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Der Halbkreis von Athen

Nach einem warmen Tag begann die Sonne zu sinken, und der Markt lag bereits im Schatten. Der Schatten erhob sich und stieg die Akropolis hinauf, auf der Pallas' Schild noch glänzte als das Schutzwappen der Stadt.

Vor dem bunten Pfeilergang war eine Gruppe von Männern zu sehen, die sich vor dem weissen Marmorsofa versammelt hatten, dem Halbkreis, Hemicyklion; sie schienen auf jemand zu warten, um sich setzen zu können.

Darunter waren stattliche Männer und schöne, aber es war auch ein ungewöhnlich hässlicher dabei, um den die andern sich jedoch zu drängen schienen. Sein Gesicht konnte das eines Sklaven oder eines Satyrs sein, und es gab Athener, die in diesem Antlitz alle Laster und Verbrechen lasen. Darauf soll der hässliche Mann geantwortet haben: »Gegen was alles hat Sokrates also zu kämpfen gehabt, denn er ist weder lasterhaft noch ein Verbrecher!«

Es war nämlich Sokrates, von der ganzen Bevölkerung Athens gekannt als ein Sonderling, der da auf Strassen und Märkten, in Kneipen und Mädchenhäusern philosophierte. Er scheute keine Gesellschaft und verkehrte mit dem Oberhaupt der Stadt, Perikles, ebenso intim wie mit dem liederlichen Alkibiades; er setzte sich zu Tisch mit Krämern und Handwerkern, trank mit Seeleuten im Piräus und wohnte selbst mit seiner Familie in der Vorstadt Kerameikos. Wenn man fragte, warum Sokrates immer unterwegs sei, antworteten seine Freunde, »er habe es nicht gut zu Hause«. Und fragten seine bessern Freunde, wie er mit Seeleuten und Zollbeamten verkehren könne, antwortete Sokrates selbst: »Es sind ja Menschen!«

An der Seite des Philosophen, und wenn er sass, hinter seinem Stuhl, hielt sich ein Jüngling, der durch seine breite Stirn auffiel. Das war sein bester Schüler, der eigentlich Aristokles hiess, aber gerade seiner Stirn wegen den Schimpfnamen Platon trug.

Beinahe eifersüchtig mit diesem wetteifernd, sich in der Nähe des Meisters zu zeigen, stand der schöne Alkibiades.

Der dritte in der Reihe war der stattliche, strenge Euripides, der Tragöde.

Den Rücken der Gesellschaft zukehrend und im Sand zeichnend, in sich verschlossen, als arbeite er immer, stand Phidias da, er, der für Athen »die Götter geschaffen«.

Auf der Brunnenwanne sass ein Mann, der die Beine baumeln liess und seinen Mund in ständiger Bewegung hielt, als schliffe er seine Zunge zu Hieb und Gegenhieb; seine Stirn lag in Runzeln und war unter unfruchtbarer Gedankenarbeit verwelkt, die Augen lauerten wie die einer Schlange auf Raub. Das war der Sophist, der gewerbsmässige Raisonneur Protagoras, der für einige Feigen oder ein paar Obolen schwarz zu weiss machen konnte, in dieser glänzenden Gesellschaft aber geduldet wurde, weil er Rede und Antwort stand; er wurde dazu benutzt, das Gespräch am Leben zu erhalten, indem man ihn auf Sokrates hetzte, der ihn jedoch stets in seinem Garn fing.

Schliesslich kam der Erwartete. Es war das Oberhaupt des Staates, das König gewesen wäre, wenn nicht die Königswürde abgeschafft worden. Sein Äusseres war königlich, aber sein Auftreten ohne Leibwache war das eines Bürgers. Er herrschte auch nur durch seine persönlichen Eigenschaften: Klugheit, Willenskraft, Massigkeit, Besinnung.

Nach Begrüssungen, die andeuteten, dass man sich heute schon getroffen, denn man hatte zusammen auf dem Salamisfest die Befreiung vom Perser gefeiert, setzte sich die Gesellschaft auf das Halbrund aus Marmor, das Hemicyklion hiess.

Als alle ihre Plätze eingenommen hatten, die nach Herkommen einem jeden vorbehalten wurden, entstand ein Schweigen, das in diesem Kreis ungewöhnlich war; denn der pflegte sich bei Sonnenuntergang wie zu einer geistigen Mahlzeit zu versammeln, ohne Tisch und Becher, zu einer Art Seelensymposion, auf dem die Ausschweifungen nach Alkibiades nur geistig waren.

Alkibiades, der zweitjüngste, aber verwöhnt und aufdringlich, brach zuerst das Schweigen.

– Wir haben Salamis gefeiert, unsern Rettungstag vom Barbaren, dem Perserkönig, und wir sind müde, sehe ich.

– Nicht so müde, antwortete Perikles, dass wir den Geburtstag unseres Freundes Euripides vergessen, denn er sah bekanntlich den Tag, als die Sonne über der Schlacht von Salamis leuchtete.

– Er soll ein Trankopfer haben, wenn wir unter Dach kommen, zu Tisch und zu den Bechern, lenkte Alkibiades ab.

Der Sophist auf der Brunnenwanne hatte gerade so viel Garn bekommen, dass er mit dem Spinnen anfangen konnte:

– Wie wisst ihr, begann er, dass das Glück in der Freiheit vom Perserkönig liegt? Wie wisst ihr, dass Salamis ein Glückstag für Hellas war? Hat nicht unser grosser Aeschylos den Trauertag der Perser beklagt und mit Teilnahme geschildert?

Verhasst ist mir dein Name, Salamis:
Und seufzend denke ich an dich, Athen!

– Schäme dich, Sophist! unterbrach ihn Alkibiades.

Protagoras aber wetzte den Schnabel und fuhr fort:

Ich sage nicht, dass der Name Salamis verhasst ist, sondern Aeschylos sagt es, und ich bin bekanntlich nicht Aeschylos. Ich habe auch nicht behauptet, dass das Glück darin liegt, dem Perserkönig zu dienen. Ich habe nur gefragt, und wer fragt, behauptet nichts. Nicht wahr, Sokrates?

Der Meister fuhr mit den Fingern durch seinen langen Bart und antwortete:

– Es gibt direkte Behauptungen und indirekte; eine Frage kann eine indirekte und tückische Behauptung sein; Protagoras hat eine tückische Behauptung mit seiner Frage aufgestellt.

– Gut, Sokrates! schrie Alkibiades, der anfeuern wollte.

Perikles nahm das Wort:

– Protagoras hat also behauptet, ihr würdet glücklicher unter dem Perserkönig sein. Was soll man mit einem solchen Mann tun?

– Ihn rücklings in den Brunnen werfen, schrie Alkibiades.

– Ich lege Berufung ein! protestierte der Sophist.

– Beim Pöbel! Da bekommst du immer recht! schnitt Alkibiades ab.

– Man sagt nicht Pöbel, wenn man Demokrat ist, Alkibiades! Und man zitiert nicht Aeschylos, wenn Euripides anwesend ist. Wenn Phidias hier sitzt, spricht man lieber von seinem Parthenon und seiner Athene, deren Peplos jetzt von der sinkenden Sonne vergoldet wird. Höflichkeit ist die Würze des geselligen Lebens.

So suchte Perikles das Gespräch in ein neues Geleise zu führen, aber der Sophist liess es nicht zu:

– Wenn das Athenestandbild des Phidias sein Gold von der Sonne leihen muss, so kann das beweisen, dass das vom Staat bewilligte Gold nicht gereicht hat, und dass also ein Mangel entstanden ist. Nicht wahr, Sokrates?

Der Meister brachte mit seiner ausgestreckten Hand das Gemurmel des Unwillens zum Schweigen und sprach:

– Es müsste zuerst bewiesen werden, dass die Bildsäule des Phidias Gold von der Sonne leihen muss; da das aber unbewiesen ist, hat das Gerede vom Goldmangel keinen Sinn. Übrigens kann man nicht Gold von der Sonne leihen. Es ist also nur Geschwätz von Protagoras, und er verdient keine Antwort. Dagegen würde Phidias auf diese Frage antworten: Wenn du Athene dort oben auf dem Parthenon gemacht hast, hast du dann Athene gemacht?

– Ich habe ihr Bild gemacht! antwortete Phidias.

– Richtig! Du hast ihr Bild gemacht. Nach welchem Vorbild denn?

– Nach meinem innern.

– Also nicht nach einem äussern? Hast du die Göttin mit deinen Augen gesehen?

– Nicht mit meinen äusseren Augen.

– Existiert sie denn ausser dir oder in dir?

– Wenn niemand uns belauscht, würde ich antworten: sie ist nicht ausser mir, also ist sie überhaupt nicht da.

Perikles unterbrach ihn:

– Die Götter des Staates! Freunde nehmt euch in acht!

Aber Sokrates fuhr fort:

– Du, Phidias, hast auch Zeus von Olympia gemacht, also hat er dich nicht gemacht!

– Die Götter des Staates! Hütet euch, Freunde! warnte Perikles.

– Hilfe, Protagoras, Sokrates erwürgt mich! klagte Phidias.

– Zeus hat meines Wissens, antwortete der Sophist, den Menschen nicht erschaffen, sondern das hat Prometheus getan. Aber Zeus gab dem unvollkommenen Menschen zwei unvergängliche Gaben Schamhaftigkeit und Rechtsgefühl.

– Dann ist Protagoras nicht von Zeus erschaffen, denn ihm fehlt sowohl Schamhaftigkeit wie Rechtsgefühl.

Es war Alkibiades, der zurück gab. Jetzt aber ergriff der stille Tragöde Euripides das Wort.

– Erlaubt mir, sowohl über Zeus wie über Prometheus zu sprechen; und findet es nicht unhöflich, dass ich meinen grossen Lehrer Aeschylos anführe, wenn ich von den Göttern rede.

Aber Perikles unterbrach ihn:

– Wenn meine Augen mich nicht betrügen, sah ich eben ein paar Ohren hinter der Hermessäule hervorlugen, und diese Eselsohren können nur dem berühmten Gerber gehören.

– Kleon! fiel Alkibiades ein.

Aber Euripides nahm wieder das Wort:

– Was kümmert mich der Gerber, da ich mich nicht vor den Göttern des Staates fürchte? Diese Götter, deren Untergang unser Aeschylos längst geweissagt hat. Sagt nicht sein Prometheus, dass der Olympier von seinem Sohn gestürzt werden wird, dem Sohn, der von einer Jungfrau geboren wird? Sagt er das nicht, Sokrates?

– Gewiss: »Gebiert den Sohn, der stärker als der Vater ist«. Aber wer es sein wird, und wann er geboren wird, das erzählt er nicht.

– Nun, ich glaube, dass Zeus bereits in den letzten Zügen liegt.

Wieder war die warnende Stimme des Perikles zu hören:

– Die Götter des Staates! Still, Freunde! Kleon lauscht!

– Ich dagegen, fiel Alkibiades ein, ich glaube, dass Athen dem Tode nahe ist. Während wir Salamis feierten, haben die Spartaner sich erhoben und den Norden verheert: Megaris, Lokris, Böotien und Phokis stehen bereits auf Spartas Seite.

– Das sind bekannte Dinge, die du erzählst, wehrte Perikles ab, aber wir geniessen augenblicklich Waffenstillstand, und wir haben dreihundert Schiffe in See geschickt. Meinst du, Sokrates, dass eine Gefahr besteht?

