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Nirgends empfand der bescheidene Bürger aus dem Viertel hinter dem Dom mehr Hochachtung bei gleichzeitiger Herabminderung des eigenen Selbstgefühles als in dem Stadtteil, der sich in den letzten Jahren immer näher an den großen öffentlichen Park im Norden herangezogen hatte. In langen Straßenzügen schienen die großen vornehmen Häuser näher zu rücken, nahmen die grüne Insel in ihre Mitte und umgaben sie, so groß sie war, mit steinernen Wällen, daß ihr Atem unruhig und ängstlich wurde. Die steinernen Augen der Häuser sahen gleichgültig und gelangweilt über die grünen Schultern der Bäume, und mit ihren wohlfrisierten Fassaden mit dem hängenden und aufgeklebten Schmuck von Schnörkeln und Fruchtgirlanden, mit den Vorsprüngen aus Blech und Stuck standen sie da wie eine Hofgesellschaft, die von einer unbegreiflichen Laune des Fürsten dazu gezwungen worden ist, die Natur zu betrachten. Die ganze übertragene Ornamentik, diese kümmerlichen Reste aus besseren Zeiten des Geschmackes, diese zusammengeklebten Fragmente aus Rokoko, Barock und Renaissance empörten sich gegen die aufdringliche Ehrlichkeit dieses Parkes. Allen Säulchen und Voluten, allen Simschen und Karyatidchen, den Blumengewinden aus Gips, den Balkonen mit den gewaltigen Bäuchen, den Türmchen mit den Knäuflein und Fähnlein konnte man es ansehen, daß ihnen das Rauschen der Bäume hier unten äußerst widerwärtig war; ein Spötter sagte, er höre das steinerne Froufrou, mit dem diese geschminkten alten Jungfern ihre Entrüstung kundgeben, und ein anderer erklärte, eine von ihnen ziehe den Balkon wie eine aufgeworfene Oberlippe hinauf, daß unten der Schlitz des Haustores sichtbar werde wie ein zahnloser Mund, gerade so, als wolle sie shoking ausrufen. Aber die Spötter, die sich des geringgeschätzten Parkes annahmen, waren selten in diesem Viertel, waren die Ausnahmen unter einem Chor von Lobpreisern und Verehrern. Die kleinen Bürgersleute verstummten hier vor Ehrfurcht, denn hier wohnten die reichen Leute, die Fabrikanten und Bankiers, die Menschen, denen nichts unmöglich war, und wenn sie Sonntags im Park spazierten, zog es sie immer wieder an dessen äußersten Umkreis, wo sie die gelangweilten Grimassen der hohen Herrschaften bewundern konnten.
Eines dieser Häuser war den andern an Vornehmheit noch voran. Wenn die Bürger aus dem Viertel hinter dem Dom an diesem Haus vorübergingen, so wagten sie nur zu flüstern. Denn hier wohnte der Herr Bezug, der Mann, dessen Vermögen alle Begriffe überstieg, dem alle diese Häuser rund um den Park gehörten, der über den größten Teil der benachbarten Straßen, fast über den ganzen neuen Stadtteil, im ganzen über zweiundneunzig Häuser herrschte. Seine Fabriken weit hinten im verräucherten Viertel der Arbeit sandten aus einem Wald von Schornsteinen Rauchwolken aus, und auch andere Wälder waren sein, rauschende grüne Wälder, fast alle die blauen Höhen im Umkreis, die man von dem hohen Turm seines Herrscherhauses erblicken konnte. In diesem Turm sollten die wunderbarsten Dinge zu sehen sein. Wandkarten hingen da herab, auf denen seine ungeheuren Besitzungen dargestellt waren, in schweinsledernen Folianten mit Schlössern aus Gold und Silber war sein Vermögen genau verzeichnet, und ein dickes Buch enthielt die Namen aller Arbeiter, die er beschäftigte, aller Geschäftsleute, die von ihm abhängig waren. In einem anderen kleineren Buch standen die Namen aller Frauen, die er besessen hatte. Die Blätter dieses Buches waren aus Seide, sein Einband aus einem Stoff, der mit dem Saft der Purpurschnecke gefärbt war, und die Schließen waren mit Edelsteinen besetzt. Die Seide war ein Geschenk des Kaisers von China, der Purpurstoff stammte aus Syrien, und die Schließen waren aus Agraffen gebildet, die man einst im Schatz des Sultans Soliman gefunden hatte. Er hatte die Macht über Glück und Unglück, ja über Leben und Tod von Hunderten, und man sagte von ihm, daß er danach strebe, die ganze Welt seinem Willen zu unterwerfen. Von seinen Abenteuern und seinen Erfolgen erzählte man die wunderlichsten Geschichten; das Gold rauschte in Strömen um ihn und sammelte sich bei ihm, wie in einem ungeheuren Behältnis, das alle Zuflüsse auffängt.
Unter den Zuschauern, die vor dem Trauerhause des Joseph Hoppe standen, erhob sich ein Gemurmel, als Herr Bezug nun in Begleitung eines jungen Mannes aus der Türe trat und sich in seinen Wagen setzte. Das Interesse für ihn war fast noch größer als das Interesse für den toten Joseph Hoppe. Und das war nicht wenig, denn auch Joseph Hoppe war ein steinreicher Mann gewesen, und auch von ihm berichtete man recht Sonderbares. Es war ein Geheimnis, das man auf den Straßen und in den Wirtshäusern ganz laut erzählen hören konnte, daß Joseph Hoppe vor ungefähr zwanzig Jahren an einigen ganz unglaublich kühnen Bankeinbrüchen beteiligt gewesen war und damals den Grundstock seines Vermögens gelegt hatte. Unter den Bankräubern war er einer der verwegensten gewesen, aber er hatte seine Spuren mit solcher Meisterschaft zu verwischen gewußt, daß ihn kein noch so schlauer Untersuchungsrichter fangen konnte. Trotzdem er einige Male vor Gericht stand, gelang es niemals, ihn zu überführen. An seiner ehernen Stirn, an seinem ganz scharfen Kombinationsvermögen, mit dem er eine einmal eingeleitete Verantwortung mit verbrecherischer Logik bis in die letzten Folgerungen durchführte, wurden alle hergebrachten Schlauheiten der Gerichtspersonen zunichte; mit seiner gutgespielten Biederkeit, seinem offenen Gesicht und seinem schon damals grauen, ehrwürdigen Kopf täuschte er die Geschworenen, als ob er, ein trefflicher Schauspieler, vor Leuten stünde, denen alle Kniffe des Theaters fremd sind. Er konnte zehn eingestellte Untersuchungen und sechs Freisprüche aufzählen. Als er genug erworben hatte, begab er sich auf weniger gefährliche Gebiete und vermehrte sein Vermögen in kurzer Zeit so sehr, daß man ihn gleich hinter Thomas Bezug zu nennen begann. Man mußte zugeben, daß er ein musterhafter Gatte und Familienvater war, und man bewunderte seine Freigebigkeit gegen wohltätige Anstalten, seine freudige Schenkerlaune gegen alle Welt. Nun war Joseph Hoppe gestorben, und das ganze neue Stadtviertel folgte den nächsten Leidtragenden in einer endlosen Reihe von Wagen, während die neugierige Menge, von Wachleuten zurückgehalten und bedrängt, die Pracht des vergoldeten Sarges, die nickenden Federbüsche der acht Trauerpferde, die Würde des in schwarze Seide gekleideten Kutschers und den Aufzug der Priester bestaunte.
