Max Stirner
Der Einzige und sein Eigentum
Max Stirner

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3. Die Freien

Wenn oben die Alten und die Neuen in zwei Abteilungen vorgeführt wurden, so könnte es scheinen, als sollten hier in einer dritten Abteilung die Freien für selbständig und abgesondert ausgegeben werden. Dem ist nicht so. Die Freien sind nur die Neueren und Neuesten unter den »Neuen« und werden bloß deshalb in eine besondere Abteilung gebracht, weil sie der Gegenwart angehören, und das Gegenwärtige vor Allem unsere Aufmerksamkeit hier in Anspruch nimmt. Ich gebe die »Freien« nur als eine Übersetzung der Liberalen, muß aber rücksichtlich des Freiheitsbegriffes wie überhaupt so manches Anderen, dessen vorgreifliche Heranziehung nicht vermieden werden kann, auf Späteres verweisen.

§1. Der politische Liberalismus

Nachdem man den Kelch des sogenannten absoluten Königtums so ziemlich bis auf den Bodensatz geleert hatte, ward man im achtzehnten Jahrhundert zu deutlich inne, daß sein Getränk nicht menschlich schmecke, um nicht auf einen andern Becher lüstern zu werden. »Menschen«, was Unsere Väter doch waren, verlangten sie endlich, auch so angesehen zu werden.

Wer in Uns etwas Anderes sieht, als Menschen, in dem wollen Wir gleichfalls nicht einen Menschen, sondern einen Unmenschen sehen, und ihm wie einem Unmenschen begegnen; wer dagegen Uns als Menschen anerkennt und gegen die Gefahr schützt, unmenschlich behandelt zu werden, den wollen Wir als Unsern wahren Beschützer und Schirmherrn ehren.

Halten Wir denn zusammen, und schützen Wir einer im andern den Menschen; dann finden Wir in Unserem Zusammenhalt den nötigen Schutz, und in Uns, den Zusammenhaltenden, eine Gemeinschaft derer, die ihre Menschenwürde kennen und als »Menschen« zusammenhalten. Unser Zusammenhalt ist der Staat, Wir Zusammenhaltenden sind die Nation.

In Unserem Zusammen als Nation oder Staat sind Wir nur Menschen. Wie Wir Uns sonst als Einzelne benehmen, und welchen selbstsüchtigen Trieben Wir da erliegen mögen, das gehört lediglich Unserem Privatleben an; Unser öffentliches oder Staatsleben ist ein rein menschliches. Was Unmenschliches oder »Egoistisches« an Uns haftet, das ist zur »Privatsache« erniedrigt, und Wir scheiden genau den Staat von der »bürgerlichen Gesellschaft«, in welcher der »Egoismus« sein Wesen treibt.

Der wahre Mensch ist die Nation, der Einzelne aber stets ein Egoist. Darum streifet Eure Einzelheit oder Vereinzelung ab, in welcher die egoistische Ungleichheit und der Unfriede hauset, und weihet Euch ganz dem wahren Menschen, der Nation oder dem Staate. Dann werdet Ihr als Menschen gelten und alles haben, was des Menschen ist; der Staat, der wahre Mensch, wird Euch zu dem Seinigen berechtigen und Euch die »Menschenrechte« geben: der Mensch gibt Euch seine Rechte!

So lautet die Rede des Bürgertums.

Das Bürgertum ist nichts anderes als der Gedanke, daß der Staat alles in allem, der wahre Mensch sei, und daß des Einzelnen Menschenwert darin bestehe, ein Staatsbürger zu sein. Ein guter Bürger zu sein, darin sucht er seine höchste Ehre, darüber hinaus kennt er nichts Höheres als höchstens das antiquierte – ein guter Christ.

Das Bürgertum entwickelte sich im Kampfe gegen die privilegierten Stände, von denen es als »dritter Stand« cavalièrement behandelt und mit der »canaille« zusammengeworfen wurde. Man hatte also im Staate bis jetzt »die ungleiche Person angesehen«. Der Sohn eines Adeligen war zu Chargen ausersehen, nach denen die ausgezeichnetsten Bürgerlichen vergebens aufschauten usw. Dagegen empörte sich das bürgerliche Gefühl. Keine Auszeichnung mehr, keine Bevorzugung von Personen, kein Standesunterschied! Alle seien gleich! Kein SonderInteresse soll ferner verfolgt werden, sondern das allgemeine Interesse Aller. Der Staat soll eine Gemeinschaft von freien und gleichen Menschen sein, und Jeder sich dem »Wohle des Ganzen« widmen, in den Staat aufgehen, den Staat zu seinem Zweck und Ideal machen. Staat! Staat! so lautete der allgemeine Ruf, und fortan suchte man die »rechte Staatsverfassung«, die beste Konstitution, also den Staat in seiner besten Fassung. Der Gedanke des Staats zog in alle Herzen ein und weckte Begeisterung; ihm zu dienen, diesem weltlichen Gotte, das ward der neue Gottesdienst und Kultus. Die eigentlich politische Epoche war angebrochen. Dem Staate oder der Nation dienen, das ward höchstes Ideal, Staatsinteresse – höchstes Interesse, Staatsdienst (wozu man keineswegs Beamter zu sein braucht) höchste Ehre.

So waren denn die Sonder–Interessen und Persönlichkeiten verscheucht und die Aufopferung für den Staat zum Schibboleth geworden. Sich muß man aufgeben und nur dem Staate leben. Man muß »uninteressiert« handeln, muß nicht sich nützen wollen, sondern dem Staate. Dieser ist dadurch zur eigentlichen Person geworden, vor welcher die einzelne Persönlichkeit verschwindet: nicht Ich lebe, sondern Er lebet in Mir. Darum war man gegen die frühere Selbstsucht gehalten, die Uneigennützigkeit und Unpersönlichkeit selber. Vor diesem Gotte, – Staat –, verschwand jeder Egoismus, und vor ihm waren Alle gleich: sie waren ohne allen andern Unterschied – Menschen, nichts als Menschen.

An dem entzündlichen Stoffe des Eigentums entbrannte die Revolution. Die Regierung brauchte Geld. Jetzt mußte sie den Satz, daß sie absolut, mithin Herrin alles Eigentums, alleinige Eigentümerin sei, bewähren; sie mußte ihr Geld, welches sich nur im Besitz, nicht im Eigentum der Untertanen befand, an sich nehmen. Statt dessen beruft sie Generalstände, um sich dies Geld bewilligen zu lassen. Die Furcht vor der letzten Konsequenz zerstörte die Illusion einer absoluten Regierung; wer sich etwas »bewilligen« lassen muß, der kann nicht für absolut angesehen werden. Die Untertanen erkannten, daß sie wirkliche Eigentümer seien, und daß es ihr Geld sei, welches man fordere. Die bisherigen Untertanen erlangten das Bewußtsein, daß sie Eigentümer seien. Mit wenig Worten schildert dies Bailly: »Wenn ihr nicht ohne meine Einstimmung über mein Eigentum verfügen könnt, wieviel weniger könnt ihr es über meine Person, über Alles, was meine geistige und gesellschaftliche Stellung angeht! Alles das ist mein Eigentum, wie das Stück Land, das ich beackere: und ich habe ein Recht, ein Interesse, die Gesetze selber zu machen.« Baillys Worte klingen freilich so, als wäre nun Jeder ein Eigentümer. Indes statt der Regierung, statt des Fürsten, ward jetzt Eigentümerin und Herrin – die Nation. Von nun an heißt das Ideal – »Volksfreiheit – ein freies Volk« usw.

Schon am 8. Juli 1789 zerstörte die Erklärung des Bischofs von Autun und Barrères den Schein, als sei Jeder, der Einzelne, von Bedeutung in der Gesetzgebung: sie zeigte die völlige Machtlosigkeit der Kommittenten: die Majorität der Repräsentanten ist Herrin geworden. Als am 9. Juli der Plan über Einteilung der Verfassungsarbeiten vorgetragen wird, bemerkt Mirabeau: »Die Regierung habe nur Gewalt, kein Recht; nur im Volke sei die Quelle alles Rechts zu finden.« Am 16. Juli ruft ebenderselbe Mirabeau aus: »Ist nicht das Volk die Quelle aller Gewalt?« Also die Quelle alles Rechts und die Quelle aller – Gewalt! Beiläufig gesagt, kommt hier der Inhalt des »Rechts« zum Vorschein: es ist die – Gewalt. »Wer die Gewalt hat, der hat das Recht.«

Das Bürgertum ist der Erbe der privilegierten Stände. In der Tat gingen nur die Rechte der Barone, die als »Usurpationen« ihnen abgenommen wurden, auf das Bürgertum über. Denn das Bürgertum hieß nun die »Nation«. »In die Hände der Nation« wurden alle Vorrechte zurückgegeben. Dadurch hörten sie auf, »Vorrechte« zu sein: sie wurden »Rechte«. Die Nation fordert von nun an Zehnten, Frondienste, sie hat das Herrengericht geerbt, die Jagdgerechtigkeit, die – Leibeigenen. Die Nacht vom 4. August war die Todesnacht der Privilegien oder »Vorrechte« (auch Städte, Gemeinden, Magistrate waren privilegiert, mit Vorrechten und Herrenrechten versehen), und endete mit dem neuen Morgen des »Rechtes«, der »Staatsrechte«, der »Rechte der Nation«.

Der Monarch in der Person des »königlichen Herren« war ein armseliger Monarch gewesen gegen diesen neuen Monarchen, die »souveräne Nation«. Diese Monarchie war tausendfach schärfer, strenger und konsequenter. Gegen den neuen Monarchen gab es gar kein Recht, kein Privilegium mehr; wie beschränkt nimmt sich dagegen der »absolute König« des ancien régime aus! Die Revolution bewirkte die Umwandlung der beschränkten Monarchie in die absolute Monarchie. Von nun an ist jedes Recht, welches nicht von diesem Monarchen verliehen wird, eine »Anmaßung«, jedes Vorrecht aber, welches Er erteilt, ein »Recht«. Die Zeit verlangte nach dem absoluten Königtum, der absoluten Monarchie, darum fiel jenes sogenannte absolute Königtum, welches so wenig absolut zu werden verstanden hatte, daß es durch tausend kleine Herren beschränkt blieb.

Was Jahrtausende ersehnt und erstrebt wurde, nämlich jenen absoluten Herrn zu finden, neben dem keine anderen Herren und Herrchen mehr machtverkürzend beständen, das hat die Bourgeoisie hervorgebracht. Sie hat den Herrn offenbart, welcher allein »Rechtstitel« verleiht, und ohne dessen Gewährung nichts berechtigt ist. »So wissen wir nun, daß ein Götze nichts in der Welt sei, und daß kein ander Gott sei ohne der einige.«

Gegen das Recht kann man nicht mehr, wie gegen ein Recht, mit der Behauptung auftreten, es sei »ein Unrecht«. Man kann nur noch sagen, es sei Unsinn, eine Illusion. Nennete man's Unrecht, so müßte man ein anderes Recht dagegenstellen und an diesem es messen. Verwirft man hingegen das Recht als solches, das Recht an und für sich, ganz und gar, so verwirft man auch den Begriff des Unrechts, und löst den ganzen Rechtsbegriff (wozu der Unrechtsbegriff gehört) auf.

Was heißt das, Wir genießen Alle »Gleichheit der politischen Rechte?« Nur dies, daß der Staat keine Rücksicht auf Meine Person nehme, daß Ich ihm, wie jeder Andere, nur ein Mensch bin, ohne eine andere ihm imponierende Bedeutung zu haben. Ich imponiere ihm nicht als Adliger, Sohn eines Edelmannes, oder gar als Erbe eines Beamten, dessen Amt Mir erblich zugehört (wie im Mittelalter die Grafschaften usw. und später unter dem absoluten Königtum, wo erbliche Ämter vorkommen). Nun hat der Staat eine unzählige Menge von Rechten zu vergeben, z. B. das Recht, ein Bataillon, eine Kompagnie usw. zu führen, das Recht, an einer Universität zu lesen usw.; er hat sie zu vergeben, weil sie die seinigen, d. h. Staatsrechte oder »politische« Rechte sind. Dabei ist's ihm gleich, an wen er sie erteilt, wenn der Empfänger nur die Pflichten erfüllt, welche aus den überlassenen Rechten entspringen. Wir sind ihm Alle recht und – gleich, Einer nicht mehr und nicht weniger wert, als der Andere. Wer den Armeebefehl empfängt, das gilt Mir gleich, spricht der souveräne Staat, vorausgesetzt, daß der Belehnte die Sache gehörig versteht. »Gleichheit der politischen Rechte« hat sonach den Sinn, daß Jeder jedes Recht, welches der Staat zu vergeben hat, erwerben darf, wenn er nur die daran geknüpften Bedingungen erfüllt, Bedingungen, welche nur in der Natur des jedesmaligen Rechtes, nicht in einer Vorliebe für die Person (persona grata) gesucht werden sollen: die Natur des Rechtes, Offizier zu werden, bringt es z. B. mit sich, daß man gesunde Glieder und ein angemessenes Maß von Kenntnissen besitze, aber sie hat nicht adlige Geburt zur Bedingung; könnte hingegen selbst der verdienteste Bürgerliche jene Charge nicht erreichen, so fände eine Ungleichheit der politischen Rechte statt. Unter den heutigen Staaten hat der eine mehr, der andere weniger jenen Gleichheitsgrundsatz durchgeführt.

