Ludwig Storch
Orestes in Paris
Ludwig Storch

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12.

Kaum war das königliche Heer abgezogen, als Benoit Poupard, nach Ablegung aller Abzeichen, die ihn als königlichen Krieger hätten kenntlich machen können, aus seinem Versteck schlüpfte, und schnell seinen Weg durch die volkreichen Straßen fortsetzte. Ungehindert erreichte er das ihm wohlbekannte Haus des Herrn Battist von Tarneau in der Straße de la Tonellerie, eine der ersten rechten Seitenstraßen der Straße St. Honoré, eben nicht weit vom Louvre. Leise wie ein Kater, schlich er die Treppe hinauf und nach der Küche, da er wußte, daß seine jungfräuliche Mutter um diese Zeit mit Beschickung des Abendessens beschäftigt sei. Seine Vermuthung hatte ihn nicht betrogen. Demoiselle Poupard ordnete an, was die Köchin auszuführen hatte, und schonte dabei ihre eignen Hände nicht. Ein Geräusch hinter ihr zog ihre Aufmerksamkeit auf sich, und wenn Benoit sie nicht schnell umarmt und ihr den Mund 130 mit einem Kuß verstopft hätte, so wäre sie aufschreiend umgefallen; die Freude ihres Herzens, den lang Entbehrten wieder daran drücken zu können, machte sich auf allerlei Weise Luft, und nur Benoits ernstliche Vorstellungen verhinderten sie, das ganze Haus aufzujubeln. Nun bestürmte sie den Geliebten mit Fragen, die er mit den Worten beschwichtigte: »Kommen Sie, lieb Mütterchen, nur schnell mit auf Ihr Zimmer. Dort sollen Sie alles erfahren.« In hastiger Eile zog sie ihn fort, aber kaum dort angelangt, redete er sie an: »Vor allen Dingen, beste Mutter, müssen wir etwas von der größten Wichtigkeit abmachen. Ich bin königlicher Soldat gewesen und habe heute mit gefochten. Mein Offizier, den ich sehr liebe, ist verwundet worden. Er ist hier zu bekannt, als daß er sich ohne Nachtheil zeigen dürfte. Es gälte seine Freiheit, ja sein Leben; denn der Pöbel ist rasend. Aber er bedarf einer sorgsamen Pflege, eines guten Wundarztes und eines sichern Versteckes, zu seiner Erhaltung. Zum letztern hab' ich Ihr Stübchen ausersehen.«

131 »Mein Stübchen?« rief die Haushälterin erschrocken.

»Nun ja doch. Sie übernehmen die Pflege des jungen Mannes; ich weiß, er ist dann gut aufgehoben. Die Verschwiegenheit eines Wundarztes erkaufen wir.«

»Aber Kind, einen königlichen Offizier im Hause von Leuten, die in den Prinzen Condé ganz vernarrt sind!«

»Alles heimlich, beste Mutter. Elisabeth ziehen wir in das Geheimniß; ich kenne ihre edelmüthige Seele. Sie wird uns deshalb nicht tadeln. Frau von Tarneau kann nicht weiter als ihr Stuhl, Herr von Tarneau kommt nie auf Ihre Stube und die Magd darf nicht herein, oder bekommt ein goldnes Schloß an den Mund. wenn sie etwas merken sollte.«

»Mein Sohn, Du mußt bedenken –«

»Hier ist nichts zu bedenken. Entweder Sie nehmen den Verwundeten auf oder ich gehe sogleich wieder, ihm ein andres Quartier zu suchen, und komme Ihnen nie wieder vor die Augen.«

»So höre doch, Trotzkopf! Du bist immer 132 noch der Alte. Alles im Sturm von mir erzwungen. Es wird sich ja machen lassen. Laß mich doch nur überlegen, wie wir es einrichten. Nun sieh, Herr von Tarneau geht nach Tische in die Versammlung der Condéer, wo man sich über die Feste berathschlagt, die zu Ehren des Prinzen gegeben werden sollen. Die Magd läuft auch fort, weil man die Stadt erleuchten will, Elisabeth will ich schon für uns gewinnen, dann haben wir freien Paß.«

»Gut denn und Gott befohlen.«

»Aber so warte doch und erzähle mir.«

»Alles diesen Abend, wenn wir in Ordnung sind.« Und fort war er.

Als Margoton mit dem Abendessen fertig war, putzte sie ihr Stübchen auf, lockerte die Matratze und zog dann Elisabeth hinein, sie in das Geheimniß einzuweihen. Das herzige Mädchen freuete sich, an der Pflege des verwundeten Kriegers Theil nehmen zu dürfen, und gelobte gern die tiefste Verschwiegenheit.

