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In der Gesellschaft, der Sozietät, kann höchstens die menschliche Forderung befriedigt werden, indes die egoistische stets zu kurz kommen muß.
Weil es kaum Jemand entgehen kann, daß die Gegenwart für keine Frage einen so lebendigen Anteil zeigt, als für die »soziale«, so hat man auf die Gesellschaft besonders sein Augenmerk zu richten. Ja, wäre das daran gefaßte Interesse weniger leidenschaftlich und verblendet, so würde man über die Gesellschaft nicht so sehr die Einzelnen darin aus den Augen verlieren, und erkennen, daß eine Gesellschaft nicht neu werden kann, solange diejenigen, welche sie ausmachen und konstituieren, die alten bleiben. Sollte z. B. im jüdischen Volke eine Gesellschaft entstehen, welche einen neuen Glauben über die Erde verbreitete, so dürften diese Apostel doch keine Pharisäer bleiben.
Wie Du bist, so gibst Du Dich, so benimmst Du Dich gegen die Menschen: ein Heuchler als Heuchler, ein Christ als Christ. Darum bestimmt den Charakter einer Gesellschaft der Charakter ihrer Mitglieder: sie sind die Schöpfer derselben. So viel müßte man wenigstens einsehen, wenn man auch den Begriff »Gesellschaft« selbst nicht prüfen wollte.
Immer fern davon, Sich zur vollen Entwicklung und Geltung kommen zu lassen, haben die Menschen bisher auch ihre Gesellschaften nicht auf Sich gründen, oder vielmehr, sie haben nur »Gesellschaften« gründen und in Gesellschaften leben können. Es waren die Gesellschaften immer Personen, mächtige Personen, sogenannte »moralische Personen«, d. h. Gespenster, vor welchen der Einzelne den angemessenen Sparren, die Gespensterfurcht, hatte. Als solche Gespenster können sie am füglichsten mit dem Namen »Volk« und respektive »Völkchen« bezeichnet werden: das Volk der Erzväter, das Volk der Hellenen usw., endlich das – Menschenvolk, die Menschheit (Anacharsis Cloots schwärmte für die »Nation« der Menschheit), dann jegliche Unterabteilung dieses »Volkes«, das seine besonderen Gesellschaften haben konnte und mußte, das spanische, französische Volk usw., innerhalb desselben wieder die Stände, die Städte, kurz allerlei Körperschaften, zuletzt in äußerster Zuspitzung das kleine Völkchen der – Familie. Statt zu sagen, die spukende Person aller bisherigen Gesellschaften sei das Volk gewesen, könnten daher auch die beiden Extreme genannt werden, nämlich entweder die »Menschheit« oder die »Familie«, beide die »naturwüchsigsten Einheiten«. Wir wählen das Wort »Volk«, weil man seine Abstammung mit dem griechischen Polloi, den »Vielen« oder der »Menge« zusammengebracht hat, mehr aber noch deshalb, weil die »nationalen Bestrebungen« heute an der Tagesordnung sind, und weil auch die neuesten Empörer diese trügerische Person noch nicht abgeschüttelt haben, obwohl andererseits die letztere Erwägung dem Ausdruck »Menschheit« den Vorzug geben müßte, da man von allen Seiten drauf und dran ist, für die »Menschheit« zu schwärmen.
Also das Volk, – die Menschheit oder die Familie –, haben seither, wie es scheint, Geschichte gespielt: kein egoistisches Interesse sollte in diesen Gesellschaften aufkommen, sondern lediglich allgemeine, nationale oder Volksinteressen, Standesinteressen, Familieninteressen und »allgemein menschliche Interessen«. Wer aber hat die Völker, deren Untergang die Geschichte erzählt, zu Fall gebracht? Wer anders als der Egoist, der seine Befriedigung suchte! Schlich sich einmal ein egoistisches Interesse ein, so war die Gesellschaft »verdorben« und ging ihrer Auflösung entgegen, wie z. B. das Römertum beweist mit seinem ausgebildeten Privatrecht, oder das Christentum mit der unaufhaltsam hereinbrechenden »vernünftigen Selbstbestimmung«, dem »Selbstbewußtsein«, der »Autonomie des Geistes« usw.
Das Christenvolk hat zwei Gesellschaften hervorgebracht, deren Dauer mit dem Bestande jenes Volkes ein gleiches Maß behalten wird: es sind dies die Gesellschaften: Staat und Kirche. Können sie ein Verein von Egoisten genannt werden? Verfolgen Wir in ihnen ein egoistisches, persönliches, eigenes, oder verfolgen Wir ein volkstümliches (volkliches, d. h. ein Interesse des Christen- Volkes), nämlich ein staatliches und kirchliches Interesse? Kann und darf Ich in ihnen Ich selbst sein? Darf Ich denken und handeln wie Ich will, darf Ich Mich offenbaren, ausleben, betätigen? Muß Ich nicht die Majestät des Staates, die Heiligkeit der Kirche unangetastet lassen?
Wohl, Ich darf nicht, wie Ich will. Aber werde Ich in irgendeiner Gesellschaft eine so ungemessene Freiheit des Dürfens finden? Allerdings nein! Mithin könnten Wir ja wohl zufrieden sein? Mitnichten! Es ist ein Anderes, ob Ich an einem Ich abpralle, oder an einem Volke, einem Allgemeinen. Dort bin Ich der ebenbürtige Gegner meines Gegners, hier ein verachteter, gebundener, bevormundeter; dort steh' Ich Mann gegen Mann, hier bin Ich ein Schulbube, der gegen seinen Kameraden nichts ausrichten kann, weil dieser Vater und Mutter zu Hilfe gerufen und sich unter die Schürze verkrochen hat, während Ich als ungezogener Junge ausgescholten werde und nicht »räsonieren« darf; dort kämpfe Ich gegen einen leibhaftigen Feind, hier gegen die Menschheit, gegen ein Allgemeines, gegen eine »Majestät«, gegen einen Spuk. Mir aber ist keine Majestät, nichts Heiliges eine Schranke, nichts, was Ich zu bewältigen weiß. Nur was Ich nicht bewältigen kann, das beschränkt noch meine Gewalt, und Ich von beschränkter Gewalt bin zeitweilig ein beschränktes Ich, nicht beschränkt durch die Gewalt außer Mir, sondern beschränkt durch die noch mangelnde eigene Gewalt, durch die eigene Ohnmacht. Allein »die Garde stirbt, doch sie ergibt sich nicht!« Vor Allem nur einen leibhaftigen Gegner!
Mit jedem Gegner wag' ich's,
Den ich kann sehen und in's Auge fassen,
Der, selbst voll Mut, auch mir den Mut entflammt usw.
Viele Privilegien sind freilich mit der Zeit vertilgt worden, allein lediglich um des Gemeinwohls, um des Staates und Staatswohls willen, keineswegs zur Stärkung Meiner. Die Erbuntertänigkeit z. B. wurde nur aufgehoben, damit ein einziger Erbherr, der Herr des Volkes, die monarchische Macht, gestärkt werde: die Erbuntertänigkeit unter dem Einen wurde dadurch noch straffer. Nur zu Gunsten des Monarchen, er heiße: »Fürst« oder »Gesetz«, sind die Privilegien gefallen. In Frankreich sind die Bürger zwar nicht Erbuntertanen des Königs, dafür aber Erbuntertanen des »Gesetzes« (der Charte). Unterordnung wurde beibehalten, nur erkannte der christliche Staat, daß der Mensch nicht zweien Herren dienen könne (dem Gutsherrn und dem Fürsten usw.); darum erhielt Einer alle Vorrechte; er kann nun wieder einen über den andern stellen, kann »Hochgestellte« machen.
Was aber kümmert Mich das Gemeinwohl? Das Gemeinwohl als solches ist nicht mein Wohl, sondern nur die äußerste Spitze der Selbstverleugnung. Das Gemeinwohl kann laut jubeln, während Ich »kuschen« muß, der Staat glänzen, indes Ich darbe. Worin anders liegt die Torheit der politischen Liberalen, als darin, daß sie das Volk der Regierung entgegensetzen und von Volksrechten sprechen? Da soll denn das Volk mündig sein usw. Als könnte mündig sein, wer keinen Mund hat! Nur der Einzelne vermag mündig zu sein. So wird die ganze Frage der Preßfreiheit auf den Kopf gestellt, wenn sie als ein »Volksrecht« in Anspruch genommen wird. Sie ist nur ein Recht oder besser die Gewalt des Einzelnen. Hat ein Volk Preßfreiheit, so habe Ich, obwohl mitten in diesem Volke, sie nicht: eine Volksfreiheit ist nicht meine Freiheit, und die Preßfreiheit als Volksfreiheit muß ein gegen Mich gerichtetes Preßgesetz zur Seite haben.
Dies muß überhaupt gegen die heurigen Freiheitsbestrebungen geltend gemacht werden:
Volksfreiheit ist nicht meine Freiheit!
Lassen Wir die Kategorie: Volksfreiheit und Volksrecht gelten, z. B. das Volksrecht, daß Jedermann Waffen tragen darf. Verwirkt man denn nicht ein solches Recht? Sein eigenes Recht kann man nicht verwirken, wohl aber ein Recht, das nicht Mir, sondern dem Volke gehört. Ich kann eingesperrt werden um der Volksfreiheit willen, kann als Sträfling des Waffenrechts verlustig gehen.
Der Liberalismus erscheint als der letzte Versuch einer Schöpfung der Volksfreiheit, einer Freiheit der Gemeinde, der »Gesellschaft«, des Allgemeinen, der Menschheit, der Traum einer mündigen Menschheit, eines mündigen Volkes, einer mündigen Gemeinde, einer mündigen »Gesellschaft«.
Ein Volk kann nicht anders, als auf Kosten des Einzelnen frei sein; denn nicht der Einzelne ist bei dieser Freiheit die Hauptsache, sondern das Volk. Je freier das Volk, desto gebundener der Einzelne: das athenische Volk schuf gerade zur freiesten Zeit den Ostrazismus, verbannte die Atheisten, vergiftete den redlichsten Denker.
Wie rühmt man nicht Sokrates über seine Gewissenhaftigkeit, die ihn dem Rate, aus dem Kerker zu entweichen, widerstehen läßt. Er ist ein Tor, daß er den Athenern ein Recht einräumt, ihn zu verurteilen. Darum geschieht ihm allerdings Recht; warum bleibt er auch mit den Athenern auf gleichem Boden stehen! Warum bricht er nicht mit ihnen? Hätte er gewußt und wissen können, was er war, er hätte solchen Richtern keinen Anspruch, kein Recht eingeräumt. Daß er nicht entfloh, war eben seine Schwachheit, sein Wahn, mit den Athenern noch Gemeinsames zu haben, oder die Meinung, er sei ein Glied, ein bloßes Glied dieses Volkes. Er war aber vielmehr dieses Volk selbst in Person und konnte nur sein eigener Richter sein. Es gab keinen Richter über ihm; wie er selbst denn wirklich einen offenen Richterspruch über sich gefällt und sich des Prytaneums wert erachtet hatte. Dabei mußte er bleiben, und wie er kein Todesurteil gegen sich ausgesprochen hatte, so auch das der Athener verachten und entfliehen. Aber er ordnete sich unter und erkannte in dem Volke seinen Richter, dünkte sich klein vor der Majestät des Volkes. Daß er sich der Gewalt, welcher er allein unterliegen konnte, als einem »Rechte« unterwarf, war Verrat an ihm selbst: es war Tugend. Christus, welcher sich angeblich der Macht über seine himmlischen Legionen enthielt, wird dadurch von den Erzählern die gleiche Bedenklichkeit zugeschrieben. Luther tat sehr wohl und klug, sich die Sicherheit seines Wormser Zuges verbriefen zu lassen, und Sokrates hätte wissen sollen, daß die Athener seine Feinde seien, er allein sein Richter. Die Selbsttäuschung von einem »Rechtszustande, Gesetze« usw. mußte der Einsicht weichen, daß das Verhältnis ein Verhältnis der Gewalt sei.
Mit Rabulisterei und Intrigen endigte die griechische Freiheit. Warum? Weil die gewöhnlichen Griechen noch viel weniger jene Konsequenz erreichen konnten, die nicht einmal ihr Gedankenheld Sokrates zu ziehen vermochte. Was ist denn Rabulisterei anders, als eine Art, ein Bestehendes auszunutzen, ohne es abzuschaffen? Ich könnte hinzusetzen, »zu eigenem Nutzen«, aber es liegt ja in »Ausnutzung«. Solche Rabulisten sind die Theologen, die Gottes Wort »drehen und deuteln«; was hätten sie zu drehen, wenn das »bestehende« Gotteswort nicht wäre? So diejenigen Liberalen, die an dem »Bestehenden« nur rütteln und drehen. Alle sind sie Verdreher gleich jenen Rechtsverdrehern. Sokrates erkannte das Recht, das Gesetz an; die Griechen behielten fortwährend die Autorität des Gesetzes und Rechtes bei. Wollten sie bei dieser Anerkenntnis gleichwohl ihren Nutzen, wollte Jeder den seinigen behaupten, so mußten sie ihn eben in der Rechtsverdrehung oder Intrige suchen. Alcibiades, ein genialer Intrigant, leitet die Periode des atheniensischen »Verfalls« ein; der Spartaner Lysander und Andere zeigen, daß die Intrige allgemein griechisch geworden. Das griechische Recht, worauf die griechischen Staaten ruhten, mußte von den Egoisten innerhalb dieser Staaten verdreht und untergraben werden, und es gingen die Staaten zu Grunde, damit die Einzelnen frei wurden, das griechische Volk fiel, weil die Einzelnen aus diesem Volke sich weniger machten, als aus sich. Es sind überhaupt alle Staaten, Verfassungen, Kirchen usw. an dem Austritt der Einzelnen untergegangen; denn der Einzelne ist der unversöhnliche Feind jeder Allgemeinheit, jedes Bandes, d. h. jeder Fessel. Dennoch wähnt man bis auf den heutigen Tag, »heilige Bande« brauche der Mensch, er, der Todfeind jedes »Bandes«. Die Weltgeschichte zeigt, daß noch kein Band unzerrissen blieb, zeigt, daß der Mensch sich unermüdet gegen Bande jeder Art wehrt, und dennoch sinnt man verblendet wieder und wieder auf neue Bande, und meint z. B. bei dem rechten angekommen zu sein, wenn man ihm das Band einer sogenannten freien Verfassung, ein schönes, konstitutionelles Band anlegt: die Ordensbänder, die Bande des Vertrauens zwischen » – – – « scheinen nachgerade zwar etwas mürbe geworden zu sein, aber weiter als vom Gängelbande zum Hosen- und Halsbande hat man's nicht gebracht.
Alles Heilige ist ein Band, eine Fessel.
Alles Heilige wird und muß verdreht werden von Rechtsverdrehern; darum hat unsere Gegenwart in allen Sphären solche Verdreher in Menge. Sie bereiten den Rechtsbruch, die Rechtlosigkeit vor.
Arme Athener, die man der Rabulisterei und Sophistik, armer Alcibiades, den man der Intrige anklagt. Das war ja eben euer Bestes, euer erster Freiheitsschritt. Eure Aeschylus, Herodot usw. wollten nur ein freies griechisches Volk haben; Ihr erst ahndetet etwas von eurer Freiheit.
Ein Volk unterdrückt diejenigen, welche über seine Majestät hinausragen, durch den Ostrazismus gegen die übermächtigen Bürger, durch die Inquisition gegen die Ketzer der Kirche, durch die – Inquisition gegen die Hochverräter im Staate usw.
Denn dem Volke kommt es nur auf seine Selbstbehauptung an; es fordert »patriotische Aufopferung« von Jedem. Mithin ist ihm Jeder für sich gleichgültig, ein Nichts, und es kann nicht machen, nicht einmal leiden, was der Einzelne und nur dieser machen muß, nämlich seine Verwertung. Ungerecht ist jedes Volk, jeder Staat gegen den Egoisten.
Solange auch nur Eine Institution noch besteht, welche der Einzelne nicht auflösen darf, ist die Eigenheit und Selbstangehörigkeit Meiner noch sehr fern. Wie kann Ich z. B. frei sein, wenn Ich eidlich an eine Konstitution, eine Charte, ein Gesetz Mich binden, meinem Volke »Leib und Seele verschwören« muß? Wie kann Ich eigen sein, wenn meine Fähigkeiten sich nur so weit entwickeln dürfen, als sie die »Harmonie der Gesellschaft nicht stören« (Weitling).
Der Untergang der Völker und der Menschheit wird Mich zum Aufgange einladen.
Horch, eben da Ich dies schreibe, fangen die Glocken an zu läuten, um für den morgenden Tag die Feier des tausendjährigen Bestandes unseres lieben Deutschlands einzuklingeln. Läutet, läutet seinen Grabgesang! Ihr klingt ja feierlich genug, als bewegte eure Zunge die Ahnung, daß sie einem Toten das Geleit gebe. Deutsches Volk und deutsche Völker haben eine Geschichte von tausend Jahren hinter sich: welch langes Leben! Geht denn ein zur Ruhe, zum Nimmerauferstehen, auf daß Alle frei werden, die Ihr so lange in Fesseln hieltet. – Tot ist das Volk. – Wohlauf Ich!
O Du mein vielgequältes, deutsches Volk – was war deine Qual? Es war die Qual eines Gedankens, der keinen Leib sich erschaffen kann, die Qual eines spukenden Geistes, der vor jedem Hahnenschrei in nichts zerrinnt und doch nach Erlösung und Erfüllung schmachtet. Auch in Mir hast Du lange gelebt, Du lieber – Gedanke, Du lieber – Spuk. Fast wähnte Ich schon das Wort deiner Erlösung gefunden, für den irrenden Geist Fleisch und Bein entdeckt zu haben: da höre Ich sie läuten, die Glocken, die Dich zur ewigen Ruhe bringen, da verhallt die letzte Hoffnung, da summt die letzte Liebe aus, da scheide Ich aus dem öden Hause der Verstorbenen und kehre ein zu den – Lebendigen:
Denn allein der Lebende hat Recht.
Fahre wohl, Du Traum so vieler Millionen, fahre wohl, Du tausendjährige Tyrannin deiner Kinder!
Morgen trägt man Dich zu Grabe; bald werden deine Schwestern, die Völker, Dir folgen. Sind sie aber alle gefolgt, so ist – – die Menschheit begraben, und Ich bin mein eigen, Ich bin der lachende Erbe!
Das Wort »Gesellschaft« hat seinen Ursprung in dem Worte »Sal«. Schließt Ein Saal viele Menschen ein, so macht's der Saal, daß diese Menschen in Gesellschaft sind. Sie sind in Gesellschaft und machen höchstens eine Salon-Gesellschaft aus, indem sie in den herkömmlichen Salon-Redensarten sprechen. Wenn es zu wirklichem Verkehr kommt, so ist dieser als von der Gesellschaft unabhängig zu betrachten, der eintreten oder fehlen kann, ohne die Natur dessen, was Gesellschaft heißt, zu alterieren. Eine Gesellschaft sind die im Saale Befindlichen auch als stumme Personen, oder wenn sie sich lediglich in leeren Höflichkeitsphrasen abspeisen. Verkehr ist Gegenseitigkeit, ist die Handlung, das commercium der Einzelnen; Gesellschaft ist nur Gemeinschaftlichkeit des Saales, und in Gesellschaft befinden sich schon die Statuen eines Museum-Saales, sie sind »gruppiert«. Man pflegt wohl zu sagen: »man habe diesen Saal gemeinschaftlich inne«, es ist aber vielmehr so, daß der Saal Uns inne oder in sich hat. So weit die natürliche Bedeutung des Wortes Gesellschaft. Es stellt sich dabei heraus, daß die Gesellschaft nicht durch Mich und Dich erzeugt wird, sondern durch ein Drittes, welches aus Uns beiden Gesellschafter macht, und daß eben dieses Dritte das Erschaffende, das Gesellschaft Schaffende ist.
Ebenso eine Gefängnis-Gesellschaft oder Gefängnis-Genossenschaft (die dasselbe Gefängnis genießen). Hier geraten Wir schon in ein inhaltreicheres Drittes, als jenes bloß örtliche, der Saal, war. Gefängnis bedeutet nicht mehr nur ein Raum, sondern ein Raum mit ausdrücklicher Beziehung auf seine Bewohner: es ist ja nur dadurch Gefängnis, daß es für Gefangene bestimmt ist, ohne die es eben ein bloßes Gebäude wäre. Wer gibt den in ihm Versammelten ein gemeinsames Gepräge? Offenbar das Gefängnis, da sie nur mittelst des Gefängnisses Gefangene sind. Wer bestimmt also die Lebensweise der Gefängnis-Gesellschaft? Das Gefängnis! Wer bestimmt ihren Verkehr? Etwa auch das Gefängnis? Allerdings können sie nur als Gefangene in Verkehr treten, d. h. nur so weit, als die Gefängnis-Gesetze ihn zulassen; aber daß sie selbst, Ich mit Dir, verkehren, das kann das Gefängnis nicht bewirken, im Gegenteil, es muß darauf bedacht sein, solchen egoistischen, rein persönlichen Verkehr (und nur als solcher ist er wirklich Verkehr zwischen Mir und Dir) zu verhüten. Daß Wir gemeinschaftlich eine Arbeit verrichten, eine Maschine ziehen, überhaupt etwas ins Werk setzen, dafür sorgt ein Gefängnis wohl; aber daß Ich vergesse, Ich sei ein Gefangener, und mit Dir, der gleichfalls davon absieht, einen Verkehr eingehe, das bringt dem Gefängnis Gefahr, und kann von ihm nicht nur nicht gemacht, es darf nicht einmal zugelassen werden. Aus diesem Grunde beschließt die heilige und sittlich gesinnte französische Kammer, die »einsame Zellenhaft« einzuführen, und andere Heilige werden ein Gleiches tun, um den »demoralisierenden Verkehr« abzuschneiden. Die Gefangenschaft ist das Bestehende und – Heilige, das zu verletzen kein Versuch gemacht werden darf. Die leiseste Anfechtung der Art ist strafbar, wie jede Auflehnung gegen ein Heiliges, von dem der Mensch befangen und gefangen sein soll.
Wie der Saal, so bildet das Gefängnis wohl eine Gesellschaft, eine Genossenschaft, eine Gemeinschaft (z. B. Gemeinschaft der Arbeit), aber keinen Verkehr, keine Gegenseitigkeit, keinen Verein. Im Gegenteil, jeder Verein im Gefängnisse trägt den gefährlichen Samen eines »Komplotts« in sich, der unter begünstigenden Umständen aufgehen und Frucht treiben könnte.
Doch das Gefängnis betritt man gewöhnlich nicht freiwillig und bleibt auch selten freiwillig darin, sondern hegt das egoistische Verlangen nach Freiheit. Darum leuchtet es hier eher ein, daß der persönliche Verkehr sich gegen die Gefängnisgesellschaft feindselig verhält und auf die Auflösung eben dieser Gesellschaft, der gemeinschaftlichen Haft, ausgeht.
Sehen Wir Uns deshalb nach solchen Gemeinschaften um, in denen Wir, wie es scheint, gerne und freiwillig bleiben, ohne sie durch Unsere egoistischen Triebe gefährden zu wollen.
Als eine Gemeinschaft der geforderten Art bietet sich zunächst die Familie dar. Eltern, Gatten, Kinder, Geschwister stellen ein Ganzes vor oder machen eine Familie aus, zu deren Erweiterung auch noch die herbeigezogenen Seitenverwandten dienen mögen. Die Familie ist nur dann eine wirkliche Gemeinschaft, wenn das Gesetz der Familie, die Pietät oder Familienliebe, von den Gliedern derselben beobachtet wird. Ein Sohn, welchem Eltern und Geschwister gleichgültig geworden sind, ist Sohn gewesen; denn da die Sohnschaft sich nicht mehr wirksam beweist, so hat sie keine größere Bedeutung, als der längst vergangene Zusammenhang von Mutter und Kind durch den Nabelstrang. Daß man einst in dieser leiblichen Verbindung gelebt, das läßt sich als eine geschehene Sache nicht ungeschehen machen, und insoweit bleibt man unwiderruflich der Sohn dieser Mutter und der Bruder ihrer übrigen Kinder; aber zu einem fortdauernden Zusammenhange käme es nur durch fortdauernde Pietät, diesen Familiengeist. Die Einzelnen sind nur dann im vollen Sinne Glieder einer Familie, wenn sie das Bestehen der Familie zu ihrer Aufgabe machen; nur als konservativ halten sie sich fern davon, an ihrer Basis, der Familie, zu zweifeln. Eines muß jedem Familiengliede fest und heilig sein, nämlich die Familie selbst, oder sprechender: die Pietät. Daß die Familie bestehen soll, das bleibt dem Gliede derselben, solange es sich vom familienfeindlichen Egoismus frei erhält, eine unantastbare Wahrheit. Mit Einem Worte –: Ist die Familie heilig, so darf sich Keiner, der zu ihr gehört, lossagen, widrigenfalls er an der Familie zum »Verbrecher« wird; er darf niemals ein familienfeindliches Interesse verfolgen, z. B. keine Mißheirat schließen. Wer das tut, der hat »die Familie entehrt«, hat ihr »Schande gemacht« usw.
Hat nun in einem Einzelnen der egoistische Trieb nicht Kraft genug, so fügt er sich und schließt eine Heirat, welche den Ansprüchen der Familie konveniert, ergreift einen Stand, der mit ihrer Stellung harmoniert u. dergl., kurz er »macht der Familie Ehre.«
Wallt hingegen in seinen Adern das egoistische Blut feurig genug, so zieht er es vor, an der Familie zum »Verbrecher« zu werden und ihren Gesetzen sich zu entziehen.
Was von beiden liegt Mir näher am Herzen, das Familienwohl oder mein Wohl? In unzähligen Fällen werden beide friedlich miteinander gehen und der Nutzen, welcher der Familie zu Teil wird, zugleich der meinige sein und umgekehrt. Da läßt sich's schwer entscheiden, ob Ich eigennützig oder gemeinnützig denke, und Ich schmeichle Mir vielleicht wohlgefällig mit meiner Uneigennützigkeit. Aber es kommt der Tag, wo ein Entweder – Oder Mich zittern macht, wo Ich meinen Stammbaum zu entehren, Eltern, Geschwister, Verwandte vor den Kopf zu stoßen im Begriff stehe. Wie dann? Nun wird sich's zeigen, wie Ich im Grunde meines Herzens gesonnen bin; nun wird's offenbar werden, ob Mir die Pietät jemals höher gestanden als der Egoismus, nun wird der Eigennützige sich nicht länger hinter den Schein der Uneigennützigkeit verkriechen können. Ein Wunsch steigt in meiner Seele auf, und wachsend von Stunde zu Stunde wird er zur Leidenschaft. Wer denkt auch gleich daran, daß schon der leiseste Gedanke, welcher gegen den Familiengeist, die Pietät, auslaufen kann, ein Vergehen gegen denselben in sich trägt, ja wer ist sich denn im ersten Augenblick sogleich der Sache vollkommen bewußt! Julie in »Romeo und Julie« ergeht es so. Die unbändige Leidenschaft läßt sich endlich nicht mehr zähmen und untergräbt das Gebäude der Pietät. Freilich werdet Ihr sagen, die Familie werfe aus Eigensinn jene Eigenwilligen, welche ihrer Leidenschaft mehr Gehör schenken als der Pietät, aus ihrem Schoße; die guten Protestanten haben dieselbe Ausrede gegen die Katholiken mit vielem Erfolg gebraucht und selbst daran geglaubt. Allein es ist eben eine Ausflucht, um die Schuld von sich abzuwälzen, nichts weiter. Die Katholiken hielten auf den gemeinsamen Kirchenverband, und stießen jene Ketzer nur von sich, weil dieselben auf den Kirchenverband nicht so viel hielten, um ihre Überzeugungen ihm zu opfern; jene also hielten den Verband fest, weil der Verband, die katholische, d. h. gemeinsame und einige Kirche, ihnen heilig war; diese hingegen setzten den Verband hintan. Ebenso die Pietätslosen. Sie werden nicht ausgestoßen, sondern stoßen sich aus, indem sie ihre Leidenschaft, ihren Eigenwillen höher achten als den Familienverband.
Nun glimmt aber zuweilen ein Wunsch in einem minder leidenschaftlichen und eigenwilligen Herzen, als das der Julie war. Die Nachgiebige bringt sich dem Familienfrieden zum Opfer. Man könnte sagen, auch hier walte der Eigennutz vor, denn der Entschluß komme aus dem Gefühl, daß die Nachgiebige sich mehr durch die Familieneinigkeit befriedigt fühle als durch die Erfüllung ihres Wunsches. Das möchte sein; aber wie, wenn ein sicheres Zeichen übrig bliebe, daß der Egoismus der Pietät geopfert worden? Wie, wenn der Wunsch, welcher gegen den Familienfrieden gerichtet war, auch nachdem er geopfert worden, wenigstens in der Erinnerung eines einem heiligen Bande gebrachten »Opfers« bliebe? Wie, wenn die Nachgiebige sich bewußt wäre, ihren Eigenwillen unbefriedigt gelassen und einer höhern Macht sich demütig unterworfen zu haben? Unterworfen und geopfert, weil der Aberglaube der Pietät seine Herrschaft an ihr geübt hat!
Dort hat der Egoismus gesiegt, hier siegt die Pietät, und das egoistische Herz blutet; dort war der Egoismus stark, hier war er – schwach. Die Schwachen aber, das wissen Wir längst, das sind die – Uneigennützigen. Für sie, diese ihre schwachen Glieder, sorgt die Familie, weil sie der Familie angehören, Familienangehörige sind, nicht sich angehören und für sich sorgen. Diese Schwachheit lobt z. B. Hegel, wenn er der Wahl der Eltern die Heiratspartie der Kinder anheimgestellt wissen will.
Als einer heiligen Gemeinschaft, welcher der Einzelne auch Gehorsam schuldig ist, kommt der Familie auch die richterliche Funktion zu, wie ein solches »Familiengericht« z. B. im Cabanis von Wilibald Alexis beschrieben wird. Da steckt der Vater im Namen des »Familienrates« den unfolgsamen Sohn unter die Soldaten und stößt ihn aus der Familie aus, um mittelst dieses Strafaktes die befleckte Familie wieder zu reinigen. – Die konsequenteste Ausbildung der Familien-Verantwortlichkeit enthält das chinesische Recht, nach welchem für die Schuld des Einzelnen die ganze Familie zu büßen hat.
Heutigen Tages indessen reicht der Arm der Familiengewalt selten weit genug, um den Abtrünnigen ernstlich in Strafe zu nehmen (selbst gegen Enterbung schützt der Staat in den meisten Fällen). Der Verbrecher an der Familie (Familien-Verbrecher) flüchtet in das Gebiet des Staates und ist frei, wie der Staatsverbrecher, der nach Amerika entkommt, von den Strafen seines Staates nicht mehr erreicht wird. Er, der seine Familie geschändet hat, der ungeratene Sohn, wird gegen die Strafe der Familie geschützt, weil der Staat, dieser Schutzherr, der Familienstrafe ihre »Heiligkeit« benimmt und sie profaniert, indem er dekretiert, sie sei nur – »Rache«: er verhindert die Strafe, dies heilige Familienrecht, weil vor seiner, des Staates, »Heiligkeit« die untergeordnete Heiligkeit der Familie jedesmal erbleicht und entheiligt wird, sobald sie mit dieser höhern Heiligkeit in Konflikt gerät. Ohne den Konflikt läßt der Staat die kleinere Heiligkeit der Familie gelten; im entgegengesetzten Falle aber gebietet er sogar das Verbrechen gegen die Familie, indem er z. B. dem Sohne aufgibt, seinen Eltern den Gehorsam zu verweigern, sobald sie ihn zu einem Staatsverbrechen verleiten wollen.
Nun, der Egoist hat die Bande der Familie zerbrochen und am Staate einen Schirmherrn gefunden gegen den schwer beleidigten Familiengeist. Wohin aber ist er nun geraten? Geradesweges in eine neue Gesellschaft, worin seines Egoismus dieselben Schlingen und Netze warten, denen er soeben entronnen. Denn der Staat ist gleichfalls eine Gesellschaft, nicht ein Verein, er ist die erweiterte Familie. (»Landesvater – Landesmutter – Landeskinder.«)
Was man Staat nennt, ist ein Gewebe und Geflecht von Abhängigkeit und Anhänglichkeit, ist eine Zusammengehörigkeit, ein Zusammenhalten, wobei die Zusammengeordneten sich ineinander schicken, kurz gegenseitig voneinander abhängen: er ist die Ordnung dieser Abhängigkeit. Gesetzt, der König, dessen Autorität Allen bis zum Büttel herunter Autorität verleiht, verschwände, so würden dennoch Alle, in welchen der Ordnungssinn wach wäre, die Ordnung gegen die Unordnung der Bestialität aufrechterhalten. Siegte die Unordnung, so wäre der Staat erloschen.
Ist dieser Liebesgedanke aber, sich ineinander zu schicken, aneinander zu hängen, und voneinander abzuhängen, wirklich fähig, Uns zu gewinnen? Der Staat wäre hiernach die realisierte Liebe, das Füreinandersein und Füreinanderleben Aller. Geht über den Ordnungssinn nicht der Eigensinn verloren? Wird man sich nicht begnügen, wenn durch Gewalt für Ordnung gesorgt ist, d. h. dafür, daß Keiner dem Andern »zu nahe trete«, mithin, wenn die Herde verständig disloziert oder geordnet ist? Es ist ja dann Alles in »bester Ordnung«, und diese beste Ordnung heißt eben – Staat!
Unsere Gesellschaften und Staaten sind, ohne daß Wir sie machen, sind vereinigt ohne unsere Vereinigung, sind prädestiniert und bestehen oder haben einen eigenen, unabhängigen Bestand, sind gegen Uns Egoisten das unauflösliche Bestehende. Der heurige Weltkampf ist, wie man sagt, gegen das »Bestehende« gerichtet. Man pflegt dies jedoch so zu mißverstehen, als sollte nur, was jetzt besteht, mit anderem, besserem Bestehenden vertauscht werden. Allein der Krieg dürfte vielmehr dem Bestehen selbst erklärt sein, d. h. dem Staate (status), nicht einem bestimmten Staate, nicht etwa nur dem derzeitigen Zustande des Staates; nicht einen andern Staat (etwa »Volksstaat«) bezweckt man, sondern seinen Verein, die Vereinigung, diese stets flüssige Vereinigung allen Bestandes. – Ein Staat ist vorhanden, auch ohne mein Zutun: Ich werde in ihm geboren, erzogen, auf ihn verpflichtet und muß ihm »huldigen«. Er nimmt Mich auf in seine »Huld«, und Ich lebe von seiner »Gnade«. So begründet das selbständige Bestehen des Staates meine Unselbständigkeit, seine »Naturwüchsigkeit«, sein Organismus, fordert, daß meine Natur nicht frei wachse, sondern für ihn zugeschnitten werde. Damit er natürwüchsig sich entfalten könne, legt er an Mich die Schere der »Kultur«; er gibt Mir eine ihm, nicht Mir, angemessene Erziehung und Bildung, und lehrt Mich z. B. die Gesetze respektieren, der Verletzung des Staatseigentums (d. h. Privateigentums) Mich enthalten, eine Hoheit, göttliche und irdische, verehren usw., kurz er lehrt Mich – unsträflich sein, indem Ich meine Eigenheit der »Heiligkeit« (heilig ist alles Mögliche, z. B. Eigentum, Leben der Andern usw.) »opfere«. Darin besteht die Art der Kultur und Bildung, welche Mir der Staat zu geben vermag: er erzieht Mich zu einem »brauchbaren Werkzeug«, einem »brauchbaren Gliede der Gesellschaft.«
Das muß jeder Staat tun, der Volksstaat so gut wie der absolute oder konstitutionelle. Er muß es tun, so lange Wir in dem Irrtum stecken, er sei ein Ich, als welches er sich denn den Namen einer »moralischen, mystischen oder staatlichen Person« beilegt. Diese Löwenhaut des Ichs muß Ich, der Ich wirklich Ich bin, dem stolzierenden Distelfresser abziehen. Welchen mannigfachen Raub habe Ich in der Weltgeschichte Mir nicht gefallen lassen. Da ließ Ich Sonne, Mond und Sternen, Katzen und Krokodilen die Ehre widerfahren, als Ich zu gelten; da kam Jehova, Allah und Unser Vater und wurden mit dem Ich beschenkt; da kamen Familien, Stämme, Völker und endlich gar die Menschheit, und wurden als Iche honoriert; da kam der Staat, die Kirche mit der Prätention, Ich zu sein, und Ich sah allem ruhig zu. Was Wunder, wenn dann immer auch ein wirklich Ich dazu trat und Mir ins Gesicht behauptete, es sei nicht mein Du, sondern mein eigenes Ich. Hatte das Gleiche doch der Menschensohn par excellence getan, warum sollte es nicht auch ein Menschensohn tun? So sah Ich denn mein Ich immer über und außer Mir und konnte niemals wirklich zu Mir kommen.