– In die Angelegenheiten des Staates darf ich mich nicht mischen; ist aber Athen in Gefahr, dann nehme ich wie früher Schild und Lanze ...

– Als du mein Leben rettetest, bei Potidäa, fügte Alkibiades hinzu.

– Nein, da liegt die Gefahr nicht, fiel jetzt Euripides ein; nicht in Sparta liegt sie, sondern hier zu Hause. Die Demagogen haben den Sumpf aufgerührt, und darum haben wir die Pest auf der Agora und die Pest im Piräus.

– Die Pest im Piräus ist wohl die schlimmste, sagte Protagoras, nicht wahr, Alkibiades?

– Ja, denn dort habe ich meine besten Mädchen. Meine Flötenbläserinnen, die beim heutigen Gastmahl bedienen sollen, habe ich am Hafen. Aber beim Herakles, hier fürchtet doch niemand den Tod?

– Niemand fürchtet, niemand wünscht, antwortete Sokrates; hast du aber andere Mädchen, würde das die Freude erhöhen.

–Euripides liebt keine Mädchen, fiel Protagoras ein.

– Das lügst du, erwiderte Euripides. Ich liebe Mädchen, aber keine Frau.

– Ich auch nicht, doch die Frauen von andern! spitzte Alkibiades zu.

– Als Alkibiades jünger war, nahm er den Frauen die Männer fort, jetzt nimmt er den Männern die Frauen!

Perikles erhob sich.

– Gehen wir zum Gastmahl und suchen wir Wände um unser Gespräch, Wände ohne Ohren! Stütz mich, Phidias, ich bin müde!

Platon näherte sich Sokrates.

– Meister, lass mich deinen Mantel tragen, bat er.

– Das ist mein Ehrenamt, Junge, speiste ihn Alkibiades ab.

– Ists gewesen, wandte Sokrates ein; nun ist es Platons, des Breitschädels Amt. Merk dir den Namen! Er stammt von Kodros, dem letzten König, der sein Leben hingab, um sein Volk zu erlösen. Platon ist aus königlichem Geschlecht!

– Und Alkibiades ist aus Heldengeschlecht, Alkmeonide, wie sein Oheim Perikles: eine vornehme Gesellschaft!

– Aber Phidias ist aus göttlichem Geschlecht, das ist mehr.

– Ich bin wahrscheinlich aus titanischem Geschlecht, fiel Protagoras ein. Ich sage wahrscheinlich, denn man weiss überhaupt nichts, kaum das. Nicht wahr, Sokrates?

– Du weisst überhaupt nichts, kaum was du schwatzest!

Die Gesellschaft ging durch die heilige Strasse und begab sich zusammen nach dem Dionysostheater, in dessen Nähe Alkibiades wohnte.

 

Der Demagoge Kleon hatte wirklich ungesehen das Gespräch belauscht. Das hatte aber auch ein anderer Mann getan. Der hatte eine gelbe Haut und einen schwarzen Vollbart; schien der Handwerkerklasse anzugehören. Als die glänzende Gesellschaft sich entfernt hatte, trat Kleon vor, legte seine Hand auf die Schulter des Unbekannten und sagte:

– Du hast das Gespräch gehört?

– Gewiss, das habe ich, antwortete der.

– Dann kannst du zeugen.

– Ich kann nicht zeugen, weil ich Fremdling bin.

– Aber du hast doch gehört, wie man die Götter des Staates schmähte.

– Ich bin ein Syrer und kenne nur den einzigen wahren Gott. Eure Götter sind nicht meine.

– Du bist also ein Hebräer! Und heissest?

– Ich bin ein Israelit vom Stamm Levi und nenne mich jetzt Kartaphilos.

– Ein Phönicier also?

– Nein, ein Hebräer. Meine Vorväter kamen aus dem Land Ur in Chaldäa, gerieten dann in Knechtschaft in Egypten, wurden aber von Moses und Josua ins Land Kanaan geführt, wo wir mächtig waren unter eigenen Königen, David und Salomo.

– Kenne ich nicht!

– Vor zweihundert Jahren wurde unsere Stadt Hierosolyma von dem babylonischen Nebukadnezar zerstört, und unser Volk in die Gefangenschaft nach Babylon geführt. Als dann das babylonische Reich vom Perserkönig genommen wurde, gerieten wir unter persische Gewalt, und wir haben geseufzt unter den Nachkommen eures Xerxes von Salamis, den wir Ahasverus nannten.

– Eure Feinde, unsere Feinde! Also, Gastfreund, wie bist du hergekommen.

– Als der Assyrer uns das erstemal in Gefangenschaft führen wollte, flohen die, die fliehen konnten, und gingen nach Rhodos, Kreta, den griechischen Inseln; von denen aber, die bereits fortgeführt waren, wurden einige nordwärts nach Medien geschickt. Meine Väter kamen aus Medien hierher, und ich bin eben angekommen.

– Was du sagst, ist mir eine dunkle Rede, aber ich habe euer Volk preisen hören, weil es den Göttern des Staates treu sei.

– Gott! Es gibt nur einen, den Einzigen und Wahren, der Himmel und Erde geschaffen und unserm Volk die Verheissung gegeben hat.

– Welche Verheissung?

– Dass unser Geschlecht die Erde besitzen wird!

– Beim Herakles! Aber der Anfang ist nicht vielversprechend!

– So ist unser Glaube, und der hat uns aufrecht erhalten, während der Wüstenwanderung und der Gefangenschaft.

– Willst du gegen diese Gotteslästerer zeugen?

– Nein, Kleon, denn ihr seid Götzenverehrer, aber Sokrates und seine Freunde glauben nicht an eure Götzen, und das wird ihnen als Gerechtigkeit angerechnet werden. Ja, Sokrates schien mir eher den Ewigen, Unsichtbaren zu verehren, dessen Name man nicht nennen darf. Darum zeuge ich nicht gegen ihn.

– Bist du auf der Seite? Dann geh in Frieden, aber nimm dich in acht. Geh!

– Abrahams, Isaaks und Jakobs Gott wird mich behüten, so lange ich und mein Haus seine Rechte behüten!

Kleon hatte seinen Freund und Handwerksgenossen Anytos im Pfeilergang gesehen, und darum liess er den unbeugsamen Hebräer gehen, der geschwind nach der Sykomorenallee des Ölmarktes davon eilte und dort verschwand.

Anytos, der Gerber und Staatsmann, kam herbei, laut aus einer geschriebenen Rede lesend, die er halten wollte:

– Athen oder Sparta, das ist die ganze Streitfrage ...

Kleon näherte sich neugierig und unterbrach ihn:

– Was liest du, Anytos?

– Eine Rede.

– Das hörte ich! Athen oder Sparta. Volksherrschaft oder Schweinherrschaft! Das Volk, das Schwerste, das urbar machende, das hervorbringende, liegt zu unterst, auf dem Boden wie das Gold. Das Vieh, die Bummler, die Reichen, die Vornehmen, die Leichtesten schwimmen oben wie Späne und Korke. Athen, das ist die Volksherrschaft, ist es immer gewesen, wird es immer bleiben. Sparta, das ist die Schweinherrschaft!

– Alleinherrschaft meinst du, Kleon!

– Nein, Schwein! Darum, Anytos, ist Athen schlecht geleitet, da Perikles, der reiche Mann, der mit königlichen Ahnen prahlt, zur Herrschaft gekommen ist! Wie kann er mit diesem Volk mitfühlen, da er niemals dort unten gewesen ist? Wie kann er es von oben richtig sehen? Er sitzt auf dem Giebeldach des Parthenon und sieht die Athener als Ameisen, während sie Löwen sind, mit beschnittenen Klauen und ausgezogenen Zähnen. Wir, Anytos, dort unten geboren, bei Gerberrinde und Hundedreck erzogen, wir verstehen unsere schwitzenden Brüder, wir kennen sie am Geruch, so zu sagen. Aber gleich und gleich gesellt sich gern; deshalb fühlt Sparta sich zu Athen hingezogen, zu Perikles und seinem Anhang. Perikles saugt Sparta an sich, und wir gehen unter ...

Anytos, selbst Redner, liebte Beredsamkeit von fremden Lippen nicht, darum schnitt er Kleon schroff das Wort ab:

– Perikles ist krank.

– Ist er krank?

– Ja, er hat Hitze im Körper!

– Wirklich? Vielleicht die Pest?

– Vielleicht!

Dieser Einwurf von Anytos hatte Kleons langatmige Gedankengänge gekreuzt, und eine neue Hoffnung blitzte auf:

– Und nach Perikles? sagte er.

– Kleon, natürlich.

– Warum nicht? Der Mann des Volkes fürs Volk, aber keine Philosophen oder Schauspieler. So, Perikles ist krank. So, so? – Hör mal, Anytos, wer ist Nikias?

– Das ist ein Vornehmer, der an Orakel glaubt ...

– Rühr nicht an die Orakel! Ich glaube allerdings nicht an sie, aber ein Staat fordert für seinen Bestand eine bestimmte Gleichartigkeit in allem, in Gesetzen, Sitten und Religion. Darum halte ich auf die Götter des Staates – nebst Zubehör.

– Ich halte auch auf die Götter des Staates, solange das Volk darauf hält!

Die beiden Redner fingen an sich gegenseitig zu ermüden, und Kleon wollte in die Einsamkeit kommen, um die Eier auszubrüten, die Anytos ihm gelegt hatte. Darum warf er hin:

– Du sagst, Nikias ...

– Ich will baden gehen, unterbrach ihn Anytos, sonst bekomme ich keinen Nachtschlaf.

– Aber Alkibiades, wer ist das?

– Das ist der Verräter Ephialtes, der den Perserkönig nach den Thermopylen führen wird.

– Der Perserkönig im Osten, Sparta im Süden ...

– Mazedonien im Norden ...

– Und im Westen das neue Rom!

– In allen vier Himmelsstrichen Feinde! Wehe Athen!

– Wehe Hellas!

 

Die Gäste waren bei Alkibiades versammelt, der sich sofort bei der Ankunft entfernt hatte, in der löblichen Absicht, Flötenbläserinnen zu holen. Da der Abend warm war, hatte man in der Aula oder dem Hof gedeckt, der von korinthischen Pfeilergängen umgeben und von vielen Lampen, die zwischen den Pfeilern hingen, erleuchtet war.

Eine leichte Abendmahlzeit war eingenommen, die Efeukränze ausgeteilt und die Becher vorgesetzt.

Aspasia, die einzige Frau, hatte den Ehrenplatz neben Perikles inne. Sie war zuerst gekommen, von ihren Sklavinnen begleitet, und sie wartete ungeduldig, dass die Rednerkämpfe beginnen würden. Aber Perikles war finster und müde. Sokrates lag still auf seinem Rücken und schaute zu den Sternen empor. Euripides kaute an einem Holzsplitter und war sauer. Phidias knetete Brotkugeln, die unter seiner Hand Tierformen annahmen. Protagoras flüsterte mit Platon, der sich mit einer kleidsamen jugendlichen Schüchternheit im Hintergrund hielt.

Ganz unten aber am Tisch sass das Skelett, das einen Kranz von Rosen um die weisse Stirn bekommen hatte. Um das Unheimliche in der Anwesenheit des ungebetenen Gasts zu verwischen, hatte Alkibiades ihm eine Zwiebel zwischen die Vorderzähne gesteckt und eine Asphodeloslilie in die eine Hand gegeben, an der das Skelett zu riechen schien.

