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XII.

Die Haussuchung bei Weinert.

Der Schlosser Weinert hatte bis tief in die Nacht hinein fleißig gearbeitet, trotzdem stand er schon am frühen Morgen rüstig in der Werkstatt, und mit frischer Kraft schwang er den Hammer. – Er ließ dabei ein lustiges Lied ertönen und recht aus voller Brust kam es ihm, denn so glücklich und froh war er seit langer Zeit nicht wieder gewesen.

»Gieb endlich Ruhe, Heinrich!« sagte die Frau, als sie ihm das einfache Frühstück, ein Butterbrod und eine Flasche Bier, in die Werkstatt brachte. – »Was zu viel ist, ist zu viel. Du wirst Dich noch krank machen. Bis ein Uhr in der Nacht hast Du gehämmert und nun schon wieder von fünf Uhr an. Wer soll das aushalten!«

»Die Arbeit drängt, Lieschen! Der Herr Präsident hat ausdrücklich gesagt, es komme ihm auf jede Stunde an, und den Kunden wollen wir uns erhalten!«

»Er wird schon ein Einsehen haben. – Iß nur wenigstens und trink, damit Du nicht von Kräften kommst!«

»Das hat keine Noth! Sieh', Lieschen, das Glück liebt Kraft, ich glaube, ich könnte Tag und Nacht arbeiten, ohne zu ermüden. – Herzensliese, denk doch nur, wir haben die erste Privatarbeit und von solchem Herrn, vom Herrn Präsidenten. Nun wird alles wieder gut werden. Ich will ihm eine Arbeit liefern, die sich gewaschen hat, dann empfiehlt er mich weiter, denn das ist ein Mann, Liese, einen zweiten giebt es nicht. Die Eisenbahnarbeit behalten wir und die Hauskunden kommen dazu, dann können wir uns einen Gesellen nehmen und vielleicht zwei. Mit der Noth ist's aus; hurrah, der Herr Präsident soll leben!«

Er warf den Hammer hin und umfaßte sein schönes Frauchen, sie lustig herumschwenkend.

»Aber, Heinrich, Du wilder Mensch, laß mich doch. Du machst mich ja ganz schwarz!«

»Thut nichts. Dafür giebt's Wasser. Nun aber gieb mir mein Brod und mein Bier. Schnell muß es gehen mit dem Frühstück, damit ich wieder an die Arbeit komme.«

»Laß Dir nur Zeit, sonst gedeiht es nicht. – Weißt Du, Heinrich, der Sentner ist wieder dagewesen, er wollte durchaus zu Dir in die Werkstatt; ich habe ihm aber die Hausthür vor der Nase zugeschlagen und ihm gesagt, er solle Dir vom Halse bleiben.«

»So ist's recht, Lieschen!« – entgegnete Weinert, dessen Fröhlichkeit bei der Mittheilung der Frau plötzlich geschwunden war, – sehr ernst. – »Den Schuft laß mir nie wieder über die Schwelle, und wenn er wiederkommt, sag' ihm nur, er möge seine Knochen in Acht nehmen, aus meiner Werkstatt bringe er sie nicht gesund wieder heraus. – Ging er denn gutwillig, als Du ihn fortschicktest?«

»Er fluchte gotteslästerlich und sagte, er wolle es Dir noch eintränken. Du sollst an ihn denken.«

»Wenn er sich an mir rächen kann, wird er es sicher thun; aber ich fürchte ihn nicht. Der Hallunke kann es mir nicht verzeihen, daß ich ein ehrlicher Kerl geworden bin. – Natürlich, brauchen könnten mich die Burschen, ein tüchtiger Schlosser ist ihnen mehr werth, als zehn Andere. Aber mich fangen sie nicht; ich hab's Dir versprochen, Lieschen, auf Ehre und Seligkeit, daß ich ein ehrlicher Arbeiter bleiben will mein Leben lang, und das halte ich. Arbeiten will ich Tag und Nacht.«

»Du lieber, guter Mann!«

»Was ist da Liebes und Gutes dabei? Du hast mich zum ordentlichen Kerl gemacht. Ohne Dich wäre ich doch wieder ein Lump geworden. Als alle sich vor dem Zuchthäusler scheuten und ihm auswichen, da hast Du mit Deinen treuen, blauen Augen mich freundlich, mitleidig angesehen. Das hat mir wieder Muth gemacht zum Leben. Und als Du mir dann später sagtest: »Heinrich, bleib' ehrlich und brav, dann werde ich doch Deine Frau und lasse die Leute schimpfen, wie sie wollen,« da habe ich es Dir versprochen und habe es gehalten. Was hat der Sentner sich für Mühe gegeben, mich wieder zum Diebe zu machen. Ohne alle Gefahr sei es, hat er mir gesagt, er spiele zum Schein den Vigilanten, dadurch könne er den Verdacht auf Andere lenken.«