Benoit suchte einen bekannten Wundarzt auf, entdeckte sich ihm so weit es nöthig war und 133 verabredete mit ihm, ihn in einigen Stunden abzuholen. St. Romains Schmerzen hatten unterdessen bedeutend zugenommen und mit Sehnsucht harrte er der Hülfe und der Nacht, die sie bringen sollte. Endlich erschien Benoit und rapportirte. Man bereitete sich so gut es ging auf die Abreise vor. Schon dämmerte es stark, als Nannon mit der Sänfte anlangte. Es hatte Schwierigkeiten, St. Romain, der durchaus nicht gehen konnte, die Steige herab zu bringen, und seine Schmerzen stiegen bei jedem Schritte seiner Träger bis zu einem hohen Grade. Endlich hatte man beide Kranken glücklich eingepackt, Nannon eilte voraus, um ihren Pflegevater zu empfangen, und Benoit lief, den Wundarzt abzuholen. Vorher waren den Trägern die Häuser genau mit der Bestimmung angegeben worden, zuerst den Director abzuladen, weil der Abbé in einer der kleinen Gasse wohnte, die in die Straße St. Martin laufen. Die Träger gingen durch die lange Straße St. Antoine und verfolgten den geraden Weg, die Straßen waren von Menschen überfüllt, jeden Augenblick wechselte die Scene, sie mußten sich und ihre 134 Sänfte mit Strohkränzen zieren, stimmten auch wohl mit in ein Liedchen. Dadurch zerstreut, verwechselten sie die angegebnen Häuser mit einander und weil sie der Straße de la Tonellerie jetzt am nächsten waren, so meinten sie, auch da den Alten auspacken zu müssen. Bald war das bezeichnete Haus gefunden, und da Margoton und Elisabeth schon auf der Lauer standen, so hielten sie die letztere in der Dunkelheit für Nannon. Debarques vertraute sich ihrer Führung an, und wurde schweigend und mit der größten Behutsamkeit in das Zimmer gebracht, während die Träger mit St. Romain weiter eilten. Sie waren kaum fort, als Benoit mit dem Wundarzte anlangte. Margoton brachte Licht und leuchtete in Debarques grämliches Gesicht. Die Entdeckung war nicht erfreulich. Demoiselle Poupard hatte nach der Aufführung des Orestes einen großen Haß auf den Director und seine Frau geworfen und war nach selbigen Abend in großem Unfrieden von ihnen gekommen. Sein unerwarteter Anblick regte daher alle bittern Gefühle wieder in ihr auf, und sie war nahe daran, ihn mit Scheltworten zu übergießen, 135 als ihre Blicke auf Benoit fielen, der nicht umhin konnte, die Verwechslung zu belachen. Jetzt wähnte sie, ihr Sohn habe sie zum Besten gehabt, wie sonst wohl zuweilen geschehen und die Fluth ihres Zorns entlud sich auf ihn. »Pendard!« rief sie entrüstet, »geht man so mit einer Mutter um! Nachdem ich mich fast ein Jahr um Dich gehärmt, gekümmert, gegrämt, Dich für todt beweint, und nur heute vor Freude fast sterbe, daß ich Dich wieder habe, spielst Du mir solchen Streich?! Undankbarer, Du bist meiner Liebe nicht werth!«

»Sie irren, beste Mutter, ich habe nichts verschuldet. Aber sagen Sie,« wandte er sich an Debarques, »wo ist denn St. Romain?«

»Er ist ohnmächtig vor Schmerzen in der Sänfte geblieben.«

»St. Romain?« rief jetzt Elisabeth. »Doch nicht etwa der Page des Königs?« setzte Margoton mit gespannten Zügen hinzu.

»Er war es,« versetzte Benoit. »Jetzt ist er königlicher Offizier.«

»Und er ist der Verwundete?« fragte das erschrockne Mädchen angstvoll.

136 »Derselbe.«

»O so laßt uns eilen, laufen, ihn aufsuchen. Margoton, höre doch, der Verwundete ist der Page, den der König mehrmals zu uns schickte, um mich grüßen zu lassen.«

»Und in den Du Dich vergafft, mein Kind. Nicht wahr? Ein schmucker Junker.«

»Aber wo ist er?« fragte Elisabeth mit Thränen im Auge.

»Sicherlich haben Sie ihn zum Abbé Bertault getragen, wo für Debarques Quartier bestellt war. Jetzt läßt sich die Sache nicht mehr abändern; wir müssen eilen, dorthin zu kommen, um ihm Hülfe zu bringen.«

Elisabeth ließ sich nicht abhalten, Benoit und den Wundarzt zu begleiten, und Margoton blieb mit stillem Grimm zurück, daß sie statt des jungen Offiziers, den sie selbst aus klingenden Gründen sehr lieb gewonnen hatte, den alten Schauspieler erhalten, und der unschuldige Mann, der auch lieber beim Abbé gewesen wäre, mußte es entgelten.

St. Romain lag schon im Bette, von 137 Nannon bedient. Noch war er ohnmächtig. Elisabeth kniete daran und betete. Der Arzt untersuchte die Wunde und verordnete die geeigneten Mittel. Als der Kranke die Augen aufschlug, fielen sie aus Elisabeth. Er glaubte zu träumen. Ihre warmen Thränen auf seiner Hand überzeugten ihn von der Wirklichkeit.

»Alison,« fragte er leise; »bist Du's wirklich?«

»Ich bin's,« versetzte sie eben so. »Verrathe unser süßes Geheimniß nicht. Ich werde oft, sehr oft bei Dir sein, bis Du genesen bist.«

Er drückte ihr mit einem unbeschreiblichen Blicke die Hand. – 138

 


 


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