Der Zug nahm den Weg durch die Stadt, um auch denen, die daran sich vor dem Trauerhause nicht eingefunden hatten, zu zeigen, wer mit Joseph Hoppe gestorben war. Man sah den Veteranenverein, dessen Ehrenmitglied der Tote gewesen war, im Zuge, man konnte sich an der strammen Haltung der Feuerwehrleute, an der unabsehbaren Masse schwarzer Gehröcke und an den leichtrollenden Wagen der vornehmen Trauergäste nicht satt schauen. In einer der kleinen zerzogenen Gassen hinter dem Dom gab es einen Hof, der, zwischen zwei niederen Häuschen eingekeilt, gleich von der Gasse aus zugänglich war, als wäre er ein nun abgeschnürter, von der Habsucht der Anwohner an sich gerissener Teil des öffentlichen Weges gewesen. Dieser Hof lag hoch oben auf den Resten der einstigen Stadtmauer, und die Nachbarn hatten sich alle hier versammelt, weil man von da den Trauerzug tief unten in aller Bequemlichkeit betrachten konnte. Die Geschwätzigkeit der Frau Swoboda, des Kerzenweibes aus dem Dom, begleitete jeden Wagen und seine Insassen mit einem Rinnsal von Bemerkungen, Ausrufen, und sie war so vollständig hingegeben, so ganz in ein reines Glück befriedigter Schaulust versunken, daß sie nicht bemerkte, wie die Rangen vom Dreifaltigkeitsschuster an den Zipfel ihres Umschlagtuches ein schmutziges Papier anhefteten. Dem Rahmenmacher, der auch Vögel ausstopfte und Passionsblumen züchtete, wurde es schwer, ihr zu antworten, denn er stotterte heute vor Aufregung mehr als sonst. Für die alten Männer und Weiblein, die sich an der morschen Mauer des Hofes drängten, war dieser glanzvolle Aufzug da unten, diese Prozession zum Reich des Todes ein Fest, und nicht minder festlich fühlten sich die Kinder, die hinter dem Rücken der Alten allerlei Unfug verübten. Was die Leute dieser Gegend von dem Treiben der vornehmen Gesellschaft zu sehen bekamen, beschränkte sich auf das feierliche Auftreten, die Schaustellungen bei besonderen Gelegenheiten, bei denen es hergebracht ist, die Öffentlichkeit an den Ereignissen teilnehmen zu lassen. Nun drängten sie sich, um nichts zu versäumen, und auf einmal schrie der bucklige Tapezierer auf, dessen Rippen stark gegen den scharfen Rand der Mauer gepreßt wurden. Alle waren empört. »Ruhig,« schrie die Frau Swoboda, »der Herr Bezug ... der Herr Bezug schaut herauf.«
Bezug sagte unten im Wagen zu seinem Begleiter: »Altes Gerümpel da oben hinter dem Dom. Das sollte man alles niederreißen.«
»Sie haben wenig Respekt vor der Vergangenheit und vor historischen Erinnerungen.«
»Jawohl! Sie haben recht: ich habe keinen Respekt vor ihnen.« –
Joseph Hoppes Leichnam in seinem vergoldeten Sarge genoß die Ehre, von allen Teilnehmern des Zuges bis zum Grabe geleitet zu werden. Keiner der Wagen entfernte sich links oder rechts in einer der Seitenstraßen, keiner der Vereine verschwand nach kurzer Verabredung unauffällig und vergnügt in einem günstig gelegenen Wirtshaus, wie es sonst vorzukommen pflegte; und als der Sarg von sechs ehrwürdigen Veteranen vom Wagen gehoben wurde, drängte sich alles herbei, um der trauernden Familie zu Gesicht zu kommen. Die grünschillernden Federbüsche der Veteranen nickten im Takt, und der Sarg zog auf ihren Schultern durch die Torhalle in den Friedhof ein. Obzwar die anwesenden Vertreter der Presse bemüht waren, in der Nähe der Familie des Joseph Hoppe ihre eigene Ergriffenheit zu zeigen, achteten sie sorgsam auf die Trauergäste und die Vereine und kritzelten ihre Bemerkungen in Notizbücher oder auf Manschetten. Nun stand die Menge wie eine Mauer um das offene Grab, und der Geistliche erhob seine Stimme zu einem Hymnus auf die edle Menschlichkeit des Dahingegangenen. Mit Bruchstücken aus älteren Predigten verband er schwungvolle Wendungen, die er eigens für diesen Zweck geprägt und geschliffen hatte, und versäumte nicht, an geeigneten Stellen durch Pausen dem Schluchzen der Menge wirksam Raum zu geben. Immer höher wuchs das Bild des Verstorbenen empor; immer glänzender waren die Edelsteine der Tugenden, mit denen er sein Andenken verbrämte; immer leuchtender wurde die Gloriole über seinem Haupt. Das Amen schloß die Rede ab, wie ein Siegel eine Urkunde, mit der dem Toten der Himmel ganz sicher ist; und das leise Gebet, das der Geistliche mit emporgewandten Augen sprach, sammelte alle andächtigen Empfindungen zu sanftem Ausklang. Dann polterten die Schollen. Nach der Familie ergriff Herr Bezug als erster den Spaten und sagte, indem er dreimal Erde in das Grab warf: »Die Erde werde dir leicht.«
Als er aber mit seinem Begleiter in den Wagen stieg, sagte er: »Schwindel!« und dann, nachdem er dem Kutscher seine Befehle gegeben hatte: »So, Herr Doktor, und nun zu unseren Geschäften.«
»Ich ziehe es vor, bei dieser Erörterung ganz ungestört zu sein.«
»Wie Sie wünschen. Theodor, vorwärts!«
In dem Schweigen, das die beiden Männer bis zum Hause Bezugs bewahrten, sammelte sich jeder wie zu einem bevorstehenden Kampf. Aus den verborgenen Kraftquellen holte Doktor Hecht seine ganze Energie, und Herr Bezug machte sich bereit, gelassen jeden Angriff, jede unbequeme Forderung abzuweisen. Aufs äußerste gespannt, verließen sie den Wagen und stiegen die Treppen zu dem Turmzimmer hinauf. Dem Doktor wurde es schwer, in dieser seltsamen Atmosphäre des von starken Gerüchen und bunten Farbenwundern erfüllten Hauses seinen Gleichmut zu bewahren. So oft er diese endlosen Hallen durchschritt, so oft er die schweren Vorhänge aus kostbaren Geweben mit der Hand aufhob, so oft er das Klingen der mechanischen Spielwerke hörte, stürzte seine Festigkeit, und seine Hände begannen zu zittern. Manchmal schlich er an einem kostbaren Schmuckstück, das scheinbar unbeachtet in einem Winkel stand, vorbei und konnte kaum seinem Verlangen widerstehen, es zu sich zu stecken. Manchmal hätte er eine der alten venetianischen Glasvasen zur Erde schleudern mögen, um auf den knirschenden Trümmern zu tanzen. Seine Triebe erwachten, schlugen um sich und waren kaum zu bändigen, seine Sinne verwirrten sich im Anblick dieses Überflusses und peitschten seine Wünsche auf, nach gleichem Überfluß zu verlangen. Dabei war er immer auf der Suche nach den Spuren der Tochter Bezugs, die eiskalt und schön wie eine der gehaßten und geliebten venetianischen Glasvasen, spinnwebfein wie die Gewebe indischer Künstler, für Hecht nur ein Allerweltslächeln und ein paar flüchtige Worte hatte. Schließlich wurden ihm der Geist dieser von verruchtem Luxus erfüllten Räume und dieses schlanke Weib eins, und er vermochte nicht mehr eines ohne das andere zu begehren.
Als er nun hinter Bezug die Treppen zum Turm hinaufstieg, bemühte er sich, weder links noch rechts zu sehen, um von seiner Sammlung nichts zu verlieren; aber er konnte es nicht verhindern, daß er weniger fest und zuversichtlich in das Turmzimmer eintrat, als er es sich vorgenommen hatte.