Ich glaubte nie an Mich, glaubte nie an meine Gegenwart und sah Mich nur in der Zukunft. Der Knabe glaubt, er werde erst ein rechtes Ich, ein rechter Kerl sein, wenn er ein Mann geworden; der Mann denkt, erst jenseits werde er etwas Rechtes sein. Und, daß Wir gleich näher auf die Wirklichkeit eingehen, auch die Besten reden's heute noch einander vor, daß man den Staat, sein Volk, die Menschheit und was weiß Ich Alles in sich aufgenommen haben müsse, um ein wirkliches Ich, ein »freier Bürger«, ein »Staatsbürger«, ein »freier oder wahrer Mensch« zu sein; auch sie sehen die Wahrheit und Wirklichkeit Meiner in der Aufnahme eines fremden Ichs und der Hingebung an dasselbe. Und was für eines Ichs? Eines Ichs, das weder ein Ich noch ein Du ist, eines eingebildeten Ichs, eines Spuks.
Während im Mittelalter die Kirche es wohl vertragen konnte, daß vielerlei Staaten in ihr vereinigt lebten, so lernten die Staaten nach der Reformation, besonders nach dem dreißigjährigen Kriege, es tolerieren, daß vielerlei Kirchen (Konfessionen) sich unter Einer Krone sammelten. Alle Staaten sind aber religiöse und respektive »christliche Staaten«, und setzen ihre Aufgabe darin, die Unbändigen, die »Egoisten«, unter das Band der Unnatur zu zwingen, d. i. sie zu christianisieren. Alle Anstalten des christlichen Staates haben den Zweck der Christianisierung des Volkes. So hat das Gericht den Zweck, die Leute zur Gerechtigkeit zu zwingen, die Schule den, zur Geistesbildung zu zwingen, kurz den Zweck, den christlich Handelnden gegen den unchristlich Handelnden zu schützen, das christliche Handeln zur Herrschaft zu bringen, mächtig zu machen. Zu diesen Zwangsmitteln rechnete der Staat auch die Kirche, er verlangte eine – bestimmte Religion von Jedem. Dupin sagte jüngst gegen die Geistlichkeit: »Unterricht und Erziehung gehören dem Staate«.
Staatssache ist allerdings alles, was das Prinzip der Sittlichkeit angeht. Daher mischt sich der chinesische Staat so sehr in die Familienangelegenheit, und man ist da nichts, wenn man nicht vor Allem ein gutes Kind seiner Eltern ist. Die Familienangelegenheit ist durchaus auch bei Uns Staatsangelegenheit, nur daß unser Staat in die Familien ohne ängstliche Aufsicht – Vertrauen setzt; durch den Ehebund hält er die Familie gebunden, und ohne ihn kann dieser Bund nicht gelöst werden.
Daß der Staat Mich aber für meine Prinzipien verantwortlich macht und gewisse von Mir fordert, das könnte Mich fragen lassen: Was geht ihn mein »Sparren« (Prinzip) an? Sehr viel, denn er ist das – herrschende Prinzip. Man meint, in der Ehescheidungssache, überhaupt im Eherechte, handle sich's um das Maß von Recht zwischen Kirche und Staat. Vielmehr handelt sich's darum, ob ein Heiliges über den Menschen herrschen solle, heiße dies nun Glaube oder Sittengesetz (Sittlichkeit). Der Staat beträgt sich als derselbe Herrscher wie die Kirche es tat. Diese ruht auf Frömmigkeit, jener auf Sittlichkeit.
Man spricht von der Toleranz, dem Freilassen der entgegengesetzten Richtungen u. dgl., wodurch die zivilisierten Staaten sich auszeichnen. Allerdings sind einige stark genug, um selbst den ungebundensten Meetings zuzusehen, indes andere ihren Schergen auftragen, auf Tabakspfeifen Jagd zu machen. Allein für einen Staat wie für den anderen ist das Spiel der Individuen untereinander, ihr Hin- und Hersummen, ihr tägliches Leben, eine Zufälligkeit, die er wohl ihnen selbst überlassen muß, weil er damit nichts anfangen kann. Manche seigen freilich noch Mücken und verschlucken Kamele, während andere gescheiter sind. In den letzteren sind die Individuen »freier«, weil weniger geschuhriegelt. Frei aber bin Ich in keinem Staate. Die gerühmte Toleranz der Staaten ist eben nur ein Tolerieren des »Unschädlichen«, »Ungefährlichen«, ist nur Erhebung über den Kleinlichkeitssinn, nur eine achtungswertere, großartigere, stolzere – Despotie. Ein gewisser Staat schien eine Zeit lang ziemlich erhaben über die literarischen Kämpfe sein zu wollen, die mit aller Hitze geführt werden durften; England ist erhaben über das Volksgewühl und – Tabakrauchen. Aber wehe der Literatur, die dem Staate selbst an den Leib geht, wehe den Volksrottierungen, die den Staat »gefährden«. In jenem gewissen Staate träumt man von einer »freien Wissenschaft«, in England von einem »freien Volksleben«.
Der Staat läßt die Individuen wohl möglichst frei spielen, nur Ernst dürfen sie nicht machen, dürfen ihn nicht vergessen. Der Mensch darf nicht unbekümmert mit dem Menschen verkehren, nicht ohne »höhere Aufsicht und Vermittlung«. Ich darf nicht Alles leisten, was Ich vermag, sondern nur so viel, als der Staat erlaubt, Ich darf nicht meine Gedanken verwerten, nicht meine Arbeit, überhaupt nichts Meiniges.
Der Staat hat immer nur den Zweck, den Einzelnen zu beschränken, zu bändigen, zu subordinieren, ihn irgend einem Allgemeinen untertan zu machen; er dauert nur so lange, als der Einzelne nicht Alles in Allem ist, und ist nur die deutlich ausgeprägte Beschränktheit Meiner, meine Beschränkung, meine Sklaverei. Niemals zielt ein Staat dahin, die freie Tätigkeit der Einzelnen herbeizuführen, sondern stets die an den Staatszweck gebundene. Durch den Staat kommt auch nichts Gemeinsames zu Stande, so wenig als man ein Gewebe die gemeinsame Arbeit aller einzelnen Teile einer Maschine nennen kann: es ist vielmehr die Arbeit der ganzen Maschine als einer Einheit, ist Maschinenarbeit. In derselben Art geschieht auch Alles durch die Staatsmaschine; denn sie bewegt das Räderwerk der einzelnen Geister, deren keiner seinem eigenen Antriebe folgt. Jede freie Tätigkeit sucht der Staat durch seine Zensur, seine Überwachung, seine Polizei zu hemmen, und hält diese Hemmung für seine Pflicht, weil sie in Wahrheit Pflicht der Selbsterhaltung ist. Der Staat will aus den Menschen etwas machen, darum leben in ihm nur gemachte Menschen; jeder, der Er Selbst sein will, ist sein Gegner und ist nichts. »Er ist nichts« heißt so viel, als: der Staat verwendet ihn nicht, überläßt ihm keine Stellung, kein Amt, kein Gewerbe u. dergl.
E. Bauer träumt in den liberalen Bestrebungen II, 50 noch von einer »Regierung, welche aus dem Volke hervorgehend, nie gegen dasselbe in Opposition stehen könne«. Zwar nimmt er (S. 69) das Wort »Regierung« selbst zurück: »In der Republik gilt gar keine Regierung, sondern nur eine ausführende Gewalt. Eine Gewalt, welche rein und allein aus dem Volke hervorgeht, welche nicht dem Volke gegenüber eine selbständige Macht, selbständige Prinzipien, selbständige Beamten hat, sondern welche in der einzigen, obersten Staatsgewalt, in dem Volke ihre Begründung, die Quelle ihrer Macht und ihrer Prinzipien hat. Der Begriff Regierung paßt also gar nicht in den Volksstaat.« Allein die Sache bleibt dieselbe. Das »Hervorgegangene, Begründete, Entquollene« wird ein »Selbständiges« und tritt, wie ein Kind aus dem Mutterleibe entbunden, gleich in Opposition. Die Regierung, wäre sie nichts Selbständiges und Opponierendes, wäre gar nichts.
»Im freien Staate gibt es keine Regierung usw.« (S. 94.) Dies will doch sagen, das Volk, wenn es der Souverän ist, läßt sich nicht leiten von einer oberen Gewalt. Ist's etwa in der absoluten Monarchie anders? Gibt es da etwa für den Souverän eine über ihm stehende Regierung? Über dem Souverän, er heiße Fürst oder Volk, steht nie eine Regierung, das versteht sich von selbst. Aber über Mir wird in jedem »Staate« eine Regierung stehen, sowohl im absoluten als im republikanischen oder »freien«. Ich bin in Einem so schlimm daran, wie im Andern.
Die Republik ist gar nichts anderes, als die – absolute Monarchie: denn es verschlägt nichts, ob der Monarch Fürst oder Volk heiße, da beide eine »Majestät« sind. Gerade der Konstitutionalismus beweist, daß Niemand nur Werkzeug sein kann und mag. Die Minister dominieren über ihren Herrn, den Fürsten, die Deputierten über ihren Herrn, das Volk. Es sind also hier wenigstens schon die Parteien frei, nämlich die Beamtenpartei (sogenannte Volkspartei). Der Fürst muß sich in den Willen der Minister fügen, das Volk nach der Pfeife der Kammern tanzen. Der Konstitutionalismus ist weiter als die Republik, weil er der in der Auflösung begriffene Staat ist.
E. Bauer leugnet (S. 56), daß das Volk im konstitutionellen Staate eine »Persönlichkeit« sei; dagegen also in der Republik? Nun, im konstitutionellen Staate ist das Volk – Partei, und eine Partei ist doch wohl eine »Persönlichkeit«, wenn man einmal von einer »staatlichen« (S. 76) moralischen Person überhaupt sprechen will. Die Sache ist die, daß eine moralische Person, heiße sie Volkspartei oder Volk oder auch »der Herr«, in keiner Weise eine Person ist, sondern ein Spuk.
Ferner fährt E. Bauer fort (S. 69): »die Bevormundung ist das Charakteristische einer Regierung.« Wahrlich noch mehr das eines Volkes und »Volksstaates«; sie ist das Charakteristische aller Herrschaft. Ein Volksstaat, der »alle Machtvollkommenheit in sich vereinigt«, der »absolute Herr«, kann Mich nicht mächtig werden lassen. Und welche Chimäre, die »Volksbeamten« nicht mehr »Diener, Werkzeuge« nennen zu wollen, weil sie den »freien, vernünftigen Gesetzeswillen des Volkes ausführen« (S. 73). Er meint (S. 74): »Nur dadurch, daß alle Beamtenkreise sich den Ansichten der Regierung unterordnen, kann Einheit in den Staat gebracht werden;« sein Volksstaat soll aber auch »Einheit« haben; wie wird da die Unterordnung fehlen dürfen, die Unterordnung unter den – Volkswillen.
»Im konstitutionellen Staate ist es der Regent und seine Gesinnung, worauf am Ende das ganze Regierungsgebäude beruht.« (Ebendaselbst S. 130.) Wie wäre das anders im »Volksstaate«? Werde Ich da nicht auch von der Volks- Gesinnung regiert und macht es für Mich einen Unterschied, ob Ich Mich in Abhängigkeit gehalten sehe von der Fürsten-Gesinnung oder von der Volks-Gesinnung, der sogenannten »öffentlichen Meinung«? Heißt Abhängigkeit so viel als »religiöses Verhältnis«, wie E. Bauer richtig aufstellt, so bleibt im Volksstaate für Mich das Volk die höhere Macht, die »Majestät« (denn in der »Majestät« haben Gott und Fürst ihr eigentliches Wesen), zu der Ich im religiösen Verhältnis stehe. – Wie der souveräne Regent, so würde auch das souveräne Volk von keinem Gesetze erreicht werden. Der ganze E. Bauersche Versuch läuft auf einen Herren– Wechsel hinaus. Statt das Volk frei machen zu wollen, hätte er auf die einzig realisierbare Freiheit, auf die seinige, bedacht sein sollen.
Im konstitutionellen Staate ist endlich der Absolutismus selbst in Kampf mit sich gekommen, da er in eine Zweiheit zersprengt wurde: es will die Regierung absolut sein, und das Volk will absolut sein. Diese beiden Absoluten werden sich aneinander aufreiben.
E. Bauer eifert dagegen, daß der Regent durch die Geburt, durch den Zufall gegeben sei. Wenn nun aber »das Volk die einzige Macht im Staate« (S. 132) geworden sein wird, haben Wir dann nicht an ihm einen Herrn aus Zufall? Was ist denn das Volk? Das Volk ist immer nur der Leib der Regierung gewesen: es sind Viele unter Einem Hute (Fürstenhut) oder Viele unter Einer Verfassung. Und die Verfassung ist der – Fürst. Fürsten und Völker werden so lange bestehen, als nicht beide zusammenfallen. Sind unter Einer Verfassung mancherlei »Völker«, z. B. in der altpersischen Monarchie und heute, so gelten diese »Völker« nur als »Provinzen«. Für Mich ist jedenfalls das Volk eine – zufällige Macht, eine Natur-Gewalt, ein Feind, den Ich besiegen muß.
Was hat man unter einem »organisierten« Volke sich vorzustellen (ebendaselbst S. 132)? Ein Volk, »das keine Regierung mehr hat«, das sich selbst regiert. Also worin kein Ich hervorragt, ein durch den Ostrazismus organisiertes Volk. Die Verbannung der Iche, der Ostrazismus, macht das Volk zum Selbstherrscher.
Sprecht Ihr vom Volke, so müßt Ihr vom Fürsten reden; denn das Volk, soll es Subjekt sein und Geschichte machen, muß, wie alles Handelnde, ein Haupt haben, sein »Oberhaupt«. Weitling stellt dies im »Trio« dar, und Proudhon äußert: une société, pour ainsi dire acéphale, ne peut vivre.
Die vox populi wird Uns jetzt immer vorgehalten, und die »öffentliche Meinung« soll über die Fürsten herrschen. Gewiß ist die vox populi zugleich vox dei, aber sind sie beide etwas nutz, und ist die vox principis nicht auch vox dei?
Es mag hierbei an die »Nationalen« erinnert werden. Von den achtunddreißig Staaten Deutschlands verlangen, daß sie als Eine Nation handeln sollen, kann nur dem unsinnigen Begehren an die Seite gestellt werden, daß achtunddreißig Bienenschwärme, geführt von achtunddreißig Bienenköniginnen, sich zu Einem Schwarme vereinigen sollen. Bienen bleiben sie alle; aber nicht die Bienen als Bienen gehören zusammen und können sich zusammentun, sondern nur die untertänigen Bienen sind mit den herrschenden Weiseln verbunden. Bienen und Völker sind willenlos, und es führt sie der Instinkt ihrer Weisel.
Verwiese man die Bienen auf ihr Bienentum, worin sie doch Alle einander gleich seien, so täte man dasselbe, was man jetzt so stürmisch tut, indem man die Deutschen auf ihr Deutschtum verweist. Das Deutschtum gleicht ja eben darin ganz dem Bienentum, daß es die Notwendigkeit der Spaltungen und Separationen in sich trägt, ohne gleichwohl bis zur letzten Separation vorzudringen, wo mit der vollständigen Durchführung des Separierens das Ende desselben erscheint: Ich meine, bis zur Separation des Menschen vom Menschen. Das Deutschtum trennt sich zwar in verschiedene Völker und Stämme, d. h. Bienenkörbe, aber der Einzelne, welcher die Eigenschaft hat, ein Deutscher zu sein, ist noch so machtlos, wie die vereinzelte Biene. Und doch können nur Einzelne miteinander in Verein treten, und alle Völker-Allianzen und Bünde sind und bleiben mechanische Zusammensetzungen, weil die Zusammentretenden, soweit wenigstens die »Völker« als die Zusammengetretenen angesehen werden, willenlos sind. Erst mit der letzten Separation endigt die Separation selbst und schlägt in Vereinigung um.
Nun bemühen sich die Nationalen, die abstrakte, leblose Einheit des Bienentums herzustellen; die Eigenen aber werden um die eigen gewollte Einheit, den Verein, kämpfen. Es ist dies das Wahrzeichen aller reaktionären Wünsche, daß sie etwas Allgemeines, Abstraktes, einen leeren, leblosen Begriff herstellen wollen, wogegen die Eigenen das stämmige, lebenvolle Einzelne vom Wust der Allgemeinheiten zu entlasten trachten. Die Reaktionären möchten gerne ein Volk, eine Nation aus der Erde stampfen; die Eigenen haben nur Sich vor Augen. Im Wesentlichen fallen die beiden Bestrebungen, welche heute an der Tagesordnung sind, nämlich die Wiederherstellung der Provinzialrechte, der alten Stammeseinteilungen (Franken, Bayern usw., Lausitz usw.) und die Wiederherstellung der Gesamt-Nationalität in Eins zusammen. Die Deutschen werden aber nur dann einig werden, d. h. sich vereinigen, wenn sie ihr Bienentum sowohl als alle Bienenkörbe umstoßen; mit andern Worten: wenn sie mehr sind als – Deutsche; erst dann können sie einen »Deutschen Verein« bilden. Nicht in ihre Nationalität, nicht in den Mutterleib müssen sie zurückkehren wollen, um wiedergeboren zu werden, sondern in sich kehre Jeder ein. Wie lächerlich-sentimental, wenn ein Deutscher dem andern den Handschlag gibt und mit heiligem Schauer die Hand drückt, weil »auch er ein Deutscher ist«! Damit ist er was Rechtes! Aber das wird freilich so lange noch für rührend gelten, als man für »Brüderlichkeit« schwärmt, d. h. als man eine »Familiengesinnung« hat. Vom Aberglauben der »Pietät«, von der »Brüderlichkeit« oder »Kindlichkeit«, oder wie die weichmütigen Pietäts-Phrasen sonst lauten, vom Familiengeiste vermögen die Nationalen, die eine große Familie von Deutschen haben wollen, sich nicht zu befreien.
Übrigens müßten sich die sogenannten Nationalen nur selbst recht verstehen, um sich aus der Verbindung mit den gemütlichen Deutschtümlern zu erheben. Denn die Vereinigung zu materiellen Zwecken und Interessen, welche sie von den Deutschen fordern, geht ja auf nichts Anderes, als einen freiwilligen Verein hinaus. Carriere ruft begeistert aus: »Die Eisenbahnen sind dem tieferblickenden Auge der Weg zu einem Volksleben, wie es in solcher Bedeutung noch nirgends erschienen ist.« Ganz recht, es wird ein Volksleben sein, das nirgends erschienen ist, weil es kein – Volksleben ist. – So bestreitet denn Carriere S. 10 sich selbst. »Die reine Menschlichkeit oder Menschheit kann nicht besser, als durch ein seine Mission erfüllendes Volk dargestellt werden«. Dadurch stellt sich ja nur die Volkstümlichkeit dar. »Die verschwommene Allgemeinheit ist niedriger, als die in sich geschlossene Gestalt, die ein Ganzes selber ist, und als lebendiges Glied des wahrhaft Allgemeinen, des Organisierten, lebt«. Es ist ja eben das Volk die »verschwommene Allgemeinheit«, und ein Mensch erst die »in sich geschlossene Gestalt«.
Das Unpersönliche dessen, was man »Volk, Nation« nennt, leuchtet auch daraus ein, daß ein Volk, welches sein Ich nach besten Kräften zur Erscheinung bringen will, den willenlosen Herrscher an seine Spitze stellt. Es befindet sich in der Alternative, entweder einem Fürsten unterworfen zu sein, der nur sich, sein individuelles Belieben verwirklicht – dann erkennt es an dem »absoluten Herrn« nicht den eigenen, den sogenannten Volkswillen –, oder einen Fürsten auf den Thron zu setzen, der keinen eigenen Willen geltend macht – dann hat es einen willenlosen Fürsten, dessen Stelle ein wohlberechnetes Uhrwerk vielleicht ebenso gut versähe –. Deshalb darf die Einsicht nur einen Schritt weiter gehen, so ergibt sich von selber, daß das Volks-Ich eine unpersönliche, »geistige« Macht sei, das – Gesetz. Das Ich des Volkes, dies folgt daraus, ist ein – Spuk, nicht ein Ich. Ich bin nur dadurch Ich, daß Ich Mich mache, d. h. daß nicht ein Anderer Mich macht, sondern Ich mein eigen Werk sein muß. Wie aber ist es mit jenem Volks-Ich? Der Zufall spielt es dem Volke in die Hand, der Zufall gibt ihm diesen oder jenen gebornen Herrn, Zufälligkeiten verschaffen ihm den gewählten; er ist nicht sein, des »souveränen«Volkes, Produkt, wie Ich mein Produkt bin. Denke Dir, man wollte Dir einreden, Du wärest nicht dein Ich, sondern Hans oder Kunz wäre dein Ich! So aber geht's dem Volke, und ihm mit Recht. Denn das Volk hat so wenig ein Ich, als die elf Planeten zusammengerechnet ein Ich haben, obwohl sie sich um einen gemeinsamen Mittelpunkt wälzen.
Bezeichnend ist die Äußerung Baillys für die Sklavengesinnung, welche man vor dem souveränen Volke, wie vor dem Fürsten hat. »Ich habe, sagt er, keine Extravernunft mehr, wenn die allgemeine Vernunft sich ausgesprochen. Mein erstes Gesetz war der Wille der Nation: sobald sie sich versammelt hatte, habe ich nichts weiter gekannt, als ihren souveränen Willen.« Er will keine »Extravernunft« haben, und doch leistet allein diese Extravernunft Alles. Ebenso eifert Mirabeau in den Worten: »Keine Macht auf Erden hat das Recht, zu den Repräsentanten der Nation zu sagen: Ich will!«
Wie bei den Griechen möchte man den Menschen jetzt zu einem zoon politikon machen, einem Staatsbürger oder politischen Menschen. So galt er lange Zeit als »Himmelsbürger«. Der Grieche wurde aber mit seinem Staate zugleich entwürdigt, der Himmelsbürger wird es mit dem Himmel; Wir hingegen wollen nicht mit dem Volke, der Nation und Nationalität zugleich untergehen, wollen nicht bloß politische Menschen oder Politiker sein. »Volksbeglückung« strebt man seit der Revolution an, und indem man das Volk glücklich, groß u. dergl. macht, macht man Uns unglücklich: Volksglück ist – mein Unglück.
Welch' leeres Gerede die politischen Liberalen mit emphatischem Anstande machen, das sieht man wieder recht in Nauwerk's »Über die Teilnahme am Staate«. Da wird über die Gleichgültigen und Teilnahmlosen geklagt, die nicht im vollen Sinne Staatsbürger seien, und der Verfasser spricht so, als könne man gar nicht Mensch sein, wenn man sich nicht lebendig am Staatswesen beteilige, d. h. wenn man nicht Politiker sei. Darin hat er Recht; denn wenn der Staat für den Hüter alles »Menschlichen« gilt, so können Wir nichts Menschliches haben, ohne an ihm Teil zu nehmen. Was ist aber damit gegen den Egoisten gesagt? Gar nichts, weil der Egoist sich selbst der Hüter des Menschlichen ist und mit dem Staate nur die Worte spricht: Geh' Mir aus der Sonne. Nur wenn der Staat mit seiner Eigenheit in Berührung kommt, nimmt der Egoist ein tätiges Interesse an ihm. Wenn den Stubengelehrten der Zustand des Staates nicht drückt, soll er sich mit ihm befassen, weil es seine »heiligste Pflicht« ist? Solange der Staat es ihm nach Wunsche macht, was braucht er da von seinen Studien aufzusehen? Mögen doch diejenigen, welche die Zustände aus eigenem Interesse anders haben wollen, sich damit beschäftigen. Die »heilige Pflicht« wird nun und nimmermehr die Leute dazu bringen, über den Staat nachzudenken, so wenig als sie aus »heiliger Pflicht« Jünger der Wissenschaft, Künstler usw. werden. Der Egoismus allein kann sie dazu antreiben, und er wird es, sobald es viel schlechter geworden ist. Zeigtet Ihr den Leuten, daß ihr Egoismus die Beschäftigung mit dem Staatswesen fordere, so würdet Ihr sie nicht lange aufzurufen haben; appelliert Ihr hingegen an ihre Vaterlandsliebe u. dergl., so werdet Ihr lange zu diesem »Liebesdienste« tauben Herzen predigen. Freilich, in eurem Sinne werden sich die Egoisten überhaupt nicht am Staatswesen beteiligen.
Eine echt liberale Phrase bringt Nauwerk S. 16: »Der Mensch erfüllt erst damit vollständig seinen Beruf, daß er sich als Mitglied der Menschheit fühlt und weiß, und als solches wirksam ist. Der Einzelne kann die Idee des Menschentums nicht verwirklichen, wenn er sich nicht auf die ganze Menschheit stützt, nicht aus ihr wie Antäos seine Kräfte schöpft.
Ebendaselbst heißt es: „Die Beziehung des Menschen zur res publica wird von der theologischen Ansicht zur reinen Privatsache herabgewürdigt, wird somit hinweg geleugnet.« Als ob die politische Ansicht es mit der Religion anders machte! Da ist die Religion eine »Privatsache«.
Wenn statt der »heiligen Pflicht«, der »Bestimmung des Menschen«, des »Berufes zum vollen Menschentum« und ähnlicher Gebote den Leuten vorgehalten würde, daß ihr Eigennutz verkümmert werde, wenn sie im Staate Alles gehen lassen, wie's geht, so würden sie ohne Tiraden so angeredet, wie man sie im entscheidenden Augenblicke wird anreden müssen, wenn man seinen Zweck erreichen will. Stattdessen sagt der theologenfeindliche Verfasser: »Wenn irgendeine Zeit, so ist es auch die unsrige, in welcher der Staat auf alle die Seinigen Ansprüche macht. – Der denkende Mensch erblickt in der Beteiligung an der Theorie und Praxis des Staates eine Pflicht, eine der heiligsten Pflichten, welche ihm obliegen« – und zieht dann die »unbedingte Notwendigkeit, daß Jedermann sich am Staate beteilige«, näher in Betrachtung.
Politiker ist und bleibt in alle Ewigkeit der, welchem der Staat im Kopfe oder im Herzen oder in beiden sitzt, der vom Staate Besessene oder der Staatsgläubige.
»Der Staat ist das notwendigste Mittel für die vollständige Entwicklung der Menschheit.« Er ist's allerdings gewesen, solange Wir die Menschheit entwickeln wollten; wenn Wir aber Uns werden entwickeln wollen, kann er Uns nur ein Hemmungsmittel sein.
Kann man jetzt noch Staat und Volk reformieren und bessern? So wenig als den Adel, die Geistlichkeit, die Kirche usw.: man kann sie aufheben, vernichten, abschaffen, nicht reformieren. Kann Ich denn einen Unsinn durch Reformieren in Sinn verwandeln, oder muß [Ich] ihn geradezu fallen lassen?
Es ist fortan nicht mehr um den Staat (die Staatsverfassung usw.) zu tun, sondern um Mich. Damit versinken alle Fragen über Fürstenmacht, Konstitution usw. in ihren wahren Abgrund und ihr wahres Nichts. Ich, dieses Nichts, werde meine Schöpfungen aus Mir hervortreiben.
Zu dem Kapitel der Gesellschaft gehört auch »die Partei«, deren Lob man jüngst gesungen hat.
Im Staate gilt die Partei. »Partei, Partei, wer sollte sie nicht nehmen!« Der Einzelne aber ist einzig, kein Glied der Partei. Er vereinigt sich frei und trennt sich wieder frei. Die Partei ist nichts als ein Staat im Staate, und in diesem kleineren Bienenstaate soll dann ebenso wieder »Friede« herrschen, wie im größeren. Gerade diejenigen, welche am lautesten rufen, daß im Staate eine Opposition sein müsse, eifern gegen jede Uneinigkeit der Partei. Ein Beweis, wie auch sie nur einen – Staat wollen. Nicht am Staate, sondern am Einzigen zerscheitern alle Parteien.
Nichts hört man jetzt häufiger als die Ermahnung, seiner Partei treu zu bleiben, nichts verachten Parteimenschen so sehr als einen Parteigänger. Man muß mit seiner Partei durch dick und dünn laufen und ihre Hauptgrundsätze unbedingt gutheißen und vertreten. Ganz so schlimm wie mit geschlossenen Gesellschaften steht es zwar hier nicht, weil jene ihre Mitglieder an feste Gesetze oder Statuten binden (z. B. die Orden, die Gesellschaft Jesu usw.). Aber die Partei hört doch in demselben Augenblicke auf, Verein zu sein, wo sie gewisse Prinzipien bindend macht und sie vor Angriffen gesichert wissen will; dieser Augenblick ist aber gerade der Geburtsakt der Partei. Sie ist als Partei schon eine geborne Gesellschaft, ein toter Verein, eine fix gewordene Idee. Als Partei des Absolutismus kann sie nicht wollen, daß ihre Mitglieder an der unumstößlichen Wahrheit dieses Prinzipes zweifeln; sie könnten diesen Zweifel nur hegen, wenn sie egoistisch genug wären, noch etwas außer ihrer Partei sein zu wollen, d. h. unparteiische. Unparteiisch vermögen sie nicht als Parteimenschen zu sein, sondern nur als Egoisten. Bist Du Protestant und gehörst zu dieser Partei, so darfst Du den Protestantismus nur rechtfertigen, allenfalls »reinigen«, nicht verwerfen; bist Du Christ und gehörst unter den Menschen zur christlichen Partei, so kannst Du nicht als Mitglied dieser Partei, sondern nur dann, wenn Dich dein Egoismus, d. h. Unparteilichkeit, dazu treibt, darüber hinausgehen. Welche Anstrengungen haben die Christen bis auf Hegel und die Kommunisten herab gemacht, um ihre Partei stark zu machen; sie blieben dabei, daß das Christentum die ewige Wahrheit enthalten müsse, und man sie nur herauszufinden, festzustellen und zu rechtfertigen brauche.
Kurz die Partei verträgt nicht die Unparteilichkeit, und in dieser eben erscheint der Egoismus. Was schiert Mich die Partei. Ich werde doch genug finden, die sich mit Mir vereinigen, ohne zu meiner Fahne zu schwören.
Wer von einer Partei zur andern übertritt, den schimpft man sofort einen »Überläufer«. Freilich fordert die Sittlichkeit, daß man zu seiner Partei halte, und ihr abtrünnig werden, heißt sich mit dem Makel der »Untreue« beflecken; allein die Eigenheit kennt kein Gebot der »Treue, Anhänglichkeit usw.«, die Eigenheit erlaubt Alles, auch die Abtrünnigkeit, den Übertritt. Unbewußt lassen sich auch selbst die Sittlichen von diesem Grundsatze leiten, wenn es gilt, einen zu ihrer Partei Übertretenden zu beurteilen, ja sie machen wohl Proselyten; sie sollten nur zugleich sich darüber ein Bewußtsein verschaffen, daß man unsittlich handeln müsse, um eigen zu handeln, d. h. hier, daß man die Treue brechen müsse, ja selbst seinen Eid, um sich selbst zu bestimmen, statt von sittlichen Rücksichten bestimmt zu werden. In den Augen der Leute von streng sittlichem Urteil schillert ein Apostat stets in zweideutigen Farben, und wird nicht leicht ihr Vertrauen erwerben: ihm klebt ja der Flecken der »Untreue« an, d. h. einer Unsittlichkeit. Bei dem niederen Manne findet man diese Ansicht fast allgemein; die Aufgeklärten geraten, wie immer, auch hier in eine Unsicherheit und Verwirrung, und der in dem Prinzipe der Sittlichkeit notwendig begründete Widerspruch kommt ihnen wegen der Konfusion ihrer Begriffe nicht zum deutlichen Bewußtsein. Den Apostaten geradehin unsittlich zu nennen, getrauen sie sich nicht, weil sie selbst zur Apostasie, zum Übertritt von einer Religion zur andern usw. verleiten, und den Standpunkt der Sittlichkeit vermögen sie doch auch nicht aufzugeben. Und doch wäre hier die Gelegenheit zu ergreifen, um aus der Sittlichkeit hinauszuschreiten.
Sind etwa die Eignen oder Einzigen eine Partei? Wie könnten sie Eigne sein, wenn sie die Angehörigen einer Partei wären!
Oder soll man es mit keiner Partei halten? Eben indem man sich ihnen anschließt und in ihren Kreis eintritt, knüpft man einen Verein mit ihnen, der so weit dauert, als Partei und Ich ein und dasselbe Ziel verfolgen. Aber heute teile Ich noch die Tendenz der Partei und morgen schon kann Ich es nicht mehr und werde ihr »untreu«. Die Partei hat nichts Bindendes (Verpflichtendes) für Mich und Ich respektiere sie nicht; gefällt sie Mir nicht mehr, so feinde Ich sie an.
In jeder Partei, welche auf sich und ihr Bestehen hält, sind die Mitglieder in dem Grade unfrei oder besser uneigen, sie ermangeln in dem Grade des Egoismus, als sie jenem Begehren der Partei dienen. Die Selbständigkeit der Partei bedingt die Unselbständigkeit der Parteiglieder.
Eine Partei kann, welcher Art sie auch sei, niemals ein Glaubensbekenntnis entbehren. Denn an das Prinzip der Partei müssen ihre Angehörigen glauben, es muß von ihnen nicht in Zweifel gezogen oder in Frage gestellt werden, es muß das Gewisse, Unzweifelhafte für das Parteiglied sein. Das heißt: Man muß einer Partei mit Leib und Seele gehören, sonst ist man nicht wahrhaft Parteimann, sondern mehr oder minder – Egoist. Hege einen Zweifel am Christentum und Du bist schon kein wahrer Christ mehr, hast Dich zu der »Frechheit« erhoben, darüber hinaus eine Frage zu stellen und das Christentum vor deinen egoistischen Richterstuhl zu ziehen. Du hast Dich am Christentum, dieser Parteisache (denn z. B. Sache der Juden, einer andern Partei, ist sie doch nicht) – versündigt. Aber wohl Dir, wenn Du Dich nicht schrecken lässest: deine Frechheit verhilft Dir zur Eigenheit.
So könnte ein Egoist also niemals Partei ergreifen oder Partei nehmen? Doch, nur kann er sich nicht von der Partei ergreifen und einnehmen lassen. Die Partei bleibt für ihn allezeit nichts als eine Partie: er ist von der Partie, er nimmt teil.
Der beste Staat wird offenbar derjenige sein, welcher die loyalsten Bürger hat, und je mehr der ergebene Sinn für Gesetzlichkeit sich verliert, umso mehr wird der Staat[,] dieses System der Sittlichkeit, dieses sittliche Leben selbst, an Kraft und Güte geschmälert werden. Mit den »guten Bürgern« verkommt auch der gute Staat und löst sich in Anarchie und Gesetzlosigkeit auf. »Achtung vor dem Gesetze!« Durch diesen Kitt wird das Staatsganze zusammengehalten. »Das Gesetz ist heilig, und wer daran frevelt, ein Verbrecher.« Ohne Verbrechen kein Staat: die sittliche Welt – und das ist der Staat – steckt voll Schelme, Betrüger, Lügner, Diebe usw. Da der Staat die »Herrschaft des Gesetzes«, die Hierarchie desselben ist, so kann der Egoist in allen Fällen, wo sein Nutzen gegen den des Staates läuft, nur im Wege des Verbrechens sich befriedigen.