»Der abscheuliche Mensch!«

»Nun, ich habe ihm gut heimgeleuchtet! Ich dachte, er werde das Wiederkommen vergessen. Kommt er noch ein Mal, dann laß ihn nur herein zu mir in die Werkstatt, er soll dann ein paar ordentliche, ehrliche Schlosserfäuste kennen lernen. Nun aber ist's genug mit dem Plaudern, gieb mir noch einen tüchtigen Kuß, Lieschen, und dann vorwärts wieder an die Arbeit.«

Der Hammerschlag erschallte von neuem und dazu das lustige Schlosserlied; aber nicht lange sollte sich Weinert des rüstig vorschreitenden Werkes freuen.

Die Thür der Werkstatt wurde aufgerissen.

»Heinrich, die Polizei!« rief Lieschen erschreckt, und als Weinert ausschaute, erblickte er wirklich die Uniform mit dem blaurothen Kragen, die ihm früher so oft Entsetzen eingeflößt hatte, ihn jetzt aber sehr ruhig ließ, da er sich bewußt war, nichts Unrechtes gethan zu haben.

Der Polizei-Kommissarius Habicht trat in die Werkstatt; die beiden ihn begleitenden Sergeanten blieben in der Thür stehen.

Weinert legte den Hammer nieder; er trat dem Polizei-Kommissarius mit ruhiger, respektvoller, aber durchaus nicht kriechender Höflichkeit entgegen.

»Was steht den Herren zu Diensten?« fragte er, sich leicht verneigend.

»Ihr seid wieder in eine schlimme Patsche gerathen, Weinert,« entgegnete der Polizist nicht unfreundlich, indem er einen mitleidigen Blick auf die schöne junge Frau warf, die voll Entsetzen, zitternd dastand und bald auf ihren Mann, bald auf die gefürchteten Beamten schaute.

»Ich weiß nicht, was Sie damit sagen wollen, Herr Kommissarius.«

»Schon gut! Macht nur nicht solch' dumm-ehrliches Gesicht, das hilft Euch bei mir nichts. Seht nur Eure Frau an, die kann sich nicht verstellen; sie weiß schon, was ich will.«

»Meine Frau ist natürlich erschreckt, denn etwas Gutes bringt uns ja die Polizei nicht, aber ich weiß wirklich nicht, was Sie meinen, Herr Kommissarius.«

»Wirklich nicht? Nun, Ihr sollt es schon erfahren. – Aber es thut mir leid um Euch, Weinert, – wahrhaftig, – und noch mehr um Euer hübsches Frauchen da. – Ich dachte gewiß, Ihr wäret ein ordentlicher Kerl geworden und nun macht Ihr wieder solche Streiche!«

»Aber Herr Kommissarius.«

»Reden nützt nichts, dazu haben wir auch keine Zeit. Wir müssen Haussuchung bei Euch halten, wenn Ihr nicht lieber vernünftig seid und uns freiwillig sagt, wo Ihr das Geld und den Geldkasten habt. – Thut es, Weinert, – seid ein guter Kerl. – Spart uns die Mühe und Euch das Leugnen. – Es nützt Euch doch nichts, und wenn Ihr von freien Stücken gesteht und gutwillig das Geld herausgebt, wird der Präsident ein gutes Wort für Euch einlegen.«

Weinert stand starr vor Staunen und Entsetzen. Unwillkürlich schlug er die Hände zusammen. »Der Herr Präsident?« rief er. »Was ist geschehen? Ich bitte Sie um alles in der Welt, sagen Sie mir, was ist geschehen? Sie haben einen schrecklichen Verdacht gegen mich. Was soll ich begangen haben?«

»Thut nicht so unschuldig, Mann! Wahrhaftig, ich meine es gut mit Euch, wenn ich Euch rathe, Ihr sollt gestehen. Der Herr Präsident hält große Stücke auf Euch. Vielleicht kann noch die ganze Untersuchung niedergeschlagen werden, wenn Ihr gutwillig die Geldkiste und das Geld wieder herausgebt!«

»Der Präsident, die Geldkiste, das Geld? Mein Gott, ich ahne, was Sie wollen. Sollte es möglich sein, sollte heut Nacht ein Einbruch beim Herrn Präsidenten gemacht worden sein?«