Als das Schweigen schliesslich drückend wurde, riss Perikles sich aus seiner Lässigkeit und eröffnete das Gespräch.

– Ich möchte, begann er, in aller Eintracht und ohne Streit zu erregen, die oft aufgeworfene Frage vom angeblichen Frauenhass des Euripides zur Erörterung stellen. Was sagst du, Protagoras?

– Unser Freund Euripides ist dreimal verheiratet gewesen und hat jedesmal Kinder gehabt. Er kann also nicht Weiberhasser sein. Nicht wahr, Sokrates?

– Euripides, antwortete Sokrates, liebt Aspasia wie wir alle, und kann darum nicht Frauenhasser sein. Er liebt, mit Zustimmung des Perikles, Aspasias Seelenschönheit, ist also nicht Frauenhasser. Über Aspasias Körper ist nicht viel Gutes zu sagen, und der geht uns auch nichts an! Ist Aspasia schön, Phidias?

– Aspasia ist nicht schön, aber ihre Seele ist schön und gut. Nicht wahr, Perikles?

– Aspasia ist meine Freundin und die Mutter unseres Kindes; Aspasia ist eine weise Frau, denn sie besitzt Schamhaftigkeit und Rechtsgefühl, Selbsterkenntnis und Besinnung; Aspasia ist klug, denn sie schweigt, wenn weise Männer sprechen. Aber Aspasia kann weise Männer dazu bringen, weise zu sprechen, wenn sie ihnen zuhört; denn sie hilft ihnen, Gedanken zu gebären, nicht wie die Hebamme Sokrates, der die Leibesfrucht nur herauszieht, sondern sie gibt deren Seelen von ihrem Fleisch ...

Protagoras fuhr fort:

– Aspasia ist wie unser aller Mutter Kybele; sie trägt uns an ihrem Busen.

– Aspasia ist die Tonleiter der Zither, ohne die unsere Saiten nicht klingen, fügte Phidias hinzu.

– Aspasia ist unser aller Mutter, begann Sokrates wieder, aber sie ist auch die Amme, die unsere neugeborenen Gedanken wäscht und sie in schöne Schleier hüllt. Aspasia empfängt unsere unreinen Kinder und gibt sie uns gereinigt zurück. Sie gibt nichts, aber dadurch, dass sie empfängt, gibt sie dem Geber Gelegenheit zu geben.

Euripides nahm die Frage, die man hatte fallen gelassen, wieder auf:

– Ich war angeklagt und bin freigesprochen, nicht war, Aspasia?

– Wenn du dich selber von der Anklage frei machen kannst, bist du freigesprochen, Euripides.

– Klage, liebste Klägerin, ich werde antworten!

– Mit deinen eignen Worten bringe ich die Klage vor. Hippolytos sagt an einer Stelle deiner Tragödie gleichen Namens:

Warum hast du, o Zeus, das Weib, dies falsch Gezücht,
den Auswurf, hier im Sonnenlichte wohnen lassen?
Denn wenn du Menschen schaffen wolltest, brauchten sie
ja keineswegs dem Schoss des Weibes zu entstammen;
in deinen Heiligtümern könnten Männer ja
darbringen Kupfer, Silber oder Gold, und so
sich kaufen Kindersamen, jeder nach dem Wert
des Dargebrachten. Dadurch würden sie daheim
als freie Männer hausen können, ohne Weib.
Doch jetzt, sobald wir dieses Ungemach
ins Haus uns bringen, ist das Glück und Geld dahin.
Wie bös und schlimm das Weib ist, kann man daraus sehn,
dass selbst der Vater, der sie doch erzeugt, ihr gern
die Mitgift schenkt, nur um die Böse los zu sein.

– Nun verteidige dich, Euripides.

– Wenn ich Sophist wäre, wie Protagoras, antwortete ich: Das hat Hippolytos gesagt, nicht ich. Aber ich bin Dichter und spreche durch meine Kinder. Also: ich habe es gesagt, ich habe es gemeint, als ich es schrieb; ich meine es noch! Und dennoch, ich liebe fast immer ein Weib, obgleich ich ihr Geschlecht hasse. Erklären kann ich es nicht, denn ich war niemals pervers wie Alkibiades. Kannst du es erklären, Sokrates?

– Ja! Man kann ein Weib lieben und es gleichzeitig hassen. Alles wird geboren von seinem Gegensatz, Liebe von Hass, Hass von Liebe. Bei meiner Gattin liebe ich das gute Mütterliche, aber ich hasse das Urböse an ihr; also kann ich sie gleichzeitig lieben und hassen. Nicht wahr, Protagoras?

– Jetzt ist Sokrates Sophist! Schwarz kann nicht weiss sein.

– Jetzt ist Protagoras einfältig. Dieses Salz hier im Fass ist weiss, aber lösch die Lampen, so ist es schwarz! Das Salz ist also nicht absolut weiss, sondern seine Weisse hängt vom Licht ab. Ich möchte eher glauben, das Salz ist an sich schwarz, denn die Abwesenheit von Licht ist Dunkel, und Dunkel ist nichts für sich, gibt nichts von sich ans Salz, das also im Dunkel eher etwas für sich ist, seine wahre Natur, folglich schwarz ist! – Aber ein Ding kann im Licht sowohl schwarz wie weiss sein. Dieser Meeresaal ist oben schwarz, aber unten weiss. Ebenso kann etwas sowohl gut wie böse sein. Also hat Euripides recht, wenn er sagt, dass er das Weib sowohl liebt wie hasst. Nun ist der, der das Weib nur hasst, ein Weiberhasser, aber Euripides liebt ja auch das Weib. Folglich ist Euripides nicht Weiberhasser. Was meinst du, Aspasia?

– Weiser Sokrates! Du gestehst ein, dass Euripides das Weib hasst, also ist er doch Weiberhasser.

– Nein, mein schönes Kind, ich gestand ein, dass Euripides das Weib sowohl liebt als hasst; sowohl, merk dir das genau. Ich liebe Alkibiades, verabscheue aber und hasse seine Charakterlosigkeit; nun frage ich die Freunde hier: Bin ich Alkibiadeshasser?

– Nein, keineswegs! antwortete der Chor.

Aber Aspasia war gereizt und wollte wieder reizen:

– Du weiser Sokrates, wie stehst du mit deiner Gattin?

– Der Weise spricht nicht gern von seiner Frau!

Protagoras hieb ein:

– Ebenso ungern wie von seiner Schwäche.

– Du hast es gesagt! Man opfert der Erde, aber ungern; man bindet sich, aber ohne Vergnügen; man erträgt, aber liebt nicht; man tut dem Staat seine Pflicht, aber schwer. Es gibt nur eine Aspasia, das ist die des Perikles. Das grösste Weib dem grössten Mann. Perikles ist der grösste im Staat, wie Euripides auf der Bühne.

Protagoras fand, ohne zu suchen:

– Ist Euripides grösser als Aeschylos und Sophokles?

– Gewiss, Protagoras! Er ist uns näher; er sagt unsere Gedanken und nicht die der Väter; er kriecht nicht vor den Göttern und dem Schicksal, er kämpft gegen sie; er liebt die Menschen, kennt sie und beklagt sie; seine Kunst ist kunstreicher, seine Gefühle wärmer, seine Bilder lebendiger als die der Alten. Jetzt aber möchte ich von Perikles sprechen!

– Halt, Sokrates! In der Pnyx und auf der Agora, aber nicht hier! Wohl könnte ich ein gutes Wort der Aufmunterung gebrauchen, da falsche Anklagen hageln. Wir sind hergekommen, um zu vergessen, nicht uns zu erinnern, und Sokrates erfreut uns am meisten, wenn er von den höchsten Dingen spricht, zu denen ich den athenischen Staat nicht zähle. – Jetzt kommt Alkibiades mit Gefolge. Zündet mehr Lichter an, Burschen; und Eis in die Kannen!

Im Torweg war Lärm zu hören; der Hund bellte, der Türhüter schrie, und herein zog Alkibiades mit Gefolge.

Er war herrlich anzuschauen in seiner Umgebung, die ausser den Mädchen aus zwei unbekannten Männern bestand, die er in einem Weinhaus aufgefischt hatte.

– Papaja! grüsste er. Hier ist der Wirt! Und hier ist Aristophanes, ein künftiger Schauspieler. Hier ist der Römer Lucillus, der als früherer Decemvir in die Verbannung gegangen ist. Er hat die Geschichte der Virginia mitgemacht. Ihr wisst, eine Jungfrau, die gegen ihren Willen einen Mann kriegte. Die Römer haben nämlich Jungfrauen; die haben wir nicht! Nicht wahr, Lais! Dies ist eine von den vielen Lais, die Phidias gesessen haben! Aspasia darf es nicht übel nehmen! Und das sind Flötenbläserinnen vom Piräus. Ob sie die Pest haben, weiss ich nicht! Was kann sie mir tun? Ich bin zwanzig Jahre alt und habe noch nichts ausgerichtet. Warum also leben! Jetzt wird Lais tanzen! Papaja!

Euripides erhob sich und winkte Schweigen:

– Warte mit dem Tanz, Perikles ist nicht ergötzt und sieht ernst aus.

Eine Pause entstand. Die Hitze war drückend und beklemmend. Es war keine Gewitterluft, aber etwas ähnliches, und die Gemüter aller schienen von einem unruhevollen Warten ergriffen zu sein.

Da fiel, wie von ungefähr, der Arm des Skeletts mit einem leisen Knacks aufs Knie nieder. Die Blume, die es unter der Nase gehalten hatte, lag auf der Erde.

Alle fuhren zusammen, auch Alkibiades, aber auf sich selber zornig über diese Schwäche, nahm er einen Becher und trat vor:

– Das Skelett ist durstig! Ich trinke ihm zu! Wer tut mir Bescheid? Sokrates kanns am besten; er trinkt eine halbe Kanne in einem Zug aus, ohne zu blinzeln.

Sokrates war ja dafür bekannt, dass er unbegrenzt trinken konnte, jetzt hatte er aber keine Lust:

– Nicht heute! Der Wein ist mir bitter!

Und sich an Perikles wendend, flüsterte er:

– Böse Augen sind hierher gekommen! Dieser Aristophanes ist nicht unser Freund! Kennst du ihn?

– Sehr wenig! Aber er sieht aus, als wolle er uns ermorden.

Alkibiades fuhr fort, das Skelett anzureden:

– So sieht Athen in diesem Augenblick aus! Das Fleisch haben Sparta und der Perserkönig abgenagt; die Haut hat Kleon gegerbt; die Augen haben die Bundesgenossen ausgerissen; die Zähne haben die Mitbürger ausgezogen; diese Mitbürger, die Aristophanes kennt und die er bald abzeichnen wird. Meinen Becher, Skelett! Polla metaxy, pelei, kylikos kai cheileos akru!

Jetzt änderte sich plötzlich die Szene. Das Skelett sank nach rückwärts nieder wie ein berauschter Mann; die Lampen begannen an ihren Ketten zu schaukeln, das Salzfass ergoss sich über den Tisch ...

– Ohioh! Ohioh! schrie Alkibiades. Tralall! Ha ha ha! Der Tisch wackelt, das Sofa schwankt: bin ich berauscht oder ist das Zimmer berauscht?

Alle waren entsetzt, aber Sokrates gebot Ruhe:

– Ein Gott ist nahe! Still! Der Boden schwankt, und ich höre ... Donnert es? Nein! Das ist ein Erdbeben!

Alle stürzten in die Höhe, aber Sokrates fuhr fort.