Auf dem Tisch, dessen Ebenholzplatte in eingelegter Arbeit, zu der sich Gold und Elfenbein vereinigt hatten, die Hingabe Danaes an den Goldregen zeigte, lagen einige Telegramme. Der schöne, elfenbeinweiße Leib des Weibes war mit den häßlichen, viereckig gefalteten Papieren fast bedeckt. Nur ein Stück der Brust schimmerte hindurch und dann einzelne der goldenen runden Münzen, die hier wie aus dem Schoß der Nacht mit plötzlichen, grellen Blitzen hervorbrachen. Die ganze Geschichte schien hier unter den deckenden Papieren auf ihre brutalen Grundelemente: Fleisch und Gold zurückgeführt; und deutlicher als im vollständig sichtbaren Kunstwerk sprach sich in dieser Verstümmelung das Wesen des Kaufes aus. Rund um den Rand des Tisches lief ein Band, in dem Satyrn fliehenden Nymphen nachjagten, die immer wiederkehrenden Bewegungen des Laufens und des Haschens gaben dem Abschluß den Eindruck einer hastenden Unruhe, einer widerwärtigen Gier; die kreisförmige Geschlossenheit deutete auf die endlose Dauer der Jagd. Über der Fläche hatte ein Strahl der tiefstehenden Herbstsonne den Endpfeiler einer Brücke aufgebaut, deren Bogen zum Fenster hinaus, über die Stadt hinaus in den Abend zu leiten schien. In diesem Augenblick wollte dem Doktor sein Unternehmen so töricht, so aussichtslos vorkommen, daß er sich von hier wegwünschte und dem Sonnenstrahl sehnsüchtig nachsah.
Inzwischen war Bezug an den Tisch herangetreten und hatte die Telegramme aufgenommen. Er brach eines nach dem andern auf und warf sie nach einem flüchtigen Blick wieder hin, ohne irgendeine Miene zu verziehen. Erst bei dem letzten hielt er an, las es noch einmal genauer und steckte es dann in die Tasche, indem er murmelte: »Also doch, also endlich!« Dann zündete er sich eine Zigarre an, reichte auch dem Gaste das Mosaikkästchen und setzte sich in einen Stuhl: »Nun?«
Dem Doktor war es gelungen, sich zur Festigung des Willens durchzuringen. Er fand die Grundpfeiler seines Charakters: seine Hartnäckigkeit im Verfolgen eines Zieles, seine zähe Schlauheit, die begehrliche Frechheit unerschüttert und richtete sich an ihnen auf. Nun stand er im Allerheiligsten, von dem märchenhafte Gerüchte umgingen, am Beginn der Szene, die er hundertmal in allen Nuancen durchgeprobt hatte, um bei keiner plötzlichen Wendung zu versagen. Als er erst seine Verwirrung über die schwere, drückende Pracht dieses Zimmers, über die herrschsüchtige Hoheit seiner strengen Farben und über die wie mit Trophäen von hundert großen Siegen geschmückten Wände überwunden hatte, fühlte er sich wieder stark. Wie zum Kampfe trat er vor Bezug, der in einem Lehnstuhl lag, dessen Arme mit Schlangen geschmückt waren, und holte zum ersten Hieb aus: »Unser Geschäft beginnt damit, daß ich Sie bitte, mir Ihre Tochter Elisabeth zur Frau zu geben.«
Während Bezug dem blauen Rauch seiner Zigarre nachsah, der den Sonnenbrückenbogen mit wirbelnder Unruhe unterbrach, spielten seine Hände auf den Armen seines Lehnstuhls, mit ausgestreckten Beinen und vortretendem Bauch lag er fast horizontal und sagte, die Zigarre zwischen den Zähnen: »Wenn ich Sie nicht hinausbefördern lasse, junger Mann, so geschieht es nur deshalb, weil Sie mich amüsieren. Ich will Ihnen etwas sagen. Sie sind das uneheliche Kind eines Majors. Ihre Mutter war Kantineurstochter und ist jetzt Tabaktrafikantin an der Ecke der Brunnen- und der Rittergasse und betreibt nebenbei unter der Hand das Geschäft einer Dienstbotenvermittlerin. Das Auskommen, das die alte Frau findet, ist kümmerlich, denn Sie tragen nichts dazu bei, haben im Gegenteil bis vor kurzer Zeit noch, ehe Sie die Stelle als Supplent erhielten, auf ihrer Tasche gelegen. Aber das ist unser gutes Recht, zu nehmen, wo wir etwas bekommen. Es fällt mir nicht ein, Ihnen das zu verübeln. Ich sage Ihnen das bloß, damit Sie sehen, wie groß Ihre Verwegenheit ist. Sie haben unter den Entbehrungen Ihrer Mutter das Gymnasium besucht, und man sagt, daß Ihre Fähigkeiten in allen naturwissenschaftlichen Fächern Aufsehen erregt haben. Dann haben Sie studiert und, wie man mir versichert hat, mehr die Bücher als die Welt kennen gelernt. Mit Ihren Kenntnissen standen Sie nun da, mit herabhängenden Händen und gesenktem Kopf, weil Sie nicht wußten, wie man es anzustellen hat, um den Erfolg zu zwingen. Oder war es, weil Sie warteten, bis sich etwas Besseres bieten würde, als der erbärmliche Ausweg eines Berufes? Endlich mußten Sie doch dem Zufall dankbar sein, der Ihnen den armseligen Posten eines Supplenten vergönnte. Ihre Laufbahn hat so gar nichts Aufregendes, sie trägt den Typus der Gewöhnlichkeit von Anfang bis zu Ende. Sie sehen, daß ich Ihre Vergangenheit so genau kenne, um auch Ihre Zukunft voraussagen zu können: sie wird genau so sein wie die Vergangenheit, ein langsames und mühseliges Aufwärtsklettern ohne alle Überraschungen, ohne besondere Ereignisse, bei denen man über irgend etwas staunen könnte. Was haben Sie mir darauf zu erwidern?«
»Ich bitte Sie um Ihre Tochter.«
Mit der Miene eines Mannes, der von einer Sache ungemein belustigt wird, die er eigentlich ernst zu nehmen hätte, richtete sich Bezug etwas auf, um dem jungen Mann ins Gesicht zu sehen. Er gab sich keine Mühe, Verstecken zu spielen, und zeigte in dem Zwinkern der Augen, in dem verächtlichen Blähen der Nasenflügel und in dem Herabsenken der Schnurrbartspitzen wie durch ein Schaufenster alle Ausdrucksformen einer geringschätzigen Verwunderung. Es flackerte in den leeren Stellen um seine Augen, die mit ihrem stumpfen Grau den Eindruck von Salzseen inmitten der Steppe machten, es zuckte in dem Gebüsch über den schmalen Lippen, und endlich schlug sich Herr Bezug mit beiden Händen auf die Schenkel, indem er zugleich den Oberkörper zurückwarf: »Bravo, bravo, Sie sind ein mutiger Mann, Herr Doktor, das gefällt mir! Sie sind der größte Frechling, der mir untergekommen ist.«
»Oh, bitte!«
»Jawohl, mein Herr! Sie unterhalten mich ... wirklich! Ich setze Ihnen auseinander, daß Sie ein Nichts sind, ein armseliger Lehrer, ein Bettler, daß ich Sie mit einem Druck zermalmen kann, daß ich nur zu winken brauche und Sie liegen auf der Straße draußen, ohne Brot wie ein Vagabund, und Sie antworten mir darauf – .«
»Geben Sie mir Ihre Tochter!«
