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Die Christenheit war zu neuem Leben erwacht nach der grossen und gefürchteten Neujahrsnacht von 999. Hundert neue Jahre beinahe waren vergangen, als ein zerlumpter und barfüssiger Pilger zu dem Tor von Caesarea in Palästina am Ufer des Mittelmeeres hinaus wanderte; dieser Stadt, aus der sich Paulus nach Rom einschiffte, um das; Christentum zu verbreiten, das jetzt ganz Europa erobert, seine Heimat aber nicht hatte behaupten können; das Land der Verheissung, in dem Christus gelebt, gelitten hatte und gestorben war.
Der »grosse Betrüger« hatte zuletzt Palästina besessen; als aber sein Reich wie alles andere zerfiel, war ein ganz neues Volk aus dem unbekannten innern Asien hervorgewachsen, und nun sassen die Seldschuken als Herren in Syrien. Die letzten Fatimiden waren in Glaubenssachen sehr gleichgültig gewesen, und der berühmte Al Asis, mit einer Christin verheiratet und selber ungläubig, hatte die Brüder seiner Frau zu Patriarchen von Jerusalem und Alexandria gemacht. Jetzt war alles verändert, seit der fürchterliche Al Hakim sowohl Christen wie Juden verfolgt und die Kirche der Auferstehung in Jerusalem zerstört hatte. Und als der Seldschuk Melikscha zuletzt die Stadt eingenommen, sah es beinahe hoffnungslos für die Christen aus, die noch immer nach dem heiligen Grab wallfahrteten.
Der Pilger zog seinen Weg in südöstlicher Richtung, und jetzt am ersten Tag des Frühlings sah er die liebliche Ebene von Saron sich wie eine Blumenmatte ausbreiten, oder wie ein Meer von Blumen: Krokus, Narzissen, Ranunkeln, Anemonen, am meisten aber Saronslilien, die hochgewachsenen weissen.
Das war das gelobte Land!
Den ganzen Vormittag watete er in Blumen; schliesslich erreichte er ein Dorf am Fuss eines Hügels. Dort wogte Korn, dort kletterte Wein, dort blühten Oliven und Feigen; am Brunnen wurde fettes Vieh getränkt, Kühe und Ziegen gemolken.
Der Pilger, der in der ganzen Welt nichts besass als seine Lumpen, bat um eine Schale Milch, bekam aber keine. Bettelnd ging er von Tür zu Tür, wurde aber fortgejagt.
Jedesmal wenn er ein Nein hörte, schien er gegen alle Erwartung fröhlich zu werden. Er war ja aus fernem Land hierher gekommen, um sich eine Vorstellung machen zu können, wie sein Erlöser gelitten, und nun wurde ihm die Gnade, es auf heiligem Boden zu erfahren.
Er ging durchs Dorf hindurch und fand ein neues Blumenmeer. In einem Bach badete er seine Füsse und fühlte sich erquickt.
Jetzt aber zur Mittagszeit erhob sich ein Wind vom Meer her, und Wolken zogen übers Land. Der Regen strömte auf die zerbrechlichen Lilienpflanzen nieder, der Sturm jagte sie auf oder riss sie entzwei, sammelte sie zu Diemen, die dahin rollten, sich vergrösserten und auf ihrem Weg andere Blumen zerdrückten.
Gegen Abend hörte der Regen auf, der Sturm aber raste weiter und die Dunkelheit kam.
Der müde und ausgehungerte Wanderer bereitete sich ein Nachtlager aus Blumendiemen, denen er durch einige Steine Halt gab. Nachdem er einen Haufen wie ein Adlernest ausgehöhlt hatte, breitete er einen anderen Schober über sich; und so schlief er ein, nachdem er von allen diesen Wohlgerüchen in wohltuende Betäubung gesunken war. Er hatte seit vielen Jahren keinen Wein gekostet, folglich keinen Rausch gekannt, dies aber war dasselbe wie feurigen Wein trinken. Ob er schlief oder wach war, wusste er nicht; bald schien es ihm, als rolle er wie eine Welle dahin; bald lag er still und hörte, wie es in seinem Nest kratzte; es schnaubte und brüllte, es sauste ihm vor den Ohren und blitzte ihm vor den Augen. Schliesslich wurde es ganz still; er glaubte geschlafen zu haben, denn er träumte.
