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Das Verlobungsfest

Beim Eintritt der Brauteltern erhob sich der Bischof Doktor Franz Salesius, Graf von Pöschau, ging ihnen entgegen und begrüßte sie mit einem Händedruck und einigen verbindlichen Worten. Ein vollkommener Weltmann, benahm er sich, als ob er sich als Gast hier befände, und trug keinerlei Salbung oder Würde zur Schau. Er war früher Kavallerieoffizier gewesen und bewahrte sich von jener Zeit noch rasche und energische Bewegungen; er liebte den Ton der vornehmen Gesellschaft, sprach noch immer gerne von Pferden und Hunden und niemals schlug er in seinen Gesprächen die Klosterglocke an oder ließ er den süßen Qualm des Weihrauchs aufsteigen. Er hatte es nicht nötig, gleich vielen seiner Amtskollegen, sich auf die Autorität der Kirche zu berufen und sich unter Anwendung des dekorativen Prunkes, der den Dienern der Kirche zur Verfügung steht, in Szene zu setzen. Mit seinem Takt verschmähte er das alles und wirkte überall durch seine eigene Persönlichkeit, die frisch in alle Dumpfheit und verborgene Lüsternheit seiner Untergebenen fuhr. Wenn die Schritte vieler Priester klingen, als gingen sie über die ausgetretenen Steinfließen alter, hallender Klostergänge, so war sein Tritt fest und kurz und ohne Widerhall. Bei dem Anschein eines Freigeistes war er aber immer auf den Vorteil der Kirche bedacht und versäumte nichts, was ihre Macht zu steigern geeignet schien; denn wenn er auch sich selbst scheinbar ihrer Machtmittel enthielt, so fühlte er doch den Glanz ihrer Bastionen und ragenden Türme gewissermaßen als guten Hintergrund für seine schlanke und hohe Gestalt.

Ein anregendes Gespräch mit ihm hatte Elisabeth in bessere Laune versetzt. Mit einem Blick auf den Bräutigam hatte der Bischof erkannt, welche Wendung er dem Gespräch zu geben hatte, und er hütete sich davor, vom Ehrentag und anderem Bezüglichen zu beginnen. Unbefangen hatte er allerlei Themen berührt, von denen er annehmen konnte, daß sie Elisabeth ansprechen würden, und hatte endlich längere Zeit bei einigen Thesen über die Kunst verweilt. Vom Theater sprach er mit aller Sachkenntnis, denn wenn er auch jetzt nicht mehr die Aufregungen der Bühne über sich ergehen lassen durfte – er lächelte, als er dies sagte – so bewahrte er sich doch Erinnerungen aus der Zeit, wo sich, wenn er säbelrasselnd die Loge betrat, die jungen Mädchen des Parketts nach ihm umsahen. »Meine Liebe zum Theater ist platonisch geworden«, sagte er und erzählte, daß er fortfahre, der dramatischen Produktion der Gegenwart seine Aufmerksamkeit zu schenken, wenn auch nur in der stillen Klause daheim und mit Vorsicht, damit ängstliche Gemüter nicht allzusehr um sein Seelenheil bangen mußten. Daneben aber beschäftigte er sich auch mit dem Studium des mittelalterlichen Theaters, mit den Mysterienstücken der Zeit, da das Theaterspielen noch ganz Sache der Geistlichen war. »Und so büße ich meine Sünden, die ich durch die Lektüre neuer Stücke begehe«, sagte er scherzend. Aber er fuhr mit jenem schwebenden Ernst, der ihm im Wechsel mit ruhiger Heiterkeit zur Verfügung stand, fort: »Nein – ich verleumde die alten Herren ... man findet freilich viel Endloses, Langweiliges, Erstickendes. Aber dazwischen auch viel Zartes, Liebliches, manche entzückende Gedanken oder auch dramatisch bewegte Szenen, kräftig umrissene Charaktere, Worte mit ganz besonders tiefem Sinn, über die man staunt. Und in den Auftritten der Teufel einen bizarren Humor, eine wilde Lustigkeit, die beweist, daß sich viele der geistlichen Dichter in der Hölle behaglicher gefühlt haben als im Himmel.«

Außer Elisabeth und dem schweigsamen Bräutigam, der an dem Gespräch wenig Anteil nahm, waren noch drei entfernte Verwandte Bezugs aus der Provinz anwesend. Ein kleiner Beamter und zwei ältere Damen, von denen die eine Witwe, die andere unverheiratet war. Sie saßen scheu aneinandergedrängt und eingeschüchtert etwas entfernt von der Hauptgruppe, flüsterten bisweilen untereinander und nur der Beamte gab sich manchmal einen Ruck und wagte mit einer Frage oder einer Bemerkung einen Vorstoß. Dann schwiegen sie wieder alle, und verwirrt von der Pracht dieses Zimmers, sahen sie um sich und ergingen sich in Gedanken in Variationen über das alte Thema, daß des Lebens Güter ungleich verteilt seien.

Gleich einer ungeheueren Muschel umschloß sie das Gemach. Auf der breiten Grundfläche war das wenige Mobilar aufgestellt, einige Sessel, ein Tisch und ein kleiner Wandschrank. Die Wände stiegen aber nicht parallel, sondern in sanfter Neigung zueinander empor und berührten sich nicht weit über den Köpfen der Aufrechtstehenden in einer Schnittlinie. Diese Linie war nicht gerade, sondern gewellt, denn die Wände zeigten erhabene Rippen, gleich einer wirklichen Muschel. Eine rosige Dämmerung übergoß den fensterlosen Raum. Das Licht brach von außen durch die zart rosa gefärbten, durchschimmernden Wände und erfüllte das Gemach mit einer milden, gleichmäßigen Flut, in der Menschen und Gegenstände zu schwimmen schienen.

Nachdem der Bischof sich nach dem Befinden Frau Agathes erkundigt und ihrem weinerlichen Bericht mit Mitleid und Aufmerksamkeit zugehört hatte, wandte er sich an Bezug: »Können wir beginnen?«

»Wenn es bischöfliche Gnaden gefällt.«

Der Bischof nahm aus Bezugs Händen das Etui mit den Verlobungsringen entgegen, das dieser aus dem Wandschrank geholt hatte. Mit den Blicken des Kenners prüfte er das Feuer der edeln Steine, hob sie von der Unterlage auf, ließ sie im Hin- und Herwenden funkeln und glänzen, und besah auch dann den blauen Stoff genauer, auf dem ihre Schönheit gebettet war. Bezug, der inzwischen seine Verwandten begrüßt hatte, beobachtete den Bischof genau, während er anscheinend mit liebenswürdiger Herablassung auf die verwirrten, unzusammenhängenden Reden der biederen Leute einging. So konnte er jetzt eine Frage des Bischofs beantworten, bevor sie ausgesprochen war: »Es ist gesponnenes Glas, bischöfliche Gnaden«, sagte er. Das Erstaunen des Bischofs, der als Kenner edler Steine und Liebhaber von Raritäten galt, wirkte wohltätig auf Bezugs Stimmung.

Ohne Übergang, mit vollkommener Gelassenheit knüpfte der Bischof die Zeremonie an die fachmännische Prüfung. Der Priester entwickelte sich so schnell aus dem Weltmann, daß man sah, wie eng beide verschmolzen waren und wie der Bischof seine geistliche Würde nur als Funktion seines Adels auffaßte. Darum vermied er auch jeden Schwulst und jede Heimlichkeit, steckte die Ringe einfach den Verlobten an und sagte dann, ohne jede Affektation, im Tone einer Plauderei: »Sie sind nun einander versprochen. Das Band, das ich eben geknüpft habe, ist kein unlösliches, wie das Band der Ehe. Aber die Kirche sieht es nicht gern, wenn das Versprechen der Ehe nicht gehalten wird. Bei Ihnen ist die Gefahr nicht vorhanden, daß Sie das Verlöbnis brechen könnten. Ich sehe mit Freude sich einen Bund vorbereiten, der vorbildlich zu werden verspricht. Darum flehe ich schon jetzt den Segen des Himmels herab.«

Er stand einen ganz kurzen Augenblick mit zum Himmel erhobenen Augen und ausgebreiteten Armen und wandte sich dann sofort mit einem verbindlichen Lächeln an Frau Bezug: »Ich beglückwünsche Sie, gnädige Frau.«

Elisabeth, die sich, je näher die Zeremonie heranrückte, desto starrer gemacht und bereitet hatte, ihr mit einem spöttischen Lächeln zu begegnen, sah angenehm überrascht, daß die Szene schon zu Ende war, und nickte ihrem Bräutigam, dadurch freundlicher gesinnt, zu. Hecht aber mißverstand den Blick, nahm Elisabeths Hand und führte sie mit einem Druck an die Lippen. Da wurde Elisabeth wieder ganz gläsern und kalt, entzog ihm die Hand und reichte sie dem Cousin Bezugs, der schon seit einer Weile in demütiger Haltung hinter ihr stand, um seine Glückwünsche anzubringen. Er, der sich erst vor kurzer Zeit bei einem Jubiläum seines Bureauchefs durch eine längere Rede ausgezeichnet hatte, versuchte einige wohlgesetzte und vorbereitete Worte zusammenhängend zu sprechen. Aber mitten im Satz erschrak er vor einem unbestimmten Ausdruck in Elisabeths Augen, einem grausamen, höhnischen Blick, brach ab, versuchte wieder den Zusammenhang aufzunehmen und stand endlich, mit tropfender Stirn, gequält und keuchend und ratlos. Die beiden alten Frauen, die nun heranrückten, befreiten ihn, nahmen Elisabeth zwischen sich und sprachen von beiden Seiten auf sie ein, wie sie es bei ähnlichen Anlässen in ihren Kreisen zu tun gewohnt waren, wo es ängstliche und weinerliche Bräute zu beruhigen gilt. Sie gaben sich alle Mühe, Elisabeth durch das göttliche Wohlgefallen an der Ehe Mut zu machen, erinnerten daran, daß es die Bestimmung aller Frauen sei, die Eltern zu verlassen und dem Manne nachzufolgen, und daß Elisabeth schon jetzt diesem wichtigen Zeitpunkt gefaßt entgegensehen solle. Sie unterstützten einander, nahmen eine das Thema der anderen auf, teilten sich in Oberstimme und Unterstimme und wurden immer dringender, als sich keine Rührung einstellen wollte. Elisabeth hörte die Frauen an, wie sie vorhin den gelähmten Glückwunschsprecher angehört hatte, gab kein Zeichen der Abwehr und keines der Ermunterung, unerbittlich in ihrer eisigen Höflichkeit.

