Ludwig Storch
Orestes in Paris
Ludwig Storch

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6.

Schon lange hatte die Herzogin von Montpensier den Spott der Königin Anna und des Cardinals Mazarin wegen ihrer schlecht verhehlten Leidenschaft zu dem jungen, schier noch dem Knabenalter angehörigen Könige ertragen müssen, und oft hatte man die Aeußerung der Königin Mutter gehört, diese Neigung der schönen Prinzessin schreibe sich daher, weil sie, damals bereits eine stattliche Jungfrau, den König oft in den 64 Windeln getragen und weil er ein so schöner Säugling gewesen, über alle Maßen lieb gewonnen habe. Dieser Spott hatte im Herzen der stolzen Prinzessin eine Hassesglut gegen die Königin angefacht, die, in Verbindung mit ihrer heftigen Liebe, sie auf Mittel sinnen ließ, den Gegenstand derselben, den jungen Monarchen von seiner Mutter zu trennen und ihr die Herrschaft aus den Händen zu winden. Seit jenem Tage aber, den die Mündigkeitserklärung des Königs und die verunglückte Aufführung des Orestes merkwürdig gemacht hatten, nannte sie die Königin unter ihren Günstlingen zuweilen Hermione und bald bezeichnete die Rotte der Schmeichler und Kriechlinge die edle Prinzessin spottweise mit diesen Namen, ja als sie zum ersten Male nach jenem Vorfalle wieder bei Hof erschien, belobte sie die Königin wegen ihrer außerordentlichen Gelehrsamkeit und genauen Kenntnisse der griechischen Mythologie, und fragte sie dann höhnend, ob denn Hermione, die Tochter des Menelaos, wirklich ganzer zwölf Jahre älter gewesen sei, als ihr geliebter Vetter und 65 nachheriger Gatte Orestes. Diese und ähnliche Aeußerungen, denen sie nichts entgegen setzen durfte, aus Furcht vor der Macht der Königin, vermochten sie bald, sich ganz vom Hofe zurück zu ziehen und in der Einsamkeit auf Rache an ihren Feinden zu sinnen. Dort las sie sich einen würdigen Mann zum Rächer aus, den jungen Löwen, den gewaltigen Kriegshelden, der wohl im Stande war, die Königin sammt ihrer Partei zu demüthigen. Dies war Prinz Ludwig von Condé, Herzog von Bourbon, damals ein junger feuriger Mann von dreißig Jahren, aber schon der Held Frankreichs, das er vor acht Jahren in der Schlacht bei Rocroi gerettet, dessen Fahnen er in den Niederlanden den Sieg verschafft, der sich in der letzten Zeit des dreißigjährigen Kriegs in Deutschland unsterblichen Ruhm erfochten, und neuerdings vom Haß der Königin Mutter und des aus der Ferne ihn noch verfolgenden Cardinals bedrängt, nach Angerville in Gatinois geflüchtet hatte, wo er ein Schloß besaß. Ihm schilderte die Montpensier Gefahr und Noth größer als sie waren, in glühenden Farben, ihm versprach 66 sie Beistand, wenn er dem Hofe den Krieg erklären würde. Ein Brief jagte den andern und Condé's reizbares Gemüth, dem der fortdauernde Einfluß seines Feindes Mazarin auf die französischen Staatsangelegenheiten unerträglich war und der stets eine neue Gefangenschaft zu befürchten Ursache zu haben glaubte, ließ sich von der Beredsamkeit seiner Muhme hinreißen.