Der Staat kann den Anspruch nicht aufgeben, daß seine Gesetze und Anordnungen heilig seien. Dabei gilt dann der Einzelne gerade so für den Unheiligen (Barbaren, natürlichen Menschen, »Egoisten«) gegenüber dem Staate, wie er von der Kirche einst betrachtet wurde; vor dem Einzelnen nimmt der Staat den Nimbus eines Heiligen an. So erläßt er ein Duellgesetz. Zwei Menschen, die beide darüber einig sind, daß sie ihr Leben für eine Sache (gleichviel welche) einsetzen wollen, sollen dies nicht dürfen, weil's der Staat nicht haben will: er setzt eine Strafe darauf. Wo bleibt da die Freiheit der Selbstbestimmung? Ganz anders verhält es sich schon, wann, wie z. B. in Nordamerika, sich die Gesellschaft dazu bestimmt, die Duellanten gewisse üble Folgen ihrer Tat tragen zu lassen, z. B. Entziehung des bisher genossenen Kredits. Den Kredit zu verweigern, das ist Jedermanns Sache, und wenn eine Sozietät ihn aus diesem oder jenem Grunde entziehen will, so kann sich der Betroffene deshalb nicht über Beeinträchtigung seiner Freiheit beklagen: die Sozietät macht eben nur ihre eigene Freiheit geltend. Das ist keine Sündenstrafe, keine Strafe für ein Verbrechen. Das Duell ist da kein Verbrechen, sondern nur eine Tat, wider welche die Sozietät Gegenmaßregeln ergreift, eine Abwehr statuiert. Der Staat hingegen stempelt das Duell zu einem Verbrechen, d. h. zu einer Verletzung seines heiligen Gesetzes: er macht es zu einem Kriminalfall. Überläßt jene Sozietät es dem Beschlusse des Einzelnen, ob er sich üble Folgen und Ungelegenheiten durch seine Handlungsweise zuziehen wolle, und erkennt sie hierdurch seinen freien Entschluß an, so verfährt der Staat gerade umgekehrt, indem er dem Entschlusse des Einzelnen alles Recht abspricht, und dafür dem eigenen Beschlusse, dem Staatsgesetze, das alleinige Recht zuerkennt, so daß, wer gegen das Gebot des Staates sich vergeht, so angesehen wird, als handle er wider Gottes Gebot; eine Ansicht, welche gleichfalls von der Kirche eingehalten wurde. Gott ist da der Heilige an und für sich, und die Gebote der Kirche wie des Staates sind die Gebote dieses Heiligen, die er der Welt durch seine Gesalbten und Gottesgnaden-Herrn zustellt. Hatte die Kirche Todsünden, so hat der Staat todeswürdige Verbrechen, hatte sie Ketzer, so hat er Hochverräter, jene Kirchenstrafen, er Kriminalstrafen, jene inquisitorische Prozesse, er fiskalische, kurz dort Sünden, hier Verbrechen, dort Sünder, hier Verbrecher, dort Inquisition und hier – Inquisition. Wird die Heiligkeit des Staats nicht gleich der kirchlichen fallen? Der Schauer seiner Gesetze, die Ehrfurcht vor seiner Hoheit, die Demut seiner »Untertanen«, wird dies bleiben? Wird das »Heiligengesicht« nicht verunziert werden?
Welch' eine Torheit, von der Staatsgewalt zu verlangen, daß sie mit dem Einzelnen einen ehrlichen Kampf eingehen und, wie man bei der Preßfreiheit sich ausdrückt, Sonne und Wind gleich teilen solle. Wenn der Staat, dieser Gedanke, eine geltende Macht sein soll, so muß er eben eine höhere Macht gegen den Einzelnen sein. Der Staat ist »heilig« und darf sich den »frechen Angriffen« der Einzelnen nicht aussetzen. Ist der Staat heilig, so muß Zensur sein. Die politischen Liberalen geben das erstere zu und bestreiten die Konsequenz. Jedenfalls aber räumen sie ihm die Repressivmaßregeln ein, denn – sie bleiben dabei, daß Staat mehr sei als der Einzelne und eine berechtigte Rache ausübe, Strafe genannt.
Strafe hat nur dann einen Sinn, wenn sie die Sühne für die Verletzung eines Heiligen gewähren soll. Ist Einem etwas heilig, so verdient er allerdings, wo er es anfeindet, Strafe. Ein Mensch, der ein Menschenleben bestehen läßt, weil es ihm heilig ist, und er eine Scheu vor seiner Antastung trägt, ist eben ein – religiöser Mensch.
Weitling legt die Verbrechen der »gesellschaftlichen Unordnung« zur Last und lebt der Erwartung, daß unter kommunistischen Einrichtungen die Verbrechen unmöglich werden, weil die Versuchungen zu denselben, z. B. das Geld, wegfallen. Da indes seine organisierte Gesellschaft auch zur heiligen und unverletzlichen erhoben wird, so verrechnet er sich bei jener gutherzigen Meinung. Solche, die sich mit dem Munde zur kommunistischen Gesellschaft bekenneten, unter der Hand hingegen an ihrem Ruin arbeiteten, würden nicht fehlen. Bei »Heilmitteln gegen den natürlichen Rest menschlicher Krankheiten und Schwächen« muß Weitling ohnehin verbleiben, und »Heilmittel« kündigen immer schon an, daß man die Einzelnen als zu einem bestimmten »Heil berufen« ansehen, mithin sie nach Maßgabe dieses »menschlichen Berufes« behandeln werde. Das Heilmittel oder die Heilung ist nur die Kehrseite der Strafe, die Heiltheorie läuft parallel mit der Straftheorie; sieht diese in einer Handlung eine Versündigung gegen das Recht, so nimmt jene sie für eine Versündigung des Menschen gegen sich, als einen Abfall von seiner Gesundheit. Das Richtige aber ist, daß Ich sie entweder als eine ansehe, die Mir recht oder Mir nicht recht ist, als Mir feindlich oder freundlich, d. h. daß Ich sie als Mein Eigentum behandle, welches Ich pflege oder zertrümmere. »Verbrechen« oder »Krankheit« ist beides keine egoistische Ansicht der Sache, d. h. keine Beurteilung von Mir aus, sondern von einem Andern aus, ob sie nämlich entweder das Recht, das allgemeine, oder die Gesundheit teils des Einzelnen (des Kranken), teils des Allgemeinen (der Gesellschaft) verletzt. Das »Verbrechen« wird mit Unerbittlichkeit behandelt, die »Krankheit« mit »liebreicher Milde, Mitleid« u. dergl.
Dem Verbrechen folgt die Strafe. Fällt das Verbrechen, weil das Heilige verschwindet, so muß nicht minder die Strafe in dessen Fall hineingezogen werden; denn auch sie hat nur einem Heiligen gegenüber Bedeutung. Man hat die Kirchenstrafen abgeschafft. Warum? Weil, wie Jemand sich gegen den »heiligen Gott« benehme, Jedermanns eigene Sache sei. Wie aber diese eine Strafe, die Kirchenstrafe, gefallen ist, so müssen alle Strafen fallen. Wie die Sünde gegen den sogenannten Gott des Menschen eigene Sache ist, so die gegen jede Art des sogenannten Heiligen. Nach unsern Strafrechtstheorien, mit deren »zeitgemäßer Verbesserung« man sich vergeblich abquält, will man die Menschen für diese oder jene »Unmenschlichkeit« strafen und macht dabei das Alberne dieser Theorien durch ihre Konsequenz besonders deutlich, indem man die kleinen Diebe hängt und die großen laufen läßt. Für Eigentumsverletzung hat man das Zuchthaus, und für »Gedankenzwang«, Unterdrückung »natürlicher Menschenrechte«, nur – Vorstellungen und Bitten.
Der Kriminalkodex hat nur durch das Heilige Bestand und verkommt von selbst, wenn man die Strafe aufgibt. Allerwärts will man gegenwärtig ein neues Strafgesetz schaffen, ohne sich über die Strafe selbst ein Bedenken zu machen. Gerade die Strafe aber muß der Genugtuung den Platz räumen, die wiederum nicht darauf abzielen kann, dem Rechte oder der Gerechtigkeit genug zu tun, sondern Uns ein Genüge zu verschaffen. Tut Uns Einer, was Wir Uns nicht gefallen lassen wollen, so brechen Wir seine Gewalt und bringen die Unsere zur Geltung: Wir befriedigen Uns an ihm und verfallen nicht in die Torheit, das Recht (den Spuk) befriedigen zu wollen. Nicht das Heilige soll sich gegen den Menschen wehren, sondern der Mensch gegen den Menschen, so wie ja auch nicht mehr Gott sich gegen den Menschen wehrt, dem sonst und zum Teil freilich noch jetzt alle »Diener Gottes« die Hand boten, um den Lästerer zu strafen, wie sie eben heute noch dem Heiligen ihre Hand leihen. Jene Hingebung an das Heilige bewirkt denn auch, daß man, ohne lebendigen, eigenen Anteil, die Übeltäter nur in die Hände der Polizei und Gerichte liefert: ein teilnahmsloses Überantworten an die Obrigkeit, »die ja das Heilige aufs Beste verwalten wird«. Das Volk ist ganz toll darauf, gegen Alles die Polizei zu hetzen, was ihm unsittlich, oft nur unanständig zu sein scheint, und diese Volkswut für das Sittliche beschützt mehr das Polizeiinstitut, als die Regierung es nur irgend schützen könnte.
Im Verbrechen hat sich seither der Egoist behauptet und das Heilige verspottet: der Bruch mit dem Heiligen, oder vielmehr des Heiligen kann allgemein werden. Eine Revolution kehrt nicht wieder, aber ein gewaltiges, rücksichtsloses, schamloses, gewissenloses, stolzes – Verbrechen, grollt es nicht in fernen Donnern, und siehst Du nicht, wie der Himmel ahnungsvoll schweigt und sich trübt?
Wer sich weigert, seine Kräfte für so beengte Gesellschaften, wie Familie, Partei, Nation zu verwenden, der sehnt sich immer noch nach einer würdigeren Gesellschaft und meint etwa in der »menschlichen Gesellschaft« oder der »Menschheit« das wahre Liebesobjekt gefunden zu haben, dem sich zu opfern seine Ehre ausmache: von nun an »lebt und dient er der Menschheit«.
Volk heißt der Körper, Staat der Geist jener herrschenden Person, die seither Mich unterdrückt hat. Man hat Völker und Staaten dadurch verklären wollen, daß man sie zur »Menschheit« und »allgemeinen Vernunft« erweiterte; allein die Knechtschaft würde bei dieser Ausweitung nur noch intensiver werden, und die Philanthropen und Humanen sind so absolute Herrn als die Politiker und Diplomaten.
Neuere Kritiker eifern gegen die Religion, weil sie Gott, das Göttliche, Sittliche usw. außer dem Menschen setze oder zu etwas Objektivem mache, wogegen sie eben diese Subjekte vielmehr in den Menschen verlegen. Allein in den eigentlichen Fehler der Religion, dem Menschen eine »Bestimmung« zu geben, verfallen jene Kritiker nicht minder, indem auch sie ihn göttlich, menschlich u. dgl. wissen wollen: Sittlichkeit, Freiheit und Humanität usw. sei sein Wesen. Und wie die Religion, so wollte auch die Politik den Menschen »erziehen«, ihn zur Verwirklichung seines »Wesens«, seiner »Bestimmung« bringen, etwas aus ihm machen, nämlich einen »wahren Menschen«, die eine in der Form des »wahren Gläubigen«, die andere in der des »wahren Bürgers oder Untertanen«. In der Tat kommt es auf Eins hinaus, ob man die Bestimmung das Göttliche oder Menschliche nennt.
Unter Religion und Politik befindet sich der Mensch auf dem Standpunkte des Sollens: er soll dies und das werden, soll so und so sein. Mit diesem Postulat, diesem Gebote tritt nicht nur Jeder vor den Andern hin, sondern auch vor sich selbst. Jene Kritiker sagen: Du sollst ein ganzer, ein freier Mensch sein. So stehen auch sie in der Versuchung, eine neue Religion zu proklamieren, ein neues Absolutes, ein Ideal aufzustellen, nämlich die Freiheit. Die Menschen sollen frei werden. Da könnten selbst Missionäre der Freiheit erstehen, wie das Christentum in der Überzeugung, daß Alle eigentlich dazu bestimmt seien, Christen zu werden, Missionäre des Glaubens aussandte. Die Freiheit würde dann, wie bisher der Glaube als Kirche, die Sinnlichkeit als Staat, so als eine neue Gemeinde sich konstituieren und von ihr aus eine gleiche »Propaganda« betreiben. Allerdings läßt sich gegen ein Zusammentreten kein Einwand aufbringen; um so mehr aber muß man jeder Erneuerung der alten Fürsorge, der Heranbildung, kurz dem Prinzipe, aus Uns etwas zu machen, gleichviel ob Christen, Untertanen oder Freie und Menschen, entgegentreten.
Wohl kann man mit Feuerbach und Andern sagen, daß die Religion das Menschliche aus dem Menschen hinausgerückt und in ein Jenseits so verlegt habe, daß es dort unerreichbar als ein für sich Persönliches, als ein »Gott« sein eigenes Dasein führte; allein der Irrtum der Religion ist damit keineswegs erschöpft. Man könnte sehr wohl die Persönlichkeit des entrückten Menschlichen fallen lassen, könnte den Gott ins Göttliche verwandeln, und man bliebe dennoch religiös. Denn das Religiöse besteht in der Unzufriedenheit mit dem gegenwärtigen Menschen, d. h. in der Aufstellung einer zu erstrebenden »Vollkommenheit«, in dem »nach seiner Vollendung ringenden Menschen«. (»Darum sollt Ihr vollkommen sein, wie Euer Vater im Himmel vollkommen ist« . Matth. V, 48.): es besteht in der Fixierung eines Ideals, eines Absoluten. Die Vollkommenheit ist das »höchste Gut«, der finis bonorum; das Ideal eines Jeden ist der vollkommene Mensch, der wahre, der freie Mensch usw.
Die Bestrebungen der Neuzeit zielen dahin, das Ideal des »freien Menschen« aufzustellen. Könnte man's finden, gäb's eine neue – Religion, weil ein neues Ideal, gäbe ein neues Sehnen, ein neues Abquälen, eine neue Andacht, eine neue Gottheit, eine neue Zerknirschung.
Mit dem Ideal der »absoluten Freiheit« wird dasselbe Unwesen getrieben, wie mit allem Absoluten, und nach Heß z. B. soll sie »in der absoluten menschlichen Gesellschaft realisierbar sein«. Ja diese Verwirklichung wird gleich nachher ein »Beruf« genannt; ebenso bestimmt er dann die Freiheit als »Sittlichkeit«: es soll das Reich der »Gerechtigkeit« (d. i. Gleichheit) und »Sittlichkeit« (d. i. Freiheit) beginnen usw.
Lächerlich ist, wer, während Genossen seines Stammes, Familie, Nation usw. viel gelten, – nichts ist als »aufgebläht« über der Genossen Verdienst; verblendet aber auch derjenige, der nur »Mensch« sein will. Keiner von ihnen setzt seinen Wert in die Ausschließlichkeit, sondern in die Verbundenheit oder in das »Band«, welches ihn mit Andern zusammenschließt, in die Blutsbande, Nationalbande, Menschheitsbande.
Durch die heurigen »Nationalen« ist der Streit wieder rege geworden zwischen denen, welche bloß menschliches Blut und menschliche Blutsbande zu haben meinen, und den andern, welche auf ihr spezielles Blut und die speziellen Blutsbande pochen.
Sehen Wir davon ab, daß Stolz eine Überschätzung ausdrücken könnte, und nehmen Wir's allein für Bewußtsein, so findet sich ein ungeheurer Abstand zwischen dem Stolze darauf, einer Nation »anzugehören«, also ihr Eigentum zu sein, und dem, eine Nationalität sein Eigentum zu nennen. Die Nationalität ist meine Eigenschaft, die Nation aber meine Eignerin und Herrin. Hast Du Körperstärke, so kannst Du sie geeigneten Ortes anwenden und auf sie ein Selbstgefühl oder Stolz haben; hat hingegen dein starker Körper Dich, so juckt er Dich überall und am ungeeignetsten Orte, seine Stärke zu zeigen: Du kannst Keinem die Hand geben, ohne sie ihm zu drücken.
Die Einsicht, daß man mehr als Familienglied, mehr als Stammesgenosse, mehr als Volksindividuum usw. sei, hat endlich dahin geführt zu sagen: man ist mehr als alles dies, weil man Mensch ist, oder: der Mensch ist mehr als der Jude, Deutsche usw. »Darum sei Jeder ganz und allein – Mensch!« Konnte man nicht lieber sagen: Weil Wir mehr als das Angegebene sind, darum wollen Wir sowohl dies als auch jenes »mehr« sein? Also Mensch und Deutscher, Mensch und ein Welfe usw.? Die Nationalen haben Recht; man kann seine Nationalität nicht verleugnen, und die Humanen haben Recht: man muß nicht in der Borniertheit des Nationalen bleiben. In der Einzigkeit löst sich der Widerspruch: das Nationale ist meine Eigenschaft. Ich aber gehe nicht in meiner Eigenschaft auf, wie auch das Menschliche meine Eigenschaft ist, Ich aber dem Menschen erst durch meine Einzigkeit Existenz gebe.
Die Geschichte sucht den Menschen: er ist aber Ich, Du, Wir. Gesucht als ein mysteriöses Wesen, als das Göttliche, erst als der Gott, dann als der Mensch (die Menschlichkeit, Humanität und Menschheit), wird er gefunden als der Einzelne, der Endliche, der Einzige.
Ich bin Eigner der Menschheit, bin die Menschheit und tue nichts für das Wohl einer andern Menschheit. Tor, der Du eine einzige Menschheit bist, daß Du Dich aufspreizest, für eine andere, als Du selbst bist, leben zu wollen.
Das bisher betrachtete Verhältnis Meiner zur Menschenwelt bietet einen solchen Reichtum an Erscheinungen dar, daß es bei anderen Gelegenheiten wieder und wieder aufgenommen, hier aber, wo es nur im Großen anschaulich gemacht werden sollte, abgebrochen werden muß, um einer Auffassung zweier andern Seiten, nach denen hin es ausstrahlt, Platz zu machen. Da Ich Mich nämlich nicht bloß zu den Menschen, soweit sie den Begriff »Mensch« in sich darstellen oder Menschenkinder sind (Kinder des Menschen, wie von Kindern Gottes geredet wird), in Beziehung finde, sondern auch zu dem, was sie von dem Menschen haben und ihr Eigenes nennen, also Mich nicht allein auf das, was sie durch den Menschen sind, sondern auch auf ihre menschliche Habe beziehe: so wird außer der Menschenwelt auch die Sinnen- und Ideenwelt in den Kreis der Besprechung zu ziehen und sowohl von dem, was die Menschen an sinnlichen, als dem, was sie an geistigen Gütern ihr eigen nennen, einiges zu sagen sein.
Je nachdem man den Begriff des Menschen entwickelt und sich vorstellig gemacht hatte, gab man Uns denselben als diese oder jene Respektsperson zu achten, und aus dem weitesten Verständnis dieses Begriffes ging endlich das Gebot hervor: »in Jedem den Menschen zu respektieren«. Respektiere Ich aber den Menschen, so muß mein Respekt sich gleichfalls auf das Menschliche oder das, was des Menschen ist, erstrecken.
Es haben die Menschen Eigenes, und Ich soll dies Eigene anerkennen und heilig halten. Ihr Eigenes besteht teils in äußerlicher, teils in innerlicher Habe. Jenes sind Dinge, dieses Geistigkeiten, Gedanken, Überzeugungen, edle Gefühle usw. Aber immer nur die rechtliche oder menschliche Habe soll Ich respektieren; die unrechtliche und unmenschliche brauche Ich nicht zu schonen, denn der Menschen wirklich Eigenes ist nur das Eigene des Menschen. Innerliche Habe dieser Art ist z. B. die Religion; weil die Religion frei, d. h. des Menschen ist, darum darf Ich sie nicht antasten. Ebenso ist eine innerliche Habe die Ehre; sie ist frei und darf von Mir nicht angetastet werden. (Injurienklage, Karikaturen usw.) Religion und Ehre sind »geistiges Eigentum«. Im dinglichen Eigentum steht obenan die Person: meine Person ist mein erstes Eigentum. Daher Freiheit der Person; aber nur die rechtliche oder menschliche Person ist frei, die andere wird eingesperrt. Dein Leben ist Dein Eigentum; es ist aber den Menschen nur heilig, wenn es nicht das eines Unmenschen ist.
Was der Mensch als solcher an körperlichen Gütern nicht behaupten kann, dürfen Wir ihm nehmen: dies der Sinn der Konkurrenz, der Gewerbefreiheit. Was er an geistigen Gütern nicht behaupten kann, verfällt Uns gleichfalls: so weit geht die Freiheit der Diskussion, der Wissenschaft, der Kritik.
Aber unantastbar sind die geheiligten Güter. Geheiligt und garantiert durch wen? Zunächst durch den Staat, die Gesellschaft, eigentlich aber durch den Menschen oder den »Begriff«, den »Begriff der Sache«: denn der Begriff der geheiligten Güter ist der, daß sie wahrhaft menschliche seien, oder vielmehr, daß sie der Inhaber als Mensch und nicht als Unmensch besitze.
Geistigerseits ist ein solches Gut der Glaube des Menschen, seine Ehre, sein sittliches, ja sein Anstands-, Schamgefühl usw. Ehrenrührige Handlungen (Reden, Schriften) sind strafbar; Angriffe auf »den Grund aller Religion«; Angriffe auf den politischen Glauben, kurz Angriffe auf Alles, was ein Mensch »mit Recht« hat.
Wie weit der kritische Liberalismus die Heiligkeit der Güter ausdehnen würde, darüber hat er noch keinen Ausspruch getan und wähnt auch wohl, aller Heiligkeit abhold zu sein; allein da er gegen den Egoismus ankämpft, so muß er diesem Schranken setzen und darf den Unmenschen nicht über das Menschliche herfallen lassen. Seiner theoretischen Verachtung der »Masse« müßte, wenn er die Gewalt gewönne, eine praktische Zurückweisung entsprechen.
Welche Ausdehnung der Begriff »Mensch« erhalte, und was durch ihn dem einzelnen Menschen zukomme, was also der Mensch und das Menschliche sei, darüber liegen die verschiedenen Stufen des Liberalismus auseinander, und der politische, der soziale, der humane Mensch nehmen, der eine immer mehr als der andere, für »den Menschen« in Anspruch. Wer diesen Begriff am besten gefaßt hat, der weiß am besten, was »des Menschen« ist. Der Staat faßt diesen Begriff noch in politischer, die Gesellschaft in sozialer Beschränktheit, die Menschheit erst, so heißt es, erfaßt ihn ganz oder »die Geschichte der Menschheit entwickelt ihn«. Ist aber »der Mensch gefunden«, dann kennen Wir auch das dem Menschen Eigene, das Eigentum des Menschen, das Menschliche.
Mag aber der einzelne Mensch darum, weil ihn der Mensch oder der Begriff Mensch, d. h. weil ihn sein Menschsein dazu »berechtigt«, auf noch so viel Rechte Anspruch machen: was kümmert Mich sein Recht und sein Anspruch? Hat er sein Recht nur von dem Menschen und hat er's nicht von Mir, so hat er für Mich kein Recht. Sein Leben z. B. gilt Mir nur, was Mir' s wert ist. Ich respektiere weder sein sogenanntes Eigentumsrecht oder sein Recht auf dingliche Güter, noch auch sein Recht auf das »Heiligtum seines Innern«, oder sein Recht darauf, daß die geistigen Güter und Göttlichkeiten, seine Götter, ungekränkt bleiben. Seine Güter, die sinnlichen wie die geistigen, sind mein und Ich schalte damit als Eigentümer nach dem Maße meiner – Gewalt.
Die Eigentumsfrage birgt einen weiteren Sinn in sich, als die beschränkte Fragstellung herauszubringen erlaubt. Auf das, was man unsere Habe nennt, allein bezogen, ist sie keiner Lösung fähig; die Entscheidung findet sich erst bei dem, »von welchem Wir Alles haben«. Vom Eigner hängt das Eigentum ab.
Die Revolution richtete ihre Waffen gegen Alles, was »von Gottes Gnaden« kam, z. B. gegen das göttliche Recht, an dessen Statt das menschliche befestigt wurde. Dem von Gottes Gnaden Verliehenen wird das »aus dem Wesen des Menschen« Hergeleitete entgegengestellt.
Wie nun das Verhältnis der Menschen zueinander im Gegensatz zum religiösen Dogma, welches ein »Liebet Euch untereinander um Gottes willen« gebietet, seine menschliche Stellung durch ein »Liebet einander um des Menschen willen« erhalten mußte, so konnte die revolutionäre Lehre nicht anders, als, was zunächst die Beziehung der Menschen auf die Dinge dieser Welt betrifft, feststellen, daß die Welt, die bisher nach Gottes Ordnung eingerichtet war, hinfort »dem Menschen« gehöre.
Die Welt gehört »dem Menschen«, und soll von Mir als sein Eigentum respektiert werden.
Eigentum ist das Meinige!
Eigentum im bürgerlichen Sinne bedeutet heiliges Eigentum, der Art, daß Ich dein Eigentum respektieren muß. »Respekt vor dem Eigentum!« Daher möchten die Politiker, daß Jeder sein Stückchen Eigentum besäße, und haben durch dies Bestreben zum Teil eine unglaubliche Parzellierung herbeigeführt. Jeder muß seinen Knochen haben, daran er was zu beißen finde.
Anders verhält sich die Sache im egoistischen Sinne. Von deinem und eurem Eigentum trete Ich nicht scheu zurück, sondern sehe es stets als mein Eigentum an, woran Ich nichts zu »respektieren« brauche. Tuet doch desgleichen mit dem, was Ihr mein Eigentum nennt!
Bei dieser Ansicht werden Wir Uns am leichtesten miteinander verständigen.
Die politischen Liberalen tragen Sorge, daß womöglich alle Servituten abgelöst werden, und Jeder freier Herr auf seinem Grunde sei, wenn dieser Grund auch nur so viel Bodengehalt hat, als von dem Dünger Eines Menschen sich hinlänglich sättigen läßt. (Jener Bauer heiratete noch im Alter, »damit er vom Kote seiner Frau profitiere.«) Sei es auch noch so klein, wenn man nur Eigenes, nämlich ein respektiertes Eigentum hat! Je mehr solcher Eigener, solcher Kotsassen, desto mehr »freie Leute und gute Patrioten« hat der Staat.
Es rechnet der politische Liberalismus, wie alles Religiöse, auf den Respekt, die Humanität, die Liebestugenden. Darum lebt er auch in unaufhörlichem Ärger. Denn in der Praxis respektieren eben die Leute nichts, und alle Tage werden die kleinen Besitzungen wieder von größeren Eigentümern aufgekauft, und aus den »freien Leuten« werden Tagelöhner.
Hätten dagegen die »kleinen Eigentümer« bedacht, daß auch das große Eigentum das ihrige sei, so hätten sie sich nicht selber respektvoll davon ausgeschlossen, und würden nicht ausgeschlossen worden sein.
Das Eigentum, wie die bürgerlichen Liberalen es verstehen, verdient die Angriffe der Kommunisten und Proudhons: es ist unhaltbar, weil der bürgerliche Eigentümer wahrhaft nichts als ein Eigentumsloser, ein überall Ausgeschlossener ist. Statt daß ihm die Welt gehören könnte, gehört ihm nicht einmal der armselige Punkt, auf welchem er sich herumdreht.
Proudhon will nicht den propriétaire, sondern den possesseur oder usufruitier. Was heißt das? Er will, daß der Boden nicht Einem gehöre; aber der Nutzen desselben – und gestände man ihm auch nur den hundertsten Teil dieses Nutzens, dieser Frucht, zu – der ist ja doch sein Eigentum, mit welchem er nach Belieben schalten kann. Wer nur den Nutzen eines Ackers hat, ist allerdings nicht der Eigentümer desselben; noch weniger, wer, wie Proudhon will, von diesem Nutzen so viel abgeben muß, als zu seinem Bedarf nicht notwendig erfordert wird; allein er ist der Eigentümer des ihm verbleibenden Anteils. Also negiert Proudhon nur dies und jenes Eigentum, nicht das Eigentum. Wenn Wir den Grundeigentümern den Grund nicht länger lassen, sondern Uns zueignen wollen, so vereinigen Wir Uns zu diesem Zwecke, bilden einen Verein, eine société, die sich zur Eigentümerin macht; glückt es Uns, so hören jene auf, Grundeigentümer zu sein. Und wie von Grund und Boden, so können Wir sie noch aus manchem andern Eigentum hinausjagen, um es zu unserm Eigentum zu machen, zum Eigentum der – Erobernden. Die Erobernden bilden eine Sozietät, die man sich so groß denken kann, daß sie nach und nach die ganze Menschheit umfaßt; aber auch die sogenannte Menschheit ist als solche nur ein Gedanke (Spuk); ihre Wirklichkeit sind die Einzelnen. Und diese Einzelnen werden als eine Gesamtmasse nicht weniger willkürlich mit Grund und Boden umgehen, als ein vereinzelter Einzelner, oder sogenannter propriétaire. Auch so bleibt also das Eigentum bestehen, und zwar auch als »ausschließlich«, indem die Menschheit, diese große Sozietät, den Einzelnen von ihrem Eigentum ausschließt (ihm vielleicht nur ein Stück davon verpachtet, zu Lehn gibt), wie sie ohnehin alles, was nicht Menschheit ist, ausschließt, z. B. die Tierwelt nicht zum Eigentum kommen läßt. – So wird's auch bleiben und werden. Dasjenige, woran Alle Anteil haben wollen, wird demjenigen Einzelnen entzogen werden, der es für sich allein haben will, es wird zu einem Gemeingut gemacht. Als an einem Gemeingut hat Jeder daran seinen Anteil, und dieser Anteil ist sein Eigentum. So ist ja auch in unseren alten Verhältnissen ein Haus, welches fünf Erben gehört, ihr Gemeingut; der fünfte Teil des Ertrages aber ist eines Jeden Eigentum. Proudhon konnte sein weitläufiges Pathos sparen, wenn er sagte: Es gibt einige Dinge, die nur Wenigen gehören, und auf die Wir übrigen von nun an Anspruch oder – Jagd machen wollen. Laßt sie Uns nehmen, weil man durch's Nehmen zum Eigentum kommt, und das für jetzt noch uns entzogene Eigentum auch nur durch's Nehmen an die Eigentümer gekommen ist. Es wird sich besser nutzen lassen, wenn es in Unser Aller Händen ist, als wenn die Wenigen darüber verfügen. Assoziieren wir Uns daher zu dem Zwecke dieses Raubes (vol). – Dafür schwindelt er Uns vor, die Sozietät sei die ursprüngliche Besitzerin und die einzige Eigentümerin von unverjährbarem Rechte; an ihr sei der sogenannte Eigentümer zum Diebe geworden. (La propriété c'est le vol); wenn sie nun dem dermaligen Eigentümer sein Eigentum entziehe, so raube sie ihm nichts, da sie nur ihr unverjährbares Recht geltend mache. – So weit kommt man mit dem Spuk der Sozietät als einer moralischen Person. Im Gegenteil gehört dem Menschen, was er erlangen kann: Mir gehört die Welt. Sagt Ihr etwas anderes mit dem entgegengesetzten Satze: »Allen gehört die Welt«? Alle sind Ich und wieder Ich usw. Aber Ihr macht aus den »Allen« einen Spuk, und macht ihn heilig, so daß dann die »Alle« zum fürchterlichen Herrn des Einzelnen werden. Auf ihre Seite stellt sich dann das Gespenst des »Rechtes«.
Proudhon, wie die Kommunisten, kämpfen gegen den Egoismus. Darum sind sie Fortsetzungen und Konsequenzen des christlichen Prinzips, des Prinzips der Liebe, der Aufopferung für ein Allgemeines, ein Fremdes. Sie vollenden z. B. im Eigentum nur, was längst der Sache nach vorhanden ist, nämlich die Eigentumslosigkeit des Einzelnen. Wenn es im Gesetze heißt: Ad reges potestas omnium pertinet, ad singulos proprietas; omnia rex imperio possidet, singuli dominio, so heißt dies: Der König ist Eigentümer, denn Er allein kann über »Alles« verfügen, schalten, er hat potestas und imperium darüber. Die Kommunisten machen dies klarer, indem sie jenes imperium der »Gesellschaft Aller« übertragen. Also: Weil Feinde des Egoismus, darum sind sie – Christen, oder allgemeiner: religiöse Menschen, Gespenstergläubige, Abhängige, Diener irgend eines Allgemeinen (Gottes, der Gesellschaft usw.). Auch darin gleicht Proudhon den Christen, daß er dasjenige, was er den Menschen abspricht, Gott beilegt. Ihn nennt er (z. B. Seite 90) den Propriétaire der Erde. 84 Hiermit beweist er, daß er den Eigentümer als solchen nicht wegdenken kann; er kommt zuletzt auf einen Eigentümer, verlegt ihn aber ins Jenseits.
Eigentümer ist weder Gott noch der Mensch (die »menschliche Gesellschaft«), sondern der Einzelne.
Proudhon (auch Weitling) glaubt das Schlimmste vom Eigentum auszusagen, wenn er es einen Diebstahl (vol) nennt. Ganz abgesehen von der verfänglichen Frage, was gegen den Diebstahl Gegründetes einzuwenden wäre, fragen Wir nur: Ist der Begriff »Diebstahl« überhaupt anders möglich, als wenn man den Begriff »Eigentum« gelten läßt. Wie kann man stehlen, wenn nicht schon Eigentum vorhanden ist? Was Keinem gehört, kann nicht gestohlen werden: das Wasser, welches Einer aus dem Meere schöpft, stiehlt er nicht. Mithin ist nicht das Eigentum Diebstahl, sondern durch das Eigentum erst wird ein Diebstahl möglich. Auch muß Weitling darauf hinauskommen, da er ja Alles als Eigentum Aller betrachtet: ist Etwas »Eigentum Aller«, so stiehlt freilich der Einzelne, der sich's zueignet.
Das Privateigentum lebt von der Gnade des Rechts. Nur im Rechte hat es seine Gewähr – Besitz ist ja noch nicht Eigentum, er wird erst »das Meinige« durch Zustimmung des Rechts –; es ist keine Tatsache, nicht un fait, wie Proudhon meint, sondern eine Fiktion, ein Gedanke. Das ist das Rechtseigentum, rechtliches Eigentum, garantiertes Eigentum. Nicht durch Mich ist es mein, sondern durch's – Recht.
Dennoch ist Eigentum der Ausdruck für die unumschränkte Herrschaft über Etwas (Ding, Tier, Mensch), womit »Ich schalten und walten kann nach Gutdünken«. Nach römischem Rechte freilich ius utendi et abutendi re sua, quatenus iuris ratio patitur, ein ausschließliches und unumschränktes Recht; aber Eigentum wird durch Gewalt bedingt. Was Ich in der Gewalt habe, das ist mein eigen. Solange Ich Mich als Inhaber behaupte, bin Ich der Eigentümer der Sache; entgeht Mir's wieder, gleichviel durch welche Macht, z. B. durch mein Anerkenntnis eines Anrechts Anderer an die Sache –, so ist das Eigentum erloschen. So fällt Eigentum und Besitz in Eins zusammen. Nicht ein außerhalb meiner Gewalt liegendes Recht legitimiert Mich, sondern lediglich meine Gewalt; habe Ich die nicht mehr, so entschwindet mir die Sache. Als die Römer keine Gewalt mehr gegen die Germanen hatten, gehörte diesen das Weltreich Rom, und es klänge lächerlich, wollte man darauf bestehen, die Römer seien dennoch die eigentlichen Eigentümer geblieben. Wer die Sache zu nehmen und zu behaupten weiß, dem gehört sie, bis sie ihm wieder genommen wird, wie die Freiheit Dem gehört, der sie sich nimmt. –
Über das Eigentum entscheidet nur die Gewalt, und da der Staat, gleichviel ob Staat der Bürger oder der Lumpe oder der Menschen schlechthin, der allein Gewaltige ist, so ist er allein Eigentümer; Ich, der Einzige, habe nichts, und werde nur belehnt, bin Lehnsmann und als solcher Dienstmann. Unter der Herrschaft des Staates gibt es kein Eigentum Meiner.
