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Das Skelett

In dem Zimmer, neben welchem wir Knaben zu schlafen pflegten, hing ein menschliches Skelett. In der Nacht pflegte die Brise, die durch das geöffnete Fenster hereinstrich, mit seinen Knochen zu rasseln. Am Tage rasselten wir mit diesen Knochen. Wir hatten Osteologie bei einem Studenten der Medizin, denn unser Vormund war entschlossen, uns in alle Wissenschaften einzuweihen. Wieweit es ihm gelang, brauchen wir denen, die uns kennen, nicht zu sagen, und den andern bleibt es besser ein Geheimnis.

Viele Jahre sind seitdem vergangen. Inzwischen ist das Skelett aus dem Zimmer verschwunden und auch die Osteologie aus unserm Gehirn, ohne eine Spur zurückzulassen.

Neulich war das Haus voll von Gästen, und ich mußte die Nacht in demselben alten Zimmer zubringen. Der Schlaf wollte in dieser ungewohnten Umgebung nicht kommen, und während ich mich ruhelos von einer Seite auf die andere warf, hörte ich die Kirchenuhr in der Nähe eine Stunde nach der andern schlagen. Das Licht der Nachtlampe in der Ecke wurde immer matter, endlich sprühte und flackerte es noch ein paarmal auf und ging dann ganz aus.

Wir hatten kürzlich mehrere Verluste in der Familie gehabt, so war es natürlich, daß das Erlöschen der Lampe mich auf Todesgedanken brachte. Ich stellte die Betrachtung an, daß es in der großen Arena der Natur doch eigentlich derselbe Vorgang sei, wenn eine Lampe erlischt, und wenn das Lichtlein eines Menschenlebens sich in ewiges Dunkel verliert.

Meine Gedanken riefen das Skelett wieder in meiner Erinnerung wach. Während ich versuchte mir vorzustellen, wie der Leib, der es einst umhüllt hatte, wohl ausgesehen haben könnte, war es mir plötzlich, als ob etwas immer um mein Bett herumginge, wobei es an den Wänden entlang tastete. Ich konnte sein rasches Atmen hören. Es schien nach etwas zu suchen, was es nicht finden konnte, und es ging mit immer hastigeren Schritten im Zimmer umher. Ich war ganz sicher, daß dies alles nur eine Einbildung meines schlaflosen, aufgeregten Hirns war und daß, was mir als laufende Tritte erschien, in Wahrheit das Pochen der Adern in meinen Schläfen war. Doch trotzdem überlief es mich kalt. Um diese Halluzination loszuwerden, rief ich laut: »Wer ist da?« Die Tritte schienen neben meinem Bett anzuhalten, und jemand antwortete: »Ich bin es. Ich bin gekommen, um mich nach meinem Skelett umzusehen.«

Es wäre doch lächerlich gewesen, einem Geschöpf meiner Einbildung gegenüber Furcht zu zeigen; daher sagte ich – indem ich aber doch die Bettdecke etwas fester faßte – mit erheuchelter Ruhe: »Eine nette Beschäftigung zu dieser nächtlichen Stunde! Was wollen Sie denn mit dem Skelett anfangen?«

Die Antwort schien fast unmittelbar aus meinem Moskito-Vorhang zu kommen. »Welche Frage! In dem Skelett waren die Knochen, die mein Herz einschlossen; der jugendliche Reiz meiner sechsundzwanzig Jahre umblühte es. Sollte ich nicht den Wunsch haben, es noch einmal zu sehen?«

»Gewiß,« sagte ich, »das ist ein ganz berechtigter Wunsch. Suchen Sie nur weiter, während ich versuche, etwas zu schlafen.«

Die Stimme sagte: »Aber ich glaube, Sie sind einsam. Nun, da werde ich mich ein Weilchen zu Ihnen setzen, und wir wollen ein wenig plaudern. Vor Jahren pflegte ich so bei Menschen zu sitzen und mich mit ihnen zu unterhalten. Aber während der letzten fünfunddreißig Jahre habe ich nur auf den Verbrennungsplätzen der Toten im Winde gestöhnt. Ich möchte gern einmal wie in früheren Zeiten mit einem Menschen plaudern.«

Ich fühlte, wie sich jemand ganz dicht bei meinem Vorhang niedersetzte. So ergab ich mich denn in diese Situation und erwiderte mit soviel Herzlichkeit, wie ich aufbringen konnte: »Ja, das wird sehr nett sein. Lassen Sie uns von etwas Lustigem reden.«

»Das Lustigste, was ich kenne, ist meine eigene Lebensgeschichte. Die will ich Ihnen erzählen.«

Die Kirchenuhr schlug die zweite Stunde.