Er ging auf dem Mittelmeer zu Fuss, und das fand er ganz in der Ordnung; aber ihm folgten Ritter zu Pferde, Scharen von Bewaffneten, ganze Volksstämme. Sie stiegen ans Land. Sie zogen nach Osten und sahen schliesslich Jerusalem auf den Höhen. Mauern, Zinnen und Türme waren mit heidnischen Kriegern besetzt, und die christlichen Ritter machten Halt, um zu beraten. Er aber, der arme Pilger sprach zu ihnen, und sie hörten auf ihn.
– Warum bangt euch? Warum fürchtet ihr diese Heiden und ihre Mauern? Seht mich an! Jetzt nehme ich meinen Stab, gehe auf den Berg Zion hinauf, schlage mit dem Stab an Davids Tor, und die Stadt öffnet alle ihre Tore!
Er tat so – im Traum – und Jerusalem war eingenommen! Das war so einfach, und die Ritter und die Volksstämme huldigten ihm, und er wurde Statthalter in der heiligen Stadt.
Als er am Morgen erwachte, stieg er aus seinem Nest; und als er sich umsah, befand er sich vor dem Jaffator von Jerusalem. Er fragte sich, ob der Sturm ihn die lange Strecke gerollt habe, oder ob er den Weg im Schlaf gegangen sei. Aber der Traum war noch so lebhaft, dass er alles natürlich und einfach fand.
Er schlug mit dem Stab ans Tor. Und siehe, es öffnete sich wirklich, aber nur zu einer Spalte, und ein Landsknecht fragte, was er wolle.
Er wolle das heilige Grab besuchen.
Das sei wohl erlaubt, es koste aber dreissig Silberzechinen.
Da er die nicht besass, wurde das Tor geschlossen Der Pilger aber liess sich nicht abschrecken, sondern schlug noch einmal mit seinem Stab, sicher, dass er hineinkommen werde.
Hinein kam er, schnell genug; nachdem er aber durchgepeitscht war, wurde er hinausgeworfen und fiel auf einen Kehrichthaufen, auf dem Hunde nach Knochen wühlten.
Dieser Empfang war ja nicht ermunternd, für den Pilger aber war es gerade das, was er erwartet und gewünscht hatte. Er war an derselben Stelle wie sein Herr Christus geschlagen und gepeinigt worden. Welche Ehre, welche Gnade!
Aber die dreissig Silberlinge! Und warum war der Preis dreissig? Weil es der Preis des Verräters war, der das teure Haupt verraten hatte. Er wollte sie zusammenbetteln, und wenn es zehn Jahre dauerte.
Er sprach sich Geduld ein und ging nach Süden ins Tal Hinnom oder das Tal der Hölle hinab, wo aller Kehricht der Stadt hingeworfen wurde. Da war Schmutz und Gestank, aber der Pilger merkte es nicht, denn er suchte nur einen Blick von den Mauern der heiligen Stadt aufzufangen. Und als er ans südliche Ende hinunter kam, erblickte er wirklich den Berg Zion mit Davids Grab. Da fiel er auf seine Knie und lobte Gott durch Gesang:
Lauda Sion Salvatorem
Lauda Ducem et pastorem
In hymnis et canticis ...
Und vom Gebet gestärkt ging er weiter. Er kannte alle Orte, und brauchte nicht zu fragen, und als er auf eine Ruine unterhalb des Berges des Bösen Rates stiess, verstand er, dass es Hakeldama oder der Töpferacker war, der für das Blutgeld des Judas eingekauft wurde, für die dreissig Silberlinge, zu einem Begräbnisplatz für Fremdlinge.
Ihm aber kamen keine Todesgedanken, denn er fühlte, dass er leben werde, bis er die Stadt eingenommen. Dagegen überfiel ihn der Hunger. Wie bitter bereute er jetzt nicht, dass er nicht wie andere berühmte Eremiten in seiner Jugend sich geübt hatte, Gras zu essen. Ermattet, aber nicht niedergeschlagen, setzte er sich auf einen Kehrichthaufen, der noch ganz neu aussah.
Wie er dort sass, kam ein Hund, ein räudiges ausgehungertes Tier, und legte seinen Kopf auf das Knie des Pilgers.
– Ich habe nichts, was ich dir geben könnte, du Armer! sagte der Pilger und wischte dem Hund mit seinen Ohrlappen die Augen, denn das Tier sah aus, als habe es geweint.
