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Warum sagt man: »In der Tiefe der Seele?« Ist die Seele denn tief? Ist die Seele ein Brunnen oder eine Quelle oder ein Abgrund oder ein Sumpf oder eine Nacht oder ein Himmel, in dessen Fernen man auch nicht hineinblicken kann. Was ist die Seele? Ist sie lichtgeboren? Ist sie nur das Ergebnis von dem Gehirn und seinen Kammern? Und vergeht sie in tausend neue Kombinationen wie das Gehirn nach dem Tode?
Die Seelentiefe? Was macht, daß in allen Religionen der Erde etwas angenommen wird, das man Seele nennen dürfte, je nach dem Grade der Zivilisation? Keine läßt dem Körper mehr Rechte, als die einer zeitweiligen Behausung. Hat es die Menschheit gefühlt, daß etwas ganz anderes in ihrem Inneren wohnt, als was zu Tage tritt, oder hat dieses Zutagetreten sie erschreckt oder auch erfreut?
Jeder Märtyrer und jeder hohe Denker hat den Beweis geliefert, daß die Seele vom Körper trennbar ist, und erhaben ist über die Leiden und Schmerzen desselben. Ja man kann sagen, daß oftmals, je mehr der Körper zerstört wurde, um so erhabener die Seele darüber zu stehen schien, als ob sie bereits keinen Teil mehr habe an dem zerfallenden Gehäuse. Also muß die Seele eine Kraft besitzen, die vom Körper unabhängig ist und des Körpers nur bedarf, um sich der sichtbaren, oder wenigstens unserm Auge sichtbaren Welt kund zu geben, von dem sie sich aber gern und freudig trennt, sobald es ihr möglich ist, um andere Gestalten zu begrüßen, und einem anderen Leben entgegenzueilen. Ist die Seele so vielemal vertieft, als sie Existenzen durchgemacht und den Tod überwunden hat? Ist die Seele je nach dem Zustand tiefer, in welchem sie sich vor ihrer Inkarnation befunden hat? Das entzieht sich unserer Beobachtungsmöglichkeit, und nur ahnend folgen wir den Entschlummernden, nur tastend fragen wir uns in das zu erziehende Kind hinein, und lassen uns fast von ihm leiten, in der Art, wie seine Seele behandelt sein will, diese Seele, die wir für jung halten, weil ihr die irdische Ausdrucksweise noch fremd und neu ist, bei der wir aber sehr bald ganz bestimmte Eigenschaften entdecken, welche den Menschen durch sein ganzes Leben in höchst charakteristischer Weise begleiten. Es hat sich noch nie ein scharf und liebevoll beobachteter Mensch verändert, wenigstens nicht insofern man ihn zu studieren die genügende Gelegenheit gehabt hat. Denn in anderen Lagen erscheint sein Leben in anderem Lichte, ohne deshalb sich verändert zu haben. Manchmal kommt in bewußtlosem Zustande, in schwerer Krankheit, etwas zum Vorschein das wieder verschwindet, sobald der Mensch wieder in die frühere Lage gebracht worden ist. Wenn man sich in seine früheste Kindheit zurückversetzt, und manche haben eine deutliche Erinnerung vom zweiten Jahre an, und manchmal noch früher, so wird man sich sagen, daß man stets derselbe war, mit denselben Empfindungen, und daß die äußere Welt in ähnlicher Weise dasselbe Gehirn oder dieselbe Seele beeinflußte. In einer Familie erscheinen Geschwister, die nicht den geringsten Zug miteinander gemein haben, die auch gar kein Verständnis für einander haben, als kämen sie wirklich aus verschiedenen Welten, und hätten einer des anderen Sprache nie vernommen.
Wenn die Seele nur aus Gehirnstoff erbaut wäre, so müßten Geschwister einander ähnlich sehen, da sie ihr Gehirn aus demselben Material gebaut haben, einer wie der andere. Man spricht dann von fernen Erbschaften verschiedener Gehirnzellen aus vergangenen Geschlechtern. Das wäre dann der einzige gültige Adelsbrief, den man mitbekommen, der aber schwer zu entziffern ist, zumal da die folgenden Geschlechter die früheren meist vergessen haben, und sich nur zufällig Züge ihres Wesens erhalten haben. Wer weiß, ob es der sich zu inkarnierenden Seele nicht gestattet ist, sich das Elternpaar und das Geschlecht auszusuchen, aus dessen Stoff sie glaubt, eine gute Behausung bauen zu können. Denn man sieht, daß Erziehung auch nur einen ganz äußerlichen Einfluß hat, die Seele aber in keiner Weise modelliert. Erziehung heißt, sich in der umgebenden Welt zurechtfinden, und die Freiheiten seiner Nebenmenschen in keiner Weise beeinträchtigen. Inwieweit dies aber gelingt, hängt lediglich von der Natur eines jeden ab, ob er egoistisch oder altruistisch angelegt ist.