Ich will den Wert Meiner heben, den Wert der Eigenheit, und sollte das Eigentum herabsetzen? Nein, wie Ich seither nicht geachtet wurde, weil man Volk, Menschheit und tausend andere Allgemeinheiten darüber setzte, so ist auch bis auf diesen Tag das Eigentum noch nicht in seinem vollen Werte anerkannt worden. Auch das Eigentum war nur Eigentum eines Gespenstes, z. B. Volkseigentum; meine ganze Existenz »gehörte dem Vaterlande«: Ich gehörte dem Vaterlande, dem Volke, dem Staate an, darum auch Alles, was Ich mein eigen nannte. Man fordert von den Staaten, sie sollen den Pauperismus beseitigen. Mir scheint, das heißt verlangen, der Staat solle sich selbst den Kopf abschneiden und vor die Füße legen; denn solange der Staat das Ich ist, muß das einzelne Ich ein armer Teufel, ein Nicht-Ich sein. Der Staat hat nur ein Interesse daran, selbst reich zu sein; ob Michel reich und Peter arm ist, gilt ihm gleich; es könnte auch Peter reich und Michel arm sein. Er sieht gleichgültig zu, wie der Eine verarmt, der Andere reich wird, unbekümmert um dies Wechselspiel. Als Einzelne sind sie vor seinem Angesichte wirklich gleich, darin ist er gerecht: sie sind beide vor ihm – Nichts, wie Wir »vor Gott allzumal Sünder sind«; dagegen hat er ein sehr großes Interesse daran, daß diejenigen Einzelnen, welche Ihn zu ihrem Ich machen, an seinem Reichtum Teil haben: er macht sie zu Teilnehmern an seinem Eigentum. Durch Eigentum, womit er die Einzelnen belohnt, kirrt er sie; es bleibt aber sein Eigentum, und Jeder hat nur so lange den Nießbrauch davon, als er das Ich des Staates in sich trägt, oder ein »loyales Glied der Gesellschaft« ist; im Gegenfalle wird das Eigentum konfisziert oder durch peinliche Prozesse zu Wasser gemacht. Das Eigentum ist und bleibt sonach Staatseigentum, nicht Eigentum des Ichs. Daß der Staat nicht willkürlich dem Einzelnen entzieht, was er vom Staate hat, ist nur dasselbe, wie dies, daß der Staat sich selbst nicht beraubt. Wer ein Staats-Ich, d. h. ein guter Bürger oder Untertan ist, der trägt als solches Ich, nicht als eigenes, das Lehen ungestört. Dies nennt der Kodex dann so: Eigentum ist, was ich »von Gottes und Rechts wegen« mein nenne. Von Gottes und Rechts wegen ist es aber nur mein, solange – der Staat nichts dagegen hat.
In den Expropriationen, Waffenablieferungen und Ähnlichem (wie denn z. B. der Fiskus Erbschaften einzieht, wenn die Erben sich nicht zeitig genug melden) springt ja das sonst verdeckte Prinzip, daß nur das Volk, »der Staat«, Eigentümer sei, der Einzelne hingegen Lehnsträger, deutlich in die Augen.
Der Staat, dies wollte Ich sagen, kann nicht beabsichtigen, daß Jemand um sein[er] selbst willen Eigentum habe, oder gar reich, ja nur wohlhabend sei, er kann Mir als Mir nichts zuerkennen, zukommen lassen, nichts gewähren. Der Staat kann dem Pauperismus nicht steuern, weil die Pauvretät des Besitzes eine Pauvretät Meiner ist. Wer nichts ist, als was der Zufall oder ein Anderer, nämlich der Staat, aus ihm macht, der hat ganz mit Recht auch nichts, als was ein Anderer ihm gibt. Und dieser Andere wird ihm nur geben, was jener verdient, d. h. was er durch Dienen wert ist. Nicht Er verwertet sich, sondern der Staat verwertet ihn.
Die Nationalökonomie beschäftigt sich viel mit diesem Gegenstande. Er liegt indes weit über das »Nationale« hinaus und geht über die Begriffe und den Horizont des Staats, der nur Staatseigentum kennt und nur dieses verteilen kann. Deshalb knüpft er den Besitz des Eigentums an Bedingungen, wie er Alles daran knüpft, z. B. die Ehe, indem er nur die von ihm sanktionierte Ehe gelten läßt, und sie meiner Gewalt entreißt. Eigentum ist aber nur mein Eigentum, wenn Ich dasselbe unbedingt inne habe: nur Ich, als unbedingtes Ich, habe Eigentum, schließe ein Liebesverhältnis, treibe freien Handel.
Der Staat bekümmert sich nicht um Mich und das Meine, sondern um Sich und das Seine: Ich gelte ihm nur als sein Kind etwas, als »Landeskind«, als Ich bin Ich gar nichts für ihn. Was Mir als Ich begegnet, ist für den Verstand des Staates etwas Zufälliges: mein Reichtum wie meine Verarmung. Bin Ich aber mit allem Meinigen für ihn ein Zufall, so beweist dies, daß er Mich nicht begreifen kann: Ich gehe über seine Begriffe, oder sein Verstand ist zu kurz, um Mich zu begreifen. Darum kann er auch nichts für Mich tun.
Der Pauperismus ist die Wertlosigkeit Meiner, die Erscheinung, daß Ich Mich nicht verwerten kann. Deshalb ist Staat und Pauperismus Ein und dasselbe. Der Staat läßt Mich nicht zu meinem Werte kommen und besteht nur durch meine Wertlosigkeit: er geht allezeit darauf aus, von Mir Nutzen zu ziehen, d. h. Mich zu exploitieren, auszubeuten, zu verbrauchen, bestände dieser Verbrauch auch nur darin, daß Ich für eine proles sorge (Proletariat); er will, Ich soll »seine Kreatur« sein.
Nur dann kann der Pauperismus gehoben werden, wenn Ich als Ich Mich verwerte, wenn Ich Mir selber Wert gebe, und meinen Preis selber mache. Ich muß Mich empören, um emporzukommen.
Was Ich schaffe, Mehl, Leinwand oder Eisen und Kohlen, die Ich der Erde mühsam abgewinne, usw., es ist meine Arbeit, die Ich verwerten will. Da kann Ich aber lange klagen, meine Arbeit werde Mir nicht nach ihrem Werte bezahlt; es wird der Bezahlende Mich nicht hören und der Staat gleichfalls so lange apathisch sich verhalten, bis er glaubt, Mich »beschwichtigen« zu müssen, damit Ich nicht mit meiner gefürchteten Gewalt hervorbreche. Bei dieser »Beschwichtigung« aber wird es sein Bewenden haben, und fällt Mir mehr zu verlangen ein, so wendet sich der Staat wider Mich mit aller Kraft seiner Löwentatzen und Adlerklauen: denn er ist der König der Tiere, ist Löwe und Adler. Lasse Ich Mir nicht genügen an dem Preise, den er für meine Ware und Arbeit festsetzt, trachte Ich vielmehr, den Preis meiner Ware selbst zu bestimmen, d. h. »Mich bezahlt zu machen«, so gerate Ich zunächst mit den Abnehmern der Ware in einen Konflikt. Löste sich dieser durch ein Übereinkommen von beiden Seiten, so würde der Staat nicht leicht Einwendungen machen; denn wie die Einzelnen miteinander fertig werden, kümmert ihn wenig, so fern sie ihm dabei nur nicht in den Weg kommen. Sein Schaden und seine Gefahr beginnt erst da, wo sie nicht miteinander auskommen, sondern, weil keine Ausgleichung stattfindet, sich bei den Köpfen fassen. Der Staat kann es nicht dulden, daß der Mensch zum Menschen in einem direkten Verhältnisse stehe; er muß dazwischentreten als – Mittler, muß – intervenieren. Was Christus war, was die Heiligen, die Kirche, das ist der Staat geworden, nämlich »Mittler«. Er reißt den Menschen vom Menschen, um sich als »Geist« in die Mitte zu stellen. Die Arbeiter, welche höheren Lohn verlangen, werden als Verbrecher behandelt, sobald sie ihn erzwingen wollen. Was sollen sie tun? Ohne Zwang bekommen sie ihn nicht, und im Zwange sieht der Staat eine Selbsthilfe, eine vom Ich gesetzte Preisbestimmung, eine wirkliche, freie Verwertung seines Eigentums, die er nicht zulassen kann. Was sollen also die Arbeiter anfangen? Auf sich halten und nach dem Staate nichts fragen? – –
Wie es sich aber mit meiner gegenständlichen Arbeit verhält, so auch mit meiner geistigen. Es erlaubt Mir der Staat alle meine Gedanken zu verwerten und an den Mann zu bringen (Ich verwerte sie ja z. B. schon dadurch, daß sie Mir von den Zuhörern Ehre einbringen u. dergl.); allein nur so lange als meine Gedanken – seine Gedanken sind. Hege Ich dagegen Gedanken, welche er nicht approbieren, d. h. zu den seinigen machen kann, so erlaubt er Mir durchaus nicht, sie zu verwerten, sie in den Austausch, den Verkehr zu bringen. Meine Gedanken sind nur frei, wenn sie Mir durch die Gnade des Staats vergönnt sind, d. h. wenn sie Gedanken des Staats sind. Frei philosophieren läßt er Mich nur, sofern Ich Mich als »Staatsphilosoph« bewähre; gegen den Staat darf Ich nicht philosophieren, so gerne er's auch nachsieht, daß Ich ihm von seinen »Mängeln« helfe, ihn »fördere«. – Also wie Ich Mich nur als ein vom Staate gnädigst verstattetes, als ein mit seinem Legitimitätszeugnis und Polizeipasse versehenes Ich betragen darf, so ist es Mir auch nicht vergönnt, das Meinige zu verwerten, es sei denn, daß es sich als das Seinige ausweise, welches Ich von ihm zu Lehen trage. Meine Wege müssen seine Wege sein, sonst pfändet er Mich; meine Gedanken seine Gedanken, sonst stopft er Mir den Mund.
Vor nichts hat der Staat sich mehr zu fürchten, als vor dem Werte Meiner, und nichts muß er sorgfältiger zu verhüten suchen, als jede Mir entgegenkommende Gelegenheit, Mich selbst zu verwerten. Ich bin der Todfeind des Staates, der stets in der Alternative schwebt: Er oder Ich. Darum hält er strenge darauf, nicht nur Mich nicht gelten zu lassen, sondern auch das Meinige zu hintertreiben. Im Staate gibt es kein – Eigentum, d. h. kein Eigentum des Einzelnen, sondern nur Staatseigentum. Nur durch den Staat habe Ich, was Ich habe, wie Ich nur durch ihn bin, was Ich bin. Mein Privateigentum ist nur dasjenige, was der Staat Mir von dem Seinigen überläßt, indem er andere Staatsglieder darum verkürzt (priviert): es ist Staatseigentum.
Im Gegensatze aber zum Staate, fühle Ich immer deutlicher, daß Mir noch eine große Gewalt übrigbleibt, die Gewalt über Mich selbst, d. h. über alles, was nur Mir eignet und nur ist, indem es mein eigen ist.
Was fange Ich an, wenn meine Wege nicht mehr seine Wege, meine Gedanken nicht mehr seine Gedanken sind? Ich halte auf Mich, und frage nichts nach ihm! An meinen Gedanken, die Ich durch keine Beistimmung, Gewährung oder Gnade sanktionieren lasse, habe Ich mein wirkliches Eigentum, ein Eigentum, mit dem Ich Handel treiben kann. Denn als das Meine sind sie meine Geschöpfe, und Ich bin im Stande, sie wegzugeben gegen andere Gedanken: Ich gebe sie auf und tausche andere für sie ein, die dann mein neues erkauftes Eigentum sind.
Was ist also mein Eigentum? Nichts als was in meiner Gewalt ist! Zu welchem Eigentum bin Ich berechtigt? Zu jedem, zu welchem Ich Mich – ermächtige. Das Eigentums-Recht gebe Ich Mir, indem Ich Mir Eigentum nehme, oder Mir die Macht des Eigentümers, die Vollmacht, die Ermächtigung gebe.
Worüber man Mir die Gewalt nicht zu entreißen vermag, das bleibt mein Eigentum; wohlan so entscheide die Gewalt über das Eigentum, und Ich will Alles von meiner Gewalt erwarten! Fremde Gewalt, Gewalt, die Ich einem Andern lasse, macht Mich zum Leibeigenen; so möge eigene Gewalt Mich zum Eigner machen. Ziehe Ich denn die Gewalt zurück, welche Ich Andern aus Unkunde über die Stärke meiner eigenen Gewalt eingeräumt habe! Sage Ich Mir, wohin meine Gewalt langt, das ist mein Eigentum, und nehme Ich alles als Eigentum in Anspruch, was zu erreichen Ich Mich stark genug fühle, und lasse Ich mein wirkliches Eigentum so weit reichen, als Ich zu nehmen Mich berechtige, d. h. – ermächtige.
Hier muß der Egoismus, der Eigennutz entscheiden, nicht das Prinzip der Liebe, nicht die Liebesmotive, wie Barmherzigkeit, Mildtätigkeit, Gutmütigkeit oder selbst Gerechtigkeit und Billigkeit (denn auch die iustitia ist ein Phänomen der – Liebe, ein Liebesprodukt): die Liebe kennt nur Opfer und fordert »Aufopferung«.
Der Egoismus denkt nicht daran etwas aufzuopfern, sich etwas zu vergeben; er entscheidet einfach: Was Ich brauche, muß Ich haben und will Ich Mir verschaffen.
Alle Versuche, über das Eigentum vernünftige Gesetze zu geben, liefen vom Busen der Liebe in ein wüstes Meer von Bestimmungen aus. Auch den Sozialismus und Kommunismus kann man hiervon nicht ausnehmen. Es soll jeder mit hinreichenden Mitteln versorgt werden, wobei wenig darauf ankommt, ob man sozialistisch sie noch in einem persönlichen Eigentum findet, oder kommunistisch aus der Gütergemeinschaft schöpft. Der Sinn der Einzelnen bleibt dabei derselbe, er bleibt Abhängigkeitssinn. Die verteilende Billigkeitsbehörde läßt Mir nur zukommen, was ihr der Billigkeitssinn, ihre liebevolle Sorge für Alle, vorschreibt. Für Mich, den Einzelnen, liegt ein nicht minderer Anstoß in dem Gesamtvermögen, als in dem der einzelnen Andern; weder jenes ist das meinige, noch dieses: ob das Vermögen der Gesamtheit gehört, die Mir davon einen Teil zufließen läßt, oder einzelnen Besitzern, ist für Mich derselbe Zwang, da Ich über keins von beiden bestimmen kann. Im Gegenteil, der Kommunismus drückt Mich durch Aufhebung alles persönlichen Eigentums nur noch mehr in die Abhängigkeit von einem Andern, nämlich von der Allgemeinheit oder Gesamtheit, zurück, und so laut er immer auch den »Staat« angreife, was er beabsichtigt, ist selbst wieder ein Staat, ein status, ein meine freie Bewegung hemmender Zustand, eine Oberherrlichkeit über Mich. Gegen den Druck, welchen Ich von den einzelnen Eigentümern erfahre, lehnt sich der Kommunismus mit Recht auf; aber grauenvoller noch ist die Gewalt, die er der Gesamtheit einhändigt.
Der Egoismus schlägt einen andern Weg ein, um den besitzlosen Pöbel auszurotten. Er sagt nicht: Warte ab, was Dir die Billigkeitsbehörde im Namen der Gesamtheit – schenken wird (denn solche Schenkung geschah von jeher in den »Staaten«, indem »nach Verdienst«, also nach dem Maße, als sich's jeder zu verdienen, zu erdienen wußte, Jedem gegeben wurde), sondern: Greife zu und nimm, was Du brauchst! Damit ist der Krieg Aller gegen Alle erklärt. Ich allein bestimme darüber, was Ich haben will.
»Nun, das ist wahrlich keine neue Weisheit, denn so haben's die Selbstsüchtigen zu allen Zeiten gehalten!« Ist auch gar nicht nötig, daß die Sache neu sei, wenn nur das Bewußtsein darüber vorhanden ist. Dieses aber wird eben nicht auf hohes Alter Anspruch machen können, wenn man nicht etwa das ägyptische und spartanische Gesetz hierher rechnet; denn wie wenig geläufig es sei, geht schon aus obigem Vorwurf hervor, der mit Verachtung von dem »Selbstsüchtigen« spricht. Wissen soll man's eben, daß jenes Verfahren des Zugreifens nicht verächtlich sei, sondern die reine Tat des mit sich einigen Egoisten bekunde.
Erst wenn Ich weder von Einzelnen, noch von einer Gesamtheit erwarte, was Ich Mir selbst geben kann, erst dann entschlüpfe Ich den Stricken der – Liebe; erst dann hört der Pöbel auf, Pöbel zu sein, wenn er zugreift. Nur die Scheu des Zugreifens und die entsprechende Bestrafung desselben macht ihn zum Pöbel. Nur daß das Zugreifen Sünde, Verbrechen ist, nur diese Satzung schafft einen Pöbel, und daß dieser bleibt, was er ist, daran ist sowohl er schuld, weil er jene Satzung gelten läßt, als besonders diejenigen, welche »selbstsüchtig« (um ihnen ihr beliebtes Wort zurückzugeben) fordern, daß sie respektiert werde. Kurz der Mangel an Bewußtsein über jene »neue Weisheit«, das alte Sündenbewußtsein trägt allein die Schuld.
Gelangen die Menschen dahin, daß sie den Respekt vor dem Eigentum verlieren, so wird jeder Eigentum haben, wie alle Sklaven freie Menschen werden, sobald sie den Herrn als Herrn nicht mehr achten. Vereine werden dann auch in dieser Sache die Mittel des Einzelnen multiplizieren und sein angefochtenes Eigentum sicherstellen.
Nach der Meinung der Kommunisten soll die Gemeinde Eigentümerin sein. Umgekehrt Ich bin Eigentümer, und verständige Mich nur mit Andern über mein Eigentum. Macht Mir's die Gemeinde nicht recht, so empöre Ich Mich gegen sie und verteidige mein Eigentum. Ich bin Eigentümer, aber das Eigentum ist nicht heilig. Ich wäre bloß Besitzer? Nein, bisher war man nur Besitzer, gesichert im Besitz einer Parzelle, dadurch, daß man Andere auch im Besitz einer Parzelle ließ; jetzt aber gehört Alles Mir, Ich bin Eigentümer von Allem, dessen Ich brauche und habhaft werden kann. Heißt es sozialistisch: die Gesellschaft gibt Mir, was Ich brauche, – so sagt der Egoist: Ich nehme Mir, was ich brauche. Gebärden sich die Kommunisten als Lumpe, so benimmt sich der Egoist als Eigentümer.
Alle Pöbelbeglückungs-Versuche und Schwanenverbrüderungen müssen scheitern, die aus dem Prinzipe der Liebe entspringen. Nur aus dem Egoismus kann dem Pöbel Hilfe werden, und diese Hilfe muß er sich selbst leisten und – wird sie sich leisten. Läßt er sich nicht zur Furcht zwingen, so ist er eine Macht. »Die Leute würden allen Respekt verlieren, wenn man sie nicht so zur Furcht zwänge« sagt der Popanz Gesetz im gestiefelten Kater.
Also das Eigentum soll und kann nicht aufgehoben, es muß vielmehr gespenstischen Händen entrissen und mein Eigentum werden; dann wird das irrige Bewußtsein verschwinden, daß Ich nicht zu so viel, als Ich brauche, Mich berechtigen könne. –
»Was kann aber der Mensch nicht Alles brauchen!« Je nun, wer viel braucht und es zu bekommen versteht, hat sich's noch zu jeder Zeit geholt, wie Napoleon den Kontinent und die Franzosen Algier. Es kommt daher eben nur darauf an, daß der respektvolle »Pöbel« endlich lerne, sich zu holen, was er braucht. Langt er Euch zu weit, ei, so wehrt Euch. Ihr habt gar nicht nötig, ihm gutwillig etwas zu – schenken, und wenn er sich kennenlernt, oder vielmehr wer aus dem Pöbel sich kennenlernt, der streift die Pöbelhaftigkeit ab, indem er sich für eure Almosen bedankt. Lächerlich aber bleibt's, daß Ihr ihn für »sündig und verbrecherisch« erklärt, wenn er nicht von euren Guttaten leben mag, weil er sich etwas zu Gute tun kann. Eure Schenkungen betrügen ihn, und halten ihn hin. Verteidigt euer Eigentum, so werdet Ihr stark sein; wollt Ihr hingegen eure Schenkungsfähigkeit erhalten und etwa gar um so mehr politische Rechte haben, je mehr Ihr Almosen (Armensteuer) geben könnt, so geht das ebenso lange, als Euch die Beschenkten so gehen lassen.
Genug, die Eigentumsfrage läßt sich nicht so gütlich lösen, als die Sozialisten, ja selbst die Kommunisten träumen. Sie wird nur gelöst durch den Krieg Aller gegen Alle. Die Armen werden nur frei und Eigentümer, wenn sie sich – empören, emporbringen, erheben. Schenkt ihnen noch so viel, sie werden doch immer mehr haben wollen; denn sie wollen nichts Geringeres, als daß endlich – nichts mehr geschenkt werde.
Man wird fragen: Wie wird's denn aber werden, wenn die Besitzlosen sich ermannen? Welcher Art soll denn die Ausgleichung werden? Ebensogut könnte man verlangen, daß Ich einem Kinde die Nativität stellen solle. Was ein Sklave tun wird, sobald er die Fesseln zerbrochen, das muß man – erwarten.
Kaiser hofft in seiner der Form- wie der Gehaltlosigkeit wegen wertlosen Broschüre (»Die Persönlichkeit des Eigentümers in Bezug auf den Sozialismus und Kommunismus usw.«) vom Staate, daß er eine Vermögensausgleichung bewirken werde. Immer der Staat! der Herr Papa! Wie die Kirche für die »Mutter« der Gläubigen ausgegeben und angesehen wurde, so hat der Staat ganz das Gesicht des vorsorglichen Vaters.
Aufs genaueste mit dem Prinzip der Bürgerlichkeit verbunden zeigt sich die Konkurrenz. Ist sie etwas Anderes als die Gleichheit (égalité)? Und ist die Egalität nicht eben ein Erzeugnis derselben Revolution, welche vom Bürgertum oder den Mittelklassen hervorgebracht wurde? Da es Keinem verwehrt ist, mit Allen im Staate (den Fürsten, weil er den Staat selbst vorstellt, ausgenommen) zu wetteifern und zu ihrer Höhe sich hinaufzuarbeiten, ja sie zu eigenem Vorteil zu stürzen oder auszubeuten, sie zu überflügeln und durch stärkere Anstrengung um ihren Wohlstand zu bringen, so dient dies zum deutlichen Beweise, daß vor dem Richterstuhl des Staats Jeder nur den Wert eines »simplen Individuums« hat und auf keine Begünstigung rechnen darf. Überrennt und überbietet Euch, so viel Ihr mögt und könnt, das soll mich, den Staat, nicht kümmern! Untereinander seid Ihr frei im Konkurrieren, seid Konkurrenten; das ist eure gesellschaftliche Stellung. Vor mir, dem Staate, aber seid Ihr nichts als »simple Individuen«!
Was in prinzipieller oder theoretischer Form als die Gleichheit Aller aufgestellt wurde, das hat eben in der Konkurrenz seine Verwirklichung und praktische Ausführung gefunden; denn die égalité ist die – freie Konkurrenz. Alle sind vor dem Staate – simple Individuen, in der Gesellschaft oder im Verhältnis zueinander – Konkurrenten.
Ich brauche nichts weiter als ein simples Individuum zu sein, um mit jedem Andern, außer dem Fürsten und seiner Familie, konkurrieren zu können, eine Freiheit, welche früher dadurch unmöglich war, daß man nur mittelst seiner Korporation und innerhalb derselben einer Freiheit des Strebens genoß.
In der Zunft und Feudalität verhält sich der Staat intolerant und wählerisch, indem er privilegiert; in der Konkurrenz und dem Liberalismus verhält er sich tolerant und gewähren lassend, indem er nur patentiert (dem Bewerber verbrieft, daß ihm das Gewerbe offen patent stehe) oder »konzessioniert«. Da nun so der Staat alles den Bewerbern überlassen hat, muß er in Konflikt mit Allen kommen, weil ja alle und jeder zur Bewerbung berechtigt sind. Er wird »bestürmt« werden und in diesem Sturme zu Grunde gehen.
Ist die »freie Konkurrenz« denn wirklich »frei«, ja ist sie wirklich eine »Konkurrenz«, nämlich der Personen, wofür sie sich ausgibt, weil sie auf diesen Titel ihr Recht gründet? Sie ging ja daraus hervor, daß die Personen gegen alle persönliche Herrschaft frei wurden. Ist eine Konkurrenz »frei«, welche der Staat, dieser Herrscher im bürgerlichen Prinzip, in tausend Schranken einengt? Da macht ein reicher Fabrikant glänzende Geschäfte, und Ich möchte mit ihm konkurrieren. »Immerhin, sagt der Staat, ich habe gegen deine Person als Konkurrenten nichts einzuwenden.« Ja, erwidere Ich, dazu brauche Ich aber einen Raum zu Gebäuden, brauche Geld! »Das ist schlimm, aber wenn Du kein Geld hast, kannst Du nicht konkurrieren. Nehmen darfst Du Keinem etwas, denn ich schütze und privilegiere das Eigentum.« Die freie Konkurrenz ist nicht »frei«, weil Mir die Sache zur Konkurrenz fehlt. Gegen meine Person läßt sich nichts einwenden, aber weil Ich die Sache nicht habe, so muß auch meine Person zurücktreten. Und wer hat die nötige Sache? Etwa jener Fabrikant? Dem könnte Ich sie ja abnehmen! Nein, der Staat hat sie als Eigentum, der Fabrikant nur als Lehen, als Besitztum.
Weil es aber mit dem Fabrikanten nicht geht, so will Ich mit jenem Professor der Rechte konkurrieren; der Mann ist ein Gimpel, und Ich, der Ich hundertmal mehr weiß, als er, werde sein Auditorium leer machen. »Hast Du studiert und promoviert, Freund?« Nein, aber was tut das? Ich verstehe, was zu dem Lehrfache nötig ist, reichlich. »Tut mir leid, aber die Konkurrenz ist hier nicht „frei«. Gegen deine Person ist nichts zu sagen, aber die Sache fehlt, das Doktordiplom. Und dies Diplom verlange ich, der Staat. Bitte mich erst schönstens darum, dann wollen wir zusehen, was zu tun ist."
Dies also ist die »Freiheit« der Konkurrenz. Der Staat, mein Herr, befähigt Mich erst zum Konkurrieren.
Konkurrieren aber wirklich die Personen? Nein, wiederum nur die Sachen! Die Gelder in erster Reihe usw.
In dem Wettstreit wird immer Einer hinter dem Andern zurückbleiben (z. B. ein Dichterling hinter einem Dichter). Allein es macht einen Unterschied, ob die fehlenden Mittel des unglücklichen Konkurrierenden persönliche oder sächliche sind, und ebenso, ob die sächlichen Mittel durch persönliche Kraft gewonnen werden können oder nur durch Gnade zu erhalten sind, nur als Geschenk, und zwar, indem z. B. der Ärmere dem Reichen seinen Reichtum lassen, d. h. schenken muß. Muß Ich aber überhaupt auf die Genehmigung des Staates warten, um die Mittel zu erhalten oder zu gebrauchen (z. B. bei der Promotion), so habe Ich die Mittel durch die Gnade des Staates.
Freie Konkurrenz hat also nur folgenden Sinn: Alle gelten dem Staate als seine gleichen Kinder, und jeder kann laufen und rennen, um sich die Güter und Gnadenspenden des Staates zu verdienen. Darum jagen auch alle nach der Habe, dem Haben, dem Besitz (sei es von Geld oder Ämtern, Ehrentiteln usw.), nach der Sache.
Nach dem Sinne des Bürgertums ist Jeder Inhaber oder »Eigentümer«. Woher kommt es nun, daß doch die Meisten soviel wie nichts haben? Es kommt daher, weil die Meisten sich schon darüber freuen, nur überhaupt Inhaber, sei's auch von einigen Lappen, zu sein, wie Kinder sich ihrer ersten Höschen oder gar des ersten geschenkten Pfennigs freuen. Genauer indes ist die Sache folgendermaßen zu fassen. Der Liberalismus trat sogleich mit der Erklärung auf, daß es zum Wesen des Menschen gehöre, nicht Eigentum, sondern Eigentümer zu sein. Da es hierbei um »den Menschen, nicht um den Einzelnen zu tun war, so blieb das Wieviel, welches gerade das spezielle Interesse des Einzelnen ausmachte, diesem überlassen. Daher behielt der Egoismus des Einzelnen in diesem Wieviel den freiesten Spielraum, und trieb eine unermüdliche Konkurrenz.
Indes mußte der glückliche Egoismus dem minder beglückten zum Anstoß werden, und dieser, immer noch auf dem Prinzipe des Menschentums fußend, stellte die Frage nach dem Wieviel des Innehabens auf und beantwortete sie dahin, daß „der Mensch so viel haben müsse als er brauche«.
Wird sich mein Egoismus damit genügen lassen können? Was »der Mensch« braucht, das gibt keineswegs für Mich und mein Bedürfnis einen Maßstab her; denn Ich kann weniger oder mehr gebrauchen. Ich muß vielmehr so viel haben, als ich Mir anzueignen vermögend bin.
Die Konkurrenz leidet an dem Übelstande, daß nicht Jedem die Mittel zum Konkurrieren zu Gebote stehen, weil sie nicht aus der Persönlichkeit entnommen sind, sondern aus der Zufälligkeit. Die meisten sind unbemittelt und deshalb unbegütert.
Die Sozialen fordern daher für Alle die Mittel und erzielen eine Mittel bietende Gesellschaft. Deinen Geldwert, sagen sie, erkennen Wir nicht ferner als dein Vermöge an, Du mußt ein anderes Vermögen aufzeigen, nämlich deine Arbeitskräfte. Im Besitze einer Habe oder als »Inhaber« zeigt sich der Mensch allerdings als Mensch, darum ließen Wir auch den Inhaber, den Wir »Eigentümer« nannten, so lange gelten. Allein Du hast doch die Dinge nur so lange inne, als Du nicht »aus diesem Eigentum hinausgesetzt wirst«.
Der Inhaber ist vermögend, aber nur so weit, als die Andern unvermögend sind. Da deine Ware nur so lange dein Vermögen bildet, als Du sie zu behaupten vermagst, d. h. als Wir nichts über sie vermögen, so sieh' Dich nach einem anderen Vermögen um, denn Wir überbieten jetzt durch unsere Gewalt dein angebliches Vermögen.
Es war außerordentlich viel gewonnen, als man es durchsetzte, als Inhaber betrachtet zu werden. Die Leibeigenschaft wurde damit aufgehoben und Jeder, der bis dahin dem Herrn gefrondet hatte, und mehr oder weniger dessen Eigentum gewesen war, ward nun ein »Herr«. Allein forthin reicht dein Haben und deine Habe nicht mehr aus und wird nicht mehr anerkannt; dagegen steigt dein Arbeiten und deine Arbeit im Werte. Wir achten nun deine Bewältigung der Dinge, wie vorher dein Innehaben derselben. Deine Arbeit ist dein Vermögen! Du bist nur Herr oder Inhaber des Erarbeiteten, nicht des Ererbten. Da aber derzeit Alles ein Ererbtes ist und jeder Groschen, den Du besitzest, nicht ein Arbeits-, sondern ein Erbgepräge trägt, so muß alles umgeschmolzen werden.
Ist denn aber wirklich, wie die Kommunisten meinen, meine Arbeit mein einziges Vermögen, oder besteht dies nicht vielmehr in allem, was Ich vermag? Und muß nicht die Arbeitergesellschaft selbst dies einräumen, indem sie z. B. auch die Kranken, Kinder, Greise, kurz die Arbeitsunfähigen unterhält? Diese vermögen noch immer gar manches z.B. ihr Leben zu erhalten, statt es sich zu nehmen. Vermögen sie es über Euch, daß Ihr ihren Fortbestand begehrt, so haben sie eine Gewalt über Euch. Wer platterdings keine Macht über Euch übte, dem würdet Ihr nichts gewähren; er könnte verkommen.
Also was Du vermagst, ist dein Vermögen! Vermagst Du Tausenden Lust zu bereiten, so werden Tausende Dich dafür honorieren, es stände ja in deiner Gewalt, es zu unterlassen, daher müssen sie deine Tat erkaufen. Vermagst Du keinen für Dich einzunehmen, so magst Du eben verhungern.
Soll Ich nun etwa, der Vielvermögende, vor den Unvermögenderen nichts voraus haben?
Wir sitzen Alle im Vollen; soll Ich nun nicht zulangen, so gut Ich kann, und nur abwarten, wieviel Mir bei einer gleichen Teilung bleibt?
Gegen die Konkurrenz erhebt sich das Prinzip der Lumpengesellschaft, die – Verteilung.
Für einen bloßen Teil, Teil der Gesellschaft, angesehen zu werden, erträgt der Einzelne nicht, weil er mehr ist; seine Einzigkeit wehrt diese beschränkte Auffassung ab.
Daher erwartet er sein Vermögen nicht von der Zuteilung Anderer, und schon in der Arbeitergesellschaft entsteht das Bedenken, daß bei einer gleichen Verteilung der Starke durch den Schwachen ausgebeutet werde; er erwartet sein Vermögen vielmehr von sich und sagt nun: was Ich zu haben vermag, das ist mein Vermögen. Welch' Vermögen besitzt nicht das Kind in seinem Lächeln, seinem Spielen, seinem Geschrei, kurz in seinem bloßen Dasein. Bist Du im Stande, seinem Verlangen zu widerstehen oder reichst Du ihm als Mutter nicht die Brust, als Vater so viel von deiner Habe, als es bedarf? Es zwingt Euch, darum besitzt es das, was Ihr das Eure nennt.
Ist Mir an deiner Person gelegen, so zahlst Du Mir schon mit deiner Existenz; ist's Mir nur um eine deiner Eigenschaften zu tun, so hat etwa deine Willfährigkeit oder dein Beistand einen Wert (Geldwert) für Mich, und Ich erkaufe ihn.
Weißt Du Dir keinen andern, als einen Geldwert in meiner Schätzung zu geben, so kann der Fall eintreten, von dem Uns die Geschichte erzählt, daß nämlich deutsche Landeskinder nach Amerika verkauft wurden. Sollten sie, die sich verhandeln ließen, dem Verkäufer mehr wert sein? Ihm war das bare Geld lieber, als diese lebendige Ware, die sich ihm nicht kostbar zu machen verstand. Daß er in ihr nichts Wertvolleres entdeckte, war allerdings ein Mangel seines Vermögens; aber ein Schelm gibt mehr als er hat. Wie sollte er Achtung zeigen, da er sie nicht hatte, ja kaum für solches Pack haben konnte!
Egoistisch verfahrt Ihr, wenn Ihr einander weder als Inhaber noch als Lumpe oder Arbeiter achtet, sondern als einen Teil eures Vermögens, als »brauchbare Subjekte« . Dann werdet Ihr weder dem Inhaber (»Eigentümer«) für seine Habe etwas geben, noch dem, der arbeitet, sondern allein dem, den Ihr braucht. Brauchen Wir einen König? fragen sich die Nordamerikaner, und antworten: Nicht einen Heller ist er und seine Arbeit Uns wert.
