäume rauschte in Entzücken. Und der nie verstummende Gesang des Meeres schaukelte all das heimliche Sehnen der jungen Herzen auf der Springflut der Liebe hin und her.
Die drei Gefährten hatten in die ausgetrockneten Kanäle des Kartenkönigreichs die volle Hochflut eines neuen Lebens gebracht.
Und nun trat, obgleich die Flut hoch ging, eine Pause ein, als ob die steigenden Wogen nicht in Schaum zerfallen, sondern immer geschwellt bleiben wollten. Man sprach sich nicht in Worten aus, man ging nur vorsichtig einen Schritt vorwärts und wich dann zwei zurück. Alle schienen damit beschäftigt, ihre unerfüllten Wünsche wie Luftschlösser oder Sandburgen aufzutürmen. Sie waren blaß und stumm, ihre Augen brannten, ihre Lippen zitterten von unausgesprochenen Geheimnissen.
Der Prinz sah, was ihnen fehlte. Er rief alle Inselbewohner zusammen und sagte: »Bringt die Flöten und die Zimbeln, die Pfeifen und die Trommeln. Laßt sie allesamt ertönen und erhebt lautes Freudengeschrei. Denn Herz-Königin wird noch heute abend ihren Gemahl wählen.«
Und die Zehne und Neune begannen ihre Flöten und Pfeifen zu blasen; die Achte und Siebene bliesen ihre Posaunen und spielten ihre Bratschen, und selbst die Zweie und Dreie begannen wild ihre Trommeln zu schlagen.
Als dieser lärmende Sturm von Musik sich erhob, fegte er mit einem Stoß alles Seufzen und allen Trübsinn hinweg. Und nun, welch ein Strom von Lachen und Reden! Es gab kühnes Werben und spottendes Weigern und Plaudern und Schwatzen und Spaß und Fröhlichkeit. Es war wie das Zittern und Schwanken und Rauschen und Brausen von Millionen von Blättern und Zweigen tief drinnen im Urwald, wenn der Sommersturm hindurchfährt.
Aber Herz-Königin im rosenroten Gewande saß still im Schatten ihrer verschwiegenen Laube und horchte auf den tobenden Lärm der Musik und der Fröhlichkeit, der immer näher kam. Sie schloß die Augen und träumte ihren Liebestraum. Und als sie sie wieder öffnete, sah sie den Prinzen zu ihren Füßen sitzen und zu ihr aufblicken. Da bedeckte sie ihr Gesicht mit beiden Händen und wich zurück, in dem freudigen Aufruhr ihres Innern erzitternd.
Und der Prinz verbrachte den ganzen Tag allein, an der Küste des wogenden Meeres hinwandelnd. Er sah immer diesen erschreckten Blick, dieses Zurückbeben der Königin, und in seinem Herzen pochte die Hoffnung laut.
Am Abend warteten die buntgekleideten Reihen der Jünglinge und Mädchen dicht gedrängt und mit lächelnden Gesichtern vor den Toren des Palastes. Die Halle war feenhaft erleuchtet und mit Girlanden von Frühlingsblumen geschmückt. Langsam trat Herz-Königin ein, und die ganze Versammlung erhob sich, sie zu begrüßen. Einen Jasminkranz in der Hand, stand sie gesenkten Blickes vor dem Prinzen. In ihrer demütigen Schüchternheit konnte sie den Kranz kaum zu dem Nacken des Bräutigams, den sie gewählt hatte, erheben. Aber der Prinz neigte sein Haupt, und der Kranz glitt an seinen Platz. Die Versammlung der Jünglinge und Mädchen hatte in lautloser Spannung ihre Wahl erwartet. Und als sie gewählt hatte, brach ein Sturm toller Freude los und brauste durch die Halle und tönte über die ganze Insel hin bis hinaus zu den Schiffen weit draußen auf dem Meere. Niemals hatte es im Kartenkönigreich je solchen Jubel gegeben.
Und sie hoben den Prinzen und seine Braut auf ihre Schultern und setzten sie auf den Thron und krönten sie auf der Stelle – auf der alten Karteninsel.
Und die kummervolle Königin-Mutter auf der fernen Insel jenseits des Meeres kam in einem goldgeschmückten Schiffe zu dem neuen Königreich ihres Sohnes gefahren.
Und die Bürger werden nicht mehr von Regeln geleitet, sondern sind gut oder schlecht oder beides, je nach ihrer Itscha.