Es ist auch möglich, daß frühere Existenzen eine Art von Selbstverurteilung herbeiführen, unter ungünstigen Umständen wiedergeboren zu werden, oder gar gezwungen zu sein, das Böse zu tun, ein Dämon zu sein auf der Erde, bis auf diese Weise ein anderes Dasein erfüllt oder gebüßt ist. Umgekehrt muß es auch vorkommen, daß die Seele die Verhältnisse, die sie versucht, ungünstig findet und den Körper wieder verläßt, um sich einen besseren zu suchen. Das heißt für die Menschen dann frühes Sterben. Vielleicht sind Sie selbst an dem frühen Sterben schuld, weil Sie der Seele nicht die körperliche und geistige Nahrung zugeführt haben, deren sie bedurfte. Wir tasten in Dunkelheiten, die wir vielleicht nicht einmal erhellen sollen. Darwin sagte bescheiden und demütig: »Vielleicht stammen wir aus demselben Uranfang?« und seine Schüler erhoben diese Anfrage zur Lehre und schworen dabei, bis sie sahen, daß sie nicht weiter führt. Fichte sprach vom Ich, Schopenhauer vom Willen, Kant von der Vernunft, Büchner von der Kraft, aber warum dachten Sie nicht an das Alte?
Warum unsere Identität fortbeweisen wollen, wenn die allergrößten Philosophen der Welt, die Inder, schon so lange den Weg gezeigt hatten, die unerklärlichen Verschiedenheiten von Seele und Leib zu erklären. Sie bewiesen in der vollkommenen Extase, auf ein wie geringes Maß von Existenz man den Körper reduzieren kann, ohne an Denkkraft einzubüßen, sondern im Gegenteil, die Denkkraft schien sich zu erhöhen, je weniger der Körper vorhanden war. Die Europäer verfielen auf den gegenteiligen Gedanken, sie wollten dem Körper alles zuschieben, was durch ihn hindurchzustrahlen bestimmt ist. Man dürfte aber sein bescheidenes Vielleicht wieder einmal in der Richtung der Inder entsenden und nachforschen, warum sie so große Gewalt über sich und über die ganze Natur erlangten. Vielleicht waren sie der Wahrheit näher gekommen und wußten, daß sie viele Wege bereits zurückgelegt. Vielleicht wacht die Erinnerung besser auf, wenn der Körper überwunden und als nebensächlich behandelt wird, vielleicht sehen wir in einem Spiegel, was früher wir gewesen sind. Ob in der vollkommenen Extase wir unsern jeweiligen Beruf erfüllen, das ist eine andere Frage.