Sagt man, die Konkurrenz stelle Alles Allen offen, so ist der Ausdruck nicht genau, und man faßt es besser so: sie macht Alles käuflich. Indem sie es ihnen preisgibt, überläßt sie es ihrem Preise oder ihrer Schätzung und fordert einen Preis dafür.
Allein die Kauflustigen ermangeln meistens der Mittel, sich zu Käufern zu machen: sie haben kein Geld. Für Geld sind also zwar die käuflichen Sachen zu haben (»Für Geld ist Alles zu haben!«), aber gerade am Geld fehlt's. Wo Geld, dies gangbare oder kursierende Eigentum, hernehmen? Wisse denn, Du hast so viel Geld als Du – Gewalt hast; denn Du giltst so viel, als Du Dir Geltung verschaffst.
Man bezahlt nicht mit Geld, woran Mangel eintreten kann, sondern mit seinem Vermögen, durch welches allein Wir »vermögend« sind; denn man ist nur so weit Eigentümer, als der Arm unserer Macht reicht.
Weitling hat ein neues Zahlmittel erdacht, die Arbeit. Das wahre Zahlmittel bleibt aber, wie immer, das Vermögen. Mit dem, was Du »im Vermögen« hast, bezahlst Du. Darum denke auf die Vergrößerung deines Vermögens.
Indem man dies zugibt, ist man jedoch gleich wieder mit dem Wahlspruch bei der Hand: »Einem Jeden nach seinem Vermögen!« Wer soll Mir nach meinem Vermögen geben? Die Gesellschaft? Da müßte Ich Mir die Schätzung gefallen lassen. Vielmehr werde Ich Mir nach meinem Vermögen nehmen.
»Allen gehört Alles!« Dieser Satz stammt aus derselben gehaltlosen Theorie. Jedem gehört nur, was er vermag. Sage Ich: Mir gehört die Welt, so ist das eigentlich auch leeres Gerede, das nur insofern Sinn hat, als Ich kein fremdes Eigentum respektiere. Mir gehört aber nur so viel, als Ich vermag oder im Vermögen habe.
Man ist nicht wert zu haben, was man sich aus Schwachheit nehmen läßt; man ist's nicht wert, weil man's nicht fähig ist .
Gewaltigen Lärm erhebt man über das »tausendjährige Unrecht«, welches von den Reichen gegen die Armen begangen werde. Als hätten die Reichen die Armut verschuldet, und verschuldeten nicht gleicherweise die Armen den Reichtum! Ist zwischen beiden ein anderer Unterschied als der des Vermögens und Unvermögens, der Vermögenden und Unvermögenden? Worin besteht denn das Verbrechen der Reichen? »In ihrer Hartherzigkeit.« Aber wer hat denn die Armen erhalten, wer hat für ihre Ernährung gesorgt, wenn sie nichts mehr arbeiten konnten, wer hat Almosen gespendet, jene Almosen, die sogar ihren Namen von der Barmherzigkeit (Eleemosyne) haben? Sind die Reichen nicht allezeit »barmherzig« gewesen, sind sie nicht bis auf den heutigen Tag »mildtätig«, wie Armentaxen, Spitäler, Stiftungen aller Art usw. beweisen?
Aber das alles genügt Euch nicht! Sie sollen also wohl mit den Armen teilen? Da fordert Ihr, daß sie die Armut aufheben sollen. Abgesehen davon, daß kaum Einer unter Euch so handeln möchte, und daß dieser Eine eben ein Tor wäre, so fragt Euch doch: warum sollen die Reichen Haar lassen und sich aufgeben, während den Armen dieselbe Handlung viel nützlicher wäre? Du, der Du täglich deinen Taler hast, bist reich vor Tausenden, die von vier Groschen leben. Liegt es in deinem Interesse, mit den Tausenden zu teilen, oder liegt es nicht vielmehr in dem ihrigen? – –
Mit der Konkurrenz ist weniger die Absicht verbunden, die Sache am besten zu machen, als die andere, sie möglichst einträglich, ergiebig zu machen. Man studiert daher auf ein Amt los (Brotstudium), studiert Katzenbuckel und Schmeicheleien, Routine und »Geschäftskenntnis«, man arbeitet »auf den Schein.« Während es daher scheinbar um eine »gute Leistung« zu tun ist, wird in Wahrheit nur auf ein »gutes Geschäft« und Geldverdienst gesehen. Man verrichtet die Sache nur vorgeblich um der Sache willen, in der Tat aber wegen des Gewinnes, den sie abwirft. Man möchte zwar nicht gerne Zensor sein, aber man will – befördert werden; man möchte nach bester Überzeugung richten, administrieren usw., aber man fürchtet Versetzung oder gar Absetzung: man muß ja doch vor allen Dingen – leben.
So ist dies Treiben ein Kampf ums liebe Leben, und in stufenweiser Steigerung um mehr oder weniger »Wohlleben«.
Und dabei trägt doch den Meisten all ihr Mühen und Sorgen nichts als das »bittere Leben« und »bittere Armut« ein. Dafür all der bittere Ernst!
Das rastlose Werben läßt Uns nicht zu Atem, zu einem ruhigen Genusse kommen: Wir werden unsers Besitzes nicht froh.
Die Organisation der Arbeit aber betrifft nur solche Arbeiten, welche Andere für Uns machen können, z. B. Schlachten, Ackern usw.; die übrigen bleiben egoistisch, weil z. B. Niemand an deiner Statt deine musikalischen Kompositionen anfertigen, deine Malerentwürfe ausführen usw. kann: Raphaels Arbeiten kann Niemand ersetzen. Die letzteren sind Arbeiten eines Einzigen, die nur dieser Einzige zu vollbringen vermag, während jene »menschliche« genannt zu werden verdienten, da das Eigene daran von geringem Belang ist, und so ziemlich »jeder Mensch« dazu abgerichtet werden kann.
Da nun die Gesellschaft nur die gemeinnützigen oder menschlichen Arbeiten berücksichtigen kann, so bleibt, wer Einziges leistet, ohne ihre Fürsorge, ja er kann sich durch ihre Dazwischenkunft gestört finden. Der Einzige wird sich wohl aus der Gesellschaft hervorarbeiten, aber die Gesellschaft bringt keinen Einzigen hervor.
Es ist daher immer fördersam, daß Wir Uns über die menschlichen Arbeiten einigen, damit sie nicht, wie unter der Konkurrenz, alle unsere Zeit und Mühe in Anspruch nehmen. Insoweit wird der Kommunismus seine Früchte tragen. Selbst dasjenige nämlich, wozu alle Menschen befähigt sind oder befähigt werden können, wurde vor der Herrschaft des Bürgertums an Wenige geknüpft und den Übrigen entzogen: es war ein Privilegium. Dem Bürgertum dünkte es gerecht, freizugeben Alles, was für jeden »Menschen« dazusein schien. Aber, weil freigegeben, war es doch Keinem gegeben, sondern vielmehr Jedem überlassen, es durch seine menschlichen Kräfte zu erhaschen. Dadurch ward der Sinn auf den Erwerb des Menschlichen, das fortan Jedem winkte, gewendet, und es entstand eine Richtung, welche man unter dem Namen des »Materialismus« so laut beklagen hört.
Ihrem Laufe sucht der Kommunismus Einhalt zu tun, indem er den Glauben verbreitet, daß das Menschliche so vieler Plage nicht wert sei und bei einer gescheiten Einrichtung ohne den großen Aufwand von Zeit und Kräften, wie es seither erforderlich schien, gewonnen werden könne.
Für wen soll aber Zeit gewonnen werden? Wozu braucht der Mensch mehr Zeit, als nötig ist, seine abgespannten Arbeitskräfte zu erfrischen? Hier schweigt der Kommunismus.
Wozu? Um seiner als des Einzigen froh zu werden, nachdem er als Mensch das Seinige getan hat!
In der ersten Freude darüber, nach allem Menschlichen die Hand ausstrecken zu dürfen, vergaß man, noch sonst etwas zu wollen, und konkurrierte frisch drauf los, als wäre der Besitz des Menschlichen das Ziel aller unserer Wünsche.
Man hat sich aber müde gerannt und merkt nachgerade, daß »der Besitz nicht glücklich macht«. Darum denkt man darauf, das Nötige leichteren Kaufes zu erhalten und nur so viel Zeit und Mühe darauf zu verwenden, als seine Unentbehrlichkeit erheischt. Der Reichtum sinkt im Preise und die zufriedene Armut, der sorglose Lump, wird zum verführerischen Ideal.
Solche menschliche Tätigkeiten, die sich Jeder zutraut, sollten teuer honoriert und mit Mühe und Aufwand aller Lebenskräfte gesucht werden? Schon in der alltäglichen Redensart: »Wenn Ich nur Minister oder gar der . . . wäre, da sollte es ganz anders hergehen« drückt sich jene Zuversicht aus, daß man sich für fähig halte, einen solchen Würdenträger vorzustellen; man spürt wohl, daß zu dergleichen nicht die Einzigkeit, sondern nur eine, wenn auch nicht gerade Allen, so doch Vielen erreichbare Bildung gehöre, d. h. daß man zu so etwas nur ein gewöhnlicher Mensch zu sein brauche.
Nehmen wir an, daß, wie die Ordnung zum Wesen des Staates gehört, so auch die Unterordnung in seiner Natur gegründet ist, so sehen Wir, daß von den Untergeordneten oder Bevorzugten die Zurückgesetzten unverhältnismäßig überteuert und übervorteilt werden. Doch die Letztern ermannen sich, zunächst vom sozialistischen Standpunkte aus, später aber gewiß mit egoistischem Bewußtsein, von dem Wir ihrer Rede darum gleich einige Färbung geben wollen, zu der Frage: wodurch ist denn euer Eigentum sicher, Ihr Bevorzugten? – und geben sich die Antwort: dadurch, daß Wir Uns des Eingriffes enthalten! Mithin durch unsern Schutz! Und was gebt Ihr Uns dafür? Fußtritte und Geringschätzung gebt Ihr dem »gemeinen Volke«; eine polizeiliche Überwachung und einen Katechismus mit dem Hauptsatze: Respektiere, was nicht dein ist, was Andern gehört! respektiere die Andern und besonders die Obern! Wir aber erwidern: Wollt Ihr unsern Respekt, so kauft ihn für den Uns genehmen Preis. Wir wollen euer Eigentum Euch lassen, wenn Ihr dieses Lassen gehörig aufwiegt. Womit wiegt denn der General in Friedenszeiten die vielen Tausende seiner Jahreseinnahme auf, womit ein Anderer gar die jährlichen Hunderttausende und Millionen? Womit wiegt Ihr's auf, daß Wir Kartoffeln kauen und eurem Austernschlürfen ruhig zusehen? Kauft uns die Austern nur so teuer ab, als Wir Euch die Kartoffeln abkaufen müssen, so sollt Ihr sie ferner essen dürfen. Oder meint Ihr, die Austern gehörten Uns nicht so gut als Euch? Ihr werdet über Gewalt schreien, wenn Wir zulangen und sie mit verzehren, und Ihr habt Recht. Ohne Gewalt bekommen Wir sie nicht, wie Ihr nicht minder sie dadurch habt, daß Ihr Uns Gewalt antut.
Doch nehmt einmal die Austern und laßt Uns an unser näheres Eigentum (denn jenes ist nur Besitztum), an die Arbeit kommen. Wir plagen Uns zwölf Stunden im Schweiße unseres Angesichts, und Ihr bietet Uns dafür ein paar Groschen. So nehmt denn auch für eure Arbeit ein Gleiches. Mögt Ihr das nicht? Ihr wähnt, unsere Arbeit sei reichlich mit jenem Lohne bezahlt, die eure dagegen eines Lohnes von vielen Tausenden wert. Schlüget Ihr aber die eurige nicht so hoch an, und ließet Uns die unsere besser verwerten, so würden Wir erforderlichen Falls wohl noch wichtigere Dinge zu Stande bringen, als Ihr für die vielen tausend Taler, und bekämet Ihr nur einen Lohn wie Wir, Ihr würdet bald fleißiger werden, um mehr zu erhalten. Leistet Ihr aber etwas, was Uns zehn und hundert Mal mehr wert scheint, als unsere eigene Arbeit, ei, da sollt Ihr auch hundert Mal mehr dafür bekommen; Wir denken Euch dagegen auch Dinge herzustellen, die Ihr Uns höher als mit dem gewöhnlichen Tagelohn verwerten werdet. Wir wollen schon miteinander fertig werden, wenn Wir nur erst dahin übereingekommen sind, daß Keiner mehr dem Andern etwas zu – schenken braucht. Dann gehen Wir wohl gar so weit, daß Wir selbst den Krüppeln und Kranken und Alten einen angemessenen Preis dafür bezahlen, daß sie nicht aus Hunger und Not von Uns scheiden; denn wollen Wir, daß sie leben, so geziemt sich's auch, daß Wir die Erfüllung unseres Willens – erkaufen. Ich sage »erkaufen«, meine also kein elendes »Almosen«. Ihr Leben ist ja das Eigentum auch derer, welche nicht arbeiten können; wollen Wir (gleichviel aus welchem Grunde), daß sie Uns dies Leben nicht entziehen, so können Wir das allein durch Kauf bewirken wollen; ja Wir werden vielleicht, etwa weil Wir gern freundliche Gesichter um Uns haben, sogar ihr Wohlleben wollen. Kurz, Wir wollen von Euch nichts geschenkt, aber Wir wollen Euch auch nichts schenken. Jahrhunderte haben Wir Euch Almosen gereicht aus gutwilliger – Dummheit, haben das Scherflein der Armen gespendet und den Herren gegeben, was der Herren – nicht ist; nun tut einmal euren Säckel auf, denn von jetzt an steigt unsere Ware ganz enorm im Preise. Wir wollen Euch nichts, gar nichts nehmen, nur bezahlen sollt Ihr besser für das, was Ihr haben wollt. Was hast Du denn? »Ich habe ein Gut von tausend Morgen.« Und Ich bin dein Ackerknecht und werde Dir deinen Acker fortan nur für 1 Taler Tagelohn bestellen. »Da nehme Ich einen andern.« Du findest keinen, denn Wir Ackersknechte tun's nicht mehr anders, und wenn einer sich meldet, der weniger nimmt, so hüte er sich vor Uns. Da ist die Hausmagd, die fordert jetzt auch so viel, und Du findest keine mehr unter diesem Preise. »Ei so muß ich zu Grunde gehen.« Nicht so hastig! So viel wie Wir wirst Du wohl einnehmen, und wäre es nicht so, so lassen Wir so viel ab, daß Du wie Wir zu leben hast. »Ich bin aber besser zu leben gewohnt.« Dagegen haben Wir nichts, aber es ist nicht unsere Sorge; kannst Du mehr erübrigen, immerhin. Sollen Wir Uns unterm Preise vermieten, damit Du wohlleben kannst? Der Reiche speist immer den Armen mit den Worten ab: »Was geht Mich deine Not an? Sieh, wie Du Dich durch die Welt schlägst; das ist nicht meine, sondern deine Sache.« Nun, so lassen Wir's denn unsere Sache sein, und lassen Uns von den Reichen nicht die Mittel bemausen, die Wir haben, um Uns zu verwerten. »Aber Ihr ungebildeten Leute braucht doch nicht so viel.« Nun, Wir nehmen etwas mehr, damit Wir dafür die Bildung, die Wir etwa brauchen, Uns verschaffen können. »Aber, wenn Ihr so die Reichen herunterbringt, wer soll dann noch die Künste und Wissenschaften unterstützen?« I nun, die Menge muß es bringen; Wir schießen zusammen, das gibt ein artiges Sümmchen, Ihr Reichen kauft ohnehin jetzt nur die abgeschmacktesten Bücher und die weinerlichen Muttergottesbilder oder ein Paar flinke Tänzerbeine. »O die unselige Gleichheit!« Nein, mein bester alter Herr, nichts von Gleichheit. Wir wollen nur gelten, was Wir wert sind, und wenn Ihr mehr wert seid, da sollt Ihr immerhin auch mehr gelten. Wir wollen nur Preiswürdigkeit und denken des Preises, den Ihr zahlen werdet, Uns würdig zu zeigen.
Kann einen so sicheren Mut und so kräftiges Selbstgefühl des Hausknechts wohl der Staat erwecken? Kann er machen, daß der Mensch sich selbst fühlt, ja darf er auch nur solch Ziel sich stecken? Kann er wollen, daß der Einzelne seinen Wert erkenne und verwerte? Halten Wir die Doppelfrage auseinander und sehen Wir zuerst, ob der Staat so etwas herbeiführen kann. Da die Einmütigkeit der Ackerknechte erfordert wird, so kann nur diese Einmütigkeit es bewirken, und ein Staatsgesetz würde tausendfach umgangen werden durch die Konkurrenz und insgeheim. Kann er es aber dulden? Unmöglich kann er dulden, daß die Leute von Andern, als von ihm, einen Zwang erleiden; er könnte also die Selbsthilfe der einmütigen Ackerknechte gegen diejenigen, welche sich um geringeren Lohn verdingen wollen, nicht zugeben. Setzen Wir indes, der Staat gäbe das Gesetz, und alle Ackerknechte wären damit einverstanden, könnte er's dann dulden?
Im vereinzelten Falle – ja; allein der vereinzelte Fall ist mehr als das, er ist ein prinzipieller. Es handelt sich dabei um den ganzen Inbegriff der Selbstverwertung des Ichs, also auch seines Selbstgefühls gegen den Staat. So weit gehen die Kommunisten mit; aber die Selbstverwertung richtet sich notwendig, wie gegen den Staat, so auch gegen die Gesellschaft, und greift damit über das Kommune und Kommunistische hinaus – aus Egoismus.
Der Kommunismus macht den Grundsatz des Bürgertums, daß Jeder ein Inhaber (»Eigentümer«) sei, zu einer unumstößlichen Wahrheit, zu einer Wirklichkeit, indem nun die Sorge um's Erlangen aufhört und Jeder von Haus aus hat, was er braucht. In seiner Arbeitskraft hat er sein Vermögen, und wenn er davon keinen Gebrauch macht, so ist das seine Schuld. Das Haschen und Hetzen hat ein Ende, und keine Konkurrenz bleibt, wie jetzt so oft, ohne Erfolg, weil mit jeder Arbeitsregung ein zureichender Bedarf in's Haus gebracht wird. Jetzt erst ist man wirklicher Inhaber, weil Einem, was man in seiner Arbeitskraft hat, nicht mehr so entgehen kann, wie es unter der Konkurrenzwirtschaft jeden Augenblick zu entwischen drohte. Man ist sorgloser und gesicherter Inhaber. Und man ist dies gerade dadurch, daß man sein Vermögen nicht mehr in einer Ware, sondern in der eigenen Arbeit, dem Arbeitsvermögen, sucht, also dadurch, daß man ein Lump, ein Mensch von nur idealem Reichtum ist. Ich indes kann Mir an dem Wenigen nicht genügen lassen, was Ich durch mein Arbeitsvermögen erschwinge, weil mein Vermögen nicht bloß in meiner Arbeit besteht.
Durch Arbeit kann Ich die Amtsfunktionen eines Präsidenten, Ministers usw. versehen; es erfordern diese Ämter nur eine allgemeine Bildung, nämlich eine solche, die allgemein erreichbar ist (denn allgemeine Bildung ist nicht bloß die, welche Jeder erreicht hat, sondern überhaupt die, welche Jeder erreichen kann, also jede spezielle, z. B. medizinische, militärische, philologische Bildung, von der kein »gebildeter Mensch« glaubt, daß sie seine Kräfte übersteige), oder überhaupt nur eine Allen mögliche Geschicklichkeit.
Kann aber auch Jeder diese Ämter bekleiden, so gibt doch erst die einzige, ihm allein eigene Kraft des Einzelnen ihnen sozusagen Leben und Bedeutung. Daß er sein Amt nicht wie ein »gewöhnlicher Mensch« führt, sondern das Vermögen seiner Einzigkeit hineinlegt, das bezahlt man ihm noch nicht, wenn man ihn überhaupt nur als Beamten oder Minister bezahlt. Hat er's Euch zu Dank gemacht und wollt Ihr diese dankenswerte Kraft des Einzigen Euch erhalten, so werdet Ihr ihn nicht wie einen bloßen Menschen bezahlen dürfen, der nur Menschliches verrichtete, sondern als Einen, der Einziges vollbringt. Tut mit eurer Arbeit doch desgleichen!
Über meine Einzigkeit läßt sich keine allgemeine Taxe feststellen, wie für das, was Ich als Mensch tue. Nur über das Letztere kann eine Taxe bestimmt werden.
Setzt also immerhin eine allgemeine Schätzung für menschliche Arbeiten auf, bringt aber eure Einzigkeit nicht um ihren Verdienst.
Menschliche oder allgemeine Bedürfnisse können durch die Gesellschaft befriedigt werden; für einzige Bedürfnisse mußt Du Befriedigung erst suchen. Einen Freund und einen Freundschaftsdienst, selbst einen Dienst des Einzelnen kann Dir die Gesellschaft nicht verschaffen. Und doch wirst Du alle Augenblicke eines solchen Dienstes bedürftig sein und bei den geringfügigsten Gelegenheiten Jemand brauchen, der Dir behilflich ist. Darum verlaß Dich nicht auf die Gesellschaft, sondern sieh' zu, daß Du habest, um die Erfüllung deiner Wünsche zu – erkaufen.
Ob das Geld unter Egoisten beizubehalten sei? – Am alten Gepräge klebt ein ererbter Besitz. Laßt Ihr Euch nicht mehr damit bezahlen, so ist es ruiniert, tut Ihr nichts für dieses Geld, so kommt es um alle Macht. Streicht das Erbe und Ihr habt das Gerichtssiegel des Exekutors abgebrochen. Jetzt ist ja Alles ein Erbe, sei es schon geerbt oder erwarte es seinen Erben. Ist es das Eure, was laßt Ihr's Euch versiegeln, warum achtet Ihr das Siegel?
Warum aber sollt Ihr kein neues Geld kreieren? Vernichtet Ihr denn die Ware, indem Ihr das Erbgepräge von ihr nehmt? Nun, das Geld ist eine Ware, und zwar ein wesentliches Mittel oder Vermögen. Denn es schützt vor der Verknöcherung des Vermögens, hält es im Fluß und bewirkt seinen Umsatz. Wißt Ihr ein besseres Tauschmittel, immerhin; doch wird es wieder ein »Geld« sein. Nicht das Geld tut Euch Schaden, sondern euer Unvermögen, es zu nehmen. Laßt euer Vermögen wirken, nehmt Euch zusammen, und es wird an Geld – an eurem Gelde, dem Gelde eures Gepräges – nicht fehlen. Arbeiten aber, das nenne Ich nicht »euer Vermögen wirken lassen«. Die nur »Arbeit suchen« und »tüchtig arbeiten wollen«, bereiten sich selbst die unausbleibliche – Arbeitslosigkeit.
Vom Gelde hängt Glück und Unglück ab. Es ist darum in der Bürgerperiode eine Macht, weil es nur wie ein Mädchen umworben, von Niemand unauflöslich geehelicht wird. Alle Romantik und Ritterlichkeit des Werbens um einen teuren Gegenstand lebt in der Konkurrenz wieder auf. Das Geld, ein Gegenstand der Sehnsucht, wird von den kühnen »Industrierittern« entführt.
Wer das Glück hat, führt die Braut heim. Der Lump hat das Glück; er führt sie in sein Hauswesen, die »Gesellschaft«, ein und vernichtet die Jungfrau. In seinem Hause ist sie nicht mehr Braut, sondern Frau, und mit der Jungfräulichkeit geht auch der Geschlechtsname verloren. Als Hausfrau heißt die Geldjungfer »Arbeit«, denn »Arbeit« ist der Name des Mannes. Sie ist ein Besitz des Mannes.
Um dies Bild zu Ende zu bringen, so ist das Kind von Arbeit und Geld wieder ein Mädchen, ein unverehelichtes, also Geld, aber mit der gewissen Abstammung von der Arbeit, seinem Vater. Die Gesichtsform, das »Bild«, trägt ein anderes Gepräge.
Was schließlich noch einmal die Konkurrenz betrifft, so hat sie gerade dadurch Bestand, daß nicht Alle sich ihrer Sache annehmen und sich über sie miteinander verständigen. Brot ist z. B. das Bedürfnis aller Einwohner einer Stadt; deshalb könnten sie leicht übereinkommen, eine öffentliche Bäckerei einzurichten. Statt dessen überlassen sie die Lieferung des Bedarfs den konkurrierenden Bäckern. Ebenso Fleisch den Fleischern, Wein den Weinhändlern usw.
Die Konkurrenz aufheben heißt nicht soviel als die Zunft begünstigen. Der Unterschied ist dieser: In der Zunft ist das Backen usw. Sache der Zünftigen; in der Konkurrenz Sache der beliebig Wetteifernden; im Verein Derer, welche Gebackenes brauchen, also meine, deine Sache, weder Sache des zünftigen noch des konzessionierten Bäckers, sondern Sache der Vereinten.
Wenn Ich Mich nicht um meine Sache bekümmere, so muß Ich mit dem vorlieb nehmen, was Andern Mir zu gewähren beliebt. Brot zu haben, ist meine Sache, mein Wunsch und Begehren, und doch überläßt man das den Bäckern, und hofft höchstens durch ihren Hader, ihr Rangablaufen, ihren Wetteifer, kurz ihre Konkurrenz einen Vorteil zu erlangen, auf welchen man bei den Zünftigen, die gänzlich und allein im Eigentum der Backgerechtigkeit saßen, nicht rechnen konnte. – Was Jeder braucht, an dessen Herbeischaffung und Hervorbringung sollte sich auch Jeder beteiligen; es ist seine Sache, sein Eigentum, nicht Eigentum des zünftigen oder konzessionierten Meisters.
Blicken Wir nochmals zurück. Den Kindern dieser Welt, den Menschenkindern, gehört die Welt; sie ist nicht mehr Gottes, sondern des Menschen Welt. So viel jeder Mensch von ihr sich verschaffen kann, nenne er das Seinige; nur wird der wahre Mensch, der Staat, die menschliche Gesellschaft oder die Menschheit darauf sehen, daß Jeder nichts anderes zum Seinigen mache, als was er als Mensch, d. h. auf menschliche Weise sich aneignet. Die unmenschliche Aneignung ist die vom Menschen nicht bewilligte, d. h. sie ist eine »verbrecherische«, wie umgekehrt die menschliche eine »rechtliche«, eine auf dem »Rechtswege« erworbene ist.
So spricht man seit der Revolution.
Mein Eigentum aber ist kein Ding, da dieses eine von Mir unabhängige Existenz hat; mein eigen ist nur meine Gewalt. Nicht dieser Baum, sondern meine Gewalt oder Verfügung über ihn ist die meinige.
Wie drückt man diese Gewalt nun verkehrterweise aus? Man sagt, Ich habe ein Recht auf diesen Baum, oder er sei mein rechtliches Eigentum. Erworben also habe Ich ihn durch Gewalt. Daß die Gewalt fortdauern müsse, damit er auch behauptet werde, oder besser: daß die Gewalt nicht ein für sich Existierendes sei, sondern lediglich im gewaltigen Ich, in Mir, dem Gewaltigen, Existenz habe, das wird vergessen. Die Gewalt wird, wie andere meiner Eigenschaften, z. B. die Menschlichkeit, Majestät usw., zu einem Fürsichseienden erhoben, so daß sie noch existiert, wenn sie längst nicht mehr meine Gewalt ist. Derart in ein Gespenst verwandelt, ist die Gewalt das – Recht. Diese verewigte Gewalt erlischt selbst mit meinem Tode nicht, sondern wird übertragen oder »vererbt«.
Die Dinge gehören nun wirklich nicht Mir, sondern dem Rechte.
Andererseits ist dies weiter nichts, als eine Verblendung. Denn die Gewalt des Einzelnen wird allein dadurch permanent und ein Recht, daß Andere ihre Gewalt mit der seinigen verbinden. Der Wahn besteht darin, daß sie ihre Gewalt nicht wieder zurückziehen zu können glauben. Wiederum dieselbe Erscheinung, daß die Gewalt von Mir getrennt wird. Ich kann die Gewalt, welche Ich dem Besitzer gab, nicht wieder nehmen. Man hat »bevollmächtigt«, hat die Macht weggegeben, hat dem entsagt, sich eines Besseren zu besinnen.
Der Eigentümer kann seine Gewalt und sein Recht an eine Sache aufgeben, indem er sie verschenkt, verschleudert u. dergl. Und Wir könnten die Gewalt, welche Wir jenem liehen, nicht gleichfalls fahren lassen?
Der rechtliche Mensch, der Gerechte, begehrt nichts sein eigen zu nennen, was er nicht »mit Recht« oder wozu er nicht das Recht hat, also nur rechtmäßiges Eigentum.
Wer soll nun Richter sein und ihm sein Recht zusprechen? Zuletzt doch der Mensch, der ihm die Menschenrechte erteilt: dann kann er in einem unendlich weiteren Sinne als Terenz sagen: humani nihil a me alienum puto, d. h. das Menschliche ist mein Eigentum. Er mag es anstellen, wie er will, von einem Richter kommt er auf diesem Standpunkte nicht los, und in unserer Zeit sind die mancherlei Richter, welche man sich erwählt hatte, in zwei todfeindliche Personen gegeneinander getreten, nämlich in den Gott und den Menschen. Die Einen berufen sich auf das göttliche, die Andern auf das menschliche Recht oder die Menschenrechte.
Soviel ist klar, daß in beiden Fällen sich der Einzelne nicht selbst berechtigt.
Sucht Mir heute einmal eine Handlung, die nicht eine Rechtsverletzung wäre! Alle Augenblicke werden von der einen Seite die Menschenrechte mit Füßen getreten, während die Gegner den Mund nicht auftun können, ohne eine Blasphemie gegen das göttliche Recht hervorzubringen. Gebt ein Almosen, so verhöhnt Ihr ein Menschenrecht, weil das Verhältnis von Bettler und Wohltäter ein unmenschliches ist; sprecht einen Zweifel aus, so sündigt Ihr wider ein göttliches Recht. Esset trockenes Brot mit Zufriedenheit, so verletzt Ihr das Menschenrecht durch euren Gleichmut; esset es mit Unzufriedenheit, so schmäht Ihr das göttliche Recht durch euren Widerwillen. Es ist nicht Einer unter Euch, der nicht in jedem Augenblicke ein Verbrechen beginge: eure Reden sind Verbrechen, und jede Hemmung eurer Redefreiheit ist nicht minder ein Verbrechen. Ihr seid allzumal Verbrecher!
Doch Ihr seid es nur, indem Ihr Alle auf dem Rechtsboden steht, d . h. indem Ihr es nicht einmal wißt und zu schätzen versteht, daß Ihr Verbrecher seid.
Das unverletzliche oder heilige Eigentum ist auf eben diesem Boden gewachsen: es ist ein Rechtsbegriff.
Ein Hund sieht den Knochen in eines andern Gewalt und steht nur ab, wenn er sich zu schwach fühlt. Der Mensch aber respektiert das Recht des Andern an seinem Knochen. Dies also gilt für menschlich, jenes für brutal oder »egoistisch«.
Und wie hier, so heißt überhaupt dies »menschlich«, wenn man in Allem etwas Geistiges sieht (hier das Recht), d. h. alles zu einem Gespenste macht, und sich dazu als zu einem Gespenste verhält, welches man zwar in seiner Erscheinung verscheuchen, aber nicht töten kann. Menschlich ist es, das Einzelne nicht als Einzelnes, sondern als ein Allgemeines anzuschauen.
An der Natur als solcher, respektiere Ich nichts mehr, sondern weiß Mich gegen sie zu Allem berechtigt; dagegen an dem Baume in jenem Garten muß Ich die Fremdheit respektieren (einseitigerweise sagt man: »das Eigentum«), muß meine Hand von ihm lassen. Das nimmt ein Ende nur dann, wenn Ich jenen Baum zwar einem Andern überlassen kann, wie Ich meinen Stock usw. einem Andern überlasse, aber nicht von vornherein ihn als Mir fremd, d. h. heilig, betrachte. Vielmehr mache Ich Mir kein Verbrechen daraus, ihn zu fällen, wenn Ich will, und er bleibt mein Eigentum, auf so lange Ich ihn auch Andern abtrete: er ist und bleibt mein. In dem Vermögen des Bankiers sehe Ich so wenig etwas Fremdes, als Napoleon in den Ländern der Könige: Wir tragen keine Scheu, es zu »erobern«, und sehen Uns auch nach den Mitteln dazu um. Wir streifen ihm also den Geist der Fremdheit ab, vor dem Wir Uns gefürchtet hatten.
Darum ist es notwendig, daß Ich nichts mehr als Mensch in Anspruch nehme, sondern alles als Ich, dieser Ich, mithin nichts Menschliches, sondern das Meinige, d. h. nichts, was Mir als Mensch zukommt, sondern – was Ich will und weil Ich's will.
Rechtliches oder rechtmäßiges Eigentum eines Andern wird nur dasjenige sein, wovon Dir' s recht ist, daß es sein Eigentum sei. Hört es auf, Dir recht zu sein, so hat es für Dich die Rechtmäßigkeit eingebüßt und das absolute Recht daran wirst Du verlachen.
Außer dem bisher besprochenen Eigentum im beschränkten Sinne wird unserem ehrfürchtigen Gemüte ein anderes Eigentum vorgehalten, an welchem Wir Uns noch weit weniger »versündigen sollen«. Dies Eigentum besteht in den geistigen Gütern, in dem »Heiligtume des Innern«. Was ein Mensch heilig hält, damit soll kein anderer sein Gespötte treiben, weil, so unwahr es immer sein und so eifrig man den daran Hängenden und Glaubenden »auf liebevolle und bescheidene Art« von einem wahren Heiligen zu überzeugen suchen mag, doch das Heilige selbst allezeit daran zu ehren ist: der Irrende glaubt doch an das Heilige, wenn auch an ein unrichtiges, und so muß sein Glaube an das Heilige wenigstens geachtet werden.
In roheren Zeiten, als die unseren sind, pflegte man einen bestimmten Glauben und die Hingebung an ein bestimmtes Heiliges zu verlangen und ging mit den Andersgläubigen nicht auf's sanfteste um; seit jedoch die »Glaubensfreiheit« sich mehr und mehr ausbreitete, zerfloß der »eifrige Gott und alleinige Herr« allgemach in ein ziemlich allgemeines »höchstes Wesen«, und es genügte der humanen Toleranz, wenn nur Jeder »ein Heiliges« verehrte.
Auf den menschlichsten Ausdruck gebracht, ist dies Heilige »der Mensch selbst« und »das Menschliche«. Bei dem trügerischen Scheine, als wäre das Menschliche ganz und gar unser Eigenes und frei von aller Jenseitigkeit, womit das Göttliche behaftet ist, ja als wäre der Mensch so viel als Ich oder Du, kann sogar der stolze Wahn entstehen, daß von einem »Heiligen« nicht länger die Rede sei, und daß Wir Uns nun überall heimisch und nicht mehr im Unheimlichen, d. h. im Heiligen und in heiligen Schauern fühlten: im Entzücken über den »endlich gefundenen Menschen« wird der egoistische Schmerzensruf überhört und der so traulich gewordene Spuk für unser wahres Ich genommen.
Aber »Humanus heißt der Heilige« (s. Goethe), und das Humane ist nur das geläutertste Heilige.
Umgekehrt spricht sich der Egoist aus. Darum gerade, weil Du etwas heilig hältst, treibe Ich mit Dir mein Gespötte und, achtete Ich auch Alles an Dir, gerade dein Heiligtum achte Ich nicht.
Bei diesen entgegengesetzten Ansichten muß auch ein widersprechendes Verhalten zu den geistigen Gütern angenommen werden: der Egoist insultiert sie, der Religiöse (d. h. jeder, der über sich sein »Wesen« setzt) muß sie konsequenterweise – schützen. Welcherlei geistige Güter aber geschützt und welche ungeschützt gelassen werden sollen, das hängt ganz von dem Begriffe ab, den man sich vom »höchsten Wesen« macht, und der Gottesfürchtige z. B. hat mehr zu schirmen, als der Menschenfürchtige (der Liberale).