»Haben Sie gesehen,« fragte Hecht, der an Bezug herangetreten war, »wie sie mich behandelt?«

»Geduld, mein Lieber, Geduld. Ich muß auch Geduld haben.«

Auf einen Wink Bezugs öffnete sich die Muschel des Gemaches, indem zuerst der obere Rand auseinanderklappte; immer weiter wichen die Seitenteile zurück und zugleich hob sich der Boden der Muschel empor, so daß gleichsam das rapide Wachstum einer ungeheueren Blüte vorgeführt wurde. Im Augenblick, in dem die Seitenteile vollkommen zurückgeklappt waren, stand die Blütenmuschel auf der Höhe einer Estrade still, und von einer festlichen Musik begrüßt, trat Elisabeth mit Hecht an die Brüstung vor, um sich der Versammlung zu zeigen.

In dem zum attischen Perystil umgewandelten Lichthof standen die Geladenen Kopf an Kopf und brachen jetzt, von der Pracht des Festes hingerissen und durch einige geschickt verteilte Agenten Bezugs angefeuert, in jubelnde Zurufe aus. Ganz als ob das Fest eines geliebten Herrscherhauses sie hergeführt habe. Beherrschend stand Bezug neben dem Brautpaar und auf der anderen Seite zeigte sich Agathe mit dem Bischof, während sich die Verwandten, bestürzt und ängstlich vor dem Lärm, der über sie hereinbrach, im Hintergrunde hielten. Nachdem die Gruppe einige Zeit hindurch, allen sichtbar, so verharrt hatte, löste sie sich auf und das Brautpaar stieg, von den anderen gefolgt, die Stufen hinunter, um die Glückwünsche der Gäste entgegenzunehmen. Die Masse war durch einige geschickte Zeremonienmeister unter der Leitung des Rudolf Hainx rasch gegliedert worden, und zunächst traten die vornehmsten unter den Gästen in den freien Raum um die Verlobten und die Familie.

Mit großen, stelzenden Schritten näherte sich der Statthalter dem Brautpaar. Er war ein hochgewachsener Mann, leicht vornübergeneigt, mit bartlosem Gesicht, etwas müdem Ausdruck und vorgeschobenem Unterkiefer. Überhaupt war die untere Hälfte des Gesichtes stark ausgebildet und überwog im Gesamteindruck Stirn und Augen. Besonders mußte die Unterlippe auffallen. Sie war mehr denn doppelt so breit als die Oberlippe, stark wulstig und hing schwer nach unten. Nun blieb der Statthalter mit einem kurzen Ruck stehen, neigte den langen Oberkörper tief herab, küßte die leicht emporgehobene Hand Elisabeths und sagte dann, indem er sich wieder aufrichtete: »Es gereicht mir zum besonderen Vergnügen, Ihnen als erster Glück wünschen zu können. Der Bund, der heute geschlossen wurde, möge alle Ihre Wünsche erfüllen.« Dann reichte er auch Hecht die Hand zu flüchtiger Berührung und sagte obenhin: »Besten Glückwunsch.«

Elisabeth schien, ohne auf den Statthalter besonders zu achten, in der Menge der Gäste irgend jemanden zu suchen und antwortete zerstreut: »Ich werde niemals vergessen, Exzellenz, daß ich die ... die Ehre hatte, Ihnen ... von Ihnen den ersten Glückwunsch zu empfangen.«

Der Statthalter sah sie einen Augenblick so an, wie er ein schönes Pferd in einem fremden Stall zu mustern pflegte. Als Kenner: mit Bewunderung und Neid. Dann besann er sich, versuchte die Unterlippe etwas einzuziehen, wodurch sein Mund einen sonderbaren Ausdruck bekam – als habe er in etwas Saueres gebissen – und wandte sich mit einem gnädigen Nicken den Eltern der Braut zu. Vor dem Bischof verneigte er sich mit besonderer Höflichkeit: »Ich freue mich, Sie hier zu treffen, bischöfliche Gnaden.«

»Auch ich freue mich sehr«, sagte der Bischof, verbindlich lächelnd. »Die weltliche und die geistliche Macht hat sich hier zusammengefunden, um das Fest unseres Herrn Bezug zu feiern.«

»Das ganze Land sieht mit Stolz auf dieses Fest«, sagte der Statthalter, während der Bischof dazu nickte. »Diese allgemeine Verehrung für das Oberhaupt dieser Familie und ein besonderes Wohlwollen, das mit den Jahren nur noch zugenommen hat, haben Seine Majestät, meinen allergnädigsten Herrn, bestimmt, gerade diesen Tag zu wählen, um Herrn Thomas Bezug eine große Auszeichnung zuteil werden zu lassen. Mein lieber Herr Bezug, den ich mit Vergnügen meinen Freund nenne, Sie wissen Bescheid in den Verhältnissen, um eine Ehre entsprechend zu würdigen, die Sie nächst dem warmen Wohlwollen Seiner Majestät den eifrigen Bemühungen Ihrer Freunde« – der Statthalter betonte dieses Wort doppelt stark – »zu verdanken haben. Empfangen Sie aus meinen Händen den Heinrichsorden erster Klasse, den Ihnen Seine Majestät für Ihre unablässigen Bemühungen um die Hebung der Industrie und neuestens auch der Landwirtschaft zu verleihen geruht hat.«

Bezug trat einen Schritt zurück, als könne er seiner Überraschung und Bestürzung nicht Herr werden. Mit einer bescheiden abwehrenden Bewegung warf er einen raschen Blick in den Saal, um zu prüfen, ob er nun so günstig stand, daß er von allen gesehen werden konnte. »Exzellenz,« sagte er, als er sich überzeugt hatte, daß man der Szene mit Spannung folgte, »Exzellenz ... ich bin ... ich weiß nicht ... soviel mir bekannt ist, pflegt der Heinrichsorden erster Klasse nur an Adelige verliehen zu werden.«

»Gewiß«, antwortete der Statthalter mit einem Lächeln, das den ganzen Unterkiefer verschob; »gewiß, machen Sie sich darum keine Sorgen, mein lieber Thomas Freiherr von Bezug. Seine Majestät hat gleichzeitig geruht, Sie in den Freiherrnstand zu erheben. Ich hoffe, daß Sie sich dieser Fülle von Auszeichnungen, der Gnade unseres erhabenen Monarchen stets würdig erweisen werden.«

Vor der ganzen Versammlung heftete nun der Statthalter das diamantenbesetzte Kreuz des Heinrichsordens an den schwarzen Untergrund des Fracks. Leicht geneigten Hauptes, wie überwältigt von dieser Ehrung, ließ es Bezug geschehen. Dann folgte ein kleines Getümmel der Überraschung und Beglückwünschung um ihn, und als sich die Gruppen wieder trennten, gab Bezug durch eine Handbewegung Rudolf Hainx das Zeichen zur Fortsetzung der Zeremonie. Die Masse der Gäste löste sich nach den Weisungen Hainx' in eine ununterbrochene Reihe auf, die nun zum Brautpaar abschwenkte, um auch hier die Glückwünsche anzubringen, und nach tiefen Verneigungen vor den einträchtig einander gesellten höchsten Würdenträgern vorbeizog, durch die inzwischen geöffneten stockhohen Flügeltüren in den Speisesaal hinein. Fast eine ganze Stunde dauerte diese Defilierung der Gäste. Elisabeth stand hoch aufgerichtet und beantwortete alle Glückwünsche mit einem Nicken, ohne etwas zu sprechen. Nur ein einziges Mal hatte sie ihr Schweigen unterbrochen, als Adalbert Semilasso herankam und beginnen wollte: »Auch ich erlaube ...«

»Ich weiß schon,« fiel sie ein, »ich weiß. Ich will Sie nachher sprechen. Beim Sarkophag der Königin Omphale.«

Hecht, der sich bemüht hatte, seinen Bekannten mit ein paar Worten zu danken, und darüber ganz stumpfsinnig geworden war, sah auf und blickte Adalbert solange nach, als er in der Menge, die sich an der Türe wieder staute, noch sichtbar war.

Während sich Frau Agathe sehr bald in einen Stuhl niedergelassen hatte, hielt Bezug bis zum letzten Gratulanten aus, wechselte mit dem und jenem einen Händedruck oder ein Wort und behielt ein freundliches Lächeln bis zum Schluß.

Nachdem der letzte der Gäste in den Speisesaal getreten war, folgte die Familie der Braut in feierlichem Zuge, voran das Brautpaar, dann Frau Agathe am Arm des Statthalters, Bezug mit dem Bischof im eifrigen Gespräch, und endlich die zwei alten Frauen mit Bezugs Cousin in der Mitte, die zuletzt ganz stumm geworden waren und nicht einmal mehr zu flüstern wagten.