– Beruhigt euch! Es ist jetzt vorüber! –

Und nachdem alle ihre Plätze wieder eingenommen hatten:

– Ich war fünf Jahre alt, als Sparta von einem Erdbeben heimgesucht wurde, zwanzigtausend Menschen umkamen und nur sechs Häuser stehen blieben. Das war Sparta! Jetzt ist es Athen. Ja, Freunde, eine Stimme sagt mir: ehe ein Mann das Alter erreicht, sind wir wie Vögel abgeschossen!

Wieder bellte der Hund und schrie der Türhüter. Herein trat ein Ungeladener, der erregt aussah.

– Nikias, grüsste Alkibiades. Jetzt werde ich nüchtern; der bedächtige Nikias kommt zum Gastmahl: was ist denn los?

– Erlaubt einem ungeladenen Gast ...

– Nikias spreche!

– Perikles, begann der Neuangekommene zögernd, dein Freund, unser Freund, die Ehre von Athen und Hellas, Phidias ist angeklagt ...

– Halt, still!

– Angeklagt – o Schande und Schmach – ich kann es nicht sagen, ohne zu weinen ...

– Sag es!

– Phidias ist angeklagt, vom Athenestandbild Gold unterschlagen zu haben.

Das Schweigen, das jetzt entstand, wurde zuerst von Perikles gebrochen:

– Phidias verbirgt sein Antlitz im Mantel, er schämt sich für Athen. Doch lasst uns bei Göttern und Unterwelt auf Phidias Unschuld schwören.

– Wir schwören! riefen alle wie ein Mann.

– Ich schwöre auch! sagte Nikias.

– Athen ist entehrt, wenn man erst schwören muss, dass Phidias nicht gestohlen.

Nikias war an Perikles herangetreten, und sich vor Aspasia verbeugend, flüsterte er:

– Perikles, dein Sohn Paralos ist krank.

– An der Pest? Folg mir, Aspasia.

– Es ist nicht mein Sohn, aber es ist deiner, darum folge ich dir.

– Das Haus stürzt, die Freunde scheiden, alles Schöne vergeht, das Hässliche besteht.

– Und die Götter schlafen!

– Oder sind ausgewandert!

– Oder sind tot! Lasst uns neue machen.

Ein Erdstoss löschte die Lampen, und alle begaben sich hinaus auf die Strasse, ausser Sokrates und Alkibiades.

– Phidias des Diebstahls angeklagt! Mag die Welt einstürzen! sagte Sokrates und versank wie gewöhnlich in eine Geistesabwesenheit, die Schlaf glich.

Alkibiades nahm einen Doppelbecher von den grössten, umhüllte ihn und improvisierte:

Mag alles stürzen ein vom Pindos bis zum Kaukasus,
Dann wird Prometheus frei und schenkt dann wieder Feuer
erfrornen Menschen,
und Zeus zum Hades steigt, verkauft sich Pallas
an geile Jünglinge.
Die Leier schlägt Apoll entzwei
und flickt nun Schuh.
Sein Schlachtross lässt dann Ares laufen
und hütet Schaf.
Und auf den Trümmern aller ird'scher Herrlichkeit
steht Alkibiades allein
im Vollgefühle seines Allmacht-Ichs
und lacht!

 

Die Pest war in Athen ausgebrochen und Erdbeben war hinzugekommen.

Als Perikles in Aspasias Gesellschaft sein Haus erreichte, war sein Sohn von der geschiedenen Gattin tot.

Nach herrschender Sitte und um zu zeigen, dass er nicht ermordet worden, war die Leiche im Torweg ausgestellt. Ein kleiner Sarg aus Zedernholz, rot und schwarz angestrichen, stand auf einer Bahre und zeigte den Toten in weissem Totenkleide. Der Knabe hatte einen Kranz auf dem Kopf, der aus dem Kraut des Todes gewunden war, dem stark duftenden Apium oder der Sellerie; im Mund hatte er den Obolos, das Fährgeld für Charon.

Perikles sprach leise ein Gebet, ohne tiefere Trauer zu zeigen, denn er hatte viel durchgemacht und leiden gelernt:

– Zwei Söhne haben die Götter mir genommen. Sind es genug Sühnopfer?

– Was hast du zu sühnen? fragte Aspasia.

– Der eine muss für den andern leiden. Der einzelne für den Staat. Perikles hat für Athen gelitten.

– Verzeih, dass meine Tränen schneller trocknen als deine. Der Gedanke, dass unser Sohn lebt, gibt mir Trost.

– Mir auch, aber geringeren.

– Soll ich gehen, ehe deine Frau kommt?

– Du sollst mich nicht verlassen, denn ich bin krank.

– Du hast lange davon gesprochen; ist es ernst?

– Meine Seele ist krank. Wenn der Staat leidet, bin ich krank ... Da kommt die Mutter des Toten!

Ein schwarzgekleidetes Weib erschien in der Tür; sie trug einen Schleier, um zu verbergen, dass das Haar abgeschnitten war; hatte einen Kranz in der Hand, und es folgte ihr ein Sklave mit einer Fackel.

Sie bemerkte Aspasias Anwesenheit nicht sofort, begrüsste mit einem Blick ihren frühern Gatten und legte den Kranz dem Toten zu Füssen:

– Ich bringe bloss einen Totenkranz für meinen Sohn. Aber statt des Obolos soll er einen Kuss von den Lippen seiner Mutter mitbringen.

Sie warf sich über ihn und küsste den Toten.

– Nimm dich vor dem Toten in acht! sagte Perikles und ergriff ihren Arm; er starb an der Pest.

– Mein Leben war nur ein langsamer Tod; ein schneller ist mir lieber.

Jetzt bemerkte sie Aspasia, und sich aufrichtend, sagte sie mit Ruhe und Würde:

– Sag deiner Freundin, dass sie geht.

– Sie geht, und ich folge ihr.

– So ist es recht! Denn jetzt, mein Perikles, ist das letzte Band, das uns zusammenhielt, gelöst! Lebwohl!

– Lebwohl, mein Weib!

Und zu Aspasia gewandt, sagte er:

– Gib mir deine Hand, meine Gattin!

– Hier meine Hand!

Die trauernde Mutter verzog:

– Wir treffen uns alle einmal, nicht wahr! Und dann als Freunde, du, sie und er, der vorausgegangen, um den Herzen, die von den engen Gesetzen des Lebens getrennt werden, Wohnung zu bereiten.

 

Perikles und Sokrates wanderten in der Platanenallee unterhalb des Hemicyklion umher und sprachen mit einander.

– Phidias ist vom Diebstahl freigesprochen, aber als Lästerer der Götter des Staates verhaftet.

– Verhaftet? Phidias!

– Man behauptet, er habe in Athenens Schild mich und sich selber abgebildet.

– Das ist das Volk, das alles Grosse hasst. Anaxagoras in Verbannung, weil er zu weise war; Aristides in Verbannung, weil er allzu gerecht war; Themistokles, Pausanias ... Was hast du gemacht, Perikles, als du dem Volk die Macht gabst?

– Was Gesetz und Recht war! Ich falle allerdings durch mein eigenes Schwert, aber in Ehre. Ich gehe umher und sterbe, Stück für Stück, wie Athen. Wussten wir, dass wir unser Standbild zum Leichenzug schmückten? Dass es unser Totenkleid war? Wussten wir, dass es Begräbnislieder waren, die unsere Tragöden sangen?

– Athen stirbt, jawohl. Aber woran?

– An Sparta!

– Was ist Sparta?

– Das ist Herakles, die Keule, die Löwenhaut, die rohe Kraft. Wir Athener sind die Söhne des Theseus gegenüber den Herakliden, Doriern und Joniern! Athen stirbt an Sparta, aber Hellas stirbt an Selbstmord.

– Ich glaube, die Götter haben uns verlassen.

– Das ist mein Glaube auch, aber das Göttliche lebt.

– Da kommt Nikias, der Unglücksbote!

Nikias kam wirklich, und als er die Frage in den Gesichtern und Blicken der beiden Wanderer sah, antwortete er ungefragt:

– Von der Agora!

– Was Neues von der Agora?

– Die Volksversammlung sucht Hilfe beim Mazedonier.

– Warum nicht beim Perser? Gut, dann ist das Ende nahe. Suchen sie Hilfe beim Feind? Beim Barbaren, dem Mazedonier, der über uns liegt wie ein Löwe auf dem Berg. Geh, Nikias, und sag, Perikles liege im Sterben. Und bitte sie, den Würdigsten zu seinem Nachfolger zu wählen! Nicht den Unwürdigsten! Geh, Nikias, aber geh schnell!

– Ich gehe, sagte Nikias, aber nach einem Arzt! Und er ging.

– Mich heilt kein Arzt! antwortete Perikles mit matter Stimme, als spreche er nach innen.

Ersetzte sich auf seinen alten Platz im Hemicyklion.

Als er eine Weile geruht hatte, machte er Sokrates ein Zeichen, dass er sich ihm nähern möge, denn er wollte nicht die Stimme erheben.

– Sokrates, mein Freund, begann er; dies ist der Abschied eines Sterbenden. Du warst der Weiseste; aber, nimm es nicht übel auf, sei nicht zu weise; such nicht das Unerreichbare, und verwirre die Geister nicht mit Spitzfindigkeiten; mache das Einfache nicht doppelt. Du willst die Dinge mit beiden Augen sehen; wer aber mit dem Bogen zielt, muss das eine Auge schliessen, sonst sieht er das Ziel doppelt. Du bist nicht Sophist, kannst es aber leicht scheinen; du bist nicht Wüstling, gehst aber mit Wüstlingen um; du hassest deine Stadt und dein Land, mit Recht, aber du sollst sie lieben bis in den Tod, denn das ist deine Pflicht; du verachtest das Volk, aber du sollst es beklagen. Ich habe die Plebs nicht bewundert, aber ich habe ihr Gesetz und Recht gegeben; darum sterbe ich!

– Gute Nacht, Sokrates! Jetzt ist es dunkel vor meinen Augen. Du sollst sie schliessen und mir den Kranz geben. Jetzt schlafe ich ein. Wenn ich erwache, wenn ich erwache, dann bin ich auf der andern Seite, und dann werde ich dir einen Gruss senden, wenn es die Götter erlauben. Gute Nacht!

– Perikles ist tot. Hört es, Athener, und weint, wie ich!

Das Volk strömte hinzu, aber es weinte nicht. Sie wunderten sich nur, was jetzt kommen würde, und sie freuten sich beinahe auf das Neue.

 

Kleon, der Gerber, stand im Rednerstuhl in der Pnyx. Unter den aufmerksamsten Zuhörern war Alkibiades, Anytos und Nikias zu sehen.

Kleon sprach:

– Perikles ist tot und Perikles ist begraben; jetzt wisst ihrs! Lasst ihn in Frieden ruhen mit seinen Verdiensten und Fehlern, denn der Feind steht in Sphakteria, und wir müssen einen Feldherrn haben; dazu kann Perikles' Schatten nichts machen. Hier hinten sitzen zwei Spekulanten, vornehme Herren alle beide; der eine heisst Nikias, weil er niemals gesiegt hat; der andere heisst Alkibiades, und seine Siege kennen wir: Becher und Mädchen. Seinen Charakter kennen wir dagegen nicht, aber ihr werdet ihn einmal kennen lernen, Athener, und er wird selbst die Vorderzähne zeigen. Hier ist zum Feldherrn vorgeschlagen der und der und der; eigentümlich genug, alle grosse Herren und alle vornehm, natürlich. Athen, das alle Könige und ihresgleichen abgeschworen hat, muss sich nun mit dem königlichen Sparta schlagen, und hat seinen Überlieferungen getreu sich im Feld unter einem Mann des Volks zu zeigen, auf den ihr euch verlassen könnt. Wir brauchen keinen Perikles, der Bildsäulen bestellt und Tempel baut zu Ruhm und Ehre: Athen hat genug von solchem Krimskrams! Jetzt aber müssten wir einen Mann haben, der die Kriegskunst versteht, ein Herz in der Brust und einen Kopf auf den Schultern hat. Wen wünscht ihr, Männer von Athen?