Als aber der Hund hörte, was der Pilger sprach, verstand er, denn die Tiere verstehen alle Sprachen nur am Tonfall. Und er begann im Kehrichthaufen zu wühlen. Und siehe da, dort lag zwischen zwei frischen Kohlblättern ein Granatapfel und ein weisses Brot.
Der Pilger, der an alle Arten Wunder gewöhnt war, lobte Gott und ass. Und als er gegessen, dankte er Gott dem Barmherzigen. Der Hund stand die ganze Zeit dabei und sah ihn an.
– Dass ich dich vergessen konnte, ich Undankbarer! sagte der Pilger. Jetzt will ich mein Glück versuchen!
Und er begann mit dem Stab zu graben und siehe, dort lag ein frischer Knochen, den er dem Hund, seinem Wohltäter schenkte.
Sie wurden Freunde und trennten sich nicht mehr.
Sie zogen jetzt um das südliche Ende der Stadt und wandten sich gegen Norden dem Kidron zu. Sie folgten dem Bach und hatten die Stadtmauer links und den Ölberg rechts. Vom Talgrund aus sah er den Tempelplatz, aber keinen Tempel, nur die Moscheenkuppeln der Heiden, und vom heiligen Grab war nichts zu sehen, denn es lag in der Stadt und war unansehnlich.
Er kam nach Gethsemane, wo Christus gelitten hatte, und er, bestieg den Ölberg, von dem er Jerusalem sehen konnte. Und er weinte über die Stadt.
Nachdem er seine Andacht in den Ruinen der Auferstehungskirche verrichtet, ging er weiter nach Norden um die Stadt und kam wieder zum Jaffator, wo er sich setzte, fest entschlossen, zu warten, bis christliche Pilger kamen; denn hierher kamen sie von allen Ländern der Erde. Er wollte sie anbetteln, bis er die dreissig Zechinen zusammen hatte.
So sass er die erste Nacht, ohne dass jemand kam. Gegen Morgen wurde das Tor für die ländliche Bevölkerung geöffnet, die Lebensmittel brachte, und er verfiel auf den kühnen Gedanken, sich einzuschleichen, wurde aber sofort entdeckt und bekam eine Tracht Prügel. Das schreckte ihn aber nicht ab, sondern er versuchte es jeden Morgen von neuem, aber ohne Erfolg. Er schlief auf dem Boden und ass aus den Kehrichthaufen; wurde verspottet von den Kindern, geschlagen von den Erwachsenen, und alles fand er nur in der Ordnung, überzeugt, dass sich einmal sein Traum erfüllen werde.
Dreissig Tage hatte er am Tore gesessen und kein Geld erhalten, am einunddreissigsten aber erhob er sich, um sich etwas Bewegung zu machen. Und er wanderte ins Hinnomtal hinunter, und der Hund Getreu lief ihm voran.
Als er eine Weile gegangen war, bemerkte er, dass sein Begleiter fort war; als er aber lockte, antwortete der Hund mit einem Gebell. Der Eremit folgte dem Wink, und als er dem Gebell nachging, sah er den Hund an einem Loch in der Mauer stehen.
Da war der Eingang, und dem Wegweiser folgend, kam er ohne Hindernis mitten in die Stadt.
Das erste, was er tat, war das heilige Grab aufzusuchen; das aber war geschlossen.
Da erinnerte er sich, dass es einen Patriarchen von Jerusalem gab und dass die Christen bei ihm eine Art Schutz genossen. Wo aber wohnte der?
– Vielleicht weisst du es? sagte er zum Hund. Und der Hund verstand, bewegte die Ohren und lief durch eine Menge krummer Strassen, bis er an einem Pförtlein mit Glockenstrang stehen blieb.
Der Pilger klingelte, die Pforte öffnete sich und ein alter weissbärtiger Mann reichte dem Ankommenden seine Hand, führte ihn wie einen Bekannten ins Haus und lud ihn zum sitzen ein.
– Ich habe dich lange erwartet, Peter, sagte er. Ja, ich kenne dich, denn ich habe dich seit einem Jahr in meinen Träumen gesehen; aber ich weiss nicht, wer du bist und woher du kommst. Erzähl mir dein Schicksal.