An den geistigen Gütern werden Wir im Unterschiede von den sinnlichen auf eine geistige Weise verletzt, und die Sünde gegen dieselbe besteht in einer direkten Entheiligung, während gegen die sinnliche eine Entwendung oder Entfremdung stattfindet: die Güter selbst werden entwertet und entweiht, nicht bloß entzogen, das Heilige wird unmittelbar gefährdet. Mit dem Worte »Unehrerbietigkeit« oder »Frechheit« ist Alles bezeichnet, was gegen die geistigen Güter, d. h. gegen Alles, was Uns heilig ist, verbrochen werden kann, und Spott, Schmähung, Verachtung, Bezweiflung u. dergl. sind nur verschiedene Schattierungen der verbrecherischen Frechheit.
Daß die Entheiligung in der mannigfachsten Art verübt werden kann, soll hier übergangen und vorzugsweise nur an jene Entheiligung erinnert werden, welche durch eine unbeschränkte Presse das Heilige mit Gefahr bedroht.
Solange auch nur für Ein geistiges Wesen noch Respekt gefordert wird, muß die Rede und Presse im Namen dieses Wesens geknechtet werden; denn ebenso lange könnte der Egoist durch seine Äußerungen sich gegen dasselbe »vergehen«, woran er eben wenigstens durch die »gebührende Strafe« verhindert werden muß, wenn man nicht lieber das richtigere Mittel dagegen ergreifen will, die vorbeugende Polizeigewalt, z. B. der Zensur.
Welch ein Seufzen nach Freiheit der Presse! Wovon soll die Presse denn befreit werden? Doch wohl von einer Abhängigkeit, Angehörigkeit und Dienstbarkeit! Davon aber sich zu befreien, ist eben die Sache eines Jeden, und es ist mit Sicherheit anzunehmen, daß wenn Du Dich aus der Dienstbarkeit erlöst hast, auch das, was Du verfassest und schreibst, Dir eigen gehören werde, statt im Dienste irgend einer Macht gedacht und aufgesetzt worden zu sein. Was kann ein Christgläubiger sagen und drucken lassen, das freier wäre von jener Christgläubigkeit, als er selbst es ist? Wenn Ich etwas nicht schreiben kann und darf, so liegt die nächste Schuld vielleicht an Mir. So wenig dies die Sache zu treffen scheint, so nahe findet sich dennoch die Anwendung. Durch ein Preßgesetz ziehe oder lasse Ich meinen Veröffentlichungen eine Grenze ziehen, über welche hinaus das Unrecht und dessen Strafe folgt. Ich selbst beschränke Mich.
Sollte die Presse frei sein, so wäre gerade nichts so wichtig, als ihre Befreiung von jedem Zwange, der ihr im Namen eines Gesetzes angetan werden könnte. Und daß es dazu komme, müßte eben Ich selbst vom Gehorsam gegen das Gesetz Mich entbunden haben.
Freilich, die absolute Freiheit der Presse ist wie jede absolute Freiheit ein Unding. Von gar Vielem kann sie frei werden, aber immer nur von dem, wovon auch Ich frei bin. Machen Wir Uns vom Heiligen frei, sind Wir heillos und gesetzlos geworden, so werden's auch unsere Worte werden.
So wenig Wir in der Welt von jedem Zwange losgesprochen werden können, so wenig läßt sich unsere Schrift demselben entziehen. Aber so frei als Wir sind, so frei können Wir auch jene machen.
Sie muß also Unser eigen werden, statt, wie bisher, einem Spuk zu dienen.
Man bleibt sich unklar bei dem Rufe nach Preßfreiheit. Was man angeblich verlangt, ist dies, daß der Staat die Presse freigeben solle; was man aber eigentlich, und ohne es selbst zu wissen, haben will, ist dies, daß die Presse vom Staate frei oder den Staat los werde. Jenes ist eine Petition an den Staat, dieses eine Empörung gegen den Staat. Als eine »Bitte um Recht«, selbst als ein ernstes Fordern des Preßfreiheitsrechtes setzt sie den Staat als den Geber voraus und kann nur auf ein Geschenk, eine Zulassung, ein Oktroyieren hoffen. Wohl möglich, daß ein Staat so unsinnig handelt, das geforderte Geschenk zu gewähren; es ist aber Alles zu wetten, daß die Beschenkten das Geschenk nicht zu gebrauchen wissen werden, solange sie den Staat als eine Wahrheit betrachten: sie werden sich an diesem »Heiligen« nicht vergehen und gegen Jeden, der dies wagen wollte, ein strafendes Preßgesetz aufrufen.
Mit Einem Worte, die Presse wird von dem nicht frei, wovon Ich nicht frei bin.
Weise Ich Mich hierdurch etwa als einen Gegner der Preßfreiheit aus? Im Gegenteil, Ich behaupte nur, daß man sie nie bekommen wird, wenn man nur sie, die Preßfreiheit, will, d. h. wenn man nur auf eine unbeschränkte Erlaubnis ausgeht. Bettelt nur immerfort um diese Erlaubnis: Ihr werdet ewig darauf warten können, denn es ist Keiner in der Welt, der sie Euch geben könnte. Solange Ihr für den Gebrauch der Presse Euch durch eine Erlaubnis, d. h. Preßfreiheit, »berechtigen« lassen wollt, lebt Ihr in eitler Hoffnung und Klage.
»Unsinn! Du, der Du solche Gedanken, wie sie in deinem Buche stehen, hegst, kannst sie ja selbst leider nur durch einen glücklichen Zufall oder auf Schleichwegen zur Öffentlichkeit bringen; gleichwohl willst Du dagegen eifern, daß man den eigenen Staat so lange dränge und überlaufe, bis er die verweigerte Druckerlaubnis gibt?« Ein also angeredeter Schriftsteller würde aber vielleicht – denn die Frechheit solcher Leute geht weit – Folgendes erwidern: »Erwägt eure Rede genau! Was tue Ich denn, um Mir für mein Buch Preßfreiheit zu verschaffen? Frage Ich nach der Erlaubnis, oder suche Ich nicht vielmehr ohne alle Frage nach Gesetzlichkeit eine günstige Gelegenheit, und ergreife sie in völliger Rücksichtslosigkeit gegen den Staat und seine Wünsche? Ich – es muß das schreckenerregende Wort ausgesprochen werden – Ich betrüge den Staat. Unbewußt tut Ihr dasselbe. Ihr redet ihm von euren Tribünen aus ein, er müsse seine Heiligkeit und Unverletzlichkeit aufgeben, er müsse den Angriffen der Schreibenden sich preisgeben, ohne daß er deshalb Gefahr zu fürchten brauche. Aber Ihr hintergeht ihn; denn es ist um seine Existenz getan, sobald er seine Unnahbarkeit einbüßt. Euch freilich könnte er die Schreibefreiheit wohl gestatten, so wie England es getan hat; Ihr seid Staatsgläubige und unvermögend, gegen den Staat zu schreiben, so viel Ihr immer auch an ihm zu reformieren und seinen „Mängeln abzuhelfen« haben mögt. Aber wie, wenn Staatsgegner das freie Wort sich zu Nutze machten, und gegen Kirche, Staat, Sitte und alles »Heilige« mit unerbittlichen Gründen losstürmten? Ihr wäret dann die Ersten, welche unter schrecklichen Ängsten die Septembergesetze ins Leben riefen. Zu spät gereute Euch dann die Dummheit, welche Euch früher so bereit machte, den Staat oder die Staatsregierung zu beschwatzen und zu betören. – Ich aber beweise durch meine Tat nur zweierlei. Einmal dies, daß die Preßfreiheit immer an »günstige Gelegenheiten« gebunden, mithin niemals eine absolute Freiheit sein werde; zweitens aber dies, daß, wer sie genießen will, die günstige Gelegenheit aufsuchen und womöglich erschaffen muß, indem er gegen den Staat seinen eigenen Vorteil geltend macht, und sich und seinen Willen für mehr hält als den Staat und jede »höhere Macht«. Nicht im, sondern allein gegen den Staat kann die Preßfreiheit durchgesetzt werden; sie ist, soll sie hergestellt werden, nicht als Folge einer Bitte, sondern als das Werk einer Empörung zu erlangen. Jede Bitte und jeder Antrag auf Preßfreiheit ist schon eine, sei es bewußte oder unbewußte, Empörung, was nur die philisterhafte Halbheit sich nicht gestehen will und kann, bis sie zusammenschauernd es am Erfolge deutlich und unwiderleglich sehen wird. Denn die erbetene Preßfreiheit hat freilich im Anfange ein freundliches und wohlmeinendes Gesicht, da sie nicht im entferntesten gesonnen ist, jemals die »Preßfrechheit« aufkommen zu lassen; nach und nach wird aber ihr Herz verhärteter, und die Folgerung schmeichelt sich bei ihr ein, daß ja doch eine Freiheit keine Freiheit sei, wenn sie im Dienste des Staates, der Sitte oder des Gesetzes steht. Zwar eine Freiheit vom Zensurzwange, ist sie doch keine Freiheit vom Gesetzeszwange. Es will die Presse, einmal vom Freiheitsgelüste ergriffen, immer freier werden, bis der Schreibende sich endlich sagt: Ich bin doch dann erst gänzlich frei, wenn Ich nach Nichts frage; das Schreiben aber ist nur frei, wenn es mein eigenes ist, das Mir durch keine Macht oder Autorität, durch keinen Glauben, keine Scheu diktiert wird; die Presse muß nicht frei sein – das ist zuwenig –, sie muß mein sein: – Preßeigenheit oder Preßeigentum, das ist's, was Ich Mir nehmen will."
»Preßfreiheit ist ja nur Preßerlaubnis, und der Staat wird und kann Mir freiwillig nie erlauben, daß Ich ihn durch die Presse zermalme.«
»Fassen Wir es nun schließlich, indem Wir die obige, durch das Wort „Preßfreiheit« noch schwankende Rede verbessern, lieber so: Preßfreiheit, die laute Forderung der Liberalen, ist allerdings möglich im Staate, ja sie ist nur im Staate möglich, weil sie eine Erlaubnis ist, der Erlaubende folglich, der Staat, nicht fehlen darf. Als Erlaubnis hat sie aber ihre Grenze an eben diesem Staate, der doch billigerweise nicht mehr wird erlauben sollen, als sich mit ihm und seiner Wohlfahrt verträgt: er schreibt ihr diese Grenze als das Gesetz ihres Daseins und ihrer Ausdehnung vor. Daß ein Staat mehr als ein anderer verträgt, ist nur ein quantitativer Unterschied, der jedoch allein den politischen Liberalen am Herzen liegt: sie wollen in Deutschland z. B. nur eine »ausgedehntere, weitere Gestattung des freien Wortes«. Die Preßfreiheit, welche man nachsucht, ist eine Sache des Volkes, und ehe das Volk (der Staat) sie nicht besitzt, eher darf Ich davon keinen Gebrauch machen. Vom Gesichtspunkte des Preßeigentums aus verhält sich's anders. Mag mein Volk der Preßfreiheit entbehren, Ich suche Mir eine List oder Gewalt aus, um zu drucken – die Druckerlaubnis hole Ich Mir nur von – Mir und meiner Kraft."
»Ist die Presse mein eigen, so bedarf Ich für ihre Anwendung sowenig einer Erlaubnis des Staates, als Ich diese nachsuche, um meine Nase zu schneuzen. Mein Eigentum ist die Presse von dem Augenblicke an, wo Mir nichts mehr über Mich geht: denn von diesem Moment an hört Staat, Kirche, Volk, Gesellschaft u. dergl. auf, weil sie nur der Mißachtung, welche Ich vor Mir habe, ihre Existenz verdanken, und mit dem Verschwinden dieser Geringschätzung selbst erlöschen: sie sind nur, wenn sie über Mir sind, sind nur als Mächte und Mächtige. Oder könnt Ihr Euch einen Staat denken, dessen Einwohner allesamt sich nichts aus ihm machen? der wäre so gewiß ein Traum, eine Scheinexistenz, als das „einige Deutschland«.
»Die Presse ist mein eigen, sobald Ich selbst mein eigen, ein Eigener bin: dem Egoisten gehört die Welt, weil er keiner Macht der Welt gehört.«
»Dabei könnte meine Presse immer noch sehr unfrei sein, wie z. B. in diesem Augenblick. Die Welt ist aber groß, und man hilft sich eben, so gut es geht. Wollte Ich vom Eigentum meiner Presse ablassen, so könnte Ich's leicht erreichen, daß Ich überall so viel drucken lassen dürfte, als meine Finger produzierten. Da Ich aber mein Eigentum behaupten will, so muß Ich notwendig meine Feinde übers Ohr hauen. „„Würdest Du ihre Erlaubnis nicht annehmen, wenn sie Dir gegeben würde?«" Gewiß, mit Freuden; denn ihre Erlaubnis wäre Mir ein Beweis, daß Ich sie betört und auf den Weg des Verderbens gebracht habe. Um ihre Erlaubnis ist Mir's nicht zu tun, desto mehr aber um ihre Torheit und ihre Niederlage. Ich werbe nicht um ihre Erlaubnis, als schmeichelte Ich Mir, gleich den politischen Liberalen, daß Wir beide, sie und Ich, neben- und miteinander friedlich auskommen, ja wohl gar einer den andern heben und unterstützen können, sondern Ich werbe darum, um sie an derselben verbluten zu lassen, damit endlich die Erlaubenden selbst aufhören. Ich handle als bewußter Feind, indem Ich sie übervorteile und ihre Unbedachtsamkeit benutze."
»Mein ist die Presse, wenn Ich über ihre Benutzung durchaus keinen Richter außer Mir anerkenne, d. h. wenn Ich nicht mehr durch die Sittlichkeit oder die Religion oder den Respekt vor den Staatsgesetzen u. dergl. bestimmt werde zu schreiben, sondern durch Mich und meinen Egoismus!« –
Was habt Ihr nun ihm, der Euch eine so freche Antwort gibt, zu erwidern? – Wir bringen die Frage am sprechendsten vielleicht in folgende Stellung: Wessen ist die Presse, des Volkes (Staates) oder mein? Die Politischen ihrerseits beabsichtigen nichts weiter, als die Presse von persönlichen und willkürlichen Eingriffen der Machthaber zu befreien, ohne daran zu denken, daß sie, um wirklich für Jedermann offen zu sein, auch von den Gesetzen, d. h. vom Volkswillen (Staatswillen) frei sein müßte. Sie wollen aus ihr eine »Volkssache« machen.
Zum Eigentum des Volkes geworden ist sie aber noch weit davon entfernt, das meinige zu sein, vielmehr behält sie für Mich die untergeordnete Bedeutung einer Erlaubnis. Das Volk spielt den Richter über meine Gedanken, für die Ich ihm Rechenschaft schuldig oder verantwortlich bin. Die Geschworenen haben, wenn ihre fixen Ideen angegriffen werden, ebenso harte Köpfe und Herzen, als die stiersten Despoten und deren knechtische Beamten.
In den »Liberalen Bestrebungen« behauptet E. Bauer, daß die Preßfreiheit im absolutistischen und im konstitutionellen Staate unmöglich sei, im »freien Staate« hingegen ihre Stelle finde. »Hier,« heißt es, »ist es anerkannt, daß der Einzelne, weil er nicht mehr einzelner, sondern Mitglied einer wahrhaften und vernünftigen Allgemeinheit ist, das Recht hat, sich auszusprechen.« Also nicht der Einzelne, sondern das »Mitglied« hat Preßfreiheit. Muß aber der Einzelne sich zum Behuf der Preßfreiheit erst über seinen Glauben an das Allgemeine, das Volk, ausweisen, hat er diese Freiheit nicht durch eigene Gewalt, so ist sie eine Volksfreiheit, eine Freiheit, die ihm um seines Glaubens, seiner »Mitgliedschaft« willen verliehen wird. Umgekehrt, gerade als Einzelnem steht Jedem die Freiheit offen, sich auszusprechen. Aber er hat nicht das »Recht«, jene Freiheit ist allerdings nicht sein »heiliges Recht«. Er hat nur die Gewalt; aber die Gewalt allein macht ihn zum Eigner. Ich brauche keine Konzession zur Preßfreiheit, brauche nicht die Bewilligung des Volkes dazu, brauche nicht das »Recht« dazu und keine »Berechtigung«. Auch die Preßfreiheit, wie jede Freiheit, muß Ich Mir »nehmen«, das Volk »als eben der einzige Richter« kann sie Mir nicht geben. Es kann sich die Freiheit, welche Ich Mir nehme, gefallen lassen oder sich dagegen wehren: geben, schenken, gewähren kann es sie nicht. Ich übe sie trotz dem Volke, rein als Einzelner, d. h. Ich kämpfe sie dem Volke, meinem – Feinde, ab, und erhalte sie nur, wenn Ich sie ihm wirklich abkämpfe, d. i. Mir nehme. Ich nehme sie aber, weil sie mein Eigentum ist.
Sander, gegen welchen E. Bauer spricht, nimmt (Seite 99) die Preßfreiheit »als das Recht und die Freiheit des Bürgers im Staate« in Anspruch. Was tut E. Bauer anders? Auch ihm ist sie nur ein Recht des freien Bürgers.
Auch unter dem Namen eines »allgemein menschlichen Rechtes« wird die Preßfreiheit gefordert. Dagegen war der Einwand gegründet: Nicht jeder Mensch wisse sie richtig zu gebrauchen; denn nicht jeder Einzelne sei wahrhaft Mensch. Dem Menschen als solchen verweigerte sie niemals eine Regierung: aber der Mensch schreibt eben nichts, weil er ein Gespenst ist. Sie verweigerte sie stets nur Einzelnen, und gab sie Andern, z. B. ihren Organen. Wollte man also sie für Alle haben, so mußte man gerade behaupten, sie gebühre dem Einzelnen, Mir, nicht dem Menschen oder nicht dem Einzelnen, sofern er Mensch sei. Ein Anderer als ein Mensch (z. B. ein Tier) kann ohnehin von ihr keinen Gebrauch machen. Die französische Regierung z. B. bestreitet die Preßfreiheit nicht als Menschenrecht, sie fordert aber vom Einzelnen eine Kaution dafür, daß er wirklich Mensch sei; denn nicht dem Einzelnen, sondern dem Menschen erteilt sie die Preßfreiheit.
Gerade unter dem Vorgeben, daß es nicht menschlich sei, entzog man Mir das Meinige: das Menschliche ließ man Mir ungeschmälert.
Die Preßfreiheit kann nur eine verantwortliche Presse zuwege bringen, die unverantwortliche geht allein aus dem Preßeigentum hervor.
Für den Verkehr mit Menschen wird unter allen, welche religiös leben, ein ausdrückliches Gesetz obenangestellt, dessen Befolgung man wohl sündhafter Weise zuweilen zu vergessen, dessen absoluten Wert aber zu leugnen man sich niemals getraut; dies ist das Gesetz der – Liebe, dem auch Diejenigen noch nicht untreu geworden sind, die gegen ihr Prinzip zu kämpfen scheinen und ihren Namen hassen; denn auch sie haben der Liebe noch, ja sie lieben inniger und geläuterter, sie lieben »den Menschen und die Menschheit.«
Formulieren Wir den Sinn dieses Gesetzes, so wird er etwa folgender sein: Jeder Mensch muß ein Etwas haben, das ihm über sich geht. Du sollst dein »Privatinteresse« hintansetzen, wenn es die Wohlfahrt Anderer, das Wohl des Vaterlandes, der Gesellschaft, das Gemeinwohl, das Wohl der Menschheit, die gute Sache u. dgl. gilt! Vaterland, Gesellschaft, Menschheit usw. muß Dir über Dich gehen, und gegen ihr Interesse muß dein »Privatinteresse« zurückstehen; denn Du darfst kein – Egoist sein.
Die Liebe ist eine weitgehende religiöse Forderung, die nicht etwa auf die Liebe zu Gott und den Menschen sich beschränkt, sondern in jeder Beziehung obenansteht. Was Wir auch tun, denken, wollen, immer soll der Grund davon die Liebe sein. So dürfen Wir zwar urteilen, aber nur »mit Liebe«. Die Bibel darf allerdings kritisiert werden und zwar sehr gründlich, aber der Kritiker muß vor allen Dingen sie lieben und das heilige Buch in ihr sehen. Heißt dies etwas anderes als: er darf sie nicht zu Tode kritisieren, er muß sie bestehen lassen, und zwar als ein Heiliges, Unumstößliches? – Auch in unserer Kritik über Menschen soll die Liebe unveränderter Grundton bleiben. Gewiß sind Urteile, welche der Haß eingibt, gar nicht unsere eigenen Urteile, sondern Urteile des Uns beherrschenden Hasses, »gehässige Urteile«. Aber sind Urteile, welche Uns die Liebe eingibt, mehr unsere eigenen? Sie sind Urteile der Uns beherrschenden Liebe, sind »liebevolle, nachsichtige« Urteile, sind nicht unsere eigenen, mithin gar nicht wirkliche Urteile. Wer vor Liebe zur Gerechtigkeit brennt, der ruft aus: fiat iustitia, pereat mundus. Er kann wohl fragen und forschen, was denn die Gerechtigkeit eigentlich sei oder fordere und worin sie bestehe, aber nicht, ob sie etwas sei.
Es ist sehr wahr »Wer in der Liebe bleibet, der bleibet in Gott und Gott in ihm«. (1. Joh. 4, 16.) Der Gott bleibt in ihm, er wird ihn nicht los, wird nicht gottlos, und er bleibet in Gott, kommt nicht zu sich und in seine eigene Heimat, bleibt in der Liebe zu Gott und wird nicht lieblos.
»Gott ist die Liebe! Alle Zeit und alle Geschlechter erkennen in diesem Worte den Mittelpunkt des Christentums.« Gott, der die Liebe ist, ist ein zudringlicher Gott: er kann die Welt nicht in Ruhe lassen, sondern will sie beseligen. »Gott ist Mensch geworden, um die Menschen göttlich zu machen.« Er hat seine Hand überall im Spiele, und nichts geschieht ohne sie; überall hat er seine »besten Absichten«, seine »unbegreiflichen Pläne und Ratschlüsse«. Die Vernunft, welche er selbst ist, soll auch in der ganzen Welt befördert und verwirklicht werden. Seine väterliche Fürsorge bringt Uns um alle Selbständigkeit. Wir können nichts Gescheites tun, ohne daß es hieße: das hat Gott getan! und können Uns kein Unglück zuziehen, ohne zu hören: das habe Gott verhängt; Wir haben nichts, was Wir nicht von ihm hätten: er hat alles »gegeben«. Wie aber Gott, so macht's der Mensch. Jener will partout die Welt beseligen, und der Mensch will sie beglücken, will alle Menschen glücklich machen. Daher will jeder »Mensch« die Vernunft, welche er selbst zu haben meint, in Allen erwecken: Alles soll durchaus vernünftig sein. Gott plagt sich mit dem Teufel und der Philosoph mit der Unvernunft und dem Zufälligen. Gott läßt kein Wesen seinen eigenen Gang gehen, und der Mensch will Uns gleichfalls nur einen menschlichen Wandel führen lassen.
Wer aber voll heiliger (religiöser, sittlicher, humaner) Liebe ist, der liebt nur den Spuk, den »wahren Menschen«, und verfolgt mit dumpfer Unbarmherzigkeit den Einzelnen, den wirklichen Menschen, unter dem phlegmatischen Rechtstitel des Verfahrens gegen den »Unmenschen«. Er findet es lobenswert und unerläßlich, die Erbarmungslosigkeit im herbsten Maße zu üben; denn die Liebe zum Spuk oder Allgemeinen gebietet ihm, den nicht Gespenstischen, d. h. den Egoisten oder Einzelnen, zu hassen; das ist der Sinn der berühmten Liebeserscheinung, die man »Gerechtigkeit« nennt.
Der peinlich Angeklagte hat keine Schonung zu erwarten, und Niemand deckt freundlich eine Hülle über seine unglückliche Blöße. Ohne Rührung reißt der strenge Richter die letzten Fetzen der Entschuldigung dem armen Angeschuldigten vom Leibe, ohne Mitleid schleppt der Kerkermeister ihn in seine dumpfe Wohnung, ohne Versöhnlichkeit stößt er den Gebrandmarkten nach abgelaufener Strafzeit wieder unter die verächtlich anspeienden Menschen, seine guten, christlichen, loyalen Mitbrüder! Ja, ohne Gnade wird ein »todeswürdiger« Verbrecher auf das Blutgerüst geführt, und vor den Augen einer jubelnden Menge feiert das gesühnte Sittengesetz seine erhabene – Rache. Eines kann ja nur leben, das Sittengesetz, oder der Verbrecher. Wo die Verbrecher ungestraft leben, da ist das Sittengesetz untergegangen, und wo dieses waltet, müssen jene fallen. Ihre Feindschaft ist unzerstörbar.
Es ist gerade das christliche Zeitalter das der Barmherzigkeit, der Liebe, der Sorge, den Menschen zukommen zu lassen, was ihnen gebührt, ja sie dahin zu bringen, daß sie ihren menschlichen (göttlichen) Beruf erfüllen. Man hat also für den Verkehr obenan gestellt: dies und dies ist das Wesen des Menschen und folglich sein Beruf, wozu ihn entweder Gott berufen hat oder (nach heutigen Begriffen) sein Menschsein (die Gattung) ihn beruft. Daher der Bekehrungseifer. Daß die Kommunisten und Humanen mehr als die Christen vom Menschen erwarten, bringt sie keineswegs von demselben Standpunkte weg. Dem Menschen soll das Menschliche werden! War es den Frommen genug, daß ihm das Göttliche zu Teil wurde, so verlangen die Humanen, daß ihm das Menschliche nicht verkümmert werde. Gegen das Egoistische stemmen sich beide. Natürlich, denn das Egoistische kann ihm nicht bewilligt oder verliehen werden (Lehen), sondern er muß es selbst sich verschaffen. Jenes erteilt die Liebe, dieses kann Mir allein von Mir gegeben werden.
Der bisherige Verkehr beruhte auf der Liebe, dem rücksichtsvollen Benehmen, dem Füreinandertun. Wie man sich's schuldig war, sich selig zu machen oder die Seligkeit, das höchste Wesen in sich aufzunehmen und zu einer vérité (einer Wahrheit und Wirklichkeit) zu bringen, so war man's Andern schuldig, ihr Wesen und ihren Beruf ihnen realisieren zu helfen: man war's eben in beiden Fällen dem Wesen des Menschen schuldig, zu seiner Verwirklichung beizutragen.
Allein man ist weder sich schuldig, etwas aus sich, noch Andern, etwas aus ihnen zu machen: denn man ist seinem und Anderer Wesen nichts schuldig. Der auf das Wesen gestützte Verkehr ist ein Verkehr mit dem Spuk, nicht mit Wirklichem. Verkehre Ich mit dem höchsten Wesen, so verkehre Ich nicht mit Mir, und verkehre Ich mit dem Wesen des Menschen, so verkehre Ich nicht mit den Menschen.
Die Liebe des natürlichen Menschen wird durch die Bildung ein Gebot. Als Gebot aber gehört sie dem Menschen als solchem, nicht Mir; sie ist mein Wesen, von dem man viel Wesens macht, nicht mein Eigentum. Der Mensch, d. h. die Menschlichkeit, stellt jene Forderung an Mich; die Liebe wird gefordert, ist meine Pflicht. Statt also wirklich Mir errungen zu sein, ist sie dem Allgemeinen errungen, dem Menschen, als dessen Eigentum oder Eigenheit: »dem Menschen, d. h. jedem Menschen ziemt es zu lieben: Lieben ist die Pflicht und der Beruf des Menschen usw.«
Folglich muß Ich die Liebe Mir wieder vindizieren und sie aus der Macht des Menschen erlösen.
Was ursprünglich mein war, aber zufällig, instinktmäßig, das wurde Mir als Eigentum des Menschen verliehen; Ich wurde Lehnsträger, indem Ich liebte, wurde der Lehnsmann der Menschheit, nur ein Exemplar dieser Gattung, und handelte liebend nicht als Ich, sondern als Mensch, als Menschenexemplar, d. h. menschlich. Der ganze Zustand der Kultur ist das Lehnswesen, indem das Eigentum das des Menschen oder der Menschheit ist, nicht das meinige. Ein ungeheurer Lehnsstaat wurde gegründet, dem Einzelnen Alles geraubt, »dem Menschen« Alles überlassen. Der Einzelne mußte endlich als »Sünder durch und durch« erscheinen.
Soll Ich etwa an der Person des Andern keine lebendige Teilnahme haben, soll seine Freude und sein Wohl Mir nicht am Herzen liegen, soll der Genuß, den Ich ihm bereite, Mir nicht über andere eigene Genüsse gehen? Im Gegenteil, unzählige Genüsse kann Ich ihm mit Freuden opfern, Unzähliges kann Ich Mir zur Erhöhung seiner Lust versagen, und was Mir ohne ihn das Teuerste wäre, das kann Ich für ihn in die Schanze schlagen, mein Leben, meine Wohlfahrt, meine Freiheit. Es macht ja meine Lust und mein Glück aus, Mich an seinem Glücke und seiner Lust zu laben. Aber Mich, Mich selbst opfere Ich ihm nicht, sondern bleibe Egoist und – genieße ihn. Wenn ich ihm Alles opfere, was Ich ohne die Liebe zu ihm behalten würde, so ist das sehr einfach und sogar gewöhnlicher im Leben, als es zu sein scheint; aber es beweist nichts weiter, als daß diese eine Leidenschaft in Mir mächtiger ist, als alle übrigen. Dieser Leidenschaft alle andern zu opfern, lehrt auch das Christentum. Opfere Ich aber einer Leidenschaft andere, so opfere Ich darum noch nicht Mich, und opfere nichts von dem, wodurch Ich wahrhaft Ich selber bin, nicht meinen eigentlichen Wert, meine Eigenheit. Wo dieser schlimme Fall eintritt, da sieht's um nichts besser mit der Liebe aus, als mit irgend welcher andern Leidenschaft, der Ich blindlings gehorche. Der Ehrgeizige, der vom Ehrgeiz fortgerissen wird und gegen jede Warnung, welche ein ruhiger Augenblick in ihm erzeugt, taub bleibt, der hat diese Leidenschaft zu einer Zwingherrin anwachsen lassen, wider die er jede Macht der Auflösung verloren gibt: er hat sich selbst aufgegeben, weil er sich nicht auflösen, mithin nicht aus ihr erlösen kann: er ist besessen.
Ich liebe die Menschen auch, nicht bloß einzelne, sondern jeden. Aber Ich liebe sie mit dem Bewußtsein des Egoismus; Ich liebe sie, weil die Liebe Mich glücklich macht, Ich liebe, weil Mir das Lieben natürlich ist, weil Mir's gefällt. Ich kenne kein »Gebot der Liebe«. Ich habe Mitgefühl mit jedem fühlenden Wesen, und ihre Qual quält, ihre Erquickung erquickt auch Mich: töten kann Ich sie, martern nicht. Dagegen sinnt der hochherzige, tugendhafte Philisterfürst Rudolf in den Mysterien von Paris, weil ihn die Bösen »entrüsten«, auf ihre Marter. Jenes Mitgefühl beweist nur, daß das Gefühl der Fühlenden auch das meinige, mein Eigentum, ist, wogegen das erbarmungslose Verfahren des »Rechtlichen« (z. B. gegen den Notar Ferrand) der Gefühllosigkeit jenes Räubers gleicht, welcher nach dem Maße seiner Bettstelle den Gefangenen die Beine abschnitt oder ausreckte: Rudolfs Bettstelle, wonach er die Menschen zuschneidet, ist der Begriff des »Guten«. Das Gefühl für Recht, Tugend usw. macht hartherzig und intolerant. Rudolf fühlt nicht wie der Notar, sondern umgekehrt, er fühlt, daß »dem Bösewicht Recht geschieht«; das ist kein Mitgefühl.
Ihr liebt den Menschen, darum peinigt Ihr den einzelnen Menschen, den Egoisten; eure Menschenliebe ist Menschenquälerei.
Sehe Ich den Geliebten leiden, so leide Ich mit, und es läßt Mir keine Ruhe, bis Ich Alles versucht habe, um ihn zu trösten und aufzuheitern; sehe Ich ihn froh, so werde auch Ich über seine Freude froh. Daraus folgt nicht, daß Mir dieselbe Sache Leiden oder Freude verursacht, welche in ihm diese Wirkung hervorruft, wie schon jeder körperliche Schmerz beweist, den Ich nicht wie er fühle: ihn schmerzt sein Zahn, Mich aber schmerzt sein Schmerz.
Weil Ich aber die kummervolle Falte auf der geliebten Stirn nicht ertragen kann, darum, also um Meinetwillen, küsse Ich sie weg. Liebte Ich diesen Menschen nicht, so möchte er immerhin Falten ziehen, sie kümmerten Mich nicht; Ich verscheuche nur meinen Kummer.
Wie nun, hat irgendwer oder irgendwas, den und das Ich nicht liebe, ein Recht darauf, von Mir geliebt zu werden? Ist meine Liebe das Erste oder ist sein Recht das Erste? Eltern, Verwandte, Vaterland, Volk, Vaterstadt usw., endlich überhaupt die Mitmenschen (»Brüder, Brüderlichkeit«) behaupten ein Recht auf meine Liebe zu haben und nehmen sie ohne Weiteres in Anspruch. Sie sehen sie als ihr Eigentum an und Mich, wenn Ich dasselbe nicht respektiere, als Räuber, der ihnen entzieht, was ihnen zukommt und das Ihre ist. Ich soll lieben. Ist die Liebe ein Gebot und Gesetz, so muß Ich dazu erzogen, herangebildet und, wenn Ich dagegen Mich vergehe, gestraft werden. Man wird daher einen möglichst starken »moralischen Einfluß« auf Mich ausüben, um Mich zum Lieben zu bringen. Und es ist kein Zweifel, daß man die Menschen zur Liebe aufkitzeln und verführen kann wie zu andern Leidenschaften, z. B. gleich zum Hasse. Der Haß zieht sich durch ganze Geschlechter, bloß weil die Ahnen des einen zu den Guelfen, die des andern zu den Ghibellinen gehörten.
Aber die Liebe ist kein Gebot, sondern, wie jedes meiner Gefühle, mein Eigentum. Erwerbt, d. h. erkauft mein Eigentum, dann lasse Ich's Euch ab. Eine Kirche, ein Volk, ein Vaterland, eine Familie usw., die sich meine Liebe nicht zu erwerben wissen, brauche Ich nicht zu lieben, und Ich stelle den Kaufpreis meiner Liebe ganz nach meinem Gefallen.
Die eigennützige Liebe steht weit von der uneigennützigen, mystischen oder romantischen ab. Lieben kann man alles Mögliche, nicht bloß Menschen, sondern überhaupt einen »Gegenstand« (den Wein, sein Vaterland usw.). Blind und toll wird die Liebe dadurch, daß ein Müssen sie meiner Gewalt entzieht (Vernarrtheit), romantisch dadurch, daß ein Sollen in sie eintritt, d. h. daß der »Gegenstand« Mir heilig wird, oder Ich durch Pflicht, Gewissen, Eid an ihn gebunden werde. Nun ist der Gegenstand nicht mehr für Mich, sondern Ich bin für ihn da.
Nicht als meine Empfindung ist die Liebe eine Besessenheit – als jene behalte Ich sie vielmehr im Besitz als Eigentum –, sondern durch die Fremdheit des Gegenstandes. Die religiöse Liebe besteht nämlich in dem Gebote, in dem Geliebten einen »Heiligen« zu lieben oder an einem Heiligen zu hangen; für die uneigennützige Liebe gibt es absolut liebenswürdige Gegenstände, für welche mein Herz schlagen soll, z. B. die Mitmenschen, oder den Ehegatten, die Verwandten usw. Die heilige Liebe liebt das Heilige am Geliebten, und bemüht sich darum auch, aus dem Geliebten immer mehr einen Heiligen (z. B. einen »Menschen«) zu machen.
