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Der Fürst ließ sich nicht sehen in den Frauengemächern.

Als Anna den Heimweg antreten wollte, hörte er sie von dort herauskommen und die hohe gewölbte Halle durchschreiten. Er ging hinaus und nahm Abschied von ihr mit herzlichem Händedruck.

»Ich beneide Euch um den stillen Winter,« sagte er dabei.

Nun waren sie fast immer fort – im Winter in der Residenz, im Sommer auf Reisen. Nur im Frühling und Herbst kamen sie, Wandervögeln gleich, auf einige Wochen nach dem Runkelstein. Dann kamen sie auch ein paarmal auf die Westernburg – aber viel Behagen war nicht dabei – es blieb etwas Fremdes und Beklommenes zwischen einander. Sie machten immer mehr den Eindruck von Leuten, die innerlich nichts miteinander zu tun haben und äußerlich auch nicht viel.

»Ob die weltmännischen Leute wohl alle so sind?« sagte kopfschüttelnd dann und wann der alte Graf.

Anna Steinhofer beruhigte ihn dann allemal. Sie hatte eine so sichere, freudige Art dabei, daß er manchmal solche Zweifel laut werden ließ, nur um sich beruhigen zu lassen. Es schien ihr auch zu gelingen. Daß Griseldis niemals klagte oder schalt und kaum je ein Wort fallen ließ, daraus er Mißtrauen schöpfen konnte, erleichterte ihr die schwere Aufgabe, dem Vater die geistige und seelische Öde der einzigen Tochter zu verbergen. Der Fürst sagte auch nie mehr etwas, auch nicht zu Anna. Von dem, was andere sagten, von dem, was Anna unten in der Stadt erfuhr, wenn sie ihre Anverwandten besuchte oder sonst Geschäfte hatte, drang nichts an des Grafen Ohren. Sie hütete und barg es tief in ihrem blutenden Herzen. Die Leute erzählten, der Fürst führe draußen in der Welt ein wildes Leben; er sei leichtsinnig und seinem Weibe nicht treu. Sie erzählten, die Fürstin mache sich nicht viel daraus, denn an seiner Liebe sei ihr nicht viel gelegen gewesen. Sie halte sich schadlos durch die Bewunderung anderer, und obendrein habe sie ein hartes Herz, das nur Selbstsucht und Eifersucht, aber keine Liebe kenne.

Sie erzählten, es käme oft zu heftigen Auftritten zwischen den Eheleuten. Sie verletze ihn mit ihrer Kälte und Rücksichtslosigkeit, und er strafe sie durch Härte und Tyrannei.

Sie hatten das gehört von reisenden Kaufleuten, die aus der Residenz dann und wann hierherkamen, ihre rückständigen Waren abzusetzen – und von den Runkelsteiner Leuten, die ihren Herrn trotz seiner hochfahrenden Wildheit schwärmerisch liebten, vor der Fürstin aber nur zitterten.

Wenn Anna solches vernahm, hörte sie schweigend zu, sah betrübt aus und versuchte nach Möglichkeit all diese Gerüchte zu entkräften. Aber es gelang ihr nicht.

Lange Nächte hindurch konnte sie vor innerer Unruhe dann nicht schlafen. Selbst das Beten nützte nicht mehr. Das Fieber ihrer verschwiegenen Leidenschaft zehrte die Kräfte ihrer Seele auf.