Im Festsaal war ein ungeheures Gewoge, ein Geschwirr von Stimmen, das nun beim Eintritt der Gefeierten von dem Einzug der Gäste auf der Wartburg überschwemmt wurde. Die Trompeten brachen grell und prasselnd gerade über der Eingangstüre los, von dem Balkon, auf dem das Orchester, hoch über der Versammlung, seinen Platz gefunden hatte.

Vor dem antiken Büffet trafen, wie Bezug vorausgesehen hatte, alle Gäste zusammen, die wegen ihrer Bedeutung auf den Gebieten der Kunst und der Wissenschaft geladen worden waren. Die Historiker und Archäologen nahmen nicht minderen Anteil an den Tafelgenüssen Trimalchios als die Maler und Dichter. Zuerst gab es einen kleinen Sturm, dann aber lösten sich die Schwärme der Stürmenden in einzelne Gruppen, die sich mit den eroberten Schüsseln an die Tische verteilten.

»Schauen S' den Schönbrecher an,« sagte der Münchener Maler Dibian, der sich mit großem Erfolg auf das Malen von Rindern verlegt hatte, zu seinem Freund, dem Romanschriftsteller Harthausen, »schauen S' ihn nur an, der füllt sich mit antiken Speisen an, damit der Geist in seinen antiken Dramen besser rauskommt.«

Harthausen warf einen Blick auf den Nebentisch, wo Schönbrecher einem der Diener schon seine weiteren Wünsche mitteilte: »Wenn man den antiken Geist so auf Flaschen abziehen könnt', wie den Falerner, dann wär's gut für ihn.«

Als aber Schönbrecher in der Pause nach dem nächsten Gericht an ihren Tisch herantrat, um sie zu begrüßen, luden sie ihn liebenswürdig ein, den freien Platz zwischen ihnen zu besetzen.

»Ich danke, meine Herren; ich habe drüben einen Gesellschafter gefunden, den ich nicht verlassen will.«

»Wer ist denn der Herr, der dort mit Ihnen sitzt?«

»Der Doktor Störner, der Kritiker vom ›Neuen Morgenblatt‹.«

»So laden Sie ihn doch auch ein, herzukommen, wir werden schon zusammenrücken, nicht wahr ... wir werden schon noch Platz bekommen.«

Die beiden Bildhauer, die noch an diesem Tisch saßen, nickten zum Zeichen des Einverständnisses.

»Ich wett',« sagte Dibian, »die zwei Kerle, mit denen Sie dort sitzen, sind Professoren oder so was. Kommen S' nur her, man is da sozusagen mehr unter sich.«

Während Schönbrecher dem Kritiker die Einladung überbrachte, fand Harthausen Zeit, zu seinem Freunde zu bemerken, daß der Schönbrecher ein niederträchtiger Macher sei. »Also bitte, wie er vor dem Störner schweifwedelt. Der Schönbrecher versteht den Rummel. Der Störner hat ihn bis jetzt noch jedesmal verrissen. Jedesmal reitet er ihm den seligen Sophokles vor. Boshaft ist der Störner wie ein Aff'.«

Mit einer leichten Verbeugung empfahlen sich Störner und Schönbrecher von den beiden Tischgenossen.

»Gott sei Dank,« sagte Professor Hartl, als die beiden am Nebentisch Platz genommen hatten, »diese Leute haben doch nicht das richtige Verständnis für das, was sie hier vorgesetzt bekommen.«

Professor Zugmeyer nickte: »Gewiß, lieber Kollega. Aber sie haben die Einbildung, daß sie alles besser verstehen als wir. Die Intuition! Ja – auf die Intuition berufen sie sich, wenn sie was schreiben, was eigentlich nur uns angeht. Das ist eine schöne Grundlage. Die Intuition! Lächerlich! Die Quellenforschung ist das einzige.«

»Wenn die Leute etwas schreiben, so lesen sie drei, vier Bücher, und dann legen sie los. Natürlich wimmelt es dann in diesen Büchern von Anachronismen, von archäologischen Ungeheuerlichkeiten.«

Vor dem Esel aus korinthischem Erz, der in zwei Quersäcken auf dem Rücken weiße und schwarze Oliven trug, waren der Professor der Kunstgeschichte Albert Schreier und der Professor am romanischen Seminar Ernst von Kramarcz in eine Debatte geraten. Einige andere Herren bewunderten neben ihnen die anderen Schaustücke des Büfetts: den Hasen mit Flügeln, die ihn dem Pegasus ähnlich machten. Das gebratene Schwein, an dessen Brüsten kleine, aus feinstem Lackwerk hergestellte Ferkel hingen.

»Jawohl,« sagte Schreier, »dieser Bezug tut mehr für die Wissenschaft als unser Unterrichtsministerium. Allein diese Ausgrabungen in Samarkand kosten ein Heidengeld. Aber die Erfolge ... die Erfolge.«

»Sagen Sie,« fragte Kramarcz, »wer ist denn eigentlich der Kopf dieser Arbeiten?«

»Der Kopf und die Hände lauter junge Leute ohne Namen. Auf das Verdienst hat Bezug bei seiner Auswahl wenig Bedacht genommen. Aber er hat Glück gehabt.«

»Freilich ... Glück. Aber vor allem Geduld. Und er hat mit dem Geld nicht gespart. Das ist es. Wenn das Ministerium jemanden irgendwohin schickt, so heißt es: soundso lange darfst du ausbleiben, soundso viel Geld darfst du ausgeben. Aber Bezug sagt seinen Leuten: »Ihr müßt finden; sucht solange ihr wollt. Wieviel Geld ihr ausgebt, ist gleichgültig.«

»Gewiß!« Und Kramarcz hob die hölzerne Henne ab, die brütend auf ihrem Nest saß, und nahm eines der gebackenen Pfaueneier heraus. Indem er es mit einem der langstieligen griechischen Tafelmesser durchschnitt, fuhr er zögernd fort: »Sagen Sie ... könnte man nicht ... ich glaube auch finanziell müßte man bei Bezug besser gestellt sein. Nicht wahr? Ob nicht vielleicht in der kleinen Privatakademie, die er zu Rom unterhält, ein Platz ...«

Der Professor unterbrach sich; denn er sah an dem feindseligen Blick des anderen, daß er in seinem Vertrauen zu weit gegangen war, daß er in diesem Augenblick einen Gegner bekommen hatte.

»Oh, man könnte schon ...«, sagte Schreier nach einer Weile mißtrauischen Lauerns. »... Vielleicht ... obzwar ich nicht weiß ...«

»Ich meine nur so ...«, warf Kramarcz hin und begann mit geheuchelter Gleichgültigkeit sein Pfauenei zu verzehren.

»Und auf daß wir neben dem Brot für den Leib auch die Speise für den Geist nicht vermissen dürfen,« sagte Harthausen, »hat uns Bezug Verse hergelegt ... Verse ... oh!« Er hob ein rosafarbenes Blatt hoch, auf dem einige Zeilen gedruckt waren.

»Sein Büfett ist aber besser als die Verse«, sagte Störner und ließ sich von einem der Diener noch eine Schüssel mit gefülltem Spanferkelfleisch reichen.

»Vor jedem Platz liegt so ein Blatt und ... meine Herren ... jedes mit einem Autogramm des Dichters.«

»Wie heißt er?«

»Adalbert Semilasso. Der Name ist schlecht zu lesen ... der Kerl schreibt, als könne er diese Kunst noch nicht einmal gar so lange.«

»Andere können schon sehr lange schreiben – und es ist doch schlecht zu lesen«, sagte Störner mit einem Blick auf Harthausen.

»Oh, bitte ... meine Schrift ... die Setzer beglückwünschen sich, wenn sie ein Manuskript von mir zu lesen bekommen.«

»Ich meine nicht die Setzer ... ich meine das Publikum.«

»Das kriegt doch niemals meine Manuskripte in die Hand, sondern nur die fertigen Bücher.«

»Und sie sind doch schlecht zu lesen.«

Dibian, der Rindermaler und die zwei Bildhauer unterhielten sich köstlich. Es war eigentlich unbequem, zu sechsen um den kleinen Tisch, und die beiden hatten gleich nach der Ankunft Störners aufbrechen wollen. Aber nun blieben sie. Es tat ihnen wohl, die kleinen Hahnenkämpfe in der anderen Zunft zu beobachten, diese boshaften Angriffe und Seitenhiebe, alles mit dem Anschein liebenswürdiger Derbheit, so daß der Angegriffene niemals ernstlich erwidern konnte.

Schönbrecher, der sich eine römische Trinkschale schon recht oft mit einem roten Wein hatte füllen lassen, war zu guter Laune, um sich an dem Geplänkel zu beteiligen. Er trank, setzte ab, stellte die Schale vor sich hin und besah nun die getriebene Arbeit des kostbaren Gefäßes. In einer Felsenlandschaft mit einzelnen Palmen, die man in einer sonderbaren Perspektive, gleichsam von oben, aus der Vogelschau erblickte, tobte ein wild gewordener Stier. Mit gesenkten Hörnern und gestrecktem Schweif rannte er einem unsichtbaren Feind entgegen, Sand und Steine hinter sich aufwerfend. Die derbe Haut war durch lange Muskelfalten gestrafft, und die Augen lagen drohend unter wilden Haarbüscheln. Auf der anderen Seite war der Stier gefesselt dargestellt. An allen Gliedern zitternd, zu Boden geworfen und mit einem Seil an einen mächtigen Palmbaum gebunden, war er in dem Augenblick erfaßt, in dem die blinde Wut der Besinnung weicht. »Eine schöne Arbeit«, sagte Schönbrecher zu dem Bildhauer, der neben ihm saß. Dabei öffnete er seine Weste, denn er neigte seit letzter Zeit sehr zum Starkwerden, und nach einer starken Mahlzeit sehnte er sich nach Raumerweiterung.