Dies war der Augenblick der höchsten Spannung, der Moment, in dem sich der weitere Verlauf der Szene entscheiden mußte, wo das Gelingen auf haarscharfer Schneide schwankte. Bis hierher, bis zu diesem Punkte, an dem Bezug die dreimal wiederholte Forderung endlich ernst zu nehmen gezwungen war, hatte Doktor Hecht sicher zu kommen gehofft, aber wenn er in seinem Entwurf von da ab weiter zu denken gewagt hatte, so hatte ein wüster Wirbelwind seine Hoffnungen und Vorstellungen durcheinandergefegt. Er hatte es endlich unterlassen, sich diesen Sturm genauer auszumalen, und in seiner Vorbereitung erst wieder jenseits dieses Getöses, dieses Schreiens, Aufstampfens und Herumzerrens begonnen, indem er annahm, daß er es vielleicht doch überstehen würde. Nun sah er auf die Wanduhr hin, über deren Zifferblatt ein großer, schwarzer Geier langsam im Takt des Pendels mit den Flügeln schlug, als ob er mit seinem krummen Schnabel, den zum Anpacken und Zerreißen bereiten Fängen und den glühenden Augen die Zeit selbst wäre, die hier auf Opfer lauerte. Drei ... vier ... fünf Schläge – und das Geschrei blieb noch immer aus, niemand faßte ihn an der Brust, und er hörte keinen Sessel zu Boden werfen. Sechs ... sieben ... acht ... neun Flügelschläge der Zeit und noch nichts ... Hecht konnte nicht mehr an sich halten, wandte den Kopf und sah, wie Bezug ihn mit einem Blick anschaute, der wie glühendes Erz brannte. Unter diesem Blick zerging er wie im Feuer eines Hochofens, schmolz dahin und fühlte die Wollust eines vollständigen Unterganges. Aber Bezug sah von ihm fort, nahm den Bann dieses schrecklichen, kalten und doch versengenden Blickes von ihm und ließ ihn zu sich selbst kommen. Was war das? War die Krisis überwunden und der furchtbare Augenblick überstanden, sollte das stumme Hinstarren Bezugs, sein nachdenkliches Schweigen ein Gelingen des Angriffs vorbedeuten? Zwei dicke, aufgedunsene Hände mit braunen Leberflecken lagen auf den Schlangen der Armlehne, als ob sie die grünschillernden Köpfe streicheln wollten. Unter den heraufgezogenen Ärmeln begann ein weißlicher, von Fettpolstern gerundeten Arm, dessen Haut an die Farbe tagscheuer Tiere erinnert, die wie Grottenolme in Tiefen wohnen. In dem halb abgewendeten Gesicht lagen die Augen wie Salzseen, aber Seen, die plötzlich durch ein abenteuerliches Spiel der Natur alles Wasser in flüssige Lava verwandeln, die brodelnd an den Rändern schwillt. Sie lagen in einem seltsam leeren Teil des Gesichtes, der sich wie eine Wüste um sie herumzog. In dieser Wüste lebte nicht ein Muskel, zuckte nicht der kleinste Nerv, und selbst das Spiel von Licht und Schatten schien in dieser vollkommen glatten und unbewegten Fläche zwischen dem Gebüsch der Oberlippe und dem ansteigenden Wulst der haarlosen Augenbrauen gestorben. Zwischen leblosen, niemals zwinkernden Lidern lagen die Augen wie graue Tümpel, die nur vom Feuer in ihrer Tiefe, niemals aber von den hellen Wundern des Himmels verändert werden. Der Geier über der Wanduhr hatte schon eine Weile mit den Flügeln geschlagen, und Hecht hatte es – immer sicherer werdend, je länger Bezugs Schweigen andauerte – aufgegeben, die Schläge zu zählen.
»Nun, mein Freund,« begann Bezug, und die dicken Finger tasteten an den Smaragdaugen der Schlangenköpfe, an den Schuppen aus grün angelaufenem Kupfer und den vorgestreckten gespaltenen Zungen aus roten Korallen, »sagen Sie mir, was Sie mir als Gegenleistung anbieten.«
Doktor Hecht war nach einem verzweifelten Sturz durch Wolkenschichten, nach einem Flug durch Nebel auf festem Boden angelangt, ergriff einen Sessel, zog ihn heran und setzte sich Bezug gegenüber: »Sie erlauben.«
Zwei gleichberechtigte Parteien waren hier im Begriff miteinander zu verhandeln, zwei Geschäftsleute, von denen der eine auf einer durch Erfahrung und die Gewohnheit des Sieges erreichten Höhe stand, der andere seinen ersten und über alle Zukunft entscheidenden Kampf auszufechten hatte; einen Kampf, für den er mit kaltem Blut und einem stählernen Willen ausgerüstet war.
»Ich nehme an,« sagte Bezug, »daß Sie nicht wahnsinnig sind und daß Sie mir also wohl etwas anzubieten haben werden, wenn Sie mit einem so ungeheuerlichen Verlangen kommen. Sie haben von einem Geschäft gesprochen. Wollen Sie mir sagen, um welches Geschäft es sich handelt. Zuvor aber möchte ich Ihnen mitteilen – falls Sie dies noch nicht wissen sollten – daß ich unter den abgewiesenen Bewerbern um meine Tochter dreizehn Herzoge, drei regierende Fürsten und zwei amerikanische Milliardäre anführen kann, um von geringeren Namen oder Vermögen ganz zu schweigen.«
»Das ist mir ganz wohl bekannt und ich weiß auch, daß Sie einen Weltkrieg des Geldes herbeiführen wollen, in dem sich schließlich neben Ihnen bloß ein einziger behaupten wird. Diesem Stärksten Ihrer Gegner werden Sie Ihre Tochter geben, um eine absolute Regierung der Milliarden, einen Despotismus des Reichtums herbeizuführen, der so doch in Ihrer Familie bleiben wird. Was ich Ihnen anbiete, macht diesen Kampf, die Teilung der Herrschaft, die Anerkennung eines gleich Starken unnötig und sichert Ihnen mit dem vollkommensten Sieg die vollkommenste Macht, der keine andere gleichkommt. Niemand wird sich gegen Sie auflehnen, die ganze Erde, so weit sie von Menschen bewohnt ist, wird Ihnen steuerpflichtig werden, und über aller Oberhoheit des Staates wird man Sie als den Kaiser dieser Erde anerkennen müssen.«
»Ihre Einleitung gefällt mir. Sie zeugt von Scharfblick und von Verständnis für meine Pläne. Ich erwarte Ihre Ausführungen.«
»Es handelt sich bloß darum, ein unbedingt zum Leben notwendiges Gut, ein bisher gemeinsames Eigentum aller zu Ihrem ausschließlichen Eigentum zu machen, das die andern nun von Ihnen kaufen müssen.«
Bezug anerkannte die Richtigkeit des Gedankens, indem er seine ausgestreckte Lage verließ: »Und dies gemeinsame Eigentum aller ... Ah, Sie wissen es? Sie haben denselben Weg eingeschlagen, wie ich in langen ...«, er schwieg.
»Dies gemeinsame Eigentum aller, das Sie an sich reißen müssen, ist die Luft. Oder besser gesagt, der zum Atmen nötige Sauerstoff der Luft. Kein Gesetz verhindert Sie bis jetzt daran, den Sauerstoff der Luft zu Ihrem Monopol zu machen, denn bis jetzt lag diese Möglichkeit außer dem Gedankenkreis der Gesetzgeber. Es wird Ihre Aufgabe sein, sich dieses bisher gemeinsamen Gutes, an dem es kein Eigentum gibt, zu bemächtigen, ehe das Gesetz Sie daran verhindern kann; denn wenn Sie einmal dessen Herr sind, so ist nur das Gesetz, was Sie selbst gelten lassen wollen, und die Staaten sind genau so in Ihrer Hand wie die einzelnen. Keiner darf etwas anderes wollen, als Sie ihm zu wollen gestatten.«
Schwer schlugen die Flügel des Zeitgeiers in die Stille. Das Zimmer wurde weit und wich in entlegene Fernen. Bezug stand auf und trat an das Fenster, indem er beide Hände über die Stadt und den in der Tiefe grünenden Park ausstreckte, mit einer Gebärde der Gier, die seine dicken Finger zittern machte. Von den weißlichen Armen mit der Haut der Grottenolme zogen sich die Rockärmel weit zurück. »Und Sie kennen den Weg dazu?« sagte er, ohne sich umzuwenden.