Im fünften Jahre von Griseldis' Ehe wurde der Graf krank. Er hatte einen Schlaganfall gehabt, von dem er sich nicht wieder erholen konnte. Anna Steinhofer schickte Nachricht an die Kinder, denn sie mochte nicht allein bleiben mit ihrer großen Verantwortung. – Es war ein Frühling; das fürstliche Paar war in Paris. – Von Griseldis kam erst sehr spät eine Antwort, Wenn es nötig wäre, würden sie kommen, hieß es darin. Anna Steinhofer blieb es überlassen, den Moment der eingetretenen Notwendigkeit zu bestimmen. – Ehrenreich war sofort gekommen, ein paar Tage geblieben, und da der Zustand sich nicht änderte, wieder abgereist. Zu Annas und seiner eigenen Beruhigung kam er aber jeden zweiten Sonntag wieder. – Des Grafen Leiden war nicht groß; er konnte sich nur nicht viel bewegen und verspürte große Schwäche – aber keine Schmerzen. Geduldig und zufrieden lag er in dem hell und freundlich gehaltenen Krankenzimmer, vertrieb sich die Zeit mit Lesen und Nachdenken, atmete die Frühlingsluft, die durch die offenen Fenster hereinwehte, und freute sich an den Wald- und Wiesenblumensträußen, die täglich frisch in großen Gläsern auf dem Tische standen. – Dann und wann bekam er einen kurzen Besuch von diesem oder jenem Nachbar. Am zufriedensten war er, wenn Anna Steinhofer an seinem Bette saß, ihm vorlas oder mit ihm plauderte.

Seines Sohnes Anwesenheit genoß er mit rührender Freude. Der Jüngling war ein Mann geworden – breitschultrig, gesetzt, entschlossen und beharrlich. Sein warmes Herz leuchtete ihm aus dem blauen Augenpaar, dem einzigen, was noch an das einstige Kind erinnerte.

Je mehr Zeit dahinging, um so schneller nahmen die Kräfte des Alten ab. Er fing an von seinem Ende zu sprechen, Bestimmungen darüber hinaus zu treffen, und mit steigender Unruhe nach Griseldis zu fragen. Da hielt Anna die Zeit für gekommen, die Tochter zurückzurufen.

Sie sandte auch einen Boten an Ehrenreich, mit der Bitte, sich für eine Weile von seinen Pflichten zu lösen, und zu ihrer Unterstützung einstweilen hier zu bleiben. Wenige Tage später traf er mit unbeschränktem Urlaub ein, und sie teilten sich geschwisterlich in die Pflege.

Anna wartete mit sehnender Ungeduld auf eine Antwort von Griseldis – aber die konnte freilich so bald nicht hier sein.

Des Grafen Kräfte schwanden immer mehr. Alle wußten, daß sein Weiterleben nur noch nach Tagen rechnen könne.

Davon hatten sie auch eben miteinander gesprochen.

Es war ein warmer, duftender Maiabend, und sie saßen auf der Terrasse unter der Linde, um ein wenig frische Luft zu atmen, indes der Kranke schlief. Schweigen lag über dem Lande; der junge Mond senkte sich hinter die Tannen. Anna war müde und gedankenschwer. Sie liebte den Grafen und liebte die Heimat, die ihr hier oben geworden. Nun sah sie kommen, daß sie sich von beiden trennen mußte.

Als habe Ehrenreich ihre Gedanken gelesen, fragte er die Sinnende:

»Anna, habt Ihr schon darüber nachgedacht, was nachher aus Euch werden soll?« Ihre Augen füllten sich mit Tränen. Sie hatte keine Ahnung, wo er hinaus wollte; sie glaubte, das alles wäre längst vergessen – eine Knabenlaune gewesen.

»Nachgedacht habe ich wohl, aber ich kann zu keinem Entschluß kommen. Fürs erste, wenn ich hier nichts mehr zu tun habe, werde ich zu meinem Oheim gehen. Ich kann nicht gleich wieder zu fremden Menschen. Mit der Zeit wird sich wohl das Richtige für mich finden. Freilich, am liebsten bliebe ich immer hier,« fügte sie verhauchend hinzu, und ihre Augen hoben sich zu dem dunklen Runkelstein empor in traurigem Leuchten. Ehrenreich hatte ihr gespannt zugehört, und – sie falsch verstanden. Er ergriff lebhaft mit beiden Händen ihre Rechte.

»Anna,« sagte er warm erregt, »du kannst ja auch immer hier bleiben – bleibe hier – ich bitte dich darum! Sieh, damals war ich ein törichter Knabe, und du hattest recht, mich zur Ordnung zu rufen. Aber heute bin ich ein Mann, der dir ein Leben und ein Heim geben kann, und aus der Schwärmerei des Knaben ist eine treue Liebe geworden. Nimm sie, Anna – diese Liebe, mein Herz, mein Haus, ich selbst – alles sei dein – nimm sie und bleibe bei mir!«

Die Worte sprudelten ihm nur so über die Lippen; er beachtete nicht, daß ein tiefer Schreck über ihr liebliches, stilles Gesicht flog, daß ihre Samtaugen sich in unheilvollem, tiefinnerlichem Leuchten auf ihn richteten.