Alkibiades sprang auf wie ein junger Löwe und ergriff ohne Umschweife das Wort:

– Männer von Athen, ich schlage den Gerber Kleon vor, nicht weil er Gerber ist, denn das ist etwas anderes. Allerdings kann das Heer einer Ochsenhaut gleich erscheinen und Kleon mit einem Messer verglichen werden; aber Kleon hat andere Eigenschaften, nämlich gerade die des Feldherrn. Sein letzter Feldzug gegen Perikles und Phidias schloss ja mit einem Triumph für Kleon. Er hat einen Mut an den Tag gelegt, der nie versagte, und einen Verstand, der über – allen menschlichen Verstand ging. Seine Strategie war allerdings nicht die eines Löwen, aber er siegte, und das ist die Hauptsache. Ich schlage Kleon zum Leiter des Feldzugs vor.

Hier trat nun der Fall ein, dass die grobe Ironie doch noch zu fein war, und dass das Volk sie für Ernst hielt. Alkibiades genoss auch ein gewisses Ansehen wegen seiner Verwandtschaft mit Perikles, und man lauschte gern auf seine Worte. Deshalb rief nun die ganze Volksversammlung Kleon aus, und er war gewählt.

Aber Kleon hatte niemals von einer Feldherrnehre geträumt, und er war klug genug, nicht höher zu streben als er reichte. Darum protestierte er gegen die Wahl, indem er schrie und bei allen Göttern schwur.

Alkibiades aber ergriff sofort die Gelegenheit bei der Kehle, und einsehend, dass diese Wahl Kleons Tod sei, bestieg er einen freien Rednerstuhl und sprach mit Nachdruck:

– Kleon scherzt und Kleon ist schüchtern; er weiss selbst nicht, was für ein Feldherr er ist, denn er hat sich nicht erprobt; aber ich weiss, wer er ist; ich bestehe auf seine Wahl; ich fordere, dass er seine bürgerliche Pflicht erfüllt; und ich lade ihn vor den Areopag, wenn er sich drücken will, wo das Vaterland in Gefahr ist.

– Kleon ist gewählt! schrie das Volk.

Aber Kleon protestierte noch:

– Ich kenne nicht den Unterschied zwischen einem Hopliten und einem Peltasten; ich kann keine Lanze führen, nicht auf einem Pferd sitzen ...

Alkibiades aber überstimmte ihn:

– Er kann alles: den Staat lenken und Kunst beurteilen, Prozesse führen und Sophisten belauern; er kann mit Sokrates die höchsten Dinge erörtern; mit einem Wort, er besitzt alle öffentlichen Tugenden und alle geheimen Laster.

Jetzt lachte das Volk, aber Kleon sass fest.

– Athener, beendete Alkibiades die Versammlung, das Volk hat gesprochen, und eine Berufung gibt es nicht. Kleon ist gewählt! Jetzt ist Sparta verloren!

Die Versammlung löste sich auf. Nur Kleon nebst seinem Freund Anytos blieb zurück.

– Anytos, sagte er, ich bin verloren.

– Wahrscheinlich! antwortete Anytos.

Alkibiades aber zog mit Nikias ab.

– Jetzt ist Kleon tot wie ein Hund. Dann komme ich! sagte Alkibiades.

 

Sokrates ging sinnend zu Hause auf seinem Hof, der sehr einfach war und keine Pfeilergänge hatte, auf und ab. Seine Frau kämmte Wolle, und es sah aus, als zause sie jemanden.

Der Weise schwieg, aber die Frau sprach; das war ihre Natur.

– Was tust du? sagte sie.

– Alter Bekanntschaft wegen will ich dir antworten, obgleich ich nicht verpflichtet bin, dir zu antworten. Ich denke!

– Ist das eine Beschäftigung für einen Mann?

– Gewiss eine höchst männliche Beschäftigung.

– Es ist wenigstens nicht zu sehen, was du tust.

– Als du ein Kind trugst, war es auch nicht zu sehen; als es aber geboren war, war es zu sehen, und vor allem zu hören. Also können Beschäftigungen, die anfangs nicht zu sehen sind, später sichtbar werden; sind mithin nicht zu verachten, am wenigsten von denen, die nur an das Sichtbare glauben.

– Ist es so etwas, mit dem ihr euch bei Aspasia beschäftigt?

– So etwas und anderes mehr.

– Ihr trinkt auch scharf?

– Ja, wer spricht, wird durstig im Hals, und der Durstige muss trinken.

– Was lockt an Aspasia die Männer an?

– Das sind gewisse Eigenschaften, welche die Blüte des Zusammenlebens bilden; das ist Rücksicht, Geschmack, Massigkeit.

– Das war für mich?

– Das war für Aspasia.

– Ist sie schön?

– Nein.

– Anytos behauptet es.

– Er spricht die Unwahrheit. Siehst du Anytos, Kleons Freund, meinen Feind?

– Er ist nicht mein Feind.

– Aber meiner! Du liebst immer meine Feinde, und hassest meine Freunde; das ist ein schlechtes Zeichen.

– Deine Freunde sind schlechte Menschen.

– Nein, im Gegenteil. Perikles war der Grösste, Phidias der Beste, Euripides der Edelste, Platon der Klügste, Alkibiades der Begabteste, Protagoras der Schärfste.

– Und Aristophanes?

– Das ist mein Feind, obgleich ich nicht weiss warum. Ich vermute, du hast von der Komödie gehört, die er über mich geschrieben hat.

– Anytos hat sie mir erzählt. Hast du sie gesehen?

– Ich habe die »Wolken« gestern gesehen.

– War es lustig, war es witzig?

– Was meinte Anytos?

– Er brachte mich zum Lachen, als er mir einige Szenen gab ...

– Dann muss es lustig sein, denn sonst hättest du nicht gelacht.

– Hast du nicht gelacht, mein Sokrates?

– Doch, natürlich, sonst hätte man mich für einen Dummkopf gehalten. Du weisst, dass er mich als einen Schurken und Narren geschildert hat. Da ich keins von beiden bin, so war es ja nicht Ernst, also war es Scherz.

– Glaubst du? Ich glaube, es war Ernst.

– Und du lachst über den Ernst? Weinst du denn über den Scherz? Dann wärst du ja von Sinnen.

– Meinst du, ich bin verrückt?

– Ja, wenn du meinst, dass ich ein Schurke bin.

– Du weisst, dass Kleon im Feld ist.

– Ich habe es zu meiner Verwunderung gehört.

– Verwunderung? Du glaubst also, dass er im Feld untauglich ist?

– Nein, ich glaube nichts von seiner Tauglichkeit als Feldherr, denn ich habe ihn niemals im Feld gesehen. Ich bin aber verwundert über seine Wahl, wie er selber, weil sie unerwartet war.

– Du erwartest also seine Niederlage?

– Nein, ich warte auf den Ausgang, um zu sehen, ob er gewinnt oder verliert?

– Es würde dich freuen, wenn er verliert?

– Ich liebe Kleon nicht, aber ich würde als geborener Athener über seine Niederlage trauern, mich also nicht über Kleons Untergang freuen.

– Du hassest Kleon, wünschest aber nicht seinen Untergang?

– Athens wegen, nein.

– Aber sonst?

– Sonst wäre Kleons Untergang ein Segen für den Staat, denn er ist unrecht gegen Perikles gewesen, gegen Phidias, gegen alle, die etwas Grosses ausgerichtet haben.

– Da kommt Besuch.

– Das ist Alkibiades!

– Der Elende! Dass du dich nicht schämst, mit ihm zu verkehren.

– Es ist ein Mensch, grosse Fehler, grosse Verdienste, und er ist mein Freund. Mit meinen Feinden verkehre ich ungern.

Alkibiades klopfte wirklich an die Tür und stürmte herein:

– Papaja! Die Gatten philosophieren zusammen; sprechen von der gestrigen Komödie. Ein Esel dieser Aristophanes! Will man einen Feind tot schlagen, so muss man treffen; Aristophanes aber schlägt in die Wolken. Treffen, ja! Wisst ihr, dass Kleon geschlagen ist?

– Welches Unglück! rief Sokrates aus.

– Ist es ein Unglück, dass der Hund entlarvt wird?

– Ich glaube, Alkibiades ist schlecht unterrichtet, fiel jetzt Xantippe ein.

– Nein, beim Zeus, aber ich wünschte, ich wäre es!

– Still! Anytos kommt! warnte Sokrates.

– Der Gerber Nummer zwei. Es ist eigentümlich, dass Athens Schicksal von Gerbern bereitet wird.

– Athens Schicksal, wer kennt es?

– Ich, Alkibiades, bin Athens Schicksal!

– Hybris! Hüte dich vor den Göttern!

– Nach Kleon komme ich; Kleon ist nicht mehr, also bin ich!

– Jetzt ist – Anytos hier!

Anytos kam:

– Ich suche Alkibiades!

– Hier bin ich!

– Muss ich dich vorbereiten ...

– Nein, ich weiss ...

– Vorbereiten auf die Ehre ...

– Habe ich lange genug gewartet?

– Dass du an der Spitze gehst ...

– Dazu bin ich geboren ...

– Die Führung nimmst ...

– Das ist mein Platz ...

– Und den Triumphzug leitest ...

– Was für einen Zug?

– Ach so! Du hast nicht gewusst ... Kleons Triumphzug vom Hafen ...

Alkibiades fuhr mit der Hand übers Gesicht von oben nach unten, als wolle er die Maske wechseln, und das war in einem Augenblick geschehen!

– Ja gewiss, gewiss, gewiss. Ich bin ja eben hergekommen, um – seinen Sieg zu verkünden.

– Er lügt, fiel Xantippe ein.

– Ich habe mit den Gatten gescherzt! Also Triumph für den Sieger Kleon. – Solch ein Glück!

– Sokrates, presste jetzt Anytos, freust du dich nicht?

– Ich freue mich, dass der Feind geschlagen ist.

– Aber nicht, dass Kleon gesiegt hat?

– Das ist ja beinahe dasselbe.

Xantippe benutzte die Gelegenheit und hieb ein:

– Er freut sich nicht und er glaubte nicht an Kleon.

– Ich kenne euch, beendigte Anytos das Gespräch, ich kenne euch, Philosophen und Wortreiter. Aber hütet euch! – Und nun Alkibiades, komm und empfang den verachteten Kleon, der das Vaterland gerettet hat!

Alkibiades schüttelte Sokrates die Hand und sagte ihm ins Ohr:

– Was für ein verfluchtes Glück! – Also! noch nicht; aber das nächste Mal!


Kartaphilos, der Schuhmacher, sass in seinem Laden am Acharnanischen Tor und besserte Kothurne aus für das Dionysostheater, das einen letzten Versuch machen wollte, die Tragödie wieder in die Höhe zu bringen, die eine Zeitlang wegen der Farcen des Aristophanes danieder gelegen hatte.

