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VII.

Der Einbruch.

Mit bleierner Schwere, so langsam wie noch nie, verflossen die Stunden, ehe es Abend werden wollte. Der Präsident hatte nicht Ruhe noch Rast. Die Arbeit widerte ihn an, noch niemals waren ihm seine Akten so öde und langweilig, seine Amtsgeschäfte so kleinlich und unbedeutend erschienen. Vergeblich strengte er seine ganze Willenskraft an, um seine mehr und mehr wachsende Unruhe zu bemeistern, sich hineinzulesen in ein dickes Aktenstück; es gelang ihm nicht. Die Buchstaben tanzten vor ihm auf dem Papier, sie wollten sich nicht zu Worten zusammenfügen und zwang er sie wirklich, dann mußte er den einfachsten Satz mehrmals überlesen, um endlich den Sinn desselben zu fassen.

Mißmuthig schob er das Aktenheft fort. Bei seiner Tochter wollte er eine kurze Erholung suchen; aber Marie war nicht zu Haus, sie machte einen Besuch bei einer Freundin, da mußte er denn seufzend in sein Arbeitszimmer zurückkehren, um abermals den vergeblichen Versuch zur Arbeit zu machen.

Endlich brach die lang ersehnte Dämmerung herein. Johann brachte die Astrallampe, er stellte sie auf den Arbeitstisch.

Der Präsident befahl ihm, einen Augenblick zu warten; er schrieb eiligst einen kurzen Brief an einen seiner Räthe, der in der auf der entgegengesetzten Seite der Stadt gelegenen Vorstadt, wohl eine Stunde entfernt, wohnte, – das kurze Ersuchen um ein Aktenstück – den Brief sollte Johann an seine Adresse tragen und auf Antwort warten.

Der Präsident stand von seinem Arbeitstisch auf; eine kurze Zeit lang schaute er zum Fenster hinaus nach dem vom hellen Mondschein beleuchteten Garten, dann zog er die Glocke, durch welche er seinen Diener zu rufen pflegte, ein-, zwei-, dreimal in kurzen Zwischenräumen. Johann kam nicht, er hatte also offenbar das Haus schon verlassen, um den befohlenen weiten Gang anzutreten. Vorsichtig öffnete der Präsident die nach dem Vorsaal führende Thür. Auf den Zehen schlich er bis zum Zimmer seiner Tochter, er horchte am Schlüsselloch, alles war still. Er öffnete die Thür, das Zimmer war dunkel, Marie war von ihrem Ausgange noch nicht zurück.

Er kehrte in sein Arbeitszimmer zurück; die Thür verriegelte er hinter sich, auch vor die zweite, nach seinem Schlafzimmer führende Thür schob er den Riegel. Dann zog er aus einem Fache des Schreibtisches ein in Papier gewickeltes Packet hervor. Er öffnete es, es enthielt die in St** gekauften Ueberschuhe, die beiden Stemmeisen und den schweren Hammer.

Er verschloß den Schreibtisch sorgfältig wieder.

»Jetzt ans Werk!« sagte er leise.

Eins der Stemmeisen setzte er neben dem Schloß des Schreibtisches an, ein kräftiger Hammerschlag, da brach der Riegel des Schlosses, die Platte des Tisches ließ sich ohne weitere Mühe öffnen.

Der eiserne, wohl verschlossene Geldkasten stand vor ihm. »Das wird ein schweres Stück Arbeit werden,« murmelte der Präsident. Es wurde schwerer, als er es sich gedacht hatte. Der Deckel des Kastens schloß so genau, daß er nirgends eine Stelle zum Einsetzen des Stemmeisens finden konnte. An verschiedenen Stellen versuchte er es vergeblich. Mit dem Stemmeisen ließ sich das Schloß nicht lossprengen.

»Verdammt, daß ich daran nicht gedacht habe!« Sein ganzer Plan drohte an der Festigkeit des Kastens zu scheitern. Er wurde unruhig, ungeduldig, damit aber erreichte er gar nichts. Wo er das Stemmeisen auch ansetzen mochte, überall glitt es ab und die Hammerschläge nützten nichts. Das dicke Eisen widerstand allen Bemühungen des ungeschickten Arbeiters.