Der Geliebte ist ein Gegenstand, der von Mir geliebt werden soll. Er ist nicht Gegenstand meiner Liebe darum, weil oder dadurch, daß Ich ihn liebe, sondern ist Gegenstand der Liebe an und für sich. Nicht Ich mache ihn zu einem Gegenstande der Liebe, sondern er ist von Haus aus ein solcher, denn daß er es etwa durch meine Wahl geworden ist, wie Braut, Ehegatte u. dergl., tut hier nichts zur Sache, da er auch so immer als einmal Erwählter ein eigenes »Recht auf meine Liebe« erhalten hat, und Ich, weil Ich ihn geliebt habe, auf ewig ihn zu lieben verpflichtet bin. Er ist also nicht ein Gegenstand meiner Liebe, sondern der Liebe überhaupt: ein Gegenstand, der geliebt werden soll. Die Liebe kommt ihm zu, gebührt ihm, oder ist sein Recht, Ich aber bin verpflichtet, ihn zu lieben. Meine Liebe, d. h. die Liebe, welche Ich ihm zolle, ist in Wahrheit seine Liebe, die er nur als Zoll von Mir eintreibt.
Jede Liebe, an welcher auch nur der kleinste Flecken von Verpflichtung haftet, ist eine uneigennützige und so weit dieser Flecken reicht, ist sie Besessenheit. Wer dem Gegenstande seiner Liebe etwas schuldig zu sein glaubt, der liebt romantisch oder religiös.
Familienliebe z. B., wie sie gewöhnlich als »Pietät« aufgefaßt wird, ist eine religiöse Liebe; Vaterlandsliebe, als »Patriotismus« gepredigt, gleichfalls. All unsere romantische Liebe bewegt sich in demselben Zuschnitt: überall die Heuchelei oder vielmehr Selbsttäuschung einer »uneigennützigen Liebe «, ein Interesse am Gegenstande um des Gegenstandes willen, nicht um Meinet- und zwar allein um Meinetwillen.
Die religiöse oder romantische Liebe unterscheidet sich von der sinnlichen Liebe zwar durch die Verschiedenheit des Gegenstandes, aber nicht durch die Abhängigkeit des Verhaltens zu ihm. In letzterer Beziehung sind beide Besessenheit; in der ersteren aber ist der eine Gegenstand profan, der andere heilig. Die Herrschaft des Gegenstandes über Mich ist in beiden Fällen dieselbe, nur daß er einmal ein sinnlicher, das andere Mal ein geistiger (gespenstischer) ist. Mein eigen ist meine Liebe erst, wenn sie durchaus in einem eigennützigen und egoistischen Interesse besteht, mithin der Gegenstand meiner Liebe wirklich mein Gegenstand oder mein Eigentum ist. Meinem Eigentum bin Ich nichts schuldig und habe keine Pflicht gegen dasselbe, so wenig Ich etwa eine Pflicht gegen mein Auge habe; hüte Ich es dennoch mit größter Sorgsamkeit, so geschieht das Meinetwegen.
An Liebe fehlte es dem Altertum so wenig als der christlichen Zeit; der Liebesgott ist älter, als der Gott der Liebe. Aber die mystische Besessenheit gehört den Neuen an.
Die Besessenheit der Liebe liegt in der Entfremdung des Gegenstandes oder in meiner Ohnmacht gegen seine Fremdheit und Übermacht. Dem Egoisten ist nichts hoch genug, daß er sich davor demütigte, nichts so selbständig, daß er ihm zu Liebe lebte, nichts so heilig, daß er sich ihm opferte. Die Liebe des Egoisten quillt aus dem Eigennutz, flutet im Bette des Eigennutzes und mündet wieder in den Eigennutz.
Ob dies noch Liebe heißen kann? Wißt Ihr ein anderes Wort dafür, so wählt es immerhin; dann mag das süße Wort der Liebe mit der abgestorbenen Welt verwelken; Ich wenigstens finde für jetzt keines in unserer christlichen Sprache, und bleibe daher bei dem alten Klange und »liebe« meinen Gegenstand, mein – Eigentum.
Nur als eines meiner Gefühle hege Ich die Liebe, aber als eine Macht über Mir, als eine göttliche Macht (Feuerbach), als eine Leidenschaft, der Ich Mich nicht entziehen soll, als eine religiöse und sittliche Pflicht – verschmähe Ich sie. Als mein Gefühl ist sie mein; als Grundsatz, dem Ich meine Seele weihe und »verschwöre«, ist sie Gebieterin und göttlich, wie der Haß als Grundsatz teuflisch ist: eins nicht besser als das andere. Kurz die egoistische Liebe, d. h. meine Liebe ist weder heilig noch unheilig, weder göttlich noch teuflisch.
»Eine Liebe, die durch den Glauben beschränkt ist, ist eine unwahre Liebe. Die einzige dem Wesen der Liebe nicht widersprechende Beschränkung ist die Selbstbeschränkung der Liebe durch die Vernunft, die Intelligenz. Liebe, die die Strenge, das Gesetz der Intelligenz verschmäht, ist theoretisch eine falsche, praktisch eine verderbliche Liebe.« Also die Liebe ist ihrem Wesen nach vernünftig!So denkt Feuerbach; der Gläubige hingegen denkt: die Liebe ist ihrem Wesen nach gläubig. Jener eifert gegen die unvernünftige, dieser gegen die ungläubige Liebe. Beiden kann sie höchstens für ein splendidum vitium gelten. Lassen nicht beide die Liebe bestehen, auch in der Form der Unvernunft und Ungläubigkeit? Sie wagen nicht zu sagen: unvernünftige oder ungläubige Liebe ist ein Unsinn, ist nicht Liebe, so wenig sie sagen mögen: unvernünftige oder ungläubige Tränen sind keine Tränen. Muß aber auch die unvernünftige usw. Liebe für Liebe gelten, und sollen sie gleichwohl des Menschen unwürdig sein, so folgt einfach nur dies: Liebe ist nicht das Höchste, sondern Vernunft oder Glaube; lieben kann auch der Unvernünftige und der Ungläubige; Wert hat die Liebe aber nur, wenn sie die eines Vernünftigen oder Gläubigen ist. Es ist ein Blendwerk, wenn Feuerbach die Vernünftigkeit der Liebe ihre »Selbstbeschränkung« nennt; der Gläubige könnte mit demselben Rechte die Gläubigkeit ihre »Selbstbeschränkung« nennen. Unvernünftige Liebe ist weder »falsch« noch »verderblich«; sie tut als Liebe ihre Dienste.
Gegen die Welt, besonders gegen die Menschen, soll Ich eine bestimmte Empfindung annehmen, und ihnen von Anfang an mit der Empfindung der Liebe, »mit Liebe entgegenkommen«. Freilich offenbart sich hierin weit mehr Willkür und Selbstbestimmung, als wenn Ich Mich durch die Welt von allen möglichen Empfindungen bestürmen lasse und den krausesten, zufälligsten Eindrücken ausgesetzt bleibe. Ich gehe vielmehr an sie mit einer vorgefaßten Empfindung, gleichsam einem Vorurteil und einer vorgefaßten Meinung; Ich habe mein Verhalten gegen sie Mir im voraus vorgezeichnet, und fühle und denke trotz all ihrer Anfechtungen nur so über sie, wie Ich zu fühlen einmal entschlossen bin. Wider die Herrschaft der Welt sichere Ich Mich durch den Grundsatz der Liebe; denn was auch kommen mag, Ich – liebe. Das Häßliche z. B. macht auf Mich einen widerwärtigen Eindruck; allein, entschlossen zu lieben, bewältige Ich diesen Eindruck, wie jede Antipathie.
Aber die Empfindung, zu welcher Ich Mich von Haus aus determiniert und – verurteilt habe, ist eben eine bornierte Empfindung, weil sie eine prädestinierte ist, von welcher Ich selber nicht loskommen oder Mich loszusagen vermag. Weil vorgefaßt, ist sie ein Vorurteil. Ich zeige Mich nicht mehr gegenüber der Welt, sondern meine Liebe zeigt sich. Zwar beherrscht die Welt Mich nicht, desto unabwendbarer aber beherrscht Mich der Geist der Liebe. Ich habe die Welt überwunden, um ein Sklave dieses Geistes zu werden.
Sagte Ich erst, Ich liebe die Welt, so setze Ich jetzt ebenso hinzu: Ich liebe sie nicht, denn Ich vernichte sie, wie Ich Mich vernichte: Ich löse sie auf. Ich beschränke Mich nicht auf Eine Empfindung für die Menschen, sondern gebe allen, deren Ich fähig bin, freien Spielraum. Wie sollte Ich's nicht in aller Grellheit auszusprechen wagen? Ja, Ich benutze die Welt und die Menschen! Dabei kann Ich Mich jedem Eindruck offen erhalten, ohne von einem derselben Mir selber entrissen zu werden. Ich kann lieben, mit voller Seele lieben und die verzehrendste Glut der Leidenschaft in meinem Herzen brennen lassen, ohne den Geliebten für etwas Anderes zu nehmen, als für die Nahrung meiner Leidenschaft, an der sie immer von Neuem sich erfrischt. All meine Sorge um ihn gilt nur dem Gegenstande meiner Liebe, nur ihm, den meine Liebe braucht, nur ihm, dem »Heißgeliebten«. Wie gleichgültig wäre er Mir ohne diese – meine Liebe. Nur meine Liebe speise Ich mit ihm, dazu nur benutze Ich ihn: Ich genieße ihn.
Wählen Wir ein anderes naheliegendes Beispiel. Ich sehe, wie die Menschen von einem Schwarm Gespenster in finsterem Aberglauben geängstigt werden. Lasse Ich etwa darum nach Kräften ein Tageslicht über den nächtlichen Spuk einfallen, weil Mir's die Liebe zu Euch so eingibt? Schreibe Ich aus Liebe zu den Menschen? Nein, Ich schreibe, weil Ich meinen Gedanken ein Dasein in der Welt verschaffen will, und sähe Ich auch voraus, daß diese Gedanken Euch um eure Ruhe und euren Frieden brächten, sähe Ich auch die blutigsten Kriege und den Untergang vieler Generationen aus dieser Gedankensaat aufkeimen: – Ich streute sie dennoch aus. Macht damit, was Ihr wollt und könnt, das ist eure Sache und kümmert Mich nicht. Ihr werdet vielleicht nur Kummer, Kampf und Tod davon haben, die Wenigsten ziehen daraus Freude. Läge Mir euer Wohl am Herzen, so handelte Ich wie die Kirche, indem sie den Laien die Bibel entzog, oder die christlichen Regierungen, welche sich's zu einer heiligen Pflicht machen, den »gemeinen Mann vor bösen Büchern zu bewahren«.
Aber nicht nur nicht um Euret-, auch nicht einmal um der Wahrheit willen spreche Ich aus, was Ich denke. Nein –
Ich singe, wie der Vogel singt,
Der in den Zweigen wohnet:
Das Lied, das aus der Kehle dringt,
Ist Lohn, der reichlich lohnet.
Ich singe, weil – Ich ein Sänger bin. Euch aber gebrauche Ich dazu, weil Ich – Ohren brauche.
Wo Mir die Welt in den Weg kommt – und sie kommt Mir überall in den Weg – da verzehre Ich sie, um den Hunger meines Egoismus zu stillen. Du bist für Mich nichts als – meine Speise, gleichwie auch Ich von Dir verspeiset und verbraucht werde. Wir haben zueinander nur Eine Beziehung, die der Brauchbarkeit, der Nutzbarkeit, des Nutzens. Wir sind einander nichts schuldig, denn was Ich Dir schuldig zu sein scheine, das bin Ich höchstens Mir schuldig. Zeige Ich Dir eine heitere Miene, um Dich gleichfalls zu erheitern, so ist Mir an Deiner Heiterkeit gelegen, und meinem Wunsche dient meine Miene; tausend Anderen, die Ich zu erheitern nicht beabsichtige, zeige Ich sie nicht.
Zu derjenigen Liebe, welche sich auf das »Wesen des Menschen« gründet oder in der kirchlichen und sittlichen Periode als ein »Gebot« auf Uns liegt, muß man erzogen werden. In welcherlei Art der moralische Einfluß, das Hauptingredienz unserer Erziehung, den Verkehr der Menschen zu regeln sucht, soll hier wenigstens an Einem Beispiele mit egoistischen Augen betrachtet werden.
Die Uns erziehen, lassen sich's angelegen sein, frühzeitig Uns das Lügen abzugewöhnen und den Grundsatz einzuprägen, daß man stets die Wahrheit sagen müsse. Machte man für diese Regel den Eigennutz zur Basis, so würde Jeder leicht begreifen, wie er das Vertrauen zu sich, welches er bei Andern erwecken will, durch Lügen verscherze, und wie richtig sich der Satz erweise: Wer einmal lügt, dem glaubt man nicht, und wenn er auch die Wahrheit spricht. Zu gleicher Zeit würde er jedoch auch fühlen, daß er nur demjenigen mit der Wahrheit entgegenzukommen habe, welchen er befugt, die Wahrheit zu hören. Durchstreicht ein Spion verkleidet das feindliche Lager und wird gefragt, wer er sei, so sind die Fragenden allerdings befugt, nach dem Namen sich zu erkundigen, der Verkleidete gibt aber ihnen das Recht nicht, die Wahrheit von ihm zu erfahren; er sagt ihnen, was er mag, nur nicht das Richtige. Und doch heischt die Moral: »Du sollst nicht lügen!« Durch die Moral sind jene dazu berechtigt, die Wahrheit zu erwarten; aber von Mir sind sie nicht dazu berechtigt, und Ich erkenne nur das Recht an, welches Ich erteile. In eine Versammlung von Revolutionären drängt sich die Polizei ein und fragt den Redner nach seinem Namen; Jedermann weiß, daß die Polizei dazu das Recht hat, allein vom Revolutionär hat sie's nicht, da er ihr Feind ist: er sagt ihr einen falschen Namen und – belügt sie. Auch handelt die Polizei nicht so töricht, daß sie auf die Wahrheitsliebe ihrer Feinde rechnete; im Gegenteil glaubt sie nicht ohne Weiteres, sondern »rekognosziert«, wenn sie kann, das quästionierte Individuum. Ja der Staat verfährt überall ungläubig gegen die Individuen, weil er in ihrem Egoismus seinen natürlichen Feind erkennt: er verlangt durchweg einen »Ausweis«, und wer sich nicht ausweisen kann, der verfällt seiner nachspürenden Inquisition. Der Staat glaubt und vertraut dem Einzelnen nicht, und stellt sich so selbst mit ihm auf den Lügen-Komment: er traut Mir nur, wenn er sich von der Wahrheit meiner Aussage überführt hat, wozu ihm oft kein anderes Mittel bleibt als der Eid. Wie deutlich beweist auch dieser, daß der Staat nicht auf unsere Wahrheitsliebe und Glaubwürdigkeit rechnet, sondern auf unser Interesse, unseren Eigennutz: er verläßt sich darauf, daß Wir Uns nicht durch einen Meineid werden mit Gott überwerfen wollen.
Nun denke man sich einen französischen Revolutionär im Jahre 1788, der unter Freunden das bekanntgewordene Wort fallen ließe: die Welt hat nicht eher Ruhe, als bis der letzte König am Darm des letzten Pfaffen hängt. Damals hatte der König noch alle Macht, und als die Äußerung durch einen Zufall verraten wird, ohne daß man jedoch Zeugen aufstellen kann, fordert man vom Angeklagten das Geständnis. Soll er gestehen oder nicht? Leugnet er, so lügt er und – bleibt straflos; gesteht er, so ist er aufrichtig und – wird geköpft. Geht ihm die Wahrheit über Alles, wohlan so sterbe er. Nur ein elender Dichter könnte es versuchen, aus seinem Lebensende eine Tragödie herzustellen; denn welches Interesse hat es, zu sehen, wie ein Mensch aus Feigheit erliegt? Hätte er aber den Mut, kein Sklave der Wahrheit und Aufrichtigkeit zu sein, so würde er etwa so fragen: Wozu brauchen die Richter zu wissen, was Ich unter Freunden gesprochen habe? Wenn Ich wollte, daß sie's wüßten, so würde Ich's ihnen gesagt haben, wie Ich's meinen Freunden sagte. Ich will nicht, daß sie's wissen. Sie drängen sich in mein Vertrauen, ohne daß Ich sie dazu berufen und zu meinen Vertrauten gemacht habe; sie wollen erfahren, was Ich verheimlichen will. So kommt denn heran, Ihr, die Ihr meinen Willen durch euren Willen brechen wollt, und versucht eure Künste. Ihr könnt Mich durch die Folter peinigen, könnt Mir mit der Hölle und ewigem Verdammnis drohen, könnt Mich so mürbe machen, daß Ich einen falschen Schwur leiste, aber die Wahrheit sollt Ihr nicht aus Mir herauspressen, denn Ich will Euch belügen, weil Ich Euch keinen Anspruch und kein Recht auf meine Aufrichtigkeit gegeben habe. Mag der Gott, »welcher die Wahrheit ist«, noch so drohend auf Mich herabsehen, mag das Lügen Mir noch so sauer werden, Ich habe dennoch den Mut der Lüge, und selbst wenn ich meines Lebens überdrüssig wäre, selbst wenn Mir nichts willkommener erschiene, als euer Henkerschwert, so sollt Ihr dennoch die Freude nicht haben, an Mir einen Sklaven der Wahrheit zu finden, den Ihr durch eure Pfaffenkünste zum Verräter an seinem Willen macht. Als Ich jene hochverräterischen Worte sprach, da wollte Ich, daß Ihr nichts davon wissen solltet; denselben Willen behalte Ich jetzt bei und lasse Mich durch den Fluch der Lüge nicht schrecken.
Sigismund ist nicht darum ein jämmerlicher Wicht, weil er sein Fürstenwort brach, sondern er brach das Wort, weil er ein Wicht war; er hätte sein Wort halten können, und wäre doch ein Wicht, ein Pfaffenknecht gewesen. Luther wurde, von einer höhern Macht getrieben, seinem Mönchsgelübde untreu: er wurde es um Gottes willen. Beide brachen ihren Eid als Besessene: Sigismund, weil er als ein aufrichtiger Bekenner der göttlichen Wahrheit, d. h. des wahren Glaubens, des echt katholischen erscheinen wollte; Luther, um aufrichtig und mit ganzer Wahrheit, mit Leib und Seele, Zeugnis für das Evangelium abzulegen; beide wurden meineidig, um gegen die »höhere Wahrheit« aufrichtig zu sein. Nur entbanden jenen die Pfaffen, dieser entband sich selbst. Was beachteten beide anders, als was in jenen apostolischen Worten enthalten ist: »Du hast nicht Menschen, sondern Gott belogen?« Sie logen den Menschen, brachen vor den Augen der Welt ihren Eid, um Gott nicht zu lügen, sondern zu dienen. So zeigen sie Uns einen Weg, wie man's mit der Wahrheit vor den Menschen halten soll. Zu Gottes Ehre und um Gottes willen ein – Eidbruch, eine Lüge, ein gebrochenes Fürstenwort!
Wie wäre es nun, wenn Wir die Sache ein wenig änderten und schrieben: Ein Meineid und Lüge um – Meinetwillen! Hieße das nicht jeder Niederträchtigkeit das Wort reden? Es scheint allerdings so, nur gleicht es darin ganz und gar dem »um Gottes willen«. Denn wurde nicht jede Niederträchtigkeit um Gottes willen verübt, alle Blutgerüste um seinetwillen erfüllt, alle Autodafés seinetwegen gehalten, alle Verdummung seinetwegen eingeführt, und bindet man nicht noch heute schon bei den zarten Kindern durch religiöse Erziehung den Geist um Gottes willen? Brach man nicht heilige Gelübde um seinetwillen, und ziehen nicht alle Tage noch Missionäre und Pfaffen umher, um Juden, Heiden, Protestanten oder Katholiken usw. zum Verrat am Glauben ihrer Väter zu bringen – um seinetwillen? Und das sollte bei dem um Meinetwillen schlimmer sein? Was heißt denn Meinetwegen? Da denkt man gleich an »schnöden Gewinn«. Wer aber aus Liebe zu schnödem Gewinne handelt, tut das zwar seinetwegen, wie es überhaupt nichts gibt, was man nicht um sein[er] selbst willen täte, unter andern auch Alles, was zu Gottes Ehre geschieht; jedoch ist er, für den er den Gewinn sucht, ein Sklave des Gewinnes, nicht erhaben über Gewinn, ist Einer, welcher dem Gewinn, dem Geldsack angehört, nicht sich, ist nicht sein eigen. Muß ein Mensch, den die Leidenschaft der Habgier beherrscht, nicht den Geboten dieser Herrin folgen, und wenn ihn einmal eine schwache Gutmütigkeit beschleicht, erscheint dies nicht eben nur als ein Ausnahmsfall gerade derselben Art, wie fromme Gläubige zuweilen von der Leitung ihres Herrn verlassen und von den Künsten des »Teufels« berückt werden? Also ein Habgieriger ist kein Eigener, sondern ein Knecht, und er kann nichts um seinetwillen tun, ohne es zugleich um seines Herrn willen zu tun, – gerade wie der Gottesfürchtige.
Berühmt ist der Eidbruch, welchen Franz II. gegen Kaiser Karl V. beging. Nicht etwa später, als er sein Versprechen reiflich erwog, sondern sogleich, als er den Schwur leistete, nahm ihn König Franz in Gedanken sowohl, als durch eine heimliche, vor seinen Räten urkundlich unterschriebene Protestation zurück: er sprach einen vorbedachten Meineid aus. Seine Freilassung zu erkaufen zeigte sich Franz nicht abgeneigt, nur schien ihm der Preis, welchen Karl darauf setzte, zu hoch und unbillig. Betrug sich auch Karl knickerig, als er möglichst viel zu erpressen suchte, so war es doch lumpig von Franz, seine Freiheit um ein niedrigeres Lösegeld einhandeln zu wollen, und seine späteren Handlungen, worunter noch ein zweiter Wortbruch vorkommt, beweisen sattsam, wie ihn der Schachergeist geknechtet hielt und zum lumpigen Betrüger machte. Indes was sollen Wir zu dem Vorwurf seines Meineides sagen? Zunächst doch wieder dies, daß nicht der Meineid ihn schändete, sondern seine Filzigkeit, daß er nicht Verachtung verdiente für seinen Meineid, sondern des Meineides sich schuldig machte, weil er ein verächtlicher Mensch war. Franzens Meineid aber für sich betrachtet erheischt eine andere Beurteilung. Man könnte sagen, Franz habe dem Vertrauen, welches Karl bei der Freigebung auf ihn setzte, nicht entsprochen. Allein hätte Karl wirklich ihm Vertrauen geschenkt, so würde er ihm den Preis genannt haben, dessen er die Freilassung wert achte, dann aber hätte er ihn in Freiheit gesetzt und erwartet, daß Franz die Loskaufungssumme bezahle. Karl hegte kein solches Zutrauen, sondern glaubte nur an die Ohnmacht und Leichtgläubigkeit Franzens, die ihm nicht erlauben werde, gegen seinen Eid zu handeln; Franz aber täuschte nur diese – leichtgläubige Berechnung. Als Karl sich durch einen Eid seines Feindes zu versichern glaubte, da gerade befreite er diesen von jeder Verbindlichkeit. Karl hatte dem Könige eine Dummheit, ein enges Gewissen zugetraut, und rechnete, ohne Vertrauen zu Franz, nur auf Franzens Dummheit, d. h. Gewissenhaftigkeit: er entließ ihn nur aus dem Madrider Gefängnis, um ihn desto sicherer in dem Gefängnisse der Gewissenhaftigkeit, dem großen durch die Religion um den Menschengeist gezogenen Kerker, festzuhalten: er schickte ihn, festgeschlossen in unsichtbaren Ketten, nach Frankreich zurück, was Wunder, wenn Franz zu entkommen suchte und die Ketten zersägte. Kein Mensch hätte es ihm verübelt, wenn er aus Madrid heimlich entflohen wäre, denn er war in Feindes Gewalt; jeder gute Christ aber ruft Wehe über ihn, daß er auch aus Gottes Banden sich losmachen wollte. (Der Papst entband ihn erst später seines Eides.)
Es ist verächtlich, ein Vertrauen, das Wir freiwillig hervorrufen, zu täuschen; aber Jeden, der Uns durch einen Eid in seine Gewalt bekommen will, an der Erfolglosigkeit seiner zutrauenslosen List verbluten zu lassen, macht dem Egoismus keine Schande. Hast Du Mich binden wollen, so erfahre denn, daß Ich deine Bande zu sprengen weiß.
Es kommt darauf an, ob Ich dem Vertrauenden das Recht zum Vertrauen gebe. Wenn der Verfolger meines Freundes Mich fragt, wohin dieser sich geflüchtet habe, so werde Ich ihn sicherlich auf eine falsche Fährte bringen. Warum fragt er gerade Mich, den Freund des Verfolgten? Um nicht ein falscher, verräterischer Freund zu sein, ziehe Ich's vor, gegen den Feind falsch zu sein. Ich könnte freilich aus mutiger Gewissenhaftigkeit antworten: Ich wolle es nicht sagen (so entscheidet Fichte den Fall); dadurch salvierte Ich meine Wahrheitsliebe und täte für den Freund so viel als – nichts, denn leite Ich den Feind nicht irre, so kann er zufällig die rechte Straße einschlagen, und meine Wahrheitsliebe hätte den Freund preisgegeben, weil sie Mich hinderte an dem – Mute zur Lüge. Wer an der Wahrheit ein Idol, ein Heiliges hat, der muß sich vor ihr demütigen, darf ihren Anforderungen nicht trotzen, nicht mutig widerstehen, kurz er muß dem Heldenmut der Lüge entsagen. Denn zur Lüge gehört nicht weniger Mut als zur Wahrheit, ein Mut, an welchem es am meisten Jünglingen zu gebrechen pflegt, die lieber die Wahrheit gestehen und das Schafott dafür besteigen, als durch die Frechheit einer Lüge die Macht der Feinde zu Schanden machen mögen. Jenen ist die Wahrheit »heilig«, und das Heilige fordert allezeit blinde Verehrung, Unterwerfung und Aufopferung. Seid Ihr nicht frech, nicht Spötter des Heiligen, so seid Ihr zahm und seine Diener. Man streue Euch nur ein Körnchen Wahrheit in die Falle, so pickt Ihr sicherlich darnach, und man hat den Narren gefangen. Ihr wollt nicht lügen? Nun so fallt als Opfer der Wahrheit und werdet – Märtyrer! Märtyrer – wofür? Für Euch, für die Eigenheit? Nein, für eure Göttin, – die Wahrheit. Ihr kennt nur zweierlei Dienst, nur zweierlei Diener: Diener der Wahrheit und Diener der Lüge. Dient denn in Gottes Namen der Wahrheit!
Andere wieder dienen auch der Wahrheit, aber sie dienen ihr »mit Maß« und machen z. B. einen großen Unterschied zwischen einer einfachen und einer beschworenen Lüge. Und doch fällt das ganze Kapitel vom Eide mit dem von der Lüge zusammen, da ein Eid ja nur eine stark versicherte Aussage ist. Ihr haltet Euch für berechtigt zu lügen, wenn Ihr nur dazu nicht noch schwört? Wer's genau nimmt, der muß eine Lüge so hart beurteilen und verdammen als einen falschen Schwur. Nun hat sich aber ein uralter Streitpunkt in der Moral erhalten, der unter dem Namen der »Notlüge« abgehandelt zu werden pflegt. Niemand, der dieser das Wort zu reden wagt, kann konsequenter Weise einen »Noteid« von der Hand weisen. Rechtfertige Ich meine Lüge als eine Notlüge, so sollte Ich nicht so kleinmütig sein, die gerechtfertigte Lüge der stärksten Bekräftigung zu berauben. Was Ich auch tue, warum sollte Ich's nicht ganz und ohne Vorbehalt (reservatio mentalis) tun? Lüge Ich einmal, warum dann nicht vollständig, mit ganzem Bewußtsein und aller Kraft lügen? Als Spion müßte Ich dem Feinde jede meiner falschen Aussagen auf Verlangen beschwören; entschlossen, ihn zu belügen, sollte Ich plötzlich feige und unentschlossen werden gegenüber dem Eide? Dann wäre Ich von vornherein zum Lügner und Spion verdorben gewesen; denn Ich gäbe ja dem Feinde freiwillig ein Mittel in die Hände, Mich zu fangen. – Auch fürchtet der Staat den Noteid und läßt deshalb den Angeklagten nicht zum Schwure kommen. Ihr aber rechtfertigt die Furcht des Staates nicht; Ihr lügt, aber schwört nicht falsch. Erweiset Ihr z. B. Einem eine Wohltat, ohne daß er's wissen soll, er aber vermutet's und sagt's Euch auf den Kopf zu, so leugnet Ihr; beharrt er, so sagt Ihr: »wahrhaftig nicht!« Ging's ans Schwören, da würdet Ihr Euch weigern, denn Ihr bleibt aus Furcht vor dem Heiligen stets auf halbem Wege stehen. Gegen das Heilige habt Ihr keinen eigenen Willen. Ihr lügt mit – Maß, wie Ihr frei seid »mit Maß«, religiös »mit Maß« (die Geistlichkeit soll nicht »übergreifen«, wie jetzt hierfür der fadeste Streit von Seiten der Universität gegen die Kirche geführt wird), monarchisch gesinnt »mit Maß« (Ihr wollt einen durch die Verfassung, ein Staatsgrundgesetz, beschränkten Monarchen), Alles hübsch temperiert, lau und flau, halb Gottes, halb des Teufels.
Es herrschte auf einer Universität der Komment, daß von den Studenten jedes Ehrenwort, welches dem Universitäts-Richter gegeben werden mußte, für null und nichtig angesehen wurde. Die Studenten sahen nämlich in der Abforderung desselben nichts als einen Fallstrick, dem sie nicht anders entgehen könnten, als durch Entziehung aller Bedeutsamkeit desselben. Wer ebendaselbst einem Kommilitonen sein Ehrenwort brach, war infam; wer es dem Universitäts-Richter gab, lachte im Verein mit eben diesen Kommilitonen den Getäuschten aus, der sich einbildete, daß ein Wort unter Freunden und unter Feinden denselben Wert habe. Weniger eine richtige Theorie als die Not der Praxis hatte dort die Studierenden so zu handeln gelehrt, da sie ohne jenes Auskunftsmittel erbarmungslos zum Verrat an ihren Genossen getrieben worden wären. Wie aber das Mittel praktisch sich bewährte, so hat es auch seine theoretische Bewährung. Ein Ehrenwort, ein Eid ist nur für den eines, den Ich berechtige, es zu empfangen; wer Mich dazu zwingt, erhält nur ein erzwungenes, d. h. ein feindliches Wort, das Wort eines Feindes, dem man zu trauen kein Recht hat; denn der Feind gibt Uns das Recht nicht.
Übrigens erkennen die Gerichte des Staats nicht einmal die Unverbrüchlichkeit eines Eides an. Denn hätte Ich Einem, der in Untersuchung kommt, geschworen, nichts wider ihn auszusagen, so würde das Gericht trotz dem, daß ein Eid Mich bindet, meine Aussagen fordern und im Weigerungsfalle Mich so lange einsperren, bis Ich Mich entschlösse, – eidbrüchig zu werden. Das Gericht »entbindet Mich meines Eides«; – wie großmütig! Kann Mich irgendeine Macht des Eides entbinden, so bin Ich selber doch wohl die allererste Macht, die darauf Anspruch hat.
Als Kuriosität und um an allerlei übliche Eide zu erinnern, möge hier derjenige eine Stelle finden, welchen Kaiser Paul den gefangenen Polen (Kosciuszko, Potocki, Niemcewicz usw. ), als er sie freiließ, zu leisten befahl: »Wir schwören nicht bloß dem Kaiser Treue und Gehorsam, sondern versprechen auch noch, unser Blut für seinen Ruhm zu vergießen; Wir verpflichten Uns, alles zu entdecken, was Wir jemals für seine Person oder sein Reich Gefahrdrohendes erfahren; wir erklären endlich, daß, in welchem Teile des Erdkreises wir uns auch befinden, ein einziges Wort des Kaisers genügen solle, Alles zu verlassen und uns sogleich zu ihm zu begeben.«
In Einem Gebiete scheint das Prinzip der Liebe längst vom Egoismus überflügelt worden zu sein und nur noch des sichern Bewußtseins, gleichsam des Sieges mit gutem Gewissen, zu bedürfen. Dies Gebiet ist die Spekulation in ihrer doppelten Erscheinung als Denken und als Handel. Man denkt frisch darauf los, was auch herauskommen möge, und man spekuliert, wie Viele auch unter unseren spekulativen Unternehmungen leiden mögen. Aber wenn es endlich zum Klappen kommt, wenn auch der letzte Rest von Religiosität, Romantik oder »Menschlichkeit« abgetan werden soll, dann schlägt das religiöse Gewissen und man bekennt sich wenigstens zur Menschlichkeit. Der habgierige Spekulant wirft einige Groschen in die Armenbüchse und »tut Gutes«, der kühne Denker tröstet sich damit, daß er zur Förderung des Menschengeschlechts arbeite und daß seine Verwüstung der Menschheit »zu Gute komme«, oder auch, daß er »der Idee diene«; die Menschheit, die Idee ist ihm jenes Etwas, von dem er sagen muß: es geht Mir über Mich.
Es ist bis auf den heutigen Tag gedacht und gehandelt worden um – Gottes willen. Die da sechs Tage durch ihre eigennützigen Zwecke alles niedertraten, opferten am siebenten dem Herrn, und die hundert »gute Sachen« durch ihr rücksichtsloses Denken zerstörten, taten dies doch im Dienste einer andern »guten Sache« und mußten – außer an sich – noch an einen Andern denken, welchem ihre Selbstbefriedigung zu Gute käme, an das Volk, die Menschheit u. dgl. Dieses Andere aber ist ein Wesen über ihnen, ein höheres oder höchstes Wesen, und darum sage Ich, sie mühen sich um Gottes willen.
Ich kann daher auch sagen, der letzte Grund ihrer Handlungen sei die – Liebe. Aber nicht eine freiwillige, nicht ihre eigene, sondern eine zinspflichtige, oder des höhern Wesens (d. h. Gottes, der die Liebe selbst ist) eigene Liebe, kurz nicht die egoistische, sondern die religiöse, eine Liebe, die aus ihrem Wahne entspringt, daß sie einen Tribut der Liebe entrichten müssen, d. h. daß sie keine »Egoisten« sein dürfen.
Wollen Wir die Welt aus mancherlei Unfreiheit erlösen, so wollen Wir das nicht ihret- sondern Unsertwegen: denn da Wir keine Welterlöser von Profession und aus »Liebe« sind, so wollen Wir sie nur Andern abgewinnen. Wir wollen sie Uns zu eigen machen; nicht Gott (der Kirche), nicht dem Gesetze (Staate) soll sie länger leibeigen sein, sondern unser eigen; darum suchen Wir sie zu »gewinnen«, für Uns »einzunehmen,« und die Gewalt, welche sie gegen Uns wendet, dadurch zu vollenden und überflüssig zu machen, daß Wir ihr entgegenkommen, und Uns ihr, sobald sie Uns gehört, gleich Uns »ergeben«. Ist die Welt unser, so versucht sie keine Gewalt mehr gegen Uns, sondern nur mit Uns. Mein Eigennutz hat ein Interesse an der Befreiung der Welt, damit sie – mein Eigentum werde.