»Er ist im Grunde ebenso einfach, wie dieser Gedanke selbst. Sie wissen, daß das Bestehen der richtigen Mischung in der Atmosphäre auf der Tätigkeit der Pflanzen beruht. Die Pflanzen nehmen den Kohlenstoff der Luft auf und atmen Sauerstoff zur Erneuerung aus. Wenn es nun gelingt, die Lebensbedingungen der Pflanzen so zu verändern, daß sie keinen oder nur sehr wenig Sauerstoff ausatmen, so fehlt diese unbedingt notwendige Erneuerung. Der vorhandene Vorrat muß durch die unaufhörliche Tätigkeit von fünfzehnhundert Millionen Menschenlungen – die Lungen der Tiere ganz abgerechnet – in kurzer Zeit verbraucht werden. Wenn man nun durch ungeheure Apparate, die der Luft den Sauerstoff entziehen, diesen Prozeß beschleunigt, so sind Sie in kurzer Zeit an ihrem Ziel, ein unentbehrliches Element des Lebens zu ihrem Eigentum gemacht zu haben.«
»Ihr Gedanke ist kühn, aber ich zweifle daran, daß er durchzuführen ist. Die Lebensbedingungen der Pflanzen zu verändern ist unmöglich.«
»Wir Europäer hielten es bis vor kurzem für unmöglich, was man von indischen Fakiren erzählte. Nun hat sich die Wissenschaft davon überzeugt, daß es Menschen gibt, die nach ihrem Belieben die Funktionen des Lebens einstellen, die nicht verdauen, nicht atmen und doch nicht zugrunde gehen. Etwas Ähnliches bedeutet meine Entdeckung für die Pflanzen. In einen noch tieferen Schlaf als den des Winters versenkt, stellen sie ihre Tätigkeit ein. Der durch die Verdunstung des Wassers freiwerdende Sauerstoff wird durch unsere Apparate eingefangen und die Bildung neuen Wassers ist unterbrochen. Wir verändern die atmosphärische Luft, die Witterung, die Wasserverhältnisse auf der ganzen Erde, das Leben selbst. Wir stellen die Atmung der Pflanzen ein, wir trocknen die Flüsse, Seen und Meere aus, wir reißen durch ungeheuerliche Oxydationsprozesse allen Sauerstoff an uns, wir binden ihn indem wir ganze Eisenberge verrosten lassen, und vernichten ihn in unermeßlich großen Verbrennungsvorgängen so lange, bis die Menschheit, der unser Vorhaben bis jetzt ein Rätsel war, den furchtbaren Sinn erkennt und schwer atmend, keuchend, von unerträglicher Angst gehetzt, zu Ihren Füßen um das Leben winselt. So mache ich Sie zum Herrn der Erde!«
Dann, als Bezug noch immer schweigend aus dem Fenster sah, setzte er hinzu: »Und verlange nichts als Ihre Tochter Elisabeth und meinen Anteil an Ihrer Macht, einen Anteil, der nur im Genuß der Güter besteht. Die Ausübung der Macht soll Ihnen vorbehalten sein. Bis in die entlegenen Inseln der Südsee und die Wüsten Innerafrikas soll man Sie fürchten wie Gott und Ihnen zinsbar sein. Sie sollen die Macht haben, Leben zu geben und zu nehmen, und von Ihrem Willen soll es abhängen, ob sich das Antlitz der Erde verändert oder nicht. An Ihren Mienen werden Scharen von Propheten hängen, Scharlatane der Wissenschaft, die behaupten werden, daß sie die Umwälzungen Ihrer Laune vorhersagen können und daß sie die Gesetze Ihrer Veränderlichkeiten gefunden haben. Man wird Sie studieren, beobachten, wie jetzt die rissige Haut des Mondes oder die Hitzpusteln der Sonne, denn Sie werden ja die Stelle dieser Götter einnehmen. Nach Ihrem Willen wird es sich richten, ob Ihnen, der Sie mächtiger sein werden als Jehova, als Wischnu, als Zeus, als Baal oder Wotan, die Erstgeburt geopfert werden muß, oder ob sie leben darf. Wenn sich Ihr Angesicht verfinstert, dann wird die Welt zittern, als ob der Erdball aus seinen Angeln gerissen würde, wenn Sie freundlich mit der Hand winken, wird alles in Blühen und Singen geraten. Nach Ihrem Belieben werden Sie den Menschen die silbernen Stufen der Himmelsleiter oder die roten Feuerhunde der Hölle zeigen, denn Sie sind wie Gott unfaßbar in Ihren Entschlüssen und Äußerungen. Nichts kann Sie daran hindern, sich rings auf der ganzen Erde Altäre errichten zu lassen und die Menschen zur Anbetung zu zwingen; so langsam wirkend oft die Mittel Gottes sind, so langmütig seine Geduld ist, daß ihrer der freche Sünder mit Lachen spottet, so schnell und furchtbar werden Ihre Strafen sein. Durch die ungeheueren Luftpumpen, durch die riesigen Maschinen zur Entfernung des Sauerstoffes wird eine ganze Stadt, eine Provinz, ein Reich bald zur Verzweiflung gebracht sein. Mit hervorgewälzten Augen, keuchendem Atem, außer sich vor Entsetzen werden die Massen vor Sie hinstürzen und, während sie die Kleider von der ringenden Brust reißen und mit den Händen nach dem zugeschnürten Hals greifen, werden Sie den Namen dessen zu wissen verlangen, der Ihren Zorn erregte. Ein Wort von Ihnen und der Empörer wird von den wütenden Brüdern zu Tode gehetzt, in Stücke zerrissen und seine Reste werden auf Ihren Altären verbrannt werden. Denken Sie diese Möglichkeiten zu Ende. Nirgends stoßen Sie auf eine Schranke. Es gibt für Ihre Macht keine Begrenzung, für Ihre Herrlichkeit kein Ende – als das allen Menschen gemeine. Wollen Sie einen Thron besteigen, kein Kaiser darf Ihnen den seinen verweigern, wollen Sie sich das Schauspiel einer Hungersnot, eines grauenhaften Hinsterbens von Hunderttausenden verschaffen, wollen Sie alle Pracht und Grausamkeit einer Naturgewalt, eines zerstörenden Elementes empfinden, die Menschen werden vor Ihnen fallen wie Fliegen. Zwei Staaten hassen sich und greifen zu den Waffen. Armeen erheben die Fahnen und ziehen gegeneinander. Aber Sie regen den Finger und die schon begonnene Schlacht muß eingestellt werden. Die ganze Erde liegt im Bereiche Ihres Armes. Alles was Rücksicht und Sitte heißt, darf von Ihnen abfallen. Sie werden es nicht mehr nötig haben, alten Schurken, wie diesem Joseph Hoppe, Erdschollen und ein Gemurmel des Beileids zu spenden. Sie können offen verachten, und Sie werden sagen: es war ein Lump, aber keiner von denen, die man bewundern kann. Sie werden auch, um ganze Stadtviertel niederzulegen, um Ihren Haß gegen alle Historie zu beweisen, um die Vergangenheit eines einzelnen oder eines Volkes vollkommen auszulöschen, nicht mehr an die Bewilligung einer hohen Obrigkeit gebunden sein. Ich sah heute Ihren Verdruß über das Gewinkel und Gerümpel des Viertels hinter dem Dom. Niemand wird Sie, wenn Sie zum Gott der Erde geworden sind, daran hindern können, Gänge unter diese alten Häuser zu graben, sie mit ganzen Tonnen Melinit anzufüllen und dieses Viertel mitsamt dem Dom in die Luft zu sprengen. Wenn Sie schamlos sein wollen, so werden Sie schamlos sein, wenn Sie ein Weib begehren, so ist es, als gehörte sie schon Ihnen, und wenn Sie die Kräfte Ihres Körpers weise verwalten, wird aus den Bänden mit den Namen der besiegten Frauen eine kleine Bibliothek anwachsen. Ich bin am Ende; meine Phantasie reicht nicht aus, um auch nur anzudeuten, was sich Ihnen alles erfüllen wird. Die Wirklichkeit wird reicher und strahlender sein als alle Träume.«