Diesen Versuch mußte er aufgeben. Ingrimmig stand er vor dem widerspenstigen Kasten. Er überlegte. »Was würde ich thun, wenn ich wirklich der Dieb, ein geschickter Schlosser wäre? Ich würde versuchen, den Kasten mit einem Nachschlüssel zu öffnen. Dazu aber würde ich Stunden gebrauchen, denn das Schloß ist nur nach langer Arbeit, durch vielfaches unsicheres Probiren zu eröffnen, und ich habe nur Minuten zu verlieren, da ich jeden Augenblick fürchten muß, entdeckt zu werden. Den Kasten kann ich hier nicht öffnen, aber ich kann ihn ausbrechen aus dem hölzernen Tisch, ihn mitnehmen und dann zu Haus in aller Ruhe öffnen. Das geht und so soll es geschehen.«

Er machte sich sofort an die Arbeit, aber sie war nicht leicht. Es kostete manchen Hammerschlag, um endlich den Kasten von dem Holzwerk loszustemmen, und viele Schweißtropfen, welche der Präsident bei dem ungewohnten Werke vergoß.

Jetzt war's erreicht. Der Kasten war gelöst. Der Präsident hob ihn empor und trug ihn, nachdem er ihn mit dem gewöhnlichen Schlüssel aufgeschlossen hatte, nach dem Fenster. Dort setzte er ihn auf den Fußboden nieder.

Noch einmal überzeugte er sich durch ein starkes Läuten, ob vielleicht Johann unvermutheter Weise schon zurückgekehrt sei. Als er sich hierüber beruhigt hatte, steckte er den Hammer, die Stemmeisen und die Ueberschuhe in die Taschen seines Ueberrocks, dann nahm er aus einem Kasten des Schreibtisches einen mit Pech bestrichenen Lederlappen und ein Röllchen mit Bindfaden.

Nachdem alle diese Vorbereitungen getroffen waren, löschte er die Astrallampe aus; er riegelte die nach dem Vorsaal führende Thür wieder auf und verließ durch diese, die er hinter sich zuschloß, sein Arbeitszimmer. Ueber den Vorsaal, die Hintertreppe hinab ging er mit tönendem Schritt, wie gewöhnlich, nach dem Garten und durch diesen nach der kleinen Thür in der hintern Gartenmauer.

Als er in den Gartenweg trat und die Thür hinter sich verschlossen hatte, schaute er sich nach allen Richtungen hin um; kein Mensch war auf dem einsamen Wege, durch den um diese Tageszeit fast niemals Jemand kam, zu sehen. Um indessen ganz sicher zu sein, ging der Präsident nach beiden Seiten hin etwa zwanzig bis dreißig Schritte; durch die doppelte, vom Mondschein begünstigte Ausschau überzeugte er sich, daß Niemand ihn belausche.

Er kehrte zur Gartenthür zurück. Nachdem er die in St** gekauften Ueberschuhe aus der Rocktasche genommen und angezogen hatte, suchte er eine dicht neben der Thür befindliche, etwas schadhafte Stelle der Gartenmauer. Es gelang dem kräftigen, gewandten Manne, der früher ein tüchtiger Turner gewesen war, leicht, an dieser Stelle über die Mauer zu klettern und in den Garten hinabzuspringen. Durch das Gebüsch und über einige Blumenbeete fort, ging er direkt nach dem Geräthschuppen, dessen verschlossene Thür er mit Hilfe des Stemmeisens, dem das lockere Schloß nicht lange widerstand, leicht öffnete.

Aus dem Rüstschuppen nahm er eine Baumleiter, diese trug er nach dem Hause und lehnte sie gegen dasselbe, sie reichte gerade bis zu dem Fenster des Arbeitszimmers hinauf.

Er trat noch einmal zurück. Mit forschendem Blick überschaute er die sämmtlichen nach dem Garten führenden Fenster; sie waren alle dunkel; ein Beweis dafür, daß Johann von dem weitem Wege noch nicht zurückgekehrt und daß daher von ihm eine Ueberraschung nicht zu fürchten sei, denn das Fenster der Bedientenstube ging nach dem Garten und war immer hell, da Johann in ihr der Befehle seines Herrn harren mußte.

Ohne weiter zu zögern, stieg der Präsident die Leiter hinauf.

Mit einer Geschicklichkeit, deren sich ein routinirter Einbrecher nicht geschämt haben würde, klebte er das Pechpflaster vor die eine Fensterscheibe. Ein scharfer Stoß, mit leisem Klirren zerbrach die Scheibe. Kein Splitter fiel geräuschvoll zur Erde, alle blieben im Pech des Pflasters hängen.