Die Ständemonarchie (so will Ich das absolute Königtum, die Zeit der Könige vor der Revolution, nennen) erhielt den Einzelnen in Abhängigkeit von lauter kleinen Monarchien. Dies waren Genossenschaften (Gesellschaften), wie die Zünfte, der Adelstand, Priesterstand, Bürgerstand, Städte, Gemeinden usw. Überall mußte der Einzelne sich zuerst als ein Glied dieser kleinen Gesellschaft ansehen und dem Geiste derselben, dem esprit de corps, als seinem Monarchen unbedingten Gehorsam leisten. Mehr als der einzelne Adlige z. B. sich selbst, muß ihm seine Familie, die Ehre seines Stammes, gelten. Nur mittelst seiner Korporation, seines Standes, bezog sich der Einzelne auf die größere Korporation, den Staat; wie im Katholizismus der Einzelne erst durch den Priester sich mit Gott vermittelt. Dem machte nun der dritte Stand, indem er den Mut bewies, sich als Stand zu negieren, ein Ende. Er entschloß sich, nicht mehr ein Stand neben andern Ständen zu sein und zu heißen, sondern zur »Nation« sich zu verklären und verallgemeinern. Dadurch erschuf er eine viel vollkommnere und absolutere Monarchie, und das ganze vorher herrschende Prinzip der Stände, das Prinzip der kleinen Monarchien innerhalb der großen, ging zu Grunde. Man kann aber nicht sagen, die Revolution habe den beiden ersten privilegierten Ständen gegolten, sondern sie galt den kleinen ständischen Monarchien überhaupt. Waren aber die Stände und ihre Zwingherrschaft gebrochen (auch der König war ja nur ein Ständekönig, kein Bürgerkönig), so blieben die aus der Standesungleichheit befreiten Individuen übrig. Sollten sie nun wirklich ohne Stand und aus »Rand und Band« sein, durch keinen Stand (status) mehr gebunden ohne allgemeines Band? Nein, es hatte ja nur deshalb der dritte Stand sich zur Nation erklärt, um nicht ein Stand neben andern Ständen zu bleiben, sondern der einzige Stand zu werden. Dieser einzige Stand ist die Nation, der »Staat« (status). Was war nun aus dem Einzelnen geworden? Ein politischer Protestant, denn er war mit seinem Gotte, dem Staate, in unmittelbaren Konnex getreten. Er war nicht mehr als Adliger in der Noblessenmonarchie, als Handwerker in der Zunftmonarchie, sondern Er wie Alle erkannten und bekannten nur – Einen Herrn, den Staat, als dessen Diener sie sämtlich den gleichen Ehrentitel »Bürger« erhielten.

Die Bourgeoisie ist der Adel des Verdienstes, »dem Verdienste seine Kronen« – ihr Wahlspruch. Sie kämpfte gegen den »faulen« Adel, denn nach ihr, dem fleißigen, durch Fleiß und Verdienst erworbenen Adel, ist nicht der »Geborene« frei, aber auch nicht Ich bin frei, sondern der »Verdienstvolle«, der redliche Diener (seines Königs; des Staates; des Volkes in den konstitutionellen Staaten). Durch Dienen erwirbt man Freiheit, d. h. erwirbt sich »Verdienste« und diente man auch dem – Mammon. Verdient machen muß man sich um den Staat, d. h. um das Prinzip des Staates, um den sittlichen Geist desselben. Wer diesem Geiste des Staates dient, der ist, er lebe, welchem rechtlichen Erwerbszweige er wolle, ein guter Bürger. In ihren Augen treiben die »Neuerer« eine »brotlose Kunst«. Nur der »Krämer« ist »praktisch«, und Krämergeist ist so gut der, der nach Beamtenstellen jagt, als der, welcher im Handel sein Schäfchen zu scheren oder sonstwie sich und Andern nützlich zu werden sucht.

Gelten aber die Verdienstvollen als die Freien (denn was fehlt dem behaglichen Bürger, dem treuen Beamten an derjenigen Freiheit, nach der sein Herz verlangt?), so sind die »Diener« die – Freien. Der gehorsame Diener ist der freie Mensch! Welch eine Härte der Widersinnigkeit! Dennoch ist dies der Sinn der Bourgeoisie, und ihr Dichter Goethe, wie ihr Philosoph Hegel haben die Abhängigkeit des Subjekts vom Objekt, den Gehorsam gegen die Objektive Welt usw. zu verherrlichen gewußt. Wer nur der Sache dient, »sich ihr ganz hingibt«, der hat die wahre Freiheit. Und die Sache war bei den Denkenden die – Vernunft, sie, die gleich Staat und Kirche – allgemeine Gesetze gibt und durch den Gedanken der Menschheit den einzelnen Menschen in Bande schlägt. Sie bestimmt, was »wahr« sei, wonach man sich dann zu richten hat. Keine »vernünftigeren« Leute als die redlichen Diener, die zunächst als Diener des Staates gute Bürger genannt werden.

Sei Du steinreich oder blutarm – das überläßt der Staat des Bürgertums Deinem Belieben; habe aber nur eine »gute Gesinnung«. Sie verlangt er von Dir und hält es für seine dringendste Aufgabe, dieselbe bei Allen herzustellen. Darum wird er vor »bösen Einflüsterungen« Dich bewahren, indem er die »Übelgesinnten« im Zaume hält und ihre aufregenden Reden unter Zensurstrichen oder Preßstrafen und hinter Kerkermauern verstummen läßt, und wird anderseits Leute von »guter Gesinnung« zu Zensoren bestellen und auf alle Weise von »Wohlgesinnten und Wohlmeinenden« einen moralischen Einfluß auf Dich ausüben lassen. Hat er Dich gegen die bösen Einflüsterungen taub gemacht, so öffnet er Dir um so emsiger die Ohren wieder für die guten Einflüsterungen.

Mit der Zeit der Bourgeoisie beginnt die des Liberalismus. Man will überall das »Vernünftige«, das »Zeitgemäße« usw. hergestellt sehen. Folgende Definition des Liberalismus, die ihm zu Ehren gesagt sein soll, bezeichnet ihn vollständig: »Der Liberalismus ist nichts anders, als die Vernunfterkenntnis angewandt auf unsere bestehenden Verhältnisse.« Sein Ziel ist eine »vernünftige Ordnung«, ein »sittliches Verhalten«, eine »beschränkte Freiheit«, nicht die Anarchie, die Gesetzlosigkeit, die Eigenheit. Herrscht aber die Vernunft, so unterliegt die Person. Die Kunst hat längst das Häßliche nicht nur gelten lassen, sondern als zu ihrem Bestehen notwendig erachtet und in sich aufgenommen: sie braucht den Bösewicht usw. Auch im religiösen Gebiete gehen die extremsten Liberalen so weit, daß sie den religiösesten Menschen für einen Staatsbürger angesehen wissen wollen, d. h. den religiösen Bösewicht; sie wollen nichts mehr von Ketzergerichten wissen. Aber gegen das »vernünftige Gesetz« soll sich Keiner empören, sonst droht ihm die härteste – Strafe. Man will nicht eine freie Bewegung und Geltung der Person oder Meiner, sondern der Vernunft, d. h. eine Vernunftherrschaft, eine Herrschaft. Die Liberalen sind Eiferer, nicht gerade für den Glauben, für Gott usw., wohl aber für die Vernunft, ihre Herrin. Sie vertragen keine Ungezogenheit und darum keine Selbstentwicklung und Selbstbestimmung: sie bevormunden trotz den absolutesten Herrschern.

»Politische Freiheit«, was soll man sich darunter denken? Etwa die Freiheit des Einzelnen vom Staate und seinen Gesetzen? Nein, im Gegenteil die Gebundenheit des Einzelnen im Staate und an die Staatsgesetze. Warum aber »Freiheit«? Weil man nicht mehr vom Staate durch Mittelspersonen getrennt wird, sondern in direkter und unmittelbarer Beziehung zu ihm steht, weil man – Staatsbürger ist, nicht Untertan eines Andern, selbst nicht des Königs als einer Person, sondern nur in seiner Eigenschaft als »Staatsoberhaupt«. Die politische Freiheit, diese Grundlehre des Liberalismus, ist nichts als eine zweite Phase des – Protestantismus und läuft mit der »religiösen Freiheit« ganz parallel. Oder wäre etwa unter letzterer eine Freiheit von der Religion zu verstehen? Nichts weniger als das. Nur die Freiheit von Mittelspersonen soll damit ausgesprochen werden, die Freiheit von vermittelnden Priestern, die Aufhebung der »Laienschaft«, also das direkte und unmittelbare Verhältnis zur Religion oder zu Gott. Nur unter der Voraussetzung, daß man Religion habe, kann man Religionsfreiheit genießen, Religionsfreiheit heißt nicht Religionslosigkeit, sondern Glaubensinnigkeit, unvermittelter Verkehr mit Gott. Wer »religiös frei« ist, dem ist die Religion eine Herzens-Sache, ist ihm seine eigene Sache, ist ihm ein »heiliger Ernst«. So auch ist's dem »politisch Freien« ein heiliger Ernst mit dem Staate, er ist seine Herzenssache, seine Hauptsache, seine eigene Sache.

Politische Freiheit sagt dies, daß die Polis, der Staat, frei ist, Religionsfreiheit dies, daß die Religion frei ist, wie Gewissensfreiheit dies bedeutet, daß das Gewissen frei ist; also nicht, daß Ich vom Staate, von der Religion, vom Gewissen frei, oder daß Ich sie los bin. Sie bedeutet nicht Meine Freiheit, sondern die Freiheit einer Mich beherrschenden und bezwingenden Macht; sie bedeutet, daß einer Meiner Zwingherrn, wie Staat, Religion, Gewissen frei sind. Staat, Religion, Gewissen, diese Zwingherrn, machen Mich zum Sklaven, und ihre Freiheit ist Meine Sklaverei. Daß sie dabei notwendig dem Grundsatze »der Zweck heiligt die Mittel« folgen, versteht sich von selbst. Ist das Staatswohl Zweck, so ist der Krieg ein geheiligtes Mittel; ist die Gerechtigkeit Staatszweck, so ist der Totschlag ein geheiligtes Mittel und heißt mit seinem heiligen Namen: »Hinrichtung« usw. der heilige Staat heiligt alles, was ihm frommt.

Die »individuelle Freiheit«, über welche der bürgerliche Liberalismus eifersüchtig wacht, bedeutet keineswegs eine vollkommen freie Selbstbestimmung, wodurch die Handlungen ganz die Meinigen werden, sondern nur Unabhängigkeit von Personen. Individuell frei ist, wer keinem Menschen verantwortlich ist. In diesem Sinne gefaßt – und man darf sie nicht anders verstehen – ist nicht bloß der Herrscher individuell frei d. i. unverantwortlich gegen Menschen (»vor Gott« bekennt er sich ja verantwortlich), sondern Alle, welche »nur dem Gesetze verantwortlich sind«. Diese Art der Freiheit wurde durch die revolutionäre Bewegung des Jahrhunderts errungen, die Unabhängigkeit nämlich vom Belieben, vom tel est notre plaisir. Daher mußte der konstitutionelle Fürst selbst aller Persönlichkeit entkleidet, alles individuellen Beschließens beraubt werden, um nicht als Person, als individueller Mensch, die »individuelle Freiheit« Anderer zu verletzen. Der persönliche Herrscherwille ist im konstitutionellen Fürsten verschwunden; mit richtigem Gefühl wehren sich daher die absoluten dagegen. Gleichwohl wollen gerade diese im besten Sinne »christliche Fürsten« sein. Dazu müßten sie aber eine rein geistige Macht werden, da der Christ nur dem Geiste untertan ist (»Gott ist Geist«). Konsequent stellt die rein geistige Macht nur der konstitutionelle Fürst dar, er, der ohne alle persönliche Bedeutung in dem Grade vergeistigt dasteht, daß er für einen vollkommenen unheimlichen »Geist« gelten kann, für eine Idee. Der konstitutionelle König ist der wahrhaft christliche König, die echte Konsequenz des christlichen Prinzips. In der konstitutionellen Monarchie hat die individuelle Herrschaft, d. h. ein wirklich wollender Herrscher, sein Ende gefunden; darum waltet hier die individuelle Freiheit, Unabhängigkeit von jedem individuellen Gebieter, von Jedem, der Mir mit einem tel est notre plaisir gebieten könnte. Sie ist das vollendete christliche Staatsleben, ein vergeistigtes Leben.

Das Bürgertum benimmt sich durch und durch liberal. Jeder persönliche Eingriff in die Sphäre des Andern empört den bürgerlichen Sinn: sieht der Bürger, daß man von der Laune, dem Belieben, dem Willen eines Menschen als Einzelnen (d. h. als nicht durch eine »höhere Macht« Autorisierten) abhängig ist, gleich kehrt er seinen Liberalismus heraus und schreit über »Willkür«. Genug, der Bürger behauptet seine Freiheit von dem, was man Befehl (ordonnance) nennt: »Mir hat niemand etwas zu – befehlen!« Befehl hat den Sinn, daß das, was Ich soll, der Wille eines andern Menschen ist, wogegen Gesetz nicht eine persönliche Gewalt des Andern ausdrückt. Die Freiheit des Bürgertums ist die Freiheit oder Unabhängigkeit vom Willen einer andern Person, die sogenannte persönliche oder individuelle Freiheit; denn persönlich frei sein heißt nur so frei sein, daß keine andere Person über die Meinige verfügen kann, oder daß was Ich darf oder nicht darf, nicht von der persönlichen Bestimmung eines Andern abhängt. Die Preßfreiheit unter andern ist eine solche Freiheit des Liberalismus, der nur den Zwang der Zensur als den der persönlichen Willkür bekämpft, sonst aber jene durch »Preßgesetze« zu tyrannisieren äußerst geneigt und willig sich zeigt, d. h. die bürgerlichen Liberalen wollen Schreibefreiheit für sich; denn da sie gesetzlich sind, werden sie durch ihre Schriften nicht dem Gesetze verfallen. Nur Liberales d. h. nur Gesetzliches soll gedruckt werden dürfen; sonst drohen die »Preßgesetze« mit »Preßstrafen«. Sieht man die persönliche Freiheit gesichert, so merkt man gar nicht, wie, wenn es nun zu etwas Weiterem kommt, die grellste Unfreiheit herrschend wird. Denn den Befehl ist man zwar los, und »Niemand hat Uns was zu befehlen«, aber um so unterwürfiger ist man dafür geworden dem – Gesetze. Man wird nun in aller Form Rechtens geknechtet.

Im Bürger-Staate gibt es nur »freie Leute«, die zu Tausenderlei (z. B. zu Ehrerbietung, zu einem Glaubensbekenntnis u. dergl.) gezwungen werden. Was tut das aber? Es zwingt sie ja nur der – Staat, das Gesetz, nicht irgend ein Mensch!

Was will das Bürgertum damit, daß es gegen jeden persönlichen, d. h. nicht in der »Sache«, der »Vernunft« usw. begründeten Befehl eifert? Es kämpft eben nur im Interesse der »Sache« gegen die Herrschaft der »Personen«! Sache des Geistes ist aber das Vernünftige, Gute, Gesetzliche usw.; das ist die »gute Sache«. Das Bürgertum will einen unpersönlichen Herrscher.

Ist ferner das Prinzip dies, daß nur die Sache den Menschen beherrschen soll, nämlich die Sache der Sittlichkeit, die Sache der Gesetzlichkeit usw., so darf auch keinerlei persönliche Verkürzung des Einen durch den Andern autorisiert werden (wie früher z. B. der Bürgerliche um die Adelsämter verkürzt wurde, der Adlige um bürgerliches Handwerk usw.), d. h. es muß freie Konkurrenz stattfinden. Nur durch die Sache kann Einer den Andern verkürzen (der Reiche z. B. den Unbemittelten durch das Geld, eine Sache), als Person nicht. Es gilt fortan nur Eine Herrschaft, die Herrschaft des Staats; persönlich ist Keiner mehr ein Herr des Andern. Schon bei der Geburt gehören die Kinder dem Staate und den Eltern nur im Namen des Staates, der z. B. den Kindermord nicht duldet, die Taufe derselben fordert usw.