Hauser nahm die Schale auf und betrachtete sie andächtig von allen Seiten. Dann nickte er: »Sehr schön ... und schon wieder dieses Motiv der Fesselung.«

»Wie meinen Sie ...?«

»Es ist mir und meinem Kollegen aufgefallen, daß dieses Motiv hier häufig wiederkehrt. Betrachten Sie nur einmal alle diese Reliefs an diesen Tischen und an dem Büfett; bei den meisten werden Sie etwas dergleichen finden, häufig genug sind diese Gestalten gefesselte Sklaven; dort drüben haben Sie einen Triumphzug Alexanders des Großen, in dem Gefangene mitziehen. Wollen Sie noch mehr? Wir haben vorhin den berühmten Sarkophag der Königin Omphale gesehen, der aus den Ausgrabungen in Samarkand stammt. Nun – auch der erinnert an eine Fesselung. Nicht?«

»Eine angenehme Fesselung.«

»Und da oben das Deckengemälde: eine Hochzeit im Olymp, nicht wahr?«

»Es paßt zu dem heutigen Fest.«

»Es ist eine Fesselung durch Ehebande. Und sehen Sie die Decke und die Wände ringsum von Ranken umspannt, von Ornamenten, welche das Motiv der Kettenglieder ausnehmen, wie im Scherz nur, scheinbar ... aber doch mit einem ernsten Sinn.«

Dibian lachte: »Freunderl, also weißt ... deine Bronzen gefallen mir sehr gut, aber deine Philosophie geht a bissel auf'm Holzweg spazieren.«

Störner aber hatte aufmerksam zugehört: »Und was halten Sie für den Sinn aller dieser Fesselungsmotive?«

»Ich meine, Bezug sagt damit – nicht sehr deutlich, aber doch so, daß es feinere Ohren schon hören können –: Ihr seid alle in meiner Hand! Wie ihr hier versammelt seid, halte ich euch und lege euch meine Ketten auf! Ich fühle mich eingesponnen, muß ich sagen. In einem Netz, das noch sehr weit ist, das aber einmal zusammengezogen werden könnte.«

»Ich hab' halt keine feineren Ohren,« sagte Dibian und machte, wie immer, wenn er etwas getrunken hatte, Miene, sich verletzt zu fühlen, »ich hör' halt nix.«

»Und wenn es auch so ist,« Harthausen machte eine großartige Handbewegung, »so ist Bezugs Joch süß und seine Bürde leicht.«

Irgendwo, mitten im Strome hatte Bezug Polydor Schleimkugel aufgefischt.

Es war ein ungemeines Gedränge in dem Saal, und die beiden kamen nur langsam vorwärts, da Bezug auf Schritt und Tritt von den Leuten angehalten wurde, die, ungewiß, ob sie auch bei dem allgemeinen Vorüberzug der Gäste bemerkt worden waren, sich seinem Gedächtnis einprägen wollten. Bezug hatte Fragen zu beantworten, Händedrücke auszuteilen und huldreiche Worte zu spenden. Je lärmender und luftiger die Gruppen an den Tischen wurden, desto stärker wurde auch der Strom der Gäste in den Gassen. Man ging hin und her, suchte seine Bekannten auf, unterhielt sich im Stehen mit ihnen, wenn man an ihrem Tisch keinen Platz bekam, und drängte wieder weiter. Der Lärm und Geruch der Speisen schien trotz der Größe und Höhe des Saales wie eine Wolke über den Köpfen der Versammelten zu schweben, und als Bezugs Diener mit Zigarren kamen, stiegen auch noch die blauen, süßlich duftenden Rauchwolken auf. Zwischen den goldenen Zweigen der Alabasterbäume verfingen sich diese Wolken, zogen hin und her, der Bewegung der Luft folgend, und vom Garten aus gesehen, in den sich schon einige Gäste geflüchtet hatten, schien der Saal von einem bläulichen, leuchtenden Nebel erfüllt.

Nach Überwindung einiger Hindernisse kam der Hausherr mit Schleimkugel in die Mitte des Festsaales, wo sich der Tisch für die Familie befand. Er war ein Prachtstück aus dem Besitz der Marie Antoinette mit einer Platte von eingelegtem Ebenholz. Gerade als Bezug mit seinem violetten Begleiter herankam, erhob sich Elisabeth und ging nach kurzem Gruß quer durch den Saal. Der Bräutigam folgte ihr augenblicklich. Frau Agathe saß zwischen dem Bischof und dem Statthalter und sprach lebhaft auf den ersteren ein; während er ihr aufmerksam zuhörte, spielte er mit dem Glas, das die Gestalt eines kleinen Schiffes hatte, und stellte es auf die Elfenbeinamoretten der Tischplatte, indem er mit dem breiten Fuß verschiedene Kreise aus dem Grunde herausschnitt.

»Hier bringe ich einen guten Freund,« sagte Bezug, »Polydor Schleimkugel, den ich mir Seiner Bischöflichen Gnaden und Seiner Exzellenz vorzustellen erlaube.«

Der Bischof sah auf und lächelte dem noch violetter werdenden frommen Mann freundlich zu. Nach kurzem Nachdenken sagte er: »Herr Polydor Schleimkugel! Sind Sie der bekannte Polydor Schleimkugel, der vor kurzem von Seiner Heiligkeit durch einen Orden ausgezeichnet wurde?«

Daraufhin setzte der Statthalter sein Monokel ein, während sich sein Unterkiefer vorschob. Schleimkugel hatte sich so tief verbeugt, daß es ihm Schwierigkeiten machte, sich wiederaufzurichten. »Seine Heiligkeit hat mich der unverdienten Gnade gewürdigt ...«

»Sie sind, wenn ich nicht irre, Erzeuger von Heiligenbildern und Wallfahrtsandenken?«

»Was an diesen Dingen menschliche Arbeit ist, wird durch mich besorgt. Das Wichtigste freilich ist der Segen der heiligen Kirche. Und da muß ich erwähnen, daß ich in dieser Beziehung weit sorgfältiger als die Konkurrenz –«

Durch ein auffallendes Räuspern aufmerksam gemacht, sah Schleimkugel den Statthalter an. Seine Exzellenz betrachtete ihn durch ein funkelndes Glas und zog nun die herabhängende wulstige Unterlippe ein, daß es aussah, als hätte er in etwas Saueres gebissen.

»... als die Konkurrenz,« sagte Schleimkugel und erschrak erst jetzt, als er das Wort zum zweitenmal aussprach. Hastig fuhr er fort: »... ich meine ... sehr sorgfältig ... sehr gewissenhaft. Ich meine ... bei mir werden alle Sachen ... wirklich an Ort und Stelle geweiht, was bei anderen ... bei anderen ...« Er steckte rettungslos fest, und sein ungeheurer Körper war in diesem Augenblick so aufgedunsen, als müsse er zerbersten.

Unter einem wohlwollenden Lächeln verbarg der Bischof sein Vergnügen an der Verlegenheit dieses Krämers mit geweihten Dingen. Nach einer Weile fischte er ihn gewandt aus seinem Sumpf. »Ihr Beruf, mein lieber Herr Schleimkugel, gibt Ihnen vorzügliche Gelegenheit, alle Gnadenstätten kennenzulernen.«

»Gewiß.« Nun war Schleimkugel wieder flott: »Ich kenne alle Gnadenorte der europäischen Christenheit. Meine Bilder werden nach Originalaufnahmen an Ort und Stelle erzeugt und die Andenken ...«

»Nun, da kennen Sie doch auch sicher das wundertätige Muttergottesbild von Schönau, hier ganz in der Nähe ...«

»Nein – nein,« sagte Schleimkugel mit einiger Bestürzung, »... in Schönau ... nein ... das kenne ich nicht.«

»O gewiß,« sagte der Bischof, »wie sollten Sie es nicht kennen? Besinnen Sie sich nur. Es ist ja freilich nicht lange her. Zwei Jahre vielleicht. Aber die Umstände, unter denen es gefunden wurde, sind wirklich wunderbar zu nennen, ganz wunderbar! Oh, Sie waren gewiß schon dort, besinnen Sie sich nur!« Mit einem Blick, der eine liebenswürdige Aufforderung und ein Befehl war, unterwarf der Bischof Schleimkugel seinem Willen.

Der fromme Mann verstand endlich, was Seine Bischöfliche Gnaden von ihm wollte. Mit gesenktem Kopf stand er, wie in Nachdenken versunken, eine Weile da. Dann griff er an die Stirne: »Ach ja ... na ja ... gewiß. Jetzt erinnere ich mich. Freilich ... vor einem Jahr etwa war ich ja dort. Aber ... Bischöfliche Gnaden verzeihen ... wenn man so viel dergleichen ... ich meine heilige Orte gesehen hat, so kann es vorkommen, daß einer oder der andere in der Erinnerung sozusagen ... aber jetzt erinnere ich mich.«

»Nicht wahr! Die kleine Kirche liegt so hübsch auf ihrem Hügel. Und wenn Sie dort gewesen sind, so werden Sie sich wohl nach der Geschichte dieses Wallfahrtsortes erkundigt haben: Von der Erscheinung, welche der Jungfrau Rosa Hüber aus Schönau vom Himmel geschickt worden ist, und von den wirklich wunderbaren Heilungen, die man schon dort erlebt hat. Man erzählt ja im weiten Umkreis davon.«

»Ja ... ja ... wirklich wunderbare Heilungen. Man hat mir davon erzählt.«

Mit einem raschen Blick auf den Statthalter, der mit blitzendem Monokel und hängender Unterlippe dasaß, fuhr der Bischof fort: »Wenn Ihnen die Erinnerung an diesen Gnadenort entschwunden ist, darf man sich nicht wundern. Man hört in der Welt draußen wenig davon. Und doch sollte die ganze katholische Kirche sich der überaus wirksamen Gnadenmittel dieses Ortes bedienen. Aber man hat gleich im Anfang so viele Schwierigkeiten gemacht und uns so viele Hindernisse in den Weg gelegt ...«

Der Statthalter räusperte sich, ließ das Monokel fallen und wischte mit einem blauseidenen Taschentuch einige Male über das Glas, während er die Unterlippe wieder einzuziehen begann.

