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Wenn es eine Hölle geben kann, so ist sie ganz gewiß nur eine Zeit namenloser Angst. Denn es gibt wohl nichts Furchtbareres als Angst. Die Schmerzen des Leibes und der Seele reichen nicht an das Gefühl wahnwitziger Angst hinan, welche die Glieder lähmt, das Wort in Eis verwandelt, das Herz in einen Krater, in dem es pocht und siedet Tag und Nacht. Die Höllengeborenen, welche die Angst erfanden, wußten, daß diese dem Menschen die Sinne und Gedanken raubt. Und dennoch haben Unzählige diesem Entsetzen widerstanden und sind für einen einzigen Gedanken, für eine einzige Überzeugung durch die Qual hindurchgegangen in den Tod, der wie ein Balsam ihre erlöschenden Kräfte umfing. Ein Gedanke trug diese Menschen dem Himmel zu, während ihre Henker in der Hölle verweilten, darum, wenn die Angst, o Seele, dich umnachtet, so ist es nur darum, weil du zweifelst, weil deine Überzeugung schwankt, weil du nicht den Glauben hast, daß höchste Weisheit dich erleuchtet, und wenn sich die ganze Welt wider dich kehrt. Du hast schon Angst vor der Leute Geschwätz, schon diese Kleinigkeit ist dir so unerträglich, daß du lieber dem Moloch dieser Leute opferst, als dich freudig zu deiner Überzeugung zu bekennen. Das macht, weil das Christentum die Throne bestiegen hat und in goldenen Gewändern einhergeht, anstatt verfolgt und verhöhnt und gemartert zu sein. Damals zweifelte keiner, und alle gingen in den Tod. Der Zweifel ist die Ausgeburt des Wohllebens und der Erschlaffung. Wer leidet, der zweifelt nicht, im Gegenteil, er wird nur immer bestärkt in seinem Glauben. Du aber bist in der Verweichlichung groß geworden, in dem bequemen Weihrauch der Kirche, der dich einhüllt und keinen Kampf mehr von dir fordert, und da trifft dich das Ungemach mit seiner Folter, Angst, wie etwas Unbekanntes, Entsetzliches.
Angst ist entsetzlich. Sie hat hundert Köpfe und tausend Krallen, sie hat gar kein Antlitz, und gar keine Gestalt, das macht sie so furchtbar. Die heilige Vehm nahm Masken vor, um furchtbarer zu sein. Dasselbe tut die Angst. Sie hat kein erkennbares Aussehen, sondern legt sich dir auf Herz und Glieder und raubt dir den Verstand. Das aber ist wiederum der Körper, der dich also schwach macht, denn du weißt, daß du dasselbe denkst wie zuvor. Die Angst an einem Totenbette ist schlimmer als der Tod, die Angst vor einem vernichtenden Gespräche schrecklicher als das Gespräch, das mit einem Menschen stattfindet, der nur eine kurze Zeit über dich Gewalt bekommen hat und dich nicht ewig foltern kann.
Die Angst, Unrecht getan zu haben, die Angst vor der Tat, die du für recht hältst, und von der du doch nicht gewiß weißt ob sie zum Guten führt, die Angst, ein Wort gesprochen zu haben, das einem andern Schaden bringt, – aber siehst du nicht, daß die ganze Natur Angst hat? Vor dir, dem Räuber, der alles Lebendige verzehrt, fürchten sich alle, und dein Entzücken ist grenzenlos, wenn eins dieser bangen, mißtrauischen Wesen sich an dich anschmiegt und glaubt, daß du es gut mit ihm meinst. Womit hast du denn dieses Vertrauen verdient? Was hast du getan, damit Vogel und Reh, Schmetterling und Eidechse dir vertrauen? Denn selbst die Haustiere sind alle dem Tode verfallen, du nährst sie nur für dich, nicht zu ihrem Wohl. Und dann willst du allein das Gefühl der Angst nicht kennen? Hast du das verdient? Du würdest nicht so arm sein, als du es bist, wenn du dich von dem ernähren wolltest, was dir entgegen wächst, und das nicht leidet, sondern reift und fällt, selbst ohne dein Zutun. Du aber mußt Leben abschneiden und gar noch unschuldige Wesen quälen und verfolgen, und trauerst nicht, daß alles Getier von dir flieht als vor seinem grausamsten Feinde?