»Als ich noch im Lande der Lebendigen und jung war, fürchtete ich eins wie den Tod selbst, und das war mein Gatte. Was ich fühlte, läßt sich nur mit dem vergleichen, was ein Fisch empfindet, der an einem Angelhaken gefangen ist. Denn es war, als hätte mich ein Fremder mit dem schärfsten aller Haken aus dem friedlich stillen Heim meiner Kindheit gerissen – und ich hatte kein Mittel, ihm zu entrinnen. Mein Gatte starb zwei Monate nach unsrer Heirat, und meine Freunde und Verwandten beklagten mich mit vielem Pathos. Der Vater meines Gatten aber, nachdem er mir lange forschend ins Gesicht geblickt hatte, sagte zu meiner Schwiegermutter: ›Siehst du nicht, daß sie den bösen Blick hat?‹ – Nun, hören Sie auch zu? Ich hoffe, Sie finden die Geschichte unterhaltend?«

»Sehr unterhaltend«, sagte ich. »Der Anfang ist wirklich äußerst lustig.«

»Lassen Sie mich also fortfahren. Ich war sehr froh, als ich wieder in meines Vaters Haus zurückkam. Die Leute versuchten, es mich nicht merken zu lassen, aber ich wußte wohl, daß ich von der Natur mit einer seltenen, blendenden Schönheit ausgestattet war. Was meinen Sie?«

»Ich glaube es wohl«, murmelte ich. »Aber Sie müssen bedenken, daß ich Sie nie gesehen habe.«

»Was? Sie haben mich nicht gesehen? Und mein Skelett? Hahaha! Nun gut. Ich scherzte nur. Wie kann ich Sie je davon überzeugen, daß jene zwei höhlenartigen Löcher das strahlendste dunkle, schmachtende Augenpaar enthielten? Und daß die grinsenden Zähne, die Sie zu sehen pflegten, nichts ahnen ließen von dem Lächeln, das jene rubinroten Lippen umspielte? Wenn ich nur versuche, Ihnen eine Vorstellung zu geben von der Anmut, dem Reiz, der in der Fülle der Jugend in weichen, wundervoll geschwungenen Linien jene trocknen alten Knochen umwuchs und umblühte, so muß ich lächeln. Aber es macht mich auch zornig. Die hervorragendsten Ärzte meiner Zeit hätten sich nicht träumen lassen, daß meine Knochen dazu gut seien, um Osteologie daran zu lernen. Wissen Sie, daß ein junger Arzt, den ich kannte, mich tatsächlich mit einer goldenen Tschampakblüte verglich? Er meinte, daß die ganze übrige Welt nur der Kelch sei, der die Blüte meiner Schönheit umschloß. Denkt irgend jemand bei dem Skelett an eine Tschampakblüte?

»Wenn ich ging, so hatte ich das Gefühl, daß, wie ein Diamant Glanz um sich verbreitet, jede meiner Bewegungen nach allen Seiten Wellen von Schönheit ausstrahlte. Ich konnte stundenlang meine Hände betrachten – Hände, die spielend leicht den unbändigsten aller Männer gezügelt hätten.

»Aber jenes starre, starrende alte Gerippe hat falsch Zeugnis von mir abgelegt, während ich unfähig war, die schamlose Verleumdung zurückzuweisen. Darum hasse ich von allen Menschen Sie am meisten! Ich möchte durch ein Traumbild von meiner einstigen lebenswarmen Schönheit auf immer allen Schlaf aus Ihren Augen bannen und mit ihm den ganzen osteologischen Krimskrams, mit dem Ihr Hirn angefüllt ist.«

»Ich könnte bei Ihrem Leibe schwören, wenn Sie ihn noch hätten,« rief ich aus, »daß auch keine Spur von Osteologie mehr in meinem Kopf ist, und daß das einzige, was ihn jetzt erfüllt, ein strahlendes Bild vollkommener Schönheit ist, das sich leuchtend vom schwarzen Hintergrund der Nacht abhebt. Das ist alles, was ich sagen kann.«