Bezug wandte sich um und kam auf Hecht zu. In den grauen Tümpeln seiner Augen zischte das Feuer der Tiefe und, während er sich auf den Tisch stützte, um das Zittern seiner Hände zu verbergen, sagte er: »Sie sind der gefährlichste Gauner, den es jemals gegeben hat.«
»Nach Ihnen, Herr Bezug, nach Ihnen.«
Bezugs dicke Finger lagen über dem weißen Leib der Danae und es sah aus, als wolle er das Fleisch dieses Körpers erfassen und kneten: »Sie sprechen mir vom Erfolg, von den Wirkungen. Sprechen Sie jetzt auch von den Mitteln und Wegen!«
»Es wird vor allem nötig sein, sich, soweit dies möglich ist, der Vegetation der Erde zu bemächtigen. Sie müssen alle Wälder und Steppen, alle Felder und Wiesen ankaufen oder doch ihre Besitzer in Abhängigkeit bringen. Gründen Sie inzwischen als Übergang ein Konsortium der Großgrundbesitzer zur rationellen Bewirtschaftung der Erdoberfläche. Dies ist eine Sache der Ausdauer, der Schlauheit und der Geldkraft. Sind Sie stark genug dazu?«
»Ich bin stark genug dazu!«
»Gut. Inzwischen bauen wir die Maschinen zur Entfernung des Sauerstoffes aus der atmosphärischen Luft. Wir geben vor, chemisch-technische Zwecke zu verfolgen, und können der Unterstützung aller Staaten gewiß sein.«
»Auch dies ist durchführbar.«
»Dann reißen Sie die Leitung in Ihrem Konsortium der Großgrundbesitzer an sich, und dann beginnt meine Aufgabe, die Atmung der Pflanzen einzustellen.«
»Wenn man aber dahinterkommt, was wir wollen, wenn man uns durch Gesetze niederringt, wenn uns der Pöbel überfällt und erschlägt.«
»Man wird uns nicht niederringen und nicht erschlagen, denn die Menschheit als Ganzes ist blind und vertrauensselig. Und sobald nur ein Teil unseres Planes gelungen ist, ist er durchaus gelungen. Wie wir die Pflanzen in den Zustand der Lebensstarre überführen ist unser Geheimnis, und es ist unser Geheimnis, wie wir sie wieder lebendig machen.«
»Unser Geheimnis?«
»Das heißt, Herr Bezug ... mein Geheimnis!«
Von der Wanduhr herab schlug der Geier mit langsamen Flügeln und krächzte die sechste Stunde aus, mit einem heiseren Geschrei, als sei er im Horste gestört worden, als empöre er sich über einen Eindringling. Bezug preßte seine Finger fester gegen den weißen Leib der Danae. Dann sagte er: »Ich gebe Ihnen meine Tochter Elisabeth.«
Doktor Hecht erhob sich: »Wir sind also einig, Schwiegervater«, und trat auf ihn zu, um ihn zu umarmen, aber in diesem Augenblick erschrak er vor den Augen Bezugs, als sähe er in ihrem stumpfen Grau eine drohende Gefahr. Er blieb stehen und verneigte sich: »Sie werden mich rufen, sobald Sie es an der Zeit halten, zu beginnen.«
»Wir brauchen einander, Herr Doktor Hecht.«
»Jawohl, keiner ohne den andern.« Dann ging er aus dem Turmzimmer.
Bezug umkreiste den Tisch, sah noch einige Male aus dem Fenster über die Dächer der Stadt hin, bohrte den Blick in die grüne Insel des Parkes und begann endlich sein Haus zu durchwandern. In einer Halle, deren Jaspissäulen sich auf den bunten Hintergrund eines Parkes öffneten, saß Elisabeth, im weißen Eisbärenfell eines Schaukelstuhles fast vergraben, hielt die Hände unter dem Kopf und sah zur Decke hinauf, von der opalisierende Beleuchtungskörper an Perlenschnüren herabhingen. Sie saß zwischen den goldenen Ranken der um die Jaspissäulen gewundenen Ornamente, die sich aus dem wirren Strauchwerk herzudehnen schienen, als hätten sie dort ihre Wurzeln und hätten sich nur in Gold verwandelt, als sie dieses Haus berührten; wie alles was mit ihm zu tun hatte, schienen sie ihre Natur aufgegeben zu haben um sich einem barbarischen Triumph des Goldes zu unterwerfen. Elisabeth hörte ihren Vater kommen, hob aber nicht den Kopf. Nur ihre Knie zuckten unter dem engen, angespannten weißen Rock.
»Höre,« sagte Bezug, der geradenwegs auf sie zugegangen war, »du wirst dich darauf vorzubereiten haben, daß du bald heiraten wirst.«
Mit unverwandtem Blick schien Elisabeth die Tropfen der Perlenschnüre zu zählen: »Du hast doch hoffentlich ein gutes Geschäft gemacht!«
»Es wird sich zeigen.«
»So bist du nicht von vornherein sicher? Ich wundere mich darüber, denn ich weiß, daß du sonst vorsichtig bist.«
»Gerade bei den großen Geschäften muß man auch etwas wagen.«
»Du hast recht.«
»Bist du nicht neugierig, den Namen deines Bräutigams zu erfahren?«
»Nein!«
»Warum nicht?«
»Weil ich ihn nicht früher zu wissen brauche, als bis es an der Zeit ist.«
Unter dem dunkeln Haar lösten sich die verschlungenen Hände und legten sich auf dem Schoß des weißen Rockes neuerdings ineinander; es schien ein dunkler, weicher Schimmer von ihnen auszugehen, eine Art nächtlichen Glanzes, den sie aus dem Haar mitgebracht hatten. Dieser Gebärde einer namenlosen Langweile, eines bis zum Überdruß gesteigerten Widerwillens, einer königlichen Lässigkeit gegenüber allem Erleben konnte Bezug nicht widerstehen. Mit zusammengebissenen Zähnen und geschlossenem Mund, über dem sich das Gebüsch seines Schnurrbartes sträubte, zog er sich zurück. Er durchwanderte wieder sein Haus, strich an den Marmorstatuen seiner Antikensammlung so nahe vorbei, daß er einen kleinen Hermes fast vom Sockel geworfen hätte, und begab sich schließlich in den Park, der vom Herbst ganz still geworden war. Zu den Wundern der Kunst hatten sich hier die brennendsten Farbenwunder des Sterbens gefügt, und ein Bäumchen stand ganz nahe an der weißen Marmorwand, so daß es aussah, als klebten seine roten Blätter am kalten Stein – grelle brünstige Schreie aus der Seele eines eben zum Geschlecht erwachten Kindes. Aus dem Knäuel seiner aneinanderklebenden Gedanken suchte Bezug den einen oder den andern loszulösen. Sonst hatte er alles hübsch in Register geteilt und vermochte wie Cäsar an sieben Dinge zugleich zu denken, weil er ihre Ordnung sorgfältig bewahrte. Nun war seine Ordnung zerstört, seine Register waren durcheinandergeworfen, seine Gedanken und Wünsche brausten wirr in neuen Furchen, die sie gewaltig eingerissen hatten. Vor einer Tür, an der er sonst immer stehen blieb, ging er auch diesmal nicht vorüber und horchte auf das Geplapper und Geplärr, auf den von Gelächter unterbrochenen Singsang. Aber nichts davon drang unter die Oberfläche des Bewußtseins, und der Schmerz, der sich sonst hier einstellte, blieb aus.