Und du willst kein Auge haben? Du mußt es bezahlen, was du leiden machst. Du hast Angst vor dem Messer, das dich heilen will, und läßt Tiere die gesund sind, in Stücke schneiden, auf daß man dadurch dein elendes Leben verlängere? Die Angst vor dem Tode ist wiederum rein körperlich, denn die Seele wünscht sich oftmals die Befreiung, wenn der Körper sich oftmals vor dem Sterben graust. Ist dir das nicht ganz klar, Seele, daß es nur der Körper ist, dem die zeitweilige Vernichtung nicht gefällt? Er hat ja sein eigenes, starkes Leben und will nicht in den Tod, bei dir nicht und bei keinem einzigen Tiere, du aber, Seele, weißt sehr wohl, daß du dir den Tod wünschest, um aus der engen Behausung herauszukommen, und den unendlichen Raum zu kennen, der dich so nahe umgibt, und der dir so fremd bleiben muß, bis du frei wirst. Dein Körper hat Angst vor Hunger und Kälte, nicht du, Seele; du fühlst weder Hunger noch Kälte, es genügt hierfür, daß ein Gedanke dich ganz befangen hält.
Angst macht dich oftmals töricht, so töricht, daß du das Verkehrte, ja das Unerhörte tust, nur weil du Angst gehabt und dein Urteil hast trüben lassen. Angst vor Menschen, ist das nicht ein nichtswürdiges Gefühl? Und doch treibt es in alle denkbaren Handlungen hinein, in Reden die man gedacht, in einem Gesichtsausdruck, der dem wahren Gefühl widerspricht. Angst entwürdigt dich so sehr, daß sie dich sogar zum allerelendesten Menschen, zum Lügner machen kann. Seele! Unwahr brauchst du doch nicht zu sein! Ein Christ, der sich von wilden Tieren zerreißen ließ, machte Hunderte zu Christen: ein beherztes Wort von dir würde vielen helfen, Mut zu haben, und sich zur Wahrheit, oder zu dem, was sie dafür halten, zu bekennen, Wir müssen uns oftmals mit dem Spiegelbild der Wahrheit begnügen, und dieses verteidigen wie ein heiliges Symbol, da uns die wirkliche Wahrheit verhüllt bleibt, bis wir sie ertragen können. Wenn wir die Erde gegen einen Angriff von außen verteidigen müßten, würden wir plötzlich alle Brüder sein, da gäbe es keine Grenze mehr und keinen Erbfeind, und keinen Hader, ja man würde vergessen, worüber man eben noch Krieg führte, und es ganz unbegreiflich finden, daß man entzweit sein konnte; so notwendig würden alle allen sein, in dem Kampf um die Erde gegen einen auswärtigen Feind. Es brauchte nur ein Stern sehr bedrohlich nahe zu kommen, und in der Angst vor Vernichtung wären alle Menschen Brüder. Einsam getragene Angst macht zum Einsiedler vielleicht für alle Zeit. Gemeinsam getragene Angst schließt alle Herzen zusammen mit einem oft unzerreißbaren Bande.
Da Märchen und Legenden meistens so sehr viel wahrer sind als sogenannte Geschichte, so ist vielleicht die Bibellegende von einem Paradiese viel wahrer als wir in unserer dunklen Schulweisheit es jetzt noch glauben wollen.
Vielleicht hat es in einer Zeit solch ein seliges Erdenland gegeben, und nur als die Angst erschien, da war es vorbei, da wurde eine Art von Hölle daraus. Aber das Bewußtsein einer Himmelsmöglichkeit blieb in den Menschen zurück, und nun suchen sie auf jede Weile diesem seligen Zustande nahe zu kommen, gar mit Mord und Totschlag, da sie meinen, einer steh dem andern im Wege zu dieser Glückseligkeit. Die unten stehen, haben Angst vor den Großen und Reichen und meinen, die nehmen ihnen den Himmel weg, und die oben stehen, haben Angst, ermordet zu werden, und so fürchten sich die einen vor den andern, anstatt sich gegenseitig zu helfen soviel es in aller Kräfte steht. Wenn man einsehen würde, daß der eine mehr Hände-, der andre mehr Gehirnarbeit verrichten soll, so würde man nicht so gierig einer auf den andern blicken, sondern mit dem zufrieden sein, was das Los bestimmt hat.