»Ich hatte keine weiblichen Gefährten«, fuhr die Stimme fort. »Mein einziger Bruder war entschlossen, nicht zu heiraten. Im Frauengemach war ich allein. Allein pflegte ich im Garten zu sitzen, im Schatten der Bäume, und zu träumen, daß die ganze Welt in mich verliebt sei; daß die Sterne schlaflos mit durstigen Blicken meine Schönheit tränken, daß der Wind schmachtende Seufzer ausstieße, wenn er unter irgendeinem Vorwande an mir vorbeistrich, und daß der Rasen, auf dem meine Füße ruhten, wenn er Bewußtsein gehabt, es bei ihrer Berührung wieder verloren hätte. Ich träumte, daß alle jungen Männer in der ganzen Welt wie Grashalme zu meinen Füßen lägen; und mein Herz wurde von einer unbestimmten Traurigkeit erfaßt.

»Als meines Bruders Freund Schekhar seine medizinischen Studien beendet hatte, wurde er unser Hausarzt. Ich hatte ihn schon oft durch einen Spalt des Vorhangs gesehen. Mein Bruder war ein Sonderling und mochte die Welt nicht mit offenen Augen ansehen. Sie war ihm zu bunt und kraus. Und so rückte er allmählich immer mehr von ihr ab, bis er ganz allein in einer dunklen Ecke saß. Schekhar war sein einziger Freund und daher der einzige junge Mann, den ich je zu sehen bekam. Und wenn ich des Abends im Garten meinen Hof hielt, so war das ganze Heer von eingebildeten Anbetern, die zu meinen Füßen lagen, jeder ein Schekhar. – Hören Sie zu? Woran denken Sie?«

Ich erwiderte mit einem Seufzer: »Ich wünschte eben, ich wäre Schekhar.«

»Warten Sie ein Weilchen. Hören Sie erst die Geschichte zu Ende. Eines Tages, in der Regenzeit, bekam ich Fieber. Der Arzt kam, um nach mir zu sehen. Das war unsre erste Begegnung. Ich lag dem Fenster gegenüber, so daß der rosige Abglanz des Abendhimmels auf mein blasses Antlitz fallen mußte. Als der Doktor eintrat und mich anblickte, versetzte ich mich an seine Stelle und betrachtete mich selbst. Ich sah im herrlichen Abendlicht das zarte blasse Gesicht wie eine welke Blume auf dem weichen, weißen Kissen liegen, während die Locken lose um die Stirn fielen und die schüchtern gesenkten Lider dem ganzen Gesicht einen rührenden Ausdruck gaben.

»Der Doktor fragte in zaghaft leisem Tone meinen Bruder: ›Dürfte ich wohl ihren Puls fühlen?‹

»Ich zog ein müdes, schön geformtes Handgelenk unter der Decke hervor. ›Ach,‹ dachte ich, als ich darauf blickte, ›könnte ich doch nur ein Saphirarmband daran haben Witwen dürfen sich nur in Weiß kleiden, ohne jeden Schmuck..‹ Ich habe nie gesehen, daß ein Doktor sich so ungeschickt anstellte, wenn er den Puls eines Patienten fühlte. Seine Finger zitterten, als sie mein Handgelenk faßten. Er maß mein Fieber und ich seinen Herzschlag. – Glauben Sie mir das nicht?«

»Das glaube ich Ihnen gern,« sagte ich, »der Herzschlag des Menschen ist verräterisch.«

»Nachdem ich mehrmals erkrankt und wiederhergestellt war, bemerkte ich, daß die Zahl der Höflinge, von denen ich des Abends im Garten träumte, bald auf einer einzigen zusammengeschmolzen war. Und zuletzt bestand meine kleine Welt nur noch aus einem Doktor und einem Patienten.

»An solchen Abenden kleidete ich mich heimlich in einen goldgelben Sari, wand um den Knoten, in den ich mein Haar schlang, einen Kranz von weißen Jasminblüten und begab mich, mit einem kleinen Spiegel in der Hand, zu meinem gewohnten Platz unter den Bäumen.

»Nun, glauben Sie etwa, daß man es bald müde wird, seine eigene Schönheit anzustaunen? Ach nein! Ich sah mich gar nicht mit meinen eigenen Augen. Ich war damals ein Doppelwesen. Ich sah mich, als ob ich der Doktor wäre; ich starrte mich an, war entzückt, verliebte mich zum Wahnsinn. Aber trotz all der Liebkosungen, mit denen ich mich überhäufte, irrte doch ein Seufzer in meinem Herzen umher, wie der ruhelose Nachtwind.