Der Römer Lucillus lungerte am Fensterbrett herum; und da die Philosophie mit Sokrates und den Sophisten in Mode gekommen war, philosophierten der Schumacher und der landflüchtige Decemvir, so gut sie konnten.

– Du Römer, sagte Kartaphilos, wie ich Fremdling hier in der Stadt, was meinst du zu Staat und Regierung?

– Gleicht auf ein Haar dem römischen. Die ganze bisherige Geschichte Roms kann man in zwei Worten sagen: Patrizier und Plebejer.

– Ganz wie hier!

– Mit dem Unterschied, dass Rom eine Zukunft hat, Hellas nur eine Vergangenheit.

– Was weiss man von Roms Zukunft?

– Die Cumäische Sibylle hat geweissagt, dass Rom die Erde besitzen wird.

– Was sagst du, Rom? Nein, Israel wird es tun, Israel hat die Verheissung.

– Das wage ich nicht zu leugnen, aber Rom hat auch die Verheissung.

– Es gibt nur eine Verheissung und einen Gott!

– Vielleicht ist es dieselbe Verheissung, derselbe Gott! Vielleicht wird Israel durch Rom siegen.

– Durch Messias, den Verheissenen, wird Israel siegen.

– Wann kommt dein Messias denn?

– Wenn die Zeit erfüllt ist, wenn Zeus tot ist.

– Mögen wirs erleben! Ich warte, denn Zeus ist nach Rom gegangen und heisst dort Jupiter Capitolinus.

Aristophanes, der an seinem Kranichhals und offenen Mund zu erkennen war, drängte sich ans Fenster.

– Hast du ein Paar niedrige Schuhe, Kartaphilos? Ein Paar Socken; Kothurne hast du genug, sehe ich, aber die Socke hat gewonnen.

– Zu dienen, Herr ...

– Wir wollen sie im Theater haben, verstehst du! ... Nein, sieh da Lucillus! ... Und aus unbereitetem Leder, nicht gegerbtem.

– Was soll denn nun im Theater gegeben werden?

– Ja, jetzt kommt Kleon an die Reihe und soll tanzen, und denkt euch, wenn niemand den Gerberhund zu spielen wagt, muss ich selbst es tun. Ich werde Kleon spielen!

– Wo ist der grosse Feldherr Kleon jetzt?

– In neuem Feldzug gegen Brasidas. Als nämlich der Feldherr Demosthenes die Schlacht bei Sphakteria gewann, nahm Kleon die Ehre für sich in Anspruch und erhielt den Triumph! Da er sich nun für einen gewaltigen Krieger hielt, zog er aus gegen Brasidas. Der Krug geht so lang zu Wasser ...

– Bis er bricht! war die Stimme eines Ankömmlings zu hören.

Es war Alkibiades:

– Papaja! Kleon ist geschlagen; Kleon ist geflohen! Jetzt bin ich es! Hinauf zur Pnyx.

Und damit war er fort.

– Zur Pnyx also, und ich bekomme eine neue Komödie, die soll heissen »Alkibiades«.

– Du hast vielleicht recht, antwortete Lucillus. Das Ganze ist nicht wert, dass mans beweint. Darum: lasst uns lachen!

 

Alkibiades stand wieder im Rednerstuhl auf der Pnyx. Er war dort zu Hause und er hatte immer das Ohr des Volkes, denn er war nicht langweilig. Von allen verwöhnt, wirkte er erfrischend mit seiner grotesken Frechheit.

Vorm Rednerstuhl war unter andern der kluge, reiche und vornehme Nikias zu sehen, der immer zwischen Sparta und Athen zu vermitteln gesucht, durch seine Bedächtigkeit aber mehr geschadet als genützt hatte.

Alkibiades, der Nikias und seine Politik kannte und seine Opposition fürchtete, beschloss, einen Meisterstreich zu machen. Er wollte nicht von Sparta und Athen sprechen, wie Nikias erwartete, sondern er wollte eine Wendung machen und von etwas ganz anderem sprechen. Das Volk liebte Neuigkeiten und heute sollte es etwas ganz Neues haben.

– Athener! begann er. Kleon ist geschlagen, totgeschlagen, und ich stelle mein unbestrittenes Talent dem Staat zur Verfügung. Ihr kennt meine kleinen Fehler, nun aber sollt ihr meine grossen Verdienste kennen lernen. – Höret, Athener! Es war einmal, da besass Hellas Kleinasien und erstreckte seine Schwingen nach Osten. Der Perserkönig nahm uns diese Ansiedlungen fort, die eine nach der andern, und er steht nun in Thracien. Da wir also nicht mehr nach Osten gehen dürfen, so müssen wir nach Westen gehen, gegen Sonnenuntergang. Ihr habt mehr oder weniger dunkel vom Staat Roma sprechen hören, der wächst und wächst. Unsere Landsleute haben frühzeitig den Teil der italienischen Halbinsel genommen, der Tarent heisst, und wir sind dadurch nahe Nachbarn der Römer geworden. Und die schönste der Inseln, das reiche Sizilien wurde unser. Allmählich aber haben die Römer unsere Kolonien umbaut und bedrohen ihre Selbständigkeit. Die Römer bedrängen uns, aber sie drängen auch nach Norden gegen Gallien und Germanien, drängen nach Süden gegen Afrika. Der Perserkönig, der früher unser Feind gewesen ist, ist beinahe unser Freund geworden, und die Gefahr heisst jetzt nicht mehr Perser, sondern Römer! Darum, und an die Zukunft denkend, sage ich euch, Athener: Lasst uns nach Italien gehen! Lasst uns nach Sizilien gehen! Von Sizilien aus können wir dann mit dem Römer um den Besitz von Spanien und den Säulen des Herakles wetteifern. Mit Sizilien besitzen wir das Schloss zu Egypten; mit Sizilien schützen wir das bedrohte Tarent; mit Sizilien können wir im Notfall das sinkende Schiff Hellas verlassen! Die Welt ist gross und warum sollen wir hier in der Wildnis sitzen und verschimmeln? Hellas ist ein ausgesogenes Land, lasst uns neuen Boden brechen. Hellas ist ein ausgedientes Schiff, lasst uns ein neues bauen und einen Argonautenzug nach einem neuen Kolchis unternehmen, ein neues goldnes Vliess zu holen, dem Weg der Sonne folgend, gen Westen! Athener, lasst uns nach Sizilien gehen!

Diese neuen Weiten, die der Redner ihm öffnete, gefielen dem Volk, das des ewigen Sparta und Perserkönigs müde war; und angefeuert von der Furcht vor dem wachsenden Rom, dem Jungen der Wölfin, nahm es den leichtsinnigen Vorschlag an mit Beifallsrufen und Handerhebung.

Nikias bat ums Wort und warnte, aber niemand hörte zu. Die skythische Polizei, welche in der Pnyx Ordnung hielt, konnte ihm keine Zuhörer schaffen. Und da Nikias einsah, dass er das Unternehmen nicht hindern könne, stellte er seinen Dienst Alkibiades zur Verfügung und begann die Flotte auszurüsten.

 

Aspasia war nun die Witwe des Perikles und hatte ihn eine lange Zeit betrauert. Der Halbkreis war nicht mehr, aber die wenigen übriggebliebenen Freunde besuchten sie zuweilen. Sokrates war der treueste. Und er sass nun eines Abends bei ihr in der kleinen Villa mit dem Ziegeldach am Ufer des Kephissos.

– Nein, Aspasia, sprach Sokrates, ich widerriet den Zug nach Sizilien, Nikias widerriet, der Astronom Meton widerriet ihn, aber er sollte geschehen. Alkibiades hatte sich eine günstige Orakelantwort vom Ammonstempel verschafft.

– Glaubst du an Orakel, Sokrates?

– Ja und nein! Ich habe meinen eigenen Daimon, wie du weisst, der warnt, aber niemals mahnt; der rät, aber nicht befiehlt. Diese innere Stimme hat mir gesagt: Hellas wird nicht die Welt erobern!

– Wird Rom es tun?

– Ja, aber für einen andern!

– Du weisst, dass Perikles' grosser Gedanke ein einiges Hellas war, eine Vereinigung aller Staaten ...

– Das war Perikles' Wunsch, aber der Wille der Götter war ein andrer. Alkibiades' Traum von Hellas' Weltherrschaft ist auch gross, aber die Träume der Götter sind grösser.

– Was glaubst du, bringt Kleons Tod Athen ein?

– Nichts! Nach Kleon kommt Anytos. Kleon ist ewig, denn Kleon ist der Name für einen Gedanken!

Protagoras, etwas schal und gealtert, erschien auf dem innern Hof.

– Da haben wir Protagoras!

– Den Sophisten! Ich liebe ihn nicht, sagte Aspasia; er ist eine Feile, die allen Willen zerfeilt; sein Grübeln nimmt einem alle Entschlossenheit.

– Du sprichst wahr und verständig, Aspasia, und zu andern Zeiten hättest du auf dem Dreifuss einer Phythonissa gesessen und geweissagt. Du weisst vielleicht nicht, wie die Priesterin, was du sagst, aber ein Gott spricht durch dich.

– Nein, Sokrates, ich spreche deine Gedanken aus, das ist alles!

Protagoras trat vor:

– Trauer in Athen, Trauer in Hellas! Wehe! So grüsste er.

– Was denn, Protagoras?

– Phidias, der Unvergessliche, liegt tot im Gefängnis.

– Wehe, dann hat man ihn getötet.

– Die Stadt erzählt es.

– Phidias ist tot!

– Wahrscheinlich durch Gift, heisst es; das braucht aber nicht wahr zu sein.

– Alle sterben hier in Athen vorm Alter! Wann kommen wir an die Reihe!

Wenn wir an die Reihe kommen!

– Fallen wir etwa durch die Pfeile des Pythontöters? Wir werden ja wie die Finken erschossen!

– Wir sind Apollos Kinder: sollte der Vater uns töten?

– Saturn ist zurückgekehrt, seine Kinder zu fressen.

Sokrates versank in seine Gedanken und blieb stehen:

– Wir haben die Götter erzürnt!

Lucillus der Römer, trat ein.

– Seht den Römer! sagte Sokrates, den Herrn der Zukunft und der Welt. Was verkündet er?

Ich komme, um Protagoras zu warnen. Er soll verbannt werden.

– Ich?

– Du bist verbannt.

– In welcher Eigenschaft?

– Als Lästerer! Du hast die Götter des Staates verleugnet!

– Wer ist der Angeber?

– Der Sykophant, der Unsichtbare, der überall anwesend ist.

– Alles ist wahrscheinlich, nichts ist gewiss, fiel Protagoras ein.

– Doch das ist gewiss.

– Nun, dann stürzt dieser Gewissheit gegenüber mein Gedankengebäude ein, wie alles andere stürzt!

– Pantarhei! Alles fliesst, fliesst davon; nichts besteht, alles entsteht, wächst und stirbt.

– Lebt wohl denn, Aspasia, Sokrates, Freunde, Vaterland! Lebt wohl!

Protagoras ging, den Mantel über den Kopf gezogen.

– Wird Athen Protagoras vermissen? fragte Aspasia.

– Er hat die Athener das Denken gelehrt, das Zweifeln; und der Zweifel ist der Weisheit Anfang.

– Aristophanes hat Protagoras ermordet, und er wird dich einmal morden, Sokrates.

– Das hat er bereits getan, meine Frau hat sich darüber gefreut, aber ich lebe.