»Oh ... man sollte nicht glauben ...« sagte Schleimkugel bedauernd.

»Aber es ist doch so. Mein sehr verehrter Freund, Seine Exzellenz, der Herr Statthalter, hat mich in diesem Fall im Stich gelassen.«

Von diesem Angriff überrascht, ließ Seine Exzellenz das Monokel ganz fallen, daß es klirrend gegen die Tischkante schlug. Alle wandten sich ihm zu: Frau Agathe mit einer Miene des Vorwurfs, der Bischof mit weltmännischem Lächeln und Schleimkugel etwas besorgt um die weitere Entwicklung der Dinge. Bezug, der mit seinen am anderen Ende des Tisches sitzenden Verwandten einige Worte gesprochen hatte, kehrte sich nun von ihnen ab und gab ihre Aufmerksamkeit für die Vorgänge dort oben frei.

Nachdem der Statthalter einen kleinen Hustenanfall überwunden hatte, nahm er wieder die Reinigungsarbeiten an seinem Monokel auf und sagte: »Ich erwidere Ihre Gefühle, lieber Graf, und Ihre Freundschaft ist mir außerordentlich wertvoll. Aber die Pflicht, lieber Freund, die Gesetze, die uns ... na ja, wir haben auch unsere Vorschriften. Wir können nicht, wie wir wollen.«

»Ja ... ja,« lächelte der Bischof, »die weltliche Macht widerstreitet immer der geistlichen, obzwar die beiden Hand in Hand gehen sollten, zum Wohle der Völker. Ich weiß, daß Sie im Grunde denken wie ich, und daß nur gewisse Umstände Sie daran hindern, mir den Beweis dafür zu geben.«

Der Statthalter beeilte sich sehr, darauf zu antworten. »Gewiß,« sagte er, »gewiß! Sie haben recht. Man könnte schon manches tun oder lassen, was man jetzt nicht tun und lassen darf, weil diese Zeitungen immer gleich bei der Hand sind, eine Affäre daraus zu machen.«

»Jawohl, die Zeitungen. Ich bin kein Dunkelmann, das wird mir jeder bestätigen, der mich kennt. Aber man soll doch dem Volke die Gnadenmittel nicht vorenthalten. Seine Exzellenz hat aber recht, diese Zeitungen sind immer gleich dahinter her. Und das Schlagwort vom finsteren Mittelalter sitzt locker in der Feder der Journalisten. Übrigens ... wenn bei der weltlichen Macht ein wenig guter Wille wäre, so könnte man schon einiges tun. Wenigstens hier und da. Hier z. B., wo es sich bloß darum handelt, die katholische Welt mit einigem Nachdruck auf diesen Gnadenort aufmerksam zu machen.«

»Sie wissen nicht, lieber Graf, was einem die Zeitungen für Scherereien bereiten können.«

»Aber es wäre doch nicht unmöglich ... Es fällt mir eben ein, daß unser lieber Freund Bezug ganz vortreffliche Beziehungen zu den maßgebenden Blättern unterhält. Nicht wahr?«

Bezug sagte ruhig: »Ich schmeichle mir, daß mir viele Blätter mit ganz besonderem Wohlwollen entgegenkommen.«

»Mit vollem Recht, lieber Freund; man hat in Ihnen den bedeutenden Mann erkannt, und es wäre nur unverantwortliche Borniertheit, wenn man das nicht zugeben wollte. Wäre es also nicht möglich, daß Sie Ihren Einfluß auf die Blätter zu unseren Gunsten geltend machen?«

»Wenn ich weiß, daß ich Eurer Bischöflichen Gnaden damit einen Dienst erweise, will ich gerne versuchen, was in meiner Macht steht.«

»Nun also, Exzellenz! Wenn sich der Freiherr dafür verbürgt, so ist die Sache so gut wie sicher. Es handelt sich ja auch nur um die Aufhebung gewisser beschränkender Verordnungen, nicht wahr? Oder vielmehr darum, daß diese nicht gehandhabt werden; denn wir wollen ja alles Aufsehen womöglich vermeiden. Also lassen Sie uns freie Hand, Exzellenz?«

Der Statthalter widerstrebte nicht länger: »Gewiß. Wenn ich der Zeitungen sicher bin,« sagte er mit einem Blick auf Bezug.

»Sie sind es, Exzellenz!« sagte Bezug.

Mit einem Lächeln wandte sich der Bischof an Schleimkugel: »Sehen Sie, lieber Schleimkugel, so sind Sie unvermutet Zeuge geworden, wie schwer die Kirche heute um Dinge zu kämpfen hat, die früher selbstverständlich gewesen wären. Ich hoffe, daß Sie dadurch nicht kleinmütig werden und der unterdrückten Kirche nach wie vor Ihre bewährte Kraft zur Verfügung stellen.«

»Bischöfliche Gnaden, Seine Heiligkeit hat mich durch einen Orden ausgezeichnet. Ich betrachte mich dadurch zum Kampfe geweiht.«

»Sehr gut, mein lieber Freund. Halten Sie an dieser tapferen Gesinnung fest. Nach diesem Gespräch wird es Sie interessieren, die Wallfahrtskirche von Schönau und das wundertätige Muttergottesbild noch einmal zu besichtigen. Vielleicht entschließen Sie sich dann, uns auf Ihrem Gebiet zu helfen. Ich bin gewiß, daß Andenken und Bilder von diesem Gnadenort bald weiteste Verbreitung finden werden.«

»Ich brenne vor Ungeduld, die Gnadenmittel des heiligen Ortes der ganzen katholischen Christenheit zugänglich zu machen.«

Der Bischof nickte Schleimkugel freundlich zu. Dann sagte er zu Bezug: »Wissen Sie, lieber Freiherr, wie wir auf dieses Thema gekommen sind? Ihre Gemahlin hat mir ihr Leid geklagt und den Wunsch ausgesprochen, die Kraft des wundertätigen Bildes in Anspruch zu nehmen.«

»Ich rechne auf Erlösung von meinen Leiden«, sagte Frau Agathe mit einem Blick nach der Decke des Saales.

»Sie können sicher sein, Erlösung zu finden.«

Als sich Bezug und Schleimkugel empfahlen, um die Gemahlin des Fabrikanten aufzusuchen, und in genügender Entfernung vom Tisch des Bischofs waren, angelte Schleimkugel nach der Hand Bezugs und drückte sie mit seiner schweißigen Pfote: »Ich danke Ihnen, lieber Freiherr.«

»Ein gesegneter Fischzug, was?« sagte Bezug. »Ich wollte, daß ich mehr solcher Kerle als Mitarbeiter hätte wie Sie oder den Bischof.« –

Unter den Geladenen befanden sich verhältnismäßig wenig Damen. Da ein Gerücht von der ungeheuren Prachtentfaltung bei diesem Fest hinausgedrungen war und in der Stadt rasch Verbreitung gefunden hatte, kam es bei den Frauen, die Zutritt gehabt hätten, zu den schwersten Konflikten zwischen Eitelkeit und Neugierde. Die Neugierde zog sie mächtig zu dem Fest, von dem man die unglaublichsten Dinge erzählte; die Eitelkeit flüsterte ihnen ein, daß es nicht angehe, einem so glänzenden Fest in den dürftigen Fetzen, die man sein eigen nannte, beizuwohnen. Wie würde man sich inmitten so glänzender Toiletten ausnehmen? Wie ein Aschenbrödel. O nein, dafür war man sich zu gut. Das durfte man seinem inneren Menschen nicht antun, daß er um des äußeren willen zurückgesetzt wurde. Immerhin aber war es kränkend, daß man diesem Fest fernbleiben mußte, und man fand es empörend, sich wegen der Sparsamkeit, die man sich aufzulegen gezwungen war, ausschließen zu müssen. Aus den inneren Konflikten wurden häusliche Schlachten; denn schließlich geschah es doch nur dem Mann zuliebe, daß man auf seine eigenen Toiletten so wenig verwandte. Und nun: der Gatte zog ein weißes Hemd und den Frack an und ging, während man mit dem Bewußtsein häuslicher Tugenden daheimbleiben konnte. Als ob dieses Bewußtsein in einem solchen Fall ein Trost gewesen wäre. In diesen Gedankengängen wurde man bestärkt, als sich das Gerücht verbreitete, daß auch Ihre Exzellenz, die Frau Statthalterin, abgesagt habe. Es wurde freilich beigefügt, daß Ihre Exzellenz krank sei, aber das war doch wohl nur der Vorwand. Sie selbst, sogar Ihre Exzellenz, sah sich also außerstande, bei dem unerhörten Luxus der Bezugs mit einigem Glück zu bestehen. Der hartnäckigen Versicherung, daß die Krankheit Ihrer Exzellenz kein Vorwand sei, schenkten die Eingeschüchterten keinen Glauben mehr.