Er erinnerte sich daran, daß sich die Helden der Schauspiele auf der Bühne in solchen Augenblicken durch Monologe über ihre Lage klar werden, aber er suchte vergeblich nach den befreienden Worten. Als er auf seiner Wanderung in den Empfangsraum trat, fand er zwei Herren, die hier auf ihn warteten. Rudolf Hainx hatte Adalbert Semilasso mit sich gebracht. Ein Tag hatte genügt, um den Dichter seinem neuen Leben gemäß zu kleiden. Nun setzte Rudolf Hainx seine Verdienste in das hellste Licht. Dieser da war kein gewöhnlicher Dichter, keiner jener beklagenswerten, vom Kampf ermatteten Menschen, die wie zerschundene Karrengäule nur noch die Sehnsucht nach dem Stall haben. Es war kein Verhungerter, dem angesichts der Verzweiflung nur noch der Weg zu gehen übrigblieb, den ihm Hainx gewiesen hatte, sondern ein Aufrechter, in dem noch die Kraft lebte. Dann war er auch in dem Sinne von andern seines Namens verschieden, als er sich noch nicht an das Publikum verschenkt hatte. Man hatte noch kein Buch von ihm gelesen, man hatte seine Verse weder gelobt noch getadelt, er war weder in den Himmel gehoben noch in den Abgrund getreten worden. Mit aller Morgenfrühe seines Talentes trat er in den Dienst Bezugs und wünschte nichts, als sich bei ihm entfalten zu können. Das Posaunengeheul der ekstatischen Menge war ihm ebenso fremd als das gelbe Gezisch des Neides, das Gekrächz der Schadenfreude. Unverwöhnt und unverdorben war er bereit, seine ersten Erfolge unter Bezugs Herrschaft zu erleben und seine Kränze seinem Herrn darzubringen.
Nach dieser langen Rede, die Adalbert Semilasso mit großem Erstaunen angehört hatte, lachte Bezug ein wenig und fragte: »Der Mann hat also nichts geschrieben, nichts gedichtet, und doch bringen Sie ihn mir, mein lieber Hainx und behaupten, daß er ein Dichter sei. Woher wissen Sie das mit solcher Sicherheit?«
»Er hat mir die Geschichte seines Lebens erzählt. Und sie ist so wunderbar, daß sie nur von einem Dichter so erlebt werden konnte, daß der, der sie erlebt hat, ein Dichter sein muß.« Und nun wiederholte Hainx, was ihm Adalbert von seinem Leben im Wald, von Barbara, von den Tiefen im Felsen und den Verzückungen des Lichtes über bunten Waldwiesen, von seinen Abenteuern in der Stadt erzählt hatte. Verwundert hörte Adalbert zu, und nie war ihm seine Jugend so seltsam erschienen als nun, da er von einem fremden Mann einem anderen fremden Mann über sie berichten hörte. Sie rückte von ihm fort. Sie erschien in einem anderen Licht. In diesem Raum, dessen unerhörte Pracht so über alle Maßen verwirrend war, daß alles in farbigen Streifen um ihn zu fließen schien, war diese Erzählung wie eine bekannte Melodie. Aber sie war unfaßbar wie eine Melodie, nichts Wirkliches, nichts Greifbares, nichts, dem man sein Vertrauen und seine Dankbarkeit bezeigen konnte.
»Ich bin mit Ihnen zufrieden, Hainx,« sagte Bezug, »Sie haben etwas ganz Apartes gefunden, eine Sensation, die in meinem Haus am richtigen Platz ist.«
Dann wandte er sich zu Semilasso und reichte ihm die Hand: »Ich heiße Sie hier willkommen. Sie sollen sehen, ein wie guter Herr ich meinen treuen Dienern bin. Nicht wahr, Hainx?«
Hainx verneigte sich. Als er den Kopf wieder hob, war sein Blick stumpf und verhüllte seine Gedanken. »Haben Sie alles vorbereitet, Hainx?« fuhr Bezug fort.
»Gewiß! der Vertrag ist zur Unterschrift fertig!«
»Dann wollen wir gehen, um unseren Bund zu schließen, Herr Semilasso, den Bund zwischen einem Fürsten des Geistes und einem armseligen Feldherrn des Geldes. Gehen Sie voran ... ich bitte Sie ... hier ..«
Und während Adalbert einen Vorhang zurückschlug und die Tür öffnete, die ihm Bezug gewiesen hatte, flüsterte dieser Hainx zu: »Die große Zeremonie, verstanden, die wirkt auf solche Kinder am meisten ...«
Durch das Haus, dessen Pracht ungestüm auf Adalbert eindrang, führte ein Weg in die Tiefe. Sie kamen durch die Säulenhalle, in der noch immer Elisabeth im Rahmen zweier Jaspissäulen saß, mit dem nun schon dämmerigen Garten im Hintergrund, so daß sie auf dem weißen Eisbärfell wie auf einer Wolke zu ruhen schien. Adalbert, der die Schönheit verehrte, neigte sich vor ihr und sah nichts von dem leise zuckenden Erstaunen ihres Blickes und der Bewegung der Knie unter dem weißen Tennisrock. Kammern, die von Rubinen und Granaten funkelten, wurden durchschritten. Dann kamen Zimmer, die im grünen Lichte von innen bestrahlter Smaragde die Wunder indischer Nächte darboten. In andern Räumen, in denen Amethyste mit ihrem kühlen Violett herrschten, schien alles kalt und eisig wie unter den Strahlen des Nordlichts. Nun brannten wieder Karfunkelsteine. Jetzt hüllten Topase und Bergkristalle die Wanderer in ein Gemisch von weißen und gelben Wolken. Andere Zimmer schienen wie das Innere von milchigen Opalen zu schimmern. Alle Farben flossen durcheinander, vereinigten sich zu neuen Strahlenbündeln ohne Namen, strebten aus der Vermischung fort zu Klärung und Reinheit, fanden wieder neue Beziehungen und wechselten mit jedem Schritt von Dämmerung zu grellem Licht.
Es ging tiefer hinab. Granitene Mauern liefen nebenher, wie unerbittliche Wächter, deren Aufgabe es ist, bei jedem Schritt an die Gefangenschaft zu erinnern. Über den Köpfen drückten Wölbungen, an denen in weißen Steinen das Monogramm Bezugs sich immer wiederholte. Aus Nischen voll lauernden Dunkels brachen dieselben verschlungenen Buchstaben, sie fanden sich an den glattpolierten Porphyrsäulen, sie fügten sich endlich an den Wänden zu langhingedehnten Reihen von Ornamenten und sanken auf den Fußboden herab, um hier ein seltsames Mosaik über den Felsen auszustreuen. Diese immer wiederholten beiden Buchstaben T und B, die sich aneinanderschlossen, hintereinander herkamen, sich von überallher aufdrängten, beunruhigten schließlich den ganzen Raum wie ein wimmelndes Heer von weißen Tieren.
