Ludwig Storch
Orestes in Paris
Ludwig Storch

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17.

Elisabeth athmete tief auf an des Geliebten Brust. Noch waren nur wenig Worte zwischen beiden gewechselt worden; denn wo die Herzen im Jubel berauschter Empfindung aufglühen, bleiben meist die Lippen stumm. Und Küsse sind doch reichhaltiger, größer, tiefdeutiger, als Worte; Küsse sind Poesie, Worte nur Prosa. Wenn die Lippen Altar und Heerd des himmlischen Feuers sind, verschmähen sie den Dienst der Erde. Statt ihrer plauderten die Herzen, die pulsirten so heftig, so selig, so geschwätzig aneinander; aber eigentlich accompagnirten sie nur die Küsse. Es war dasselbe stumme Lied, dessen Noten unbewußte Ahnungen einer Liebesseligkeit sind, die über den Grenzen der Sterblichkeit hinausliegt.

Plötzlich stürzte Demoiselle Poupard mit den Worten herein: »Hinaus! Hinaus, Alison! Der Vater kommt zu unserm Schrecken schon wieder. Er muß Dich bei der Mutter finden. Es 167 kommen mehre. Er bringt Gesellschaft mit.« Damit riß sie das erschrockne Mädchen aus des Geliebten Armen und aus ihrem Genuß. Gleich darauf flog Nannon herein und drückte St. Romain einen Brief in die Hand. »Ich habe diesen Brief vorhin erhalten, um ihn an Herrn von Tarneau zu besorgen. Stell' Dich, als ob Du dessen Bote wärst. Frau von Tarneau weiß schon nicht anders.« – St. Romain vergaß in der Bestürzung zu fragen, woher er den Brief zu bringen habe, und schon war Nannon wieder fort.

Aber nicht der Hausherr war es, der herein trat, sondern ein Polizeicommissär mit Mannschaft, der die ihm entgegenkommende, zum Tod erschrockne Margoton ins Examen nahm.

»Es ist vor noch nicht einer vollen halben Stunde ein Fremder hier hereingegangen; wo ist er?« fragte der Commissär.

»Ein Fremder?!« stammelte die Haushälterin. »Daß ich nicht wüßte.«

»Desto besser wissen wir. Wenn er mir nicht ausgeliefert wird, muß ich ihn im Hause suchen. 168 Ersparen Sie sich alle Unannehmlichkeiten. Wir sind unsrer Sache gewiß.«

»Ein Bote ist gekommen,« sagte Nannon, die hinzugetreten war, »der einen Brief an Herrn von Tarneau gebracht hat.«

»Eben diesen Boten mein' ich.« – Nannon öffnete zitternd die Thüre des Zimmers. St. Romain trat den Polizeiofficianten entschlossen entgegen.

»Mein Herr, Sie sind mein Gefangner, im Namen des Königs!« redete ihn der Commissär an.

»Den Brief! den Brief!« flüsterte ihm Nannon ängstlich heftig zu. St. Romain wollte ihr denselben heimlich zustecken.

»Erlauben Sie mir, diesen Brief in Empfang zu nehmen,« sagte der Commissär und fischte zu Nannons Schrecken den Brief weg. Mit ehrerbietiger Höflichkeit wurde der Gefangne abgeführt, und in ein höchst anständiges Gefängniß gebracht. Vergebens nannte er seinen Namen; seine Verkleidung sprach gegen ihn. Am andern Morgen, als man seine Aussage wahr gefunden, ließ ihn der 169 König vor sich bringen. St. Romain ging zaghaft, doch hoffte er dem Könige glauben zu machen, er sei in seinem Auftrage in Tarneau's Hause gewesen. Die Anrede des vierzehnjährigen Herrschers vernichtete alle Hoffnungen.

»Elender!« rief Ludwig mit kindisch toller Geberde. »Du hast Dich von Condé zur Untreue verleiten lassen, gibst Dich zum Werkzeug der Montpensier her? Pfui! ich habe Dich geliebt, Dir vertraut, während Du mich meinen Feinden verrathen.«

St. Romains Zunge fesselte ein minutenlanges Erstaunen.