So kam es, daß sich nur eine Auslese von Frauen hier zusammenfand. Eine Auslese jener Frauen, bei denen die Neugierde stärker war als die Eitelkeit, denen es weniger darauf ankam, gesehen zu werden als zu sehen. Sie standen gerne zurück, wenn es ihnen nur vergönnt war, dabei zu sein und mit hungrigen Augen allen Glanz des Festes aufzunehmen. Vereinzelt fanden sich unter ihnen auch jene Frauen, welche sich der altmodischen Ansicht zuneigten, daß eine wirklich schöne Frau der prunkvollen Toilettenkünste nicht bedürfe. Und endlich jene, die sich ihres überlegenen Geistes bewußt waren und die Klugheit über Schönheit und über Toiletten setzten. Immerhin hatten alle diese Frauen etwas Gemeinsames, eine Verwandtschaft, die sie niemals eingestanden hätten, die sie aber jetzt, als im Wirrwarr der Gäste die Wahlverwandtschaften zu wirken begannen, zu einer großen Gruppe vereinigte. Bezug hatte sie gleich nach dem Einzug in den Festsaal noch besonders begrüßt und sie gebeten, sich den Herren nicht zu entziehen. Er habe ganz besonders auf ihre Mitwirkung gerechnet; denn was sei das heiterste Fest ohne die belebenden Einflüsse der schönen Frauen. Diese Worte, die für alle bestimmt waren, richtete er besonders an die schöne Frau des Professors Hartl, indem er dabei seinen Blick in den tiefen Buseneinschnitt ihres Kleides versenkte. Die Frau Professor machte darauf einen formellen Hofknicks, die große Verbeugung, die sie einstudiert hatte, als sie mit ihrem Gatten einmal von seiner Exzellenz, dem Statthalter empfangen werden sollte. Und sie dankte mit den wenigen Worten, die ihr in ihrer Aufregung zur Verfügung standen. Als Bezug gegangen war, mit dem Ausdruck lebhaften Bedauerns, daß es ihm nicht vergönnt sei, sich den Damen länger ausschließlich zu widmen, drängten sich die schönen Frauen um die Professorin, während sie in königlicher Haltung lächelnd inmitten des Schwarmes stand, eine Sterbliche, die von Jupiter mit Wohlgefallen begnadet wurde. Hinter ihrem Rücken fand indessen eine Koalition der bloß Neugierigen mit den Geistreichen statt. Ob der gute Professor Hartl wohl eine Ahnung habe? Man hatte ja gehört, daß Bezug in der letzten Zeit sehr häufig Konferenzen mit dem Professor abgehalten habe. Hartl sei als künstlerischer Berater für dieses Fest herangezogen worden. Freilich – es sei nur seltsam, daß Bezug seinen Rat meistens dann eingeholt habe, wenn Hartl nicht zu Hause gewesen sei. Und eine der Damen erinnerte sich, daß Hartl davon gesprochen habe, im Auftrag Bezugs in der nächsten Zeit eine Studienreise nach Kleinasien unternehmen zu müssen. Man lächelte.

So entstand ein erster Riß in der Gruppe der Frauen. Aber noch hielt man sich in der Mitte der Saales unweit des Tisches, an dem die Hauptpersonen des Festes saßen, noch war die Stimmung des Fester nicht auf dem Punkt, auf dem die Mischung mit den männlichen Gästen unerläßlich gewesen wäre.

Eine der schönen Frauen, die Gattin des Malers Dibian, die ein von ihrem Manne entworfener Reformkleid mit vielem Anstand trug, obzwar sie früher nur ein einfaches Modell mit einer nicht einwandfreien Vergangenheit gewesen war, ließ sich als erste an einem der Tische nieder und nahm ein rosafarbenes Blatt mit den Versen Adalberts auf. »Nein – schauen S', wie hübsch das is. Wirklich lieb!« sagte sie, nachdem sie gelesen hatte.

Die rosafarbenen Blätter raschelten in den Händen der Frauen. Entzückend! Einfach himmlisch! Es war zu süß!

»Ich bitte Sie, wie die sich aufspielt«, sagte die Gattin des Kritikers Störner zu Frau Harthausen. »Finden Sie etwas Besonderes an diesen Versen?«

Frau Harthausen, die selbst einen Band Gedichte: »Purpurflammen« veröffentlicht hatte und nicht wußte, ob sie sich mehr zu den schönen oder zu den geistreichen Frauen rechnen sollte (um auf beiden Linien zu wirken, hatte sie dem Band ihr Bild beigegeben), zögerte eine Weile. Fand sie die Verse gut, so mochte man sie eher zu den schönen Frauen rechnen, die an Adalberts Versen Gefallen fanden. Wenn sie die Verse verwarf, so mochte man ihr scharfes Urteil als das einer geistreichen Frau bemerkenswert finden. Die schönen Frauen hatten vor kurzem einen Triumph erlebt. Das wäre ein Grund gewesen, sich für sie zu entscheiden, aber daneben quälte sie der selbstverständliche Neid des Zurückgesetzten. Warum hatte Bezug gerade die Verse dieses Unbekannten den Gästen aufgedrängt? Gab es denn keinen anderen lyrischen Dichter in Deutschland? Ihr Verleger hätte gewiß gerne gestattet ... Sie entschloß sich zu einem Kompromiß: »Oh ...« sagte sie, »der Rhythmus ist abscheulich, so abgehackt und unmelodisch ..., aber ich finde doch einzelne Schönheiten.«

Im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit aller Damen stand weiterhin der Tisch mit der Familie Bezugs und den Ehrengästen; während sie nach einer anderen Seite hin sprachen, versäumten sie es nicht, mit schnellen Blicken nach dieser Seite den Stand der Dinge an diesem Tische zu verfolgen. Als sich Bezug mit Schleimkugel dorthin durchdrängte, lachte Frau Störner: »Schauen Sie nur! Bezug und ... hinter ihm ... welch Abenteuer! ... ein violettes Ungeheuer!«

Frau Hartl, die bloß Bezugs Namen und die letzten Worte gehört hatte, brachte beide in eine Art von Verbindung und wandte sich empört nach der Sprecherin um. Bei dieser Wendung kam ihr prächtiger Nacken zur besten Geltung. Das stellte Harthausen mit großem Vergnügen bei sich fest. Frau Störner erschrak vor diesem Blick, als habe sie wirklich eine Majestätsbeleidigung begangen, und erst als sich Frau Hartl wieder umgewandt hatte, erholte sie sich in einem Lachen: »O weh, jetzt hab' ich mir eine Zurechtweisung geholt.«

Elisabeth stand auf und verließ den Tisch dort drüben. Sie ging, den Blick geradeaus gerichtet, quer durch den Saal, als ob sie niemanden sähe, und alle Bemühungen einiger junger Damen, die zeigen wollten, daß sie mit ihr bekannt seien, waren vergeblich. Eine lange cremefarbene Seidenschleppe rauschte hinter ihr drein. Sie gab sich keine Mühe, die Schleppe aufzunehmen, ließ die schönen blassen Arme lang herabhängen, und erst, als sie an einer Stelle, wo man sich um einen tablettragenden Diener drängte, nicht weiter konnte, griff sie mit einer ungeduldigen Bewegung in die Falten des Kleides, schob die schimmernden blassen Schultern vor und bahnte sich ihren Weg, bis man sie erkannte und voll Respekt zurückwich.

Die Frau des Journalisten Herold, eine jener Frauen, die weder schön noch geistreich, sondern bloß neugierig waren, hatte einige junge Mädchen um sich versammelt. Da sie nicht viel anderes von diesem Fest erwarten durfte, so vergnügte sie sich mit der Achtung, die junge Mädchen verheirateten Frauen entgegenzubringen gehalten sind.

»Sie ist hochmütig«, sagte die Tochter des Bürgermeisters. »Schau' nur, Frieda, wie sie sich aufspielt.«

»Ja, sie tut, als wären wir alle Luft, nicht wahr«, antwortete Frieda, die Tochter des Professors Schreier.

»Es ist empörend!«

Etwas Ähnliches wurde um Frau Hartl herum festgestellt. »Jetzt ... alsdann ... das is doch zu dumm ... das Geld allein macht's nit«, sagte Frau Dibian, die sich niemals ein Blatt vor den Mund nahm.

»Sie weiß auch zu genau, daß sie schön ist«, stimmte Schönbrecher bei, um Frau Dibian zu Gefallen zu sein.

»Himmelherrgott, das is sie auch. Kinder, davon versteht's ihr nix.« Der Maler Dibian war ganz aufgeregt. »Jawohl. Ihr dürft's nit glauben, weil ich bloß Rindviecher mal, so hab' ich keine Augen für die Frauen. Ich hab' schon zuerst auch Porträts geschmiert und Akte und solche Sachen ...«

Störner, der zu der Gruppe getreten war, flüsterte der freigeistigen Tochter des Reichstagsabgeordneten Bräunlich etwas ins Ohr, über das diese plötzlich errötete ...

»Mein Ehrgeiz is also schon auch dorthin gangen. Aber 's Rindvieh war doch einträglicher, von damals her aber versteh' ich was von den Weibern. Sie dürfen's mir glauben.«

»Jedenfalls,« sagte Schönbrecher und zündete eine von Bezugs Zigarren an, »jedenfalls hat dieser Hecht nicht das richtige Verständnis für seine kostbare Braut.«

Darin waren alle Männer einig, während die Frauen behaupteten, man müsse nicht gerade ein Künstler sein, um für Frauen Verständnis zu haben.«

»Schauen S', da is er schon hinter ihr drein«, sagte Frau Dibian und zeigte mit dem Fächer auf Hecht, der jetzt gleichfalls quer durch den Saal ging. »Mir scheint, der fürcht' sich um sie ...«

»Vielleicht fürchtet er nicht ohne Grund«, sagte Doktor Störner und sprach dann flüsternd mit der freigeistigen Tochter des Abgeordneten Bräunlich weiter.