– Mein Schicksal? Ich bin aus Amiens in Frankreich, heisse jetzt Petrus, war früher Soldat, folgte Wilhelm dem Eroberer nach Hastings und nahm England mit ein. Kehrte zurück in mein Land, wurde Schullehrer, konnte aber in meiner Seele keinen Frieden finden, sondern suchte ein Kloster auf. In der Einsamkeit der Zelle dachte ich über das nach, was ich von den Brüdern im Kapitel hörte. Es war damals, als Kaiser Heinrich IV. den Streit mit Gregor VII. anfing. Der Papst hatte recht, denn von Rom aus sollte Europa regiert werden, und Gregor, der Christi Reich im Geist und in der Wahrheit aufrichten wollte, hatte alle christlichen Staaten gesammelt: er nahm Steuer von Skandinavien bis zu den Säulen des Herkules hinunter. Der Kaiser war ein Geist der Sonderung und arbeitete nur für Deutschland. Es endete mit Canossa, wie Ihr wisst, als der Kaiser dem Papst die Füsse küssen musste. Und das war recht, damals, denn das geistliche Haupt ist einen Kopf höher als das weltliche ... Aber es war nicht zu Ende mit Canossa. Des Herrn gewaltiger Kämpfer, Gregor, verfiel der Sünde wie König David. Zuerst rief er den Normannen Guiscard aus Sizilien zu Hilfe. Der kam mit einem Gesindel von Türken und Heiden und plünderte Rom und steckte es in Brand. Das war schändlich vom Papst, der jetzt mit den Heiden nach Salerno floh – das war sein Canossa! Aber er war auch noch grausam genug, Heinrichs Söhne gegen den Vater zu erheben. Da starb er in Verbannung, der grosse Gregor, und Rom war ausgetilgt ... Rom ist nicht mehr, aber Jerusalem soll werden! Von neuem werden, aus dem Schutt auferstehen, die Hauptstadt des Christentums und die Herrin der Welt werden!
Der Patriarch hatte zugehört, und obwohl er anfangs gelächelt, wurde er zum Schluss ernst.
– Dein Glaube ist gross, mein Sohn, sagte er. Wer aber wird sich an die Spitze stellen, wer wird Volk sammeln?
– Ich! antwortete der Eremit. Ich werde das heilige Grab öffnen, ich werde die Heiden vertreiben, und ich werde den ersten christlichen König von Jerusalem krönen lassen!
– Mit meinem felsenfesten Glauben! Es wurde still.
– Sag etwas, Patriarch! Versuch, meinen Mut niederzuschlagen, wenn du kannst, mir mit Einwänden zu begegnen, mir die Zuversicht zu rauben! Du kannst nicht! Darum gehe ich jetzt nach Rom und spreche mit Urban II. Gib mir nur einen Brief, der meine Aussage bestätigt, wenn ich das Verfahren der Heiden in der Stadt Christi schildern will. Mehr verlange ich nicht von dir, das übrige tue ich selber!
– Wer du auch bist, den Brief sollst du haben, aber ruhe dich erst einige Tage aus!
– Nein! Dreihundertundfünfzig Meilen bin ich gegangen, dreissig Tage habe ich geruht. Gib mir in der Küche etwas zu essen, während du den Brief schreibst, und ich gehe, ehe die Sonne sinkt. Aber ich komme wieder, jedoch nicht allein, sondern Legion! Und du wirst sehen, wie sich meine Worte und deine Träume erfüllen, denn Gott will es!
Der Eremit Peter ging seine hundertundfünfzig Meilen nach Piacenza und traf dort den Papst Urban II., der ein Konzil abhielt. Eine Aufmunterung erhielt er nicht, denn die Kreuzzugsidee war alt. Gregor VII. hatte einmal fünfzigtausend Mann zu dem Zwecke gesammelt, seine Absicht aber dann nicht ausführen können.
Der Eremit nahm diesen Misserfolg mit wahrem christlichen Sinn als eine Ermahnung hin, seine Energie zu verdoppeln!
Und er zog nach Frankreich, predigte und feuerte an, mit dem Erfolg, dass ganz Frankreich für den Kreuzzug in Flammen stand, als Urban nach Clermont kam, um eine neue Kirchenversammlung abzuhalten. Jetzt wurde der Kreuzzug beschlossen.