Bald verbreiteten sich am Hofe beunruhigende Nachrichten; man hörte, daß sich um Condé viele seiner Kriegsgesellen und Anhänger versammelten, und man sprach überall laut von einem großen Kriege, den er gegen die Königin und ihre vom Cardinal geleitete Partei führen werde. Condé's hoher Waffenruhm und sein außerordentliches Feldherrntalent machten die Königin zittern. Sie war sich nur zu schuldbewußt, den jungen Helden unnütz gereizt und der pfäffischen Eifersucht des Cardinals und ihrer eignen brusquen Laune aufgeopfert zu haben. Nun erschreckten sie die möglichen Folgen ihrer Thorheit. Auch ahnete sie wohl die geheime Mitwirkung der Prinzessin von Montpensier. Dem 67 Uebel vorzubeugen, das für sie aus diesen Verhältnissen erwachsen mußte, suchte sie den Vater der schwerbeleidigten Prinzessin, den Herzog Gaston von Orleans, ihren Schwager, zu gewinnen. Und dies konnte ihr gerade nicht schwer fallen; der charakterlose Herzog, von ihr um die Regentschaft des Reichs betrogen, die ihm sein sterbender Bruder, König Ludwig XIII. testamentarisch zuerkannt, hatte ihr schon oft zum Spielzeug ihrer Laune gedient. Auch jetzt beglückte sie ihn mit Gunstbezeugungen, da ihr nur zu wohl bekannt war, daß er mit Condé zuletzt in den freundschaftlichsten Beziehungen gestanden hatte. Herzog Gaston, geschmeichelt durch den Antrag der Königin, den Vermittler zwischen ihr und Condé zu machen und den letztern mit den schönsten Versprechungen zu gewinnen, schrieb trotz den Abmahnungen seiner ältesten Tochter, mit deren männlichen festen Charakter sich sein weibischer Geist niemals recht befreunden konnte, an Condé und bot Alles auf, den Prinzen vom Kriege abzuhalten und zur Rückkehr zu bewegen. Er versprach sogar im 68 Namen der Königin, daß Mazarin niemals nach Frankreich zurückkehren, ein Verbannungsurtheil vom Parlament gegen ihn ausgesprochen werden, seine Freunde von ihren Aemtern entfernt und jeglicher Einfluß des Cardinals für immer aufhören solle. Aber dies Mal überwand der Zufall königliche Klugheit und ersparte der Königin einen Wortbruch. Der Bote, welcher den Brief des Herzogs von Orleans an den Prinz Condé bringen sollte, ging, statt nach Angerville in Gatinois, nach Angerville in Beauce, und so verstrich eine lange Zeit, eh das Schreiben an seine Adresse gelangte. Nun war es aber zu einer friedlichen Aussöhnung zu spät; Condé befand sich bereits zu Bourges, wo er ein Heer von Adel und Volk um sich versammelt hatte, der Krieg war so gut als erklärt und die Prinzessin von Montpensier hatte schon dafür gesorgt, allen Eindrücken vorzubeugen, die die Friedensvorschläge ihres Vaters auf Condé machen konnten. Sie verstand es vortrefflich, seinen Stolz anzufachen, und so hielt er es gar nicht der Mühe werth, etwas zu erwiedern, 69 vielmehr ging er nach Bourdeaux, der Hauptstadt seines Gouvernements (Guyenne), wo er mit den größten Freudenbezeugungen empfangen wurde, um hier seine Hauptmacht zu sammeln. Viele der vornehmsten Adligen traten zu seiner Partei, und mit den königlichen Einkünften zu Bourdeaux warb er Truppen in ganz Frankreich. Die geängstete Königin ließ ihm von mehren Seiten die glänzendste Genugthuung anbieten, aber er wieß alle Anträge hochmüthig zurück und schwur, das Schwert nicht eher wieder einzustecken, bis die übermüthige Spanierin aus dem Lande gejagt sei. Ganz Frankreich kam in Bewegung, alle loyalen und getreuen Unterthanen tadelten das Benehmen des Prinzen, im Herzen des Vaterlandes einen Krieg zu entzünden, und alle alten Offiziere blieben dem Könige getreu. Auf Condé's Seite waren nur Abenteurer, Glücksjäger und Leute, die auf zügellose Freiheit und Plündern hofften.

