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VIII.

Während ich noch über den Besuch meiner lieben, guten Tochter nachdachte, der nicht ganz ohne beruhigenden Einfluß auf meine Seele war, wurde ich durch das Läuten der Kirchenglocke erschreckt, wohl zu allen Zeiten ein feierlicher und eindringender Ton, aber ach! wie unbeschreiblich feierlich und beunruhigend für mich, der ich das Läuten zu meinem eigenen Leichenbegängniß, zu meiner eigenen baldigen Beerdigung hörte! Alle Spuren von Hoffnung, an denen mein Herz noch hing, gingen zu Grunde, und meine Verzweiflung erreichte den höchsten Grad, als der Gehülfe in das Zimmer zurückkehrte und den Deckel des Sarges zuschraubte, eine Operation, die er mit einer Geschwindigkeit ausführte, die mich überraschte. Nach kurzer Zwischenzeit kamen auch seine Gehülfen hinzu und nahmen mich auf ihre Schultern; ich wurde durch das Sprechzimmer und den Vorsaal getragen und endlich auf einen Leichenwagen geschoben, dessen Thüren einige Minuten offen geblieben sein mußten, da ich viel von dem, was um mich vorging, deutlich hörte. Ich vernahm meines Sohnes Stimme, der nicht nur mit Gleichgültigkeit, sondern mit großem Leichtsinn zu seinem Newmarketer Freund, Sir Freeman Dashwood, sprach. Derselbe war ohne Zweifel mehr deßhalb eingeladen worden, um des Sohnes Erbfolge zu feiern, als dem dahingeschiedenen Vater seine Ehrfurcht zu bezeigen. Das Stampfen der Pferde, das Rollen der Wagen und andere Zeichen verriethen mir, daß es meinem Leichenbegängnisse an den gewöhnlichen Paraphernalien nicht fehlen sollte; ich sollte meinen Triumphzug nach dem Grabe mit allem dem Blendwerk irdischer Größe machen, welches man gewöhnlich auskramt, wenn die Leiche eines Vornehmen den Würmern zur Speise Preis gegeben wird. Ein Führer mit schwarzem Stab ordnete den Zug, gefolgt von Pferden mit nickenden Federn und Decken von schwarzem Sammet, und Trauerwagen, deren Inhaber nichts weniger als Trauernde zu sein schienen, Fußgänger mit Stäben und der ausgeschmückte Leichenwagen in langsamem und feierlichem Zug brachten Erde zu Erde mit allem Glanz und Pomp, der am Ende nichts weiter ist als – Staub!

Nach der Ankunft dieses leeren Gepränges, dieser Eitelkeit aller Eitelkeiten, an der Kirchenthüre wurde der Sarg in das heilige Gebäude getragen, und der Trauergottesdienst, von dem ich nicht ein Wort verlor, wurde von Herrn Mason, dem Prediger, mit ungewöhnlichem Nachdruck und Gefühl abgehalten. Wenn ich bedachte – und ich hatte Zeit zum Denken in dieser beunruhigenden Lage –, daß ich nicht allein diesem begabten und vortrefflichen Manne die Hand meiner Tochter verweigert, sondern sie auch arm gemacht hatte, wenn sie ihn nach meinem Tod heirathete, und dieß Alles um meinen unnatürlichen Sohn zu bereichern, so ergriff mein Herz Schmerz, unaussprechliche Scham und Reue. Ach, was sind wir doch blind und in der Irre befangen, wir armen Sterblichen! Wie oft und wie vollständig würden wir unseren letzten Willen ändern, könnten wir nur wenige Tage oder auch nur Stunden in die Zukunft sehen.

Verhärtet aber muß das Herz des bloßen Zuschauers sein, wenn der Sarg niedergelassen wird, und er hört das schaurige Rasseln des Deckels und die feierlichen Worte: »Erde zur Erde, Asche zu Asche, Staub zu Staub.« Er kann nicht ohne Rührung bleiben, wenn ihm eine vernehmliche Stimme, als käme sie aus dem Grabe, sagt, daß ein Nebenmensch zu seiner letzten Ruhestätte bestimmt ist, wohin er ihm vielleicht selbst in nicht gar langer Zeit unvermeidlich folgen muß. Welche Wirkung mußte sie aber auf mich haben, dem diese Stimme ein förmliches Todesrasseln war, das alle Hoffnung gänzlich vernichtete und meine düsteren und traurigen Vorstellungen zur wahren Verzweiflung steigerte? Wenige Stufen auf dem Kirchhofe, gewöhnlich mit einer Steinplatte bedeckt, leiteten zu der Thüre unseres Familienbegräbnisses. An diesen Ort wurde ich gebracht; ich wurde in das Grab getragen; auf Anordnung des Gehülfen des Leichenbestellers wurde ich auf den Boden in der Nähe des Einganges gesetzt; der Mann zog sich zurück; die Thüre wurde verschlossen; ich hörte die Fußtritte der weggehenden Zuschauer; Alles war vorüber! ich war lebendig begraben!

So lange ich auch dieses fürchterliche Resultat vorhergesehen hatte, so war ich doch bisher nicht fähig gewesen, es mir als wirklich vorzustellen, und auch jetzt noch, da die Katastrophe wirklich eingetreten war, verweilten meine Gedanken, aufrichtig gesprochen, mehr bei ihrer unmittelbaren als letzten Wirkung. Ich hatte immer eine Ehre darin gesucht, vielleicht angespornt durch meinen Widerwillen gegen seinen Eigenthümer, Godfrey Thorpe, der Eigenthümer von Oakfield Hall, mit seinem ausgebreiteten, mit Wildpret belebten Park und großem Gebiet zu werden; diese erwünschte Besitzung verglich ich nun mit meiner gegenwärtigen Wohnung. Mein Elisabethen-Haus war ein Sarg; mein Wildpark ein schmales Gewölbe mit moderigen Leichen besetzt; vier feuchte Wände mein Garten und Lustgehäge; und statt der breiten Ländereien, der sonnigen Decke des Himmels und der lieblichen Ansicht der Natur umgaben mich Grabesfinsterniß und der widrige Tod. Der Kontrast schien etwas Anziehendes zu haben, denn er beschäftigte meine Seele mehre Minuten lang.

Aber wenn meine Gedanken auf mein vergangenes Leben zurückschweiften, auf das Glück, dessen ich theilhaftig geworden war, und auf die Betrügereien, durch die ich hier und da auf unerlaubte Weise es vergrößert hatte, befiel eine tiefe Zerknirschung und Demüthigung meine Seele, und ich that ein Gelübde, daß, wenn ich je wieder zum Leben erwachen sollte – so unwahrscheinlich, ja unmöglich ein solches Ereigniß erschien, – ich Alles wieder erstatten und hinfort ein rechtschaffenes und unsträfliches Leben führen wolle vor Gott und den Menschen. In dieser Seelenstimmung betete ich lange und inbrünstig um Vergebung meiner Missethaten – eine bußfertige Berufung an den Himmel, welche mir einen momentanen Trost verlieh.


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