Aber es muß auch solche geben, die sich zum Wohle der andern in sich selbst zu vertiefen suchen, und ihnen mitteilen, woraus sie entnommen sind. Wir wissen vielleicht gar nicht, wie wahr wir sind, wenn wir von Seelentiefen sprechen, denn wir haben oft Überraschungen von Eigenschaften, die uns verhüllt blieben, bis zu einem gewissen Augenblick. Daß die Seele sich den Leib bis zu einem gewissen Grade modelliert, das wird wohl auch richtig sein, denn der Gesichtsausdruck verändert sich je nach der einen oder andern Eigenschaft, die sich entwickelt, ja die ganze Kopfform verändert sich, der Schädel scheint eine Umbildung zu erleiden, die Bewegungen werden anders, die Form der Hände, der Gang, alles wird gröber, oder was wir vergeistigter nennen, je nach den Beschäftigungen oder Sitten, die zur stärkeren Entwicklung kommen. Wie oft wird der schwächlichste Körper zu unerhörten Leistungen förmlich durch das innewohnende Feuer der Seele gezwungen, und dieser beständige Kampf gegen die ungenügende Materie bringt eine immer steigende geistige Kraft zu Tage. Wer befiehlt denn dem Menschen, der ohne Arme und Beine geboren ist, ein gewaltiger Mathematiker zu werden, oder wenigstens ein Rechenkünstler, der alle in Erstaunen setzt? Wer befiehlt dem ohne Arme Lebenden, seine Füße zum Malen zu gebrauchen? Die Seele, die den Körper überwinden will, und in dieser Überwindung einen Triumph feiert, wie ihn kein Ringkampf und kein heldenhafter Sieg zur Empfindung bringt. Wie viele Menschen sehen ihren Körper wie einen Feind an, den man täglich bezwingen muß, und der dennoch gehorchen muß, ob er scheinbar kann oder nicht. Das ist doch wohl nicht Materie, welche die Materie beherrscht, oder jedenfalls eine andere Materie, die viel stärker ist, als die sichtbare, oder als diejenige, über die wir uns in unserer Beschränktheit Rechenschaft geben. Das, was wir überirdisch nennen, oder den Naturgesetzen zuwiderlaufend betrachten, ist doch nur das, was wir nicht verstehen. Aber ein Mensch, der noch nie einen Baum gesehen hätte, würde das Wachstum einer Eiche oder einer Buche, oder einer Tanne für ungeheuerlich und unmöglich, den Naturgesetzen zuwiderlaufend, erklären. Was wissen wir überhaupt von den uns umgebenden Gesetzen? Wir tasten umher, um sie zu erkennen, und unsere Entdeckungen weisen uns täglich auf den Grad unserer Blindheit hin.
Einige Menschen erhoben das sogenannte Böse zum Prinzip, weil sie in ihrem Glauben an einen gütigen Gott nicht erschüttert werden wollten, durch all das Unrecht, das sie sehen mußten und von dem sie nicht glauben konnten, daß ein gütiger oder nur ein gerechter Gott es dulden würde. Aber da steht man wiederum fragend da und kann nicht erklären, warum das sogenannte Böse besteht und geduldet wird, und ob es so böse ist, als es uns erscheint, oder das Gute so gut, als es uns erscheint.
So vieles ist nur durch Gestalt und Größe bestimmt, was uns in irgend einer Weise beeinflußt. Würde es Raupen geben, die größer wären als wir, wie entsetzlich müßten sie uns erscheinen, ja, wie die Drachen der Fabel oder der grauen Vorzeit.
Könnte eine Spinne uns das Blut aussaugen, wie gräßlich würde sie uns sein, und wir würden sie gar keinem Studium unterziehen können, sondern uns nur verbergen und entfliehen voller Entsetzen und Grausen. Ja, das heilige Grausen, das die meisten Menschen über allerhand Käfer, Spinnen, Tausendfüßler und Gewürm befällt, ist vielleicht nur der Instinkt des Körpers, der ahnt, daß er dieser Tiere sichre Beute ist, sobald der Geist sie nicht beherrscht. Ein sehr tiefer Schlaf ist sicher nur ein Abbild dessen, was Körper und Seele trennt. Der Körper kann in vollkommner Bewußtlosigkeit daliegen, während die Seele ganze Erlebnisse durchwandelt, und in so unglaublicher Schnelle, daß sie beim sogenannten Erwachen nicht begreift, so wenig geschlafen zu haben, und ein Buch mit ihren Erlebnissen füllen könnte. Der Graf Keyserling beschäftigte sich viel mit der Traumseele, aber er kam nicht auf den Gedanken, daß unsere Träume nur das Spiegelbild von dem sind, was die Seele im freien Zustande erlebt, und wovon das schlummernde Gehirn soviel erzählt, als ein Kind lallen würde, das ein wirklicheres Erdenerlebnis schildern wollte und dem dazu Worte und Bilder, ja Begriffe fehlen. Wissen wir, was die Seele tut, während wir schlafen?