»Das also war's, warum Du mich von dem geliebten Mädchen fern hieltest?« fuhr der König fort, »weil Du ein Condéer bist und mich hassest. Mit Deinem Stiefvater spielst Du unter einer Decke. Du willst den Spaniern behülflich sein ins Land zu kommen. Du bist ein Ungeheuer!«

»Ew. Majestät, ich verstehe von diesem Allen kein Wort.«

»Kein Wort? Bist Du nicht selbst der Bote eines Briefes gewesen, in welchem steht, daß der 170 Ueberbringer noch nähere Nachrichten mittheilen werde? Siehst Du Dich nun entlarvt, Verräther? Fort, aus meinen Augen, Dich wird die gerechte Strafe erwarten.«

St. Romain wurde abgeführt. Er überlegte, daß er die Wuth des Königs noch mehr reizen werde, wenn er die Wahrheit gestehe, und begriff leicht, wie er auch sich drehen und wenden möge, er sei und bleibe in einen sehr schlimmen Handel verwickelt, der ihn wohl gar den Hals kosten könnte. Sein heiligster Vorsatz war jedoch, wie auch die Fälle kommen möchten, weder Nannon noch Elisabeth zu verrathen. –

Kaum war der in ein seltsames Wirrsal verwickelte Offizier wieder in sein Gefängniß gebracht, als Benoit Poupard in die Appartements der Königin Mutter gerufen wurde. Mit der ihm angebornen Keckheit schritt er über den reich verzierten Fußboden, und sah die stolze Frau, die, in ihrem pomphaften Morgenanzug, mit einer Stickerei beschäftigt, in einem Lehnsessel saß, unverwandten, furchtlosen Blicks an. Der König trat eben von der andern Seite in das Zimmer und stützte 171 sich mit den Armen auf die Stuhllehne der Königin.

»Du bist ein braver Junge,« redete ihn Anna von Oesterreich an, »und hast aus treuer Liebe zu Deinem Könige uns einen großen Dienst erwiesen, indem Du Deinen schurkischen Offizier entlarvtest.«

Ein schmerzlicher Zug zuckte um Benoits Mund.

»Küß mir die Hand,« fuhr die Königin fort, »Du hast Dir unsre Gnade erworben.«

Benoit bückte sich mit wenig verhehltem Trotze nieder, und that, wie ihm befohlen worden.

»Mutter,« redete der König, »er ist derselbe, der auf Befehl der Muhme Montpensier den Orestes spielte, dem Stücke aber einen so guten Ausgang improvisirte.«

»Ich weiß bereits, Sire,« versetzte sie, »und er ist unsrer Gnade doppelt würdig.«

»Ich habe Dich schon damals lieb gewonnen,« wandte sich Ludwig zu Benoit, »und Du sollst heute noch erfahren, wessen sich die zu versehen haben, die der König von Frankreich liebt.«

»Es ist löblich von Ihnen, Sire,« warf die Königin mit einem bedeutungsvollen Blicke auf 172 ihren Sohn ein, »daß Sie dem jungen Mann Beweise Ihrer Liebe geben wollen; auch die meiner Gnade soll er nicht entbehren. Doch wünsch' ich, daß er zuvor sich eines Auftrags entledige, den ich ihm ertheilen werde. Führst Du ihn zu unsrer Zufriedenheit aus, Poupard, so kehrst Du als Edelmann zurück, und erhältst des schändlichen St. Romain Offiziersstelle.«

»Befehlen Ihre Majestät,« sagte Benoit mit einem sauern Gesicht.