Aber dem Staate gelten auch alle seine Kinder ganz gleich (»bürgerliche oder politische Gleichheit«), und sie mögen selbst zusehen, wie sie miteinander fertig werden: sie mögen konkurrieren.

Freie Konkurrenz bedeutet nichts Anderes, als daß Jeder gegen den Andern auftreten, sich geltend machen, kämpfen kann. Dagegen sperrte sich natürlich die feudale Partei, da ihre Existenz vom Nichtkonkurrieren abhängt. Die Kämpfe in der Restaurationszeit Frankreichs hatten keinen andern Inhalt, als den, daß die Bourgeoisie nach freier Konkurrenz rang, und die Feudalen die Zünftigkeit zurückzubringen suchten.

Nun, die freie Konkurrenz hat gesiegt und mußte gegen die Zünftigkeit siegen. (Das Weitere siehe unten.)

Verlief sich die Revolution in eine Reaktion, so kam dadurch nur zu Tage, was die Revolution eigentlich war. Denn jedes Streben gelangt dann in die Reaktion, wenn es zur Besinnung kommt, und stürmt nur so lange in die ursprüngliche Aktion vorwärts, als es ein Rausch, eine »Unbesonnenheit« ist. »Besonnenheit« wird stets das Stichwort der Reaktion sein, weil die Besonnenheit Grenzen setzt, und das eigentliche Gewollte, d. h. das Prinzip, von der anfänglichen »Zügellosigkeit« und »Schrankenlosigkeit« befreit. Wilde Bursche, renommierende Studenten, die alle Rücksichten aus den Augen setzen, sind eigentlich Philister, da bei ihnen wie bei diesen die Rücksichten den Inhalt ihres Treibens bilden, nur daß sie als Bramarbasse sich gegen die Rücksichten auflehnen und negativ verhalten, als Philister später sich ihnen ergeben und positiv dazu verhalten. Um die »Rücksichten« dreht sich in beiden Fällen ihr gesamtes Tun und Denken, aber der Philister ist gegen den Burschen reaktionär, ist der zur Besinnung gekommene wilde Geselle, wie dieser der unbesonnene Philister ist. Die alltägliche Erfahrung bestätigt die Wahrheit dieses Umschlagens und zeigt, wie die Renommisten zu Philistern ergrauen.

So beweist auch die sogenannte Reaktion in Deutschland, wie sie nur die besonnene Fortsetzung des kriegerischen Freiheitsjubels war.

Die Revolution war nicht gegen das Bestehende gerichtet, sondern gegen dieses Bestehende, gegen einen bestimmten Bestand. Sie schaffte diesen Herrscher ab, nicht den Herrscher, im Gegenteil wurden die Franzosen aufs unerbittlichste beherrscht; sie tötete die alten Lasterhaften, wollte aber den Tugendhaften ein sicheres Bestehen gewähren, d. h. sie setzte an die Stelle des Lasters nur die Tugend. (Laster und Tugend unterscheiden sich ihrerseits wieder nur, wie ein wilder Bursche von einem Philister) usw.

Bis auf den heutigen Tag ist das Revolutionsprinzip dabei geblieben, nur gegen dieses und jenes Bestehende anzukämpfen, d. h. reformatorisch zu sein. So viel auch verbessert, so stark auch der »besonnene Fortschritt« eingehalten werden mag: immer wird nur ein neuer Herr an die Stelle des alten gesetzt, und der Umsturz ist ein – Aufbau. Es bleibt bei dem Unterschiede des jungen von dem alten Philister. Spießbürgerlich begann die Revolution mit der Erhebung des dritten Standes, des Mittelstandes, spießbürgerlich versiegt sie. Nicht der einzelne Mensch – und dieser allein ist der Mensch – wurde frei, sondern der Bürger, der citoyen, der politische Mensch, der eben deshalb nicht der Mensch, sondern ein Exemplar der Menschengattung, und spezieller ein Exemplar der Bürgergattung, ein freier Bürger ist.

In der Revolution handelte nicht der Einzelne weltgeschichtlich, sondern ein Volk: die Nation, die souveräne, wollte alles bewirken. Ein eingebildetes Ich, eine Idee, wie die Nation ist, tritt handelnd auf, d. h. die Einzelnen geben sich zu Werkzeugen dieser Idee her und handeln als »Bürger«.

Seine Macht und zugleich seine Schranken hat das Bürgertum im Staatsgrundgesetze, in einer Charte, in einem rechtlichen oder »gerechten« Fürsten, der selbst nach »vernünftigen Gesetzen« sich richtet und herrscht, kurz in der Gesetzlichkeit. Die Periode der Bourgeoisie wird von dem britischen Geiste der Gesetzlichkeit beherrscht. Eine Versammlung von Landständen ruft sich z. B. stets ins Gedächtnis, daß ihre Befugnisse nur so und so weit gehen, und daß sie überhaupt nur aus Gnaden berufen sei und aus Ungnade wieder verworfen werden könne. Sie erinnert sich stets selbst an ihren – Beruf. Es ist zwar nicht zu leugnen, daß Mich mein Vater erzeugt hat; aber nun Ich einmal erzeugt bin, gehen Mich doch wohl seine Erzeugungs-Absichten gar nichts an, und wozu er Mich auch immer berufen haben mag, Ich tue, was Ich selber will. Darum erkannte auch eine berufene Ständeversammlung, die französische im Anfange der Revolution, ganz richtig, daß sie vom Berufer unabhängig sei. Sie existierte und wäre dumm gewesen, wenn sie das Recht der Existenz nicht geltend machte, sondern sich, wie vom Vater, abhängig wähnte. Der Berufene hat nicht mehr zu fragen: was wollte der Berufer, als er Mich schuf? – sondern: was will Ich, nachdem Ich einmal dem Rufe gefolgt bin? Nicht der Berufer, nicht die Kommittenten, nicht die Charte, nach welcher ihr Zusammentritt hervorgerufen wurde, nichts wird für ihn eine heilige, unantastbare Macht sein. Er ist zu allem befugt, was in seiner Macht steht; er wird keine beschränkende »Befugnis« kennen, wird nicht loyal sein wollen. Dies gäbe, wenn man von Kammern überhaupt so etwas erwarten könnte, eine vollkommen egoistische Kammer, abgelöst von aller Nabelschnur und rücksichtslos. Aber Kammern sind stets devot, und darum kann es nicht befremden, wenn so viel halber oder unentschiedener, d. h. heuchlerischer »Egoismus« sich in ihnen breit macht.

Die Ständemitglieder sollen in den Schranken bleiben, welche ihnen durch die Charte, durch den Königswillen u. dergl. vorgezeichnet sind. Wollen oder können sie das nicht, so sollen sie »austreten«. Welcher Pflichtgetreue könnte anders handeln, könnte sich, seine Überzeugung und seinen Willen als das Erste setzen, wer könnte so unsittlich sein, sich geltend machen zu wollen, wenn darüber auch die Körperschaft und Alles zu Grunde ginge? Man hält sich sorglich innerhalb der Grenzen seiner Befugnis; in den Grenzen seiner Macht muß man ja ohnehin bleiben, weil Keiner mehr kann als er kann. »Die Macht oder respektive Ohnmacht Meiner wäre meine alleinige Grenze, Befugnisse aber nur bindende – Satzungen? Zu dieser alles umstürzenden Ansicht sollte Ich Mich bekennen? Nein, Ich bin ein – gesetzlicher Bürger!«

Das Bürgertum bekennt sich zu einer Moral, welche aufs engste mit seinem Wesen zusammenhängt. Ihre erste Forderung geht darauf hin, daß man ein solides Geschäft, ein ehrliches Gewerbe betreibe, einen moralischen Wandel führe. Unsittlich ist ihr der Industrieritter, die Buhlerin, der Dieb, Räuber und Mörder, der Spieler, der vermögenlose Mann ohne Anstellung, der Leichtsinnige. Die Stimmung gegen diese »Unmoralischen« bezeichnet der wackere Bürger als seine »tiefste Entrüstung«. Es fehlt diesen Allen die Ansässigkeit, das Solide des Geschäfts, ein solides, ehrsames Leben, das feste Einkommen usw., kurz, sie gehören, weil ihre Existenz nicht auf einer sicheren Basis ruht, zu den gefährlichen »Einzelnen oder Vereinzelten«, zum gefährlichen Proletariat: sie sind »einzelne Schreier«, die keine »Garantien« bieten und »nichts zu verlieren«, also nichts zu riskieren haben. Schließung eines Familienbandes z. B. bindet den Menschen, der Gebundene gewährt eine Bürgschaft, ist faßbar; dagegen das Freudenmädchen nicht. Der Spieler setzt alles aufs Spiel, ruiniert sich und Andere; – keine Garantie. Man könnte Alle, welche dem Bürger verdächtig, feindlich und gefährlich erscheinen, unter dem Namen »Vagabunden« zusammenfassen; ihm mißfällt jede vagabundierende Lebensart. Denn es gibt auch geistige Vagabunden, denen der angestammte Wohnsitz ihrer Väter zu eng und drückend vorkommt, als daß sie ferner mit dem beschränkten Raume sich begnügen möchten: statt sich in den Schranken einer gemäßigten. Denkungsart zu halten und für unantastbare Wahrheit zu nehmen, was Tausenden Trost und Beruhigung gewährt, überspringen sie alle Grenzen des Althergebrachten und extravagieren mit ihrer frechen Kritik und ungezähmten Zweifelsucht, diese extravaganten Vagabunden. Sie bilden die Klasse der Unsteten, Ruhelosen, Veränderlichen, d. h. der Proletarier, und heißen, wenn sie ihr unseßhaftes Wesen laut werden lassen, »unruhige Köpfe«.

Solch weiten Sinn hat das sogenannte Proletariat oder der Pauperismus. Wie sehr würde man irren, wenn man dem Bürgertum das Verlangen zutraute, die Armut (Pauperismus) nach besten Kräften zu beseitigen. Im Gegenteil hilft sich der gute Bürger mit der unvergleichlich tröstlichen Überzeugung, daß »die Güter des Glückes nun einmal ungleich verteilt seien und immer so bleiben werden – nach Gottes weisem Ratschlusse«. Die Armut, welche ihn auf allen Gassen umgibt, stört den wahren Bürger nicht weiter, als daß er höchstens sich mit ihr durch ein hingeworfenes Almosen abfindet, oder einem »ehrlichen und brauchbaren« Burschen Arbeit und Nahrung verschafft. Desto mehr aber fühlt er seinen ruhigen Genuß getrübt durch die neuerungssüchtige und unzufriedene Armut, durch jene Armen, welche sich nicht mehr stille verhalten und dulden, sondern zu extravagieren anfangen und unruhig werden. Sperrt den Vagabunden ein, steckt den Unruhestifter ins dunkelste Verließ! Er will im Staate »Mißvergnügen erregen und gegen bestehende Verordnungen aufreizen« – steiniget, steiniget ihn!

Gerade aber von diesen Unzufriedenen geht etwa folgendes Raisonnement aus: Den »guten Bürgern« kann es gleich gelten, wer sie und ihre Prinzipien schützt, ob ein absoluter oder konstitutioneller König, eine Republik usw., wenn sie nur geschützt werden. Und welches ist ihr Prinzip, dessen Schutzherrn sie stets »lieben«? Das der Arbeit nicht; das der Geburt auch nicht. Aber das der Mittelmäßigkeit, der schönen Mitte: ein bißchen Geburt und ein bißchen Arbeit, d. h. ein sich verzinsender Besitz. Besitz ist hier das Feste, das Gegebene, Ererbte (Geburt), das Verzinsen ist daran die Mühwaltung (Arbeit), also arbeitendes Kapital. Nur kein Übermaß, kein Ultra, kein Radikalismus! Allerdings Geburtsrecht, aber nur angeborner Besitz; allerdings Arbeit, aber wenig oder gar keine eigene, sondern Arbeit des Kapitals und der – untertänigen Arbeiter.

Liegt eine Zeit in einem Irrtum befangen, so ziehen stets die Einen Vorteil aus ihm, indes die Andern den Schaden davon haben. Im Mittelalter war der Irrtum allgemein unter den Christen, daß die Kirche alle Gewalt oder die Oberherrlichkeit auf Erden haben müsse; die Hierarchen glaubten nicht weniger an diese »Wahrheit« als die Laien, und beide waren in dem gleichen Irrtum festgebannt. Allein die Hierarchen hatten durch ihn den Vorteil der Gewalt, die Laien den Schaden der Untertänigkeit. Wie es aber heißt: »durch Schaden wird man klug«, so wurden die Laien endlich klug und glaubten nicht länger an die mittelalterliche »Wahrheit«. – Ein gleiches Verhältnis findet zwischen Bürgertum und Arbeitertum statt. Bürger und Arbeiter glauben an die »Wahrheit« des Geldes; sie, die es nicht besitzen, glauben nicht weniger daran, als jene, welche es besitzen, also die Laien wie die Priester.

»Geld regiert die Welt« ist der Grundton der bürgerlichen Epoche. Ein besitzloser Adliger und ein besitzloser Arbeiter sind als »Hungerleider« für die politische Geltung bedeutungslos: Geburt und Arbeit tun's nicht, sondern das Geld gibt Geltung. Die Besitzenden herrschen, der Staat aber erzieht aus den Besitzlosen seine »Diener«, denen er in dem Maße, als sie in seinem Namen herrschen (regieren) sollen, Geld (Gehalt) gibt.

Ich empfange Alles vom Staate. Habe Ich etwas ohne die Bewilligung des Staates? Was Ich ohne sie habe, das nimmt er Mir ab, sobald er den fehlenden »Rechtstitel« entdeckt. Habe Ich also nicht Alles durch seine Gnade, seine Bewilligung?

Darauf allein, auf den Rechtstitel, stützt sich das Bürgertum. Der Bürger ist, was er ist, durch den Staatsschutz, durch die Gnade des Staats. Er müßte fürchten, Alles zu verlieren, wenn die Macht des Staates gebrochen würde.

Wie ist's aber mit dem, der nichts zu verlieren hat, wie mit dem Proletarier? Da er nichts zu verlieren hat, braucht er für sein »Nichts« den Staatsschutz nicht. Er kann im Gegenteil gewinnen, wenn jener Staatsschutz den Schützlingen entzogen wird.

