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IV.

Da Sarah zu Doktor Linnel geeilt war, um zu erfahren, welchen Tag sie auf seine Zurückkunft rechnen könne, indem ihre Ungeduld mit jeder Stunde wuchs, kam in einem Zwischenraum von zwei Stunden Niemand mehr in mein Zimmer. Während dem benutzte ich die Zeit, über meinen gefährlichen und beispiellosen Zustand nachzudenken. In allen meinen früheren Anfällen hatte die Seele mit der aufgehobenen Vitalität des Körpers sympathisirt, aber jetzt hatte ich vitale Sinne und Empfindung in einer todten Hülle. War diese Trennung beider Provinzen nur temporär? Wie lange würde sie dauern? wie endigen? Was war mein endliches Schicksal? Ich hatte von entkörperten Geistern gelesen, und ich konnte mir die Fortdauer einer solchen getrennten Existenz denken; aber was mich anging, so war ich lebend in meinem eigenen Körper begraben – bestimmt vielleicht, scheußlich und auf eine ekelhafte Weise zu sterben, wenn meine körperlichen Theile sich versetzten und faulten. Auch hatte ich von traurigen Opfern gelesen, die, in ohnmachtähnlichem Zustande beerdigt, sich in ihrem Sarge umgedreht hatten; ferner von solchen, die sich selbst herausgearbeitet hatten und als elende Skelete in einem Winkel des Grabgewölbes gefunden wurden, wo sie vor Hunger und Erschöpfung umgekommen waren. Innerlich zusammenschaudernd vor solchen schrecklichen Gedanken, hing ich mich an die Hoffnung, daß, obgleich mein jetziger furchtbarer Anfall bestimmt von allen vorhergehenden verschieden war, er nach etwas längerer Zeit, gleich ihnen, mit der Wiederbelebung endigen werde.

Während ich nun so über mein Schicksal nachdenkend zwischen Furcht und Hoffnung schwebte, trat meine Tochter ein, brach in einen Strom von Thränen aus, küßte mich auf meinen unempfindlichen Mund, kniete an meinem Bette und betete lang und innig, daß meine Ohnmacht mich verlassen möge, denn trotz der sicheren Ueberzeugung meines Todes wollte sie doch die Hoffnung auf meine Wiederherstellung nicht aufgeben. Einige indessen von den Hausbewohnern, insbesondere die Wärterin, welche den Besitz des Shawls sich gesichert wünschte, hielten mich für unzweifelhaft todt, denn ich hörte die Mägde die Fensterladen in den anderen Zimmern schließen und sah manche auf den Tod bezügliche Vorbereitungen, auf welche ich mit Gefühlen lauschte, die alle Vorstellungen übersteigen. Das Haus war jetzt ruhig, nur gelegentlich schlugen Töne ominös und bedeutungsvoll an mein Ohr, denn jede vorübergehende Stunde, welche die Glocke im Vorsaal anzeigte, schien die Todtenglocke zu sein, welche meinen Tod bestätigte und mich dem erschrecklichen Augenblick, wo ich lebendig begraben werden sollte, näher brachte. Zu Zeiten waren auch andere Töne zu unterscheiden; und wenn ich das Knarren der Räder auf der Straße, das Pfeifen eines Eisenbahnzuges, das Klappern und Schnattern meiner Domestiken beim Mittagsessen hörte, so schien es mir gefühllos und unnatürlich, daß die Leute an dem Tage meines einmal angenommenen Todes ihren gewöhnlichen Beschäftigungen nachgingen, und daß meine eigenen Leute es sich wie gewöhnlich schmecken ließen, als wenn gar nichts vorgefallen wäre.

So blieb ich denn ohne alle andere Begleitung allein bis zum Abend, als das Mädchen meiner Tochter und die Hausmagd, nachdem sie sich feierlich verpflichtet hatten, sich gegenseitig beizustehen, es möge auch geschehen was da wolle, und nachdem sie sich die Hände gegeben zur Bekräftigung ihres Vertrags, sich auf den Fußzehen in das Zimmer stahlen, um einen Blick auf mich zu werfen, denn keine von ihnen hatte je einen Todten gesehen. Indem sie verstohlen und schräge nach mir hin schauten, als wenn es mein Geist wäre, der da läge, flüsterten sie sich gegenseitig zu, ich sähe ganz und gar aus, als wenn ich schliefe, ohngeachtet doch die Wärterin behauptet habe, ich sei so todt wie ein Thürnagel. Beide erklärten, ich wäre kein rechter Gentleman, wenn ich nicht in meinem letzten Willen aller meiner Diener gedacht hätte; als man endlich auf Trauer zu sprechen kam, erklärte die eine, ihr Kleid solle vorne zugemacht werden, und die andere sprach von einem sehr schönen Muster für ihre weiße Musselinhaube. Aber ihr Gespräch drehte sich nicht blos um solche geringfügige Dinge, denn das Mädchen meiner Tochter erklärte auf Autorität ihrer Herrin, daß Doktor Linnel vor seiner Abreise an Georg geschrieben habe, er solle unverzüglich kommen; auch habe Miß Sarah gesagt, sie hoffe, er werde am nächsten Morgen kommen; der Doktor werde aber den nächst darauf folgenden Tag erwartet. Hierauf schlichen sie sich weg und hielten ihre Hände noch immer zusammen.

In diesen Gesprächen lag kein geringer Trost. Sollte ich wieder erwachen, so würde mein Sohn eine gute Gelegenheit haben, sich von allem Verdacht hinsichtlich des Restaurativs zu reinigen, auf das ich noch immer die Hoffnung setzte, daß es mir helfen würde. Sollte aber meine Ohnmacht fortdauern, so brauchte ich nicht zu fürchten, lebendig begraben zu werden, denn Linnel würde lange vor meiner Beerdigung an meinem Bette gewesen sein, und er war ein zu geschickter und erfahrener Arzt, um nicht zwischen wirklichem und Scheintod unterscheiden zu können. Indem nun so mein größter Schrecken vorüber war, zählte ich geduldig die Glockenschläge bis zu meiner gewöhnlichen Schlafenszeit, in der Hoffnung, dann einzuschlafen und so einer langweiligen, langen und schlaflosen Nacht zu entgehen. Aber der Schlaf ist eine Vorkehrung der Natur, des Tages Mühen und Lasten wieder auszugleichen; in meinem kataleptischen Zustande war aber kein solcher Aufwand körperlicher Kräfte vorhanden, folglich auch kein Bedürfniß nach Ruhe. Vielleicht war auch mein Gemüth zu sehr aufgeregt, um zur Ruhe und Vergessenheit zu kommen; vielleicht mochte auch meine Ohnmacht – Existenz – ein immerwährendes Bewußtsein, folglich ein unabänderliches Elend sein. Solch ein Zustand mußte zur Verrücktheit führen; aber wie konnte ein Mann verrückt und bewegungslos sein, ein Irrer und eine Statue? welches unbeschreibliche Elend, wenn man sein Gehirn in einem irren Zustande wüthen und rasen fühlt, der für sein Wüthen keinen Ausweg, weder durch die Explosionen der Stimme, noch durch die konvulsivischen Bewegungen seiner Gliedmaßen finden kann! In solchen Gedanken schleppte sich die erste Nacht meines lebenden Todes langsam hin.


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