– Da ist der junge Platon; er sieht schicksalsschwanger aus. Neue Trauerkunde, vermute ich.

– Vermute? Ich schwöre! Sing das Trauerlied, Platon.

– Lieder, denn es ist Plural! – Alkibiades ist angeklagt und zurückgerufen!

– Was hat er getan?

– Vor seiner Abreise hat er alle Hermesstandbilder in Athen umgestürzt.

– Das ist zuviel für einen Menschen, das hat er nicht tun können.

– Die Anklage ist bestimmt: Götter des Staates!

– Und jetzt rächen sich die Götter!

– Hellas' Götter sind nach Rom gezogen.

– Da hast du die Wahrheit gesagt!

– Jetzt kommt Nummer zwei: Die Athener sind auf Sizilien geschlagen; Alkibiades ist nach Sparta geflohen! Und Nummer drei – Nikias ist enthauptet.

– Dann können wir uns Gräber auf dem Keramaikos kaufen!

 

Neben dem Nemesistempel auf der Agora stand der Gerber Anytos und plauderte mit Thrasybulos, einem bisher unbekannten, jetzt aber auftauchenden Patrioten.

Anytos plapperte:

– Alkibiades ist in Sparta; Sparta sucht Hilfe beim Perserkönig; uns bleibt nur übrig, dasselbe zu tun.

– Zum Feind gehen? Das ist Verräterei.

– Es ist nichts anderes zu machen.

– Es gab einmal Termopylae und Salamis!

– Aber jetzt gibt es Sparta, und die Spartaner stehen bei Dekeleia. Unsere Legaten sind bereits zum Perserkönig abgesegelt.

– Dann können wir Athenes Standbild vom Parthenon nehmen! Anytos! Sieh mir auf den Rücken; mein Gesicht will ich nicht zeigen, denn es schämt sich, wenn ich jetzt gehe!

Anytos blieb allein, und ging eine Weile vorm Säulengang des Tempels auf und ab. Darauf blieb er stehen, und trat in die Halle ein.

– Die Priesterin, Theano mit Namen, schien ihn erwartet zu haben.

Anytos nahm das Wort:

– Hast du den Auftrag des Rates ausgeführt?

– Welchen Auftrag?

– Du solltest ja den Fluch aussprechen über den Feind des Vaterlandes, Alkibiades.

– Nein, ich bin nur beauftragt zu segnen.

– Haben denn die Rachegöttinnen aufgehört, Gerechtigkeit zu üben?

– Sie haben sich niemals hergegeben zur Rache der Sterblichen.

– Hat Alkibiades nicht sein Land verraten?

– Alkibiades' Land ist Hellas, nicht Athen; Sparta liegt in Hellas.

– Sind die Götter auch Sophisten geworden?

– Die Götter sind stumm geworden.

– Dann kannst du den Tempel schliessen, je eher, desto besser.

 

Der unverbesserliche Alkibiades war wirklich von Sizilien zum Feind nach Sparta geflohen, und sass nun mit dem König Agis zu Tisch; denn Sparta hatte das Königtum beibehalten, während Athen es früh abgeschworen.

– Mein Freund, sprach der König, ich möchte nicht, dass du an dem öffentlichen allgemeinen Tisch speisest, da du an Athens glänzendes Gastmal bei Aspasia gewöhnt bist.

– Ich? O nein! Die einfachste Kost war immer meine Regel; schlafen gehen mit der Sonne und aufstehen mit der Sonne! Du weisst nicht, wie streng ich gegen mich selbst bin.

– Wenn du es sagst, muss ich es glauben. Das Gerücht hat dich also verleumdet.

– Verleumdet? Ja gewiss! Du erinnerst dich an die Hermesstandbilder? Ich habe sie nicht umgestürzt, aber sie sind mein Verderben geworden.

– Ist das auch eine Lüge?

– Es ist eine Lüge.

– Aber sag mir etwas anderes: glaubst du, dass es jetzt der Wille der Götter ist, dass Sparta über Athen gewinnen soll?

– Gewiss! So gewiss, wie die Tugend über das Laster siegen wird. Sparta ist Wohnung aller Tugenden, und Athen die aller Laster.

– Man sagt, alle Athener hätten sich von den Frauen zu den Männern gewandt. Ist das wahr?

– Ja, so tief sind sie gesunken, und darum sollen sie von der Erde ausgerodet werden.

– Jetzt höre ich, dass du nicht der bist, für den ich dich hielt; und jetzt will ich dir den Befehl über das Heer geben. Ziehen wir jetzt gegen Athen?

– Ich bin bereit!

– Und ohne Bedenken gegen deine Vaterstadt?

– Ich bin Hellene und nicht Athener! Sparta ist die Hauptstadt von Hellas.

– Alkibiades ist gross! Jetzt gehe ich zum Strategen, und heute abend ziehen wir.

– Geh, König, Alkibiades folgt.

Der König ging, aber Alkibiades folgte ihm nicht sofort, denn hinter der Gardine zum Gynäkeion stand die Königin und wartete. Als das Feld frei war, stürzte sie herein.

– Heil, Alkibiades, mein König!

– Königin, warum nennst du deinen Diener König?

– Weil Sparta dir gehuldigt hat, weil ich dir meine Gunst geschenkt habe, weil du von einem Heldengeschlecht erzeugt bist.

– König Agis der zweite lebt.

– Nicht zu lange! Gewinn deine erste Schlacht, und Agis ist tot!

– Jetzt beginnt das Leben den hart geprüften, landflüchtigen Mann anzulächeln. Wenn du meine Kindheit mit ihren Sorgen kanntest, meine Jugend mit ihren Entsagungen! Der Wein war nicht gewachsen für mich, das Weib war nicht geschaffen für mich; Bacchos kannte mich nicht, Aphrodite war nicht meine Göttin. Die keusche Artemis und die weise Pallas führten mich über die Verirrungen der Jugend zu meinem Ziel, welches das Wissen, die Weisheit und die Ehre war! Timia, Königin, als ich zum erstenmal dein Bett teilte ...

– Still!

– Da ging es mir auf, dass die Schönheit mehr ist als die Weisheit.

– Still, man lauscht!

– Wer lauscht?

– Ich, Lysander, der Stratege! antwortete eine scharfe Stimme, und mitten im Zimmer stand er:

– Jetzt kenne ich dich, Alkibiades, und ich habe deinen Kopf unter meinem Arm, aber ich habe Spartas Ehre unter meinem andern. Flieh, ehe ich dich ersticke.

– Du hast falsch gehört, Lysander!

– Flieh, erweis uns die Gnade zu fliehen! Es stehen fünfzig Hopliten draussen und warten auf deinen Kopf.

– Wie viele, sagst du? Fünfzig? Dann fliehe ich, denn mehr als dreissig zwinge ich nicht. – Meine Königin, leb wohl. Ich habe besser von Sparta gedacht. Dies wäre in Athen nie geschehen. Jetzt gehe ich zum Perserkönig; dort versteht man besser, was sich passt, und dort brauche ich nicht schwarze Suppe zu essen!

 

Und Alkibiades sitzt beim persischen Statthalter Tissaphernes. Und Alkibiades, der redegewandte, spricht:

– Ja, mein Lehrer Protagoras lehrte mich einst, alles wird aus seinem Gegensatz geboren; darum, siehst du, kann mein Herz alle Gegensätze umfassen. Sparta und Athen sind mir gleich lieb, das heisst gleich verhasst, des einen Staatsgötter und des anderen Tugenden.

– Du hast ein grosses Herz, Fremdling, ist darin auch für Persien Raum?

– Für die ganze Welt!

– Was denkst du denn von unserer Hauptstadt?

– Ich liebe alle Hauptstädte!

– Aber augenblicklich sollst du unsere am meisten lieben.

– Das tue ich auch!

– Und musst unsere Bundesgenossen auch lieben.

– Wer, verzeih, ist augenblicklich Bundesgenosse?

– Heute ist es Sparta.

– Gut, dann liebe ich Sparta.

– Und wenn es morgen Athen ist?

– Dann liebe ich morgen Athen.

– Danke! Jetzt verstehe ich, dass Hellas fertig ist. Ist es so verfault, das alte Griechenland, dann ist es kaum eine Eroberung wert.

– Protagoras lehrte, dass der Mensch das Mass aller Dinge ist; darum messe ich den Wert aller Dinge an mir selber; was Wert für mich hat, das schätze ich.

– So lernt ihr von euern Propheten! Dann haben wir bessere; kennst du Zarathustra?

– Um Euch angenehm zu sein, wünschte ich, ich hätte ihn von Kindheit an gekannt.

– Dann hättest du unterscheiden können: Gut und Böse, Licht und Dunkel, Ormuzd und Ahriman. Und du hättest in der Hoffnung gelebt, dass das Licht schliesslich siegen wird: und dass sich alle durchs Leiden versöhnen.

– Ich kann ja versuchen! Ist es ein grosses Buch?

– Wie heissen eure heiligen Bücher?

– Heilige? Was ist das?

– Wo holt ihre eure Religion her, die Kenntnis von den Göttern?

– Aus Homer, glaube ich.

– Ihr glaubt nicht, dass Zeus der allerhöchste Herr der Welt ist?

– Doch, das glaube ich gewiss.

– Aber er ist ja Meineidiger und Päderast.

– Ja! Was kann man dazu tun.

Tissaphernes erhob sich:

– Höre, Gastfreund, wir können nichts zusammen unternehmen, denn wir dienen nicht den gleichen Göttern! Ihr nennt uns Barbaren; gut, zuerst der Fremdling, dann aber der Wilde! Ich habe keinen Namen, der schändlich genug wäre für Leute, die solche Götter verehren. – Die Athener sind aber ebenso verrucht wie du, denn sie haben dir verziehen. Draussen steht ein Gesandter von Athen und bettelt, du mögest zurückkehren. Geh nach Athen, dort ist dein Platz!

– Nach Athen? Niemals! Ich traue ihnen nicht.

– Und sie nicht dir; das hebt sich auf! Geh nach Athen und sag deinen Landsleuten: der Perser wolle sie nicht haben! Die Weinrebe sucht die frische Ulme, den faulen Kohlkopf aber flieht sie.

Alkibiades hatte angefangen im Zimmer auf und ab zu gehen. Das bedeutete, dass er unschlüssig war.

– Steht der Athener wirklich draussen? fragte er.

– Er liegt draussen auf seinen Knien, um den Verräter Alkibiades um die Gnade zu bitten, ihr Herr zu werden. Aber hör mal, du bist doch ein Mann des Volkes?

– Ja, natürlich.

– Dann musst du den Standpunkt ändern, denn jetzt herrschen die Vornehmen in Athen.

– Ja, ach so, ja ja, aber ich bin ja vornehm, der Vornehmste in der Stadt.

– Kreisel, such eine Peitsche!

Alkibiades war stehen geblieben:

– Ich glaube, ich muss doch mit dem Athener sprechen!

– Tu das! Sprich athenisch mit ihm! Persisch versteht er nicht.

 

Alkibiades kehrte nach Athen zurück, das Todesurteil wurde aufgehoben; und als Feldherr, der eine Schlacht gewonnen hatte, konnte er im Triumphzug vom Piräus in die Stadt ziehen.

Die Gunst aber war unbeständig, und als er in den Verdacht geriet, nach der Königskrone zu streben, floh er wieder, dieses Mal zum persischen Satrapen Pharnabazes.