Darum wird der Nichtbesitzende den Staat als Schutzmacht des Besitzenden ansehen, die diesen privilegiert, ihn dagegen nur – aussaugt. Der Staat ist ein – Bürgerstaat, ist der status des Bürgertums. Er schützt den Menschen nicht nach seiner Arbeit, sondern nach seiner Folgsamkeit (»Loyalität«), nämlich danach, ob er die vom Staate anvertrauten Rechte dem Willen, d. h. Gesetzen des Staates gemäß genießt und verwaltet.

Unter dem Regime des Bürgertums fallen die Arbeitenden stets den Besitzenden, d. h. denen, welche irgend ein Staatsgut (und alles Besitzbare ist Staatsgut, gehört dem Staate und ist nur Lehen der Einzelnen) zu ihrer Verfügung haben, besonders Geld und Gut, also den Kapitalisten in die Hände. Es kann der Arbeiter seine Arbeit nicht verwerten nach dem Maße des Wertes, welchen sie für den Genießenden hat. »Die Arbeit wird schlecht bezahlt!« Den größten Gewinn hat der Kapitalist davon. – Gut und mehr als gut werden nur die Arbeiten derjenigen bezahlt, welche den Glanz und die Herrschaft des Staates erhöhen, die Arbeiten hoher Staats diener. Der Staat bezahlt gut, damit seine »guten Bürger«, die Besitzenden, ohne Gefahr schlecht bezahlen können; er sichert sich seine Diener, aus welchen er für die »guten Bürger« eine Schutzmacht, eine »Polizei« (zur Polizei gehören Soldaten, Beamte aller Art, z. B. die der Justiz, Erziehung usw., kurz die ganze »Staatsmaschine«) bildet, durch gute Bezahlung, und die »guten Bürger« entrichten gern hohe Abgaben an ihn, um desto niedrigere ihren Arbeitern zu leisten.

Aber die Klasse der Arbeiter bleibt, weil in dem, was sie wesentlich sind, ungeschützt (denn nicht als Arbeiter genießen sie den Staatsschutz, sondern als seine Untertanen haben sie einen Mitgenuß von der Polizei, einen sogenannten Rechtsschutz), eine diesem Staate, diesem Staate der Besitzenden, diesem »Bürgerkönigtum«, feindliche Macht. Ihr Prinzip, die Arbeit, ist nicht seinem Werte nach anerkannt: es wird ausgebeutet, eine Kriegsbeute der Besitzenden, der Feinde.

Die Arbeiter haben die ungeheuerste Macht in den Händen, und wenn sie ihrer einmal recht inne würden und sie gebrauchten, so widerstände ihnen nichts: sie dürften nur die Arbeit einstellen und das Gearbeitete als das Ihrige ansehen und genießen. Dies ist der Sinn der hie und da auftauchenden Arbeiterunruhen.

Der Staat beruht auf der – Sklaverei der Arbeit. Wird die Arbeit frei, so ist der Staat verloren.

§2. Der soziale Liberalismus

Wir sind freigeborene Menschen, und wohin Wir blicken, sehen Wir Uns zu Dienern von Egoisten gemacht! Sollen Wir darum auch Egoisten werden? Bewahre der Himmel, Wir wollen lieber die Egoisten unmöglich machen! Wir wollen sie alle zu »Lumpen« machen, wollen Alle nichts haben, damit »Alle« haben. –

So die Sozialen. –

Wer ist diese Person, die Ihr »Alle« nennt? – Es ist die »Gesellschaft«! – Ist sie denn aber leibhaftig? – Wir sind ihr Leib! – Ihr? Ihr seid ja selbst kein Leib; – Du zwar bist leibhaftig, auch Du und Du, aber Ihr zusammen seid nur Leiber, kein Leib. Mithin hätte die einige Gesellschaft zwar Leiber zu ihrem Dienste, aber keinen einigen und eigenen Leib. Sie wird eben, wie die »Nation« der Politiker, nichts als ein »Geist« sein, der Leib an ihm nur Schein.

Die Freiheit des Menschen ist im politischen Liberalismus die Freiheit von Personen, von persönlicher Herrschaft, vom Herrn: Sicherung jeder einzelnen Person gegen andere Personen, persönliche Freiheit.

Es hat keiner etwas zu befehlen, das Gesetz allein befiehlt.

Aber sind die Personen auch gleich geworden, so doch nicht ihr Besitztum. Und doch braucht der Arme den Reichen, der Reiche den Armen, jener das Geld des Reichen, dieser die Arbeit des Armen. Also es braucht keiner den Andern als Person, aber er braucht ihn als Gebenden, mithin als einen, der etwas zu geben hat, als Inhaber oder Besitzer. Was er also hat, das macht den Mann. Und im Haben oder an »Habe« sind die Leute ungleich.

Folglich, so schließt der soziale Liberalismus, muß Keiner haben, wie dem politischen Liberalismus zufolge Keiner befehlen sollte, d. h. wie hier der Staat allein den Befehl erhielt, so nun die Gesellschaft allein die Habe.

Indem nämlich der Staat eines Jeden Person und Eigentum gegen den Andern schützt, trennt er sie voneinander: Jeder ist sein Teil für sich und hat sein Teil für sich. Wem genügt, was er ist und hat, der findet bei diesem Stande der Dinge seine Rechnung; wer aber mehr sein und haben möchte, der sieht sich nach diesem Mehr um und findet es in der Gewalt anderer Personen. Hier gerät er auf einen Widerspruch: als Person steht keiner dem Andern nach, und doch hat die eine Person, was die andere nicht hat, aber haben möchte. Also, schließt er daraus, ist doch die eine Person mehr als die andere, denn jene hat, was sie braucht, diese hat es nicht, jene ist ein Reicher, diese ein Armer.

Sollen Wir, fragt er sich nunmehr weiter, wieder aufleben lassen, was Wir mit Recht begruben, sollen Wir diese auf einem Umwege wiederhergestellte Ungleichheit der Personen gelten lassen? Nein, wir müssen im Gegenteil, was nur halb vollbracht war, ganz zu Ende führen. Unserer Freiheit von der Person des Andern fehlt noch die Freiheit von dem, worüber die Person des Andern gebieten kann, von dem, was sie in ihrer persönlichen Macht hat, kurz von dem »persönlichen Eigentum«. Schaffen Wir also das persönliche Eigentum ab. Keiner habe mehr etwas, jeder sei ein – Lump. Das Eigentum sei unpersönlich, es gehöre der – Gesellschaft.

Vor dem höchsten Gebieter, dem alleinigen Befehlshaber, waren Wir alle gleich geworden, gleiche Personen, d. h. Nullen.

Vor dem höchsten Eigentümer werden Wir alle gleiche – Lumpe. Für jetzt ist noch Einer in der Schätzung des Andern ein »Lump«, »Habenichts«; dann aber hört diese Schätzung auf, Wir sind allzumal Lumpe, und als Gesamtmasse der Kommunistischen Gesellschaft könnten Wir Uns »Lumpengesindel« nennen.

Wenn der Proletarier seine beabsichtigte »Gesellschaft«, worin der Abstand von Reich und Arm beseitigt werden soll, wirklich gegründet haben wird, dann ist er Lump, denn er weiß sich dann etwas damit, Lump zu sein, und könnte »Lump« so gut zu einer ehrenden Anrede erheben, wie die Revolution das Wort »Bürger« dazu erhob. Lump ist sein Ideal, Lumpe sollen Wir alle werden.

Dies ist im Interesse der »Menschlichkeit« der zweite Raub am »Persönlichen«. Man läßt dem Einzelnen weder Befehl noch Eigentum; jenen nahm der Staat, dieses die Gesellschaft.

Weil in der Gesellschaft sich die drückendsten Übelstände bemerkbar machen, so denken besonders die Gedrückten, also die Glieder aus den unteren Regionen der Sozietät, die Schuld in der Gesellschaft zu finden, und machen sich's zur Aufgabe, die rechte Gesellschaft zu entdecken. Es ist das nur die alte Erscheinung, daß man die Schuld zuerst in allem Anderen als in sich sucht; also im Staate, in der Selbstsucht der Reichen usw., die doch gerade unserer Schuld ihr Dasein verdanken.

Die Reflexionen und Schlüsse des Kommunismus sehen sehr einfach aus. Wie die Sachen dermalen liegen, also unter den jetzigen Staatsverhältnissen, stehen die Einen gegen die Andern, und zwar die Mehrzahl gegen die Minderzahl im Nachteil. Bei diesem Stande der Dinge befinden sich jene im Wohlstande, diese im Notstande. Daher muß der gegenwärtige Stand der Dinge, d. i. der Staat (status = Stand) abgeschafft werden. Und was an seine Stelle? Statt des vereinzelten Wohlstandes – ein allgemeiner Wohlstand, ein Wohlstand Aller.

Durch die Revolution wurde die Bourgeoisie allmächtig und alle Ungleichheit dadurch aufgehoben, daß Jeder zur Würde eines Bürgers erhoben oder erniedrigt wurde: der gemeine Mann – erhoben, der Adlige – erniedrigt; der dritte Stand wurde einziger Stand, nämlich Stand der – Staatsbürger. Nun repliziert der Kommunismus: Nicht darin besteht unsere Würde und unser Wesen, daß Wir alle – die gleichen Kinder des Staates, unserer Mutter, sind, alle geboren mit dem gleichen Anspruch auf ihre Liebe und ihren Schutz, sondern darin, daß Wir alle füreinander da sind. Dies ist unsere Gleichheit oder darin sind Wir gleich, daß Ich so gut als Du und Ihr alle, jeder für den Andern, tätig sind oder »arbeiten«, also darin, daß jeder von Uns ein Arbeiter ist. Nicht auf das kommt es Uns an, was Wir für den Staat sind, nämlich Bürger, also nicht auf unser Bürgertum, sondern auf das, was Wir füreinander sind, nämlich darauf, daß Jeder von Uns nur durch den Andern existiert, der, indem er für meine Bedürfnisse sorgt, zugleich von Mir die seinigen befriedigt sieht. Er arbeitet z. B. für meine Kleidung (Schneider), Ich für sein Vergnügungsbedürfnis (Komödienschreiber, Seiltänzer usw.), er für meine Nahrung (Landwirt usw.), Ich für seine Belehrung (Gelehrter usw.). Also das Arbeitertum ist unsere Würde und unsere – Gleichheit.

Welchen Vorteil bringt Uns das Bürgertum? Lasten! Und wie hoch schlägt man unsere Arbeit an? So niedrig als möglich! Arbeit ist aber gleichwohl unser einziger Wert; daß Wir Arbeiter sind, das ist das Beste an Uns, das ist unsere Bedeutung in der Welt, und darum muß es auch unsere Geltung werden und muß zur Geltung kommen. Was könnt Ihr Uns entgegenstellen? Doch auch nur – Arbeit. Nur für Arbeit oder Leistungen sind Wir Euch eine Rekompense schuldig, nicht für eure bloße Existenz; auch nicht für das, was Ihr für Euch seid, sondern nur für das, was Ihr für Uns seid. Wodurch habt Ihr Ansprüche an Uns? Etwa durch eure hohe Geburt usw.? Nein, nur durch das, was Ihr Uns Erwünschtes oder Nützliches leistet. So sei es denn auch so: Wir wollen Euch nur so viel wert sein, als Wir Euch leisten; Ihr aber sollt desgleichen von Uns gehalten werden. Die Leistungen bestimmen den Wert, d. h. diejenigen Leistungen, die Uns etwas wert sind, also die Arbeiten füreinander, die gemeinnützigen Arbeiten. Jeder sei in den Augen des Andern ein Arbeiter. Wer Nützliches verrichtet, der steht Keinem nach, oder – alle Arbeiter (Arbeiter natürlich im Sinne von »gemeinnütziger«, d. h. kommunistischer Arbeiter) sind gleich. Da aber der Arbeiter seines Lohnes wert ist, so sei auch der Lohn gleich.

Solange das Glauben für die Ehre und Würde des Menschen ausreichte, ließ sich gegen keine auch noch so anstrengende Arbeit etwas einwenden, wenn sie nur den Menschen nicht im Glauben hinderte. Hingegen jetzt, wo Jeder sich zum Menschen ausbilden soll, fällt die Bannung des Menschen an maschinenmäßige Arbeit zusammen mit der Sklaverei. Muß ein Fabrikarbeiter sich zwölf Stunden und mehr todmüde machen, so ist er um die Menschwerdung gebracht. Jedwede Arbeit soll den Zweck haben, daß der Mensch befriedigt werde. Deshalb muß er auch in ihr Meister werden, d. h. sie als eine Totalität schaffen können. Wer in einer Stecknadelfabrik nur die Knöpfe aufsetzt, nur den Draht zieht usw., der arbeitet wie mechanisch, wie eine Maschine: er bleibt ein Stümper, wird kein Meister: seine Arbeit kann ihn nicht befriedigen, sondern nur ermüden. Seine Arbeit ist, für sich genommen, nichts, hat keinen Zweck in sich, ist nichts für sich Fertiges: er arbeitet nur einem Andern in die Hand, und wird von diesem Andern benutzt (exploitiert). Für diesen Arbeiter im Dienste eines Andern gibt es keinen Genuß eines gebildeten Geistes, höchstens rohe Vergnügungen: ihm ist ja die Bildung verschlossen. Um ein guter Christ zu sein, braucht man nur zu glauben, und das kann unter den drückendsten Verhältnissen geschehen. Daher sorgen die christlich Gesinnten nur für die Frömmigkeit der gedrückten Arbeiter, ihre Geduld, Ergebung usw. All ihr Elend konnten die unterdrückten Klassen nur so lange ertragen, als sie Christen waren: denn das Christentum läßt ihr Murren und ihre Empörung nicht aufkommen. Jetzt genügt nicht mehr die Beschwichtigung der Begierden, sondern es wird ihre Sättigung gefordert. Die Bourgeoisie hat das Evangelium des Weltgenusses, des materiellen Genusses verkündet und wundert sich nun, daß diese Lehre unter Uns Armen Anhänger findet; sie hat gezeigt, daß nicht Glaube und Armut, sondern Bildung und Besitz selig macht: das begreifen Wir Proletarier auch.

Von Befehl und Willkür Einzelner befreite das Bürgertum. Allein jene Willkür blieb übrig, welche aus der Konjunktur der Verhältnisse entspringt und die Zufälligkeit der Umstände genannt werden kann; es blieben das begünstigende Glück und die »vom Glück Begünstigten« übrig.

Wenn z. B. ein Gewerbszweig zu Grunde geht und Tausende von Arbeitern brotlos werden, so denkt man billig genug, um zu bekennen, daß nicht der Einzelne die Schuld trägt, sondern »das Übel in den Verhältnissen liegt«.