Vielleicht ist sie viel beschäftigter als im wachenden Zustande des Körpers und hat Aufgaben, vor denen wir staunen würden, könnten wir sie anders erkennen als im undeutlichen Spiegelbild und manchmal gar nicht. Wir haben auch ganz gewiß viel größere Voraussicht als wir es uns zum Bewußtsein bringen, und im Traume erkennen wir vieles, das wir gern dem wachenden Menschen mitteilen möchten, um ihn zu warnen, das er aber nicht recht versteht, weil er die Bildersprache, zu der seine Seele gezwungen ist, um sich überhaupt verständlich zu machen, noch nicht zu entziffern gelernt hat. Wenn wir aufmerksamer schlafen würden, so würde uns manches zum Bewußtsein kommen, das uns jetzt wie ein Märchen oder Rätsel erscheint oder als leeres Hirngewebe. Kann man sich aber in einer Welt, in der alles in einander greift, und alles zweckmäßig ist, vorstellen, daß ein Wesen stundenlang jeden Tag vollkommen unnütz sein soll? Sogar die Tierseele scheint im Schlafe weiterzuarbeiten, denn wir sehen deutlich die Träume, die sie dem Tiergehirn vorspiegelt, geringste Träume haben oft nicht die geringste Verbindung mit dem bewußt Erlebten, mit unsern Gedanken, Wünschen und Erinnerungen. Wir durchwandern eine Welt, die uns vollkommen fremd ist, und die vielleicht mehr Erinnerungen enthält, als wir es ahnen.
Wer schickte Columbus nach Amerika? Er war nicht besonders gelehrt, er hätte schwer beweisen können, daß dort Welten sein müßten, wo die Welt aufhörte, und daß die Erde eine Kugel ist, und die Sterne singen in ihrem Laufe, was doch Pythagoras versicherte, gehört zu haben. Es ist eine üble Gewohnheit der Menschen, einander ihre verschiedenen Erfahrungen und Erlebnisse nicht zu glauben. Die Menschheit würde sicher viel schneller vorwärts kommen, da Vorwärtskommen ihr Bestreben ist, wenn sie von einander annehmen und lernen wollte, und nicht die Zeit mit Zweifeln an einander verlöre. Aber alle sind nur zu bereit, zu sagen: »Ich sah das nie, also ist es nicht vorbanden.« Aber welcher Mensch hätte Gehirn genug, um alle Erfahrungen der andern wieder zu erfahren? Dazu ist der Raum zu klein, in den er gesperrt ist. In einfacheren Zeiten verstanden die Menschen ihre Traumseele besser und folgten ihrem Rat, weil ihnen eine Ahnung sagte, daß die Traumseele weiter schaue, als die vom Körper befangene. Das Freisein vom Körper gab ihrem Gefühl nach größere Einsicht und besseres Erkennen, sie konnten ihre Träume selten Verdauungsbeschwerden zuschreiben, da sie der Schlemmerei nicht ergeben waren und oft nicht satt zu essen hatten. Das viele Essen macht die Seele sehr zur Sklavin, sie kann nicht so frei denken; daher die Idee des Fastens. Wie wären die Menschen aufs Fasten verfallen, wenn sie nicht entdeckt hätten, daß Enthaltsamkeit im Essen eine außerordentliche Klarheit und Denkkraft verleiht. Wenn aber das Gehirn allein denken würde, so könnte man es garnicht stark genug ernähren, um es besser denken zu machen. Ganz im Gegenteil gibt das Fasten eine leuchtende Kraft, die viel größere Dinge auf geistigem Gebiet leistet, als man berechnen kann. Es ist ein großes Unglück für die Menschheit, daß das Essen eine so große Rolle spielt. Erstens macht es viele unglücklich, die auch gern essen möchten und es nicht können, weil es zu teuer ist, und zweitens raubt das Essen vielen die hochgeistige Vollkommenheit, nach der sie streben dürften. Man sollte die Kinder von früh an gewöhnen, asketisch zu leben, so einfach, daß ihnen die Lust am Essen für später kein Hindernis ist, und sie gern so einfach weiter leben. Man sollte es ihnen als die größte Demütigung hinstellen, vom Gaumen beherrscht zu sein und des Gaumens halber krank zu werden. Eine Indigestion sollte mit der größten Härte und Verachtung bestraft werden, fast mitleidslos. Denn es ist verächtlich, seinen Gaumen nicht in der Gewalt zu haben. Jedes Tier ist uns dann überlegen. Ach! In wie vielem sind uns die Tiere oft überlegen. Wir wollen es oft nicht sehen und leugnen, daß sie eine Seele haben, und sie beschämen uns jeden Augenblick mit ihrer Seelengröße und Aufopferungsfähigkeit. Würden wir so einfach und unschuldig bleiben wie sie, so würden wir auch solcher edlen Züge teilhaftig werden, die wir mutwillig in den Wind schlagen, nur, weil es uns anders bequemer ist. Ja es ist sogar bequemer, an die Abwesenheit der Seele zu glauben, das vermindert die Verantwortung.