»Jedenfalls war ich von dieser Zeit ab nie mehr allein. Wenn ich ging, beobachtete ich mit gesenkten Lidern das Spiel meiner zarten kleinen Zehen auf der Erde und fragte mich, was der Doktor wohl sagen würde, wenn er es sehen könnte. Am Mittag, wenn die Luft von Sonnenglut erfüllt war und nichts zu hören als hin und weder der ferne Ruf einer Gabelweihe; wenn draußen an unsrer Gartenmauer der Händler vorüberging mit seinem singenden Ruf: ›Kauft Ringe, kristallene Ringe!‹, dann breitete ich ein schneeweißes Tuch auf den Rasen und legte mich darauf, den Kopf auf den Arm gestützt. Mit gesuchter Nachlässigkeit ruhte der andere Arm leicht auf dem weichen Tuch, und dann stellte ich mir vor, jemand erblickte mich in dieser wundervollen Pose, ergriffe meine Hand mit beiden Händen ehrfürchtig, drückte einen Kuß auf ihre rosige Fläche und ginge dann langsam fort. – Wie wäre es wenn ich die Geschichte hier enden ließe? Wie würde sie Ihnen gefallen?«

»Das wäre kein schlechter Abschluß«, erwiderte ich nachdenklich. »Sie würde zwar nicht ganz vollständig sein, aber ich könnte ja leicht den Rest der Nacht damit zubringen, sie irgendwie abzurunden.«

»Aber auf diese Weise würde die Geschichte zu ernst. Wo bliebe das Lustige dabei? Und wo bliebe das Skelett mit seinen grinsenden Zähnen?

»Lassen Sie mich daher fortfahren. Sobald der Doktor eine kleine Praxis hatte, mietete er im Erdgeschosse unseres Hauses ein Zimmer als Sprechzimmer. Ich befragte ihn damals mitunter im Scherz über Medizinen und Gifte, und wieviel von dieser oder jener Arznei dazu gehören würde, um einen Menschen zu töten. Dieser Gegenstand interessierte ihn, und er wurde beredt. Durch solche Gespräche wurde ich mit dem Gedanken an den Tod vertraut, und so waren Liebe und Tod die beiden Dinge, die meine kleine Welt ausfüllten. – Meine Geschichte ist jetzt bald zu Ende. Es ist nicht viel mehr übrig.«

»Von der Nacht ist auch nicht viel mehr übrig«, murmelte ich.

»Nach einiger Zeit bemerkte ich, daß der Doktor merkwürdig zerstreut geworden war, und es schien, als ob er mir etwas zu verbergen suchte, dessen er sich schämte. Eines Tages kam er herein. Er war sorgfältiger als gewöhnlich gekleidet und lieh sich meines Bruders Wagen für den Abend.

»Ich konnte meine Neugier nicht länger bezwingen und ging hinauf zu meinem Bruder, um zu erfahren, was der Doktor vorhatte. Nachdem ich erst über andere Dinge geredet hatte, fragte ich ihn endlich: ›Übrigens, Dada Der ältere Bruder., wohin will der Doktor heute abend in deinem Wagen?‹

›In den Tod‹, antwortete mein Bruder kurz.

›Ach, sag' es mir doch‹, drängte ich. ›Wohin will er in Wirklichkeit?‹

›Er will sich verheiraten‹, war die etwas deutlichere Antwort.

›Ach, wirklich!‹ sagte ich und brach in ein langes, lautes Gelächter aus.

»Ich erfuhr allmählich, daß die Braut eine reiche Erbin sei, die dem Doktor ein großes Vermögen mitbringen würde. Aber warum kränkte er mich, indem er mir dies alles verbarg? Hatte ich ihn je gefleht und gebeten, sich nicht zu verheiraten, weil es mir das Herz brechen würde? Man darf den Männern nie trauen. Ich hatte in meinem Leben nur einem einzigen Manne getraut, und nun machte ich diese Entdeckung.