Ändern Wir denn die Verhältnisse, aber ändern Wir sie durchgreifend und so, daß ihre Zufälligkeit ohnmächtig wird und ein Gesetz! Seien Wir nicht länger Sklaven des Zufalls! Schaffen Wir eine neue Ordnung, die den Schwankungen ein Ende macht. Diese Ordnung sei dann heilig!

Früher mußte man es den Herren recht machen, um zu etwas zu kommen; nach der Revolution hieß es: Hasche das Glück! Glücksjagd oder Hazardspiel, darin ging das bürgerliche Leben auf. Daneben dann die Forderung, daß, wer etwas erlangt hat, dies nicht leichtsinnig wieder aufs Spiel setze.

Seltsamer und doch höchst natürlicher Widerspruch. Die Konkurrenz, in der allein das bürgerliche oder politische Leben sich abwickelt, ist durch und durch ein Glücksspiel, von den Börsenspekulationen herab bis zur Ämterbewerbung, der Kundenjagd, dem Arbeitsuchen, dem Trachten nach Beförderung und Orden, dem Trödel des Schacherjuden usw. Gelingt es, die Mitbewerber auszustechen und zu überbieten, so ist der »glückliche Wurf« getan; denn für ein Glück muß es schon genommen werden, daß der Sieger mit einer, wenn auch durch den sorgsamsten Fleiß ausgebildeten Begabtheit sich ausgestattet sieht, gegen welche die Andern nicht aufzukommen wissen, also daß sich – keine Begabteren finden. Und die nun mitten in diesem Glückswechsel ihr tägliches Wesen treiben, ohne ein Arg dabei zu haben, geraten in die sittlichste Entrüstung, wenn ihr eigenes Prinzip in nackter Form auftritt und als – Hazardspiel »Unglück anrichtet«. Das Hazardspiel ist ja eine zu deutliche, zu unverhüllte Konkurrenz und verletzt wie jede entschiedene Nacktheit das ehrsame Schamgefühl.

Diesem Treiben des Ungefährs wollen die Sozialen Einhalt tun und eine Gesellschaft bilden, in welcher die Menschen nicht länger vom Glücke abhängig, sondern frei sind.

Auf die natürlichste Weise äußerst sich dies Streben zuerst als Haß der »Unglücklichen« gegen die »Glücklichen«, d. h. derer, für welche das Glück wenig oder nichts getan hat, gegen diejenigen, für die es Alles getan hat.

Eigentlich gilt der Unmut aber nicht den Glücklichen, sondern dem Glücke, diesem faulen Fleck des Bürgertums.

Da die Kommunisten erst die freie Tätigkeit für das Wesen des Menschen erklären, bedürfen sie, wie alle werkeltägige Gesinnung, eines Sonntags, wie alles materielle Streben, eines Gottes, einer Erhebung und Erbauung neben ihrer geistlosen »Arbeit«.

Daß der Kommunist in Dir den Menschen, den Bruder erblickt, das ist nur die sonntägliche Seite des Kommunismus. Nach der werkeltägigen nimmt er Dich keineswegs als Menschen schlechthin, sondern als menschlichen Arbeiter oder arbeitenden Menschen. Das liberale Prinzip steckt in der ersteren Anschauung, in die zweite verbirgt sich die Illiberalität. Wärest Du ein »Faulenzer«, so würde er zwar den Menschen in Dir nicht verkennen, aber als einen »faulen Menschen« ihn von der Faulheit zu reinigen und Dich zu dem Glauben zu bekehren streben, daß das Arbeiten des Menschen »Bestimmung und Beruf« sei.

Darum zeigt er ein doppeltes Gesicht: mit dem einen hat er darauf Acht, daß der geistige Mensch befriedigt werde, mit dem andern schaut er sich nach Mitteln für den materiellen oder leiblichen um. Er gibt dem Menschen eine zwiefache Anstellung, ein Amt des materiellen Erwerbs und eines des geistigen.

Das Bürgertum hatte geistige und materielle Güter frei hingestellt und Jedem anheim gegeben, danach zu langen, wenn ihn gelüste.

Der Kommunismus verschafft sie wirklich Jedem, dringt sie ihm auf und zwingt ihn, sie zu erwerben. Er macht Ernst damit, daß Wir, weil nur geistige und materielle Güter Uns zu Menschen machen, diese Güter ohne Widerrede erwerben müssen, um Mensch zu sein. Das Bürgertum machte den Erwerb frei, der Kommunismus zwingt zum Erwerb, und erkennt nur den Erwerbenden an, den Gewerbtreibenden. Es ist nicht genug, daß das Gewerbe frei ist, sondern Du mußt es ergreifen.

So bleibt der Kritik nur übrig zu beweisen, der Erwerb dieser Güter mache Uns noch keineswegs zu Menschen.

Mit dem liberalen Gebote, daß Jeder aus sich einen Menschen oder Jeder sich zum Menschen machen soll, war die Notwendigkeit gesetzt, daß Jeder zu dieser Arbeit der Vermenschlichung Zeit gewinnen müsse, d. h. daß Jedem möglich werde, an sich zu arbeiten.

Das Bürgertum glaubte dies vermittelt zu haben, wenn es alles Menschliche der Konkurrenz übergebe, den Einzelnen aber zu jeglichem Menschlichen berechtige. »Es darf Jeder nach Allem streben!«

Der soziale Liberalismus findet, daß die Sache mit dem »Dürfen« nicht abgetan sei, weil dürfen nur heißt, es ist Keinem verboten, aber nicht, es ist Jedem möglich gemacht. Er behauptet daher, das Bürgertum sei nur mit dem Munde und in Worten liberal, in der Tat höchst illiberal. Er seinerseits will Uns allen die Mittel geben, an Uns arbeiten zu können.

Durch das Prinzip der Arbeit wird allerdings das des Glückes oder der Konkurrenz überboten. Zugleich aber hält sich der Arbeiter in seinem Bewußtsein, daß das Wesentliche an ihm »der Arbeiter« sei, vom Egoismus fern und unterwirft sich der Oberhoheit einer Arbeitergesellschaft, wie der Bürger mit Hingebung am Konkurrenz-Staate hing. Der schöne Traum von einer »Sozialpflicht« wird noch fortgeträumt. Man meint wieder, die Gesellschaft gebe, was Wir brauchen, und Wir seien ihr deshalb verpflichtet, seien ihr alles schuldig. Man bleibt dabei, einem »höchsten Geber alles Guten« dienen zu wollen. Daß die Gesellschaft gar kein Ich ist, das geben, verleihen oder gewähren könnte, sondern ein Instrument oder Mittel, aus dem Wir Nutzen ziehen mögen, daß Wir keine gesellschaftlichen Pflichten, sondern lediglich Interessen haben, zu deren Verfolgung Uns die Gesellschaft dienen müsse, daß Wir der Gesellschaft kein Opfer schuldig sind, sondern, opfern Wir etwas, es Uns opfern: daran denken die Sozialen nicht, weil sie – als Liberale – im religiösen Prinzip gefangen sitzen und eifrig trachten nach einer, wie es der Staat bisher war, – heiligen Gesellschaft!

Die Gesellschaft, von der Wir alles haben, ist eine neue Herrin, ein neuer Spuk, ein neues »höchstes Wesen«, das Uns »in Dienst und Pflicht nimmt!«

Die nähere Würdigung des politischen sowohl als des sozialen Liberalismus kann ihre Stelle erst weiter unten finden. Wir gehen für jetzt dazu über, sie vor den Richterstuhl des humanen oder kritischen Liberalismus zu stellen.

§3. Der humane Liberalismus

Da in dem sich kritisierenden, dem »kritischen« Liberalismus, wobei der Kritiker ein Liberaler bleibt und über das Prinzip des Liberalismus, den Menschen, nicht hinausgeht, der Liberalismus sich vollendet, so mag er vorzugsweise nach dem Menschen benannt werden und der »humane« heißen.

Der Arbeiter gilt für den materiellsten und egoistischsten Menschen. Er leistet für die Menschheit gar nichts, tut alles für sich, zu seiner Wohlfahrt.

Das Bürgertum hat, weil es den Menschen nur seiner Geburt nach für frei ausgab, ihn im Übrigen in den Klauen des Unmenschen (Egoisten) lassen müssen. Daher hat der Egoismus unter dem Regiment des politischen Liberalismus ein ungeheures Feld zu freier Benutzung.

Wie der Bürger den Staat, so wird der Arbeiter die Gesellschaft benutzen für seine egoistischen Zwecke. Du hast doch nur einen egoistischen Zweck, deine Wohlfahrt! wirft der Humane dem Sozialen vor. Fasse ein rein menschliches Interesse, dann will Ich dein Gefährte sein. »Dazu gehört aber ein stärkeres, ein umfassenderes, als ein Arbeiterbewußtsein.« »Der Arbeiter macht Nichts, drum hat er Nichts: er macht aber Nichts, weil seine Arbeit stets eine einzeln bleibende, auf sein eigenstes Bedürfnis berechnete, tägliche ist.« Man kann sich dem entgegen etwa Folgendes denken: die Arbeit Gutenbergs blieb nicht einzeln, sondern erzeugte unzählige Kinder und lebt heute noch, sie war auf das Bedürfnis der Menschheit berechnet, und war eine ewige, unvergängliche.

Das humane Bewußtsein verachtet sowohl das Bürger- als das Arbeiter-Bewußtsein: denn der Bürger ist nur »entrüstet« über den Vagabunden (über Alle, welche »keine bestimmte Beschäftigung« haben) und deren »Immoralität«; den Arbeiter »empört« der Faulenzer (»Faulpelz«) und dessen »unsittliche«, weil aussaugende und ungesellschaftliche, Grundsätze. Dagegen erwidert der Humane: Die Unseßhaftigkeit Vieler ist nur dein Produkt, Philister! Daß Du aber, Proletarier, Allen das Büffeln zumutest, und die Plackerei zu einer allgemeinen machen willst, das hängt Dir noch von deiner seitherigen Packeselei an. Du willst freilich dadurch, daß Alle sich gleichsehr placken müssen, die Plackerei selbst erleichtern, jedoch nur aus dem Grunde, damit Alle gleichviel Muße gewinnen. Was aber sollen sie mit ihrer Muße anfangen? Was tut deine »Gesellschaft«, damit diese Muße menschlich verbracht werde? Sie muß wieder die gewonnene Muße dem egoistischen Belieben überlassen und gerade der Gewinn, den deine Gesellschaft fördert, fällt dem Egoisten zu, wie der Gewinn des Bürgertums, die Herrenlosigkeit des Menschen, vom Staate nicht mit einem menschlichen Inhalt erfüllt werden konnte und deshalb der Willkür überlassen wurde.

Allerdings ist notwendig, daß der Mensch herrenlos sei, aber darum soll auch nicht wieder der Egoist über den Menschen, sondern der Mensch über den Egoisten Herr werden. Allerdings muß der Mensch Muße finden, aber wenn der Egoist sich dieselbe zu Nutze macht, so entgeht sie dem Menschen; darum müßtet Ihr der Muße eine menschliche Bedeutung geben. Aber auch eure Arbeit unternehmt Ihr Arbeiter aus egoistischem Antriebe, weil Ihr essen, trinken, leben wollt; wie solltet Ihr bei der Muße weniger Egoisten sein? Ihr arbeitet nur, weil nach getaner Arbeit gut feiern (faulenzen) ist, und womit Ihr eure Mußezeit hinbringt, das bleibt dem Zufall überlassen.

Soll aber dem Egoismus jede Tür verriegelt werden, so müßte ein völlig »uninteressiertes« Handeln erstrebt werden, die gänzliche Uninteressiertheit. Dies ist allein menschlich, weil nur der Mensch uninteressiert ist; der Egoist immer interessiert.

Lassen Wir einstweilen die Uninteressiertheit gelten, so fragen Wir: Willst Du an nichts Interesse nehmen, für nichts begeistert sein, nicht für die Freiheit, Menschheit usw.? »O ja, das ist aber kein egoistisches Interesse, keine Interessiertheit, sondern ein menschliches, d. h. ein – theoretisches, nämlich ein Interesse nicht für einen Einzelnen oder die Einzelnen („Alle«), sondern für die Idee, für den Menschen!"

Und Du merkst nicht, daß Du auch nur begeistert bist für deine Idee, deine Freiheitsidee?

Und ferner merkst Du nicht, daß deine Uninteressiertheit wieder, wie die religiöse, eine himmlische Interessiertheit ist? Der Nutzen der Einzelnen läßt Dich allerdings kalt, und Du könntest abstrakt ausrufen: fiat libertas, pereat mundus. Du sorgest auch nicht für den andern Tag und hast überhaupt keine ernstliche Sorge für die Bedürfnisse des Einzelnen, nicht für dein eigenes Wohlleben, noch das der Andern; aber Du machst Dir eben aus alledem nichts, weil Du ein – Schwärmer bist.

Wird etwa der Humane so liberal sein, alles Menschenmögliche für menschlich auszugeben? Im Gegenteil! Über die Hure teilt er zwar das moralische Vorurteil des Philisters nicht, aber »daß dies Weib ihren Körper zur Gelderwerb-Maschine macht« das macht sie ihm als »Menschen« verächtlich. Er urteilt: Die Hure ist nicht Mensch, oder: so weit ein Weib Hure ist, so weit ist sie unmenschlich, entmenscht. Ferner: der Jude, der Christ, der Privilegierte, der Theologe usw. ist nicht Mensch; soweit Du Jude usw. bist, bist Du nicht Mensch. Wiederum das imperatorische Postulat: Wirf alles Aparte von Dir, kritisiere es weg! Sei nicht Jude, nicht Christ usw., sondern sei Mensch, nichts als Mensch! Mach deine Menschlichkeit gegen jede beschränkende Bestimmung geltend, mach Dich mittels ihrer zum Menschen und von jenen Schranken frei, mach Dich zum »freien Menschen«, d. h. erkenne die Menschlichkeit als dein alles bestimmendes Wesen.

Ich sage: Du bist zwar mehr als Jude, mehr als Christ usw., aber Du bist auch mehr als Mensch. Das sind alles Ideen, Du aber bist leibhaftig. Meinst Du denn, jemals »Mensch als solcher« werden zu können? Meinst Du, unsere Nachkommen werden keine Vorurteile und Schranken wegzuschaffen finden, für die unsere Kräfte nicht hinreichten? Oder glaubst Du etwa in deinem 40sten oder 50sten Jahre so weit gekommen zu sein, daß die folgenden Tage nichts mehr an Dir aufzulösen hätten, und daß Du Mensch wärest? Die Menschen der Nachwelt werden noch manche Freiheit erkämpfen, die Wir nicht einmal entbehren. Wozu brauchst Du jene spätere Freiheit? Wolltest Du Dich für nichts achten, bevor Du Mensch geworden, so müßtest Du bis zum »jüngsten Gericht« warten, bis zu dem Tage, wo der Mensch oder die Menschheit die Vollkommenheit erlangt haben soll. Da Du aber sicherlich vorher stirbst, wo bleibt dein Siegespreis?