Hecht war seiner Braut gefolgt und traf sie bei dem Sarkophag der Königin Omphale im Gespräch mit Rudolf Hainx. Dieser Sarkophag stammte aus den Ausgrabungen Bezugs in Samarkand und hatte einst die Leiche irgendeiner massagetischen Königin eingeschlossen. Nach dem Relief auf der Vorderseite, das die Demütigung des Herakles am Spinnrocken der Omphale darstellte, hatte er seinen Namen bekommen. Die Kleidung der Omphale und ihrer Frauen, das Fell des Herakles zeigten noch deutliche Spuren der Bemalung. Auch Fleischtöne waren aufgesetzt, und seltsam frisch leuchtete das Gesicht der Omphale mit roten Lippen und schwarzen Strichen über und unter den Augen. Die Mumie der Königin wurde in Bezugs Museum auf die Insel im Adriatischen Meer gebracht, den Sarkophag aber schenkte Bezug seiner Tochter, die den Wunsch geäußert hatte, ihn zu besitzen. Sie verwahrte antike Musikinstrumente und eine Sammlung erotischer Amulette in ihm. Einer plötzlichen Laune folgend, hatte sie ihn für das Fest hier herunterschaffen lassen. Da stand er nun als Tisch unter anderen Tischen hinter einer Wand von blühenden Palmen. Man bewunderte ihn, ging um ihn herum, besah ihn von allen Seiten, und eine Unzahl von gelehrten unästhetischen Gesprächen fand in seiner grünen Nische statt. Schwerwiegende und kühne Hypothesen über die Herkunft des Sarkophages waren aufgestellt worden und über die Art, wie er nach Samarkand gekommen war. Einer der bedeutendsten Archäologen nahm eine hochentwickelte Lokalkunst an, während die Mehrzahl sich der Ansicht hinneigte, daß man es mit einem äußersten Ausläufer, einem mehr zufälligen Auftreten kleinasiatischer Kunst zu tun habe. Aber, so eifrig man über die Bedeutung des Sarkophages debattierte, niemand wagte es, ihn als Tisch zu benutzen. Schließlich war dieses Prachtstück doch nichts anderes als ein Sarg, und man fand es bizarr, daß Elisabeth den Gästen zumutete, auf einem Sarg zu speisen. Erst als die Stimmung lärmender geworden war, hatte sich Hauser und sein Freund hierher zurückgezogen und sich einen kleinen Korb mit Pommery neben den Sarkophag setzen lassen.

»Auf den Überresten einer verstorbenen Königin Champagner zu trinken ... sozusagen ... das kann man nicht alle Tage haben«, sagte Hauser.

»Trink, Omphale«, sagte Adamowicz und setzte sein Glas an die roten Lippen der Königin, die der Arbeit des Herakles mit siegreichem Lächeln zusah.

Sie waren beide etwas angeheitert und benahmen sich mit einer Art von Wollust unehrerbietig, obzwar sie mehr als alle anderen von der unvergänglichen Schönheit dieses Werkes empfanden, und obzwar ihnen die Schatten der Vergänglichkeit, die um den Marmorsarg lagen, deutlicher waren als allen anderen. Aber sie wollten sich nichts davon merken lassen und betonten mit wilder Ausgelassenheit die Überlegenheit des Lebens über den Tod. Hauser behauptete, er sei weit größer als Praxiteles; denn dieser sei nur mehr ein Name, und er könne Champagner trinken, und wenn es ihm gefalle, könne er die unsterblichen Werke des Praxiteles zerstören, mit Terpentin, Teer, Eisenlack und anderen Ingredienzien. Darauf bat Adamowicz den Freund, mit ihm auf die Gesundheit Michelangelos anzustoßen. Und da er ein Liebhaber sonderbarer Geschichten war, erzählte er Hauser, daß Michelangelo vorgestern bei ihm in der Werkstatt gewesen sei und ihm zufrieden auf die Schultern geklopft habe. Vor einer Büste, die Adamowicz von seinem ehemaligen Lehrer, dem Professor Schlägl, geschenkt worden war, habe er aber entrüstet ausgespuckt. Dann habe er ihm ein neues Sonett vorgelesen, einen Gruß von Dante bestellt – Adamowicz hatte nämlich eine Dantebüste gemacht – und sei verschwunden. Hauser fand das ganz in Ordnung, daß Michelangelo vor der Büste des Professors Schlägl ausgespuckt hatte. »Ach,« rief er dann aus, indem er sich dehnte und die feuchte Stirne abwischte, »wenn man ein bißchen Champagner getrunken hat, wie weiten sich dann die Räume!«

»Fühlst du dich also nicht mehr von Bezug gefesselt?«

»Nein ... ich weiß nicht ... es war ein verdammtes Gefühl ... unangenehm! Du kannst mir's glauben. Aber jetzt bin ich frei ...«

Sie sollten aber doch bald wieder an ihrer Freiheit zweifeln, denn, gerade als sie den zweiten Korb Pommery bestellen wollten, kam Rudolf Hainx und bat sie, die Nische freizugeben. Adamowicz, der sich in sehr mutige Stimmung versetzt hatte, wollte Widerstand leisten, aber Hauser empfand vor diesem Sendboten Bezugs sogleich wieder seine frühere Beklemmung und hielt den Freund zurück.

Als Elisabeth zum Sarkophag der Königin Omphale kam, traf sie dort Rudolf Hainx, der sie, halb auf dem Sarg sitzend, erwartete.

»Wo ist Adalbert Semilasso?« fragte Elisabeth.

»Ich weiß es nicht. Irgendwo im Garten, im Saal oder vielleicht versteckt in seinem Zimmer.«

»Haben Sie ihm nicht gesagt, daß er sogleich kommen soll?«

»Ich habe es ihm gesagt.«

»Und warum haben Sie ihn nicht sofort mitgebracht?«

Rudolf Hainx war vom Rand des Sarkophags herabgeglitten, stand nun mit drohenden Augen vor Elisabeth und hielt das Gelenk ihrer rechten Hand fest umspannt: »Höre ... du ...« sagte er, »ich habe nicht länger Lust, euch beiden zuzusehen. Soll ich vielleicht noch deine Botschaften zu ihm tragen?«

»Du wirst tun, was ich dir befehle.«

»Das werde ich nicht tun. Ich bin nicht dein Diener. Zum Teufel ... ich soll da vermitteln? Du bist mein ... ich habe keine Lust, dich mit anderen zu teilen.«

»Und mein Bräutigam; das mußt du doch wohl dulden.«

»Ach was, der! Ich weiß, daß du dich dem niemals geben wirst. Aber Adalbert! Solange du dich wie ein Backfisch benahmst, der einen Tenoristen anschmachtet, habe ich zugesehen. Jetzt aber – wo du brünstig wirst ... Jetzt ist es genug ...«

»Du bist unverschämt ... was denkst du von mir?« Elisabeth riß sich von Hainx mit einer so raschen Bewegung los, daß seine Hand an die Kante des Sarkophags flog.

»Reize mich nicht«, flüsterte Hainx mit verzerrtem Gesicht.

Elisabeth streckte ihren biegsamen Leib vor, um ihm in die Augen zu sehen. Ihre Augen waren von den seinen nur um die Breite zweier Hände entfernt. Er bebte vor diesem Abgrund, in den er sah. Haß und Zorn loderten darin in Flammen, und hinter diesem lodernden Vorhang lag tief im Grunde wie eine schöne, schillernde Riesenschlange die Wollust, die dieses Weib zu spenden vermochte.

»Glaubst du,« fuhr er fort, »daß ich verzichte? Ich habe deinen Leib genossen, und ich will nicht an einen anderen geben, was mein war.«

Elisabeth zischte: »Knecht ... Knecht ... elender Knecht.«

»Es kommt vor, daß sich Knechte gegen ihren Herrn empören. Ich empöre mich gegen dich. Ich will dich haben.«

Von seinem Ungestüm bedrängt, wich Elisabeth zurück. Aber Hainx versperrte ihr den Ausgang aus der grünen Nische. Nun gelang es ihm den Platz zu wechseln und Elisabeth war gegen den Marmorsarg gelehnt, während er keuchend vor ihr stand, mit angespannten Sehnen, als ob er sich jetzt, in diesem Augenblick, auf sie stürzen und sie vergewaltigen wolle.

»Du wirst mich mit keinem Finger mehr berühren«, sagte sie, jetzt wieder ganz ruhig.

»Er wird dich nicht anrühren. Er nicht! Er will dich ja gar nicht ... hörst du ... er verabscheut dich ... du bist ihm nicht mehr als irgendeine Dirne von der Straße, als die Gräfin, die immer weint und winselt, weil er sie verschmäht.«

Da griff Elisabeth nach hinten, faßte einen halbvollen Champagnerkelch und zerschlug ihn auf Hainx' Gesicht. Der Wein rann ihm über Mund und Wangen, während seine Züge langsam erstarrten. Mit einemmal war er wieder zur Besinnung gekommen und hatte seine Herrin erkannt, gegen die er sich hatte empören wollen. Welcher Wahnsinn? Was war mit ihm geschehen? Wie hatte er dies wagen können? Sie durchdrang ihn vollständig mit klaren, kalten Strahlen, bemächtigte sich seiner zitternden und wieder furchtsamen Seele und raubte ihr alle Kraft des Willens. Mit wunderbarer, wilder Raubtierpranke hatte sie nach ihm geschlagen und dieser Schlag hatte ihm zum Bewußtsein gebracht, daß er in ihrer Gewalt war. Scheu geduckt wich er vor ihr bis zur grünen Nischenwand zurück, senkte den Kopf und schwieg, während ihn Elisabeth mit zuckendem Gesicht ansah. Ein kleiner Muskel an ihrem bloßen Hals sprang auf und ab. Dann lachte sie verächtlich und griff mit beiden Händen in ihr weiches, duftendes Haar, um einen losgegangenen Kamm festzustecken. Von außen stieß jemand gegen die Bäumchen der Nischenwand, daß die harten, dunkelgrünen Blätter raschelten. Unter der Notwendigkeit, ein deckendes, gleichgültiges Gespräch zu beginnen, rückte Hainx wieder an Elisabeth heran und fing – da ihm nichts Besseres einfiel – an, von dem Sarkophag der Königin Omphale zu sprechen, an dessen Rand Elisabeth gelehnt stand, während sie mit einem verlorenen und verächtlichen Lächeln schwerfällige Antworten gab.