Peter hatte keine Zeit zu warten, sondern zusammen mit Walter Pexejo und Walter von Habenichts raffte er eine Schar zusammen, die schliesslich mit Greisen, Frauen und Kindern vierzigtausend erreichte. Aber es waren keine Krieger, sondern Abenteurer, die ausreissen wollten, Knechte, welche die Freiheit suchten, und Unzufriedene, die Veränderung wünschten.
Sie folgten dem Rheinstrom aufwärts, und dann der Donau, an deren Ufern die grosse Landstrasse nach dem Morgenland lief.
Als sie nach der ungarischen Grenze kamen, war die Zahl auf sechzigtausend angewachsen. Der König des Landes, Kolowan, war nicht gerade gastfrei, und es war auch nicht mit ihm zu spassen. Die Kreuzfahrer bekamen eine Ahnung davon, dass sie nicht so willkommen waren, und darum schickten sie ihre einzigen berittenen Männer, das waren gerade sechs Stück, als Gesandte zum König.
Kolowan befand sich in Pest mit einem wohlgeordneten Heer, und seine Länder genossen die Segnungen des Friedens, als die Gesandten anlangten.
– Was wünscht ihr? fragte er.
– Wir suchen freien Durchzug nach Konstantinopel.
– Wieviel seid ihr?
– Genau sechzigtausend Mann.
– Obwohl ich mich durch den Besuch geehrt fühle, kann ich Heuschrecken nicht aufnehmen. Ich habe von eurem wilden Vorgehen gehört; ich weiss, dass ihr nichts an Proviant mit euch führt und dass ihr bettelt und stehlt. Kehrt darum zurück in euer Land, oder ich betrachte euch als Feinde!
Die Gesandten ritten zurück und überbrachten die Antwort des Königs, Peter aber wollte nicht umkehren.
– Vorwärts, vorwärts, Kreuzmänner, Christenmänner! rief er, und die ganze Schar zog über die Grenze.
Der Eremit ritt auf einem Esel an der Spitze und wusste nicht, was hinter ihm geschah. Aber da wurde geplündert, da wurde Wein getrunken und da wurden Mädchen vergewaltigt.
Als der König erfuhr, was geschehen war, ritt er mit seiner ganzen Reiterei aus. Als er diese zerlumpten Kerle sah, berauscht und wild, wie sie waren, alle aber mit dem roten Kreuz gezeichnet, geriet er ausser sich und schritt zum Angriff.
Was nicht floh, wurde auf dem Felde niedergetreten und niedergesäbelt, und zwar so gründlich, dass von den sechzigtausend nur dreitausend Konstantinopel erreichten, und unter ihnen war der Eremit.
– Wir haben mit unserm Blut begossen, sagte er, die Nachkommen werden ernten!
Der Kaiser von Konstantinopel hatte allerdings längst Hilfe vom Abendland gegen die wilden Seldschuken begehrt, aber er hatte bewaffnete Männer erwartet. Als er jetzt dreitausend Bettler und Verwundete bekam, fühlte er sich sehr betrogen, und beschloss, auf ehrliche Weise diese Gäste wieder los zu werden. Er setzte sie also auf Prahme und schiffte sie nach der Küste von Kleinasien hinüber.
– Dann habt ihr geraden Weg nach Jerusalem, sagte er.
Aber er sagte nicht, dass die Seldschuken auf dem andern Ufer lagen.
Der Rest wurde also von den losen Scharen bei Nicaea niedergemacht, der selben Stadt, in welcher in den ersten Tagen des Christentums so viele verhängnisvolle Wortkämpfe geführt waren.
Aber der Eremit kam mit dem Leben davon und kehrte nach Konstantinopel zurück, wo er auf das grosse Kreuzfahrerheer wartete.
Und er wartete ein Jahr, ebenso siegesgewiss und unerschrocken wie je vorher.
In der kleinen Stadt Tiberias am See Genezareth sass der alte Jude Eleazar mit seiner Familie bereit, Passah oder die Auswanderung aus Egypten zu feiern. Es war der zehnte Tag im Monat Nisan des Jahres 1098. Der See lag klar und seine Ufer grünten, die Oleander blühten, die Lilien waren aufgegangen in der lieblichen Zeit, da »der Boden sich freut«.
Der Abend war da, alle Mitglieder der Familie waren wie zur Reise gekleidet, die Füsse beschuht und den Stab in der Hand. Sie standen um den gedeckten Tisch, auf dem das gebratene Lamm in der mit dem bittern Lattich bekränzten Schüssel dampfte. Der Wein füllte den von den Vätern ererbten Becher, und das weisse, ungesäuerte Brot lag auf einer Schüssel daneben.