Das Fenster ließ sich jetzt ohne Mühe öffnen. Der Präsident schwang sich durch dasselbe in sein Arbeitszimmer. Mit leisem Schritt schlich er nach der zum Vorsaal führenden Thür, diese verriegelte er von innen, dann schlich er wieder zum Fenster, nahm den eisernen Geldkasten auf und mit diesem kehrte er durch das Fenster, die Leiter hinab, in den Garten zurück, nachdem er unterwegs das Pechpflaster von der zerbrochenen Scheibe gerissen, zusammengewickelt und eingesteckt hatte.

Der Kasten war nicht leicht und die Leiter war schwer; aber der kräftige Mann trug doch beides durch die Kastanienallee und den engen, durch das Gebüsch führenden Seitenpfad nach der Gartenmauer. Es war ein beschwerliches, mühsames Werk, denn die Leiter streifte die Büsche und blieb einige Mal an hervorragenden Aesten hängen.

Der Schweiß stand dem Präsidenten in großen Tropfen auf der Stirn, er war von der ungewohnten körperlichen Anstrengung sehr erschöpft, als er die Gartenmauer erreichte; trotzdem gönnte er sich keinen Augenblick der Ruhe. – Er lehnte die Leiter an die Mauer, stieg empor und als er oben war, zog er sie nach sich in die Höhe; mit ihrer Hilfe konnte er mühelos mit dem eisernen Kasten in den Gartenweg hinabsteigen, nachdem er sich durch eine aufmerksame Rundschau von der Höhe der Mauer herab überzeugt hatte, daß der Weg so einsam wie vorher war.

Unten angelangt hob er die Leiter in die Höhe und schob sie über die Mauer fort, so daß sie in den Garten zurück fiel. Das dabei entstehende Geräusch erschreckte ihn. – Mit angehaltenem Athem stand er lange horchend still; aber er hörte nichts, als das Rauschen der vom Wind bewegten Bäume. – Er konnte ruhig sein; er war unbelauscht. Wer sollte auch wohl in dieser menschenleeren Gegend das Geräusch der fallenden Leiter bemerkt haben! Hier war er vor jeder Ueberraschung sicher.

Der Raub des Geldkastens war glücklich gelungen; jetzt aber galt es, alle Spuren, welche auf den wahren Einbrecher leiten konnten, zu beseitigen. – Er zog zuerst die Ueberschuhe aus; in jeden derselben steckte er eins der Stemmeisen, in einen außerdem das Pechpflaster, in den andern den Hammer, den er in St** gekauft hatte, dann schnürte er die Schuhe mit Bindfaden fest aneinander; nachdem dies geschehen war, holte er eine Taschenbürste hervor. Mit dieser reinigte er Rock und Beinkleider von den Spuren, welche beim Uebersteigen der Mauer zurückgeblieben waren. Erst nachdem er das Reinigungswerk mit größter Sorgfalt vollendet hatte, nahm er den eisernen Kasten wieder auf, und nun schritt er langsam, vorsichtig, fast bei jedem Schritt vor- und rückwärts schauend, den Gartenweg entlang.

Er kam zu dem niedrigen Bretterzaun, der den Hof des kleinen Hauses, in welchem der Schlosser Weinert wohnte, begrenzte.

Die Thür der Schlosserwerkstatt stand offen. – Der Präsident konnte diese überschauen. Er sah den Schlosser fleißig bei seiner Arbeit beschäftigt, mit mächtigen Hammerschlägen das glühende Eisen bearbeitend. Die schöne junge Frau stand mit dem Kind auf dem Arm in der Werkstatt, sie sah der Arbeit zu und stimmte mit heller Stimme ein in ein fröhliches Lied, welches ihr Mann sang, während er den Hammer fleißig rührte.

Das friedliche, schöne Bild machte einen tiefen Eindruck auf den Präsidenten, er fühlte sich vom Mitleid ergriffen. – War es denn gar nicht möglich, sich selbst zu retten, ohne Jenen zu verderben? – Er grübelte vergeblich. Lange wurzelte sein Fuß am Boden, er wagte es nicht, vorzuschreiten, das begonnene Werk zu vollenden; endlich aber entschloß er sich, nachdem er sein besseres Ich im schweren Seelenkampf besiegt hatte.