»Nun seht Ihr, Weinert, Ihr fangt an vernünftig zu werden. Ihr habt ja nun schon halb gestanden. Woher wüßtet Ihr, daß heut Nacht ein Einbruch beim Herrn Präsidenten gemacht, daß ihm die eiserne Geldkiste mit Geld gestohlen worden ist, wenn Ihr nicht dabei gewesen wäret?«

Die Frau des Schlossers hatte bisher weinend, wortlos an der Seite ihres Mannes gestanden, jetzt aber rief sie bebend in tiefster Entrüstung: »Das ist zu schändlich. Mein armer, armer Heinrich! Zum Dieb wollen sie Dich wieder machen, während Du gearbeitet hast Tag und Nacht. Nicht aus der Werkstatt ist er gekommen von Abends um 6 bis 1 Uhr in der Nacht, und dann ist er zu Bett gegangen. Das kann ich beschwören, ich habe ihn ja nicht aus den Augen gelassen. Solche schändliche Lüge!«

»Seid ruhig, Frauchen!« entgegnete der Polizei-Kommissarius freundlich. »Es sollte mir leid sein, müßte ich auch Euch mitnehmen. Schwört also nicht zu viel, damit Ihr nicht der Mitschuld verdächtig werdet, das Uebrige wird sich dann schon finden.«

»Nun ist's zu arg! Mein Heinrich ein Dieb und ich seine Mitschuldige! Und das willst Du Dir gefallen lassen, Heinrich? Jag' sie doch aus der Werkstatt, die nichtswürdigen Lügner, die Verleumder.«

»Ruhig, Lieschen, um alles in der Welt ruhig. Nehmen Sie die Worte der armen Frau nicht bös, Herr Kommissarius, sie sind nicht so schlimm gemeint.« Er umfaßte sanft die zornige Fran, die ein Schüreisen ergriffen hatte und entschlossen war, den Mann im Kampfe gegen die Polizisten zu unterstützen. »Gieb das Eisen her, Lieschen,« fuhr er fort, »Du machst uns beide unglücklich. Uns kann ja nichts geschehen, wir sind unschuldig. Das ist ein Rachestück von dem schuftigen Sentner, dem Vigilanten. Der hat mich angegeben, damit ich ihm wieder in die Hände fallen soll; aber verlaß Dich darauf, Lieschen, das gelingt ihm nicht. Ich bleibe ehrlich, er mag machen, was er will. – Und nun, Herr Kommissarius, seien Sie nicht mehr bös. – Sie sehen ja, meine Frau ist wieder ganz ruhig geworden, sie weint nur in meinem Arm. Ich hoffe, Sie werden ihr ein Wort, welches sie in der Aufregung gesprochen hat, nicht nachtragen.«

»Nein, Weinert, das will ich gewiß nicht,« entgegnete der Polizist gutmüthig. »Es thut mir wirklich leid um Euer hübsches Frauchen und auch um Euch, Ihr seid ein vernünftiger Kerl. – Macht es kurz, Weinert, sagt mir, wo Ihr das Geld habt, dann will ich für Euch thun, was ich irgend kann. Darauf gebe ich Euch mein heiliges Ehrenwort.«

»Ich bin unschuldig, Herr Kommissarius, ich schwöre es Ihnen zu. Es ist eine falsche Denunziation von dem schuftigen Vigilanten, dem Sentner.«

»Wenn's weiter nichts wäre, wollt' ich Euch schon glauben, denn den Sentner kenne ich, er ist ein Lump; aber die Sache steht schlimmer und da Ihr nicht gutwillig gestehen wollt, muß ich schon eine Haussuchung halten.«

»Thun Sie das, Herr Kommissarius; ich will Ihnen selbst gern alle Kisten und Kasten aufschließen.«

»Glaub's schon! Da würde ich freilich nicht viel darin finden. Ich denke, ich suche lieber selbst. Ihr, Weinert, bleibt derweile mit Eurer Frau hier in der Werkstatt, Ihr rührt Euch nicht von der Stelle, oder nein, – Ihr kommt beide mit. Sie, Sergeant Hübner, verlassen die Beiden mit keinem Auge, daß sie keine Kunststückchen hinter meinem Rücken machen, während ich mit dem Sergeanten Scholz das ganze Haus vom Giebel bis zum Keller umkehre. – Was da ist, finden wir, Weinert, darauf könnt Ihr Euch verlassen, also gesteht lieber, so lange es Zeit ist und Euch noch etwas nützen kann.«

»Ich bin unschuldig!«

»Ihr wollt nicht? Nun, dann laßt es bleiben. Wer nicht hören will, muß fühlen. An die Arbeit also!«

Die Haussuchung wurde begonnen. Der Polizei-Kommissarius, der sich der Rathschläge seines Kollegen erinnerte, kehrte wirklich das Unterste nach oben. Keinen Winkel ließ er undurchsucht, selbst die Dielen riß er auf, wo sie hohl klangen, die Kohlenvorräthe wurden umgeschaufelt, der kleine Garten an einigen Stellen umgegraben, aber nichts Verdächtiges fand sich. Endlich blieb nur noch die Düngergrube übrig, auf welche Wetter den Kollegen besonders aufmerksam gemacht hatte.