Wissen wir denn, ob wir in einem früheren Dasein nicht das alles schon gewesen sind, oder in einem kommenden wieder werden, was die andern sind? Wie mancher muß schon in diesem Leben Steine Klopfen, weil er sein Gut vertan hat, und zu nichts zu brauchen ist, was andre leisten können. Vielleicht geht es so mit den verschiedenen Existenzen, die wir durchlaufen. In der einen müssen wir hungern, in der andern müssen wir Erfinder sein, in der dritten auf des Gebens Höhen stehen, wenn wir reif genug sind, um den andern so zu dienen.
Angst! Aber wenn wir wüßten, was wir schon alles gewesen sind, und noch werden müssen, wie würde die Angst steigen! Vielleicht waren wir einmal Verbrecher! Vielleicht würde sich die Menschheit entsetzt von uns abkehren, wenn sie sehen könnte, was dieselbe Seele schon alles getan hat! Vielleicht ist die Angst, die unsere stete Begleiterin ist, die erste von früheren Fehlern, die wir noch immer sühnen müssen. Viele wollen es sich nicht eingestehen, daß sie schon auf der Erde alles sühnen müssen, jedes unbedachte Wort, jede selbstsüchtige Handlung, jede Tat, die der Menschheit in ihrem Fortschritt Schaden bringt. Oder ist es das dunkle Gefühl, daß die Sühne unser harrt, die uns die Angst ins Herz jagt?
Sie ist heilbar, diese Angst, durch einfältigen Kinderglauben. Aber heutzutage ist der Kinderglaube außer Kurs gesetzt, und man hat die Wissenschaft dafür herbeigeholt, und merkt nicht, daß die Wissenschaft in einem Jahrhundert solche Schwankungen erleidet, daß heute falsch ist, was gestern wahr war. Wie soll man aus der Wissenschaft eine Religion machen? Das Christentum gilt für verbraucht. Aber so lange noch kein einziger Mensch der Bergpredigt nachgelebt hat, ist das Christentum noch nicht einmal erreicht, geschweige denn veraltet.
Wenn nicht in der ganzen Natur die Angst wohnte, so würden wir berechtigt sein, uns für etwas außergewöhnlich Schlechtes und Nichtswürdiges zu halten, aber nun sehen wir die Unschuldigen ebenso davon heimgesucht, wie wir es sind, und das mitten in der herrlichsten Natur, die ihre Gaben ausschüttet, und alle Augen erfreuen will. Eine Hölle brauchte dennoch die Erde nicht zu sein und ist es für so sehr viele, ja vielleicht für die meisten. Denn selbst, wenn die Angst vorüber ist, läßt Sie unverlöschbare Spuren zurück, in der Seele wie am Leibe: sie geht wie ein verheerendes Feuer über die Menschen und verbrennt sie bis ins Mark. Die Narben davon schmerzen immer wieder, und eine Kleinigkeit reiht sie auf, als wären sie nie geheilt.
Ein Gethsemane wartet auf jeden, nur erzählt er es nicht, wenn er es durchlitten hat. Manchmal kann man es an seinem Mitleid mit jedem andern erkennen, daß es über einen Menschen hingegangen ist, manchmal auch am scheuen und scheinbar harten Abschließen gegen die ganze Welt. Angst wirkt so verschieden auf jede Natur. Du aber, Seele, wenn du in dem Fegefeuer der Angst stehst, so halte still, und wolle nicht der Qual ein Ende machen. Sie hat ein Ende, sei nur vertrauensvoll! Angst ist ebensowenig ewig, wie alle andern Erdenerlebnisse. Sie erscheint uns nur ewig, gleichwie Körperschmerzen, auch wie Not jeder Art. Die Freude ist kurz, wie lange sie auch gedauert hat.