Er hatte früher, wenn er auf dem Gartenweg nach der Stadt ging, oft eine auf dem Hof des Hauses dicht am Bretterzaun liegende Düngergrube mißfällig bemerkt und sich geärgert über die üblen Ausdünstungen, welche aus der tiefen, bis zum Rand mit schmutzigem Wasser gefüllten Grube aufstiegen.

Langsam und vorsichtig ging er am Zaun bis zu der Stelle entlang, wo sich jenseits im Hofe die Grube befand. Er beugte sich weit über die Bretter fort, dann ließ er den eisernen Kasten in das schmutzige Wasser hinabgleiten.

Ein leises Plätschern war dabei nicht zu vermeiden, auch glaubte der Präsident von der andern Seite des Weges her, wo ein leerer, nur im Winter für das Holz bestimmter Schuppen stand, ein Geräusch zu vernehmen. – Wurde er beobachtet? Das Blut trat ihm zum Herzen, der kalte Schweiß in großen Tropfen auf die Stirn. – Mit weit geöffnetem Auge stierte er in die Dunkelheit, er strengte sein scharfes Gehör aufs Aeußerste an, aber er hörte nichts als die Hammerschläge dort drüben in der Werkstatt und den fröhlichen Gesang der beiden glücklichen Menschen.

Er hatte sich geirrt. Sein Blut beruhigte sich wieder; das stürmische, hochklopfende Herz schlug leiser. – Mit schnellen Schritten setzte er seinen Weg fort, quer über den Thorplatz, den er erreicht hatte, nach einer Parkanlage, welche auf den früher die Stadt umgürtenden Wällen den Bewohnern von M** zum angenehmen Spaziergang diente. Abends waren die Anlagen wenig besucht, besonders die sich am früheren Stadtgraben hinziehenden feuchten Gänge, in welche nur hier und da ein Strahl der oben auf dem Wall stehenden Gaslaternen drang. Gerade diese entlegenen Gänge suchte der Präsident auf, hier konnte er fast sicher sein, keinem verspäteten Spaziergänger zu begegnen. Er ging am Wasser entlang bis zu einer schmalen eisernen Brücke, welche nach einer kleinen morastigen Insel führte. – Hier, so hatte er gehört, war der seichte Stadtgraben am tiefsten.

Mitten auf der Brücke blieb der Präsident stehen. – Er blickte forschend um sich. So weit sein scharfes Auge reichte, nirgends erblickte er einen Menschen. Er horchte mit der angespanntesten Aufmerksamkeit; aber kein anderer Ton als das ferne Rasseln der Wagen drang an sein Ohr. Schnell zog er die zusammengebundenen Ueberschuhe unter dem Rock hervor und warf sie in den Graben; sie sanken, hinabgezogen durch das schwere Eisen, in die Tiefe.

Niemand hatte ihn beobachtet. Jetzt endlich war er sicher vor Entdeckung. – Mit erleichtertem Herzen, einer schweren Sorge ledig, schlug er frohen Muthes den nächsten Weg nach der Stadt und zwar nach einer Weinstube ein, welche der Sammelplatz der Offiziere und der höheren Beamten von M** war.

Hier traf er zahlreiche Bekannte, die ihn freudig begrüßten, denn der geistreiche, liebenswürdige Mann war in jeder Gesellschaft, in welcher nicht gespielt wurde, gern gesehen. Nur beim Spiel zeigte er sich leidenschaftlich und ungesellig, sonst war er der angenehmste Gesellschafter, und als solcher erwies er sich auch an jenem Abend.

Heiterer, mittheilsamer, liebenswürdiger war der Präsident noch nie gewesen. Er sammelte bald einen großen Kreis um sich und, was er sonst nie that, er nahm sogar Theil an einer Bowle und leerte fleißig sein Glas.

Erst spät in der Nacht trennte sich die lustige Zechergesellschaft. – Zwei Offiziere, ein Hauptmann und ein Major, ließen es sich nicht nehmen, den Präsidenten nach Haus zu bringen, denn, so meinten sie, – das größte aller Wunder sei geschehen, der Nüchternste der Nüchternen, der Mäßigste der Mäßigen, – der Herr Präsident Wartenberg habe ein Gläschen über den Durst getrunken.


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