»Als der Doktor nach getaner Arbeit hereinkam und im Begriff war aufzubrechen, sagte ich lachend zu ihm: »Nun Doktor, Sie wollen sich heute abend verheiraten?«

»Meine Heiterkeit brachte ihn nicht nur aus der Fassung, sie verletzte ihn auch.

»Aber wie kommt es denn,« fuhr ich fort, »daß wir keine Illumination und keine Musikkapelle haben?«

»Er erwiderte mit einem Seufzer: »Ist eine Hochzeit denn ein so froher Anlaß?«

»Ich brach in ein erneutes Gelächter aus. »Nein, nein,« rief ich, »dies geht wirklich nicht. Hat man je von einer Hochzeit ohne Lichter und Musik gehört?«

»Ich quälte meinen Bruder so sehr, daß er sofort alles bestellte, was zu einer vergnügten Hochzeit gehört.

»Die ganze Zeit schwatzte ich in einem fort lustig von der Braut, von dem bevorstehenden Fest und was ich tun wollte, wenn die Braut ins Haus käme. »Und, Doktor,« fragte ich, »werden Sie nun noch fortfahren, den Leuten den Puls zu fühlen?« Hahaha! Wenn man auch nicht sehen kann, was in einem Menschen, besonders in einem Mann, vorgeht, so will ich doch darauf schwören, daß meine Worte den Doktor wie Dolchstöße ins Herz trafen.

»Die Hochzeitsfeierlichkeit sollte spät am Abend stattfinden. Bevor der Doktor aufbrach, sollte er mit meinem Bruder draußen auf der Terrasse ein Glas Wein trinken, wie sie es alle Tage zu tun pflegten. Der Mond war gerade aufgegangen.

»Ich kam lächelnd zu ihnen und sagte: »Haben Sie denn Ihre Hochzeit vergessen, Doktor? Es ist Zeit aufzubrechen.«

»Ich muß hier noch eine Kleinigkeit erwähnen. Ich war inzwischen in die Apotheke hinunter gegangen und hatte ein kleines Pulver geholt, das ich unbemerkt in des Doktors Glas geschüttet hatte.

»Der Doktor leerte sein Glas auf einen Zug und sagte dann mit vor Erregung erstickter Stimme und mit einem Blick, der mir in die Seele schnitt: »Dann muß ich fort.«

»Die Musik begann zu spielen. Ich ging in mein Zimmer und kleidete mich in meine Brautgewänder von Seide und Gold. Ich nahm meine Juwelen und Schmucksachen aus dem verschlossenen Schrank und legte sie alle an; ich malte das rote Abzeichen meiner Frauenwürde auf den Scheitel meines Haares. Und dann bereitete ich mir unter dem Baum im Garten mein Lager.

»Es war eine wundervolle Nacht. Der sanfte Südwind küßte die Müdigkeit der Welt hinweg. Der Duft des Jasmins und der Quittenblüten füllte den Garten mit berauschender Freude.

»Als die Klänge der Musik leiser und leiser wurden und das Licht des Mondes blasser und blasser; als die Welt mit ihren altvertrauten Vorstellungen von Heim und Verwandten meinem Bewußtsein wie ein Traum zu entschwinden begann, – da schloß ich die Augen und lächelte.

»Ich glaubte, daß, wenn die Leute kommen und mich finden würden, jenes Lächeln noch auf meinen Lippen weilen würde wie die Spur von rotem Wein, daß ich jenes Lächeln mit mir nehmen und daß es mein Antlitz verklären würde, wenn ich so hinüberschlummerte in mein ewiges Brautgemach. Aber ach, wo blieb das Brautgemach? Wo die Brautgewänder von Seide und Gold? Als ich von einem rasselnden Geräusch in mir erwachte, fand ich drei kleine Buben, die an meinem Skelett Osteologie lernten. Wo einst in meinem Busen Freude und Leid pochten und die Blütenknospen der Jugend sich eine nach der andern erschlossen, da war jetzt der Lehrer geschäftig mit seinem Zeigestock und zählte meine Knochen auf. Und jenes letzte Lächeln, das ich mir so sorgfältig einstudiert hatte, haben Sie davon eine Spur bemerkt?

»Nun, sagen Sie mir, wie gefällt Ihnen die Geschichte?«

»Sie war wundervoll«, sagte ich.

In diesem Augenblick begann der Hahn zu krähen. »Sind Sie noch da?« fragte ich. Niemand antwortete. Durchs Fenster dämmerte der Morgen.


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