»Der Brief, in dessen Besitz wir durch Dich gekommen sind, ist vom Marquis von la Boulage, einem der eifrigsten Feinde des Königs und eben so warmen Anhänger des Prinzen Condé, und an den Parlamentsadvocaten von Tarneau gerichtet, der sich ebenfalls zu unsres rebellischen Vetters ergebensten Freunden zählt. Boulage ist oft in Tarneau's Hause gewesen, und auch Du hast dort Zutritt, wie ich in Erfahrung gebracht habe. In dem Briefe steht von einer geheimen Zusammenkunft des Prinzen Condé, der Prinzessin Montpensier und mehrer treuen Freunde des Prinzen. Die Zeit ist nicht angegeben, eben so 173 wenig der Ort. Herr von Tarneau wird blos nach Meaux eingeladen, dort soll er das Nähere erfahren. Ich habe den Brief sehr künstlich wieder versiegeln lassen, so daß man nicht wahrnehmen kann, daß er schon geöffnet gewesen ist. Hier ist er. Nimm ihn und geh' in Tarneau's Haus, sage, St. Romain wäre, sobald man ihn erkannt, freigegeben worden; auch habe man ihn den Brief uneröffnet zurückgestellt. Er habe ihn Dir zur Besorgung übergeben, weil er diesen Morgen in aller Frühe schon habe abreisen müssen. Hat Tarneau den Brief gelesen, und du merkst, daß er von Verreisen spricht, so bitte ihn, Dich als Diener mitzunehmen; klage, daß man Dich in königlichen Diensten schlecht behandelt und Du deshalb gesonnen seist, dem Prinzen Condé und den Spaniern zu dienen. Bitte ihn um seine Vermittlung, winsele und klage, bis er Dich mit nimmt. Dann wird er Dich schon an den Ort führen, wo die Zusammenkunft der Rebellen stattfindet. Hier übergebe ich Dir einen königlichen Befehl an jede Municipalbehörde. Die, welcher Du ihn vorzeigst, muß sogleich Bewaffnete in Masse aufsitzen 174 lassen, und Deinem Befehl übergeben. Mit diesen Leuten nimmst Du den Prinzen Condé gefangen und führst ihn nach Paris. Du bist klug und gewandt; ich hoffe, Du wirst den Plan aufs Beste ausführen, der glänzendste Lohn ist Dir gewiß.«

Benoit empfing schweigend die Papiere aus der Hand der Königin.

»Man hat mir gesagt,« fuhr sie fort, »Prinz Condé habe Dir ein heißgeliebtes Mädchen verführt. – So ist's, diese Libertins glauben sich alles gegen die heiligen Bande der Liebe, gegen Sitte und Unschuld erlauben zu dürfen, und hohnlachen der Verzweiflung eines zertretenen Herzens. Aber dem Wurme war der Stachel gegeben und dem Menschen das Rachegefühl. Geh' hin, mein Sohn; Gott geleite Dich!«

Benoit empfahl sich. Kaum war er aus dem Palast, als sich auf seinem Gesicht der wüthende Schmerz seines Herzens abmalte. Mehr laufend als gehend, langte er in Tarneau's Hause an. Nannon und der Parlamentsadvocat waren in der Frühe nach Meaux abgereist. Zerknirscht warf sich Benoit zu Elisabeths Füßen und bekannte ihr 175 seine Schuld, daß er seinen hochverehrten Offizier, ihren Geliebten, dessen Vertrauter er gewesen war, ins Elend gestürzt, wähnend er sei Prinz Condé, der Nannon von Neuem umstrickt habe. Margoton heulte und schrie, und verwünschte die unselige Eifersucht ihres Söhnleins. In langen Reden suchte sie ihm zu erklären, welche herrliche Freundschaftsrolle Nannon gespielt, und wie sie gestern noch erbötig gewesen sei, ihm Alles zu verzeihen und ihn wieder zu Gnaden anzunehmen, wie ihn gerade gestern Abend der Abbé gesucht, um ihm die frohe Nachricht zu überbringen, daß Nannon nun völlig ausgesöhnt und gesonnen sei, ihn zu heirathen und wieder mit ihm auf das Theater zu gehen.

Benoits verzweifelter Zustand wurde dadurch noch schlimmer. Aufschluchzend vor Schmerz rannte er fort, und Margoton zeterte in Furcht, er werde sich ein Leids thun. Er trieb aber ein Pferd auf und jagte dem St. Antoinethor hinaus. 176

 


 


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