Ein Paar Straßenarbeiter wurden herbeigerufen, um die unsaubere Arbeit des Suchens in der Grube zu übernehmen, ihre Mühe war schon nach kurzer Zeit von Erfolg gekrönt, sie zogen aus dem Grunde der Grube einen offenen, eisernen Kasten hervor.

»Der Kasten ist da! Was sagt Ihr nun, Weinert? Wollt Ihr immer noch leugnen?« fragte der Polizist ernst.

Weinert, welcher mit der höchsten Ruhe und Zuversicht der Haussuchung von Anfang bis zu Ende beigewohnt und sich nur bemüht hatte, seine tief erregte, weinende Frau zu trösten, schaute starr vor Staunen und Schreck auf den eisernen Kasten. Das Wort stockte ihm im Munde, er konnte keine Silbe vorbringen.

»Sprecht doch. Mann! Nehmt guten Rath an, noch ist es vielleicht Zeit,« – fuhr der Kommissarius fort. – »Der Kasten ist da, aber leer. Wo habt Ihr das Geld?«

»Ich hab' es nicht, ich schwöre es Ihnen. Ich weiß von dem Kasten nichts, aber schwören möcht' ich darauf, daß der Sentner den Einbruch verübt und den Kasten über den Bretterzaun in die Grube geworfen hat, um mich zu verdächtigen und zu verderben.«

»Ihr seid mit dem Schwören schnell bei der Hand, alter Freund; nützen wird es Euch indessen nicht viel. Möglich wär' es freilich, das; der Sentner solche Streiche machen könnte, ich glaub' es aber nicht, der Verdacht gegen Euch ist zu stark. Es thut mit leid, Weinert; aber ich muß Euch verhaften. Ich hätte es Euch um der hübschen, kleinen Frau wegen gern erspart. Mein Gott, da fällt sie gar in Ohnmacht! Sergeant Hübner, holen Sie ein Glas Wasser aus der Küche. Schnell! Arme, kleine Frau!«

Weinert hatte mit starkem Arm die ohnmächtig zusammenbrechende Frau ergriffen, die Hilfe des gutmüthigen Polizisten lehnte er durch eine zurückweisende Handbewegung ab. Er allein trug die Geliebte ins Haus, unter seinen Küssen erwachte sie bald wieder.

»Heinrich, was ist geschehen?«

»Fasse Dich, liebes, liebes Lieschen. Verliere mir nur den Muth nicht in unserem Unglück, dann wird ja noch alles gut werden. Du weißt es, Lieschen, daß ich unschuldig bin, und Gott im Himmel weiß es! Man kann mir ja nichts thun. Nach ein Paar Tagen werden sie mich frei lassen. Wenn ich fort bin, geh' nur gleich zum Herrn Präsidenten und erzähle ihm, was hier geschehen. Der wird uns nicht im Stich lassen und schon dafür sorgen, daß ich bald frei komme.«

»Weinert, so leid es mir ist, aber –«

»Ich verstehe, Herr Kommissarius. Ich komme schon. Leb' wohl, mein liebes, liebes Lieschen.«

Es war ein herzzerreißender Abschied. Dem Polizei-Kommissarius traten die hellen Thränen ins Auge, als er den Schmerz der lieblichen jungen Frau, die den scheidenden Gatten nicht lassen wollte, sah, als er das Weinen des durch den Kuß des Vaters aus dem Schlaf geweckten Kindes hörte. Er zögerte lange, ehe er von neuem zum Aufbruch mahnte, endlich aber mußte es doch geschehen.

Weinert riß sich los, er folgte den Polizei-Beamten, die ihn über den Thorplatz nach der Stadt und zum Polizei-Direktorium führten. Sein Herz war so erfüllt von dem Schmerz des Abschieds, seine Gedanken blieben so treu bei der Geliebten, die er hatte verlassen müssen, daß ihm eine bittere Kränkung erspart wurde. Er sah die Gassenbuben nicht, die ihm jubelnd nachliefen, er hörte es nicht, daß sie höhnend riefen: »Der Zuchthäusler! Der Zuchthäusler! Er hat wieder gestohlen, gestohlen, gestohlen!«


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