Nachdem der Hausvater seine Hände gewaschen, segnete er die Gaben Gottes und trank vom Wein, dankte und lud die andern zum trinken ein.
Darauf nahm er von dem bittern Kraut und ass, und gab den andern zu essen. Dann las er aus den Büchern Mose über die Bedeutung des Festes vor.
Jetzt wurde der zweite Becher Wein eingeschenkt, und der jüngste Sohn des Hauses trat vor.
– Was bedeutet dieser euer Dienst, fragte er nach heiligem Brauch.
Der Vater antwortete:
– Der Herr hat mit starker Hand uns aus Egypten geführt, aus der Knechtschaft.
Und darauf, als er aus dem zweiten Becher trank:
– Lobe den Herrn meine Seele, und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat.
Darauf sangen alle Davids einhundertfünfzehnten Psalm:
Nicht uns, Herr, nicht uns,
Sondern deinem Namen gib Ehre
Um deine Gnade und Wahrheit!
Warum sollen die Heiden sagen:
Wo ist nun ihr Gott?
Jetzt wurden die ungesäuerten Brote und das gebratene Lamm gesegnet, und man setzte sich nieder, um zu essen, mit vergnügtem Sinn und unter unschuldigem Gespräch.
Und der alte Eleazar sprach von vergangenen Tagen und den Zeiten, wie sie jetzt waren.
– Der Mensch, vom Weib geboren, lebt eine kurze Zeit und ist voller Unruhe; wächst auf wie eine Blume und fällt ab; flieht dahin wie ein Schatten und bleibt nicht. Ein Fremdling und ein Gast ist er auf Erden, und darum soll er immer reisefertig sein, wie wir diesen heiligen Abend ...
Der älteste Sohn Jakob, der nach einer Reise zum Abend heimgekommen war, schien von etwas sprechen zu wollen, wagte es aber nicht, bevor nicht der vierte und letzte Becher getrunken war.
– Aber, meine Kinder, fuhr Eleazar fort, nicht Israel allein ist unstet und flüchtig auf der Erde, sondern alle Völker sind auf der Wanderung begriffen; aber der Unterschied zwischen ihnen und uns ist der, dass ihre Götter sterblich sind, während Israels Gott lebt. Wo ist Zeus, der Gott der Hellenen, wo ist der Jupiter der Römer, wo ist der Egypter Isis, Osiris und Ptha? Wo ist der Wuotan der Germanen, der Teutates der Gallier? Alle sind sie tot, aber Israels Gott lebt; er kann nicht sterben! Wir sitzen ja in unsrer Väter Land, in Kanaan, wenn auch Zion nicht mehr unser ist, und wir dürfen nicht vergessen, was der Herr uns Gutes gegeben hat.
Der letzte Becher wurde getrunken, und nach einem neuen Lobgesang war die Feier zu Ende.
– Nun, Jakob, sagte Eleazar da, du bist redelustig, kommst von einer Reise, wenn auch etwas spät, und hast etwas Neues zu erzählen – still, ich höre Schritte im Garten!
Alle eilten an die Fenster, denn es waren unruhige Zeiten; da aber niemand draussen zu sehen war, setzte man sich wieder zu Tisch.
– Sprich, Jakob, fing Eleazar wieder an.
– Ich komme von Antiochia, wo die Kreuzfahrer vom Emir aus Mosul, Kerboga, eingeschlossen sind. Der Hunger hat gerast, und von dreihunderttausend Gojim sind nur noch zwanzigtausend übrig.
– Was hatten sie hier zu tun?
– Jetzt erzählt man auf den Landstrassen von einer neuen Schlacht, welche die Gojim gewonnen haben; und gleichzeitig hält man für gewiss, dass die Kreuzfahrer direkt nach Jerusalem ziehen.
– Hierher kommen sie wohl nicht!
– Sie finden den Weg nicht, aber es gibt Verräter.