Es ging tiefer hinab. Die Mauern wichen vor dem nackten Gestein, ein Labyrinth von Stollen breitete sich aus, die in den Felsen selbst eingesprengt waren. Das Monogramm Bezugs zeigte den Weg an. Seltener wurden die an schwachen Drähten herabbaumelnden Glühlampen, immer seltener trieb der Stein die Blüte des Lichtes. Tiefer rauschte die Dämmerung. Schon schlich aus den seitlich einmündenden Stollen die Nacht heran. Dann stand Bezug vor einer Felswand still, die den Weg versperrte. Als Adalbert noch dem Beginnen des Führers zusah, der mit spitzem Finger an dem Stein tastete, hörte er das Knirschen von Felsen, die sich übereinanderschieben, und an Stelle der Wand klaffte ein Loch, durch das man eintrat. In dem Raum lag ein blasses Licht, ein blasses krankes Licht, das nichts mehr mit dem Tag und mit den künstlichen Lichtquellen der Menschen gemein zu haben schien. Rings an den Wänden standen eiserne Kassen, in Blöcken türmte sich ungemünztes Silber, und inmitten der Schätze saß eine Gestalt, ein ungeheurer Riese, ganz aus Gold. Adalbert Semilasso zitterte. Die Wanderung durch die Gänge hatte mit der Erwartung seine Furcht gesteigert, und daß er hier unter der Erde mit den beiden fremden Menschen und einem unbegreiflichen Popanz allein war, entzündete seine Vorstellungen von Gefahr, die Phantasie eines noch eng mit der Natur verbundenen Menschen. Er sah das Menschliche in einer scheußlichen Verzerrung, unheimlicher als allen Spuk des Hexensteines, gräßlicher selbst als das Wunder der alten Waldschlange. Er sah diesen Kopf, der doch nicht ein Kopf war, sondern nur ein breites Maul mit Kinnladen wie Zangen, den Rumpf, der sich ohne Hals an diesen Kopf schloß, die plumpen Elefantenbeine, deren Zehen sich wie Schnäbel nach oben krümmten, und die langen Affenhände, an deren Ende ungeheure Fäuste hingen, schwere Hämmer an einem dünnen Stiel, der ihrer Wucht zu schwach schien.
Vor dem goldenen Riesen stand ein kleines Tischchen mit Schreibzeug und Papier.
Während Adalbert noch dastand und auf den ungeheuren Popanz starrte, sprangen plötzlich an den Wänden Hunderte von Flämmchen auf. Sie schienen in einem mäanderartigen Zug angeordnet, flackerten und flammten, als ob sie von demselben kühlen Lufthauch bewegt würden, der jetzt über Adalberts Gesicht hinstrich. Zugleich begann eine leise, sanfte, süße Musik, die schmeichelnd und werbend daherkam und Adalberts Lippen zu küssen schien.
Rudolf Hainx stand hinter Adalbert und sah mit einem spöttischen Lächeln, wie der naive Apparat auf den jungen Mann zu wirken begann. Er sah es an dem Zucken der Achseln, an den unwillkürlichen Bewegungen der Ellenbogen, an dem Erblassen der Wange, das er jetzt gewahrte, als er sich ein wenig vorbeugte.
Bezug nickte seinem Vertrauten zu. Und dieses Nicken sagte, daß der Herr zufrieden sei. »Dieser Götze«, sagte Bezug nach einer Weile mit feierlicher Stimme, »stammt aus den Ausgrabungen in einer assyrischen Stadt. Er ist vor allen Räubereien der Jahrhunderte bewahrt worden, um den Weg in meinen Palast zu finden. Ich weiß nicht, wo er einen würdigeren Platz hätte finden können als in den Kellern dieses Gebäudes. Er dient mir als Symbol. Beachten Sie wohl, daß an diesem leblosen Bildwerk der Glaube unzähliger Generationen an die Macht des Goldes haftet, daß sich Millionen von Menschen vor ihm niedergeworfen haben, um in ihm den Gedanken zu verehren, daß das Geld der Regent dieser Erde ist. Das ist die älteste aller Religionen, diejenige, die am meisten Ehrfurcht gebietet und zugleich am meisten praktische Vorteile bringt. Es ist also nicht ohne tiefe Beziehungen, wenn ich diesen Götzen zum Zeugen der Verträge nehme, mit denen ich dieser Religion neue Bekenner zuführe.«
Adalbert Semilasso hörte Worte rauschen. Die Absonderlichkeiten, denen er hier begegnete, hatten ihn befangen gemacht und seinen Willen gelähmt. Sein allem Phantastischen geneigter Sinn war von Verwandten berührt und gab sich ohne Bedingung hin. Der Götze vor ihm erhob sich riesenhoch, schien gegen das Gewölbe zu stoßen, es zu zersprengen und in schauerlicher Erhabenheit in die Dunkelheit des Weltalls zu ragen.
»Unterschreiben Sie!« sagte Rudolf Hainx und führte Adalbert zu dem kleinen Tischchen. Da lag im grellen Lichtkreis einer elektrischen Lampe ein beschriebenes Papier. Eine goldene Feder lag quer über dem Tintenfaß.
»Es ist der Vertrag«, sagte Thomas Bezug. »Unterschreiben Sie! Die Bedingungen hat Ihnen Hainx schon gesagt.«
Einen Augenblick lang zögerte Adalbert. Eine alte Sage kam ihm ins Gedächtnis, die er von seiner Mutter gehört hatte. Die Geschichte von einem Teufelsbündnis, in dem ein Pakt mit Blut unterschrieben wurde. Er hätte sich gar nicht gewundert, wenn man das jetzt von ihm verlangt hätte. Aber die Feder, die ihm Hainx reichte, war in gewöhnliche Tinte getaucht.
Er setzte an und unterschrieb mit langsamen, großen Strichen, so wie er seinen Namen zu malen pflegte.
»Die gesetzlichen Formalitäten können wir morgen nachholen,« sagte Bezug, »die sind weiter nicht von Belang.«
Dann gingen sie, das Heiligtum des Goldes schloß sich hinter ihnen, und die weißen Namenszeichen Bezugs leiteten sie durch das Labyrinth der Felsen, glitten längs der granitenen Mauern und führten sie in den Palast zurück.
Bezug entließ seine Begleiter und stieg in das Turmzimmer hinauf. Es war Nacht geworden. Der schwarze Geier über der Wanduhr sah mit gekrümmtem Halse nach dem Herrn des Turmes und peitschte die Finsternis mit langsamen, gleichmäßigen Flügelschlägen. Ein Licht sprang auf. Aus einem Wandschrank, der sich in die kunstreiche Vertäfelung aus mit Silber ausgelegtem Ebenholz fügte, nahm Bezug eine Karaffe aus Rubinglas und schenkte einen schlanken, kleinen Kelch, ein Wunder altflorentinischer Goldschmiedekunst, voll einer grünen Flüssigkeit. Er trank und seine matten Augen begannen zu glimmen. Mit rascherem Schritt trat er auf die Galerie des Turmes und sah auf die dunkelrauschende Insel des Parkes und die Dächer der Stadt. Da lag das Stück Welt, das seine Macht zunächst und unmittelbar empfinden sollte, und es schien, als ob es unter dem Blick seines Herrn kaum zu atmen wagte, als hätte es in Angst vor der lauernden Gefahr alle seine Lichter ausgelöscht. Nur aus dem Viertel hinter dem Dome, hoch oben über alle Dächer her, kam ein greller, unbewegter Schein, ein beobachtendes, ruhiges Auge, das dem Blick Bezugs ohne Zucken begegnete, ein klares, sicheres Licht, das kein Flackern kannte. Während sich alle Häuser unter Bezugs Füßen duckten, richtete sich dort ihm gegenüber ein gleich Starker auf und sah ihm entgegen, und es war, als ob sich an ihm die kleinen, bescheidenen Häuschen des alten Viertels anhielten und, von ihm aufgereizt, zum Widerstand erhöben. Lange starrte Bezug auf das Licht in Eleagabal Kuperus' Haus, und er bemühte sich, vor diesem Auge, das über der Stadt zu wachen schien, nicht zu zwinkern. »Ah«, sagte er und hob die Faust gegen den schwarzen Rücken des Domberges, in dessen Mitte das Licht saß wie der Karfunkel im Zauberschilde. »Ah, ich werde auch mit dir schon fertig werden!« Dann aber faßte ihn eine plötzliche Wut, die nach einem Ausdruck rang. Und als sich mit leisem Knacken ein Stück Mörtel von der Wand löste und ihm vor die Füße kollerte, faßte er es und schleuderte es gegen das ruhige Licht, als wolle er es mit diesem Wurf auslöschen, während er einen Schrei ausstieß, der, weit über die ruhende Stadt getragen, die Träume der Schlafenden verwirrte und ihre Wanderungen in den Mohnfeldern der Nacht beängstigte.