Nicht die Isoliertheit oder das Alleinsein ist der ursprüngliche Zustand des Menschen, sondern die Gesellschaft. Mit der innigsten Verbindung beginnt unsere Existenz, da Wir schon, ehe Wir atmen, mit der Mutter zusammenleben; haben Wir dann das Licht der Welt erblickt, so liegen Wir gleich wieder an der Brust eines Menschen, seine Liebe wiegt Uns im Schoße, leitet Uns am Gängelbande und kettet Uns mit tausend Banden an seine Person. Die Gesellschaft ist unser Natur– Zustand. Darum wird auch, je mehr Wir Uns fühlen lernen, der früher innigste Verband immer lockerer, und die Auflösung der ursprünglichen Gesellschaft unverkennbarer. Die Mutter muß das Kind, welches einst unter ihrem Herzen lag, von der Straße und aus der Mitte seiner Spielgenossen holen, um es wieder einmal für sich zu haben. Es zieht das Kind den Verkehr, den es mit Seinesgleichen eingeht, der Gesellschaft vor, in welche es nicht eingegangen, in der es vielmehr nur geboren ist.
Die Auflösung der Gesellschaft aber ist der Verkehr oder Verein. Allerdings entsteht auch durch Verein eine Gesellschaft, aber nur wie durch einen Gedanken eine fixe Idee entsteht, dadurch nämlich, daß aus dem Gedanken die Energie des Gedankens, das Denken selbst, diese rastlose Zurücknahme aller sich verfestigenden Gedanken, verschwindet. Hat sich ein Verein zur Gesellschaft kristallisiert, so hat er aufgehört, eine Vereinigung zu sein; denn Vereinigung ist ein unaufhörliches Sich-Vereinigen; er ist zu einem Vereinigtsein geworden, zum Stillstand gekommen, zur Fixheit ausgeartet, er ist – tot als Verein, ist der Leichnam des Vereins oder der Vereinigung, d. h. er ist – Gesellschaft, Gemeinschaft. Ein sprechendes Exempel dieser Art liefert die Partei.
Daß eine Gesellschaft, z. B. die Staatsgesellschaft, Mir die Freiheit schmälere, das empört Mich wenig. Muß Ich Mir doch von allerlei Mächten und von jedem Stärkeren, ja von jedem Nebenmenschen die Freiheit beschränken lassen, und wäre Ich der Selbsterrscher aller R . . . . . ., Ich genösse doch der absoluten Freiheit nicht. Aber die Eigenheit, die will Ich Mir nicht entziehen lassen. Und gerade auf die Eigenheit sieht es jede Gesellschaft ab, gerade sie soll ihrer Macht unterliegen.
Zwar nimmt eine Gesellschaft, zu der Ich Mich halte, Mir manche Freiheit, dafür gewährt sie Mir aber andere Freiheiten; auch hat es nichts zu sagen, wenn Ich selbst Mich um diese und jene Freiheit bringe (z. B. durch jeden Kontrakt). Dagegen will Ich eifersüchtig auf meine Eigenheit halten. Jede Gemeinschaft hat, je nach ihrer Machtfülle, den stärkeren oder schwächeren Zug, ihren Gliedern eine Autorität zu werden und Schranken zu setzen: sie verlangt und muß verlangen einen »beschränkten Untertanen-Verstand«, sie verlangt, daß ihre Angehörigen ihr untertan, ihre »Untertanen« seien, sie besteht nur durch Untertänigkeit. Dabei braucht keineswegs eine gewisse Toleranz ausgeschlossen zu sein, im Gegenteil wird die Gesellschaft Verbesserungen, Zurechtweisungen und Tadel, soweit solche auf ihren Gewinn berechnet sind, willkommen heißen; aber der Tadel muß »wohlmeinend«, er darf nicht »frech und unehrerbietig« sein, mit andern Worten, man muß die Substanz der Gesellschaft unverletzt lassen und heilig halten. Die Gesellschaft fordert, daß ihre Angehörigen nicht über sie hinausgehen und sich erheben, sondern »in den Grenzen der Gesetzlichkeit« bleiben, d. h. nur so viel sich erlauben, als ihnen die Gesellschaft und deren Gesetz erlaubt.
Es ist ein Unterschied, ob durch eine Gesellschaft meine Freiheit oder meine Eigenheit beschränkt wird. Ist nur jenes der Fall, so ist sie eine Vereinigung, ein Übereinkommen, ein Verein; droht aber der Eigenheit Untergang, so ist sie eine Macht für sich, eine Macht über Mir, ein von Mir Unerreichbares, das Ich zwar anstaunen, anbeten, verehren, respektieren, aber nicht bewältigen und verzehren kann, und zwar deshalb nicht kann, weil Ich resigniere. Sie besteht durch meine Resignation, meine Selbstverleugnung, meine Mutlosigkeit, genannt – Demut. Meine Demut macht ihr Mut, meine Unterwürfigkeit gibt ihr die Herrschaft.
In Bezug aber auf die Freiheit unterliegen Staat und Verein keiner wesentlichen Verschiedenheit. Der Letztere kann ebenso wenig entstehen oder bestehen, ohne daß die Freiheit auf allerlei Art beschränkt werde, als der Staat mit ungemessener Freiheit sich verträgt. Beschränkung der Freiheit ist überall unabwendbar, denn man kann nicht alles los werden; man kann nicht gleich einem Vogel fliegen, bloß weil man so fliegen möchte, denn man wird von der eigenen Schwere nicht frei; man kann nicht eine beliebige Zeit unter dem Wasser leben, wie ein Fisch, weil man der Luft nicht entraten und von diesem notwendigen Bedürfnis nicht frei werden kann u. dgl. Wie die Religion und am entschiedensten das Christentum den Menschen mit der Forderung quälte, das Unnatürliche und Widersinnige zu realisieren, so ist es nur als die echte Konsequenz jener religiösen Überspanntheit und Überschwenglichkeit anzusehen, daß endlich die Freiheit selbst, die absolute Freiheit zum Ideale erhoben wurde, und so der Unsinn des Unmöglichen grell zu Tage kommen mußte. – Allerdings wird der Verein sowohl ein größeres Maß von Freiheit darbieten, als auch namentlich darum für »eine neue Freiheit« gehalten werden dürfen, weil man durch ihn allem dem Staats- und Gesellschaftsleben eigenen Zwange entgeht; aber der Unfreiheit und Unfreiwilligkeit wird er gleichwohl noch genug enthalten. Denn sein Zweck ist eben nicht – die Freiheit, die er im Gegenteil der Eigenheit opfert, aber auch nur der Eigenheit. Auf diese bezogen ist der Unterschied zwischen Staat und Verein groß genug. Jener ist ein Feind und Mörder der Eigenheit, dieser ein Sohn und Mitarbeiter derselben, jener ein Geist, der im Geist und in der Wahrheit angebetet sein will, dieser mein Werk, mein Erzeugnis; der Staat ist der Herr meines Geistes, der Glauben fordert und Mir Glaubensartikel vorschreibt, die Glaubensartikel der Gesetzlichkeit; er übt moralischen Einfluß, beherrscht meinen Geist, vertreibt mein Ich, um sich als »mein wahres Ich« an dessen Stelle zu setzen, kurz der Staat ist heilig und gegen Mich, den einzelnen Menschen, ist er der wahre Mensch, der Geist, das Gespenst; der Verein aber ist meine eigene Schöpfung, mein Geschöpf, nicht heilig, nicht eine geistige Macht über meinen Geist, so wenig als irgend eine Assoziation, welcher Art sie auch sei. Wie Ich nicht ein Sklave meiner Maximen sein mag, sondern sie ohne alle Garantie meiner steten Kritik bloßstelle und gar keine Bürgschaft für ihren Bestand zulasse, so und noch weniger verpflichte Ich Mich für meine Zukunft dem Vereine und verschwöre ihm meine Seele, wie es beim Teufel heißt und beim Staate und aller geistigen Autorität wirklich der Fall ist, sondern Ich bin und bleibe Mir mehr als Staat, Kirche, Gott u. dgl., folglich auch unendlich mehr als der Verein.
Jene Gesellschaft, welche der Kommunismus gründen will, scheint der Vereinigung am nächsten zu stehen. Sie soll nämlich das »Wohl Aller« bezwecken, aber Aller, ruft Weitling unzählige Male aus, Aller! Das sieht doch wirklich so aus, als brauchte dabei Keiner zurückzustehen. Welches wird denn aber dieses Wohl sein? Haben Alle ein und dasselbe Wohl, ist Allen bei Ein und Demselben gleich wohl? Ist dem so, so handelt sich's vom »wahren Wohl«. Kommen Wir damit nicht gerade an dem Punkte an, wo die Religion ihre Gewaltherrschaft beginnt? Das Christentum sagt: Seht nicht auf irdischen Tand, sondern sucht euer wahres Wohl, werdet – fromme Christen: das Christsein ist das wahre Wohl. Es ist das wahre Wohl »Aller«, weil es das Wohl des Menschen als solchen (dieses Spuks) ist. Nun soll das Wohl Aller doch auch mein und dein Wohl sein? Wenn Ich und Du aber jenes Wohl nicht für unser Wohl ansehen, wird dann für das, wobei Wir Uns wohlbefinden, gesorgt werden? Im Gegenteil, die Gesellschaft hat ein Wohl als das »wahre Wohl« dekretiert, und hieße dies Wohl z. B. redlich erarbeiteter Genuß, Du aber zögest die genußreiche Faulheit, den Genuß ohne Arbeit vor, so würde die Gesellschaft, die für das »Wohl Aller« sorgt, für das, wobei Dir wohl ist, zu sorgen sich weislich hüten. Indem der Kommunismus das Wohl Aller proklamiert, vernichtet er gerade das Wohlsein derer, welche seither von ihren Renten lebten und sich dabei wahrscheinlich wohler befanden, als bei der Aussicht auf die strengen Arbeitsstunden Weitlings. Dieser behauptet daher, bei dem Wohle von Tausenden könne das Wohl von Millionen nicht bestehen, und jene müßten ihr besonderes Wohl aufgeben »um des allgemeinen Wohles willen«. Nein; man fordere die Leute nicht auf, für das allgemeine Wohl ihr besonderes zu opfern, denn man kommt mit diesem christlichen Anspruch nicht durch; die entgegengesetzte Mahnung, ihr eigenes Wohl sich durch Niemand entreißen zu lassen, sondern es dauernd zu gründen, werden sie besser verstehen. Sie werden dann von selbst darauf geführt, daß sie am besten für ihr Wohl sorgen, wenn sie sich mit Andern zu diesem Zwecke verbinden, d. h. »einen Teil ihrer Freiheit opfern«, aber nicht dem Wohle Aller, sondern ihrem eigenen. Eine Appellation an die aufopfernde Gesinnung und die selbstverleugnende Liebe der Menschen sollte endlich ihren verführerischen Schein verloren haben, nachdem sie hinter einer Wirksamkeit von Jahrtausenden nichts zurückgelassen als die heutige – Misere. Warum denn immer noch fruchtlos erwarten, daß die Aufopferung Uns bessere Zeiten bringen soll; warum nicht lieber von der Usurpation sie hoffen? Nicht mehr von den Gebenden, Schenkenden, Liebevollen kommt das Heil, sondern von den Nehmenden, den Aneignenden (Usurpatoren), den Eignern. Der Kommunismus und, bewußt oder unbewußt, der den Egoismus lästernde Humanismus zählt immer noch auf die Liebe.
Ist einmal die Gemeinschaft dem Menschen Bedürfnis und findet er sich durch sie in seinen Absichten gefördert, so schreibt sie ihm auch, weil sein Prinzip geworden, sehr bald ihre Gesetze vor, die Gesetze der – Gesellschaft. Das Prinzip der Menschen erhebt sich zur souveränen Macht über sie, wird ihr höchstes Wesen, ihr Gott, und als solcher – Gesetzgeber. Der Kommunismus gibt diesem Prinzip die strengste Folge, und das Christentum ist die Religion der Gesellschaft, denn Liebe ist, wie Feuerbach richtig sagt, obgleich er's nicht richtig meint, das Wesen des Menschen, d. h. das Wesen der Gesellschaft oder des gesellschaftlichen (kommunistischen) Menschen. Alle Religion ist ein Kultus der Gesellschaft, dieses Prinzipes, von welchem der gesellschaftliche (kultivierte) Mensch beherrscht wird; auch ist kein Gott der ausschließliche Gott eines Ichs, sondern immer der einer Gesellschaft oder Gemeinschaft, sei es der Gesellschaft »Familie« (Lar, Penaten) oder eines »Volkes« (»Nationalgott«) oder »aller Menschen« (»er ist ein Vater aller Menschen«).
Somit hat man allein dann Aussicht, die Religion bis auf den Grund zu tilgen, wenn man die Gesellschaft und alles, was aus diesem Prinzipe fließt, antiquiert. Gerade aber im Kommunismus sucht dies Prinzip zu kulminieren, da in ihm Alles gemeinschaftlich werden soll, zur Herstellung der – »Gleichheit«. Ist diese »Gleichheit« gewonnen, so fehlt auch die »Freiheit« nicht. Aber wessen Freiheit? die der Gesellschaft! Die Gesellschaft ist dann Alles in Allem, und die Menschen sind nur »füreinander«. Es wäre die Glorie des – Liebes-Staates.
Ich will aber lieber auf den Eigennutz der Menschen angewiesen sein, als auf ihre »Liebesdienste«, ihre Barmherzigkeit, Erbarmen usw. Jener fordert Gegenseitigkeit (wie Du Mir, so Ich Dir), tut nichts »umsonst«, und läßt sich gewinnen und – erkaufen. Womit aber erwerbe Ich Mir den Liebesdienst? Es kommt auf den Zufall an, ob Ich's gerade mit einem »Liebevollen« zu tun habe. Der Dienst des Liebreichen läßt sich nur – erbetteln, sei es durch meine ganze beklagenswerte Erscheinung, durch meine Hilfbedürftigkeit, mein Elend, mein – Leiden. Was kann Ich ihm für seine Hilfleistung bieten? Nichts! Ich muß sie als – Geschenk annehmen. Liebe ist unbezahlbar, oder vielmehr: Liebe kann allerdings bezahlt werden, aber nur durch Gegenliebe (»Eine Gefälligkeit ist der andern wert«). Welche Armseligkeit und Bettelhaftigkeit gehört nicht dazu, Jahr aus Jahr ein Gaben anzunehmen, ohne Gegendienst, wie sie z. B. vom armen Tagelöhner regelmäßig eingetrieben werden. Was kann der Empfänger für jenen und seine geschenkten Pfennige, in denen sein Reichtum besteht, tun? Der Tagelöhner hätte wahrlich mehr Genuß, wenn der Empfänger mit seinen Gesetzen, seinen Institutionen usw., die jener doch alle bezahlen muß, gar nicht existierte. Und dabei liebt der arme Wicht seinen Herrn doch.
Nein, die Gemeinschaft, als das »Ziel« der bisherigen Geschichte, ist unmöglich. Sagen Wir Uns vielmehr von jeder Heuchelei der Gemeinschaft los und erkennen Wir, daß, wenn Wir als Menschen gleich sind, Wir eben nicht gleich sind, weil Wir nicht Menschen sind. Wir sind nur in Gedanken gleich, nur wenn »Wir« gedacht werden, nicht wie Wir wirklich und leibhaftig sind. Ich bin Ich, und Du bist Ich, aber Ich bin nicht dieses gedachte Ich, sondern dieses Ich, worin Wir alle gleich sind, ist nur mein Gedanke. Ich bin Mensch und Du bist Mensch, aber »Mensch« ist nur ein Gedanke, eine Allgemeinheit; weder Ich noch Du sind sagbar, Wir sind unaussprechlich, weil nur Gedanken sagbar sind und im Sagen bestehen.
Trachten Wir darum nicht nach der Gemeinschaft, sondern nach der Einseitigkeit. Suchen Wir nicht die umfassendste Gemeinde, die »menschliche Gesellschaft«, sondern suchen Wir in den Andern nur Mittel und Organe, die Wir als unser Eigentum gebrauchen! Wie Wir im Baume, im Tiere nicht Unsersgleichen erblicken, so entspringt die Voraussetzung, daß die Andern Unsersgleichen seien, aus einer Heuchelei. Es ist Keiner Meinesgleichen, sondern gleich allen andern Wesen betrachte Ich ihn als mein Eigentum. Dagegen sagt man Mir, Ich soll Mensch unter »Mitmenschen« sein (Judenfrage S. 60), Ich soll in ihnen den Mitmenschen »respektieren«. Es ist Keiner für Mich eine Respektsperson, auch der Mitmensch nicht, sondern lediglich wie andere Wesen ein Gegenstand, für den Ich Teilnahme habe oder auch nicht, ein interessanter oder uninteressanter Gegenstand, ein brauchbares oder unbrauchbares Subjekt.
Und wenn Ich ihn gebrauchen kann, so verständige Ich wohl und einige Mich mit ihm, um durch die Übereinkunft meine Macht zu verstärken und durch gemeinsame Gewalt mehr zu leisten, als die einzelne bewirken könnte. In dieser Gemeinsamkeit sehe Ich durchaus nichts anderes, als eine Multiplikation meiner Kraft, und nur solange sie meine vervielfachte Kraft ist, behalte Ich sie bei. So aber ist sie ein – Verein.
Den Verein hält weder ein natürliches noch ein geistiges Band zusammen, und er ist kein natürlicher, kein geistiger Bund. Nicht Ein Blut, nicht Ein Glaube (d. h. Geist) bringt ihn zu Stande. In einem natürlichen Bunde, – wie einer Familie, einem Stamme, einer Nation, ja der Menschheit – haben die Einzelnen nur den Wert von Exemplaren derselben Art oder Gattung; in einem geistigen Bunde – wie einer Gemeinde, einer Kirche – bedeutet der Einzelne nur ein Glied desselbigen Geistes; was Du in beiden Fällen als Einziger bist, das muß – unterdrückt werden. Als Einzigen kannst Du Dich bloß im Vereine behaupten, weil der Verein nicht Dich besitzt, sondern Du ihn besitzest oder Dir zu Nutze machst.
Im Vereine, und nur im Vereine, wird das Eigentum anerkannt, weil man das Seine von keinem Wesen mehr zu Lehen trägt. Die Kommunisten führen nur konsequent weiter, was während der religiösen Entwicklung und namentlich im Staate längst vorhanden war, nämlich die Eigentumslosigkeit, d. h. das Feudalwesen.
Der Staat bemüht sich den Begehrlichen zu zähmen, mit andern Worten, er sucht dessen Begierde allein auf ihn zu richten und mit dem sie zu befriedigen, was er ihr bietet. Die Begierde um des Begehrlichen willen zu sättigen, kommt ihm nicht in den Sinn: im Gegenteil schilt er den die ungezügelte Begierde atmenden Menschen einen »egoistischen«, und der »egoistische Mensch« ist sein Feind. Er ist dies für ihn, weil die Befähigung, mit demselben zurecht zu kommen, dem Staate abgeht, der gerade den Egoisten nicht »begreifen« kann. Da es dem Staate, wie nicht anders möglich, lediglich um sich zu tun ist, so sorgt er nicht für meine Bedürfnisse, sondern sorgt nur, wie er Mich umbringe, d. h. ein anderes Ich aus Mir mache, einen guten Bürger. Er trifft Anstalten zur »Sittenverbesserung«. – Und womit gewinnt er die Einzelnen für sich? Mit Sich, d. h. mit dem, was des Staates ist, mit Staatseigentum. Er wird unablässig tätig sein, Alle seiner »Güter« teilhaftig zu machen, Alle mit den »Gütern der Kultur« zu bedenken: er schenkt ihnen seine Erziehung, öffnet ihnen den Zugang zu seinen Kulturanstalten, befähigt sie auf den Wegen der Industrie zu Eigentum, d. h. zu Lehen zu kommen usw. Für all dies Lehen fordert er nur den richtigen Zins eines steten Dankes. Aber die »Undankbaren« vergessen diesen Dank abzutragen – Wesentlich anders nun, als der Staat, kann es die »Gesellschaft« auch nicht machen.
In den Verein bringst Du deine ganze Macht, dein Vermögen, und machst Dich geltend,in der Gesellschaft wirst Du mit deiner Arbeitskraft verwendet; in jenem lebst Du egoistisch, in dieser menschlich, d. h. religiös, als ein »Glied am Leibe dieses Herrn«: der Gesellschaft schuldest Du, was Du hast, und bist ihr verpflichtet, bist von »sozialen Pflichten« – besessen, den Verein benutzest Du und gibst ihn, »pflicht- und treulos« auf, wenn Du keinen Nutzen weiter aus ihm zu ziehen weißt. Ist die Gesellschaft mehr als Du, so geht sie Dir über Dich; der Verein ist nur dein Werkzeug oder das Schwert, wodurch Du deine natürliche Kraft verschärfst und vergrößerst; der Verein ist für Dich und durch Dich da, die Gesellschaft nimmt umgekehrt Dich für sich in Anspruch und ist auch ohne Dich; kurz die Gesellschaft ist heilig, der Verein dein eigen: die Gesellschaft verbraucht Dich, den Verein verbrauchst Du.
Man wird gleichwohl mit dem Einwande nicht zurückhalten, daß Uns die geschlossene Übereinkunft wieder lästig werden und unsere Freiheit beschränken könne; man wird sagen, Wir kämen auch endlich darauf hinaus, daß »Jeder um des Allgemeinen willen einen Teil seiner Freiheit opfern müsse«. Allein um des »Allgemeinen« willen fiele das Opfer ganz und gar nicht, so wenig als Ich die Übereinkunft um des »Allgemeinen« oder auch nur um irgend eines andern Menschen willen schloß; vielmehr ging Ich auf sie nur um meines eigenen Nutzens willen, aus Eigennutz, ein. Was aber das Opfern betrifft, so »opfere« Ich doch wohl nur dasjenige, was nicht in meiner Gewalt steht, d . h. »opfere« gar nichts.
Auf das Eigentum zurückzukommen, so ist Eigentümer der Herr. Wähle denn, ob Du der Herr sein willst, oder die Gesellschaft Herrin sein soll! Davon hängt es ab, ob Du ein Eigner oder ein Lump sein wirst: Der Egoist ist Eigner, der Soziale ein Lump. Lumperei aber oder Eigentumslosigkeit ist der Sinn der Feudalität, des Lehnswesens, das seit dem vorigen Jahrhundert nur den Lehnsherrn vertauscht hat, indem es »den Menschen« an die Stelle Gottes setzte und vom Menschen zu Lehen annahm, was vorher ein Lehen von Gottes Gnaden gewesen war. Daß die Lumperei des Kommunismus durch das humane Prinzip zur absoluten oder lumpigsten Lumperei hinausgeführt wird, ist oben gezeigt worden, zugleich aber auch, wie nur so die Lumperei zur Eigenheit umschlagen kann. Das alte Feudalwesen wurde in der Revolution so gründlich eingestampft, daß seitdem alle reaktionäre List fruchtlos blieb und immer fruchtlos bleiben wird, weil das Tote – tot ist; aber auch die Auferstehung mußte in der christlichen Geschichte sich als eine Wahrheit bewähren und hat sich bewährt: denn in einem Jenseits ist mit verklärtem Leibe die Feudalität wiedererstanden, die neue Feudalität unter der Oberlehnsherrlichkeit »des Menschen«.
Das Christentum ist nicht vernichtet, sondern die Gläubigen haben Recht, wenn sie bisher von jedem Kampfe dagegen vertrauungsvoll annahmen, daß er nur zur Läuterung und Befestigung desselben dienen könne; denn es ist wirklich nur verklärt worden, und »das entdeckte Christentum« ist das – menschliche. Wir leben noch ganz im christlichen Zeitalter, und die sich daran am meisten ärgern, tragen gerade am eifrigsten dazu bei, es zu »vollenden«. Je menschlicher, desto lieber ist Uns die Feudalität geworden; denn desto weniger glauben Wir, daß sie noch Feudalität sei, desto getroster nehmen Wir sie für Eigenheit und meinen unser »Eigenstes« gefunden zu haben, wenn Wir »das Menschliche« entdecken.
Der Liberalismus will Mir das Meinige geben, aber nicht unter dem Titel des Meinigen, sondern unter dem des »Menschlichen« gedenkt er Mir's zu verschaffen. Als wenn es unter dieser Maske zu erreichen wäre! Die Menschenrechte, das teure Werk der Revolution, haben den Sinn, daß der Mensch in Mir Mich zu dem und jenem berechtige: Ich als Einzelner, d. h. als dieser, bin nicht berechtigt, sondern der Mensch hat das Recht und berechtigt Mich. Als Mensch kann Ich daher wohl berechtigt sein, da Ich aber, mehr als Mensch, nämlich ein absonderlicher Mensch bin, so kann es gerade Mir, dem Absonderlichen, verweigert werden. Haltet Ihr hingegen auf den Wert eurer Gaben, haltet sie im Preise, laßt Euch nicht zwingen, unter dem Preise loszuschlagen, laßt Euch nicht einreden, eure Ware sei nicht preiswürdig, macht Euch nicht zum Gespötte durch einen »Spottpreis«, sondern ahmt dem Tapfern nach, welcher sagt: Ich will mein Leben (Eigentum) teuer verkaufen, die Feinde sollen es nicht wohlfeilen Kaufes haben: so habt Ihr das Umgekehrte vom Kommunismus als das Richtige erkannt, und es heißt dann nicht: Gebt euer Eigentum auf! sondern: Verwertet euer Eigentum!
Über der Pforte unserer Zeit steht nicht jenes apollinische: »Erkenne Dich selbst«, sondern ein: Verwerte Dich!
Proudhon nennt das Eigentum »den Raub« (le vol). Es ist aber das fremde Eigentum – und von diesem allein spricht er – nicht minder durch Entsagung, Abtretung und Demut vorhanden, es ist ein Geschenk. Warum so sentimental als ein armer Beraubter das Mitleid anrufen, wenn man doch nur ein törichter, feiger Geschenkgeber ist. Warum auch hier wieder die Schuld Andern zuschieben, als beraubten sie Uns, da Wir doch selbst die Schuld tragen, indem Wir die Andern unberaubt lassen. Die Armen sind daran schuld, daß es Reiche gibt.
Überhaupt ereifert sich Niemand über sein Eigentum, sondern über fremdes. Man greift in Wahrheit nicht das Eigentum an, sondern die Entfremdung des Eigentums. Man will mehr, nicht weniger, sein nennen können, man will alles sein nennen. Man kämpft also gegen die Fremdheit, oder, um ein dem Eigentum ähnliches Wort zu bilden, gegen das Fremdentum. Und wie hilft man sich dabei? Statt das Fremde in Eigenes zu verwandeln, spielt man den Unparteiischen und verlangt nur, daß alles Eigentum einem Dritten (z. B. der menschlichen Gesellschaft) überlassen werde. Man reklamiert das Fremde nicht im eigenen Namen, sondern in dem eines Dritten. Nun ist der »egoistische« Anstrich weggewischt und alles so rein und – menschlich!
Eigentumslosigkeit oder Lumperei, das ist also das »Wesen des Christentums«, wie es das Wesen aller Religiosität (d. h. Frömmigkeit, Sittlichkeit, Menschlichkeit) ist, und nur in der »absoluten Religion« am klarsten sich verkündete und als frohe Botschaft zum entwicklungsfähigen Evangelium wurde. Die sprechendste Entwicklung haben Wir im gegenwärtigen Kampfe wider das Eigentum vor Uns, einem Kampfe, der »den Menschen« zum Siege führen und die Eigentumslosigkeit vollständig machen soll: die siegende Humanität ist der Sieg des – Christentums. Das so »entdeckte Christentum« aber ist die vollendete Feudalität, das allumfassende Lehnswesen, d. h. die – vollkommene Lumperei.
Also wohl noch einmal eine »Revolution« gegen das Feudalwesen? –
Revolution und Empörung dürfen nicht für gleichbedeutend angesehen werden. Jene besteht in einer Umwälzung der Zustände, des bestehenden Zustandes oder status, des Staats oder der Gesellschaft, ist mithin eine politische oder soziale Tat; diese hat zwar eine Umwandlung der Zustände zur unvermeidlichen Folge, geht aber nicht von ihr, sondern von der Unzufriedenheit der Menschen mit sich aus, ist nicht eine Schilderhebung, sondern eine Erhebung der Einzelnen, ein Emporkommen, ohne Rücksicht auf die Einrichtungen, welche daraus entsprießen. Die Revolution zielte auf neue Einrichtungen, die Empörung führt dahin, Uns nicht mehr einrichten zu lassen, sondern Uns selbst einzurichten, und setzt auf »Institutionen« keine glänzende Hoffnung. Sie ist kein Kampf gegen das Bestehende, da, wenn sie gedeiht, das Bestehende von selbst zusammenstürzt, sie ist nur ein Herausarbeiten Meiner aus dem Bestehenden. Verlasse Ich das Bestehende, so ist es tot und geht in Fäulnis über. Da nun nicht der Umsturz eines Bestehenden mein Zweck ist, sondern meine Erhebung darüber, so ist meine Absicht und Tat keine politische oder soziale, sondern, als allein auf Mich und meine Eigenheit gerichtet, eine egoistische.
Einrichtungen zu machen gebietet die Revolution, sich auf– oder emporzurichten heischt die Empörung. Welche Verfassung zu wählen sei, diese Frage beschäftigte die revolutionären Köpfe, und von Verfassungskämpfen und Verfassungsfragen sprudelt die ganze politische Periode, wie auch die sozialen Talente an gesellschaftlichen Einrichtungen (Phalansterien u. dergl.) ungemein erfinderisch waren. Verfassungslos zu werden, bestrebt sich der Empörer.
Indem Ich zu größerer Verdeutlichung auf einen Vergleich sinne, fällt Mir wider Erwarten die Stiftung des Christentums ein. Man vermerkt es liberalerseits den ersten Christen übel, daß sie gegen die bestehende heidnische Staatsordnung Gehorsam predigten, die heidnische Obrigkeit anzuerkennen befahlen und ein »Gebet dem Kaiser, was des Kaisers ist« getrost geboten. Wie viel Aufruhr entstand doch zu derselben Zeit gegen die römische Oberherrschaft, wie aufwieglerisch bewiesen sich die Juden und selbst die Römer gegen ihre eigene weltliche Regierung, kurz wie beliebt war die »politische Unzufriedenheit«! Davon wollten jene Christen nichts wissen; wollten den »liberalen Tendenzen« nicht beitreten. Die Zeit war politisch so aufgeregt, daß man, wie's in den Evangelien heißt, den Stifter des Christentums nicht erfolgreicher anklagen zu können meinte, als wenn man ihn »politischer Umtriebe« bezichtigte, und doch berichten dieselben Evangelien, daß gerade er sich am wenigsten an diesem politischen Treiben beteiligte. Warum aber war er kein Revolutionär, kein Demagoge, wie ihn die Juden gerne gesehen hätten, warum war er kein Liberaler? Weil er von einer Änderung der Zustände kein Heil erwartete, und diese ganze Wirtschaft ihm gleichgültig war. Er war kein Revolutionär, wie z. B. Cäsar, sondern ein Empörer, kein Staatsumwälzer, sondern Einer, der sich emporrichtete. Darum galt es ihm auch allein um ein »Seid klug wie die Schlangen«, was denselben Sinn ausdrückt, als im speziellen Falle jenes »Gebet dem Kaiser, was des Kaisers ist«; er führte ja keinen liberalen oder politischen Kampf gegen die bestehende Obrigkeit, sondern wollte, unbekümmert um und ungestört von dieser Obrigkeit, seinen eigenen Weg wandeln. Nicht minder gleichgültig als die Regierung waren ihm deren Feinde, denn was er wollte, verstanden beide nicht, und er hatte sie nur mit Schlangenklugheit von sich abzuhalten. Wenn aber auch kein Volksaufwiegler, kein Demagog oder Revolutionär, so war er und jeder der alten Christen um so mehr ein Empörer, der über Alles sich emporhob, was der Regierung und ihren Widersachern erhaben dünkte, und von Allem sich entband, woran jene gebunden blieben, und der zugleich die Lebensquellen der ganzen heidnischen Welt abgrub, mit welchen der bestehende Staat ohnehin verwelken mußte: er war gerade darum, weil er das Umwerfen des Bestehenden von sich wies, der Todfeind und wirkliche Vernichter desselben; denn er mauerte es ein, indem er darüber getrost und rücksichtslos den Bau seines Tempels aufführte, ohne auf die Schmerzen des Eingemauerten zu achten.
Nun, wie der heidnischen Weltordnung geschah, wird's so der christlichen ergehen? Eine Revolution führt gewiß das Ende nicht herbei, wenn nicht vorher eine Empörung vollbracht ist!
Mein Verkehr mit der Welt, worauf geht er hinaus? Genießen will Ich sie, darum muß sie mein Eigentum sein, und darum will Ich sie gewinnen. Ich will nicht die Freiheit, nicht die Gleichheit der Menschen; Ich will nur meine Macht über sie, will sie zu meinem Eigentum, d. h. genießbar machen. Und gelingt Mir das nicht, nun, die Gewalt über Leben und Tod, die Kirche und Staat sich vorbehielten, Ich nenne auch sie die – meinige. Brandmarkt jene Offizier-Witwe, die auf der Flucht in Rußland, nachdem ihr das Bein weggeschossen, das Strumpfband von diesem abzieht, ihr Kind damit erdrosselt und dann neben der Leiche verblutet, – brandmarkt das Andenken der – Kindesmörderin. Wer weiß, wie viel dies Kind, wenn es am Leben blieb, »der Welt hätte nützen« können! Die Mutter ermordete es, weil sie befriedigt und beruhigt sterben wollte. Dieser Fall sagt eurer Sentimentalität vielleicht noch zu, und Ihr wißt nichts Weiteres aus ihm herauszulesen. Es sei; Ich Meinerseits gebrauche ihn als Beispiel dafür, daß meine Befriedigung über mein Verhältnis zu den Menschen entscheidet, und daß Ich auch der Macht über Leben und Tod aus keiner Anwandlung von Demut entsage.
Was überhaupt die »Sozialpflichten« anlangt, so gibt Mir nicht ein Anderer meine Stellung zu Andern, also weder Gott noch die Menschlichkeit schreibt Mir meine Beziehung zu den Menschen vor, sondern Ich gebe Mir diese Stellung. Sprechender ist dies damit gesagt: Ich habe gegen Andere keine Pflicht, wie Ich auch nur so lange gegen Mich eine Pflicht habe (z. B. die der Selbsterhaltung, also nicht Selbstmord), als Ich Mich von Mir unterscheide (meine unsterbliche Seele von meinem Erdendasein usw.).
Ich demütige Mich vor keiner Macht mehr und erkenne, daß alle Mächte nur meine Macht sind, die Ich sogleich zu unterwerfen habe, wenn sie eine Macht gegen oder über Mich zu werden drohen; jede derselben darf nur eins meiner Mittel sein, Mich durchzusetzen, wie ein Jagdhund unsere Macht gegen das Wild ist, aber von Uns getötet wird, wenn er Uns selbst anfiele. Alle Mächte, die Mich beherrschen, setze Ich dann dazu herab, Mir zu dienen. Die Götzen sind durch Mich: Ich brauche sie nur nicht von neuem zu schaffen, so sind sie nicht mehr; »höhere Mächte« sind nur dadurch, daß Ich sie erhöhe und Mich niedriger stelle.
Somit ist denn mein Verhältnis zur Welt dieses: Ich tue für sie nichts mehr »um Gottes willen«, Ich tue nichts »um des Menschen willen«, sondern, was Ich tue, das tue Ich »um Meinetwillen«. So allein befriedigt Mich die Welt, während für den religiösen Standpunkt, wohin Ich auch den sittlichen und humanen rechne, es bezeichnend ist, daß Alles darauf ein frommer Wunsch (pium desiderium), d. h. ein Jenseits, ein Unerreichtes bleibt. So die allgemeine Seligkeit der Menschen, die sittliche Welt einer allgemeinen Liebe, der ewige Friede, das Aufhören des Egoismus usw. »Nichts in dieser Welt ist vollkommen«. Mit diesem leidigen Spruche scheiden die Guten von ihr und flüchten sich in ihr Kämmerlein zu Gott oder in ihr stolzes »Selbstbewußtsein«. Wir aber bleiben in dieser »unvollkommenen« Welt, weil Wir sie auch so brauchen können zu unserem – Selbstgenuß.
Mein Verkehr mit der Welt besteht darin, daß Ich sie genieße und so sie zu meinem Selbstgenuß verbrauche. Der Verkehr ist Weltgenuß und gehört zu meinem – Selbstgenuß.