Nun lehnte sie sich in den Stuhl zurück und legte die Hand an die Stirn.

»Nein, Junker, ich kann nicht – so nicht – und überhaupt nicht – und nie!« sagte sie mit schmerzvoller Sicherheit.

Aber er hielt ihre Hand nur inniger fest.

»Warum nicht, Anna! ich habe dich doch so sehr lieb! Du hättest es doch wissen müssen!« es klang ein leiser Vorwurf hindurch. Da nahm sie die Hand vom Gesicht und sah ihn klar und gerade an.

»Nein, bei Gott, Junker, ich habe es nicht gewußt; ich habe gedacht, das hattet Ihr mit den Knabenjahren abgelegt. Und ich hätte es ja auch wohl kaum ändern können!«

»Aber nun weißt du es doch!« sagte er immer dringender. »Du kannst dich doch vielleicht daran gewöhnen – kannst es vielleicht mit der Zeit erwidern lernen! Nimm mir nicht alle Hoffnung, Anna, ich will warten – warten, bis du mir eines Tages sagst: jetzt will ich!«

Anna empfand Qualen dieser rührenden Ergebung gegenüber. Sie raffte ihre ganze Entschlossenheit zusammen.

»Nein, lieber Junker, wartet nicht auf mich; es kann sich nichts ändern an dem, was ich heute fühle und sage. Es wäre ein großes Unrecht an Euch, wenn ich all das nähme, was Ihr mir anbietet, und – nichts dafür gäbe.«

»So sagst du heute – aber mit der Zeit hast du doch vielleicht etwas zu geben, von dem, worauf es allein ankommt. Denn an allem andern ist mir nichts gelegen!«

»Nein, nie –,« wiederholte sie, und noch und noch einmal, als wenn ihr gar nichts anderes mehr einfiele.

Endlich ließ er entmutigt ihre Hand los.

»Ich kann mir denken,« sagte er traurig, »du hast einen andern lieb. Und dann ist freilich wenig Hoffnung für mich – denn du bist keiner Wandlung fähig.«

Er schien trotzdem auf eine Antwort zu warten – aber es kam keine. Da seufzte er tief und betrübt auf.

»Ich wollte dich für immer hier festhalten – nun habe ich dich vielleicht um so gründlicher vertrieben. Aber tu' mir das nicht an, Anna, daß du vor mir fliehst! Du mußt schon meines Vaters wegen jetzt noch bleiben. Und auch dann – gehe nicht schneller, wie du es sonst getan hättest; ich will deine Ruhe hier gewiß nicht stören, ich will dich meiden und dir aus dem Wege gehen, soviel ich kann – – – –«

»Davon ist gar keine Rede, lieber Junker. Ich habe keinen Grund vor Euch zu fliehen. Meidet mich nicht mehr, wie Euch persönlich lieb ist, denn wenn ich denken müßte, ich verdrängte Euch im eigenen Hause, so wäre das der Grund, meinen Abschied zu beschleunigen.« Sie sprach in ruhiger Herzlichkeit; sie wollte ihm wohltun! Er hörte daraus nur seine gänzliche Hoffnungslosigkeit. Er erhob sich und tat ziellos ein paar Schritte hin und her.

»Wenn Griseldis kommt ...« begann er – und wußte schon nicht mehr, was er noch hatte sagen wollen.

» ... dann werde ich sie fragen, was sie etwa noch für mich zu tun hat, und ob ich ihr noch dies und jenes helfen kann,« fiel Anna ein, ihren eigenen Gedanken an seinem angefangenen Satz fortspinnend. »Und erst, wenn ich meine Pflicht hier bis aufs letzte erfüllt habe, werde ich gehen. Seid Ihr's so einverstanden, lieber Junker?«


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