– Es bleibt sich gleich: Moslim oder Christen; aber Moslim könnten unsere Freunde sein, weil sie von Abrahams Samen sind. »Gott ist einer!« Wäre der Prophet dabei geblieben, so stände nichts zwischen uns, aber er fiel durch seinen Hochmut und vermengte seinen Namen mit dem des Ewigen! »Muhamed ist sein Prophet!« Mag sein, aber man sagt das nicht im selben Atemzug, mit dem man Gott nennt! Die Christen nennen ihn den Betrüger, aber das war er wohl nicht!
– Die Christen könnten eher ...
– Die Christen sind irregeleitet und ihre Lehre ist eine Torheit. Sie glauben, der Messias sei gekommen, obwohl die Welt wie eine Hölle ist, und die Menschen Satanen gleichen! Und immer schlimmer wird es ...
Da wurde die Tür aufgerissen, und auf der Schwelle erschien ein kleiner Mann, wie ein Skelett abgemagert, mit brennenden Augen. Er war mit Lumpen bekleidet, trug ein Kreuz in der Hand, und ein rotes kreuzähnliches Zeichen auf der Achsel.
– Seid ihr Christenmenschen? fragte er, da ihr aus dem Kelch trinket und vom Brot esset, wie unser Herr Jesus Christus in der Nacht, da er verraten ward?
– Nein, antwortete Eleazar, wir sind von Israels Haus.
– Dann habt ihr euch selbst zur Verdammnis gegessen und getrunken, und zur Zauberei habt ihr das heilige Sakrament missbraucht! Hinaus, an den See hinuter und Iasst euch taufen, sonst werdet ihr des Todes sterben!
Da wandte sich Eleazar zu dem Eremiten und rief:
– Nein, ich und mein Haus wollen dem Herrn dienen, wie wir diesen heiligen Abend getan haben nach dem Gesetz unsrer Väter. Wir leiden um unsrer Sünden willen, das ist wahr; aber du gottloser verfluchter Mensch, sei nicht stolz auf deine Gewalt, denn du bist noch nicht dem Gericht des allmächtigen Gottes entgangen. Und ich will mein Leben verlieren und mein Blut vergiessen für das Gesetz meiner Väter: du aber wirst nach Gottes Gericht so bestraft werden, wie du es mit deinem Hochmut verdient hast.
Der Eremit war zu seinen Leuten hinausgegangen; die Fensterladen wurden geschlossen und die Tür ebenfalls.
– Feuer ans Haus! schrie man draussen.
– Lasst uns Gott segnen und sterben! sagte Eleazar, und niemand zögerte.
Alle fielen auf die Knie; Eleazar aber sprach weiter:
– Ich weiss, dass mein Erlöser lebt, und er wird als der letzte den Staub überleben. Und frei von meiner Haut und meinem Fleisch werde ich Gott schauen. Ihn werde ich schauen und sehen mit eignen Augen; danach verlangt mein Herz und meine Seele.
Die Mutter hatte den jüngsten Sohn in ihre Arme genommen, als wolle sie ihn schützen gegen das Feuer, das jetzt die Wände angriff.
Da stimmte Eleazar den Gesang der drei Männer fm feurigen Ofen an; und als sie zu den Versen kamen:
Danket dem Herrn,
Denn er ist freundlich
Und seine Güte währet ewiglich ...
wurden ihre Stimmen erstickt, und wie die Makkabäer beschlossen sie ihre Tage.
Am 16. Juli 1099 hielt Peter, der Eremit, seinen Einzug in Jerusalem, durch dasselbe Jaffator, vor dem er als Bettler gesessen hatte.
Als Gottfried von Bouillon König wurde, ward Peter zum Statthalter von Jerusalem ernannt.
Nachdem er aber seinen Traum erfüllt gesehen, zog er wieder heim in sein Land und setzte sich ins Kloster Neufmoustier bei Lüttich, und dort blieb er, bis er starb.
Das Königreich Jerusalem nahm bald ein Ende, und nachher sassen die Muhamedaner wieder dort, und sitzen noch da.
Das Bemerkenswerte bei diesen Räuberzügen war, dass sie von den Normannen ausgingen, und dass sie den Wikingerzügen zum Verwechseln ähnlich waren.
Über die indirekten Folgen der Kreuzzüge werden noch heute Abiturientenaufsätze geschrieben, die alle mit der Moral zu schliessen pflegen: Nichts Böses, das nicht etwas Gutes mit sich bringt.
Voltaire und Hume halten dagegen die Kreuzzüge nur für Aufzüge von Verrückten.
Es ist schwer, ein Urteil zu fällen.