Wenige Minuten später kam Hecht. Bekannte hatten ihn auf seinem Wege aufgehalten und hatten ihre Glückwünsche erneuert, indessen er von einem Fuß auf den anderen trat und nach dem Winkel des Saales hinübersah, wo ihm Elisabeth hinter einer grünen Wand verlorengegangen war. Da man der Ansicht war, daß man, um den Bräutigam zu erfreuen, das Lob des Brautvaters und der Braut anstimmen müsse, bekam Hecht endlose Hymnen auf Bezug und Elisabeth zu hören. Bis er sich endlich ungeduldig losriß und den Erstaunten entschwand.

Hainx erlebte den Triumph, daß Elisabeth, kaum daß sich Hecht zu ihnen gefunden hatte, ihre spöttischen Feindseligkeiten gegen diesen richtete. Nun näherte er sich wieder seiner Herrin wie in geheimer Bundesgenossenschaft und freute sich der Pfeile, die dem unglücklichen Bräutigam galten. Hecht erwiderte kaum, er war abgespannt und außerstande einen Kampf mit Elisabeth aufzunehmen, die, frisch und glänzend bewehrt, ihren Gegner nicht schonte. Nachdem Elisabeth nach der Art grausamer Amazonen den Feind völlig besiegt hatte, machte sie ihn zum Kriegsgefangenen und sandte ihn mit der Botschaft an Adalbert Semilasso aus, er möge sich sogleich hier einfinden. Aber da kam Adalbert schon selbst, in Begleitung eines kleinen, bartlosen Mannes, der seine Worte mit lebhaften Handbewegungen begleitete. Zögernd trat er in die Nische und er atmete leichter, als er sah, daß auch Elisabeth nicht allein war.

»Sehen Sie,« sagte Hainx zu Hecht, »da kommt er selbst und bringt sich gleich den Herold seines Ruhmes mit.«

Während Elisabeth die Bemerkung des Hainx mit einem höhnischen Zucken der Lippen erwiderte, verneigte sich Herold, der kleine Journalist, vor ihr und führte ihre Hand an den Mund. Dann ließ er sogleich einen großen Schwall von Worten los: wie glücklich er sei, sich ihr heute nähern zu dürfen, und wie schön er es finde, sie gerade an diesem durch die Kunst geweihten Ort getroffen zu haben. »Ungemein reizvoll ... dieses Zusammentreffen ... ganz vortrefflich ... wie soll ich sagen ... komponiert. Die schönste Frau am Sarkophag einer durch ihre Schönheit berühmten Königin ... ringsum die grünen Wände ...«

»Und umgeben von einem Sternenkranz von Männern, die am Himmel der Geistigkeit hell erstrahlen«, sagte Elisabeth, und keiner der vier Männer zweifelte, daß dies eine gegen ihn gerichtete Bosheit sei.

Zuerst erholte sich Herold und fuhr im gleichen Ton wie vorhin fort: »Wäre ich ein Dichter, dies gäbe ein Sonett. Ein Sonett sage ich Ihnen, von berückendem Klang. Ich ließe mir es nicht entgehen, wenn ich als Ihr Haus- und Hofdichter ein Recht darauf hätte.«

»Nun, Adalbert?« fragte Elisabeth feindselig.

Mit der feinen Witterung des Brünstigen merkte Hainx, daß die Dinge für Adalbert nicht günstig ständen. Ob nun etwas von dem zurückgeblieben war, was Hainx vorhin gesagt hatte, oder ob Elisabeth darüber erzürnt war, daß man ihre Unterredung mit Adalbert vereitelt hatte – sie sah Adalbert mit schweren Brauen fast drohend an.

Der Dichter, der die Fechterkünste und überraschenden Kniffe des Gespräches nicht kannte oder verschmähte, beging eine Ungeschicklichkeit. Er versuchte von einem Thema abzuschwenken, das ihm peinlich schien. »Sie haben mich zu sprechen gewünscht,« sagte er, »was wollen Sie von mir?«

Nach einem Blitz des Zornes legte Elisabeth die Maske des Nachdenkens vor: »Sie haben recht,« sagte sie, »ich wollte ... ich wollte Ihnen etwas sagen ... was denn nur? – Was denn? – Bei Gott! Ich weiß es nicht mehr ... ich habe es vergessen ... es wird wohl nichts Wichtiges gewesen sein ... offenbar nichts Wichtiges.«

Nun schien es Hainx an der Zeit, gegen Adalbert loszugehen. Die Stimmung seiner Herrin war günstig und es war leicht, einige Bosheiten gegen den Ungeschützten abzuschicken. »Unser Freund Adalbert ist allzu bescheiden,« sagte er, »er will uns davon abbringen, ihn zu loben. Aber sein Name ist heute ohnehin in aller Gäste Mund. Wissen Sie, was ich vorhin gehört habe, als ich an einem Tisch vorüberging. ›Vortreffliche Verse von Heine‹, sagte eine Dame, und als man sie darauf aufmerksam machte, daß doch ein anderer Name darunter stehe, antwortete sie, das sei jetzt modern, daß sich der Drucker bei künstlerisch ausgeführten Blättern unterschreibe.«

»Ich weiß, daß ich nichts kann«, sagte Adalbert und sah zur Seite.

Lebhaft fiel Herold ein: »Nein ... nein ... das ist nicht richtig. Sie sind ein wirklicher Dichter. Und ganz natürlich, sozusagen unverfälscht. Sie sind kein Kunstpantscher. Sie geben keinen schweren Wein, aber ein gutes und bekömmliches Getränk.«

»Also ... recht eigentlich ... Tischwein«, sagte Elisabeth.

»Und das Schöne ist die vollkommene Unverdorbenheit«, fuhr Herold fort. »Diese prächtige Freiheit von allen Vorbildern. Das macht mir unseren Freund so wert. Da ist nicht ein Wort, das nicht lebendig aus ihm selbst geboren wäre. Freilich fehlt noch einiges: das formale Moment ist noch wenig ausgebildet. Wissen Sie, daß er nicht einmal weiß, was das ist: ein Sonett. Wir haben vorhin darüber gesprochen. Er weiß es wirklich nicht.«

Da Adalbert unruhig wurde, beeilte sich Herold hinzuzusetzen: »Das ist keine Schande, mein Lieber, das ehrt Sie nur.«

»Gewiß,« sagte Rudolf Hainx, »gewiß! Auf die Form kommt es weniger an als auf den Inhalt. Aber –«, fuhr er nach einer kleinen Pause lachend fort: »sie sind eigentlich komisch, diese Dichter.«

»Komisch?«

»Gewiß ... was den Inhalt anlangt. Sie geben sich alle Mühe, den tieferen Sinn aller Dichterei zu verbergen, aber die Sprache selbst verrät sie. Alle Worte, die durch den Reim gebunden werden können, stehen in einer inneren Verwandtschaft zueinander. Und wenn die Dichter auch der ganzen Zeile eine andere Wendung geben, das Reimwort stellt die ursprünglichen und unabänderlichen Beziehungen wieder her. So reimt sich auf ›Not‹ unwiderstehlich ›Brot‹, wenn nicht das harte und unerbittliche ›Gebot‹ entgegentritt. Und das letzte Glied dieser Kette von Begriffen ist ›Tod‹.«

»Eine geistvolle Hypothese,« sagte Herold und zog ein Notizbuch aus der Tasche, »gestatten Sie, daß ich mir dies mit einigen Worten festhalte.«

Durch das Lachen Elisabeths ermutigt, fuhr Hainx fort, während Adalbert gequält einen Schritt nach vorwärts tat, als wolle er bitten, einzuhalten: »Warum bemühen sich die Dichter so krampfhaft, uns darüber hinwegzutäuschen, daß das nächste und verwandteste Reimwort auf ›Liebe‹ – ›Triebe‹ lautet. Es ist doch einmal so und nur ein unverbesserlicher Idealist kann das leugnen wollen.«

Elisabeth sagte mit funkelnden Augen und sah Adalbert dabei grausam an: »Marquis de Sade würde noch ein anderes Reimwort hier ansetzen – ›Hiebe‹.«

»Bravo,« sagte Bezug, der mit Schleimkugel in die Nische getreten war, »ich sehe mit Vergnügen, daß man hier dem Wesen der Dichtkunst auf der Spur ist. Lassen Sie es sich nicht verdrießen, Adalbert, das bleibt doch immer eine esoterische Sache ... nur für die ganz Eingeweihten, denen es nicht schadet, und die sich, obzwar sie um das Geheimnis wissen, doch immer gerne wieder von euch beschwindeln lassen. Ich bin mit Ihnen zufrieden, Adalbert, und mit dem Beifall, den Ihre Verse bei den Gästen gefunden haben.«

Dann wandte er sich zu Herold und sagte: »Und Sie, mein lieber Freund, werden dafür sorgen, daß man in der Welt draußen etwas von unserem Dichter erfährt.«

»Gewiß, gewiß ... außer dem Bericht über das Fest, in dem ich Herrn Semilasso erwähne, werde ich noch ein eigenes Feuilleton über ihn bringen.«

»Gut ... gut ... und jetzt, meine Herrschaften, bitte ich Sie, sich in den Garten zu bemühen ... Elisabeth, mache dich bereit, das Puppenspiel soll sogleich beginnen ...«


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