Der Hof sah sich endlich genöthigt, dem Prinzen eine Armee entgegen zu führen und der junge König ging selbst mit derselben nach 70 Guyenne, wo im Laufe des Winters einige Waffenthaten geschahen. Die Königin glaubte nun mit Fug und Recht, den Cardinal Mazarin, ohne den sie nicht leben konnte, nach Frankreich zurückrufen zu dürfen, aber der Herzog von Orleans widersetzte sich diesem Plane aus allen Kräften, immer noch hoffend, den Vermittler zwischen dem Hofe und Condé spielen zu können; und das Pariser Parlament wünschte nichts mehr als eine solche Vermittlung, sowohl in Betracht der großen Verdienste des tapferen Prinzen um Frankreich, als auch aus Furcht vor einem Bürgerkriege. Es zögerte daher so lange als möglich, die königliche Erklärung in ihre Register aufzunehmen, wodurch der Prinz Condé und seine Anhänger für Majestätsverbrecher erklärt wurden, und als es endlich den wiederholten königlichen Befehlen gehorchte, schleuderte es seine flammenden Beschlüsse auch gegen Mazarin, von dessen erfolgter Rückkehr das Gerücht alle Herzen bestürzt machte. Der Cardinal wurde vom Parlament von Neuem für einen Majestätsverbrecher erklärt, es zog seine Güter ein, 71 verkaufte seine Bibliothek, erledigte seine Pfründen, und setzte sogar zum großen Aergerniß der Geistlichkeit, funfzigtausend Thaler auf seinen Kopf.

Als einen der wüthendsten Feinde des Cardinals zeigte sich im Parlamente Battist von Tarneau. Vergebens hatte er sich der königlichen Erklärung gegen Condé widersetzt und alle Macht seiner finstern Beredsamkeit aufgeboten, den Beschluß ganz zu verhindern, nun that er dasselbe, um Mazarin zu verderben. Während die Pariser Witzlinge über die Parlamentsbeschlüsse spotteten, ging Tarneau so weit, vorzuschlagen, daß einige Parlamentsräthe sich an die Grenzen begeben und Untersuchungen gegen das Heer des Cardinals, welches doch kein andres als des Königs war, anstellen möchten, und das Parlament faßte in seiner schwindeligen Aufregung einen solchen Beschluß. Dadurch hoffte man die achttausend Mann Soldaten, welche auf des Königs Befehl den Cardinal nach Frankreich zurückführen sollten, zurück zu halten. Tarneau that noch mehr; er verließ mit zwei 72 Parlamentsräthen, gleich ihm die bittersten Feinde Mazarins, Paris, begleitet von den Segenswünschen seiner begeisterten und ihn begeisternden Frau, raffte Soldaten zusammen, wo er deren habhaft werden konnte, wiegelte die Bauern auf, wohin sie kamen, und zog mit dieser Rotte, die er täglich einige Male haranguirirte, Mazarin entgegen. Ihre Thaten beschränkten sich aber darauf, die Brücken abzubrechen, über welche der Cardinal seinen Weg nehmen mußte. Als dieser nun wirklich heran kam, lief das liederliche Volk wieder auseinander, und Tarneau sah sich mit seinen Gefährten genöthigt, mißvergnügten Herzens den Rückweg nach Paris anzutreten.

Mazarin zog, hohnlachend über die Beschlüsse des Pariser Parlaments, triumphirend über Condé's Haß, dessen begonnene Feindseligkeiten ihm eben zur Rückkehr nach Frankreich verholfen hatte, nicht wie ein Vertriebener, der aus der Verbannung wieder kommt, sondern vielmehr wie ein siegreicher Eroberer durch Frankreich. Ein ganzes Truppenheer begleitete ihn, das auf seine Kosten 73 geworben war, und auffallend genug trugen die Offiziere nicht etwa die Farben des Königs, zu dessen Dienste sie doch eigentlich bestimmt waren, sondern waren vielmehr alle gekleidet, wie die Hausdienerschaft des Cardinals. Fürwahr er konnte seinen Gegnern keinen größern Hohn anthun. In diesem kostbaren Aufzuge ging er ungehindert über die Marne und Seine, und schlug sich an der Loire hin nach Poitiers, wo sich damals der Hof aufhielt. Alles zitterte vor ihm. Die Königin wollte ihren Liebling recht hoch stellen vor den Augen alles Volks, und deshalb mußte ihm der ganze Hof in Glanz und Pracht entgegen gehen. Der König und sein Bruder, der Herzog von Anjou, empfingen ihn an der Spitze der Leibwache und leichten Reiterei zwei Meilen von der Stadt, und man hätte zweifelhaft werden können, wer eigentlich der König sei, so viel Ehrenbezeugungen wurden Mazarin von den königlichen Brüdern und dem Hofstaate erwiesen, die der bescheidene Priester mit lächelnder Miene entgegen nahm. Im Triumph 74 in die Stadt geführt, begrüßte ihn die Königin in ihren Gemächern als den lang entbehrten Freund.

 


 


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