Drum kehre Du Dir die Sache lieber um und sage Dir: Ich bin Mensch! Ich brauche den Menschen nicht erst in Mir herzustellen, denn er gehört Mir schon, wie alle meine Eigenschaften.

Wie kann man aber, fragt der Kritiker, zugleich Jude und Mensch sein? Erstens, antworte Ich, kann man überhaupt weder Jude noch Mensch sein, wenn »man« und Jude oder Mensch dasselbe bedeuten sollen; »man« greift immer über jene Bestimmungen hinaus, und Schmul sei noch so jüdisch, Jude, nichts als Jude, vermag er nicht zu sein, schon weil er dieser Jude ist. Zweitens kann man allerdings als Jude nicht Mensch sein, wenn Mensch sein heißt, nicht Besonderes sein. Drittens aber – und darauf kommt es an – kann Ich als Jude ganz sein, was ich eben sein – kann. Von Samuel oder Moses und andern erwartet Ihr schwerlich, daß sie über das Judentum sich hätten erheben sollen, obgleich Ihr sagen müßt, daß sie noch keine »Menschen« waren. Sie waren eben, was sie sein konnten. Ist's mit den heutigen Juden anders? Weil Ihr die Idee der Menschheit entdeckt habt, folgt daraus, daß jeder Jude sich zu ihr bekehren könne? Wenn er es kann, so unterläßt er's nicht, und unterläßt er es, so – kann er's nicht. Was geht ihn eure Zumutung an, was der Beruf, Mensch zu sein, den Ihr an ihn ergehen lasset? –

In der »menschlichen Gesellschaft«, welche der Humane verheißt, soll überhaupt nichts Anerkennung finden, was Einer oder der Andere »Besonderes« hat, nichts Wert haben, was den Charakter des »Privaten« trägt. Auf diese Weise rundet sich der Kreis des Liberalismus, der an dem Menschen und der menschlichen Freiheit sein gutes, an dem Egoisten und allem Privaten sein böses Prinzip, an jenem seinen Gott, an diesem seinen Teufel hat, vollständig ab, und verlor im »Staate« die besondere oder private Person ihren Wert (kein persönliches Vorrecht), büßt in der »Arbeiter- oder Lumpen-Gesellschaft« das besondere (private) Eigentum seine Anerkennung ein, so wird in der »menschlichen Gesellschaft« alles Besondere oder Private außer Betracht kommen, und wenn die »reine Kritik« ihre schwere Arbeit vollführt haben wird, dann wird man wissen, was alles privat ist, und was man »in seines Nichts durchbohrendem Gefühle« wird – stehen lassen müssen.

Weil dem humanen Liberalismus Staat und Gesellschaft nicht genügt, negiert er beide und behält sie zugleich. So heißt es einmal, die Aufgabe der Zeit sei »keine politische, sondern eine soziale«, und dann wird wieder für die Zukunft der »freie Staat« verheißen. In Wahrheit ist die »menschliche Gesellschaft« eben beides, der allgemeinste Staat und die allgemeinste Gesellschaft. Nur gegen den beschränkten Staat wird behauptet, er mache zuviel Aufhebens von geistigen Privatinteressen (z. B. dem religiösen Glauben der Leute), und gegen die beschränkte Gesellschaft, sie mache zuviel aus den materiellen Privatinteressen. Beide sollen die Privatinteressen den Privatleuten überlassen, und sich als menschliche Gesellschaft allein um die allgemein menschlichen Interessen bekümmern.

Indem die Politiker den eigenen Willen, Eigenwillen oder Willkür abzuschaffen gedachten, bemerkten sie nicht, daß durch das Eigentum der Eigenwille eine sichere Zufluchtstätte erhielt.

Indem die Sozialisten auch das Eigentum wegnehmen, beachten sie nicht, daß dieses sich in der Eigenheit eine Fortdauer sichert. Ist denn bloß Geld und Gut ein Eigentum, oder ist jede Meinung ein Mein, ein Eigenes?

Es muß also jede Meinung aufgehoben oder unpersönlich gemacht werden. Der Person gebührt keine Meinung, sondern wie der Eigenwille auf den Staat, das Eigentum auf die Gesellschaft übertragen wurde, so muß die Meinung auch auf ein Allgemeines, »den Menschen«, übertragen und dadurch allgemein menschliche Meinung werden.

Bleibt die Meinung bestehen, so habe Ich meinen Gott (Gott ist ja nur als »mein Gott«, ist eine Meinung oder mein »Glaube«); also meinen Glauben, meine Religion, meine Gedanken, meine Ideale. Darum muß ein allgemein menschlicher Glaube entstehen, der »Fanatismus der Freiheit«. Dies wäre nämlich ein Glaube, welcher mit dem »Wesen des Menschen« übereinstimmte, und weil nur »der Mensch« vernünftig ist (Ich und Du könnten sehr unvernünftig sein!), ein vernünftiger Glaube.

Wie Eigenwille und Eigentum machtlos werden, so muß die Eigenheit oder der Egoismus überhaupt es werden.

In dieser höchsten Entwicklung »des freien Menschen« wird der Egoismus, die Eigenheit, prinzipiell bekämpft, und so untergeordnete Zwecke, wie die soziale »Wohlfahrt« der Sozialisten usw. verschwinden gegen die erhabene »Idee der Menschheit«. Alles, was nicht ein »allgemein Menschliches« ist, ist etwas Apartes, befriedigt nur Einige oder Einen, oder wenn es Alle befriedigt, so tut es dies an ihnen nur als Einzelnen, nicht als Menschen, und heißt deshalb ein »Egoistisches«.

Den Sozialisten ist noch die Wohlfahrt das höchste Ziel, wie den politischen Liberalen der freie Wettstreit das Genehme war; die Wohlfahrt ist nun auch frei, und was sie haben will, mag sie sich verschaffen, wie, wer in den Wettstreit (Konkurrenz) sich einlassen wollte, ihn erwählen konnte.

Allein an dem Wettstreit Teil zu nehmen, braucht Ihr nur Bürger, an der Wohlfahrt Teil zu nehmen, nur Arbeiter zu sein. Beides ist noch nicht gleichbedeutend mit »Mensch«. Dem Menschen ist erst »wahrhaft wohl«, wenn er auch »geistig frei« ist! Denn der Mensch ist Geist, darum müssen alle Mächte, die ihm, dem Geiste, fremd sind, alle übermenschlichen, himmlischen, unmenschlichen Mächte müssen gestürzt werden, und der Name »Mensch« muß über alle Namen sein.

So kehrt in diesem Ende der Neuzeit (Zeit der Neuen) als Hauptsache wieder, was im Anfange derselben Hauptsache gewesen war: die »geistige Freiheit«.

Dem Kommunisten insbesondere sagt der humane Liberale: Schreibt Dir die Gesellschaft Deine Tätigkeit vor, so ist diese zwar vom Einfluß der Einzelnen, d. h. der Egoisten frei, aber es braucht darum noch keine rein menschliche Tätigkeit, und Du noch nicht ein völliges Organ der Menschheit zu sein. Welcherlei Tätigkeit die Gesellschaft von Dir fordert, das bleibt ja noch zufällig: sie könnte Dich bei einem Tempelbau u. dergl. anstellen, oder, wenn auch das nicht, so könntest Du doch aus eigenem Antrieb für eine Narrheit, also Unmenschlichkeit tätig sein; ja noch mehr, Du arbeitest wirklich nur, um Dich zu nähren, überhaupt, um zu leben, um des lieben Lebens willen, nicht zur Verherrlichung der Menschheit. Mithin ist die freie Tätigkeit erst dann erreicht, wenn Du Dich von allen Dummheiten frei machst, von allem Nichtmenschlichen, d. h. Egoistischen (nur dem Einzelnen, nicht dem Menschen im Einzelnen Angehörigen) Dich befreist, alle den Menschen oder die Menschheits-Idee verdunkelnden, unwahren Gedanken auflösest, kurz, wenn Du nicht bloß ungehemmt bist in Deiner Tätigkeit, sondern auch der Inhalt Deiner Tätigkeit nur Menschliches ist, und Du nur für die Menschheit lebst und wirkst. Das ist aber nicht der Fall, solange das Ziel deines Strebens nur deine und Aller Wohlfahrt ist: was Du für die Lumpengesellschaft tust, das ist für die »menschliche Gesellschaft« noch nichts getan.

Das Arbeiten allein macht Dich nicht zum Menschen, weil es etwas Formelles und sein Gegenstand zufällig ist, sondern es kommt darauf an, wer Du, der Arbeitende, bist. Arbeiten überhaupt kannst Du aus egoistischem (materiellem) Antrieb, bloß um Dir Nahrung u. dergl. zu verschaffen: es muß eine die Menschheit fördernde, auf das Wohl der Menschheit berechnete, der geschichtlichen, d. h. menschlichen Entwicklung dienende, kurz eine humane Arbeit sein. Dazu gehört zweierlei, einmal daß sie der Menschheit zu Gute komme, zum Andern, daß sie von einem »Menschen« ausgehe. Das Erstere allein kann bei jeder Arbeit der Fall sein, da auch die Arbeiten der Natur, z. B. der Tiere, von der Menschheit zur Förderung der Wissenschaft u. s. f. benutzt werden; das Zweite erfordert, daß der Arbeitende den menschlichen Zweck seiner Arbeit wisse, und da er dies Bewußtsein nur haben kann, wenn er sich als Mensch weiß, so ist die entscheidende Bedingung das – Selbstbewußtsein.

Gewiß ist schon viel erreicht, wenn Du aufhörst ein »Stückarbeiter« zu sein, aber Du übersiehst damit doch nur das Ganze deiner Arbeit, und erwirbst ein Bewußtsein über dieselbe, was von einem Selbstbewußtsein, einem Bewußtsein über dein wahres »Selbst« oder »Wesen«, den Menschen, noch weit entfernt ist. Dem Arbeiter bleibt noch das Verlangen nach einem »höheren Bewußtsein«, das er, weil die Arbeitstätigkeit es nicht zu stillen vermag, in einer Feierstunde befriedigt. Daher steht seiner Arbeit das Feiern zur Seite, und er sieht sich gezwungen, in Einem Atem das Arbeiten und das Faulenzen für menschlich auszugeben, ja dem Faulenzer, dem Feiernden, die wahre Erhebung beizumessen. Er arbeitet nur, um von der Arbeit loszukommen: er will die Arbeit nur frei machen, um von der Arbeit frei zu werden.

Genug, seine Arbeit hat keinen befriedigenden Gehalt, weil sie nur von der Gesellschaft aufgetragen, nur ein Pensum, eine Aufgabe, ein Beruf ist, und umgekehrt, seine Gesellschaft befriedigt nicht, weil sie nur zu arbeiten gibt.

Die Arbeit müßte ihn als Menschen befriedigen: statt dessen befriedigt sie die Gesellschaft; die Gesellschaft müßte ihn als Menschen behandeln, und sie behandelt ihn als – lumpigen Arbeiter oder arbeitenden Lump.

Arbeit und Gesellschaft sind ihm nur nütze, nicht wie er als Mensch, sondern wie er als »Egoist« ihrer bedarf.

So die Kritik gegen das Arbeitertum. Sie weist auf den »Geist« hin, führt den Kampf des »Geistes mit der Masse« und erklärt die kommunistische Arbeit für geistlose Massenarbeit. Arbeitsscheu, wie sie ist, liebt es die Masse, sich die Arbeit leicht zu machen. In der Literatur, die heute massenweise geliefert wird, erzeugt jene Arbeitsscheu die allbekannte Oberflächlichkeit, welche »die Mühe der Forschung« von sich weist.

Darum sagt der humane Liberalismus: Ihr wollt die Arbeit; wohlan, Wir wollen sie gleichfalls, aber Wir wollen sie in vollstem Maße. Wir wollen sie nicht, um Muße zu gewinnen, sondern um in ihr selber alle Genugtuung zu finden. Wir wollen die Arbeit, weil sie unsere Selbstentwicklung ist.

Aber die Arbeit muß dann auch darnach sein! Es ehrt den Menschen nur die menschliche, die selbstbewußte Arbeit, nur die Arbeit, welche keine »egoistische« Absicht, sondern den Menschen zum Zwecke hat, und die Selbstoffenbarung des Menschen ist, so daß es heißen muß: laboro, ergo sum, Ich arbeite, d. h. Ich bin Mensch. Der Humane will die alle Materie verarbeitende Arbeit des Geistes, den Geist, der kein Ding in Ruhe oder in seinem Bestande läßt, der sich bei nichts beruhigt, alles auflöst, jedes gewonnene Resultat von neuem kritisiert. Dieser ruhelose Geist ist der wahre Arbeiter, er vertilgt die Vorurteile, zerschmettert die Schranken und Beschränktheiten, und erhebt den Menschen über Alles, was ihn beherrschen möchte, indes der Kommunist nur für sich, und nicht einmal frei, sondern aus Not arbeitet, kurz einen Zwangsarbeiter vorstellt.

Der Arbeiter solchen Schlages ist nicht »egoistisch«, weil er nicht für Einzelne, weder für sich noch für andere Einzelne, also nicht für private Menschen arbeitet, sondern für die Menschheit und den Fortschritt derselben: er lindert nicht einzelne Schmerzen, sorgt nicht für einzelne Bedürfnisse, sondern hebt Schranken hinweg, in denen die Menschheit eingepreßt ist, zerstreut Vorurteile, die eine ganze Zeit beherrschen, überwindet Hemmnisse, die Allen den Weg verlegen, beseitigt Irrtümer, in denen sich die Menschen verfangen, entdeckt Wahrheiten, welche für Alle und alle Zeit durch ihn gefunden werden, kurz – er lebt und arbeitet für die Menschheit.

Für's Erste nun weiß der Entdecker einer großen Wahrheit wohl, daß sie den andern Menschen nützlich sein könne, und da ihm ein neidisches Vorenthalten keinen Genuß verschafft, so teilt er sie mit; aber wenn er auch das Bewußtsein hat, daß seine Mitteilung für die Andern höchst wertvoll sei, so hat er doch seine Wahrheit keinesfalls um der Andern willen gesucht und gefunden, sondern um seinetwillen, weil ihn selbst danach verlangte, weil ihm das Dunkel und der Wahn keine Ruhe ließ, bis er nach seinen besten Kräften sich Licht und Aufklärung verschafft hatte.