Da er nicht ohne Intrigen leben konnte, wurde er bald in eine verwickelt, entlarvt und zum Tode verurteilt

 

Alkibiades sass bei seiner Freundin und plauderte in aller Ruhe und Gemächlichkeit:

– Du glaubst also, Timandra, dass Cyrus gegen seinen Bruder Artaxerxes zieht, um den Thron von Persien einzunehmen?

– Ich bin dessen sicher, und ebenso sicher, dass er zehntausend Athener unter Xenophon bei sich hat.

– Weisst du, ob Artaxerxes gewarnt ist?

– Ich weiss es!

– Wer hat ihn warnen können?

– Das hast du getan.

– Weiss Cyrus das?

– Ja, das weiss er.

– Wer hat mich verraten?

– Das habe ich!

– Dann bin ich verloren.

– Ja, das bist du.

– Dass ich durch ein Weib fallen muss!

– Hast du etwas anderes erwarten können, Alkibiades?

– Eigentlich nicht! – Kann ich nicht fliehen?

– Du nicht, aber ich.

– Ich sehe Rauch, ist Feuer im Haus?

– Ja, das ist es! Und Bogenschützen draussen!

– Das Lustspiel ist aus! Wir kehren zurück zum Trauerspiel ...

– Und das Satyrspiel beginnt.

– Es ist heiss an den Füssen, sonst pflegt der Tod mit Kälte zu kommen.

– Alles wird von seinem Gegensatz geboren, Alkibiades.

– Gib mir einen Kuss!

Sie küsste ihn, den schönsten Mann von Athen.

– Danke!

– Geh ans Fenster; da wirst du sehen! Alkibiades trat ans Fenster:

– Jetzt sehe ich ...

In diesem Augenblick wurde er von einem Pfeil getroffen:

– Jetzt aber sehe ich nichts! Es dunkelt, und ich habe geglaubt, es werde hell werden!

Timandra floh, als die Leiche zu brennen anfing.

 

Sparta hatte Athen besiegt, und Athen lag in Ruinen, Die Volksherrschaft war aus und man hatte dreissig Tyrannen bekommen.

Sokrates und Euripides wanderten betrübt unter den Trümmern auf der Agora umher. Sokrates sprach:

– Auf den Ruinen von Athens Mauern! Wir sind Spartaner geworden; wollten keinen Tyrannen und bekamen dreissig.

– Ich reise nach Norden, sagte Euripides, ich gehe nach Mazedonien, wohin ich geladen bin.

– Da tust du recht, denn die Tyrannen haben deine Tragödien verboten.

– Das ist die Wahrheit.

– Und mir haben sie verboten, zu unterrichten.

– Haben sie Sokrates zu sprechen verboten? Nein! Also kann er unterrichten, denn er kann nicht sprechen, ohne zu unterrichten. Aber sie müssen den Orakeln zu sprechen verboten haben, denn die haben mit dem Weissagen aufgehört. Alles hat aufgehört! Hellas hat aufgehört! Und warum?

– Ja, frage nur! Hat Zeus den Sohn gezeugt, der ihn stürzen soll, wie Aeschylos verkündete?

– Wer weiss, das Volk hat einen neuen Gott eingeführt, der Adonai oder Adonis heisst. Er ist vom Morgenland, und sein Name bedeutet der Herr.

– Wer ist der neue Gott?

– Sag das, wer kann! Er lehrt sterben wollen und auferstehen von den Toten. Aber sie haben auch eine Göttin bekommen. Hast du von der Kybele gehört, der Mutter der Götter, einer Jungfrau, die in Rom gleich Vesta von vestalischen Priestern verehrt wird?

– Es ist soviel Neues und Unklares, wie Wein in Gärung. Dort kommt Aristophanes. Leb wohl, mein Freund, zum letztenmal hier im Leben.

– Warte! Aristophanes winkt! Nein, sieh, er weint! Aristophanes weint!

Aristophanes kam heran!

– Euripides, sagte er, geh nicht, ehe ich dich gesprochen habe.

– Kannst du sprechen? antwortete Euripides.

– Ich weine.

– Fall nicht aus der Rolle! Soll das Tränen vorstellen?

– Beklage einen Unglückskameraden, Euripides; die Tyrannen haben mein Theater geschlossen.

– Sokrates, soll ich meinen Henker beklagen?

– Ich glaube, der Nemesis-Tempel ist wieder geöffnet! antwortete Sokrates. Aristophanes ist noch nie naiv gewesen, jetzt ist er es gehörig. – Ich beklage dich also, Aristophanes, dass du mich nicht mehr schmähen darfst. Ich verzeihe dir, aber ich will deinen Komödien nicht auf die Bühne helfen. Das ist zuviel verlangt! Jetzt folge ich Euripides nach Haus!

Sokrates sass bei Aspasia, die gealtert war.

– Euripides ist nach Mazedonien gegangen, sagte Sokrates.

– Von seinen Frauen.

– Du bist bitter geworden.

– Ich habe die Ruinen und alles andere satt. Die Tyrannen ermorden Bürger.

– Das ist die Beschäftigung von Tyrannen.

– Bekommen wir bald Ruhe?

– Auf dem Kerameikos in einem Zedernsarg.

– Ich will nicht sterben, ich will leben, aber ruhig!

– Das Leben ist nicht ruhig.

– Doch, wenn man es nur gut hat.

– Das hat man nie.

– Nein, wenn man schlecht verheiratet ist wie du, Sokrates.

– Meine Frau ist allerdings die Schlimmste; hätte sie mich nicht zum Mann bekommen, wäre sie längst ermordet.

– Xanthippe verrät dich mit ihrem Klatsch; und wenn sie nicht versteht, was du sagst, gibt sie entstellte Bilder deiner Gedanken und deiner Person.

– Das weiss ich, kanns aber nicht ändern.

– Warum verharrst du in der Erniedrigung?

– Warum fliehen? Nur vor der Übermacht hat man ein Recht zu fliehen, und Xanthippe ist keine Übermacht für mich.

– Dir ist bei Todesstrafe verboten, Vorlesungen zu halten; das verschuldet sie und Anytos.

– Sie mag meinen Tod verschulden, dann hat sie nur meine Befreiung verschuldet ... Aspasia, ich höre, dass unsere Freundschaft im Abnehmen ist; du hast neue Freunde bekommen, du bist eine andere geworden! Lass mich Lebwohl sagen, ehe Lysikles kommt.

– Kennst du ihn?

– Ja, und die ganze Stadt spricht von deiner Ehe.

– Mit dem Viehhändler Lysikles?

– Ja, das ist deine Sache; davon spreche ich nicht.

– Aber du findest, Perikles' Andenken hätte besser bewahrt werden müssen?

– Ich hätte gern Aspasias Andenken besser gewahrt gesehen, aber da ich gesehen habe, wie Athener sich mit Blumenkränzen schmücken, um Athens Untergang zu feiern; da ich Phidias ...

– Wie wird denn Sokrates enden?

– Jedenfalls nicht wie Aspasia.

– Die Götter treiben Possen mit uns! Hüte dich, Sokrates!

 

Sokrates sass schliesslich im Gefängnis, angeklagt, die Jugend verführt und die Götter des Staates geschmäht oder geleugnet zu haben. Unter den Anklägern wurden genannt: ein junger schlechter Dichter Melitos, der Gerber Anytos und der Redner Lykon.

Sokrates hielt seine Verteidigungsrede und erklärte, er habe immer an Gott geglaubt und an die Stimme seines Gewissens, an das Daimonion. Er wurde zum Giftbecher verurteilt, im Gefängnis gehalten, wo er jedoch seine Frau, und seine wenigen überlebenden Freunde sehen konnte.

Jetzt war die Frau da und weinte.

– Weine nicht, sagte Sokrates; du hast keine Schuld.

– Willst du die Kinder sehen?

– Warum sollte ich ihre kleinen Seelen mit einem unnützen Abschiednehmen zerreissen? Geh du zu den Jungen und tröste sie; zerstreu sie mit einer Ausfahrt in die Wälder.

– Sollen wir uns freuen, während du stirbst?

– Freut euch, dass meine Leiden ein Ende nehmen! Freut euch, dass ich in Ehre sterbe ...

– Hast du keinen letzten Wunsch?

– Ich wünsche nichts! Doch, Friede, Freiheit von euern törichten Tränen und Seufzern, und euern störenden Klagen. Geh, Frau, und denk, dass Sokrates schlafen will, denn er ist müde und mürrisch; denk, dass er wieder erwacht und dann ausgeruht ist, verjüngt, froh und liebenswürdig.

– Ich wünschte, du hättest mich dies alles früher gelehrt; von mir hattest du nichts zu lernen.

– Doch, von dir habe ich Geduld und Beherrschung gelernt!

– Verzeihst du mir?

– Das kann ich nicht! Denn das habe ich bereits getan. – Sag mir jetzt lebwohl, als ob ich verreisen wolle. Sag: Auf Wiedersehen, als wäre ich bald zurück!

– Leb denn wohl, Sokrates, und sei nicht böse auf mich!

– Nein, ich bin dir sehr gut!

– Leb wohl, mein Gatte, für ewig!

– Nicht für ewig! Du wünschest ja, mich wieder zu sehen. Mach eine heitere Miene und sag: Auf Wiedersehen!

– Auf Wiedersehen!

– So! – Und wenn wir uns wiedersehen, gehen wir zusammen mit den Kindern in die Wälder.

– Sokrates war nicht so, wie ich geglaubt habe ...

– Geh, ich will schlafen!

Und sie ging, aber traf in der Tür Platon und Kriton.

– Die Stunde nähert sich, Freunde! sagte Sokrates matt und mit brennenden Blicken.

– Bist du ruhig, Meister?

– Die Wahrheit zu sagen, bin ich ganz ruhig! Froh, will ich nicht behaupten, aber mein Gewissen beunruhigt mich nicht.

– Wann, Sokrates, wann – soll es geschehen?

– Du meinst, wann – es geschehen soll, das letzte? Platon, mein Bester, mein Liebster ... es eilt ... ich habe eben einen Schlaf genossen – ich bin über den Fluss gewesen, auf der andern Seite; ich habe in einem Augenblick die Urbilder der unvergänglichen Schönheit gesehen, von denen die Dinge nur dunkle Abbilder sind ... Ich habe die Zukunft gesehen, die Schicksale des Menschengeschlechts; ich habe zu den Mächtigen, Hohen, Reinen gesprochen; ich lernte die weise Ordnung, welche die scheinbare grosse Unordnung lenkt; ich bebte über das unergründliche Geheimnis des Alls, das ich ahnend begriff; und ich erfasste die ganze Weite meiner Unkenntnis. Platon, du sollst es schreiben! Du sollst die Menschenkinder lehren, die Dinge mit massvoller Geringschätzung anzuschauen, in Ehrfurcht zum Unsichtbaren aufzusehen, die Schönheit zu verehren, die Tugend zu pflegen und auf die Erlösung zu hoffen, während der Arbeit, in Pflichten und durch Entsagung!

Er ging zu Bett und legte sich nieder.

Platon folgte ihm:

– Bist du krank, Meister?

– Nein, ich bin es gewesen; jetzt aber genese ich.

– Hast du schon ...

– Ich habe schon den Becher geleert!

– Der Weiseste geht von uns.

– Kein Sterblicher ist weise! Aber ich preise die Götter, die mir Schamhaftigkeit und Rechtsgefühl gegeben haben.

Es wurde still im Zimmer.

– Sokrates ist tot!


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