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XV.

So traurig und beängstigend dieser Brief lautete, so war er doch nicht ohne beruhigende Wirkungen. Es ist ein großes, bedauernswürdiges, herzzerreißendes Unglück, der Vater eines unheilbaren Blödsinnigen zu sein; aber es ist unendlich schrecklicher, einen Sohn zu haben, der, während er noch im Besitz seiner Vernunft ist, das teuflische Verbrechen des Vatermordes begehen kann. Von diesem Schrecken und dieser Schande war ich erlöst. Mein Herz war im Stande, den Alp, der es drückte und verwirrte, abzuschütteln. Alles war nun aufgeklärt, verständlich, und mein Mißgeschick, obgleich immer noch schwer, war nicht mehr mit den unaussprechlich gehässigen Associationen verbunden, die mich vorher gequält hatten. Meines Sohnes Quacksalbereien mit der vergifteten Mixtur – die Monomanie, welche ihn zu dem schrecklichen Vorsatz anreizte – sein rücksichtsloses Betragen – seine herzlose Sprache, wenn ihn Schande und Sorge hätte niederdrücken sollen – sein eitles, verstelltes, beleidigendes Lachen, das mich so oft in Harnisch gebracht hatte – Alles hatte nun eine Lösung gefunden, indem es sich zeigte, daß es aus einem verborgenen Irresein entsprungen war und nicht aus vorbedachter und vorsätzlicher Bosheit, nicht aus Frivolität und Trotz eines gänzlich verhärteten Herzens, auch nicht aus bedachten Eingebungen einer verworfenen Natur. Aus einem Gegenstand unvermeidlichen Widerwillens und Hasses war mein unglücklicher Sohn in einen des tiefsten Mitleids umgewandelt worden. Mir war doch das Gefühl geblieben, einen Sohn zu haben, wenn er auch wenig mehr davon war, als die Bildsäule eines Sohnes.

Obschon Hodges, der Gehülfe, wäre er nach Grundsätzen einer strengen Moraljustiz abgeurtheilt worden, eher Strafe als Belohnung verdient hätte, so hatte ich ihm doch ein Versprechen gethan, welches zu erfüllen ich mich heilig verbunden hielt. Indem ich ihn daher aus der Nachbarschaft, wo er versucht werden konnte, sein schlimmes Handwerk fortzusetzen, entfernte, kaufte ich ihn in einer Provinzialstadt ein wohleingerichtetes und ansehnliches Geschäft, das, wenn er es gut in Acht nahm, nicht fehlen konnte, ihm eine mäßige Unabhängigkeit zu verschaffen. –

Seit sich diese Vorgänge zugetragen haben, die ich in der vorhergehenden Erzählung niedergelegt habe, ist mehr als ein Jahr verflossen; und obgleich ich keine wunderbaren Erlebnisse weiter zu erzählen habe, so ist doch die Zwischenzeit nicht leer an Vorfällen aller Art geblieben. Gottfried Thorpe, nachdem er sein eigenes schönes Vermögen durch alle Arten von Ausschweifungen durchgebracht hatte, lebte einige Zeit von Schuldenmachen. Als er aber nicht im Stande war, sich zu halten, verließ er den Sitz seiner Vorfahren und befindet sich gegenwärtig mit seiner Familie in Boulogne.

Oakfield Hall mit seinem großen und schönen Gebiet ist jetzt mein Eigenthum, und ich schreibe im Studirzimmer des Elisabethen-Hauses, wonach mir so lange gelüstete. Manche meiner thörichten und närrischen Grillen sind durch meine temporäre Hingabe in die Klauen des Todes gedämpft worden; aber der Ehrgeiz, vielleicht die eitelste unter meinen irdischen Eitelkeiten, hat meinen scheinbaren Tod und mein wirkliches Begräbniß überlebt, und ich fühle täglich ein zunehmendes Vergnügen, wenn ich meine breiten Felder durchwandere. Ebenso angenehm sind meine Spazierritte, denn ich reite immer auf meinem Lieblingsschimmel, dessen Rücken ich nie wieder zu überschreiten gedachte, als ich einen Strahl von ihm erblickte, während die Leichenbestatter mich in meinen Sarg legten.

Die Hochzeit meiner Tochter wurde vor einem Jahre gefeiert, und ich erfreue mich bereits eines kleinen Enkels, der meinen Namen führt und mein Erbe werden wird. Herr Mason, für den ich das Patronat der Pfarrei gekauft habe, und der mit seiner Frau die Honneurs in Oakfield Hall macht, wo sie für immer wohnen, widmet sich mit musterhaftem Eifer seinen amtlichen Pflichten und ist in der ganzen Nachbarschaft geliebt. Ihre Verbindung verspricht ungewöhnlich gesegnet zu sein, eine Aussicht, die mich der reinsten und höchsten Freuden theilhaftig macht. –

Mein armer Sohn, den ich öfter sehe, obgleich er mich nicht mehr kennt, befindet sich in einer Privatirrenanstalt, wo er jeden Beistand und Trost erhält, dessen sein unglücklicher Zustand fähig ist. – Alle Hoffnung auf seine Wiederherstellung ist schon längst verschwunden.

Obgleich mein Körper noch immer die Wirkungen der heftigen Stöße fühlt, die er erlitten hat, so bin ich doch, Gott sei Dank, im Stande, an den meisten meiner gewohnten Genüsse Theil zu nehmen; auch nähre ich die Hoffnung, daß meine Seelengesundheit aus der Feuerprobe, durch die ich gegangen bin, Nutzen gezogen hat, und daß, wenn ich einst abgerufen werde, ich eine bessere Rechenschaft von meiner Lebensführung werde ablegen können, als ich es in früherer Zeit hätte thun können.

Ein ausgezeichneter Kupferschmied am Strand, von dessen Verwandten einer lebendig begraben worden war, hinterließ ein Legat von zehn Guineen, welches einem Wundarzt dafür gezahlt werden sollte, daß er ihm, ehe noch sein Leichnam in das Grab versenkt würde, einen Dolch durch das Herz stieße; um die Ausführung der Operation zu erleichtern, wurde die Waffe dem letzten Willen beigefügt. Dieses Beispiel habe auch ich nachgeahmt. Mag man die Vorsorge für noch so eitel und lächerlich halten, so ist doch meine Erinnerung an die vergangenen Leiden zu lebhaft und zu beunruhigend, als daß ich nur die Möglichkeit ihrer Wiederkehr auf mich nehmen könnte. Ich habe keinen Wunsch weiter zu schreiben – und wahrscheinlich werden meine Leser ebenso wenig Neigung haben, zum zweiten Mal »nachgelassene Denkwürdigkeiten über mich selbst« zu lesen.


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