Er arbeitete also um seinetwillen und zur Befriedigung seines Bedürfnisses. Daß er damit auch Andern, ja der Nachwelt nützlich war, nimmt seiner Arbeit den egoistischen Charakter nicht.

Fürs Andere, wenn doch auch er nur seinetwegen arbeitete, warum wäre seine Tat menschlich, die der Andern unmenschlich, d. h. egoistisch? Etwa darum, weil dieses Buch, Gemälde, Symphonie usw. die Arbeit seines ganzen Wesens ist, weil er sein Bestes dabei getan, sich ganz hin[ein]gelegt hat und ganz daraus zu erkennen ist, während das Werk eines Handwerkers nur den Handwerker, d. h. die Handwerksfertigkeit, nicht »den Menschen« abspiegelt? In seinen Dichtungen haben Wir den ganzen Schiller, in so und so viel hundert Öfen haben Wir dagegen nur den Ofensetzer vor Uns, nicht »den Menschen«.

Heißt dies aber mehr als: in dem einen Werke seht Ihr Mich möglichst vollständig, in dem andern nur meine Fertigkeit? Bin Ich es nicht wiederum, den die Tat ausdrückt? Und ist es nicht egoistischer, sich der Welt in einem Werke darzubieten, sich auszuarbeiten und zu gestalten, als hinter seiner Arbeit versteckt zu bleiben? Du sagst freilich, Du offenbarest den Menschen. Allein der Mensch, den Du offenbarst, bist Du; Du offenbarst nur Dich, jedoch mit dem Unterschiede vom Handwerker, daß dieser sich nicht in Eine Arbeit zusammenzupressen versteht, sondern, um als er selbst erkannt zu werden, in seinen sonstigen Lebensbeziehungen aufgesucht werden muß, und daß dein Bedürfnis, durch dessen Befriedigung jenes Werk zu Stande kam, ein – theoretisches war.

Aber Du wirst erwidern, daß Du einen ganz andern, einen würdigern, höheren, größeren Menschen offenbarest, einen Menschen, der mehr Mensch sei, als jener Andere. Ich will annehmen, daß Du das Menschenmögliche vollführest, daß Du zu Stande bringest, was keinem Andern gelingt. Worin besteht denn Deine Größe? Gerade darin, daß Du mehr bist als andere Menschen (die »Masse«), mehr bist, als Menschen gewöhnlich sind, mehr als »gewöhnliche Menschen«, gerade in deiner Erhabenheit über den Menschen. Vor andern Menschen zeichnest Du Dich nicht dadurch aus, daß Du Mensch bist, sondern weil Du ein »einziger« Mensch bist. Du zeigst wohl, was ein Mensch leisten kann, aber weil Du, ein Mensch, das leistest, darum können Andere, auch Menschen, es noch keineswegs leisten: Du hast es nur als einziger Mensch verrichtet und bist darin einzig.

Nicht der Mensch macht deine Größe aus, sondern Du erschaffst sie, weil Du mehr bist, als Mensch, und gewaltiger, als andere – Menschen.

Man glaubt nicht mehr sein zu können, als Mensch. Vielmehr kann man nicht weniger sein!

Man glaubt ferner, was man immer auch erreiche, das komme dem Menschen zu Gute. Insofern Ich jederzeit Mensch bleibe, oder, wie Schiller, Schwabe, wie Kant, Preuße, wie Gustav Adolf, Kurzsichtiger, so werde Ich durch meine Vorzüge freilich ein ausgezeichneter Mensch, Schwabe, Preuße oder Kurzsichtiger. Aber damit steht's nicht viel besser, wie mit Friedrich des Großen Krückstock, der um Friedrichs willen berühmt wurde.

Dem »Gebt Gott die Ehre« entspricht das Moderne: »Gebt dem Menschen die Ehre«. Ich aber denke sie für Mich zu behalten.

Indem die Kritik an den Menschen die Aufforderung ergehen läßt, »menschlich« zu sein, spricht sie die notwendige Bedingung der Geselligkeit aus; denn nur als Mensch unter Menschen ist man umgänglich. Hiermit gibt sie ihren sozialen Zweck kund, die Herstellung der »menschlichen Gesellschaft«.

Unter den Sozialtheorien ist unstreitig die Kritik die vollendetste, weil sie Alles entfernt und entwertet, was den Menschen vom Menschen trennt: alle Vorrechte bis auf das Vorrecht des Glaubens. In ihr kommt das Liebesprinzip des Christentums, das wahre Sozialprinzip, zum reinsten Vollzug, und wird das letzte mögliche Experiment gemacht, die Ausschließlichkeit und das Abstoßen den Menschen zu benehmen: ein Kampf gegen den Egoismus in seiner einfachsten und darum härtesten Form, in der Form der Einzigkeit, der Ausschließlichkeit, selber.

»Wie könnt Ihr wahrhaft gesellschaftlich leben, solange auch nur Eine Ausschließlichkeit zwischen Euch noch besteht?«

Ich frage umgekehrt: Wie könnt Ihr wahrhaft einzig sein, solange auch nur Ein Zusammenhang zwischen Euch noch besteht? Hängt Ihr zusammen, so könnt Ihr nicht voneinander, umschließt Euch ein »Band«, so seid Ihr nur selbander etwas, und Euer Zwölf machen ein Dutzend, Euer Tausende ein Volk, Euer Millionen die Menschheit.

»Nur wenn Ihr menschlich seid, könnt Ihr als Menschen miteinander umgehen, wie Ihr nur, wenn Ihr patriotisch seid, als Patrioten Euch verstehen könnt!«

Wohlan, so entgegne Ich: Nur wenn Ihr einzig seid, könnt Ihr als das, was Ihr seid, miteinander verkehren.

Gerade der schärfste Kritiker wird am schwersten von dem Fluche seines Prinzips getroffen werden. Indem er ein Ausschließliches nach dem andern von sich tut, Kirchlichkeit, Patriotismus usw. abschüttelt, löst er ein Band nach dem andern auf und sondert sich vom Kirchlichen, vom Patrioten usw. ab, bis er zuletzt, nachdem alle Bande gesprengt sind, – allein steht. Er gerade muß Alle ausschließen, die etwas Ausschließliches oder Privates haben, und was kann am Ende ausschließlicher sein, als die ausschließliche, einzige Person selber!

Oder meint er etwa, daß es besser stände, wenn Alle »Menschen« würden und die Ausschließlichkeit aufgäben? Eben darum, weil »Alle« bedeutet »jeder Einzelne«, bleibt ja der grellste Widerspruch erhalten, denn der »Einzelne« ist die Ausschließlichkeit selber. Läßt der Humane dem Einzelnen nichts Privates oder Ausschließliches, keinen Privatgedanken, keine Privatnarrheit mehr gelten, kritisiert er ihm Alles vor der Nase weg, da sein Haß gegen das Private ein absoluter und ein fanatischer ist, kennt er keine Toleranz gegen Privates, weil alles Private unmenschlich ist: so kann er doch die Privatperson selbst nicht wegkritisieren, da die Härte der einzelnen Person seiner Kritik widersteht, und er muß sich damit begnügen, diese Person für eine »Privatperson« zu erklären, und ihr wirklich alles Private wieder überlassen.

Was wird die Gesellschaft, die sich um nichts Privates mehr bekümmert, tun? Das Private unmöglich machen? Nein, sondern es dem »Gesellschaftsinteresse unterordnen und z. B. dem Privatwillen überlassen, Feiertage, so viel wie er will, zu setzen, wenn er nur nicht mit dem allgemeinen Interesse in Kollision tritt«. Alles Private wird freigelassen, d. h. es hat für die Gesellschaft kein Interesse.

»Durch ihre Absperrung gegen die Wissenschaft haben die Kirche und Religiosität ausgesprochen, daß sie sind, was sie immer waren, was sich aber unter einem andern Scheine verbarg, wenn sie für die Basis und notwendige Begründung des Staats ausgegeben wurden – – eine reine Privatangelegenheit. Auch damals, als sie mit dem Staate zusammenhingen und diesen zum christlichen machten, waren sie nur der Beweis, das der Staat noch nicht seine allgemeine politische Idee entwickelt habe, daß er nur Privatrechte setze – – sie waren nur der höchste Ausdruck dafür, daß der Staat eine Privatsache sei und nur mit Privatsachen zu tun habe. Wenn der Staat endlich den Mut und die Kraft haben wird, seine allgemeine Bestimmung zu erfüllen und frei zu sein, wenn er also auch im Stande ist, den besondern Interessen und Privatangelegenheiten ihre wahre Stellung zu geben – dann werden Religion und Kirche frei sein, wie sie es bisher noch nie gewesen. Als die reinste Privatangelegenheit und Befriedigung des rein persönlichen Bedürfnisses werden sie sich selbst überlassen sein, und jeder Einzelne, jede Gemeinde und Kirchengemeinschaft werden für die Seligkeit der Seele sorgen können, wie sie wollen und wie sie es für nötig halten. Für seiner Seele Seligkeit wird Jeder sorgen, soweit es ihm persönliches Bedürfnis ist, und als Seelsorger denjenigen annehmen und besolden, der ihm die Befriedigung seines Bedürfnisses am besten zu garantieren scheint. Die Wissenschaft wird endlich ganz aus dem Spiel gelassen.«

Was soll jedoch werden? Soll das gesellschaftliche Leben ein Ende haben und alle Umgänglichkeit, alle Verbrüderung, alles, was durch das Liebes- oder Sozietätsprinzip geschaffen wird, verschwinden?

Als ob nicht immer Einer den Andern suchen wird, weil er ihn braucht, als ob nicht Einer in den Andern sich fügen muß, wenn er ihn braucht. Der Unterschied ist aber der, daß dann wirklich der Einzelne sich mit dem Einzelnen vereinigt, indes er früher durch ein Band mit ihnen verbunden war: Sohn und Vater umfängt vor der Mündigkeit ein Band, nach derselben können sie selbständig zusammentreten, vor ihr gehörten sie als Familienglieder zusammen (waren die »Hörigen« der Familie), nach ihr vereinigen sie sich als Egoisten, Sohnschaft und Vaterschaft bleiben, aber Sohn und Vater binden sich nicht mehr daran.

Das letzte Privilegium ist in Wahrheit »der Mensch«; mit ihm sind Alle privilegiert oder belehnt. Denn, wie Bruno Bauer selbst sagt: »Das Privilegium bleibt, wenn es auch auf Alle ausgedehnt wird.«

So verläuft der Liberalismus in folgenden Wandlungen:

Erstens: Der Einzelne ist nicht der Mensch, darum gilt seine einzelne Persönlichkeit nichts: kein persönlicher Wille, keine Willkür, kein Befehl oder Ordonnanz!

Zweitens: Der Einzelne hat nichts Menschliches, darum gilt kein Mein und Dein oder Eigentum.

Drittens: Da der Einzelne weder Mensch ist noch Menschliches hat, so soll er überhaupt nicht sein, soll als ein Egoist mit seinem Egoistischen durch die Kritik vernichtet werden, um dem Menschen, »dem jetzt erst gefundenen Menschen« Platz zu machen.

Obgleich aber der Einzelne nicht Mensch ist, so ist der Mensch in dem Einzelnen doch vorhanden und hat, wie jeder Spuk und alles Göttliche, an ihm seine Existenz. Daher spricht der politische Liberalismus dem Einzelnen Alles zu, was ihm als »Menschen von Geburt«, als geborenem Menschen zukommt, wohin denn Gewissensfreiheit, Besitz usw., kurz die »Menschenrechte« gerechnet werden; der Sozialismus vergönnt dem Einzelnen, was ihm als tätigem Menschen, als »arbeitendem« Menschen zukommt; endlich der humane Liberalismus gibt dem Einzelnen, was er als »Mensch« hat, d. h. Alles, was der Menschheit gehört. Mithin hat der Einzige gar nichts, die Menschheit Alles, und es wird die Notwendigkeit der im Christentum gepredigten »Wiedergeburt« unzweideutig und im vollkommensten Maße gefordert. Werde eine neue Kreatur, werde »Mensch«!

Sogar an den Schluß des Vaterunsers könnte man sich erinnert glauben. Dem Menschen gehört die Herrschaft (die »Kraft« oder Dynamis); darum darf kein Einzelner Herr sein, sondern der Mensch ist der Herr der Einzelnen –; des Menschen ist das Reich, d. h. die Welt, deshalb soll der Einzelne nicht Eigentümer sein, sondern der Mensch, »Alle«, gebietet über die Welt als Eigentum –; dem Menschen gebührt von Allem der Ruhm, die Verherrlichung oder »Herrlichkeit« (Doxa), denn der Mensch oder die Menschheit ist der Zweck des Einzelnen, für den er arbeitet, denkt, lebt, und zu dessen Verherrlichung er »Mensch« werden muß.

Die Menschen haben bisher immer gestrebt, eine Gemeinschaft ausfindig zu machen, worin ihre sonstigen Ungleichheiten »unwesentlich« würden; sie strebten nach Ausgleichung, mithin nach Gleichheit, und wollten Alle unter Einen Hut kommen, was nichts Geringeres bedeutet, als daß sie Einen Herrn suchten, Ein Band, Einen Glauben (»Wir glauben all' an Einen Gott«). Etwas Gemeinschaftlicheres oder Gleicheres kann es für die Menschen nicht geben, als den Menschen selbst, und in dieser Gemeinschaft hat der Liebesdrang seine Befriedigung gefunden: er rastete nicht, bis er diese letzte Ausgleichung herbeigeführt, alle Ungleichheit geebnet, den Menschen dem Menschen an die Brust gelegt hatte. Gerade unter dieser Gemeinschaft aber wird der Verfall und das Zerfallen am schreiendsten. Bei einer beschränkteren Gemeinschaft stand noch der Franzose gegen den Deutschen, der Christ gegen Mohammedaner usw. Jetzt hingegen steht der Mensch gegen die Menschen, oder, da die Menschen nicht der Mensch sind, so steht der Mensch gegen den Unmenschen.

Dem Satze: »Gott ist Mensch geworden« folgt nun der andere: »Der Mensch ist Ich geworden.« Dies ist das menschliche Ich. Wir aber kehren's um und sagen: Ich habe Mich nicht finden können, solange Ich Mich als Menschen suchte. Nun sich aber zeigt, daß der Mensch darnach trachtet, Ich zu werden und in Mir eine Leibhaftigkeit zu gewinnen, merke Ich wohl, daß doch Alles auf Mich ankommt, und der Mensch ohne Mich verloren ist. Ich mag aber nicht zum Schrein dieses Allerheiligsten Mich hingeben und werde hinfort nicht fragen, ob Ich in Meiner Betätigung Mensch oder Unmensch sei: es bleibe mir dieser Geist vom Halse!

Der humane Liberalismus geht radikal zu Werke. Wenn Du auch nur in Einem Punkte etwas Besonderes sein oder haben willst, wenn Du auch nur Ein Vorrecht vor Andern Dir bewahren, nur Ein Recht in Anspruch nehmen willst, das nicht ein »allgemeines Menschenrecht« ist, so bist Du ein Egoist.

Recht so! Ich will nichts Besonderes von Andern haben oder sein, Ich will kein Vorrecht gegen sie beanspruchen, aber – Ich messe Mich auch nicht an Andern, und will überhaupt kein Recht haben. Ich will Alles sein und Alles haben, was ich sein und haben kann. Ob Andere Ähnliches sind und haben, was kümmert's Mich? Das Gleiche, dasselbe können sie weder sein, noch haben. Ich tue Ihnen keinen Abbruch, wie Ich dem Felsen dadurch keinen Abbruch tue, daß Ich die Bewegung vor ihm »voraushabe«. Wenn sie es haben könnten, so hätten sie's.

Den andern Menschen keinen Abbruch zu tun, darauf kommt die Forderung hinaus, kein Vorrecht zu besitzen. Allem »Voraushaben« zu entsagen, die strengste Entsagungs-Theorie. Man soll sich nicht für »etwas Besonderes« halten, wie z. B. Jude oder Christ. Nun, Ich halte Mich nicht für etwas Besonderes, sondern für einzig. Ich habe wohl Ähnlichkeit mit Andern; das gilt jedoch nur für die Vergleichung oder Reflexion; in der Tat bin Ich unvergleichlich, einzig. Mein Fleisch ist nicht ihr Fleisch, mein Geist ist nicht ihr Geist. Bringt Ihr sie unter die Allgemeinheiten »Fleisch, Geist«, so sind das eure Gedanken, die mit meinem Fleische, meinem Geiste nichts zu schaffen haben, und am wenigsten an das Meinige einen »Beruf« ergehen lassen können.

Ich will an Dir nichts anerkennen oder respektieren, weder den Eigentümer, noch den Lump, noch auch nur den Menschen, sondern Dich verbrauchen. Am Salze finde Ich, daß es die Speisen Mir schmackhaft macht, darum lasse Ich's zergehen; im Fische erkenne Ich ein Nahrungsmittel, darum verspeise Ich ihn; an Dir entdecke Ich die Gabe, Mir das Leben zu erheitern, daher wähle Ich Dich zum Gefährten. Oder am Salze studiere Ich die Kristallisation, am Fische die Animalität, an Dir die Menschen usw. Mir bist Du nur dasjenige, Du für Mich bist, nämlich mein Gegenstand, und weil mein Gegenstand, darum mein Eigentum.

Im humanen Liberalismus vollendet sich die Lumperei. Wir müssen erst auf das Lumpigste, Armseligste herunterkommen, wenn Wir zur Eigenheit gelangen wollen, denn Wir müssen alles Fremde ausziehen. Lumpiger aber scheint nichts, als der nackte – Mensch.

Mehr als Lumperei ist es indessen, wenn Ich auch den Menschen wegwerfe, weil ich fühle, daß auch er Mir fremd ist, und daß Ich Mir darauf nichts einbilden darf. Es ist das nicht mehr bloß Lumperei: weil auch der letzte Lumpen abgefallen ist; so steht die wirkliche Nacktheit, die Entblößung von allem Fremden da. Der Lump hat die Lumperei selbst ausgezogen und damit aufgehört zu sein, was er war, ein Lump.

Ich bin nicht mehr Lump, sondern bin's gewesen.

Bis zur Stunde konnte die Zwietracht deshalb nicht zum Ausbruch kommen, weil eigentlich nur ein Streit neuer Liberaler mit veralteten Liberalen vorhanden ist, ein Streit derer, welche die »Freiheit« in kleinem Maße verstehen, und derer, welche das »volle Maß« der Freiheit wollen, also der Gemäßigten und Maßlosen. Alles dreht sich um die Frage: Wie frei muß der Mensch sein? Daß der Mensch frei sein müsse, daran glauben Alle; darum sind auch Alle liberal. Aber der Unmensch, der doch in jedem Einzelnen steckt, wie dämmt man den? Wie stellt man's an, daß man nicht mit dem Menschen zugleich den Unmenschen frei läßt?

Der gesamte Liberalismus hat einen Todfeind, einen unüberwindlichen Gegensatz, wie Gott den Teufel: dem Menschen steht der Unmensch, der Einzelne, der Egoist stets zur Seite. Staat, Gesellschaft, Menschheit bewältigen diesen Teufel nicht.

Der humane Liberalismus verfolgt die Aufgabe, den andern Liberalen zu zeigen, daß sie immer noch nicht die »Freiheit« wollen.

Hatten die andern Liberalen nur vereinzelten Egoismus vor Augen, und waren sie für den größten Teil blind, so hat der radikale Liberalismus den Egoismus »in Masse« gegen sich, wirft Alle, die nicht die Sache der Freiheit, wie er, zur eigenen machen, unter die Masse, so daß jetzt Mensch und Unmensch streng geschieden als Feinde gegeneinander stehen, nämlich die »Masse« und die »Kritik«; und zwar die »freie, menschliche Kritik«, wie sie (Judenfrage S. 114) genannt wird, gegenüber der rohen, z. B. religiösen Kritik.

Die Kritik spricht die Hoffnung aus, daß sie über die ganze Masse siegen und ihr »ein allgemeines Armutszeugnis ausstellen werde«. Sie will also zuletzt Recht behalten und allen Streit der »Mutlosen und Zaghaften« als eine egoistische Rechthaberei darstellen, als Kleinlichkeit, Armseligkeit. Aller Hader verliert an Bedeutung und die kleinlichen Zwistigkeiten werden aufgegeben, weil in der Kritik ein gemeinsamer Feind ins Feld rückt. »Ihr seid allesamt Egoisten, einer nicht besser als der andere!« Nun stehen die Egoisten zusammen gegen die Kritik.

Wirklich die Egoisten? Nein, sie kämpfen gerade darum gegen die Kritik, weil diese sie des Egoismus beschuldigt; sie sind des Egoismus nicht geständig. Mithin stehen Kritik und Masse auf derselben Basis: beide kämpfen gegen den Egoismus, beide weisen ihn von sich ab, und schieben ihn einander zu.

Die Kritik und die Masse verfolgen dasselbe Ziel, Freiheit vom Egoismus, und hadern nur darüber, wer von ihnen dem Ziele sich am meisten nähere oder gar es erreiche.

Die Juden, die Christen, die Absolutisten, die Dunkelmänner und Lichtmänner, Politiker, Kommunisten, kurz Alle halten den Vorwurf des Egoismus von sich fern, und da nun die Kritik diesen Vorwurf ihnen unverblümt und im ausgedehntesten Sinne macht, so rechtfertigen sich Alle gegen die Anschuldigung des Egoismus, und bekämpfen den – Egoismus, denselben Feind, mit welchem die Kritik Krieg führt.

Egoistenfeinde sind beide, Kritik und Masse, und beide suchen sich vom Egoismus zu befreien, sowohl dadurch, daß sie sich reinigen oder reinwaschen, als dadurch, daß sie ihn der Gegenpartei zuschreiben.

Der Kritiker ist der wahre »Wortführer der Masse«, der ihr den »einfachen Begriff und die Redensart« des Egoismus gibt, wogegen die Wortführer, welchen Lit. Ztg. V, 24 der Triumph abgesprochen wird, nur Stümper waren. Er ist ihr Fürst und Feldherr in dem Freiheitskriege gegen den Egoismus; wogegen er kämpft, dagegen kämpft auch sie. Er ist aber zugleich auch ihr Feind, nur nicht der Feind vor ihr, sondern der befreundete Feind, der die Knute hinter den Zaghaften führt, um ihnen [ihren?] Mut zu erzwingen.

Dadurch reduziert sich der Gegensatz der Kritik und der Masse auf folgende Gegenrede: »Ihr seid Egoisten!« – »„Nein, Wir sind's nicht!«" – »Ich will's Euch beweisen!« – »„Du sollst unsere Rechtfertigung erfahren!«" –

Nehmen Wir denn beide, wofür sie sich ausgeben, für Nichtegoisten, und wofür sie einander nehmen, für Egoisten. Sie sind Egoisten und sind's nicht.

Die Kritik sagt eigentlich: Du mußt dein Ich so gänzlich von aller Beschränktheit befreien, daß es ein menschliches Ich wird. Ich sage: Befreie Dich so weit Du kannst, so hast Du das Deinige getan; denn nicht Jedem ist es gegeben, alle Schranken zu durchbrechen, oder sprechender: Nicht Jedem ist das eine Schranke, was für den Andern eine ist. Folglich mühe Dich nicht an den Schranken Anderer ab; genug, wenn Du die deinigen niederreißest. Wem ist es jemals gelungen, auch nur eine Schranke für alle Menschen niederzureißen? Laufen nicht heute wie zu jeder Zeit Unzählige mit allen »Schranken der Menschheit« herum? Wer eine seiner Schranken umwirft, der kann Andern Weg und Mittel gezeigt haben; das Umwerfen ihrer Schranken bleibt ihre Sache. Auch tut Keiner etwas Anderes. Den Leuten zumuten, daß sie ganz Menschen werden, heißt sie auffordern, alle menschlichen Schranken zu stürzen. Das ist unmöglich, weil der Mensch keine Schranken hat. Ich habe zwar deren, aber Mich gehen auch nur die meinigen etwas an, und nur sie können von Mir bezwungen werden. Ein menschliches Ich kann Ich nicht werden, weil Ich eben Ich und nicht bloß Mensch bin.

Doch sehen Wir noch, ob die Kritik Uns nicht etwas gelehrt hat, das Wir beherzigen können! Frei bin Ich nicht, wenn Ich nicht interesselos, Mensch nicht, wenn Ich nicht uninteressiert bin? Nun, verschlägt es Mir auch wenig, frei oder Mensch zu sein, so will Ich doch keine Gelegenheit, Mich durchzusetzen oder geltend zu machen, ungenutzt vorbeilassen. Die Kritik bietet Mir diese Gelegenheit durch die Lehre, daß, wenn sich etwas in Mir festsetzt und unauflöslich wird, Ich der Gefangene und Knecht desselben, d. h. ein Besessener, werde. Ein Interesse, es sei wofür es wolle, hat an Mir, wenn Ich nicht davon loskommen kann, einen Sklaven erbeutet, und ist nicht mehr mein Eigentum, sondern Ich bin das seine. Nehmen wir daher die Weisung der Kritik an, keinen Teil unsers Eigentums stabil werden zu lassen, und Uns nur wohl zu fühlen im – Auflösen.

Sagt also die Kritik: Du bist nur Mensch, wenn Du rastlos kritisierst und auflösest! so sagen Wir: Mensch bin Ich ohnehin, und Ich bin Ich ebenfalls; darum will Ich nur Sorge tragen, daß Ich mein Eigentum Mir sichere, und um es zu sichern, nehme Ich's jederzeit in Mich zurück, vernichte in ihm jede Regung nach Selbständigkeit, und verschlinge es, ehe sich's fixieren und zu einer »fixen Idee« oder einer »Sucht« werden kann.

Das tue Ich aber nicht um meines »menschlichen Berufes« willen, sondern weil Ich Mich dazu berufe. Ich spreize Mich nicht, Alles aufzulösen, was einem Menschen aufzulösen möglich ist, und solange Ich z. B. noch keine zehn Jahre alt bin, kritisiere Ich den Unsinn der Gebote nicht, bin aber gleichwohl Mensch und handle gerade darin menschlich, daß Ich sie noch unkritisiert lasse. Kurz, Ich habe keinen Beruf, und folge keinem, auch nicht dem, Mensch zu sein.

Weise Ich nun zurück, was der Liberalismus in seinen verschiedenen Anstrengungen errungen hat? Es sei ferne, daß etwas Errungenes verloren gehe! Nur wende Ich, nachdem durch den Liberalismus »der Mensch« frei geworden, den Blick wieder auf Mich zurück und gestehe Mir's offen: Was der Mensch gewonnen zu haben scheint, das habe nur Ich gewonnen.

Der Mensch ist frei, wenn »der Mensch dem Menschen das höchste Wesen ist«. Also gehört es zur Vollendung des Liberalismus, daß jedes andere höchste Wesen vernichtet, die Theologie durch die Anthropologie umgeworfen, der Gott und seine Gnaden verlacht, der »Atheismus« allgemein werde.

Der Egoismus des Eigentums hat sein Letztes eingebüßt, wenn auch das »Mein Gott« sinnlos geworden ist; denn Gott ist nur, wenn ihm das Heil des Einzelnen am Herzen liegt, wie dieser in ihm sein Heil sucht.

Der politische Liberalismus hob die Ungleichheit der Herren und Diener auf, er machte herrenlos, anarchisch. Der Herr wurde nun vom Einzelnen, dem »Egoisten« entfernt, um ein Gespenst zu werden: das Gesetz oder der Staat. Der soziale Liberalismus hebt die Ungleichheit des Besitzes, der Armen und Reichen auf, und macht besitzlos oder eigentumslos. Das Eigentum wird dem Einzelnen entzogen und der gespenstischen Gesellschaft überantwortet. Der humane Liberalismus macht gottlos, atheistisch. Deshalb muß der Gott des Einzelnen, »mein Gott«, abgeschafft werden. Nun ist zwar die Herrenlosigkeit zugleich Dienstlosigkeit, Besitzlosigkeit zugleich Sorglosigkeit, und Gottlosigkeit zugleich Vorurteilslosigkeit, denn mit dem Herrn fällt der Diener weg, mit dem Besitz die Sorge um ihn, mit dem festgewurzelten Gott das Vorurteil; da aber der Herr als Staat wieder aufersteht, so erscheint der Diener als Untertan wieder, da der Besitz zum Eigentum der Gesellschaft wird, so erzeugt sich die Sorge von neuem als Arbeit, und da der Gott als Mensch zum Vorurteil wird, so ersteht ein neuer Glaube, der Glaube an die Menschheit oder Freiheit. Für den Gott des Einzelnen ist nun der Gott Aller, nämlich »der Mensch« erhöht worden: »es ist ja Unser Aller Höchstes, Mensch zu sein.« Da aber Niemand ganz das werden kann, was die Idee »Mensch« besagt, so bleibt der Mensch dem Einzelnen ein erhabenes Jenseits, ein unerreichtes höchstes Wesen, ein Gott. Zugleich aber ist dies der »wahre Gott«, weil er Uns völlig adäquat, nämlich unser eigenes »Selbst« ist: Wir selbst, aber von Uns getrennt und über Uns erhaben.


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